Unser Predigttext steht in Markus 12,28-34.
Ein Schriftgelehrter sucht nach dem wichtigsten Gebot
Und es trat ein Schriftgelehrter zu Jesus, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Vorangegangen war das Gespräch mit den Sadduzäern, die eine religiöse Frage gestellt hatten. Sie sprachen über die Auferstehung und die sieben Ehen nacheinander, und fragten, wem man dann in der Ewigkeit gehört. Das brachte gewisse Probleme mit sich, worauf Jesus geantwortet hatte.
Dieser Schriftgelehrte hatte die Antwort Jesu gehört. Als er merkte, dass Jesus ihnen klug geantwortet hatte, fragte er Jesus: Welches ist das allerwichtigste Gebot?
Jesus antwortete ihm: Das wichtigste Gebot ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein. Dies ist das Schma Israel, das tägliche Gebet eines Israeliten. Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit all deinem Verstand und mit all deiner Kraft.
Das andere Gebot ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist wichtiger als diese beiden.
Der Schriftgelehrte sagte zu Jesus: Meister, du hast wahrhaftig Recht. Er ist Herr allein, und es gibt keinen anderen außer ihm. Ihn zu lieben mit ganzem Herzen, mit aller Einsicht und mit aller Kraft und seine Nächsten zu lieben wie sich selbst, das ist mehr wert als Brandopfer und Schlachtopfer.
Als Jesus sah, dass er verständig geantwortet hatte, sagte er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes.
Niemand wagte es, ihn noch weiter zu fragen.
Herr, hilf uns, dass wir nicht fernbleiben von deinem Reich, sondern dass wir hineingelangen. Amen.
Die Haltung des Schriftgelehrten und die Ermutigung zur Fragestellung
Ein Mann wird uns heute beschrieben, ein Mann, der Jesus eine Frage stellt. Lange Zeit habe ich auch gedacht, dieser Mann sei einer dieser üblichen, trickreichen Fallensteller. So steht es ja in der Berichterstattung des Matthäus: Er versuchte Jesus.
Wir kennen das aus vielen Diskussionen, dass jemand ein scheinbar unlösbares Problem vorbringt, um den anderen letztlich hereinzulegen. Doch es ist gut, dass Markus das auch noch erwähnt und erzählt. Er macht deutlich, dass dieser Schriftgelehrte kein solcher Fallensteller ist. Dieses Versuchen darf man nicht so verstehen, als ob er Jesus hereinlegen wollte. Vielmehr ist er ein Mann, der ganz vernünftig fragt, ein Mann, der wirklich wissen will und Jesus testen möchte.
Ob Jesus ihm nicht doch noch den Sinn des Lebens geben kann – das ist doch eine Ermutigung für uns heute Morgen. Man darf zu Jesus seine Fragen bringen. Wenn die unnützen, diese dümmlichen Fragen abgewiesen werden, so schafft Jesus gerade Raum dafür, dass die mit ihren ernsthaften Fragen kommen. Man kann all seine Probleme und ungelösten Dinge mit ihm durchsprechen.
Ich will Ihnen Mut machen: Nie ist Jesus abweisend. Er hat Zeit und setzt sich gerne mit Menschen auseinander, besonders mit denen, die wirklich nach Klarheit suchen und von innen heraus nach der Wahrheit fragen.
Darum gefällt mir dieser Mann, der uns heute Morgen eine Frage stellt: Was ist das Wichtigste?
Die Suche nach dem Wichtigsten und der richtige Ort zum Finden
Darauf gibt Jesus drei Antworten. Die erste betrifft den Ort, an dem man fündig wird, wenn man nach dem Wichtigsten sucht. Heute denken wir wieder viel an die Erdölsucher, weil Erdöl knapp geworden ist und eine seltene Ressource darstellt. Viele Menschen sind weltweit unterwegs und suchen danach.
