Also, dann begrüße ich alle ganz herzlich zum heutigen Abend der Bibelschule über die Zeit der Reformation. Ich werde zu Beginn noch beten.
Vater im Himmel, vielen Dank für diesen Tag und auch für die Vorbilder aus der Reformationszeit. Wir bitten dich, dass du uns heute Abend Aufmerksamkeit schenkst – mir beim Reden und allen anderen beim Zuhören. Amen.
Wenn ich mich recht entsinne, waren wir beim letzten Mal bei Martin Luther. Ich glaube, wir hatten ihn auch schon vollständig besprochen. Ist das so richtig in meiner Erinnerung?
Das heißt, dann würden wir jetzt zu Zwingli kommen. Das hatte ich, glaube ich, auch so angekündigt. Ich suche jetzt nach eurer Zustimmung, weil zwischendurch immer wieder einige andere Lektionen dazwischen waren. Manchmal erinnere ich mich nicht mehr genau, wie weit wir gekommen sind. Bevor ich die Themen doppelt vortrage, was ja nicht im Sinne der Sache wäre, möchte ich das klären.
Ich habe ja in der Einleitung darauf hingewiesen, dass die Reformation verschiedene Gruppen hervorgebracht hat. Eine davon haben wir jetzt intensiver besprochen: die lutherische Kirche. Man spricht dabei auch häufig von der evangelischen Kirche. Evangelisch bedeutet hier nicht alles, was mit der Reformation zu tun hat, sondern insbesondere das Lutherische. Man sagt auch oft evangelisch-lutherisch.
Das ist uns am vertrautesten, weil diese Kirche in Deutschland am häufigsten vorkommt. Eigentlich nennt man die Kirchen der Reformation als Sammelbegriff die protestantischen Kirchen. Der Begriff kommt daher, dass sie im Reichstag von Augsburg gegen die Wiedereingliederung in die katholische Kirche protestiert haben.
Ein anderer Flügel dieser protestantischen Kirchen ist die reformierte Kirche. Die reformierte Kirche ist insbesondere in der Schweiz zuhause. Dort werden wir uns zwei Vertreter herausgreifen, nämlich die bekanntesten: Zwingli und Calvin.
Zwingli steht für die deutschsprachige Schweiz, Calvin für die französischsprachige Schweiz. Darüber hinaus war Calvin auch an anderen Orten wirksam, aber sein Wohnort und Hauptwirkungsort war Genf.
Frühe Jahre und humanistische Prägung Zwinglis
Hier ist ein Bild von Ulrich Zwingli, ursprünglich Huldreich Zwingli genannt. Zwingli stammt aus der Schweiz und studierte Theologie, und zwar in Basel und Wien.
Zu dieser Zeit gab es in der Schweiz noch keine Reformation. Allerdings gab es einige Vertreter des Humanismus, insbesondere in Basel. Dort wirkte Erasmus von Rotterdam, zusammen mit einigen seiner Schüler, bei denen Zwingli auch Unterricht nahm.
Der Humanismus ist eine Geistesbewegung, die während der Renaissance im 15. Jahrhundert entstand. Er betont die Antike, die Philosophie und die Freiheit des Menschen. Außerdem fordert der Humanismus dazu auf, zu den Quellen der Kultur, des Geistes und der Religion zurückzukehren. Im Bereich des Glaubens bedeutet das, zu den Quellen des Neuen Testaments zurückzukehren.
Erasmus von Rotterdam war es, der eine textkritische Edition des Neuen Testaments erstellte. Auf diese Edition stützte sich Martin Luther bei seiner Übersetzung, wie ich beim letzten Mal erwähnt habe.
Ulrich Zwingli wurde 1484 in Wildhaus in der Schweiz geboren. Er war damit etwa gleich alt wie Luther. Nach seinem Theologiestudium wurde er Pfarrer in Glarus und übte dieses Amt von 1506 bis 1516 aus.
1516 wurde er Leutpriester im Wallfahrtsort Maria Einsiedeln. Dieser Wallfahrtsort ist bis heute ein bedeutender katholischer Pilgerort, an dem besonders Maria verehrt wird, wie der Name schon sagt.
Die Bezeichnung „Leutpriester“ bedeutet nicht, dass er die Glocken läuten oder die Menschen läutern sollte, wie man vielleicht vermuten könnte. Vielmehr bezieht sich der Begriff auf die Menschen, also auf die Bevölkerung. Ein Leutpriester ist ein Priester, der sich besonders der Seelsorge der Menschen widmet.
Zu dieser Zeit war die Kirche in Maria Einsiedeln eine relativ wichtige Kirche in der Schweiz. Zwingli war dort bis 1518 tätig. Er war zu diesem Zeitpunkt noch etwas humanistisch geprägt, aber noch nicht offen für die Reformation.
Zwinglis Wirken in Zürich und erste reformatorische Impulse
Im Jahr 1518 wird er als Pfarrer am Grossmünster in Zürich berufen. Das Grossmünster ist damals die Hauptkirche in Zürich. Es befindet sich auch heute noch mitten in der Stadt. Dort ist eine Gedenktafel an Zwingli eingelassen.
Hier ist ein älteres Bild, das zeigt, wie es damals ausgesehen hat. Man sieht die Limmat, den Fluss, der aus dem Zürichsee herausfließt. Damals gab es hier eine Holzbrücke. Dahinter steht die Hauptkirche, das Grossmünster. Zürich ist überschaubar, und man erkennt die Stadtmauer, die die Stadt umgibt.
Zwingli ist ganz in der Nähe tätig, in einem Pfarrhaus, in das er auch einzieht. Dort ist er für die Menschen und die Seelsorge zuständig. Nebenbei erfüllt er die Aufgabe als Feldprediger. Das bedeutet, er zieht mit der Armee in die Schlacht und betreut die Soldaten seelsorgerisch.
