Ja, es ist mir eine große Freude, heute und auch in den nächsten Tagen bei euch zu sein. Herzlichen Dank an die Leiter der Gemeinde für die Einladung.
Es ist schön, dass ich auf diese Weise auch die FEG München Mitte kennenlernen kann und nicht nur die Pastoren. Wir sind Gott von Herzen dankbar für die Verbindung, die wir haben.
Ich bringe auch ganz herzliche Grüße aus der Arche mit, von den Gläubigen in Hamburg. Wir sind eins in Christus, und es ist so schön und ermutigend, das zu erleben – auch hier, in dieser Gemeinschaft mit euch.
Einführung in das Thema und den Predigttext
Wir nehmen unsere Bibel zur Hand und schlagen das Buch Nehemia auf. Heute Abend wollen wir Kapitel 1 betrachten. Die Überschrift dieser Predigt lautet: Nehemia, ein Mann mit großer Bürde.
Der Text aus Nehemia 1 lautet wie folgt:
Dies ist die Geschichte Nehemias, des Sohnes Hachaljas. Es geschah im Monat Kislev im zwanzigsten Jahr, dass ich in Susan, in der Königsburg, war. Da kam Hanani, einer meiner Brüder, mit einigen Männern aus Juda, und ich erkundigte mich bei ihm über die Juden, die Entkommenen, die nach der Gefangenschaft übrig geblieben waren, und über Jerusalem.
Sie sprachen zu mir: Die Übriggebliebenen, die nach der Gefangenschaft übrig geblieben sind, befinden sich dort in der Provinz in großem Unglück und in Schmach. Die Mauern Jerusalems sind niedergerissen und ihre Tore mit Feuer verbrannt.
Als ich diese Worte hörte, setzte ich mich hin und weinte. Ich trug Leid etliche Tage lang. Ich fastete und betete vor dem Gott des Himmels und sprach:
Ach Herr, du Gott des Himmels, du großer und furchtgebietender Gott, der den Bund und die Gnade denen bewahrt, die ihn lieben und seine Gebote halten: Lass doch deine Ohren aufmerken und deine Augen offen sein, dass du auf das Gebet deines Knechtes hörst, das ich nun vor dir bete, Tag und Nacht, für die Kinder Israels, deine Knechte.
Mit ihnen bekenne ich die Sünde der Kinder Israels, die wir an dir begangen haben. Auch ich und das Haus meines Vaters haben gesündigt. Wir haben sehr verwerflich gegen dich gehandelt, weil wir die Gebote, die Satzungen und Rechtsbestimmungen nicht befolgt haben, die du deinem Knecht Mose geboten hast.
Gedenke doch an das Wort, das du deinem Knecht Mose gegeben hast, indem du sprachst: Wenn ihr treulos handelt, so will ich euch unter die Völker zerstreuen. Kehrt ihr aber zu mir um und befolgt meine Gebote und tut sie, selbst wenn einige von euch bis ans Ende des Himmels verstossen wären, so würde ich sie doch von dort sammeln und sie an den Ort bringen, den ich erwählt habe, damit mein Name dort wohnen soll.
Sie sind ja doch deine Knechte und dein Volk, das du erlöst hast durch deine große Kraft und durch deine mächtige Hand. Ach Herr, lass doch dein Ohr aufmerksam sein auf das Gebet deines Knechtes und auf das Gebet deiner Knechte, die das Verlangen haben, deinen Namen zu fürchten.
Lass es doch deinem Knecht heute gelingen und gib ihm Barmherzigkeit vor diesem Mann. Ich war nämlich der Mundschenk des Königs. Amen.
Historischer Hintergrund und Nehemiahs Stellung am Hof
Nehemiah war Mundschenk des persischen Königs Artaxerxes. Zur Zeit, als Artaxerxes sich gerade in Susan aufhielt, der Winterresidenz der persischen Könige, besuchten ihn Hanani, Nehemiahs Bruder, und weitere Männer aus Juda.
Da Nehemiah selbst Jude war, interessierte er sich sehr für das, was in Jerusalem vor sich ging. Die Stadt lag etwa tausend Kilometer entfernt von ihm. Etwa hundertvierzig Jahre zuvor, im Jahr 586 v. Chr., wurde Jerusalem vom babylonischen König Nebukadnezar eingenommen und zerstört. In mehreren Deportationswellen wurden die Juden nach Babylon verschleppt.