Dabei bohren die Suchenden nicht einfach Quadratmeter um Quadratmeter des Erdbodens oder Meeresbodens ab. Stattdessen überlegen sie zuerst, wo sie am besten fündig werden können. Geologen werden befragt, um die vielversprechendsten Stellen zu bestimmen. Ein Beispiel dafür war gestern Abend ein Bericht unseres Doktors Schack, der als Geologe auch von der Wassersuche in Bolivien berichtete. Das Vorgehen ist ähnlich: Zunächst wird überlegt, wo überhaupt die Chance besteht, etwas zu finden. Es ist keine Zufallssache.
Von diesen Erdölsuchern können wir lernen, wenn wir nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit suchen – nach Antworten, die unserem Leben wirklich Gewicht und Sinn geben. Das ist kein Zufallsunternehmen, bei dem man hier und da herumtastet oder wie mit einer Stange im Nebel greift. Man muss wissen, wo man suchen muss, wo die Stelle ist, an der man finden kann.
In diesen Tagen lese ich einen Bericht des Chinakorrespondenten Herbert Krempp, der nach zwei Jahren Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurückkehrte. Er sagt, wenn man so zurückkommt, wundert man sich über die Leute. Erst von außen sieht man, wie sie wirklich sind. Sein Urteil war, dass die Menschen etwas dicker und pessimistischer geworden sind. Er beschreibt einen fortwährenden, einklagenden Ton, der ihn seit seiner Rückkehr aus China umgibt und verfolgt. Man hört ständig den Satz: „Auf nichts mehr könne man sich heute verlassen.“
Die Menschen fühlen sich unglücklich, obwohl sie viele Güter besitzen und einen hohen Lebensstandard haben. Letztlich haben sie nicht das gefunden, was das Leben wertvoll und wichtig macht. Dabei haben sie doch gesucht. Jeder von ihnen will das Leben haben und hat gesucht.
Besonders wichtig ist, dass viele Menschen auch in theologischen Fragen gesucht haben. Sie haben vielleicht die Bibel aufgeschlagen und durchgesehen, sind in Gottesdiensten gewesen, haben sich aber enttäuscht wieder abgewandt. Sie sagen, sie hätten nicht gefunden, was ihr Leben wertvoll und sinnvoll macht. Sie haben keine Antwort oder Klarheit bekommen, alles blieb verschwommen.
In diesem Zusammenhang ist mir dieser Mann ein Vorbild. Er hat den Mut, einfach Jesus zu fragen: „Was ist das Wichtigste?“ Das ist eine unglaubliche Konzentration. Er sagt: Jesus, ich will mich jetzt nicht über tausend und abertausend andere Dinge unterhalten. Ich will mich nur über das eine unterhalten, das für mein Leben von zentraler Bedeutung ist. Alles andere ist unwichtig. Die eine wichtige Sache, der springende Punkt – das will ich haben.
Ob uns das heute überhaupt noch bewusst ist? Oft beschäftigen wir uns mit Randfragen. Ich möchte Ihnen auch den Tipp geben: Wenn Sie mit ungläubigen Menschen reden, unterhalten Sie sich nicht über die Geheimnisse der Schöpfung der Welt oder über Fragen des ewigen Lebens. Haben Sie den Mut, Menschen immer zu sagen, dass es ein Wichtigstes gibt.
Die meisten Christen wissen das schon nicht mehr: Es gibt einen Punkt, von dem aus man alles andere begreifen kann. Wenn man diesen Punkt verstanden hat, wird einem das andere auch klar. Es gibt einen Schlüssel zum Verstehen. Hat man diesen Schlüssel, kommt man hinein und versteht plötzlich.
Was mir an diesem Mann so gefällt, ist, dass er einfach sagt: „Herr Jesus, rede nicht von diesem und jenem, rede von der Hauptsache. Die will ich wissen und haben.“ Und Jesus gefällt das. Er sagt nicht: „Du musst zuerst fünf Jahre einen Kurs bei mir besuchen und dann ganz still dabei sitzen.“ Nein, Jesus sagt, es gibt im christlichen Glauben eine Sache, die im Mittelpunkt steht. Diese muss man haben, und dann hat man alles.
Wer mit dem Verstehen anfangen will, muss dort beginnen. Ich möchte das unserer pessimistisch gewordenen Generation in Deutschland noch einmal sagen: Wenn wir evangelisieren und Mission treiben, dann soll das Wichtigste in den Mittelpunkt gestellt werden.