Noch ist er zu dieser Zeit Humanist. Doch ab 1518 kommt er mit der Reformation in Berührung, die gerade erst beginnt. Luther hatte seine reformatorischen Erkenntnisse kurz vorher, und die 95 Thesen wurden erst 1517 veröffentlicht. Im Jahr 1518 nimmt Zwingli Kontakt mit diesen Ideen auf.
Anfangs entwickelt er eine relativ eigenständige Form der Reformation. Deshalb wird er nicht als Lutheraner bezeichnet. Seine Bewegung steht besonders in engem Zusammenhang mit dem sozialen Wandel in der Schweiz.
In Deutschland liegt die wesentliche Macht bei den Landesfürsten. Zwar gibt es einen Kaiser, doch dieser ist auf das Wohlwollen der einzelnen Landesfürsten angewiesen. In der Schweiz dagegen liegt die Macht bei den Kantonen. Die Landkantone bestehen aus einer Gruppe von Männern, die dort abstimmen. In den Städten entscheidet der Stadtrat.
Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit blühen die Städte besonders durch den Handel auf. Sie entwickeln ein neues Selbstbewusstsein. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die unabhängige geistliche Entwicklung in den Schweizer Städten.
Auffällig ist, dass sich die Reformation in der Schweiz fast ausschließlich in den Städten vollzieht. Das Land bleibt katholisch. Daraus entstehen verschiedene Konflikte, sogar Kriege zwischen den Land- und den Stadtkantonen.
Bis heute sind überwiegend die Schweizer Städte evangelisch. Dazu gehören Bern, Basel, Zürich, St. Gallen und Schaffhausen. Diese Städte sind reformiert. Die Landkantone sind katholisch geblieben.
Man kann sagen, dass ein sozialer, wirtschaftlicher und politischer Hintergrund diese Entwicklung begünstigt hat.
Zwinglis öffentliche Rolle und gesellschaftliche Herausforderungen
Eine der Fragen, die sich damals in Zürich stellte, war die des Reislaufens. Zwingli trat erstmals so richtig in der Öffentlichkeit hervor, und zwar im Streit über das Reislaufen.
Hier könnte man sich fragen: Was ist denn eigentlich Reislaufen? Hatten die Kontakte nach China und importierten Reis oder so? Nein, das hat nichts mit Reis zu tun. Es hat vielmehr mit „Reisen“ zu tun, aber nicht im Sinne von Urlaub. Gemeint ist hier ein Brauch, bei dem sich viele junge Schweizer Männer anwerben ließen, um als Soldaten für ausländische Mächte zu dienen.
Zu dieser Zeit war die Landwirtschaft in der Schweiz erschwert. Nicht alle konnten dort überleben, deshalb suchten viele junge Männer ihr Auskommen anderswo. So ließen sie sich bei verschiedenen Herrschern in ganz Europa anwerben. Reste davon kennt man bis heute in der sogenannten Schweizergarde, die der Papst hat. Diese Garde besteht ursprünglich aus Schweizer Söldnern. Heute kämpfen sie nicht mehr, sondern erfüllen eher eine dekorative Funktion. Allerdings wurde mir von jemandem vor Ort gesagt, dass sie tatsächlich noch eine Sicherheitsaufgabe haben.
Die Schweizergarde rekrutiert sich ausschließlich aus dem Landkanton, also den katholischen Kantonen, da die Soldaten katholisch sein müssen. Damals war die Trennung zwischen den Konfessionen allerdings nicht so streng.
Nun stellt sich die Frage: Warum war Zwingli gegen das Reislaufen? Er äußerte sich dagegen, und dabei werden politische und religiöse Anliegen deutlich. Warum wohl? Als Wanderprediger hat er wahrscheinlich einiges gesehen. Er wusste, dass das, was die Söldner dort taten, nicht mit christlichen Überzeugungen vereinbar war.
Einen Krieg geistlich zu verteidigen, etwa einen Verteidigungskrieg, ist eine Sache. Wenn man sagt, man kämpft, weil man angegriffen wird und seine Heimat verteidigen will, ist das verständlich. Doch einfach nur zum Geldverdienen zu kämpfen, ist geistlich problematisch.
Darüber hinaus hatte das Reislaufen auch negative Auswirkungen auf das eigene Land. Vor allem gingen die jungen, kräftigen Männer verloren, die eigentlich für Handel, Handwerk und andere Tätigkeiten gebraucht wurden.
Viele von ihnen kehrten gar nicht zurück oder nur als Invalide. Diese mussten vom Staat unterstützt werden. Diejenigen, die gesund zurückkamen, waren oft noch schlimmer. Sie hatten auf dem Schlachtfeld Grausamkeiten erlebt, waren brutal und herzlos geworden, hatten keinen Anstand mehr und verfügten oft über relativ viel Geld. Dadurch verführten sie die Jugend, dasselbe zu tun.
Von denen, die auf dem Schlachtfeld grausam starben, hörte man nichts mehr – sie tauchten einfach nicht wieder auf.
Es gab also nur eine scheinbar positive Werbung für die Jugend: Man sagte ihnen, sie sollten in die Schlacht ziehen, zwanzig Jahre dienen, dann würden sie reich zurückkehren. Im Vergleich dazu wäre ein Leben auf dem Acker eher unattraktiv. Die jungen Männer entschieden sich also für den Krieg.
Dass von zehn, die loszogen, vielleicht nur einer zurückkam, wurde dabei nicht bedacht.
Deshalb wandte sich Zwingli gegen das Reislaufen. Er konnte durchsetzen, dass es in der Schweiz, insbesondere in Zürich, aufhört.
Im Jahr 1520 verzichtete Zwingli auch auf seine kirchlichen Gelder. Bis dahin war er von der katholischen Kirche bezahlt worden. Dieser Schritt zeigt, dass es in der Zeit von 1518 bis 1520 einen inneren Wandel bei ihm gegeben haben muss. Dies war bereits eine Auswirkung seiner neuen Orientierung.