Viele Jahre später erließ König Kyros einen Erlass, der den Juden erlaubte, nach Judäa zurückzukehren und den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Auch Ezra kehrte, wie wir im Buch Ezra lesen, zurück. Mit ihm wurde der Tempeldienst durch die Priester und Schriftgelehrten wieder aufgenommen. Es schien, als käme ein Stück weit Leben in die Stadt zurück.
Die zuvor siechende, niederliegende Stadt wurde wieder mit Menschen gefüllt, die dort Gott anbeten wollten. Dennoch war längst noch nicht alles in Ordnung. Die relativ kleine Schar der Juden, die zurückgekehrt war, lebte unter ständiger Bedrohung durch ihre Feinde und Widersacher, da sie keine Stadtmauer besaßen.
Nehemia wurde in Babylon geboren. Wie andere Juden vor ihm, etwa Daniel oder Esther, die sogar persische Königin wurde, stieg auch Nehemia am Königshof auf. Er war, wie wir im letzten Satz hörten, Mundschenk.
Man mag sagen, Mundschenk sei kein besonders begehrenswerter Job. Doch wir müssen wissen, dass ein Mundschenk des Königs ein sehr hohes Amt war. Er kostete das, was dem König serviert wurde, denn der König musste damit rechnen, dass Feinde ihm nach dem Leben trachteten und ihm Gift ins Getränk mischen könnten.
Es war eine Aufgabe, die das höchste Vertrauen des Königs erforderte. Der Mundschenk kostete den Wein vor und hatte nur mit wenigen anderen Zugang zum König. Er war also hoch geschätzt, und der König vertraute ihm voll und ganz.
Nehemiahs Reaktion auf die Nachricht aus Jerusalem
Nun kommt diese Delegation, und Nehemia fragt: Wie geht es? Wie geht es zu Hause? Was macht Jerusalem?
Die Antwort in Vers drei lautet: Sie sprachen zu mir, die Übriggebliebenen, die nach der Gefangenschaft zurückgekehrt sind, befinden sich dort in der Provinz in großem Unglück und in Schmach. Die Mauern Jerusalems sind niedergerissen, und ihre Tore sind mit Feuer verbrannt.
In diesem ersten Kapitel, so möchte ich es gliedern, sehen wir nun erstens Nehemias Bedrückung, zweitens Nehemias Trauer und drittens Nehemias Gebet.
Diese Nachricht bedrückte Nehemia sehr. Er war zwar in Babylon aufgewachsen und niemals in Jerusalem gewesen, doch hatte er denselben Geist in sich wie die jüdischen Exzellenten, die in Babylon verschleppt wurden. Sie trugen denselben Geist, als sie die Klage der Gefangenen zu Babel im Psalm 137 formulierten. Dort lesen wir:
„An den Strömen Babels saßen wir und weinten, wenn wir an Zion, an Jerusalem dachten. An den Weiden, die dort sind, hängten wir unsere Lauten auf, denn die uns dort gefangen hielten, forderten von uns, dass wir Lieder sängen, und unsere Peiniger verlangten, dass wir fröhlich seien. Singt uns eins von den Zionsliedern! Wie sollten wir ein Lied des Herrn singen auf fremdem Boden? Und dann: Vergesse ich dich, Jerusalem, so erlahme meine Rechte; meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich nicht an dich denke, wenn ich Jerusalem nicht über meine höchste Freude setze.“
Die Liebe zu Jerusalem war tief in den Herzen der Gläubigen verankert. Es war nämlich nicht irgendeine Stadt, sondern die Stadt, die Gott auserwählt hat, um seinen Namen dort selbst wohnen zu lassen. Es war der von Gott festgesetzte und festgeschriebene Ort, an dem Israel ihn anbeten sollte.
Im Tempel sollten Zeremonien durchgeführt werden, die Gegenwart Gottes gesucht und auch gefunden werden. Es war die Stadt, in der sich das Volk Gottes an ihrem Herrn erfreuen sollte.
In den Tagen Nehemias war es grundsätzlich notwendig, weil vom Himmel her vorgeschrieben, dass Gott in Jerusalem angebetet wurde. Das bedeutete, dass Jerusalem in einem Zustand sein musste, in dem Gott so geehrt werden konnte, wie es dem Allmächtigen gebührt.
Aber das war absolut nicht der Fall. Die Mauern waren nicht da, die Stadt war in Teilen zerstört. Und deswegen waren die Leute in großem Unglück und in Schmach, weil die Tore mit Feuer verbrannt waren.
