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26.03.1986Johannes 13,1-20
Die Doppelfrage am Gründonnerstag lautet: So groß ist meine Sünde? So groß ist seine Vergebung? Konrad Eißler lädt zum Abendmahl ein, um den Liebesdienst von Jesus zu erleben.

Eine verzweifelte Frage war es, mit der Wolfgang Borchert sein Schauspiel "Draußen vor der Tür" ausklingen lässt: "Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt? Warum redet er denn nicht? Gebt doch Antwort. Warum schweigt ihr denn? Warum? Gibt denn keiner Antwort? Gibt denn keiner Antwort? Gibt denn keiner, keiner Antwort?" Mit dieser, verzweifelten Frage auf den Lippen ist Borchert gestorben. Anscheinend konnte ihm niemand klarmachen, dass Gott kein stummer Gott ist. Er hat Antwort gegeben in seinem Sohn Jesu Christus. Und er gibt Antwort in dem Wort Gottes, das von Jesus Christus bezeugt. So ist es heute Abend zwar nicht die verzweifelte, aber die staunende Doppelfrage, die beantwortet wird: So groß ist meine Sünde? So groß ist seine Vergebung?

So groß ist meine Sünde?, fragt Petrus überrascht. Die zwölf Jünger waren mit ihrem Herrn in einem Haus zum Abendessen angekommen. Alle hatten schon am Tisch Platz genommen. Keiner hatte die Sitte der Fußwaschung beachtet. Vielleicht waren sie nur wenige Meter über die Straße gegangen. Vielleicht war kein Diener da. Vielleicht hatten sie das Waschen schlicht vergessen. Jedenfalls stand Jesus auf, band sich einen Schurz um, goss Wasser in die Schüsseln und begann seinen Jüngern die Füße zu waschen. Petrus fährt auf, wie von der Tarantel gestochen: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Das ist doch wirklich nicht nötig. Herr, solltest du mir die Füße reinigen? Das kann ich doch wirklich selber besorgen. Herr, solltest du mir die Füße sauber machen? So schmutzig bin ich doch wirklich nicht! Es gehört zum Wesen der großen Verunreinigung unseres Lebens, nämlich der Sünde, dass wir sie in ihrer Größe überhaupt nicht erkennen. Herr, du solltest meine Sünde wegwaschen? Das ist doch wirklich nicht nötig. Herr, solltest du mich von Sünde reinigen? Das kann ich doch wirklich selber besorgen. Herr, solltest du mir vergeben? So schmutzig bin ich doch wirklich nicht.

Es gibt eine nachdenkliche Geschichte des Schweizers Friedrich Dürrenmatt: Herkules und der Stall des Augias. Sie lehnt sich lose an die antike Sage an, die davon erzählt, wie Herkules die Stallungen des Königs Augias vom Mist befreit habe, in dem er kurzerhand einen Fluss durch die Gebäude geleitet habe. Aber wieder versinken die Stallungen und Wohnungen und Straßen des Königs im Mist. Jetzt werden Ausschüsse gebildet und ins Leben gerufen, die Grundsatzfragen vorklären sollen: Woher der Mist? Wohin mit dem Mist? Wesen und Sinn des Mistes? Und während man debattiert, wächst die Verschmutzung und lässt die ganze Stadt in Schmutz und Dreck versinken. Schließlich dankt der König ab mit der Erkenntnis: Wir sind gescheitert, weil die Unreinheit in unseren Herzen liegt.

So sieht Jesus unser Leben. Wir ersticken im Schmutz der Sünde. Wir können debattieren: Woher das Elend? Wohin mit dem Elend? Wesen und Sinn des Elends? Aber wir können uns nicht mehr selber helfen, denn unsere Herzen, unsere Hände, unser ganzes Wesen sind schmutzig. "Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leib dieses Todes?" Angesichts dieses Herrn erkennt Petrus: So groß ist meine Sünde.

Und das andere:

So groß ist seine Vergebung?, fragt Petrus staunend. Du solltest mir die Füße waschen? Zwei Wörtlein drücken dieses Staunen aus: Du - mir? Du, der ewige Gott und Herr, du, der große König und Herrscher, du, der gewaltige Richter und Entscheider, du solltest mir die Füße waschen, mir, dem kleinen Fischer und Arbeiter, mir, dem wackligen Apostel und Felsenmann, mir, dem schmutzigen Großhans und Großmaul? Mir solltest du die Füße waschen? Fußwaschung war ja Sklavendienst. Indem Jesus niederkniet und seinen Jüngern die Füße reinigt, fasst er den Sinn seines Leidens und Sterbens in dieser Handlung zusammen: "Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er dienen und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele." So groß ist seine Liebe, dass er den Sklavendienst der Vergebung an allen tut. An Matthäus, dem Schieber aus dem Zollhaus, an Jakobus, dem Ehrgeizigen aus dem Jüngerkreis, an Petrus, dem Feigling mit der vorschnellen Zunge, an Judas, dem Verräter beim Abendmahl, und an uns, den Ungläubigen und Kleingläubigen, den Gleichgültigen und Lieblosen, den Zweiflern und Verzweifelten, an uns allen tut Jesus den Liebesdienst der Vergebung. Im Sklavendienst bezeugt er den Sklaventod am Kreuz. "Das Blut Jesus Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde." Nun gibt es nichts mehr in unserem Leben, das nicht unter diese biblische Zusage fällt. Ich brauche nicht mehr auf dieses oder jenes zu schauen, ich brauche nicht mehr an diesem oder jenen zu leiden, ich brauche nicht mehr unter diesem oder jenem niedergeschlagen zu sein: So groß ist seine Vergebung. So groß ist seine Liebe.

Manchmal frage ich mich, ob nicht doch ein geheimer Zusammenhang besteht zwischen unserer Abendmahlsscheu und unserer Liebesarmut. Ein erfahrener Seelsorger berichtet, dass wenn Menschen festgetreten seien, nicht mehr zur Liebe fähig, dann pflege er ihnen zu raten, doch regelmäßig zum Abendmahl zu gehen. Dort werde der zertretene Garten wieder angepflanzt. Es gibt viele Lebensgärten, die festgetreten und fest­ getrampelt sind. Einer kann sie lockern, begrünen und wieder blühen lassen, nur einer, nämlich der mit dem Schurz, Jesus, der Sohn Gottes. So groß ist seine Liebe.

Amen