Konflikte und Durchbrüche in der Zürcher Reformation
In der Zürcher Reformationsgeschichte gibt es ein weiteres Ereignis von großer Bedeutung, nämlich das Zürcher Wurstessen. Dabei haben sie sozusagen Würste gegrillt. Man fragt sich vielleicht, was das mit der Reformation zu tun hat. Es gibt ja schon seltsame Sachen wie den Leutpriester und das Reislaufen, und nun das Wurstessen. Dabei geht es wirklich um Würste. Ob es sich um Schwein- oder Rinderwürste handelte, ist nicht überliefert.
Zwingli trifft sich mit einigen Anhängern und brät Würste, während sie das Fenster öffnen. Das Besondere daran ist der Zeitpunkt: Das Wurstessen findet kurz vor Ostern statt. Nach katholischer Lehre ist die Fastenzeit vor Ostern, und der Verzehr von Würsten ist streng verboten. Dieses Wurstessen ist also eine bewusste Provokation. Zwingli überschreitet absichtlich die katholischen Regeln, und die Leute sollen das mitbekommen.
Im Grunde geht es dabei nicht um die Würste selbst. Es entbrennt eine Diskussion darüber, inwieweit die von der katholischen Kirche aufgestellten Regeln für Christen verpflichtend sind. Genau das will Zwingli erreichen. Er wird angeklagt und verfasst daraufhin eine Schrift über die Freiheit der Speisen. Darin macht er deutlich, dass jeder fasten kann, wenn er möchte, aber dass man das Fasten nicht zu einer religiösen Vorschrift machen darf, denn das steht so nicht in der Bibel.
Im Januar 1523 kommt es zur ersten Zürcher Disputation. Zu diesem Anlass verfasst Zwingli 67 Artikel, in denen er die Missstände der katholischen Kirche anprangert. Dazu gehören unter anderem die Fastenregeln. Eingeladen wird auch der Bischof von Konstanz, der damals für Zürich zuständig ist. Konstanz war der Bischofssitz, und Zürich war diesem untergeordnet.
Der Bischof meint jedoch, er müsse sich nicht persönlich mit Zwingli befassen, da dieser nur ein einfacher Priester sei, der gehorsam sein solle. Deshalb schickt er seinen Generalvikar Johann Faber, der die Diskussion führen soll. Beide erscheinen vor dem Rat der Stadt, der entscheiden soll. Der Generalvikar pocht auf seine Autorität und betont, dass er von der katholischen Kirche eingesetzt wurde und dass der Bischof die Regeln festgelegt hat. Er fragt, was Zwingli überhaupt sagen wolle.
Zwingli argumentiert vernünftig und einsichtig. Er versucht mit Bibelversen zu belegen, dass solche Regeln nicht aufgestellt werden dürfen. Am Ende kann man raten, wie der Rat der Stadt entscheidet: Er gibt Zwingli Recht. Das liegt einerseits an seinen guten Argumenten, andererseits daran, dass der Rat genervt ist von dem überheblichen Vertreter des katholischen Bischofs.
Zu diesem Zeitpunkt sind im Rat der Stadt erfolgreiche Handelsherren vertreten, die Verbindungen nach Italien und Deutschland haben und wichtige Entscheidungen treffen. Sie haben den Eindruck, nicht mehr ernst genommen zu werden. Das trägt wahrscheinlich dazu bei, dass sie Zwingli eine gewisse Sympathie entgegenbringen. Er sagt ihnen, sie könnten selbst entscheiden und müssten sich nicht vom Bischof vorschreiben lassen, was sie glauben und tun sollen. Sie sollen in die Bibel schauen, dort sind die Argumente.
So ist es nicht nur Reformeifer, sondern auch der Wunsch nach Selbstbestimmung und Ablehnung von Bevormundung. Die erste Zürcher Disputation markiert den Bruch mit der katholischen Kirche. Dieser Bruch hat bei Zwingli schon privat stattgefunden, wird nun aber öffentlich und vom Parlament der Stadt Zürich vollzogen.
Danach kommt es, ähnlich wie in Wittenberg, zu einem Bildersturm in den Zürcher Kirchen. Einige seiner Mitarbeiter wollen es radikal angehen, ähnlich wie Karlstadt in Wittenberg. Zwingli, ähnlich wie Luther, wendet sich dagegen. Das ist verständlich, denn diejenigen, die weiter denken, sehen, dass zu starke revolutionäre Tendenzen Angst auslösen können und die Reform nicht vorankommt. Die Menschen sind zudem an den Ablauf der katholischen Messe gewöhnt.
Meistens sind es die Jungen, die im Generationenkonflikt über das Ziel hinausschießen. Deshalb ruft Zwingli sie zurück. Er ist dafür, dass die Kirchen von Gegenständen wie heiligen Figuren und Reliquien gereinigt werden, aber das soll geordnet geschehen. Die Gemälde sollen nicht zerstört, sondern in ein Museum überführt werden. Dort gelten sie als Kunstwerke und dürfen erhalten bleiben.
Es folgt eine zweite Zürcher Disputation, bei der Zwingli seine Thesen erneut vorstellt und die radikalen Reformer ebenfalls ihre Position vertreten. Auch hier entscheidet man sich für die Reform Zwinglis, also für eine behutsame, langsame, aber kontinuierliche Reform.
Unter anderem wird nun die Lehre von der Transsubstantiation abgelehnt. Das bedeutet, die Verwandlung des Abendmahls in Fleisch und Blut Jesu wird abgelehnt. Ebenso wird die Regel verworfen, dass der Kelch nur vom Priester getrunken werden darf. Der Kelch soll auch der Gemeinde zugänglich sein.
Nach und nach verschwinden Orgeln, Kirchengesang, Altäre, Prozessionen, Reliquien, Bilder, Firmung, letzte Ölung und weitere typisch katholische Elemente aus der Kirche. Diese werden behutsam beseitigt, und dafür wird ein neuer evangelischer beziehungsweise reformierter Gottesdienst aufgebaut.
Auch das Schulwesen wird neu organisiert, und die Leibeigenschaft wird abgeschafft. Das Evangelium soll in Zürich auch zu einer Reform der Gesellschaft beitragen. Das ist in Deutschland anders. Dort trennt Luther bewusst die religiöse Reformation von politischen und sozialen Verhältnissen.
