Liebe Gemeinde,
wenn wir uns jetzt jeder einzelne fragen würde – oder wenn ich Sie fragen würde: Sind Sie ein gutes Vorbild? Was würden Sie dann sagen?
Das gehört ja auch zu unseren Aufgaben als Christen. Paulus hat geschrieben: „Antimotius sei den Gläubigen ein Vorbild im Wort und im Wandel, in der Liebe, im Glauben und in der Reinheit.“ Auch die Bibel lehrt uns unter anderem durch Vorbilder – durch gute Vorbilder, die zeigen, wie es sein soll, und durch schlechte Vorbilder, die uns zeigen, was wir nicht tun sollen und wie wir nicht leben sollen.
Daniel, den wir in unserer Predigtreihe nun schon seit einigen Monaten begleiten können, ist bestimmt ein ganz wichtiges Vorbild innerhalb der Bibel. Er gehört zu den wenigen Ausnahmen, von denen, wenn ich mich richtig erinnere, kein einziger Makel geschildert wird. Obwohl er natürlich wie alle anderen Menschen auch ein sterblicher Sünder war.
Aber Daniel begegnet uns durch und durch als gutes Vorbild. Er ist ein Vorbild für die Hingabe des Nachfolgers Gottes. Daniel ist ein Vorbild für Mut. Er ist auch ein Vorbild für Treue im Bekenntnis.
Es gibt dieses Kinderlied: „Bleibe fest wie Daniel, stehst du auch allein, wag es treu, vor aller Welt Gottes Kinder zu sein.“ Dafür ist er auch ein Vorbild gewesen.
Daniels Vorbild in Hingabe, Mut und Treue
Ein weiteres Feld, in dem David vorbildlich lebte, war sein Gebetsleben. Das haben wir in Kapitel sechs gesehen. Er hatte in seinem Obergemach offene Fenster, die nach Jerusalem zeigten. Dieses Zimmer war also ein abschließbarer Raum, in den er sich zurückziehen konnte. Sein Haus war so gebaut, dass die Fenster in Richtung Jerusalem ausgerichtet waren.
Das hatte keine magische Bedeutung, sondern war symbolisch. David wollte sich daran erinnern, welche Verheißung Gott mit der Hauptstadt verbunden hatte: „Ich bringe mein Volk zurück.“ Dort betete er regelmäßig.
Offensichtlich hatte Daniel feste Gebetszeiten, trotz des Termindrucks, dem er auch im hohen Alter noch ausgesetzt war. Ich habe mich gefragt, wie diese Innigkeit und dieser Ernst, den wir hier heute in Kapitel 9 im Gebet von Daniel sehen werden – das werden Sie gleich noch merken – in unser Gebetsleben kommen können.
Das ist natürlich ein Geschenk, das nur Gott uns geben kann. Wir können dem Herrn sagen: „Bitte mache auch aus mir einen solchen Beter, wie Daniel es war.“
Ich denke, bei Daniel hat sich bewährt, dass er ein regelmäßiges Gebetsleben führte und sich bemühte, seine stille Zeit möglichst treu einzuhalten. Das erfahren wir über ihn.
Ich habe gerade in dieser Woche einen interessanten Artikel von einem erfahrenen Pastor aus Amerika, John Piper, gefunden. Er hat noch einmal empfohlen – und ich möchte das hier gerne weitergeben: Ich empfehle ernsthaft, die Bibel früh am Morgen zu lesen, es sei denn, es gibt mildernde Umstände.
Einen Tag zu beginnen, ohne eine ernste Begegnung mit Gott in seinem Wort und im Gebet zu haben, ist so, als würde man einen Kampf beginnen, ohne sich um die Waffen zu kümmern. Es ist, als ob man eine Reise unternimmt, ohne die Reifen mit Luft zu füllen und den Tank mit Treibstoff zu versehen.
Die Bedeutung eines festen Gebetslebens
Und dann sagt er, das menschliche Herz füllt sich nicht während des Schlafes auf. Der Körper tut es, aber nicht das Herz. Die geistliche Luft tritt aus unseren Reifen aus, und der Treibstoff wird am Tag verbraucht. Wir füllen unser Herz nicht mit Schlaf auf, sondern nur mit dem Wort Gottes und mit Gebet.
Er rät den Lesern, einen Ort der Abgeschiedenheit zu wählen. Dabei sollten sie nicht unbedingt denken, dass der Ort bequem sein muss. Ein bequemer Ort wird wahrscheinlich dazu führen, dass sie einschlafen. Es muss ein abgesonderter Ort sein, damit sie gegebenenfalls auch laut reden, singen und weinen können.
Er fügt hinzu: Früher oder später werden sie weinen, wenn sie um die Seele ihres jugendlichen Kindes ringen, oder darum kämpfen, ihre Ehe zusammenzuhalten, oder daran arbeiten, den Stolz in ihrem Leben zu überwinden. Deshalb müssen sie beim Beten allein sein.
Wenn ihre Familiensituation das schwierig macht, dann sollen sie sich diese Ruhe besorgen. Beispielsweise bringt er das Beispiel einer Mutter, die immer viele Kinder um sich hatte und dann folgendes machte: Sie benutzte einfach ihre Schürze, um ein Zelt für ihren Kopf und ihre Bibel auf einem Küchentisch zu schaffen. Immer wenn die Kinder sahen, dass die Mutter in ihrem Zelt sitzt, wussten sie, jetzt braucht sie ihre Ruhe, und wir müssen sie ungestört beten lassen.
Das ist nur ein kleiner Tipp von John Piper. Er sagt, es ist wichtig, und es hat sich bei vielen Christen bewährt, morgens, wenn der Tag noch nicht so sehr auf uns eingewirkt hat, Stille vor Gott zu finden.
Daniel als Vorbild im Gebet trotz Widerständen
Und so hat es im Grunde auch Daniel gemacht. Er hat an seinen Gebetszeiten festgehalten – trotz polizeilichen Verbots später, selbst als ihn das seine Freiheit und beinahe sein Leben kostete. Er hat gebetet.
Auch das neunte Kapitel, zu dem wir jetzt in unserer Predigtreihe inzwischen vorgedrungen sind, zeigt uns Daniel als Beter. Sie haben diesen Text vor sich: Kapitel 9, die ersten neunzehn Verse. Hier blicken wir Daniel gewissermaßen über die Schulter, wie er inständig und leidenschaftlich Gott im Gebet anruft.
