Warum Konfirmanden Fische werden sollen? Weil Fische ins Wasser sollen, aber nicht an den Haken gehören, sondern ins Netz. - Konfirmationspredigt in der Stuttgarter Stiftskirche


Alexamenos hat er geheißen, so wie du Annette oder Andreas oder Achim heißt. Bei uns hätte man ihn Alexander oder Alex genannt. Also reden wir auch von Alex.

Irgendwo im römischen Reich ist er als Sohn armer und verachteter Sklaven aufgewachsen. Wer ihm von diesem Jesus Christus erzählt hat, seine Eltern oder andere Leute, wissen wir nicht. Jedenfalls ist er zum Glauben gekommen und schämt sich nicht, auch in heidnischer Umgebung seinen Glauben zu bekennen, so wie im kaiserlichen Internat in Rom. Dort bekam er einen Freiplatz, weil er ein aufgeweckter und begabter Bursche war. Gleich am ersten Abend seines Einzugs ließ er sich von der übermütigen Rasselbande nicht abhalten, in irgendeiner Ecke des Schlafsaals seine Hände zu falten und stille Zeit zu halten. Prompt wurde er mit Kübel des Spotts übergossen: “Schaut euch diese Oma an.” Einer der Oberspötter tat sich besonders hervor und fragte: “Zu wem betest du überhaupt? Zu Venus, Jupiter oder Merkur?” “Zu Jesus”, antwortete Alex, “weißt du, zu Jesus, der in Bethlehem geboren und in Jerusalem gekreuzigt und …”. Weiter kam er gar nicht, weil der ganze Saal in schallendes Hohngelächter ausbrach: “Zu einem Verurteilten betest du? Zu einem Gekreuzigten? Zu einem Gehängten? Was für ein Witz!” Und am nächsten Morgen hatte er die Quittung. In die Wand hineingekratzt, heute noch auf dem Palatin in Rom zu besichtigen, ein Gekreuzigter mit dem Eselskopf, daneben ein Junge mit betenden Händen und darunter der Satz: “Alexamenos betet seinen Gott an!”. Alex hatte seinen Spitznamen weg: Esel.

Das war kein leichter Einstand in der Schule. Esel lässt sich keiner gerne schimpfen. Wenn er trotzdem bei der Stange blieb, so deshalb, weil er bei der Gemeinde geblieben ist. In freien Abendstunden stahl er sich davon, lief durch die Straßen der Stadt bis zu jenem geheimen Treppenabgang, wo ein ganz anderes Zeichen in die Wand hineingekratzt war: kein Esel, sondern ein Fisch. Der Fisch war das Geheimzeichen, denn das griechische Wort für Fisch “ichthys” ist die Abkürzung für “Jesus Christus, Sohn Gottes, Retter”. Der Fisch war das Wegzeichen, denn dort ging es hinunter in die Kata­komben, wo Christen heimlich in diesem Jesusnamen ihre Gottesdienste feierten. Der Fisch war das Lebenszeichen der Gemeinde Christi.

Alex gehörte dazu. Alex zählte dazu. Alex, der Esel, lebte im Zeichen des Fisches. Vielleicht hat er ein Fischzeichen an seine Mütze gemacht. Vielleicht hat er ein Fischzeichen an seinen Schul­sack gesteckt. Vielleicht hat er ein Fischzeichen auf sein Schreib­pult gemalt. Heute hätte er das Fischzeichen auf sein Mountainbike und morgen auf seinen Swatch-Car oder Mini-Mercedes geklebt. Alex, der Fisch.

Und weil Ihr auch solche Fische werden sollt, bedenkt folgende drei grundlegende Sätze:

1. Der Fisch gehört ins Wasser

Dort ist sein Element. Schau hinaus auf die Wiese. Viele Blumen und Blüten sind dort aufgegangen. Eine richtige Pracht ist das. Nun sag dem Fisch: “Leg dich auf die Wiese. Brich dir eine Blume und sei glücklich.” Oder schau hinein in den Wald. Kein Lärm stört die Stille. Eine richtige Erholung ist das. Nun sag dem Fisch: “Geh durch den Wald. Genieß die Stille und sei zufrieden.” Oder schau hinauf in die Luft. “Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.” Eine reine Freude ist das. Nun sag dem Fisch: “Flieg durch die Lüfte. *’Über den Wolken muss die Freiheit grenzenlos sein’*¹ und sei frei.”

