Einführung und Dankbarkeit für das Zusammenkommen
Wir hören jetzt den Predigttext aus Römer 12, Verse 3 bis 6:
Denn ich sage kraft der Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass er nicht höher von sich denken soll, als sich zu denken gebührt, sondern dass er auf Bescheidenheit bedacht sei, wie Gott jedem Einzelnen das Maß des Glaubens zugeteilt hat.
Denn wie wir an einem Leib viele Glieder besitzen, aber nicht alle Glieder dieselbe Tätigkeit haben, so sind auch wir, die vielen, ein Leib in Christus und als einzelne untereinander Glieder.
Wir haben aber verschiedene Gnadengaben gemäß der uns verliehenen Gnade. Wenn wir Weissagung haben, so sei sie in Übereinstimmung mit dem Glauben.
Amen.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen!
An dieser Stelle nochmals ein ganz herzliches Dankeschön an alle, die es Sonntag für Sonntag – und man kann schon sagen, sogar am Donnerstag – möglich gemacht haben, dass wir hier in diesem Zelt zusammenkommen dürfen.
Ich verspreche Ihnen, wir arbeiten hart daran, dass dieses Zelt so bald wie möglich abgebaut werden kann. Und wir sind guter Zuversicht, dass dies auch bald gelingen wird.
Lasst uns noch einmal beten:
Herr, nun zeige uns dein königliches Walten. Bring Angst und Zweifel selbst zur Ruh. Du wirst allein ganz Recht behalten, Herr. Mach uns still und rede du. Amen!
Die Bedeutung von Begriffen im geistlichen Kampf
Wie es im Krieg wichtig ist, einzelne Festungen zu erobern, um von dort aus weiterzukämpfen, so gibt es auch im Kampf der Geister bestimmte Festungen, die man einnehmen und besetzen muss. Diese Festungen sind Begriffe.
Den Staatsrechtler Professor Helmut Quaritsch hat es einmal in einem bekannten Satz auf den Punkt gebracht, als er sagte: "Im Kampf der Geister ist die Besetzung eines Begriffs so wichtig wie im Krieg die Eroberung einer Festung."
Einer dieser Festungsbegriffe findet sich in der Überschrift unserer heutigen Predigt: Gemeinde Jesu Christi – grau oder bunt?
Die Herausforderung des Begriffs „bunt“ in der heutigen Gesellschaft
Grau oder bunt.
Ich würde jetzt gern für einen Moment hinter ihre Stirn schauen können, um zu sehen, was sie mit dem Begriff „bunt“ verbinden, welche Assoziationen und Gedankenketten das bei ihnen auslöst. Die LGBTQ-Community, also jene Bewegung, die sich daran macht, die christliche Sexualethik aus der Gesellschaft zu verdrängen: L steht für lesbisch, G für gay, also schwul, B für bisexuell, T für transsexuell und Q für queer.
Diese Bewegung versucht schon lange, den Begriff „bunt“ für sich zu vereinnahmen. Wie oft haben Politiker und Vertreter von NGOs in den letzten Jahren propagiert: „Wir wollen eine bunte Republik.“ Dabei haben sie gleich ein Symbol für das Zusammenspiel leuchtender, bunter Farben mit vereinnahmt – nämlich den Regenbogen, wenn auch leicht verfälscht.
Der Unterschied besteht darin, dass der wirkliche Regenbogen, wie man allgemein sagt, sieben Farben hat. Der Regenbogen dieser Bewegung hat jedoch nur sechs Farben. Man kann nicht genau sagen, warum das so ist, aber vielleicht ist es nur eine Vermutung: Sieben ist symbolisch die Zahl für die Vollkommenheit des Schöpfers und der Schöpfung. Am liebsten würden sie auch für sich ein Monopol auf Buntheit beanspruchen.
Die Rainbow Pride Flag, die 1978 von einem amerikanischen Aktivisten entworfen wurde, wird bis heute als verbindendes Symbol dieser Bewegung verstanden. „Bunt“ versteht sich hier im Gegensatz zur heterosexuellen Norm, zu jener Norm, die nach biblischem Verständnis der Schöpfer selbst seinen Menschen als verbindliches Lebenskonzept mitgegeben hat. Wie Jesus in Matthäus 19, Vers 4, es noch einmal ausdrückte: „Der am Anfang den Menschen geschaffen hat, schuf sie als Mann und Frau und sprach: Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen, und die zwei werden ein Leib sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Leib. Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“
Das ist das biblische Konzept. Und dagegen positioniert sich diese Bewegung, die sich selbst „bunt“ nennt. Zusammen mit dem Regenbogen und dem Begriff „bunt“ hat man noch ein weiteres Wort gewissermaßen zu kapern versucht: das Wort Vielfalt, also „Diversity“. Dieses wird ebenfalls gegen die jüdisch-christliche Ethik und gegen das Menschenbild der Bibel verwendet.
Dabei will man schon die Kinder zu folgender weltanschaulicher Überzeugung missionieren: Dass viele verschiedene sexuelle Orientierungen für den Menschen in gleicher Weise gut sein können und ihm zu einem erfüllten Leben verhelfen würden. Wenn es nach manchen pädagogischen Strategen geht, soll die Beeinflussung zu diesem Glauben bereits im Kindergarten beginnen – und zwar völlig unabhängig von den religiösen Überzeugungen der Eltern.
Die EU hat jetzt ein neues Programm beschlossen, das sich Comprehensive Sexuality Education nennt, also CSE. Übersetzt kann man das so formulieren: eine umfassende Sexualerziehung. In diesem Programm soll den Kindern in der ganzen EU vermittelt werden, dass alles gut und erlaubt sei, solange es einvernehmlich geschieht.