Meine große Sorge ist, dass viele Menschen von den komplizierten Erklärungen der Theologen abgeschreckt sind. Sie benutzen viele Sätze, viele fremde Worte, die man nicht versteht. Wenn Jesus im Neuen Testament spricht, ist alles ganz simpel, einfach, unkompliziert und direkt.
Das hat Jesus an vielen Stellen seiner Predigt immer wieder betont: Es ist nur eins nötig, nicht viele Dinge. Das eine muss man haben und kennen. Dieses eine soll im Mittelpunkt unserer Verkündigung stehen. Dieses eine soll unsere Gemeindearbeit antreiben. Dieses eine soll im Vordergrund stehen – unübersehbar, unaustauschbar!
Die zentrale Antwort: Gott lieben mit ganzem Herzen
Aber nun habe ich Sie lange auf die Folter gespannt und werde Sie fragen: Was ist das Eine?
Jesus zitiert dazu nur das Alte Testament: Gott lieben, Gott lieb haben. Diese Antwort zertrümmert Jesus wie ein Hammer. Gott lieben, wie eine Mutter ihr Baby liebt, wie jemand sein Schnuckischätzlein liebt.
„Lieben“ – das ist doch ein Wort, das jeder versteht. Jesus sagt: Wenn du fragst, was dein Leben sinnvoll macht, kann ich dir das mit einem Satz, mit zwei Worten sagen: Gott lieben. Ja, aber wirklich so lieben, ja, so lieben, über alle Dinge lieben.
Was sind diese Gespräche doch dumm, in denen man sich unterhält, ob es überhaupt einen Gott gibt. Oder wenn einer sagt, er glaube auch an Gott und fühle sich deshalb schon ganz religiös – das ist doch nichts. Jesus sagt, es geht doch darum, Gott zu lieben. Dass Gott da ist, ist kein Problem, das weiß jeder. Und wer es nicht weiß, der macht die Augen zu.
Aber Gott lieben! Und nun ist das für uns so furchtbar, wenn Jesus diese Antwort gibt: Gott lieben! Wir sagen vielleicht noch, ich kümmere mich um meine Familie, ich möchte danach trachten, mein Leben ordentlich zu führen. Aber wir haben das doch ausgeklammert: Gott lieben, Gott über alle Dinge lieben, dass er an der ersten Stelle unseres Lebens steht.
Wer kann das denn ertragen? Aber Jesus sagt, darin liegt doch der Sinn unseres Lebens. Wenn wir heute mit älteren Menschen sprechen, immer wieder auch bei Christen, kommt die Frage: Wozu? Wozu ist dieses Leben im Psychotum zum Beispiel noch sinnvoll? Ein alter Mensch, der liegt nur noch in seinem Bett. Wozu? Was ist das Leben da noch? Welchen Sinn hat es noch?
Er kann doch nicht mehr arbeiten, ist auf die Hilfe anderer angewiesen. Sie kennen doch diese Frage: Was macht da das Leben noch sinnvoll? Erst an dieser Randstelle können wir wirklich prüfen, was das Leben sinnvoll macht. Und da sagt Jesus immer, ob jung oder alt: Das Leben ist nur sinnvoll, wenn Gott geliebt wird.
Und das kann ein alter Mensch auch, wenn er nicht mehr arbeiten kann. Darum ist das Leben auch eines alten Menschen wertvoll. Und ein Behinderter, der kaum auf fünf zählen kann, der kann Gott lieben. Und darum ist sein Leben wertvoll, vielleicht noch wertvoller als unser Leben, das wir uns so viel darauf einbilden.
Darum steht er noch viel näher am Herzen Gottes. Jesus sagt, das Wichtigste vor allem anderem, was überhaupt eine Rolle spielen kann, ist lieben, Gott lieb haben.
Und wenn wir dann sagen: Aber es gibt doch noch so viele andere Dinge, die in unserem Leben wichtig sind – nein, nein, nein! Was ist deine Arbeit ohne Liebe zu Gott? Alles wird auf die Seite geschoben.