In der Schweiz ist das anders, sowohl bei Zwingli als auch bei Calvin. Das liegt sicher daran, dass hier eine andere Instanz entscheidet. Die Bürger profitieren von den Veränderungen und haben das Sagen. In Deutschland entscheiden die Fürsten. Diese werden kaum bereit sein, sich selbst überflüssig zu machen, die Monarchie abzuschaffen und die Leibeigenschaft zu beenden.
Das heißt, hier geht es auch um Privilegien. In Deutschland ist die Zeit dafür nicht reif. In den Städten dagegen, wo eine gewisse Demokratisierung bereits eingesetzt hat, können solche Reformen umgesetzt werden.
Spannungen mit radikalen Reformatoren und gesellschaftliche Konsequenzen
Dann gibt es eine weitere Trennung, nämlich Luthers und Zwinglis Abgrenzung von den radikalen Reformatoren, wie ich bereits erwähnt habe, unter anderem von den Täufern. Diese werden wir noch etwas näher besprechen. Deren Führer ist Konrad Grebel. Grebel wendet sich gegen die politische Macht der Ratsherren. Er greift auch Zwingli an und sagt, dieser sei nur halbherzig. Man müsse eigentlich eine Freiwilligkeitskirche nach biblischem Muster einrichten und auch die Glaubenstaufe praktizieren.
Das war für die Menschen damals allerdings zu viel. Die meisten gingen nicht mit, viele konnten sich das auch gar nicht vorstellen, weil man manche Dinge in Zweifel zog. Aber die Kindertaufe? Wo gab es denn so etwas, dass das in Frage gestellt wurde? Das ging doch gar nicht.
Es kam zu einer Disputation vor dem Zürcher Stadtrat. Zwingli trat für die Kindertaufe und für die Volkskirche ein. Der Stadtrat entschied sich für seine Position, die der Täufer wurde abgelehnt und als illegal erklärt. Das lag nicht nur daran, dass man sagte, Zwingli habe prinzipiell Recht, sondern auch daran, dass Zwingli es schaffte, den Rat der Stadt aufgrund biblischer Argumente zu überzeugen.
Heute sieht die Situation vielleicht anders aus, aber damals war die normale Gewohnheit auf Seiten Zwinglis, sodass die Leute sowieso eher zu seiner Position tendierten. Man musste schon sehr gute Argumente bringen, und scheinbar hatten die Täufer nicht so gute Argumente.
Calvin konnte dann einige Argumente anführen, die wir bis heute kennen. Er ließ sich selbst taufen und auch sein ganzes Haus zum Beispiel. Oder er sagte: „Lasset die Kindlein zu mir kommen.“ Außerdem verglich er im Römerbrief die Taufe mit der Beschneidung und stellte fest, dass die Beschneidung auch für alle, auch schon für Kinder, galt und nicht erst später. All diese Dinge werden bis heute in der lutherischen und der reformierten Kirche vertreten.
Darüber hinaus war es damals unvorstellbar, freiwillig zu erklären, Christ zu sein. Es mussten doch alle Christen sein! Wie konnte es sein, dass in einer Stadt Leute plötzlich sagten, sie seien nicht mehr Christen? Das ging doch gar nicht! Denn alle Gesetze seien von Gott erlassen, und sie seien nach der Bibel. Da müsse man doch Christ sein.
Für die Menschen damals war es unvorstellbar, dass jemand erklären könnte, er könne aus diesem Gesellschaftsvertrag aussteigen. Gott regiere doch über den Staat. Und wenn Gott über den Staat regiert, dann müsse man sich dem unterwerfen. Wer sich unterwirft, ist Christ.
Das ist heute schwer vorstellbar. Diese Menschen würden wahrscheinlich über unsere Konzeption den Kopf schütteln und sagen: Was für verrückte Sachen macht ihr? Ihr verbietet mit dem Gesetz, dass die Leute nicht stehlen sollen und sich Gottes Gebote unterwerfen. Aber die sind doch gar keine Christen. Wie geht das?
Eine gewisse mangelnde Logik liegt auch darin, wenn man unser Grundgesetz anschaut, das im Namen Gottes steht, und sieht, dass ein Großteil der Leute sich gar nicht für Gott interessiert. Was hat dann das Grundgesetz für sie zu sagen? Das ist eine echte Frage. In der Konsequenz plädieren viele immer mehr dafür, diesen Bezug zu streichen.
Hier merkt man einfach, dass ein anderes Gesellschaftskonzept dahintersteht. Das führte dazu, dass sich die Täufer in dieser Zeit 1525 von der Reformation lösten und eine eigene Kirche gründeten, eine eigene Freiwilligkeitsgemeinde.
Weil das vorher verhandelt und für illegal erklärt worden war, galten sie als Gesetzesbrecher. Hier flossen religiöse und weltliche Gesetze noch ineinander, sie waren also noch nicht getrennt. Wer sich gegen religiös festgelegte Ordnungen wandte, war gleichzeitig ein Übertreter des weltlichen Gesetzes. Deshalb wurden sie eingesperrt, verwarnt und schließlich getötet, weil sie nicht bereit waren, umzukehren.
Das ist eine Sache, die wir heute als problematisch ansehen. Vor dem damaligen Verständnis von Recht und Ordnung konnten sie gar nicht anders reagieren. Nach ihrer Auffassung konnte ja jeder Sektierer kommen und seine Lehre vertreten und die armen Schäfchen in der Gemeinde irreführen. Wenn der Rat der Stadt entschieden hatte, galt das, und man musste sich danach richten.
Man kann das so sehen, als ob in einer Gemeinde plötzlich jemand auftreten würde, der lehrt, die Kinder müssten getauft werden, obwohl man das nicht will. Was macht man dann? Man ermahnt die Person: Nein, das darfst du nicht. Wenn sie das aber immer weiter tut und sogar anfängt, die Säuglinge zu taufen, ohne dass sie sich bekehrt haben, was macht man dann?