Passend dazu wird zurzeit im Stadtmuseum Berlin eine Buchlesung von Drag Queens für kleine Kinder und Eltern angeboten – in einem Gebäude unter der Schirmherrschaft des Stadtmuseums Berlin. Man lädt dazu ein mit dem Motto: „Willkommen in einer Welt voller Glitzer und Fantasie.“
Buntheit aus biblischer Perspektive
Was nach dem Glaubensbekenntnis der LGBTQ als bunt gilt, ist nach dem Glaubensbekenntnis der Bibel, zum Beispiel in Römer 1, sündig. Ich sage das noch einmal: Was nach dem Glaubensbekenntnis der LGBTQ als bunt gilt, ist nach dem Glaubensbekenntnis der Bibel sündig.
Auch die Bibel kennt Buntheit und Vielfalt, aber sie versteht darunter etwas völlig anderes. Wir Christen haben keinen Grund, uns die biblische Bedeutung dieser Konzepte wegnehmen zu lassen. Ebenso wenig haben wir Grund, uns die biblische Sexualethik wegnehmen zu lassen.
Der wirkliche Regenbogen ist eine Erfindung des Schöpfers, verbunden mit einem unendlich barmherzigen Versprechen. Solange die Erde steht, sollen Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören. Das ist das Versprechen des wirklichen Regenbogens.
So wie Gott die Schöpfung der Natur in vielen leuchtenden Farben erstrahlen lässt, die sogar in sich selbst vielfache Schattierungen aufweisen, zeigt sich seine Vielfalt. Schauen Sie zum Beispiel bei einem Herbstspaziergang am Nachmittag genau hin: Die unterschiedlichen Töne von Grün, Braun und Gelb sind unfassbar zahlreich.
In dieser Vielfalt und Buntheit hat Gott auch seine Gemeinde erschaffen – im bildlichen Sinne eine wirklich bunte Gemeinschaft, die in unendlichen Farben leuchtet. Etwas von diesem Leuchten kann man auch heute unter diesen widrigen Umständen in diesem Zelt wiedererkennen.
Wie wir letzten Sonntag gesungen haben: Die Kirche steht gegründet allein auf Jesus Christus; sie ist die erneute Schöpfung des großen Gottes. Auch in dieser Schöpfung finden wir eine atemberaubende Vielfalt abgebildet. Genau darauf zielt Paulus mit unserem heutigen Predigttext.
Die Gemeinde als vielfältiger Leib Christi
Ich lese ihn noch einmal, Römer 12,3-6:
Denn ich sage, durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.
Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Funktion, so sind wir viele ein Leib in Christus. Untereinander ist einer des anderen Glied und wir haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.
Damit kommen wir nun im zweiten Mellendorfer Gottesdienst zum zweiten Bild, mit dem die Bibel die Wirklichkeit der Gemeinde beschreibt. Letzten Sonntag sahen wir das Haus der lebendigen Steine, in dem jeder Stein seinen wichtigen Platz hat.
Heute beschreibt Paulus die Gemeinde als einen lebendigen menschlichen Körper in einer atemberaubenden Vielfalt. Noch ausführlicher finden wir das in seinem ersten Korintherbrief, aber wir wollen uns heute an dieser Kurzfassung in Römer 12 orientieren.
Wir wissen, dass diese Buntheit, diese Vielfältigkeit der Gemeinde schon lange angekündigt war. Im Alten Testament wird die Völkerwallfahrt zum Zion beschrieben, Jesaja 2: Alle Völker aus den Heiden werden zu dem wahren lebendigen Gott kommen.
Denken Sie auch an das vielfältige Geschehen von Pfingsten: so viele Sprachen, so viele Nationen – und sie alle werden zu der Gemeinde Jesu Christi gehören. Bunter könnte eine Gemeinschaft nicht sein.
Von Anfang an kamen hier in der Gemeinde Leute zusammen, die sich in keinem anderen Verein getroffen hätten: traditionsbewusste Juden und Heiden mit esoterischer Vergangenheit. Die einen kamen aus der Synagoge, die anderen aus den Mysterienkulten, inklusive Tempelprostitution.
Hier römische Militärs, dort griechische Feingeister, Sklaven und Freie, handfeste Fischer vom See Genezareth und ein afrikanischer Minister auf Pilgerfahrt. Dies ist Buntheit und Vielfalt.
Herausforderungen und Integration in der Gemeinde
Das Neue Testament sagt ganz offen und ehrlich, welche Probleme aus dieser Vielfalt entstehen. Besonders in der Anfangszeit sehen wir im Römerbrief die Spannung zwischen Judenchristen und Heidenchristen.
Die Gemeinde Jesu hatte jedoch von Anfang an einen starken Integrationsfaktor – einen Integrationsfaktor, den kein weltlicher Staat in dieser Form haben kann. Dieser Faktor ist der Herr der Gemeinde, Jesus Christus.
Deshalb sagt Paulus in 1. Korinther 12, dass wir alle durch einen Geist zu einem Leib getauft sind, alle durch denselben Geist. Das bedeutet: Wenn wir Christen sind, haben wir alle denselben Heiligen Geist, die dritte Person der Dreieinigkeit, in unserem Leben.
Der Heilige Geist richtet unseren Blick auf Jesus Christus, damit wir ihn immer besser verstehen, ihn als unseren Retter ehren und sein Wort, die Bibel, aus Jesu Händen als das absolut zuverlässige Wort Gottes empfangen. Durch Jesus werden wir zu Kindern des himmlischen Vaters.
So werden wir alle durch den Heiligen Geist zu einem Leib, zu dieser Gemeinde, getauft. In Römer 12,5 sagt Paulus: „Wir sind ein Leib in Christus.“ Die Anziehungskraft der Gemeinde besteht also in ihrem Zentrum.