Ich möchte ein Bild wählen: Stellen Sie sich mal vor, eine Mutter würde ihr Baby nicht lieben, sondern sagen: Ich liebe doch die Windeln oder ich liebe doch die Schüleien von meinem Kind, aber das Kind selber, das ist mir nicht klar. Nein, das Äußere kann es doch nie sein.
Unsere Arbeit, die Natur, das alles sind doch nur Hülsen der Liebe Gottes, das ist nur die Umhüllung. Er will doch geliebt sein. Und umgekehrt müssen wir sagen: Nur wenn ich Gott liebe, dann bekomme ich von dort her einen neuen Zugang zu den anderen Dingen.
Dass Gott mir diese Natur schenkt, dann bekomme ich ein Verhältnis zu meiner Lebenszeit, zu meiner Lebenskraft. Dann bekomme ich einen Zugang zum Mitmenschen, den mir Gott in mein Leben hineinstellt. Dann kann ich doch lieben, weil Gott seine Hand über den hält.
Dann begreife ich, dass Gott mir auch Leben gibt. Das ist der Schlüssel zum sinnvollen Leben: Gott lieben, Gott lieben – das ist das, was er von uns fordert.
Man kann sagen: Ich liebe alles Mögliche, ich liebe die Musik, ich liebe die Kunst, ich liebe das Vergnügen, ich liebe das Gute, was Sie auch lieben. Aber ohne Liebe zu Gott bleibt dies alles leer. Sie hängen an Dingen, die sie nicht satt machen.
Und Paulus ging noch viel weiter und sagt: Und wenn sie ein edler Mensch sind und alle ihre Gaben den Armen geben, wenn sie ein Humanist werden und alles opfern, und wenn sie irgendwo ihr Leben im Dienst an den Elenden und Armen verschleißen und haben keine Liebe, sind sie nicht durch und durch von der Liebe Gottes durchdrungen, so ist nichts nütze, nichts nütze.
Also, das war zuerst die Frage: Wo muss man suchen? Jesus hat einen Punkt markiert und dann sagt er: In der Bibel steht es ganz klar, der Weg, wo man suchen muss nach dem Wichtigsten im Leben, wo man auf den Punkt kommt, wo man Sinn bekommt in seinem Leben.
Die ernüchternde Erkenntnis und die Herausforderung der Liebe
Das Zweite, was ich Ihnen sagen will, ist eine vernichtende Entdeckung, eine wirklich vernichtende Entdeckung.
Der Fragesteller war tief beeindruckt. Hätte er Jesus hereinlegen wollen, hätte er jetzt eine knifflige Diskussion begonnen. Das tat er aber nicht. Stattdessen gibt er Jesus Recht und sagt: „Ja, das stimmt.“ Er bestätigt, dass das, was Jesus sagt, richtig ist. Ein ganz aufrichtiger Mensch! An seiner Stelle hätte ich mich noch gewunden, versucht, mich herauszudrücken und gesagt: „Nein, nein, ob man das so einfach sagen kann? Ist das nicht oberflächlich oder einseitig?“ Doch der Mann ist großartig, dieser Schriftgelehrte. Er gibt Jesus Recht und sagt: „Ja, Herr, das ist mehr als Opfer, Brandopfer und Dankopfer. Wenn man wirklich Gott über alles liebt…“ Da sieht man, wie ehrlich er war, wie offen und gründlich.
Denn das, was Jesus gesagt hat, ist eigentlich eine vernichtende Sache. Wer von uns kann denn dann noch von Liebe sprechen? Manche reden ja noch so munter und heiter davon, dass die Liebe so wichtig sei. Doch sie wissen gar nicht, dass es ein Hammer ist, der uns zerschlägt. Gott lieben – da wird einem erst bewusst, dass wir maßlose Egoisten sind. Das ist ein dickes Ich, das ein Recht fordert. Man kann sich ja gar nicht in der Liebe verströmen, das geht einfach nicht. Wir sind Schuldner.