In einer normalen Gemeinde würde Gemeindezucht praktiziert werden: die Person wird ausgeschlossen. Genau so reagierten sie damals auch. Nur ging der Rausschmiss nicht aus der Gemeinde, weil die Gemeinde gleichzeitig die Stadt war. Die Stadt war die Gemeinschaft der Menschen, die dort lebten. Man konnte also nur aus dem Leben geworfen werden.
Damit war man gleichzeitig aus der Gemeinde ausgeschlossen. Man hatte zudem den Vorteil, dass man das Heil der anderen gerettet hatte, denn diese konnten jetzt nicht mehr verführt werden. Das war die Perspektive des Staates.
Diese Ertränkungen fanden in der Limmat statt. Die Täufer wurden von Soldaten festgenommen, vor einem öffentlichen Gericht verurteilt und dann öffentlich ertränkt. Das war nicht von der Kirche veranlasst. Zwingli ging ja nicht selbst hin und schleppte sie ins Wasser. Die Hinrichtungen wurden vom Staat durchgeführt.
Der Staat sah sich als Hüter religiöser Ordnungen und sagte: Wir müssen dafür sorgen, dass die Ordnung Gottes eingehalten wird. Zu den Ordnungen Gottes gehört: Du sollst nicht töten. Dazu gehört aber auch, dass man bestimmte Lehren nicht vertreten darf und nicht dagegen handeln soll.
So wie im Alten Testament diejenigen, die zur Götzenanbetung verführten, getötet werden sollten, so sollten auch diejenigen, die nach damaliger Auffassung Irrlehre vertraten, bestraft werden.
Das nur zur kurzen Erklärung: Die Gemeindezucht lag nicht in den Händen der Prediger, sondern in den Händen des Stadtrates. Dieser hatte die Möglichkeit, solche weitreichenden Entscheidungen zu treffen. Man konnte nicht irgendeinem Priester die Entscheidung überlassen, wer aus der Stadt ausgewiesen oder getötet werden sollte. Das durfte nur die politische Instanz entscheiden, die also über Kirchen- und Gemeindezucht wachte.
Es gab dann Widerstand in der Schweiz gegen diese Reformation, insbesondere in den Nachbarkantonen Uri und Schwyz. Diese schlossen sich zusammen, um gegen Zürich vorzugehen.
So entstand eine Koalition einiger Schweizer Städte, zu denen bereits die reformierten Basel, Bern, St. Gallen, Schaffhausen und Glarus gehörten. Diese wandten sich 1529 gegen die katholischen Kantone.
Im selben Jahr legte Zwingli auch eine eigene Bibelübersetzung vor, die sogenannte Zürcher Bibelübersetzung. Diese wurde vor zwei oder drei Jahren neu revidiert und gilt als eine relativ gute Bibelübersetzung.
Soweit ich mich erinnere, lag Zwingli damit zeitlich sogar vor Luthers Übersetzung. Luther hatte Anfang der Zwanzigerjahre das Neue Testament übersetzt, das war lange vorher, aber seine gesamte Bibel erschien erst Anfang der Dreißigerjahre. Für das Alte Testament hatte er sich ein paar Jahre länger Zeit gelassen.
Zwingli machte das Ganze etwas schneller und schuf eine deutsche Übersetzung für die Schweiz.
Darüber hinaus trafen sich die Pfarrer regelmäßig, um sich über biblische Bücher auszutauschen. Dabei gaben sie auch eine Kommentarreihe heraus, die bis heute immer wieder neu überarbeitet wird und in der Schweiz nach wie vor publiziert wird.
Natürlich nicht mehr mit der Auslegung Zwinglis, sondern mit heutigen reformierten Theologen. Diese Reihe wird vom reformierten Verlag Zürich herausgegeben und heißt „Prophezei“. Das soll bedeuten: eine von Gott geleitete Auslegung der Bibel.
Theologische Besonderheiten und Konflikte mit Luther
Zwingli betonte, ähnlich wie Calvin und in gewisser Weise auch Luther, die Prädestination. Er geht sogar so weit zu sagen, dass die Sünde von Gott gewollt sei, um dadurch seine große Güte und Gerechtigkeit umso deutlicher den Menschen, der ganzen Welt und dem Universum zeigen zu können. Diese Auffassung spielte eine wichtige Rolle.
Zwingli nahm auch gemeinsam mit Luther an den Marburger Religionsgesprächen 1529 teil. Dabei ging es um das Abendmahl. Hier konnten sich Luther und Zwingli nicht einigen. Zwingli vertrat eine rein symbolische Bedeutung des Abendmahls. Man erinnert sich daran, dass Jesus für die Christen gestorben ist. Luther hingegen vertrat die These der Realpräsenz. Für den, der daran glaubt, ist es tatsächlich Fleisch und Blut Jesu.
Heute merkt man, dass diese Diskussion bei uns fast vergessen ist. Es fällt schwer, diese feinen Unterschiede überhaupt nachzuvollziehen. Die meisten Freikirchen vertreten eher die zwinglianische, also die reformierte Auffassung, wie sie von Calvin und Zwingli vertreten wird, dass das Abendmahl symbolisch ist. Die lutherische Auffassung wird unter Freikirchen wenig vertreten. Dabei ist es sicherlich eine gewisse Herausforderung, denn irgendwie scheint es ja doch mehr zu sein als nur ein ganz normales Essen. Das Abendmahl wird ja auch deshalb besonders hervorgehoben.
Luther wirkt auf viele Freikirchler doch schon wieder zu katholisch. Das ist dann schon der halbe Schritt zur Transsubstantiationslehre. Wahrscheinlich befinden sich Freikirchen irgendwo dazwischen, sind sich aber häufig nicht bewusst, wie genau sie das interpretieren. Wenn man nachfragt, würden die meisten wahrscheinlich eher sagen, dass es symbolisch sei. Sie wüssten gar nicht genau, was da wirklich passiert.