Paulus wiederholt dies in Kolosser 1,18, wenn er sagt: „Er, Christus, ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten.“
Wenn Sie letzten Sonntag anwesend waren, erinnern Sie sich vielleicht daran, dass Petrus ebenfalls die Bedeutung der Auferstehung für die Gemeinde hervorgehoben hat. Nur durch die Auferstehung wird die Gemeinde lebendig und kann überleben. Die Gemeinde hängt an einem lebendigen Herrn, der von den Toten auferstanden ist. Er hält uns als seine Gemeinde am Leben und hat jedem einzelnen seiner Nachfolger das ewige Leben verheißen.
Nur weil es dieses starke Zentrum gibt, kann die Gemeinde in ihrer Vielfalt und Buntheit überhaupt existieren, ohne aus der Umlaufbahn geschleudert zu werden.
Die Autorität des Apostels Paulus und die richtige Selbsteinschätzung
In den Versen, die wir jetzt etwas genauer betrachten wollen, erklärt der Apostel praktisch, wie wir als Gemeinde in dieser Vielfalt bestehen können und wie wir mit dieser Vielfalt umgehen sollen.
Man staunt zunächst darüber, dass Paulus gerade an dieser Stelle seine Autorität so stark betont, besonders in Vers 3: „Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, einem jeden unter euch.“ Diese Formulierung erinnert an Jesus, der oft sagte: „Wahrlich, ich sage euch.“ Bei Paulus wird jedoch sofort klargestellt: „Ich sage euch, kraft der Gnade, die mir gegeben ist.“ Hier liegt der große Unterschied. Gottes Sohn hatte seine Autorität aus sich selbst heraus, weil er Gott ist. Die Autorität des Apostels hingegen ist von Jesus verliehen, kraft der Gnade, die ihm gegeben ist.
Gerade darum kann Paulus sich umso freier darauf berufen. Er kann diese verliehene Autorität auch ausüben. So betont er hier beides: seine Abhängigkeit von Jesus – „Ich bin es nur durch seine Gnade“ – aber auch die daraus hervorgehende Vollmacht: „Durch seine Gnade bin ich sein Apostel.“
Darum kann es sich kein Christ leisten, an dem vorbeizuhören, was Paulus hier sagt. Er schreibt: „Einem jeden unter euch.“ Zu diesem „jeden“ gehören wir hier im Zelt in Mellendorf genauso.
Wir müssen wissen: Jesus hat uns durch die Apostel differenziert offenbart, nach welchen Prinzipien er seine Gemeinde leiten will und nach welchen Prinzipien er seine Gemeinde gestalten will. Wir als Gemeinde sind verpflichtet, das zu ergründen und dann auch anzuwenden, wie Jesus seine Gemeinde geleitet haben will.
Was Petrus, Johannes und Paulus über die Gestaltung von Gemeinde sagen, ist kein Diskussionsbeitrag. Es ist kein apostolischer Gesprächsvorschlag zur Güte, sondern ein Auftrag Jesu, ein Gestellungsbefehl unseres Königs.
Darum ist es zwingend, dass wir all unser Handeln in der Gemeinde immer wieder von der Bibel her und mit der Bibel in der Hand begründen.
Die Bedeutung des Denkens für das Leben in der Gemeinde
Und dann folgt die nächste überraschende Beobachtung, wenn Sie weiterlesen. Paulus sagt: Durch die Gnade, die mir gegeben ist, ermahne ich jeden unter euch, dass niemand mehr von sich denke, als sich gebührt zu denken, sondern dass er maßvoll von sich denke, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.
Im Griechischen steht hier dreimal das Wort für Denken, phronäo, und das ist bemerkenswert. Paulus meint damit: Pass auf, wenn du als Gemeindeglied mit dieser Vielfalt richtig umgehen willst, dann musst du richtig über dich selbst denken. Es beginnt also hier. Du musst richtig über dich selbst denken. Das heißt, du sollst so über dich denken, wie Gott es will.
Das ist die Herausforderung: Wir müssen richtig über uns denken und uns richtig einordnen. Du kannst es nicht einfach mit dir selbst abmachen, wie du über dich denkst. Nach dem Motto: Hauptsache, ich bin mit mir im Reinen, wie ich über mich denke – das ist meine Sache. Nein. Paulus sagt, ein Christ ist jemand – und das hat er im Vers davor in Römer 12,2 gezeigt –, der auch in seinem Denken zunehmend verändert wird.
Römer 12,2: Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Denkens, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist. Es ist also sehr wichtig, dass unser Denken als Christen von Jesus geprägt wird, denn davon hängt letztlich unser Handeln ab.
Paulus hat zuvor gezeigt, dass unser Denken vom Zeitgeist gefährdet ist. Denken ist niemals neutral. Es geht immer um die Frage, welcher Geist unsere Begriffe definiert. Das haben wir am Begriff „Bunt“ und „Vielfalt“ gesehen. Unser Denken muss durch den Heiligen Geist geheilt werden. Lasst euch verwandeln! Und unser Denken muss durch den Herrn Jesus selbst geschult werden. Nur so werden wir urteilsfähige Christen.
Dieses Leben in der Denkschule Jesu ist kein einmaliger Akt, sondern ein Lebensstil. Wir bleiben beständig in seiner Schule, orientieren uns an ihm und lassen uns durch Jesus den Zugang zur Welt bahnen. Ich mache mir seine Sicht zu eigen – das meint Paulus hier.
Dieses erneuerte Denken gilt auch für die Frage, wie wir über uns selbst denken sollen, wie wir uns selbst sehen und verstehen sollen in diesem bunten Gesamtgefüge der Gemeinde.
Vier Grundsätze für das Selbstverständnis in der Gemeinde
Paulus gibt vier Stichpunkte, wie wir über uns selbst denken sollen. Der erste Stichpunkt ist etwas komplizierter. Wenn wir diesen geklärt haben, ergeben sich die anderen von selbst. Das werden Sie gleich sehen.