Als ich diesen Text so überflog, schon im Hinblick auf diesen Gottesdienst heute, dachte ich: Na ja, das passt ja gut. Das letzte Mal vor den Ferien, jetzt zum letzten Mal die Daniel-Predigtreihe. Ab kommenden Sonntag beginnen ja unsere Einzelpredigttexte. Letztes Mal vor den Ferien – da habe ich gedacht, das ist ein passender Abschluss.
Für viele, bevor sie in den Urlaub fahren, ist es eine gute Gelegenheit, sie noch einmal besonders zu ermutigen: Nutzt die Zeit zum Beten. Das ist sicher immer eine gute Empfehlung, wenn wir uns gegenseitig dazu ermuntern. Nutzt die Zeit zum Beten, bleibt dran, sei da treu.
Allerdings, auf den zweiten Blick, wenn wir in unser Kapitel 9 hier schauen, handelt es sich nicht nur um das Gebet allgemein. Wir müssen die Sache noch enger, noch präziser fassen. Es geht hier in diesem neunten Kapitel um eine ganz bestimmte Rubrik des Gebets.
Wir hatten ja neulich in der Bibelstunde gesehen, dass man das Gebet in mindestens fünf Gruppierungen einteilen kann: Anbetung und Lob, Dank, Fürbitte, Bitte und Bekenntnis der Schuld. Das sind fünf mögliche Kategorien.
Und die letzte Kategorie, die fünfte Kategorie, um die es speziell geht, findet sich in diesen Versen. Das ist also das Thema hier: Bekenntnis der Sünde in unserem Gebet.
Die Bedeutung des Sündenbekenntnisses im Gebet
Ich habe mich gefragt – und ich frage Sie dasselbe: Welche Rolle spielt eigentlich das Thema Sündenbekenntnis und Buße in meinen Gebeten, in Ihren Gebeten? Dabei meine ich nicht die Gebete, die wir in der Öffentlichkeit sprechen, sondern die Gebete, die nur Gott hört.
In der Regel sind wir schnell mit unseren Bitten. Oft denken wir auch ans Danken – das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber ist das Bekenntnis unserer Schuld wirklich so wichtig in unserem persönlichen Gebet?
Ein erstes Indiz dafür bietet uns das Vaterunser. Dort lehrt uns Jesus nicht nur, um das tägliche Brot zu bitten – unser täglich Brot gibt uns heute –, sondern auch um die tägliche Vergebung: „Und vergib uns unsere Schuld.“ Es ist also offensichtlich wichtig, das regelmäßig zu tun.
Könnte es nicht sein, dass unser Gebetsleben gerade an diesem Punkt, bei der Bitte um Vergebung, noch eine viel stärkere Belebung und Verankerung im Wort Gottes braucht? Dann müssen wir Daniel 9 verstehen.
Deshalb freue ich mich so sehr, dass wir das heute gewissermaßen als Zwischenstopp unserer Predigtreihe auslegen können. Wenn Sie eine Überschrift für diesen Text suchen, könnten Sie ihm die Überschrift „Beten in Sack und Asche“ geben. Denn genau das macht Daniel uns vor.
Daniels Gebet in Sack und Asche – Ein Zeichen der Demut
Wir lesen die ersten drei Verse von Kapitel neun:
Im ersten Jahr des Darius, des Sohnes des Ahaswaros, aus dem Stamm der Meder, der über das Reich der Chaldäer König wurde, achtete ich, Daniel, in den Büchern auf die Zahl der Jahre, von denen der Herr zum Propheten Jeremia gesprochen hatte.
Nämlich dass Jerusalem siebzig Jahre wüst liegen sollte. Daraufhin wandte ich mich zu Gott, dem Herrn, um zu beten und zu flehen – unter Fasten und in Sack und Asche.
Das Gebet in Sack und Asche ist heute eine bekannte Redewendung. Wenn jemand sagt: „Ich gehe in Sack und Asche“, bedeutet das, dass er sich demütigt. Zum Beispiel muss ein Politiker, der einen Skandal zugeben muss, „in Sack und Asche gehen“.
Bei Daniel wurde dies noch wörtlich so gemacht und zwar als eine Symbolhandlung. Sie müssen sich das so vorstellen: Man trug ein Sackgewand, das war ein Zeichen großer Trauer und Betrübnis. Außerdem streute man sich Asche aufs Haupt – „Asche auf mein Haupt“ – als Zeichen der menschlichen Hinfälligkeit, Vergänglichkeit, Fehlbarkeit und Sterblichkeit. Sack und Asche.
Entscheidend war dabei nicht die äußere Handlung, sondern die innere Einstellung.
Dann kam noch das Fasten dazu. Das Fasten diente in solch einer Situation besonders der Konzentration.
Sie müssen sich vorstellen: Daniel war inzwischen gut achtzig Jahre alt, wahrscheinlich sogar schon knapp an die fünfundachtzig heran. Wenn wir dieses Gebet hier lesen – und ich bitte Sie, nehmen Sie sich auch die Zeit, es zuhause noch einmal Vers für Vers durchzugehen – dann merken Sie eins: Er hat nichts von seinem geistlichen Eifer und seiner geistlichen Leidenschaft verloren, dieser 80- bis 85-jährige Daniel.
Hier steht es gleich am Anfang: Im ersten Jahr des Darius, des Sohnes des Ahaswaros aus dem Stamm der Meder, als er König wurde. Das ist also die Einordnung, die geschichtliche Einordnung, wie immer am Anfang.
Darius, müssen Sie sich vorstellen, war eine Art Unterkönig. Kyros, der persische Großfürst, hatte ihn eingesetzt. Darius, der aus einem medischen Geschlecht kam, war zuständig für die Verwaltung des alten babylonischen Gebietes. Wahrscheinlich kamen noch Syrien und ein Teil von Phönizien hinzu. Das war also sein Bezirk gewissermaßen.
Sein neues Amt hatte Darius im Jahr 539 angetreten – also in dem Jahr, als die Perser den Babyloniern die Macht aus den Händen rissen. Wir haben hier ja oft darüber gesprochen. Nach babylonischer Zählweise war dann das erste volle Regierungsjahr des Darius das Jahr 538.
Sie werden gleich sehen, warum die Zahlen nicht ganz unwichtig sind. Denn in diesem ersten Jahr von Darius’ Herrschaft stößt Daniel bei seiner Bibellese auch auf eine Zahl, nämlich die Zahl siebzig.