Zuerst würden die meisten wohl sagen: symbolisch. Doch wenn man etwas nachfragt und ein paar Bibelstellen nennt, würden sie sagen: Ja, ganz so einfach ist es nun doch nicht. Zum Beispiel sagt Jesus: „Das ist mein Leib.“ Wenn wir bibeltreu sein wollen, steht dort zunächst: „Das ist.“ Nun kann man sagen, das bedeutet, das bedeutet, das heißt, das bedeutet. Aber da steht nicht „das bedeutet“. Jesus sagt nicht: „Das ist ein Symbol“, sondern er sagt: „Das ist.“
Das ist schon problematisch. Was machen wir da? Warum ist dann das harte Urteil über diejenigen, die das Abendmahl nicht vom normalen Essen unterscheiden, so streng, dass einige sogar gestorben sind, weil sie es nicht unterschieden haben? Das deutet doch darauf hin, dass es irgendwie mehr ist als nur eine Erinnerung. Denn bei einer Erinnerung erinnert man sich halt daran. Aber warum wird das so hart von Gott bestraft? Da zeigt sich, dass offenbar etwas mehr dahintersteckt. Dieses Mehr ist jedoch nicht leicht zu fassen.
Jedenfalls konnten sich die beiden nicht einigen, und so entstand hier erneut eine Trennung.
Militärische Konflikte und Zwinglis Tod
Der erste Kappeler Krieg, den ich erwähnt habe, fand 1529 statt und endete mit einem Landfrieden. Die Evangelischen hatten zu diesem Zeitpunkt noch die Möglichkeit, ihren Glauben weiter zu verbreiten. Allerdings wurden die Zürcher Reformatoren politisch von einigen ihrer Verbündeten, insbesondere vom starken Stadtstaat Bern, im Stich gelassen.
Die katholischen Kantone sahen nun ihre Chance und zogen kurze Zeit später wieder gegen die Zürcher. Diese waren noch nicht vollständig vorbereitet und erholt von der ersten kriegerischen Auseinandersetzung. Sie konnten lediglich zwei Mann in Gang setzen, die auf eine Gegenmacht von acht Soldaten stießen. In Albis, knapp vor der Stadt Zürich, kam es zum Aufeinandertreffen, bei dem die evangelisch-reformierten Truppen kaum eine Chance hatten.
Zwingli war als Feldprediger mit unterwegs – also nicht als Kämpfer, sondern in geistlicher Funktion. Er wurde in diesem Krieg ermordet. Einige Wochen später starb auch Öko Lampart, der Reformator von Basel. Damit erlitt die Reformation in der Schweiz Anfang der 1530er Jahre einen schweren Einschnitt. Wesentliche Vertreter, nämlich Zwingli aus Zürich und Lampart aus Basel, waren plötzlich tot, und zudem hatten die Reformierten eine militärische Niederlage erlitten.
Es dauerte eine Weile, bis sich die Bewegung davon erholte. Heinrich Bullinger, der Nachfolger Zwinglis, verfasste das zweite helvetische Bekenntnis. Dieses ist bis heute das Glaubensbekenntnis der reformierten Kirchen in der Schweiz und stellt das theologische Erbe dieser Zeit dar.
Die Reformierten schienen zunächst verloren zu haben. Doch als die Berner plötzlich erschraken, weil sie fürchteten, selbst bald angegriffen zu werden, sammelten sich alle reformierten Städte der Schweiz und stellten plötzlich 25 Soldaten auf die Beine. Damit waren sie den katholischen Kräften wieder überlegen. Die Katholiken, die dachten, sie hätten die Oberhand, wurden besiegt. So endete der Konflikt in einem Patt.
Im zweiten Kappeler Frieden von 1531 konnte die Reformation weiter verbreitet werden.
Hier noch ein Bild von der damaligen Amtswohnung Zwinglis, ganz in der Nähe der Kirche. Außerdem sieht man einige Unterschriften der Reformatoren. Diese sind zwar schwer lesbar, aber hier steht Huldrych Zwingli mit seiner Unterschrift. Daneben sind weitere Unterschriften zu sehen. Diese stammen von den Marburger Religionsgesprächen, an denen einige der wichtigsten Reformatoren jener Zeit teilnahmen.
Ich habe hier noch ein weiteres Bild aus der Zeit der Reformation. Was kann man darauf erkennen? Es sieht so aus, als würden Personen gesteinigt werden. Tatsächlich sind hier vier Personen zu sehen, die jeweils einen dicken Stein in der Hand halten.
Wer sind die Personen unten? Es könnten katholische Kirchenvertreter sein. Hinweise darauf sind die Kleidung: Eine Person trägt eine Bischofsmütze, eine andere eine Mönchskutte. Am Boden liegt eine Urkunde mit vielen Siegeln, vermutlich ein Ablassbrief. Diese Personen werden gesteinigt.
Auf den Steinen stehen Namen: Johannes, Matthäus, Lukas. Markus fehlt, was die Frage aufwirft, warum eine Person noch einen Stein hält. Es gibt ja nur diese vier Evangelien. Möglicherweise steht der Stein für andere biblische Bücher.
Das Bild soll symbolisch ausdrücken, dass die Lehre der katholischen Kirche mit der Bibel widerlegt und „zerstört“ wird – im Bild durch das Steinewerfen. Schon damals versuchte man, Überzeugungen auch in bildlicher Form zu verbreiten. Dies machte die Botschaft plastischer und half den Menschen, sich besser hineinzuversetzen.
So weit zur Reformation Zwinglis. Ich werde gleich mit Calvin weitermachen, es sei denn, es gibt noch Fragen, die wir klären sollten.
Gedenkstätten und Erinnerungsorte der Reformation in der Schweiz
Gibt es da irgendwelche heiligen Stätten, an denen die Reformatoren gewirkt haben? Ja, der wichtigste Gedenkort für die Reformation in der Schweiz befindet sich in Genf. Darauf komme ich gleich noch zurück. Leider habe ich das Bild dazu gerade nicht dabei.