Nun mag es verwundern, warum Nehemia wegen der zerstörten Stadtmauer ein so großes Aufheben macht. Doch ihm war klar, dass die Anbetung und Ehre Gottes auf dem Spiel standen. Das war das eine.
Das andere ist: Wir haben heute zu Stadtmauern nicht denselben Bezug wie die Menschen damals. Doch damals waren sie wichtiger als eine Armee. Ohne Mauern lag eine Stadt in den Händen ihrer Belagerer und Plünderer.
Eine Stadt ohne Mauer konnte ihre Angelegenheiten nicht regeln. Daher stammt auch das Wort aus den Sprüchen: „Wie eine Stadt mit niedergerissenen Mauern, so ist ein Mann, der seinen Geist nicht beherrscht.“
Solch ein Mann wird von jeder vorbeiziehenden Versuchung und jedem äußeren Einfluss zerstört, weil er nichts zu seiner Verteidigung aufweisen kann. So ging es Jerusalem.
Jerusalem war nicht in dem Zustand, wie es hätte sein sollen, damit Gott angemessen angebetet wird. Und Jerusalem war in Gefahr durch die Feinde, die sie umlagerten. Das bedrückte Nehemia sehr.
Nehemiahs tiefe Trauer und Anteilnahme
Dann sehen wir zweitens seine Trauer, Vers 4: „Und es geschah, als ich diese Worte hörte, da setzte ich mich hin und weinte und trug Leid etliche Tage lang.“
Ich finde es bemerkenswert, dass Nehemia aufgrund dieser Nachricht ein so großes Trauerempfinden verspürte. Er setzte sich hin, weinte und trug Leid – und das nicht nur für einen kurzen Moment, sondern etliche Tage.
Es war ja kein persönlicher Verlust, der ihm bekanntgegeben wurde. Es war nicht eine Todesnachricht aus seiner engsten Familie, bei der man sofort versteht: Klar, hier ist Trauer angesagt. So wie ich es am vergangenen Dienstag mit eigenen Augen gesehen habe, als wir den 14-jährigen Josef aus unserer Gemeinde zu Grabe getragen haben. Er starb an einem Tumor im Kopf.
Wenn du die Trauer der Eltern um ihren 14-jährigen Jungen siehst, dann ist da Trauer und Leid. Sie sind aus Eritrea zu uns gekommen, gehören seit einigen Jahren zu unserer Gemeinde und sie trauern auf ihre eritreische Weise mit Wehklagen. Es geht ihr durch und durch, und du sagst: Ja klar, da haben wir Grund zu trauern.
Aber Nehemia bekam nicht die Nachricht eines verstorbenen Kindes. Es war auch keine wirtschaftliche Not, kein Mangel, keine Entbehrung, die ihn bedrückte. Auch kein Unfall oder Krankheit war der Auslöser seiner Last.
„Als ich diese Worte hörte“, heißt es, „da setzte ich mich hin und weinte, ich trug Trauer und ich trug Leid.“ Was waren das für Worte? Das waren die Worte seiner Brüder, die die Drangsal und das Elend beschrieben, in der sich die Gemeinde in Jerusalem befand. Seine Brüder waren in Not und Gefahr.
Das sichere und luxuriöse Leben am Hof des Königs hat nicht seine Sinne vernebelt, so dass er nicht mehr wahrnahm, wie die Not seiner Mitgeschwister aussah. Nein, er erkannte: Die Gemeinde war verwüstet.
Solch eine Bürde, glaube ich, sollten auch wir für die Sache Gottes haben. Nichts ist wichtiger als der Zustand des Königreiches Gottes. Alle Gläubigen sollten eine Besorgnis für das Wohlergehen der Brüder und Schwestern haben und vor allem eine Besorgnis für die Anbetung Gottes in Jerusalem.
In unserer neutestamentlichen Zeit findet diese Anbetung nicht mehr im physischen Tempel Jerusalems statt, sondern im Neuen Bund formt die Gemeinde das Volk Gottes durch Christus zum Tempel.
Paulus schreibt in Epheser 2: „Wir sind Gottes Hausgenossen, auferbaut auf der Grundlage der Apostel und Propheten. Während Jesus Christus selbst der Eckstein ist, in dem der ganze Bau zusammengefügt wächst, zu einem heiligen Tempel im Herrn, in dem auch ihr miterbaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geist.“
Wir haben keine postalische Adresse mehr. Christus ist unser Tempel, und er baut uns ein in seinen heiligen Tempel. Die Gemeinde ist der Tempel Gottes, es ist ein geistlicher Bau. Wir haben Zutritt zum Vater durch Jesus, unseren Hohen Priester.