Die Bedeutung der siebzig Jahre aus Jeremia
Sehen Sie mal nach in Vers 2. Dort steht: In diesem ersten Jahr der Herrschaft des Darius achtete ich, Daniel, in den Büchern auf die Zahl der Jahre, von denen der Herr zum Propheten Jeremia gesprochen hatte, nämlich dass Jerusalem siebzig Jahre wüst liegen sollte.
Es handelt sich hier offensichtlich um dasselbe Buch Jeremia, das auch wir in unseren Bibeln haben. Dieses Buch ist also auch in unserer Bibel enthalten.
Wir müssen wissen, dass der Prophet Jeremia vor Daniel gewirkt hatte. Er hatte die Eroberung des Heiligen Landes durch die Babylonier noch miterlebt. Auch die ersten Jahre des Exils in Babylonien hatte er selbst erlebt. Jeremia hatte damals im Namen Gottes gewarnt und ein siebzigjähriges Exil angekündigt – siebzig Jahre.
Es ist schon erstaunlich, dass diese Schrift inzwischen in den Händen Daniels gelandet war, die Schrift des Propheten Jeremia. Daniel war offensichtlich ein eifriger Bibelleser. Es steht hier, dass er in den Büchern achtete. Dieses Achten bedeutet nicht einfach nur gelegentliches Lesen, sondern kann auch mit „forschen“ übersetzt werden. Daniel war also ein richtiger Erforscher, ein Student der Heiligen Schriften, soweit sie damals schon vorlagen.
Interessant ist, dass er bei Jeremia genau das Gleiche nachlesen kann, wie wir heute. Wahrscheinlich hat er diese beiden Stellen besonders studiert: Jeremia 29,10: „Denn so spricht der Herr: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, will ich euch heimsuchen und mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe, nämlich nach Jerusalem.“
Diese siebzig Jahre standen dort. Ähnlich findet sich das auch in Jeremia 25,11-12.
Für Daniel ist Jeremia ganz klar Gottes Wort. Hier redet der Herr. Interessanterweise nimmt Daniel die Zahl der siebzig Jahre wörtlich. Er versucht nicht, eine symbolische Deutung dieser Zahl herauszufinden, sondern sagt: Jeremia schreibt siebzig Jahre – dann wird für Israel eine neue Zeit anbrechen.
Nun versetzen Sie sich mal in die Situation von Daniel. Wenn das stimmt, was Jeremia schreibt, dann sind die siebzig Jahre bald abgelaufen. Jeremia hatte jedoch nicht genau definiert, wann diese Zeit beginnen würde.
Man kann die siebzig Jahre mit der ersten Deportation der Juden durch die Babylonier beginnen lassen, also 605 v. Chr., als auch Daniel mit dabei war. Der junge Daniel war damals noch keine 15 Jahre alt, als er nach Babylonien deportiert wurde.
Wenn man die siebzig Jahre ab 605 v. Chr. zählt, kommt man etwa auf 535 v. Chr., je nachdem, wie man zählt. So kam es dann auch: 538 v. Chr. wurde Pyrrhos den Wiederaufbau Jerusalems empfehlen.
Und wir fragen uns: Wenn das alles so passt, warum ist Daniel dann so besorgt? Warum steckt er sich in Sack und Asche? Warum betont er das hier extra: „Ich kehrte mich zu Gott, dem Herrn, um zu beten und zu flehen, und ich fastete in Sack und Asche“? Warum sollte er das tun, wenn doch eigentlich alles in Ordnung wäre?
Daniels Sorge um das Volk und seine Reaktion im Gebet
Nein, offensichtlich hat Daniel eine große Furcht. Seine Furcht ist, dass sein eigenes Volk auf diese neue Chance, auf die Heimkehr ins eigene Land, geistlich nicht richtig vorbereitet ist. Das ist seine Sorge.
Vielleicht hatte Daniel erfahren, dass der Erlass des Kyros, der den Juden die Rückkehr erlaubt, kurz bevorsteht. Wir wissen es nicht genau. Vielleicht hat Daniel aber auch noch nichts von diesem Kyros-Erlass gehört und fragte sich, ob er überhaupt kommen wird. Wird Gott die Siebzigjahresverheißung wirklich einlösen? Oder war das vielleicht eine konditionale Verheißung, also eine Verheißung, die an eine Bedingung geknüpft war? Haben sie diese Bedingung nicht erfüllt? Haben sie sie verschlafen oder durch ihre Schuld verwirkt? Wird die Verheißung dann überhaupt eintreffen angesichts des Zustands seines Volkes?
Das beschäftigt ihn sehr. In dieser angespannten Situation bleibt Daniel nur ein einziger Ausweg: Er flüchtet zu Gott, er flüchtet ins Gebet. Und das ist bereits der nächste praktische Hinweis, den wir von Daniel lernen können. Wir haben gesehen, dass er regelmäßig betet. Hier sehen wir außerdem, dass Bibellesen und Gebet bei ihm eng miteinander verbunden sind.
Vers 2 berichtet über Daniels Bibellesen. Dieses Lesen treibt ihn ins Gebet. Er achtet auf die Bücher und wendet sich dann zu Gott, um ihn anzuflehen. In dem Gebet, das jetzt folgt, kann es für Daniel nur einen Schwerpunkt geben: Sündenbekenntnis, Sündenbekenntnis.
Warum, fragt man sich, sollten wir nicht eher Fürbitte erwarten? Von Daniel erfahren wir doch gar nicht, dass er sich in irgendeiner Weise schuldig gemacht hätte. Sollte man nicht eher erwarten, dass er Fürbitte tut: „Herr, erbarme dich über dieses sündige Volk!“ Aber für Daniel gibt es offenbar nur Sündenbekenntnis, Sack und Asche.
Erster Teil des Gebets: Das Bekenntnis der Schuld
Und wenn wir jetzt für den ersten Teil seines Gebets eine Überschrift suchen müssten, dann könnte diese nur lauten: Wir bekennen unsere Schuld.
Wenn Sie also den ersten Punkt suchen, die Überschrift für die Verse 4 bis 8, dann schreiben Sie einfach darüber: Wir bekennen unsere Schuld.
Und jetzt hören Sie mal, wie das klingt: „Ich betete aber, Vers 4, zu dem Herrn, meinem Gott.“ Übrigens ist es das erste Mal, dass der Name Jachwe dort steht – der höchstpersönliche Gottesname. Es ist das erste Mal, dass dieser heilige Gottesname im Buch Daniel auftaucht. Hier, in diesem dringlichen Gebet, wird es jetzt ganz persönlich beim Bekenntnis der Schuld.