Der erste Stichpunkt steht in Vers 3b: „Niemand denke mehr von sich, als sich gebührt, sondern dass er maßvoll von sich denke, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt oder zugeteilt hat.“
Der erste Punkt heißt: Wir sind „vermisst“. Dabei ist nicht das Adjektiv „vermisst“ im Sinne von überheblich oder anmaßend gemeint. Nein, hier geht es um das Verb „vermessen“. So wie ein Grundstück vermessen wird, hat Gott unserem Leben einen Zuschnitt gegeben. Er hat uns vermessen und etwas zugedacht. Dementsprechend sollen wir, wie Paulus sagt, maßvoll über uns denken.
Das heißt, wir sollen eine besondere Selbsteinschätzung haben, damit wir auch für andere zum Segen werden können. Paulus wird noch konkreter. Wonach richtet sich dieser Zuschnitt, mit dem Gott uns vermessen hat? Er sagt: „Ein jeder, wie Gott jedem Einzelnen das Maß des Glaubens zugeteilt hat.“
Diese Formulierung ist etwas geheimnisvoll und lässt zwei Erklärungen zu. Einmal kann mit dem „Maß des Glaubens“ die Glaubenslehre gemeint sein, also die Messlatte, die wir gemeinsam haben. Der Standard, an dem wir uns alle prüfen sollen: die Lehre des Glaubens, das Maß des Glaubens. Damit sollen wir unsere persönliche Situation abgleichen, um zu einer realistischen Sicht von uns selbst zu kommen.
Noch wörtlicher und näher am Text, wenn auch ungewöhnlicher, ist die zweite Deutung: Gott hat jedem seiner Kinder ein bestimmtes Maß des Glaubens zugeteilt – nämlich genau das Maß an Glauben und Ausrüstung, das jeder von uns braucht, um die Aufgabe zu erfüllen, die Gott ihm zugedacht hat.
Diese zweite Deutung ist näher am Text selbst, denn die Formulierung „Gott hat jedem ein Maß zugeteilt“ deutet auf die verschiedenen individuellen Situationen hin, die ja auch hier versammelt sind. Paulus macht damit deutlich: Dein Leben ist vermessen. Gott behandelt jedes seiner Kinder sehr individuell. Gott macht Handarbeit.
In Gottes Augen sind alle seine Kinder, die durch Jesus seine Kinder geworden sind, gleich viel wert. Das zeigt Galater 3,28, wo Paulus sagt: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau, sondern sie sind alle in Christus, sie sind alle gleich viel wert.“
Paulus will mit diesem „maßvoll über sich selbst denken“ sagen, dass wir maßvoll über uns selbst denken sollen – keine anspruchslose Bescheidenheit. Es geht nicht nach dem Motto: „Na ja, wir können ja sowieso alle nichts.“ Paulus macht deutlich: Jeder Christ soll danach streben, an seiner Stelle im Glauben zu wachsen.
Das hat er ja gerade in Römer 12,1-2 gesagt: „Trachtet danach, hängt euch rein, strebt nach Wachstum im Glauben.“ Also keine falsche Bescheidenheit, sondern richtige Bescheidenheit.
Und was heißt richtige Bescheidenheit? Richtige Bescheidenheit heißt: Strecke dich nicht nach etwas aus, was du dir vorstellst oder was du gern haben willst. Suche stattdessen nach der Berufung, die der Herr für dich vorgesehen hat. Sei darin treu, wachse darin und häng dich rein.
So dürfen wir alle über uns denken, wenn wir Kinder des lebendigen Gottes sind: Mein Leben ist vermessen von Gott. Oder wie Paulus in 1. Korinther 12 sagt: „Der Heilige Geist teilt jedem das Seine zu, wie er will“ (1. Korinther 12,11). Vermessen von Gott.
Darum kann ich auch voll zufrieden sein mit dem, was Gott mir zumisst. Auch wenn ich mir manchmal vielleicht eine glanzvollere Aufgabe vorstelle, eine leichtere Aufgabe, eine besser bezahlte Aufgabe oder was auch immer – ich kann zufrieden sein, weil Gott mir das zugemessen hat.
Aus dieser Zufriedenheit erwächst dann auch eine souveräne Bescheidenheit. Souveräne Bescheidenheit heißt: Ich muss mich nicht aufblasen vor anderen und ständig irgendetwas beweisen. „Niemand soll mehr von sich halten, als es sich gebührt.“
Man könnte fast ein Wortspiel daraus machen: Ihr seid vermessen im Verb, darum seid nicht vermessen im Adjektiv. Wahrscheinlich neigten einige in Rom, wohin dieser Brief ging, zur Selbstüberschätzung oder zum Stolz – oft gerade die Kleingeister. Deshalb schreibt Paulus einige Verse später in Römer 12,16: „Haltet euch nicht selbst für klug!“
Und was ist die Alternative? Die Alternative zu dieser Selbstüberschätzung ist nicht eine geheuchelte Zerknirschung, so nach dem Motto: „Na ja, ich bin ja auch ganz unnütz und ich kann gar nichts, am liebsten fragt er mich gar nicht erst.“ Das ist damit nicht gemeint.
Das Gegenstück zu dieser Selbstüberhebung ist eine gelassene, demütige Zufriedenheit. Paulus sagt: Jeder soll maßvoll von sich halten. Die Schlachter-Übersetzung bringt das so: „So dass er auf Bescheidenheit bedacht sei.“
Ich habe das immer wieder bei sehr begabten Männern gesehen, die mit einer in sich ruhenden, ehrlichen Bescheidenheit auftraten. Leute, die wirklich etwas bewegt hatten, die wirklich etwas auf dem Kasten hatten, kannten ihre Qualitäten, aber auch ihre Grenzen. Sie konnten in der Regel auch über sich selbst lachen. Sie traten in dieser souveränen Bescheidenheit auf.
Und wie viel mehr erst, wenn wir Christen sind! Wenn wir als Kinder Gottes wissen: Mein Leben ist vermessen von Gott – was Besseres kann mir gar nicht geschehen.