Aber der Fisch gehört nicht auf die Wiese, in den Wald, in die Luft, sondern in den See. Der Fisch will nicht liegen, gehen oder fliegen, sondern schwimmen. Der Fisch muss im Wasser sein und der Mensch muss in Gott sein. Viele brechen sich eine Blume, eine Rose, eine Lilie, eine Orchidee, vielleicht nur ein Mauerblümchen, um glücklich zu werden, aber das große Glück finden sie nicht. Viele suchen die Stille, einen Waldspaziergang, einen Bergurlaub, einen Yogakurs, vielleicht nur ein stilles halbes Stündchen, um zufrieden zu werden, aber den großen Frieden finden sie nicht. Viele heben ab, mit Hasch, Heroin, Kokain, vielleicht nur mit Alkohol, um frei zu werden, aber die große Freiheit finden sie nicht. Der Mensch muss in Gott sein, denn “alle gute und alle vollkommene Gabe kommt von dem Vater”, sagt der Apostel.

So wie der Fisch alles, was er zu seinem Glück, zu seiner Zufriedenheit und zur Freiheit braucht, im Wasser findet, so findet der Mensch alles in seinem Gott. Zum Beispiel Liebe und nicht nur ein paar Streicheleinheiten eines Freundes, der aber auf Treue pfeift und sich ganz schnell in die Nächste verliebt. Oder zum Beispiel Freude und nicht nur ein paar Späßchen eines Showmasters, der Spaß versteht und schmidteinander² ein Millionenpublikum zum Lachen bringt. Oder zum Beispiel Hoffnung und nicht nur ein paar Sprüche eines Optimisten, der vorzeitig Entwarnung gibt und die Leute in Sicherheit wiegt. In Gott ist alles, Liebe, Freude, Hoffnung, auch Friede, Vergebung, Trost, deshalb muss der Mensch in Gott sein.

Für manche ist dieser Festtag der Schlusstag. Sie lassen sich nicht nur einsegnen, sondern aussegnen. Heute werden sie aus dem Unterricht hinausgeworfen. Liebe junge Freunde, ich will euch werfen, richtig werfen, weit werfen, aber nicht hinaus­werfen aus der Kirche, sondern hineinwerfen in Gott und seine Arme. Dort ist unser Element.

Der Fisch gehört ins Wasser.

2. Der Fisch gehört nicht an den Haken

Dort ist seine Gefahr. Am See taucht nämlich eine Gestalt auf. Jeder sieht, dass dies kein harmloser Wandersmann mit dem Spazierstock ist, der den Fischen zusieht, sondern ein geübter Sportsmann mit der Angelrute, der es auf die Fische abgesehen hat. Dieser Mann ist ein Angler. Fischfang ist sein Interesse. An dem gefangenen Aal, Barsch oder Karpfen hat er seinen Spaß. Natürlich weiß er, wie man das macht. Er fängt kein Liedchen an zu trällern: “Ihr Fischelein kommet, o kommet doch all!” Er stößt keinen Lockruf aus. Er erteilt kein Kommando: “Alle Fische raus aus dem Wasser und rein in den Eimer.” Fische werden nicht gerufen, sondern geködert. Deshalb hat er eine ganze Büchse voll verschiedener Köder, die je nach Lage der Dinge an der Angelschnur befestigt werden. Einmal versucht er es mit einem Blinker, dann mit der Fliege, dann mit der Mühlkop­pe oder dem Rotauge. Und jedesmal gerät der Fisch in höchste Versuchung. Er wird angelockt, umkreist den Köder, schnappt zu. Dann hängt er fest an der Angel. Dann ist er fest in der Hand des Anglers. Dann ist er verloren.