Was Jesus da sagt, kann ja nur einen verdammen und verurteilen. Da steht man da und sagt: „Herr, ich habe da gefehlt, ich bin nicht korrekt, ich kann da nicht vor dir bestehen.“ Dann habe ich das Lebensziel nicht gefunden und werde schuldig am Leben. Aber das hilft ja gar nicht. Deshalb wird das Lebensziel nicht jetzt ein bisschen anders oder geringer, sondern wir erreichen dieses Ziel ja gar nicht.
Jesus hat es extra in seinem Zitat noch richtiggestellt: Es geht nicht darum, dass man so ab und zu ein bisschen Sympathie entgegenbringt, sondern ihn liebt – von ganzem Herzen, umfassend. Wenn ich mein Herz prüfe, dann ist oft ein Aufruhr und ein Geist des Murrens in mir. Wenn man die tiefen Psychologen fragt, was in der Tiefe unserer Seele ruht, dann hört man: „Von ganzer Seele.“ Im Neuen Testament heißt es früher „von ganzer Seele“. Was ruht denn in der Tiefe unserer Seele an unheimlichen Aggressionen gegen Gott? Ich kann Gott doch gar nicht lieben, denn tief in uns steckt Beleidigtsein, Empfindsamkeit, Wehleidigkeit. Darum sind wir mit Gott im Kriegszustand und können ihn nicht von ganzem Gemüt lieben.
Wäre es anders, wäre der Alltag voll Sonnenschein, wenn wir Gott von ganzem Gemüt lieben könnten. Noch weiter ist klargestellt, dass diese Liebe zu Gott von mir gleichzeitig verlangt, dass ich erkenne: Um mich herum sind Menschen, denen auch die Liebe Gottes gilt. Wenn ich Gott liebe, dann liebe ich auch die, die er liebt. Dann liebe ich die Familie Gottes, den Bedrängten bei mir und sogar den, den ich sonst hasse und verachte.
„Um der Liebe Gottes willen“ legt er seine Hand auf den Nächsten und sagt damit, dass sie es richtig wissen sollen: Nächstenliebe kommt immer nur aus Gottesliebe. Sonst bleibt sie ein heroischer Spruch, hat aber nie ernsthafte Bedeutung. Warum soll ich meinen Nächsten lieben? Der einzige Grund, meinen Nächsten zu lieben, ist, weil Gott ihn liebt. Sonst müsste ich immer sagen: „Schaut ihn an, was für ein komischer Geselle er ist und wie gemein er mich behandelt.“ Aber um der Liebe Gottes willen ist der Nächste geliebt, und ich darf mich dieser Verantwortung nicht entziehen. Wir können uns nicht herauswinden.
Da stehen wir nun vor diesem Mann, vor diesem Schriftgelehrten, der sucht. Und plötzlich merken wir: Das geht ja gar nicht, das schaffe ich nicht. Was Jesus sagt, ist gar nicht zu erfüllen. Dieser Schriftgelehrte läuft weg, und Jesus sagt: „Du bist eigentlich ganz nah dran, aber stehst doch noch vor der Tür.“ Und wenn einer die größten Taten vollbringt, steht er immer noch vor der Tür und ist noch nicht drin.
Ich bewundere viele, die noch viel mehr Liebe haben als ich, und doch stehen sie auch nur vor der Tür und kommen nicht hinein ins Reich Gottes.
Der Weg zur Liebe: Jesus’ Liebe als Grundlage
Darum muss ich Ihnen zum dritten Mal sagen, was der einzig gangbare Weg ist. Das Wichtigste ist: Wie kommt man dahin? Da läuft dieser Mann weg und sagt: „Ja, dann ist ja alles für mich umsonst, dann komme ich nicht hinein.“ Warum hat er keine Augen? Vor ihm steht Jesus und liebt ihn – und liebt ihn, obwohl er ihn gar nicht lieben kann. Das ist doch das Evangelium.
Wenn Sie fragen, was das Wichtigste im Evangelium ist, dann ist es die Liebe Jesu. Das war genauso beim reichen Jüngling, der weglief und sagte, er könne nicht mit Jesus gehen. Jesus sah ihn an und liebte ihn – und wie er ihn liebte! Das hat Jesus jedes Mal getan, wenn er einen Menschen sah: Er liebte ihn so umfassend, noch viel wunderbarer, als eine Mutter ihr Kind liebt.