Paulus sagt: Das ist das Erste, wie du über dich denken musst, wenn du eine Wohltat für die bunte Gemeinde sein willst: Ich bin vermessen von Gott.
Die Verschiedenheit der Gemeindeglieder
Paulus zeigt uns im nächsten Vers, Vers 4, ein weiteres wichtiges Merkmal, das wir von uns kennen sollten. Er sagt, dass wir an einem Leib viele Glieder haben, die jedoch nicht alle dieselbe Aufgabe erfüllen.
In Vers 6 betont er noch einmal: Wir haben alle verschiedene Gaben, die uns nach der Gnade gegeben wurden, die Gott uns schenkt. Das bedeutet, wir sind nicht nur unterschiedlich vermessen, sondern auch verschieden in unserer Bestimmung.
In Vers 4 beschreibt Paulus zuerst die Position: Viele Glieder an einem Leib. Dann stellt er es in der Verneinung dar: Nicht alle haben dieselbe Aufgabe. Und in Vers 6 bringt er es erneut als Tatsache: Verschiedene Gaben.
Das müssen wir über uns wissen. Paulus fordert uns auf, uns selbst als Teil der Gemeinde zu sehen. Die Grundlage dafür ist, dass Gott jeden von uns persönlich und individuell vermessen hat – wie Handarbeit und nicht wie Massenproduktion.
Die Folge davon ist unsere Verschiedenheit. Wir sind bunt und vielfältig. Genau das ist die Gemeinde Jesu.
Die Vielfalt des menschlichen Körpers als Bild für die Gemeinde
Nur mal ganz kurz und in Klammern: Ich hoffe, Ihnen ist das alles noch warm genug. Wir haben heute den Kompromiss gemacht, die Heizung weiterlaufen zu lassen. Unsere Technik dreht ja laut genug auf, und ich hoffe, dass Sie mich verstehen und noch keine Eisklumpen an den Füßen haben. Nach dem Gottesdienst können Sie sich nebenan mit einer Tasse Kaffee versorgen und stärken lassen.
Also, wir sind verschieden. Darum ist der menschliche Körper ein geniales Bild für die Gemeinde, weil der menschliche Körper aus so vielen verschiedenen Bestandteilen besteht. Hier können unsere Mediziner uns viel sagen. Mir wurde vor einiger Zeit von einem Kardiologen eine Aufstellung zugeschickt, woraus der menschliche Körper alles besteht. Ich gebe das jetzt nur ganz kurz in Auszügen wieder:
Die Gesamtlänge des Gefäßsystems beträgt 150 Kilometer. Die Anzahl der Haare liegt durchschnittlich bei hunderttausend bis hundertfünfzigtausend. Ich senke den Schnitt da ein bisschen, aber dann weiter: Die Anzahl der Knochen beträgt circa zweihundertsechs, die Anzahl der Muskeln mehr als sechshundert. Die Gesamtzahl der Zellen im menschlichen Körper liegt bei circa zehn bis hundert Billionen, je nach Körpergewicht. Die Anzahl der Neuronen beträgt circa hundert Milliarden, die der Synapsen circa hundert Billionen.
Dann gibt es noch die ganzen reizaufnehmenden Zellen: Im Auge sind es 130 Millionen reizaufnehmende Zellen, auf der Zunge etwa 750 Geschmacksinnenzellen und so weiter und so weiter. Die Anzahl der roten Blutkörperchen in einem erwachsenen Menschen beträgt circa 25 Billionen; das entspricht fünf bis sechs Litern Blut. Wir haben 34 Wirbel: sieben Halswirbel, zwölf Brustwirbel, fünf Lendenwirbel und so weiter.
Verstehen Sie, das ist die Vielfalt des Körpers. Natürlich kannte Paulus diese einzelnen wissenschaftlichen Daten noch nicht, aber Gott kannte sie – Gott hat sie ja gemacht. Wenn Paulus in diesen Versen die menschliche Vielfalt der Gemeinde Jesu betont, dann hat er dabei ganz offensichtlich die multiethnische Situation der Geschwister in Rom vor Augen.
Deshalb ist die Gemeinde Jesu ein Schutzwall gegen jede Form von Gleichmacherei und Einheitslohn. Die Gemeinde ist ein Schutzwall gegen jede Form von Gleichmacherei.
Gleichmacherei als Gefahr für die Gemeinde
Vielleicht kennen Sie schon die Fabel, die sehr anschaulich zeigt, wohin Gleichmacherei führen kann. Einst wollten die Tiere eine Schule gründen, um sich fortzubilden. Leider wählten sie einen falschen Schulleiter: ein Nilpferd, das vom Neomarxismus besessen war.
Diesen Neomarxismus spürten die Tiere dann in ihrem Curriculum. Es ging um Gleichmacherei. Die Ente war zum Beispiel eine exzellente Schwimmerin, zeigte aber nur mäßige Leistungen beim Fliegen und war eine schlechte Läuferin. Deshalb sollte sie das Schwimmen zurückstellen, um mehr Laufen zu üben. Dabei verletzte sie sich ihre Schwimmfüße, sodass sie am Ende nur noch eine mittelmäßige Schwimmerin war.
Der Hase begann seine Schulkarriere als toller Läufer. Doch im Laufe der Fortbildung entwickelte er ein nervöses Zucken in seiner Pfotenmuskulatur. Warum? Weil er immer zum Schwimmtraining gezwungen wurde.
Das Eichhörnchen war bereits ein professioneller Kletterer. Doch es verlor sein ganzes Selbstbewusstsein während der Flugstunden, weil der Lehrer ihm nie erlaubte, von einem Baumwipfel aus zu starten, sondern immer nur vom Boden. So bekam das Eichhörnchen Wadenkrämpfe vor Erschöpfung und konnte nur noch mit Schmerzen klettern.
