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An Pfingsten ist es geistreich und hilfreich, die Geschichte des Heiligen Geistes zu bedenken, nämlich den hochfahrenden Menschengeist, den niederfahrenden Gottesgeist und den fortfahrenden Jesusgeist. - Predigt an Pfingstmontag aus der Stiftskirche Stuttgart


Ich gehe zur Pfingsttagung. Ich reise zum Pfingsttreffen. Ich bin auf der Pfingstkonferenz. So wird dem Pfarrer vor Pfingsten vermeldet und der fragt sich angesichts dieser pfingstlichen Mobilmachung: Wird es außer diesen tagenden, treffenden und konferierenden Christen auch noch ein paar häusliche Christen geben, die sich Zeit für einen schlichten Pfingstgottesdienst nehmen? Die pfarramtliche Predigtliteratur hat auch schon vorgewarnt: “Am Pfingstmontag wird nur eine kleine Gemeinde unter der Kanzel sitzen. Mehr als ein paar Treue können Sie nicht erwarten. Der Sog in die Natur ist übermächtig.” Nun gut, solche Stimmen könnten einem schon auf den Geist gehen, wenn man nicht wüsste: Der Heilige Geist weht, wo er will. Gewiss kann er eine Versammlung mit 2000 oder 3000 kräftig bewegen, aber auch wo nur 2 oder 3 versammelt sind, muss keiner von allen guten Geistern verlassen sein. Jeder kann und darf mit dem guten Geist Gottes rechnen, so wie wir es jetzt tun wollen, wenn wir die alttestamentliche Lektion auf den 2. Pfingsttag aufschlagen und in 1. Mose 11 lesen: Verse 1-9.

So wie die Krippe zu Weihnachten, das Kreuz zu Karfreitag und das Grab zu Ostern gehört, so gehört der Geist zu Pfingsten. Aber was ist dieser Geist? Was will dieser Geist? Woran sollen wir beim Geist denken?

Es ist nicht besonders geistreich, beim Geist an ein Schloss zu denken, in dem es seit Generationen nicht mit rechten Dingen zugeht. Schlag 12, pünktlich zur Geisterstunde, öffnet sich knarrend der Wandschrank und ein Totenskelett im Hemd macht die Runde. Auch der Mutigste verkriecht sich schlotternd im hintersten Eck seines Bettladens. Aber der Pfingstgeist ist kein unheimlicher Schlossgeist, der im morschen Weltgebäude einen grausigen Spuk veranstaltet. Pfingsten hat nichts mit Gespenstern zu tun.

Es ist auch nicht besonders hilfreich, beim Geist an einen Keller zu denken, in dem stapelweise die guten Tröpfchen liegen: Rheinwein und Moselwein und Neckarwein, auch der Zwetschgengeist und Kirschgeist darf natürlich nicht fehlen. Aber der Pfingstgeist ist kein fröhlicher Kellergeist, der einem gewaltig in den Kopf steigt. Pfingsten hat nichts mit Flaschen zu tun.

Es ist auch nicht besonders einfalls­reich, beim Geist an eine Hausapotheke zu denken, die für jedes Wehwehchen ein Trösterchen bereithält: In allen Fällen hilft zumeist, Klosterfrau Melissengeist. Aber der Pfingstgeist ist kein kräftiger Apothekergeist, der für alle Schmerzen gut ist. Pfingst­en hat nichts mit Hausmitteln zu tun.

Und es ist auch nicht besonders gedankenreich, beim Geist an den Wassermann zu denken, der endlich das New Age heraufführt. Ein neuer, weltumspannender Geist wird die alten Ungeister endgültig austreiben. Aber der Pfingstgeist ist kein nebulöser Weltgeist, der ein goldenes Zeitalter verspricht. Pfingsten hat nichts mit Esoterik zu tun.

Wohl ist es aber geistreich und hilfreich, auch einfallsreich und gedankenreich, bei diesem Geist an Gott zu denken und jene Geschichte des Geistes zu bedenken, die keine “unendliche Geschichte” ist, keine endlose Fabuliererei im Stile von Michael Ende, sondern einen Anfang und ein Ende hat. Wer dies tun will, und ich möchte dazu einladen, muss sich zuerst mit dem hochfahrenden Menschengeist befassen, dann mit dem niederfahrenden Gottesgeist und schließlich mit dem fortfahrenden Jesusgeist.