In Genf gibt es nämlich das Reformationsdenkmal, eine große Mauer, an der die Personen in Stein dargestellt sind – überlebensgroß. Das ist der Hauptgedenkort für die Reformation in der Schweiz.
In Zürich gab es auch ein Grabmal, das allerdings heute, glaube ich, nicht mehr bekannt ist. Es handelt sich um das Grabmal von Zwingli. Außerdem gibt es einzelne Orte, an denen er tätig war, zum Beispiel ein bestimmtes Haus, das man sehen kann, wenn man durch Zürich geht. Auch das Grossmünster steht noch, natürlich ist es inzwischen umgebaut, aber es ist immerhin schon fünf- bis vierhundert Jahre alt.
Es gibt also einzelne wichtige Orte der Reformation, die man heute noch besichtigen kann.
Gut, dann komme ich jetzt zu Calvin. Mal sehen, ob ich hier die passenden Bilder habe. Ich glaube, das sind nicht die richtigen Bilder, aber das geht auch ohne Bilder. Genau, das sind nicht die richtigen. Dann eben nicht.
Calvins Herkunft und Ausbildung
Calvin ist der jüngste der drei heute bekanntesten Reformatoren, wenn man Luther, Zwingli und Calvin zusammenzählt. In diesem Jahr feiert er seinen 500. Geburtstag, das heißt, er wurde 1509 geboren. Damit ist er etwa eine ganze Generation jünger als die anderen beiden.
Er wurde als zweiter von vier Söhnen in Noyon geboren, etwa hundert Kilometer nordöstlich von Paris, in der Region Picardie. Viele kennen die Normandie, die westlich von der Bretagne liegt; östlich davon befindet sich die Picardie, also Nordfrankreich.
Calvins Vater war Gerichtsschreiber und eine Art Finanzbeamter des örtlichen Bischofs. Seine Mutter war eine fromme Frau. Calvin berichtet, dass er häufig mit seiner Mutter in Kirchen mitgenommen wurde, wo er vor Altären von Heiligen mitbetete. Sie nahm ihn auch zu Prozessionen mit, sodass er von ihr in die katholische Frömmigkeit eingeführt wurde.
Sein Vater plante früh für ihn eine geistliche Laufbahn, was auch daran lag, dass er gute Verbindungen zur Kirche hatte. Dies war damals ein karriereträchtiger Weg. Mit zwölf Jahren erhielt Calvin die Tonsur, das Zeichen dafür, dass er der Kirche angehörte. Zudem bekam er Kaplaneien, also ein kirchliches Amt, das mit einer gewissen Geldzahlung verbunden war.
In der Hauptkirche von Noyon gab es einen Altar, der einem Heiligen geweiht war. Alle Einnahmen, die an diesem Altar gespendet wurden, erhielt Calvin für seine theologische Ausbildung. Zunächst musste er noch nichts dafür tun, erst später, wenn er Priester geworden wäre, hätte er auch geistliche Dienste leisten müssen.
Calvin besuchte zunächst eine Art Grundschule in Noyon. Danach kam er an die Universität in Paris, genauer gesagt an das Collège Montaigu. Dieses war damals Teil der Pariser Universität, der sogenannten Sorbonne. Man darf sich die Universität damals nicht als ein großes Gebäude mit Hörsälen vorstellen, sondern als eine Ansammlung verschiedener Studienhäuser, so genannter Colleges. Dort wohnten Professoren und Studenten, und dort wurde gelehrt und gelebt.
Das Collège Montaigu war eines der bekanntesten Colleges. Interessanterweise war Erasmus von Rotterdam, der bedeutendste Humanist der damaligen Zeit, ebenfalls dort. Direkt nachdem Calvin die Schule verließ, begann dort Ignatius von Loyola seine Ausbildung.
Ignatius von Loyola war der Gründer der Jesuiten, eines Ordens, der eine wichtige Rolle in der Gegenreformation spielte. Die Jesuiten kämpften in Europa gegen die evangelischen Protestanten und waren außerhalb Europas sehr missionarisch aktiv, zum Beispiel in Südamerika, Indien, China und Japan.
Das Collège Montaigu war also eine Art Eliteschule, an der wichtige Persönlichkeiten ausgebildet wurden. Erasmus von Rotterdam beschrieb die Bedingungen dort allerdings als sehr mühsam: Es gab Läuse, Ratten und Mäuse, kaum Essen, es war ständig zugig und nicht beheizt. Viele Studenten kamen mit körperlichen Schäden aus der Schule heraus. Die Schule galt als sehr konservativ, das heißt, sie bewahrte die katholisch-mittelalterliche Theologie und förderte keine Reformbestrebungen.
Calvin machte dort sein Magisteratrium, eine Art Grundstudium, vergleichbar mit dem heutigen Bachelorabschluss. Dieses Grundstudium war Voraussetzung für ein Fachstudium, das eigentlich Theologie sein sollte. Doch da sich Calvins Vater zwischenzeitlich mit dem örtlichen Bischof überworfen hatte, verbot er ihm das Theologiestudium und ordnete an, Jura zu studieren.
Calvin ging deshalb nach Lyon in Südfrankreich und studierte dort bei Pierre Lestoyle, einem der bekanntesten französischen Rechtsgelehrten. Er schloss sein Studium als Lizenziat der Jurisprudenz ab, was etwa dem heutigen Masterabschluss entspricht.
In der Zwischenzeit starb sein Vater, sodass Calvin seinen eigenen Interessen nachgehen konnte. Er kehrte nach Paris zurück und studierte dort von 1535 bis 1538 Literatur und Philosophie. Während dieser Zeit kam er immer wieder mit evangelischen Gedanken in Berührung, die durch die Verbreitung der Schriften Luthers auch in Frankreich erste Ansätze der Reformation auslösten.
Calvin besuchte unter anderem Vorlesungen bei Mathurin Cordier, dem Begründer der protestantischen Pädagogik in Frankreich. Er erfuhr auch, dass der Augustinermönch Jean Vallier der Ketzerei verdächtigt und hingerichtet worden war.