Wenn Sie sagen, „Mich liebt keiner“, dann leugnen Sie fortwährend einen Tatbestand, der in Ihrem Leben genau so erfahren werden kann: Jesus liebt Sie – und wie er Sie liebt! Obwohl Sie nie nach ihm gefragt haben, obwohl Sie ihn weggestoßen haben, liebt er Sie. Obwohl Sie ihn wieder mit Füßen getreten oder ihm ins Gesicht gespuckt haben und sagen, „Ich will doch deine Ordnungen, deine Gebote nicht“, liebt er Sie.
Diese Liebe geht so weit, dass wir die Liebe Gottes erst richtig erkennen, wenn wir auf sein Kreuz schauen. Wenn Sie fragen, warum ist denn der liebende Gott lieb? Weil er sich opfert für unser Leben und sich mitten hineinstellt, damit die Schuld meines Lebens getragen wird. Damit heute Vergebung bei mir ausgesprochen wird.
Da laufen so viele Menschen herum, die tragen fortwährend ihr zerbrochenes Leben mit sich und haben Schuld. Viel ist in ihrem Leben falsch gewesen, sie haben viel falsch gelebt. Und nun sind sie immer in der Flucht und wollen sich korrigieren, statt dass sie merken: Ich darf, ich liebe Jesus, mein zerbrochenes Leben jetzt niederlegen. Er vergibt und er heilt. Er hat mich lieb.
Eigentlich ist dann die Liebe zu Gott nur ein Echo der Liebe, die in mein Leben fällt. Das ist sehr merkwürdig mit der Liebe überhaupt. Warum lieben sich zwei Menschen? Jetzt rede ich mal wieder von der irdischen Liebe: Dass irgendjemand einen eben angeblinzelt hat und das dann erwidert wurde. Dann ist auf einmal etwas aufgewacht und lebendig geworden. Jemand sagt: „Die hat mich da plötzlich so angesehen“ – oder „Er hat mich so angesehen“ – und auf einmal ist da bei mir etwas in Bewegung gekommen. Dann habe ich da etwas entdeckt und gefunden.
Die Liebe zu Gott wächst doch immer nur aus der großen Liebe, die Gott mir schenkt. Eigentlich hätte das schon im Alten Testament erkannt werden müssen, wo Gott sein Volk getragen hat, durch das Meer geführt hat, den Weg gebahnt hat durch die Wüste. Aber sie waren blind dafür.
Wenn Sie Christ sein wollen, dann seien Sie ein Christ und wissen Sie, was das Wichtigste ist: dass Jesus Sie liebt. Er liebt Sie so mächtig und so stark, dass Sie sich nur dieser Liebe aussetzen brauchen. Ich habe den Mut, den Akzent so zu setzen, wie ihn Jesus gesetzt hat.
Jetzt brauchen Sie nicht an Gebote und an Pflichterfüllung zu denken, an das, was Sie tun müssen, oder wie Sie selber Ihr Leben herausführen aus manchen verschlungenen Wirren und Führungen, in denen Sie stehen. Ich rede zu Ihnen sehr konkret an dieser Stelle da, wo Ihr Leben gescheitert ist: Setzen Sie sich der Liebe Gottes aus und wissen Sie, Jesus liebt mich. Ich darf mein Leben ganz in seine Hand legen. Ich will nur wieder lieben, wie er mich geliebt hat.
Die Liebe als Grundlage für Taten und das Leben in der Gemeinschaft
Da war einmal Jesus, der im Haus der beiden Schwestern Maria und Martha eingekehrt war. Martha rannte herum, buk Pfannkuchen, holte Most aus dem Keller und deckte den Tisch. Sie war völlig in Schweiß gebadet, denn unten war es ein bisschen heißer als bei uns heute im Oktober.
Dann kam sie herein und sah, dass das liebe Schwesterlein Jesu zu seinen Füßen saß, mit ihrem frommen Augenaufschlag. Ja, Martha ärgerte sich über sie. Jesus, das ist doch Unsinn! Es gibt Christen, die sitzen bloß da und schauen dir verklärt in die Augen. Man muss doch etwas tun im Christenleben.