1. Der hochfahrende Menschengeist

Dass die Söhne Noahs damals von einem Wandergeist erfasst wurden, war nicht böse. “Wohlan, lasst uns nach Osten ziehen!” Mit Sack und Pack, mit Kind und Kegel zogen sie immer der aufgehenden Sonne nach. Morgens wurden die Zeltheringe herausgerissen und die Zeltplanen verpackt, und abends wurden die Zeltstöcke wieder aufgestellt und die Zeltdächer verspannt. Die noachitische Völkerwanderung, längst vor der dorischen und der germanischen, war im vollsten Gange. Der Wandergeist ist nicht böse.

Und dass die Sems und Hams und Jafets damals von einem Arbeitsgeist erfasst wurden, war auch nicht verwerflich. “Wohlan, lasst uns eine Stadt anlegen!” Mit Schaufel und Spaten, mit Ziegel und Erdharz zogen sie Mauern hoch. Die Erfindung von sonnengebrannten Kunststeinen im steinlosen Schwemmland war so gewaltig wie die Erfindung der Elektrizität oder des Automobils. Menschen sollen sich nicht auf die faule Haut legen und den lieben Gott einen gut­en Mann sein lassen, sondern sich regen und seinen Auftrag ernst nehmen: Füllet die Erde und machet sie euch untertan. Der Arbeitsgeist ist nicht verwerflich.

Und dass die Jebusiter und Amoriter und Girgaschiter damals von einem Opfergeist erfasst wurden, war erst recht nicht verächtlich. “Wohlan, lasst uns einen Turm bauen!” Mit Fleiß und Schweiß, mit Einsatz und Hingabe kletterten sie von Stufe zu Stufe. “Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not sich trennen und Gefahr.” Meckerer und Miesmacher hatten keine Chance mehr. Für Einheit und Gemeinschaft zu opfern, lohnt sich. Der Opfergeist ist nicht verächtlich.

Aber dann wurden sie auf einmal von einem Zeitgeist befallen, der ganz hoch hinauswollte: “Wohlan, lasst uns eine Spitze machen, die bis an den Himmel reicht!” Dann wurden sie von einem Fremdgeist befallen, der keine Grenze mehr respektieren wollte: “Wohlan, lasst uns einen Namen machen, der über alle Namen ist.” Dann wurden sie von einem Ungeist befallen, der sie größenwahnsinnig machte: “Wohlan, lasst uns Götter sein!”

Und dies geistert bis heute in unseren Köpfen herum. Die Geisteskrank­heit der Gigantitis ist uns nicht mehr auszutreiben. “Wenn es einen Gott gäbe, wie hielte ich es aus, kein Gott zu sein”, hat Nietzsche richtig diagnostiziert. Im Großen werden Trägeranlagen montiert, die unseren Machtanspruch bis in die Welt der Sterne tragen, werden Computeranlagen konstruiert, die unser Denk- und Rechenvermögen bis in unendliche Bereiche steigern, werden Erbanlagen manipuliert, die das makellose Baby aus der Retorte gewinnen. “Wohlan, lasst uns einen Menschen machen!” An uns soll man denken. Von uns soll man lernen. Über uns soll man reden. Wir machen nicht nur ein Spitze, wir sind spitze. Statthalter Gottes? O nein: selber Gott. Das ist der hochfahrende Menschengeist, der bei uns herumspukt. Schon längst wären wir daran elend zugrunde gegangen, wenn es nicht diesen andern gäbe, nämlich

2. den niederfahrenden Gottesgeist

Selbstverständlich hatten sie es im Himmel spitz bekommen, dass diese Prometheusburschen mit ein­er Turmspitze in ihre Domäne einbrechen wollten.

Aber dort macht sich kein überlegener Geist breit, der sich hoch über jene Himmelsstürmer erhebt. Ihr Wolkenkratzer war laut Ausgrabungsberichten ganze 91 Meter hoch geraten. Solche Meisterwerke können den Meister nun wirklich nicht kratzen. Dort machte sich auch kein spöttischer Geist breit, der sich über solche Bauvorhaben lustig macht. Diese Großhansen entpuppten sich ja als Wichtelmänner, die mit Bauklötzchen spielten. “Der im Himmel lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer.” Dieses Wissen des Psalmisten wäre auch eine Möglichkeit ge­wesen.

Dort machte sich auch kein zorniger Geist breit, der schon den Ansatz zur Hybris mit Stumpf und Stiel ausrottet. Ein Blitz­schlag genügte, um alles dem Erdboden gleichzumachen. “Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter, hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.”