Nur der Adler war das Problemkind, das Enfant terrible. Er zeigte immer wieder seinen Eigensinn. Bei den Kletterwettbewerben kam er stets als Erster in der Baumkrone an, bestand aber darauf, mit seiner eigenen Technik dorthin zu gelangen. Gleichmacherei!
Paulus sagt: Bei Jesus ist das anders. In der Gemeinde ist das anders. Unser Herr will unsere Verschiedenheit nicht plattmachen, sondern zum Segen werden lassen. Denn nur weil wir so verschieden sind, können wir einander ergänzen. Und das ist schon das nächste Thema in 1. Korinther 12,4-11.
Verbundenheit als drittes Prinzip
Schauen Sie, so sind wir viele ein Leib in Christus, und untereinander ist einer des anderen Glied. Wir sind also nicht nur vermessen, wir sind nicht nur verschieden, sondern wir sind auch drittens verbunden.
Wir sind auch drittens verbunden, und in dieser Verbundenheit werden wir diese Predigt bis zum Schluss durchstehen. Sie werden später einmal sagen: Das war wahrscheinlich die stürmischste Predigt, die ich jemals gehört habe. Also, wir sind verbunden.
In der Gemeinde sind wir alle miteinander verschaltet, um uns gegenseitig zu unterstützen. Damit dieser Körper als Ganzes funktionieren kann, sind wir aufeinander angewiesen. Dabei können auch vermeintlich kleine Glieder einen vergleichsweise großen Einfluss auf den Gesamtkorpus haben. Denken Sie mal: Wenn Sie nur eine kleine Lücke in einem Zahn haben, was das für eine Auswirkung auf den ganzen Körper und Ihre Existenz haben kann.
Ja, wir sind verbunden. Diese Verbundenheit in der Gemeinde ist nicht fakultativ. Wir können sie uns nicht aussuchen, sondern sie ist unvermeidlich, sie ist schicksalhaft. Und das liegt an Jesus. Das hat Jesus so entschieden, weil er uns in die Gemeinde hineingeholt hat.
Das sagt Paulus hier auch in Vers 5: Ihr seid eins in Christus, ein Leib in Christus. Und in die Gemeinde kommt man nur durch diese einzige Tür, wie wir vorhin in der Lesung gehört haben, Johannes 10,7: Jesus sagt: Ich bin die Tür zu den Schafen. Du kommst nicht zu den Gemeindeschafen, wenn du irgendwo anders reinwillst als durch diese Tür, Jesus. Das ist die einzige Zulassungsbedingung.
Wenn wir zum guten Hirten kommen, kommen wir zu dieser Herde seiner Schafe. Und das ist für dich die entscheidende Frage erst mal deines Lebens: Bist du schon zu diesem guten Hirten gekommen? Gehörst du schon zu seiner Herde?
Zu seiner Herde gehörst du nicht, weil du einen Mitgliedsausweis in der Tasche hast oder weil du bestimmte Veranstaltungen besuchst oder bestimmte Spendenzahlungen machst – so gut und wichtig und hilfreich das ist. Sondern Teil der Herde bist du nur, wenn du zum guten Hirten gekommen bist.
Wenn du mit deinem Leben zu Jesus gekommen bist und ihm deutlich gemacht hast: Ich brauche dich als meinen guten Hirten. Ich brauche, dass du damals vor zweitausend Jahren am Kreuz für mich gestorben bist. Sonst würde ich mit meiner Schuld alleine vor Gottes Gericht stehen und hätte keine Chance.
Ich brauche, dass du auch auferstanden bist von den Toten, weil ich sonst auch über den Tod hinaus keine Perspektive hätte. Jesus: „Nimm mich an als dein Schaf, sei du mein Hirte, führe du mein Leben. Ich bin bereit, dir zu folgen und dir zu gehören, Herr, rette mich, ich will dein Schaf sein.“
So kommen wir rein in die Herde, nicht auf irgendeinem anderen Weg. Und das heißt, wir sind schicksalhaft aneinander gebunden, weil Jesus uns als seine Herde zusammenfügt.
Und so sollen wir uns sehen, sagt Paulus: So ist das, so sind wir viele ein Leib in Christus, und untereinander ist einer des anderen Glied (Vers 5).
Du kannst also nicht sagen: Ja, ja, ich will zu Jesus gehören, aber mit seiner Entourage, also mit diesen Leuten, die da im Umfeld zu Jesus gehören, mit seiner Gefolgschaft, da will ich nichts zu tun haben. Das kannst du nicht sagen.
Denn Jesus würde dir antworten: Wenn du das so sagen würdest, ich will zwar zu dir gehören, Herr Jesus, dich finde ich okay, aber mit deinen Leuten will ich nichts zu tun haben, dann würde Jesus dir antworten: Wenn du mit meinen Leuten nichts zu tun haben willst, dann kannst du auch mit mir nichts zu tun haben.
Keiner von uns, wenn er denn zur Gemeinde gehören will, kann der Gemeinde gleichzeitig als Beobachter gegenüberstehen. Der Arm kann den Körper nicht beobachten. Jeder Teil des Körpers ist an den Körper gebunden.
Nur der Arzt steht dem Körper gegenüber, aber der einzige Arzt ist Jesus. Und selbst Jesus identifiziert sich so sehr mit seiner Gemeinde, dass er sich als unser Haupt bezeichnet. Also sogar Jesus baut sich selbst durch das, was Paulus schreibt, noch gewissermaßen in die Gemeinde als das Haupt ein.
Und noch mal: Wir sind schicksalhaft verbunden, so wie ja der Körper auch immer als Ganzes in Bewegung ist. Also der Arm kann ja auch zum Fuß nicht sagen: Geh du schon mal vor, ich mache heute frei. Und die Lunge kann nicht zum Herzen sprechen und sagen: Liebes Herz, schlag mal schön weiter, mit dem Atmen pausiere ich bis morgen.