Der Fisch gehört nicht an den Haken. Dort ist seine Gefahr, auch für uns. Am See des Lebens taucht immer wieder eine Gestalt auf. Jeder sollte sehen, dass dies kein armer Teufel ist, der mit Pferdefuß den Fischen zusieht, sondern der raffinierte Satan, der es auf die Fische abgesehen hat. Der Teufel ist ein Angler. Menschenfang ist sein Interesse. An den gefangenen Mädchen und Buben und Frauen und Männern hat er seinen Spaß. Natürlich weiß er, wie man das macht. Der Teufel ködert. Deshalb hat er ein unerschöpfliches Arsenal von Dingen, die er uns vor die Nase hält. Bei Achan war es eine Stange Gold, bei Simson eine Frau, bei Ahab eine Königskrone, was ist es bei dir? Wo bist du besonders gefährdet? Wie angelt er dich aus dem Lebenssee? Mit einem schmutzigen Videoband, mit einem falschen Freund, mit einer üblen Clique? Der Versucher kennt uns bestens. Der Affe Gottes ist ein glänzender Psychologe. Deshalb wird jeder mit einer genau für ihn bestimmten Sache angelockt. Man umkreist sie in Gedanken, Tag und Nacht. Die Gefahr wird immer größer, und eines Tages schnappen wir zu. Im selben Augenblick hängen wir fest. Wir sind fest in der Hand des Anglers. Er mag uns noch etwas Leine geben und noch einige Züge erlauben. Aber dann schleu­dert er uns aus dem Lebenselement. Wir sind verloren. Lust, Begierde, Sünde, Tod, so bezeichnet der Apostel dieses schreckliche Geschehen. Dort ist unsere Gefahr.

Der Mensch gehört nicht an den Haken.

3. Der Mensch gehört aber ins Netz

Dort ist seine Rettung. Vor 14 Tagen stand ich wieder am Itzelberger See, der zu meiner früh­eren Gemeinde auf der Ostalb gehörte. Aber das Wasser war abgelass­en und das Becken leer. Am Rand lag ein toter Fisch. “Abfischen” heißt man diese Aktion. Da kommt der Fischereibesitzer, um die größer gewordenen Fische in einen andern See zu bringen. Er ruft sich Leute zusammen, um mit ihnen diese Arbeit zu tun. Dann ziehen sie ein großes Schleppnetz durch das Wasser und fischen die Tiere ein. Und wer sich nicht einfangen lässt oder durch die Maschen geht, ist kein freier Fisch, sondern ein gefundenes Fressen für die Fischreiher, die dort in den Bäumen hocken. Der Fisch im Netz ist gerettet.

Das ist wichtig zu wissen. Gott will nicht nur mit allen guten Gaben versorgen, sondern uns auch einen guten Ort besorgen, an dem wir ewig leben können. Deshalb kam er an Weihnachten zu uns. Er rief sich Leute zusammen, den Petrus, Andreas und Jakobus und Johannes und sagte: “Ich will euch zu Menschenfisch­ern machen.” Dann ließen sie ihre Sachen liegen und stehen. Dann packten sie bei dem Herrn mit an. Dann zogen sie miteinander ein großes Schleppnetz durch den Strom der Zeit. Weil sie nicht fertig wurden, langten andere zu. Immer wieder finden sich Leute, Handlanger bei Gottes letztem Abfischen zu spielen. Und Unzählige, die sich einfangen ließen, merkten: Der zieht uns richtig. Der zieht uns in die richtige Richtung. Der zieht uns ans richtige Ziel.

Alex lag mit seinem Zeichen richtig: Jesus Christus, Sohn Gottes, Retter.

Heute zieht er sein Netz durch diese Kirche. Willst du nur zusehen, wie andere gerettet werden? Willst du nur leicht gestreift werden, um ja deine Freiheit zu behalten? Willst du nur ein Stückchen mitgezogen werden, bis du dich selbst freigeschwommen hast? Oder willst du gar diesem Herrn durch die Maschen schlüpfen?

Der Apostel gratuliert dem, der Jesus ins Netz geht: Selig ist der, der ins Wasser, nicht an den Haken, aber ins Netz gehört. Wir übersetzen: “gratulations dem Fisch”.

Amen.


¹ aus dem Lied “Über den Wolken” von Reinhard Mey
² “Schmidteinander” war eine Satire- und Comedy-Sendung mit Harald Schmidt und Herbert Feuerstein