Und ich bekannte und sprach: „Ach Herr, du großer und heiliger Gott, der du Bunt und Gnade bewahrst denen, die dich lieben und deine Gebote halten. Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen, sind abtrünnig geworden, wir sind von deinen Geboten und Rechten abgewichen, wir gehorchten nicht deinen Knechten, den Propheten.“
Hier steht allein in der deutschen Übersetzung sechsmal das Wort „wir“. „Wir haben gesündigt.“ Und wissen Sie, das ist für biblische Bußgebete nicht unbedingt typisch. Normalerweise steht dort die erste Person Singular: „Ich habe gesündigt.“ Denken Sie etwa an den verlorenen Sohn in Lukas 15: „Ich habe gesündigt, Vater, gegen den Himmel und gegen dich.“ Oder denken Sie an das, was Petrus dem Herrn Jesus sagt: „Herr, gehe von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch.“
Für jeden Menschen, der Christ wird, ist es unumgänglich, dass er irgendwann in seinem Leben einmal sagt: „Ich habe gesündigt.“ Das ist so wie mit diesem Drehkreuz in einigen Kaufhäusern: Wenn Sie da reinwollen, können Sie durch dieses Drehkreuz immer nur einzeln durchgehen. Sie können nebenher noch Ihren Einkaufswagen reinschieben, aber durch das Drehkreuz kommt immer nur eine Person zur gleichen Zeit. So ist das mit dem Christwerden. Sie können nicht mit einer ganzen Familie oder einer ganzen Gruppe da durchgehen. Sie müssen vor dem lebendigen Herrn sagen: „Ich habe gesündigt.“ Das ist der biblische Normalfall.
Auch Daniel hat so gebetet. Im Vers 20 – das steht jetzt nicht mehr auf unserem Zettel, aber das ist der nächste Vers – da wird er auch sagen, als ich so betete und meine und meines Volkes Sünde bekannte. Also auch Daniel kann sagen: „meine Sünde.“
Aber wenn Daniel in diesen Versen „wir“ sagt, „wir haben gesündigt“, und das sechsmal, dann versteckt er sich nicht hinter diesem „Wir“. Man muss sagen, er zieht sich hier einen Schuh an, den ihm der normale Leser eigentlich nicht anziehen würde.
Bedenken Sie: Bisher – ich habe das extra deswegen gesagt – haben wir Daniel nur als positives Vorbild kennengelernt, obwohl er ein sündiger, sterblicher Mensch war. Aber wir haben ihn bisher nur als positives Vorbild kennengelernt. Und was macht Daniel jetzt hier? Und das ist so wichtig: Er stellt sich mit darunter unter die offensichtliche Schuld seines Volkes.
Jetzt fragen wir: Wie kommt er dazu, „wir haben gesündigt“ zu sagen? Das ist nicht einfach falsche Bescheidenheit, sondern ein priesterlicher Dienst, den er hier tut. Er stellt sich wie ein Priester für sein Volk in den Riss und sagt: Herr, wir kommen zu dir im Angewiesensein auf deine Vergebung.
Und es ist noch mehr. Schauen Sie mal: Wenn Daniel sein Leben vor dem heiligen Gott betrachtet, im Licht Gottes, dann ist ihm klar: Ich bin nicht besser als die anderen Israeliten auch. Ich bin vielleicht nach menschlichem Ermessen ein bisschen frommer, ein bisschen treuer und ein bisschen konsequenter, aber gemessen an dem heiligen, herrlichen, ewigen, wahren Gott bin ich nicht besser als die anderen auch.
Das ist so wichtig. Daniel ist von der eigenen Sündhaftigkeit überwältigt, weil er Gott kennt. Und schauen Sie, das ist der große Unterschied zwischen allen priesterlichen Gebeten von Menschen und etwa dem hohenpriesterlichen Gebet Jesu.
In Johannes 17 hat sich Jesus ja auch ganz auf unsere Seite gestellt. Er hat sich ganz unserer Sünden angenommen. Aber Jesus konnte niemals sagen: „Wir haben gesündigt.“ Das kann er selbst in seinem hohenpriesterlichen Gebet nicht sagen, weil der Herr Jesus ohne jede Sünde war, wie die Schrift immer wieder betont. Er hat unsere Sünde getragen, aber er selbst war ohne Sünde.
Daniel ist ein Mensch, wenn auch ein vorbildlicher Mensch. Und Daniel weiß genau, zu wem er betet. Er sagt in Vers 4: „Du großer und heiliger Gott, ach Herr, du großer und heiliger Gott.“ Und er sagt in Vers 7: „Du bist gerecht.“ Verstehen Sie, Daniel weiß, wen er vor sich hat.
Und in diesem Licht des heiligen, verzehrenden, ewigen Gottes fällt es Daniel gar nicht schwer, sich in dieses „Wir“ hineinzustellen.
Liebe Gemeinde, lasst uns das festhalten: Wenn es darum geht, unsere Sünden zu erkennen, dürfen wir uns niemals mit anderen Menschen vergleichen. Stattdessen müssen wir unser Leben dem Licht Gottes aussetzen, dem Anspruch Gottes. Darum geht es.
Dann wird es uns nicht mehr schwerfallen, uns in dieses „Wir“ hineinzustellen. Und dann werden wir eine genauso erschreckende Bilanz aufmachen wie Daniel in Vers 5.
Schauen Sie mal, was für Begriffe er da gebraucht: „Wir haben gesündigt, wir haben Unrecht getan, wir sind gottlos geworden, wir sind abtrünnig geworden, wir sind von deinen Geboten abgewichen, wir gehorchten nicht.“ Sechs verschiedene Begriffe für Sünde.
Warum diese Vollständigkeit? Weil er deutlich machen will: Es steht schlimm um uns. Wir haben total gesündigt.
Und schauen Sie, in diesem schonungslosen Bekenntnis bringt Daniel – und das ist etwas ganz Wichtiges – das innerste Wesen der Sünde auf den Punkt. Er bringt auf den Punkt, was eigentlich das Schlimme an der Sünde ist: Sünde richtet sich gegen Gott. Das ist das Problem.
Schauen Sie: Vordergründig steht in Vers 6: „Wir gehorchten nicht deinen Knechten und Propheten.“ Aber wie geht es dann weiter? „Die in deinem Namen redeten.“ Das heißt auf Deutsch: „Wir gehorchten dir nicht.“
Und dann, Vers 5: „Ja, genau so, wir sind von deinen Geboten und Rechten abgewichen.“ Und in Vers 7 am Ende redet er von der Missetat, die wir an dir begangen haben. Das ist das Problem.