Das funktioniert nicht. Wir dienen unserem Herrn gemeinsam. Wir dienen unserem Herrn in gewisser Weise synchron und gleichzeitig.
Dieser Vers 5 beschreibt die Gemeinde Jesu als ein komplexes System, bei dem alle Teile miteinander agieren.
Die These der irreduziblen Komplexität und ihre Bedeutung für die Gemeinde
Und jetzt kommt der Moment, in dem ich meine Mausefalle hervorhole, die ich gestern extra noch besorgt habe. Sie werden gleich sehen, warum.
Wahrscheinlich hätte Paulus sich sehr über dieses Argument gefreut, mit dem ein origineller Naturwissenschaftler das Dogma der Evolution angegriffen hat. Sie wissen, dieses Dogma besagt, dass das Leben in unendlich langen Zeiträumen entstanden sei – zufällig durch Mutation und Selektion.
Der amerikanische Biochemiker Professor Michael Behe hat folgende These entwickelt und 1996 veröffentlicht: Bei komplexen Systemen – haben Sie mal die Gemeinde im Hinterkopf – müssen alle Einzelteile gleichzeitig vorhanden sein, damit sie existieren können. Das ist seine berühmte These der irreduzierbaren Komplexität.
Es war sofort klar, dass dies ein starkes Argument gegen den Evolutionismus ist. Denn der Evolutionismus behauptet ja, dass alles in sehr, sehr langen Prozessen entstanden ist, ein Teilchen nach dem anderen. Diese Komplexität macht deutlich, dass die Einzelteile ohne das Ganze gar nicht hätten überleben können. Nach evolutionsbiologischem Verständnis wären sie sofort selektiert worden. Das heißt, wenn nicht alle Teile gleichzeitig da sind, wären die ersten Elemente schon längst wieder verschwunden, bevor die anderen hätten dazukommen können.
Dazu gibt es eine lange Debatte, die ich hier nicht entfalten kann. Ich will nur Professor Behes Paradebeispiel nennen, weil es die Verbundenheit der Glieder in der Gemeinde so schön illustriert: die Mausefalle.
Eine typische Mausefalle besteht aus fünf Bestandteilen: einem Verschluss, einer Feder, einem Hammer, einer Haltestange und einem Fundament. Nur so funktioniert sie. Wird eines dieser Teile entfernt, ohne dass ein vergleichbarer Ersatz vorhanden ist, funktioniert das ganze System nicht mehr.
Das kann man also schon an einer aus fünf Elementen bestehenden Mausefalle zeigen, so Professor Behe. Es gibt eine lange Diskussion dazu, die wir jetzt hier nicht führen können. Aber Sie wissen, worauf ich hinaus will.
Auch die Gemeinde Jesu hat eine irreduzierbare Komplexität – viel komplexer als eine Mausefalle. Wenn das schon für eine Mausefalle gilt, wie viel mehr für komplexere Systeme? Je komplexer die Systeme sind, desto mehr gilt dieses Prinzip.
So sind wir in der Gemeinde Jesu miteinander verbunden und aneinander gebunden. Auch bei uns gilt das Prinzip der irreduzierbaren Komplexität. Das heißt, jeder von uns wird an seinem Platz gebraucht.
Verantwortung als viertes Prinzip
Und darum müssen wir zum Schluss auch ein viertes Kriterium bejahen, das Paulus uns hier ans Herz legt. Wir müssen bereit sein, uns auch in diesem Licht zu sehen.
Wir sind vermessen, wir sind verschieden, wir sind verbunden, und jetzt kommt das Letzte: Wir sind verantwortlich. Wir sind verantwortlich, das ist Vers 6, und wir haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Du bist verantwortlich.
Indem Gott jedem seiner Kinder bestimmte Gaben gibt, also uns damit ausstattet, macht er uns verantwortlich, diese Gaben für ihn und seine Gemeinde einzusetzen. Der Begriff, der da steht, ist Charismata. Und Charismata sind Dienstgaben. Gott hat unser Leben vermessen, und das heißt auch, er hat uns bestimmte Dienstgaben, Begabungen gegeben, damit wir sie für ihn einbringen.
Petrus sagt das genauso. In 1. Petrus 4,10 sagt er: "Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der Gnade Gottes." Also Petrus und Paulus sagen das Gleiche: Du hast Gaben von Gott, die er dir in seiner Gnade gegeben hat.
Wir denken bei Gnade ja immer zuerst an die Vergebung der Sünden, und das ist auch richtig. Als wir Christen wurden, hat Jesus uns begnadigt. Wir leben jeden Tag davon, dass er uns begnadigt, dass er damals das gerechte Todesurteil über unser Leben aufgehoben hat.
Aber mit der Rettung ist der Triumph der Gnade in unserem Leben noch lange nicht erschöpft. Dieselbe Gnade, mit der Jesus uns errettet hat, hört nicht auf, in unserem Leben zu wirken. Dieselbe Gnade, dieselbe freundliche Zuwendung verändert uns, dieselbe Gnade rüstet uns aus.
Und genauso, wie Paulus in Vers 3 am Anfang betont hatte: "Ich bin nur deshalb Apostel, weil Jesus in seiner Gnade mich dazu berufen hat," stellt er sich am Ende in Vers 6 mit uns allen in eine Reihe und sagt: Wir haben alle – könnte man hinzufügen – verschiedene Aufgaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.
Dann bringt er einige Beispiele, keine erschöpfende Liste. Darüber können wir an anderer Stelle reden. Aber das heißt: Wenn du zu Jesus gehörst, dann stehst du mit in dieser Reihe, die Paulus in Vers 6 benennt. Er sagt, wir haben alle durch Gottes Gnade bestimmte Gaben bekommen, und das heißt, wir sind jetzt verantwortlich, diese Gaben, die er uns gegeben hat, für ihn, seine Gemeinde und den Bau seines Reiches einzusetzen.