Außerdem hörte er von den Visionen Marguerites, der Schwester des Königs, die träumte, dass die Rechtfertigung vor Gott allein aus dem Glauben geschieht. Obwohl sie katholisch blieb, verbreitete sie diese reformatorischen Gedanken. Die Reformation wurde damals breit diskutiert, sodass Calvin davon Kenntnis haben musste.
Er erfuhr auch von öffentlichen Prozessen gegen Evangelische, die hingerichtet wurden, etwa 1525 in Metz der Wollkämmer und Leihenprediger Jean Leclerc oder 1526 Jacques Pavin in Meaux. An der Universität Paris gab es immer wieder öffentliche Diskussionen zur Reformation, an denen Calvin beteiligt war.
In Orléans studierte Calvin bei Professor Melchior Wolmar aus Deutschland Griechisch. Wolmar war ein bedeutender Vertreter der Reformation in Frankreich. Zudem hörte Calvin bei dem Humanisten Lefebvre d’Establisse, einem der bekanntesten Professoren Frankreichs, der einen Kommentar zum Römerbrief schrieb und zu denselben Schlüssen wie Luther kam: die Rettung geschieht allein aus Glauben. Lefebvre blieb jedoch lebenslang in der katholischen Kirche und versuchte, diese Erkenntnisse dort umzusetzen.
Calvin wurde an verschiedenen Orten mit reformierten Gedanken konfrontiert. Wann genau seine Bekehrung stattfand, ist nicht bekannt, sie muss aber vor 1533 erfolgt sein. Denn in diesem Jahr tritt Calvin erstmals öffentlich in Fragen der Reformation hervor.
Ein Freund von ihm, Professor für Medizin an der Universität, Nikolas Kopp, wurde zum Rektor der Pariser Universität gewählt. Üblicherweise hält der Rektor eine Antrittsrede vor Professoren und Studenten. Kopp bereitete eine Rede vor, in der er reformierte Ideen vertrat und die katholische Kirche öffentlich kritisierte. Das führte zu einem Sturm der Entrüstung.
Man nahm Kopp nicht sofort fest, doch einen Tag später beschloss das Pariser Parlament, ihn und weitere Beteiligte festzusetzen. Ein Kopfgeld wurde auf sie ausgesetzt, und man wollte sie einsperren, egal ob Professor oder nicht.
In dieser Zeit kam heraus, dass Calvin an der Rektoratsrede mitgewirkt hatte. Daraufhin wurde auch auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt. Um nicht gefasst zu werden, flohen beide aus der Stadt. Es wird berichtet, dass Calvin dramatisch entkam: Während die Gendarmen an der Vordertür klopften, seilte er sich aus einem Hinterfenster ab und verschwand.
Calvin selbst beschreibt seine Bekehrung einige Jahre später in einem Vorwort zu seinem Kommentar zu den Psalmen. Er schreibt:
"So sehr ich mich aus Gehorsam gegen des Vaters Bemühungen dem Rechtsstudium getreulich nachzugehen, so hatte doch Gott durch seine geheime Vorsehung meinem Leben eine andere Richtung gegeben. Erst war ich dem Aberglauben des Papsttums so hartnäckig ergeben, dass es nicht einfach war, mich aus diesem tiefen Abgrund herauszuziehen. Aber durch eine plötzliche Bekehrung hat Gott mein Herz, das für mein Alter schon sehr verhärtet war, zum Gehorsam unterworfen. Und als ich auf diese Weise einigen Geschmack an der wahren Frömmigkeit bekommen hatte, entflammte ich zu solchem Eifer, darin weiterzukommen, dass ich die anderen Studien zwar nicht beiseite schob, mich aber doch ihnen noch immer mehr und nicht mehr mit derselben Energie widmete. Noch kein Jahr war vergangen, da kamen alle, die begierig nach der reinen Lehre waren, zu mir, dem Neuling und Anfänger, um von mir gelehrt zu werden."
Diese Beschreibung zeigt, dass seine Bekehrung in dieser Zeit stattfand. Calvin legte nie großen Wert auf seine Person, weshalb er nie viel darüber publizierte oder sprach. Erst Jahre später erwähnte er sie im Zusammenhang mit den Psalmen, wo er beschreibt, wie Gott das Herz berührt und Menschen zur Umkehr führt.
Deutlich wird, dass er sich zunächst als streng katholisch ansah – durch Erziehung, Ausbildung und universitäre Prägung. Erst im Kontakt mit Anhängern der Reformation griff Gott offenbar ein. Calvin betont, dass es keine langsame Veränderung war, sondern eine plötzliche Bekehrung, die ihn dazu brachte, sich intensiv mit der Bibel zu beschäftigen.
Das war für ihn kein Problem, denn er konnte Griechisch und Hebräisch, die er an der Universität gelernt hatte, und konnte die Schriften selbst lesen. Seine intensive Auseinandersetzung mit der Bibel ist typisch für ihn.
Calvin gilt unter den Reformatoren als der typische Gelehrte und Intellektuelle, der sich intensiv mit den theologischen Ideen auseinandersetzte. Luther widmete sich ebenfalls viel dem Studium, aber Calvin war besonders wissenschaftlich geprägt.
Es gibt Berichte aus der Zeit der Hugenotten, wie die Evangelischen in Frankreich genannt wurden, dass Calvin bereits begann zu predigen und in Versammlungen aufzutreten. Er hatte Kontakt mit Briconet, dem damals bekanntesten Evangelisten oder Prediger in Frankreich.
Briconet war eine Zeit lang sogar Bischof, vom König ernannt, trotz seiner reformierten Ideen – oder vielleicht gerade deshalb. Der französische König wollte ein Gegengewicht zur rein katholischen Sorbonne schaffen und gründete eine Alternativuniversität, das Collège Royal, heute Collège de France. Dort wurde Briconet als Professor eingesetzt, um evangelische Ideen zu vertreten, ohne direkt evangelisch zu sein – also katholisch, aber mit reformatorischen Gedanken.