Das hat nicht nur Daniel verstanden, sondern David genauso, nach seiner menschlich gesprochen schlimmsten Sünde – nach dem Ehebruch mit Bathseba und dem darauffolgenden Mord an ihrem Mann.
Da sagt David in Psalm 51, Vers 6 zu Gott: „An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan.“ Damit hat er nicht bestritten, dass er auch diesem Menschen Unrecht getan hat – Bathseba mit dem Ehebruch, ihrem Mann mit dem Mord. Aber mit diesem allein will er betonen: Der eigentliche, der am meisten von meiner Sünde angegriffen worden ist, bist du, Gott. An dir allein habe ich gesündigt, an keinem sonst.
Das ist der Grund, warum wir jede Sünde in unserem eigenen Leben und jede Sünde im Leben unserer Gemeinde so ernst nehmen müssen. Weil sie sich immer gegen den Herrn selbst richtet.
Das ist auch der allererste und wichtigste Grund für jede Gemeindezucht. Es geht nicht darum, irgendwie eine bürgerliche Ordnung oder eine vermeintlich heile Welt in der Gemeinde herstellen zu wollen. Sondern es geht darum: Was sind wir unserem Herrn schuldig, gegen den sich jede Schuld und Sünde richtet – die vermeintlich große genauso wie die vermeintlich kleine.
Und wer das annähernd begreift, dass Sünde sich gegen Gott richtet, dass Sünde so schlimm ist, dem bleibt nur eins: Scham.
Und das steht hier auch, in Vers 7 und in Vers 8: Da heißt es, „Wir aber müssen uns alle heute schämen.“ Die von Juda und von Jerusalem, vom ganzen Israel, die, die nahe sind, die zerstreut sind in allen Ländern, wohin du sie verstoßen hast, „wir müssen uns alle schämen.“
Und dann in Vers 8 nochmals: „Ja, Herr, wir!“ Und dann geht’s los: Der Fisch stinkt vom Kopf – unsere Könige, unsere Fürsten und unsere Väter, also all die, die vorangegangen sind, all die, die eine besondere Autorität und ein besonderes Gewicht hatten. Keiner ist ausgenommen. Wir müssen uns alle schämen, dass wir uns an dir versündigt haben.
Das ist das Erste, was wir hier in Daniels Bußgebet lernen: Wie schlimm die Sünde ist, wie sehr jeder selbst betroffen ist und wie wichtig es ist in der Gemeinde Jesu, dass wir angesichts von Nöten und Missständen nicht einfach mit dem Finger auf andere zeigen und uns damit begnügen, das schlimm zu finden.
Natürlich müssen wir auch wie Daniel bekennen: Wir bekennen unsere Schuld. Wir stellen uns da alle mit hinein.
Natürlich, das ist auch klar: Wir müssen auf Missstände hinweisen, etwa wenn andere Christen falsche Lehren verbreiten, wenn andere Christen offensichtlich falsche Entscheidungen treffen und falsche Dinge fördern. Müssen wir das sagen? Ja.
Wenn andere Christen Dinge tun, mit denen sie die Gemeinde belasten und ihre Mitchristen beschweren, dann müssen wir das sagen. Ein Freund von mir, der im Ausland als Pastor tätig ist, hat zum Beispiel auch berichtet, dass manche Eltern in seiner Gemeinde, die seit längerem zur Gemeinde gehören, einfach zuschauen, wie ihre Kinder unverheiratet mit ihren sogenannten Partnern zusammenleben. Da müssen wir das sagen, und er benennt das auch in der Predigt, und er spricht mit den Leuten.
Wir müssen es sagen, wo Dinge falsch liegen. Aber auch dann ist immer ganz wichtig: Wie sieht unsere innere Haltung eigentlich dabei aus? Fühlen wir uns als etwas Besseres, oder wissen wir, dass wir genauso auf Vergebung angewiesen sind? Wissen wir das?
„Ich bin genauso auf Vergebung angewiesen – ich, ich und meine Sünden, die sich wie Körnlein finden des Sandes an dem Meer“, schreibt Paul Gerhard.
Und nur so, wenn wir in dieser richtigen Haltung vor Gott stehen, dann können wir auch die Dinge vor ihm bringen und sagen: Herr, bring du den und den und die und die zu Recht, die auf falschem Wege gehen, und gib uns Weisheit als Gemeinde, richtig an ihm zu handeln. Aber bitte erbarme dich über uns alle. Wir alle haben es nötig, wir alle haben gesündigt, wir alle können so schnell abirren.
Das ist der erste Teil von Daniels Bußgebet: Wir bekennen unsere Schuld – sechsmal „wir“.
Zweiter Teil des Gebets: Anerkennung von Gottes gerechtem Urteil
Nun, ein misstrauischer Betrachter könnte sagen: Na ja, so ein Schuldbekenntnis ist schnell mal gesagt. Das kann auch ein Lippenbekenntnis sein.
Es gibt jedoch ein gutes Testverfahren, um zu prüfen, ob es sich tatsächlich um ein Lippenbekenntnis handelt oder nicht. Denn wenn es nur ein Lippenbekenntnis ist, dann geht derjenige, der seine Schuld bekannt hat, möglichst schnell zur Tagesordnung über. Er fordert Normalität, sagt: „Jetzt habe ich ja meine Schuld bekannt, nun muss es aber auch gut sein.“
Sehen Sie aber, wie es bei Daniel weitergeht! Dem Bekenntnis der Sünde folgt eine Anerkenntnis der verdienten Strafe. Das ist unser zweiter Punkt: Wir bekennen unsere Schuld, zweitens anerkennen wir Gottes gerechtes Urteil.
Diesen zweiten Punkt können Sie über die Verse 9 bis 14 schreiben: Zweitens anerkennen wir Gottes gerechtes Urteil.
Schauen Sie jetzt in diesen faszinierenden nächsten Abschnitt. Da wird vieles aus dem ersten Teil wiederholt, aber es gibt auch einiges ganz Neues.
Vers 9: „Bei dir aber, Herr, unser Gott, ist Barmherzigkeit und Vergebung, denn wir sind abtrünnig geworden und haben nicht auf die Stimme des Herrn, unseres Gottes, gehört. Wir wandelten nicht in seinem Gesetz, das er uns vorlegte durch seine Knechte, die Propheten. Ganz Israel übertrat dein Gesetz und wich ab, gehorchte deiner Stimme nicht.