Jesus antwortete: „Eins ist Not, Martha.“ Und der, der zu meinen Füßen sitzt und sich lieben lässt, der kann später lieben. Maria wurde später eine Frau voller großer Taten. Die Taten folgen von alleine nach.
Wer das Herz voll hat, dem geht nicht nur der Mund über, sondern auch die Hand. Denn er ist glücklich, wenn er dieser kalten Welt etwas weitergeben darf: die unglaubliche Liebe, die er empfangen hat.
Ich will schließen mit einem Bild unserer menschlichen Liebe. Es gibt ja ganz wenige richtig glücklich verliebte Menschen. Das liegt einfach daran, dass viele gar nicht wissen, was Liebe ist. Liebe ist heute ein Partnervertrag geworden. Ich höre, dass junge Leute heute schon zum Notar gehen, bevor sie sich überhaupt verloben. Denn da wird schon die Altersicherung geregelt und wie man sich im Scheidungsfall verhält.
Das ist eine merkwürdige Liebe, bei der man das Auseinandergehen gleich wieder einprogrammiert. Ich denke an die wenigen, die noch wissen, was Liebe ist. Da sind zwei, die sich lieben. Und da sagt der eine zu seinem Lieblingsschatz an seinem Hochzeitstag: „Du darfst über mein Gehaltskonto verfügen, du bist mein Schatz. Ich gebe dir alles. Du darfst jederzeit mit meinem Auto fahren, es gehört dir.“
Das ist die völlige liebende Übergabe. Einer sagt: „Ich will nichts mehr für mich selber, ich gebe mich dir ganz in die Hand. Du darfst über mich verfügen. Ich will gar nichts mehr für mich behalten. Du kannst das viel besser, du kannst mir raten, du kannst mir sagen, was ich tun muss.“
Wenn Sie wissen wollen, was Liebe zu Jesus ist, dann genau das: die Übergabe des Lebens bis hin zum Schlüssel des Autos. „Herr Jesus, ich will es nicht mehr für mich haben, ich will es für dich haben. Mein ganzes Leben will ich nur noch mit dir leben. Du kannst am besten über mich bestimmen.“
Und dann ist es so: Wenn sich zwei Leute lieb haben, sagt der eine zum anderen: „Könntest du nicht heute noch dies für mich tun?“ Und der andere antwortet: „Für dich mache ich das doch gerne.“ Wenn man etwas für den anderen tun kann, ist das das Allerschönste.
Wenn man weiß, dass man dem anderen eine Freude machen darf – Jesus lieben und den Nächsten mit dazu, aus lauter Liebe, aus lauter Freude. Diese Liebe kann man nicht produzieren, sondern man kann nur still werden vor der Liebe, mit der Jesus einen liebt. Dann kann man still sitzen, sich bewegen lassen und sagen: „Er hat mich, den kalten Stein, ganz erweicht und hat mir seine Liebe wie mit Eimern ins Herz geschüttet.“
Das ist ein Strom geworden, der weiterfließt, auch wenn man sagt: „Ich fühle gar nichts.“ Und da will ich Sie einfach bitten: Setzen Sie sich dieser Liebe aus und verfolgen Sie, was Jesus alles für Sie schon getan hat. Dann werden Sie staunen, was in Ihrem Leben lebendig wird.
Das ist der einzig gangbare Weg: Nächstenliebe und das Leben der Tat sind mit eingeschlossen. Es kommt aus einer einzigen Quelle, aus der Jesusliebe. Dann kann ich Ihnen sagen, dass sich auch die Fragen Ihres Lebens lösen.
In der Bibel stehen Dinge, bei denen man nur noch den Atem anhalten kann: „Denen, die Gott lieben, müssen jetzt alle Dinge zum Besten dienen.“ Anderen nicht, die Gott nicht lieben. Aber denen, die Gott lieben, hat der Herr bereitet, „was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat“ (1. Korinther 2,9).
Lassen Sie sich lieben, damit Sie lieben können. Amen.