Das können wir uns nicht aussuchen.
Abschlussappell und Ermutigung
Und so lasst uns nun, da wir gerade auf das Ziel zukommen, diese kostbaren Verse aus Römer 12 ganz bewusst mit in die neue Woche nehmen. Lasst uns täglich unseren Blick dafür schärfen und aus diesen Versen entnehmen, wie wir über uns selbst denken sollen.
Paulus sagt, wir sind vermessen. Gott hat jedem seiner Kinder etwas zugemessen – einen bestimmten Plan, einen bestimmten Auftrag. Ja, wir sind verschieden, sehr verschieden. Das macht es manchmal auch nicht einfach. Doch darin steckt ein großer Reichtum, denn in dieser Verschiedenheit sind wir miteinander verbunden.
Die Gemeinde Jesu ist ein sensibles System mit einer nicht mehr reduzierbaren Komplexität. Darum sind wir alle als Glieder dieses Leibes Jesu Christi, wenn wir zu ihm gehören, nicht nur miteinander verbunden, sondern auch verantwortlich – wie wir letzten Sonntag gesehen hatten beim Bild vom Haus der lebendigen Steine. Ein Stein muss da sein; ein Stein kann nicht mal da sein und dann mal wieder irgendwo alleine herumstehen.
In einem Verein kann man sagen: „Ich überlege mir jetzt mal, wie ich mich engagiere, wenn es mein sonstiges Leben nicht zu sehr durcheinanderbringt.“ Dann überlegt man, ob man sich im Verein engagiert oder nicht, mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger. In der Gemeinde Jesu haben wir diese Option nicht, wenn wir unserem Herrn treu sein wollen.
Dafür haben wir Gnadengaben, dafür haben wir Dienstgaben, die er jedem seiner Nachfolger anvertraut hat. Und er hat uns das mit einem ganz klaren Ziel anvertraut: dass wir diese Gaben zu seiner Ehre einsetzen, zum Bau seiner Gemeinde und auch zum Wohl unserer Geschwister – letztlich auch zum Guten der Welt, indem wir ihnen Gottes Botschaft bringen.
Darum möchte ich dich dringend bitten, gewissermaßen im Auftrag dieses Textes, als Agent dieses Textes, diese Frage mit in die neue Woche zu nehmen und sie in deiner stillen Zeit zu bewegen: Danke Jesus für die Gaben, die er dir geschenkt hat. Bitte Jesus, dass er dir diese Gaben möglicherweise noch deutlicher zeigt.
Klär das vor ihm. Sage ihm: „Herr, lass mich erkennen, ob ich dir wirklich zurzeit treu diene. Lass mich ehrlich erkennen, ob ich mich von ganzem Herzen für dich und deine Gemeinde einsetze.“ Bitte Jesus um Vergebung, wenn er dir zeigt, dass sich in dein Christsein vielleicht eine Vereinsmentalität eingeschlichen hat.
Eine Vereinsmentalität, mit der du nach eigenem Gutdünken darüber befindest, wie weit dein Dienst für Jesus nun reichen soll. Bitte ihn um Vergebung und danke Jesus für alles, was du in seinem Dienst tun darfst.
Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe, so sind wir viele ein Leib in Christus. Untereinander ist einer des anderen Glied, und wir haben verschiedene Gaben (Römer 12,3-8).
Beispiel aus dem Alltag: Die ungenutzten Geigen
Von einem Farmer in Saskatchewan, Kanada, wird berichtet, dass er eine riesige Sammlung seltener und wertvoller Geigen besaß. Diese Sammlung war wunderschön. Er bewahrte die Geigen gut auf und entstaubte sie regelmäßig. Doch Zeit seines Lebens spielte wohl niemand auf diesen Instrumenten.
Die Geigen lagen sauber verpackt und sicher verschlossen in einem Schrank. Aber was könnte aus diesen Geigen werden, wenn sie endlich zum Einsatz kämen? Wie viel Freude könnten sie verbreiten, wie viel Gutes bewirken?
Ähnlich verhält es sich mit den Gaben, die dein Herr dir anvertraut hat. Manfred Sieberls Verse rufen uns dazu auf, daran zu denken, was Paulus im Römerbrief Kapitel zwölf versichert: Wenn du Christ bist, hat Gott für dich einen Platz vorgesehen.
Irgendwo will er dich haben. Es gibt etwas, das kein anderer Mensch so gut kann wie du. An diesem Ort wirst du von Gott gebraucht – mit deinen Gaben. Wenn du ihn fragst, wird er dir die Arbeit zuweisen.
Hast du schon in schweren Stunden Mitleid mit dir selbst gehabt? Hast du oft gedacht, du seist unbegabt? Doch Gott hat für dich genau den Platz vorgesehen, an dem er dich haben will – gerade dich.
Schlussgebet
Ach Herr, danke, dass du deine Gemeinde sammelst – in ruhigen Zeiten, in stürmischen Zeiten, unter einfachen und auch unter schwierigen Umständen.
Herr, danke, dass du uns zusammenfügst, dass du uns als Schafe deiner Herde behütest und als Steine eines lebendigen Baus verbindest. Danke, dass wir Glieder an diesem Leib deiner Gemeinde sein dürfen.
Hilf uns, Herr, hilf, dass wir uns immer mehr so sehen, wie du es willst. Lass uns uns selbst erkennen und ein Segen für die anderen sein – ein Leben führen, das dich ehrt.
Danke, dass du uns immer wieder vergibst, Herr, wenn wir bequem werden und uns selbst in den Mittelpunkt stellen. Du weißt, wie schnell uns das passiert.
Aber danke, dass du uns immer wieder aufrüttelst, uns nach vorne führst und deine Gemeinde baust, bis du wiederkommst, du lieber, guter Herr! Amen!