Trifft uns auch der Fluch, den du geschworen hast und der geschrieben steht im Gesetz des Mose, unseres Gottes, weil wir an ihm gesündigt haben.
Und Gott hat seine Worte gehalten, wie er geredet hat gegen uns und unsere Richter, die uns richten sollen, dass er ein so großes Unglück über uns hat kommen lassen. Denn unter dem ganzen Himmel ist derartiges nicht geschehen wie in Jerusalem, wie geschrieben steht im Gesetz des Mose.
So ist all dies große Unglück über uns gekommen, aber wir beteten nicht einmal zu unserem Herrn, unserem Gott, sodass wir uns von unseren Sünden bekehrt und auf deine Wahrheit geachtet hätten. Darum ist der Herr auch bedacht gewesen auf dieses Unglück und hat es über uns kommen lassen, denn der Herr, unser Gott, ist gerecht in allen seinen Werken, die er tut, aber wir gehorchten seiner Stimme nicht.“
Was für ein Abschnitt! Das ist das Neue.
Schauen Sie: Dieser knallharte Hinweis auf das Göttliche, auf die zwingende Logik dieser Strafe, die jetzt kommen muss.
In Vers 11 haben Sie das zweimal: „Darum trifft uns der Fluch, weil wir gesündigt haben.“
In Vers 12 haben Sie das zweimal: „Gott hat seine Worte gehalten, die er geredet hat.“
Denn unter dem ganzen Himmel ist nichts Derartiges geschehen.
In Vers 14 haben Sie es zweimal: „Darum bringt der Herr dieses Unglück, denn er ist gerecht.“
Das ist die ganz knallharte göttliche Logik: Unsere Verurteilung erfolgt zu Recht, sagt Daniel. Unsere Strafe hat absolut nachvollziehbare Gründe.
Das kommt nicht von ungefähr, dass wir so dastehen, wie wir hier stehen. Das ist kein unerklärliches Schicksal, das uns ereilt hat. Wenn Gott uns in dieser Weise zur Rechenschaft zieht, dann ist das absolut gerecht.
Wir anerkennen Gottes gerechtes Urteil.
Und das ist der ultimative Test, ob ein Mensch seine Sünde wirklich einsieht und sein Sündenbekenntnis ernst meint: dass er Gott Recht gibt, dass er die Gerechtigkeit von Gottes Urteil anerkennt.
Das ist der Test: Wir anerkennen Gottes gerechtes Urteil.
Genau das unterscheidet letztlich den Christen vom Nichtchristen.
Der Nichtchrist sucht die Schuld immer bei Gott. Er findet immer einen Grund, die Schuld bei Gott oder bei den Umständen zu suchen.
Der Nichtchrist kann Gott nicht Recht geben, sondern will gegen Gott Recht behalten.
Es gibt ein interessantes Gedicht von Eugen Roth, dem Schriftsteller, das neulich bei der SMD mal jemand vorgelesen hat. Ich möchte es gerne wiederholen.
Eugen Roth beschreibt, was passiert, wenn ein Nichtchrist vom Leid ereilt wird:
„Ein Mensch, solange es gut ihm geht, denkt selten ans Gebet, lebt in den Tag hinein sein Leben, denkt nicht an den, der es ihm gegeben, und schiebt selbst noch den schuldigen Dank, wie es Frommsein auf die lange Bank.
Doch wenn ein Unglück ihn ereilt, dann wird der Himmel angepeilt:
‚Mein Gott, wenn es dich geben sollte,
Ich längst schon zu dir kommen wollte,
Wie kannst du solches an mir tun?
So komm herbei und hilf mir nun!‘
Wird der Anruf nicht gehört, dem Notstandsglauben aberschwört,
‚Wie kann ich denn Vertrauen fassen
Zu dem, der mich im Stich gelassen?
Ob der das Beten je begreift,
Der Gott wie einem Dienstmann pfeift.‘“
Das sagt der Nichtchrist, der sucht die Schuld immer bei Gott. Er pfeift Gott wie einem Dienstmann und sagt: „Wenn du nicht das tust, was ich erwarte, dann kann ich dir auch nicht vertrauen.“
Schauen Sie: Auch der Christ kann manches Leid, das ihm widerfährt, nicht verstehen.
Auch der Christ kann in eine Situation kommen, in der er sich von Gott verlassen fühlt.
Auch der Christ kann in eine Lage geraten, in der er unverschuldet eine schwere Not erleidet und nicht mehr weiterweiß und sagt: „Wie kann es gehen, Herr?“
Aber der Christ weiß im Letzten: Gott macht keine Fehler.
Ich habe nicht das Recht und nicht den geringsten Grund, Gottes Treue in Frage zu stellen.
Und wenn ein Christ sündigt und von dieser Sünde überführt wird, dann wird ein Christ Gottes Urteil am Ende Recht geben und sagen: „Du bist gerecht.“
Und wenn es nur nach deiner Gerechtigkeit, Gott, ginge, dann bliebe mir nur eine Option offen, nur eine Möglichkeit: Strafe. Dann könnte mich nur die Strafe treffen.
Wir wissen als Christen, es gibt einen objektiven Maßstab für unsere Schuld.
Es gibt einen objektiven Maßstab, mit dem Gott uns von unserer Schuld überführt und mit dem Gott seine Gerechtigkeit und die Gerechtigkeit seiner Strafe beweist – und das ist Gottes Gesetz.
Davon spricht Daniel hier in diesen Versen mindestens viermal:
In Vers 10 nennt er das Gesetz, das uns vorgelegt wurde durch die Knechte, in Vers 11 „dein Gesetz“, dann nennt er es noch einmal „das steht im Gesetz des Mose“ und in Vers 13 ist erneut vom Gesetz des Mose die Rede.
Also es gibt ein Gesetz.
Da weiß Gott, dass er im Recht ist und ich im Unrecht.
Paulus hat deswegen gesagt: „Durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde.“
Da weiß Gott, dass er im Recht ist.
Das weiß auch Daniel.
Deshalb redet er hier viermal vom Gesetz.
Wahrscheinlich dachte er dabei an Stellen wie 3. Mose 26 oder 5. Mose 28, wo Gott immer sagt: „Ich lege euch den Fluch vor und den Segen. Wenn ihr gehorsam seid, Segen, wenn ihr abweicht, Fluch.“
Ganz klar, der Maßstab ist völlig klar benannt.