Aber Gott sei Dank hören wir von einem niederfahrenden Geist Gottes. Davon leben wir, dass kein überlegener Geist uns überfährt, dass kein spöttischer Geist uns verlacht, dass kein zorniger Geist uns vernichtet, sondern dass ein väterlicher Geist niederfährt und uns ärmliche und erbärmliche Geister besucht, Während wir immer hoch hinauswollen, wird er immer wieder niedrig und gering, nimmt später Knechtsgestalt an und steigt hinab bis in das Reich des Todes.

Der niederfahrende Gott gleicht nicht jen­em griesgrämigen Großvater, der aus dem dritten Stock seinen Enkelkindern zuschaut, wie diese unten im Hof “Gärtles spielen”, und nichts Eiligeres tun konnte, als mit dem Lift hinunterzufahren und den Kleinen ihr Gärtchen mit seinen Schuhen zu zertreten. Der auf der Baustelle Erde erscheinende Herr gleicht vielmehr jenem weit­blickenden Baumeister, der einen sofortigen Baustopp verhängt, damit noch größerer Schaden abgewendet werden kann. In jedem gottlosen oder gottfeindlichen Unternehmen ist nämlich eine menschenfeindliche Zeitbombe versteckt, die früher oder später hochgeht. Er nimmt uns vor uns selber in Schutz. Mit der Sprachverwirrung sorgt dieser Herr dafür, dass bei uns die Bäume nicht bis in den Himmel wachsen. Mit der Verstreuung in alle Länder hilft dieser Herr dazu, dass wir nicht an unserer eigenen Überheblichkeit zu­grunde gehen. Mit dem Namen Babel macht dieser Herr deutlich, dass wir nicht alles dürfen, was wir können.

Josef, der zum Ernährungsminister und Vizekanzler des Pharaonenreichs aufgestiegene Hirtenbub von den Feldern Kanaans, sagte es zu seinen Brüdern so: “Ich bin ein Mensch unter Gott”. Das sollen wir auch sein, keine Aufsteiger, keine Überflieger, keine Halbgötter, sondern Menschen unter Gott, die alle von ihm die Grenzen und Kompetenzen haben und “in seinem Reich unter ihm leben und ihm dienen in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.”

Darauf zielt der niederfahrende Gottesgeist, der dann im Jahre Null sogar Fleisch geworden und in Jesus Christus als Bauhandwerker unter uns lebte. Er machte sich daran, die in alle Winde zerstreuten Menschen wieder zu sam­meln. Sein Ruf erschallte nach Osten und Westen, nach Süden und Norden: “Kommet her zu mir alle!” Das Holz des Kreuzes wurde zur Pfahlgründung und zum Dachgebälk seines Gemeindehauses, in das er Menschen aus allen Rassen und Klassen gerufen hat. Dieser Gemeinde­bau ist das Gegenstück des Turmbaus. Und an Himmelfahrt wurde dies­er Neubau wegen Weggang des Baumeisters nicht kurzerhand eingestellt. Es gibt seither, und das ist unser letzter Punkt, …

3. den fortfahrenden Jesusgeist

… den wir heute als Heiligen Geist bezeichnen, und der am Pfingstmorgen im Jahre 33 Parter und Meder, Elamiter und Kreter, Juden und Heiden zu einer Gemeinde zusammen­ geführt hat, und dies im Jahre 1987 am Pfingstmontag aus grundver­schiedenen Menschen wieder tun will. Er will uns befreien von unserem babylonischen Herzen, das so ehrsüchtig und machtsüchtig ist. Wir müssen doch nicht groß herauskommen, wenn er uns zu sein­en Söhnen und Töchtern adelt. Er will uns beschenken mit seiner Gemeinschaft, die nicht von Sympathie und Antipathie geprägt ist. Wir müssen nicht in unseren vier Wänden Trübsal blasen, wenn er die Tür öffnet und auf seine Leute zeigt. Er will uns vergeben durch seine Tat, die ihm das Leben gekostet hat. Wir müssen uns an unserer Schuldenlast nicht zu Tode schleppen, wenn er es auf seine Schultern packen will. Er will uns stärken mit seinem Wort, das tagtäglich in der Bibel nachgelesen werden kann und am Sonntagmorgen laut werden will. Wir müssen nicht vor allem Möglichen schwach werden, wenn er seinen Mund auftut. Und er will uns trösten mit dem Trost, den nur er geben kann. Wir müssen nicht trost­los unseres Weges ziehen und alles schwarz sehen, wenn er zusagt: “Ich will euch einen Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewig­keit.”

Gott will das Beste für uns, deshalb gibt er uns sein Bestes, den Heiligen Geist. Begeisterte und damit begeisternde Christen sind seit Pfingsten keine Illusion mehr.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]