Wenn man jetzt die Wucht dieses logischen Beweises spürt in diesen Versen 9 bis 14, dieses logischen Beweises, mit dem Gott uns verurteilt – zu Recht –, dann wird auch klar, warum der erste Satz mit diesem Abschnitt beginnt: Vers 9 am Anfang:
„Bei dir ist Barmherzigkeit und Vergebung.“
Nur unter dieser Voraussetzung von Vers 9a lassen sich die Verse 9b bis 14 überhaupt ertragen.
„Bei dir ist Barmherzigkeit und Vergebung.“
Wer das begreift, wie er vor Gott dasteht, der bittet Gott nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern nur noch um Barmherzigkeit.
Verstehen Sie: Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, dann bringt Gott diesen Menschen irgendwie dahin, dass er die Wucht seiner eigenen Schuld versteht und erkennt.
Wenn er das tut, kann er nicht mehr nach Gerechtigkeit schreien, sondern nur noch nach Barmherzigkeit.
Wilhelm Busch hat das mal an einem tragischen Beispiel berichtet von einem Mann.
Wie er dann in seinem christlichen Männerkreis traf, der früher Bierkutscher gewesen war.
Als Busch ihn fragte: „Wie bist du überhaupt Bergmann geworden? Du warst doch früher Bierkutscher.“ Da erzählte er die Geschichte, dass er durch seinen Beruf immer stärker in den Alkohol hineingeschlittert war und sich immer weniger um seine Frau und seine Tochter kümmerte.
Dann kam seine kleine Tochter eines Tages, als er wieder halb betrunken im Gasthaus saß, und sagte: „Papa, komm doch nach Hause!“
Er schämte sich vielleicht vor den Kumpels dort, nahm sie und verprügelte sie, warf sie quasi aus dem Gasthaus hinaus.
Er schämte sich so sehr hinterher, dass er in den nächsten Tagen nur trank, um irgendwie dieser schrecklichen Erfahrung entkommen zu können.
Einige Tage später, als er halbwegs wieder nüchtern war und nach Hause kam, war seine Tochter plötzlich erkrankt.
Nicht wegen dieses Zwischenfalls, aber sie wurde plötzlich schwer krank.
Ihm tat das natürlich besonders leid. Er wollte zu ihr gehen und sie trösten.
Die Tochter hatte plötzlich Angst vor ihm und sagte immer nur: „Geh weg, Papa!“
Kein Versuch, sie zu beruhigen, gelang.
Er konnte nur in der Ferne stehen bleiben und zusehen, wie seine Frau die Tochter durch die letzten Stunden ihres Lebens begleitete, ihr zu trinken gab und sie tröstete.
Immer wenn er näher kommen wollte, sagte die Tochter: „Geh weg, Papa!“
Er sagt dann hinterher: „In diesen Stunden stand mein verlorenes Leben in seiner ganzen grauenvollen Wirklichkeit vor mir.
In diesen zwei Stunden erntete ich, was ich gesät hatte.
In diesen zwei Stunden zerbrach mir der Boden unter den Füßen.
In diesen zwei Stunden erlebte ich die Hölle.
In diesen zwei Stunden redete Gott mit mir.“
Dann starb seine Tochter.
Er verzweifelte und griff nach dem Strohhalm.
Er fing langsam an, mit seiner Frau wieder zum Gottesdienst zu gehen.
Irgendwann drang es zu ihm durch, dieses Angebot Gottes: Du darfst umkehren, du darfst deine Schuld bekennen.
Er kehrte um und wurde ein Jünger Jesu.
Sehen Sie, das ist sehr drastisch.
Gott sei es gedankt, muss nicht jeder es auf diese harte Tour lernen, dass er ein Sünder ist.
Aber im Prinzip gilt das für jeden von uns:
Wir stehen vor Gott, begreifen, wer Gott ist, und merken, dass wir nicht mehr nach Gerechtigkeit schreien können, sondern nur noch um Erbarmen, um Barmherzigkeit.
Das hat auch Daniel begriffen.
Darum mündet sein Bußgebet in diese letzten bewegenden Verse 15 bis 19.
Wir können sie jetzt nicht mehr vollständig auslegen, aber ich bitte Sie, noch diese paar Minuten mitzumachen, um die Linie zu erkennen, die da durchläuft.
Also: Teil eins des Bußgebets – wir bekennen unsere Schuld, die Verse 4 bis 8.
Teil zwei – wir anerkennen Gottes gerechtes Urteil, die Verse 9 bis 14.
Und jetzt Teil drei des Bußgebets, die Verse 15 bis 19.
Dritter Teil des Gebets: Die Bitte um Barmherzigkeit als einzigen Ausweg
Wir kennen nur einen Ausweg, und das ist das Dritte. Dieser Ausweg wurde bereits in Vers 9a angedeutet. Nun wird er in den letzten Versen wirklich nachhaltig bejubelt, besungen, beschworen und erfleht. Sein Höhepunkt findet sich in Vers 18. Auf diesen entscheidenden Punkt wollen wir uns jetzt konzentrieren.
Sehen Sie bitte noch einmal genau hin: Daniel sagt hier, neige dein Ohr, mein Gott, und höre. Tu deine Augen auf und sieh an unsere Trümmer und die Stadt, die nach deinem Namen genannt ist. Denn wir legen unser Gebet vor dich und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.
Wir setzen nicht auf unsere Gerechtigkeit, Gott, und bitten dich schon gar nicht, den Maßstab deiner Gerechtigkeit anzulegen. Denn wenn das geschehe, hätten wir keine Chance. Wir bitten dich einzig und allein um deine große Barmherzigkeit. Nicht Gerechtigkeit, Herr, sondern Barmherzigkeit brauchen wir.
Was Daniel hier unter der Leitung des Geistes Gottes betet, ist, wenn Sie so wollen, die Vorwegnahme von Römer 3. Es ist die Vorwegnahme der Frage, die Paulus später im Namen Gottes beantwortete: Wie können wir erbärmliche Sünder vor einem heiligen Gott bestehen?
Paulus schreibt: Es gibt nur einen Ausweg. Es gibt nur einen Ausweg, nämlich die Beugung vor dem Sohn Gottes im Glauben an den einen Retter, der für unsere Schuld bezahlt hat. Wir bitten, Herr, wir berufen uns nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern allein auf deine große Barmherzigkeit.
Wenn wir das ernst nehmen, dann begreifen wir die Zentnerlasten, die Mühlsteine, die einem Paulus vom Herzen fielen oder einer Luther-Seele abfielen, als sie zu dieser großen Erkenntnis durchbrachen: Gott entscheidet über mein Leben nicht auf der Basis meiner Gerechtigkeit, sondern er hat einen Ausweg geöffnet.
Dieser Ausweg hat einen Namen, und dieser Name ist Jesus. Denn er hat die Strafe für mich getragen und alle Gerechtigkeit erfüllt. Darum kann ein heiliger Gott heilig bleiben und mir trotzdem barmherzig sein. Das ist der Ausweg.
Schon Daniel hat von Jesus gesprochen. Er kannte den Namen Jesus noch nicht, aber er redete vom Menschensohn. Erinnern Sie sich an Daniel 7,13? Dort steht, dass der Menschensohn kommen wird. Er ist der endgültige Richter und zugleich der endgültige Retter.
Natürlich wusste Daniel viele Einzelheiten über Jesus noch nicht, aber er hatte begriffen: Der heilige Gott will gnädigerweise barmherzig sein. Deshalb spricht Daniel in Vers 15 auch noch einmal davon, dass Gott sein Volk aus Ägypten befreit hat. Er sagt gewissermaßen: Herr, mach das wieder. Befreie uns erneut, befreie uns aus der Sklaverei unserer Schuld.
Es gibt einen Ausweg – deinen Sohn. So hat Daniel sich dem erbarmenden Gott der Bibel, den er zugleich als den heiligen Gott kannte, in die Arme geworfen.
Schlussgedanken und Ermutigung zum persönlichen Bekenntnis
Wenn Sie heute zum ersten Mal erkannt haben, wie ernst Gott die Sünde nimmt, wenn Sie heute vielleicht zum ersten Mal wirklich im Innersten begriffen haben, wie ernst Gott Ihre Sünde nimmt, Ihre persönliche Sünde, dann kann ich nur sagen: Flüchten Sie zu dem Ausweg aus Vers 18. Gehen Sie zu Jesus Christus und sagen Sie: Herr, ich komme zu Dir mit meinem Schuldgebiet. Ich vertraue nicht auf meine eigene Gerechtigkeit, sondern allein auf Deine große Barmherzigkeit.
Machen Sie bitte aus dem „Wir“ wieder ein „Ich“. Sagen Sie: Herr, ich bekenne meine Schuld. Herr, ich anerkenne Dein gerechtes Urteil. Ich bin sündig, und Du hast Recht mit Deinem Verurteilungsspruch. Ich gebe Dir Recht. Dann sagen Sie aber auch: Ich kenne nur einen Ausweg, und das ist der Herr Jesus Christus, der meine Schuld getragen hat.
Nehmen Sie sich auch die Worte aus Vers 19 zu eigen, die danach kommen: „Ach Herr, höre, ach Herr, sei gnädig, ach Herr, merke auf, tu es und versäume es nicht.“
Liebe Gemeinde, bevor wir das Buch Daniel bis zum September verlassen, wo wir dann weitermachen werden, bitte ich Sie, noch ein letztes Mal innezuhalten. Lassen Sie uns versuchen, einfach festzuhalten, was Gott uns durch diesen starken, lebendigen Text mit auf den Weg geben will.
Ein 85-jähriger Mann hat seine Bibel gelesen und die aktuelle politische Situation seines Volkes damit verglichen. Er sah: Wir sind fast 70 Jahre unter babylonischer Knute gewesen. Nun war diese Macht gebrochen worden. Die genaue Ankündigung von siebzig Jahren bei Jeremia hatte sich als realistisch erwiesen. Jetzt konnte es wieder aufwärts gehen.
Aber Daniel weiß: Mein Volk ist nicht bereit. Wir sind hilflos verstrickt in unsere Schuld. Darum nimmt er seinen ganzen Glaubensmut zusammen, trotz seiner fünfundachtzig Jahre, und stellt sich wie ein Priester für sein Volk vor Gott. Er hofft, dass andere ihm folgen und einstimmen in dieses Bekenntnis: Wir haben gesündigt.
Damit gibt Daniel uns als christlicher Gemeinde, als neutestamentlichem Gottesvolk, ein wunderbares Vorbild. Ein Beispiel, wie wir mit unserer Schuld umgehen sollen und müssen. Hier spricht uns Daniel ein Bußgebet vor, in das wir gewissermaßen einstimmen können. Wenn wir erschrecken über all die Dinge, die aus unserem Herzen noch aufsteigen, wenn wir erschrecken über all die Dinge, die uns von anderen Christen begegnen, dann soll dies gelten: Wir bekennen unsere Schuld, wir anerkennen Gottes gerechtes Urteil, und wir kennen nur einen einzigen Ausweg – Jesus Christus.
Das ist auch der Weg, auf dem wir heute Morgen wieder zum Abendmahl gehen werden. Denn hier, am Tisch des Herrn, kommen diese beiden Linien zusammen. Hier steht jeder von uns mit seiner eigenen Sünde, mit seiner eigenen Sünde, die gegen Gott gerichtet ist. Wer sie bekennt und zugibt, dem gilt die Zusage: Christi Leib für dich gegeben, Christi Blut für dich vergossen.
Doch am Tisch des Herrn stehen wir nicht nur als einzelne, individuelle Sünder. Dort stehen wir auch als Gemeinschaft der bekennenden Sünder. Deshalb ist das Abendmahl auch der Ort der Gemeindezucht. Dort stehen wir als Gemeinschaft der bekennenden Sünder, als Gemeinschaft derer, die Gottes Urteil Recht geben.
Wenn wir dann vorne stehen, zeigen wir nicht mehr mit dem Finger aufeinander, was du getan hast und was du wieder gemacht hast. Wir zeigen nur noch auf Christus. Im Licht seiner Heiligkeit sind wir alle Sünder. Wir bekennen alle unsere Schuld und anerkennen sein gerechtes Urteil. Aber im Licht seines Kreuzes erkennen wir den wunderbaren Ausweg, den Gott uns aus unserer Schuld und Not geöffnet hat.
Dann sagen wir noch einmal voller Innbrunst: Wir vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf Deine große Barmherzigkeit!
Und dann hören wir ganz neu, ganz beglückt und wie zum ersten Mal die Verheißung aus Psalm 103, wo es heißt:
Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.
Er wird nicht für immer hadern noch ewig zornig bleiben.
Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden und vergilt uns nicht nach unserer Missetat.
Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten.
Sofern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsere Übertretungen von uns sein.
Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.
Wohl dem, der sich mit seiner ganzen Sünde und ohne Beschönigungen und Vorbehalte dem rettenden Gott in die Arme wirft und sagt: Herr, du hast Recht mit deinem Verdammungsurteil, und du bist mein Erlöser! Amen!