Nehemia hatte eine schwere Bürde für die Anbetung Gottes in Jerusalem. Heute ist der Ort der Anbetung nicht mehr eine Stadt, sondern die Gemeinde, die den Tempel formt.
Deswegen die Frage an uns heute Abend: Welche Bürde hast du? Welche Bürde habe ich für die Sache Gottes? Welche Last tragen wir für die Gemeinde des Herrn?
Die Bedeutung von Gebet in Nehemiahs Leben
Wir feiern heute Reformationstag und erinnern uns an erweckliche Zeiten. Die Reformationsbewegung hat unser Land geprägt. Dabei denken wir auch an die Aufbrüche, die sich im 18. Jahrhundert um Nikolaus Graf von Zinzendorf in Herrnhut in der Oberlausitz ereigneten. Diese Erweckungen waren eine Erweckungs- und Missionsbewegung, die aus dieser Region hervorging.
Wenn man heute nach Görlitz reist – dort gibt es eine assoziierte Gemeinde –, sieht man davon nur noch wenig oder gar nichts. Wir waren mit den Pastoren der Arche auf einer Klausur in Breklum. Kennt jemand von euch Breklum? Ein Hamburger meldet sich! Breklum liegt an der Nordseeküste, in Nordfriesland. Dort waren wir in einem Missionshaus der evangelischen Kirche, einem Gästehaus. In den Fluren hängen historische Fotos, die die Geschichte der Breklumer Mission zeigen.
Früher war Breklum ein lebendiges Missionszentrum. Von dort aus wurden viele Missionare mit dem Evangelium in die Welt ausgesandt. Hunderte Pastoren und Prediger wurden in Breklum ausgebildet. Das wusstet ihr sicher nicht, ich auch nicht, bis ich es sah. Heute werden dort Kurse zum Thema Gender angeboten, und es wird vegan und nachhaltig gegessen – das ist die Botschaft.
Über die Jahrhunderte gab es immer wieder Erweckungsbewegungen in Deutschland. Doch heute sind die Kirchen in unserem Land leer. Man kann sagen: Die Mauern Jerusalems sind zerstört. Nehemia hörte von der Zerstörung der heiligen Stadt. Die Sünde hatte triumphiert – die Sünde des Unglaubens, der Unmoral, der Blasphemie und der Überheblichkeit. Der Überrest litt, wurde verfolgt und angegriffen. „Wo ist der Gott Elias?“, spotteten die Feinde.
Wenn die Sache Gottes ermattet und dahinsiecht, wird es Zeit für aufrichtige Gotteskinder, zu weinen und zu beten. So ist das Buch Nehemia für uns eine Herausforderung. Wir sollten uns fragen: Wie geht es unserem Land? Wie geht es unseren Landstrichen? Ihr als FEG München Mitte tut das, indem ihr Gemeinden gründet, fördert und investiert. Dafür preisen wir den Herrn. Es ist gut, wenn wir gemeinsam alle am selben Strang ziehen.
Wie ist der Zustand der Gemeinden in unserem Land? Gibt es noch evangeliumszentrierte Gemeinden? Sind sie den Lehren der Gnade hingegeben? Ist das Volk Gottes in den Städten entmutigt? Nehemia hörte davon, und er trug Trauer. Das Dritte, was er tat, war, dass er betete. In Vers 4 heißt es: „Als ich diese Worte hörte, setzte ich mich hin, weinte und trug Leid etliche Tage lang. Ich fastete und betete vor dem Gott des Himmels.“
Manchmal verstecken wir uns hinter dem Gebet. In solchen Fällen wird Gebet zur Ausrede, obwohl Handeln gefragt ist. Wir werden Nehemia noch öfter beten sehen. Doch er war nicht jemand, der nicht auch tätig wurde. Das werden wir in den folgenden Kapiteln sehen, wenn er sich an die Arbeit macht und die Mauern wieder aufbaut. Er war ein wirklicher Leiter und ein Organisationstalent.
Aber in dieser Situation war alles, was er tun konnte, zu beten. Er wurde nicht kopflos aktiv, sattelte nicht sofort sein Pferd und ritt los. Dann wäre die Mission sofort beendet gewesen. Er war schließlich Sklave des Königs und konnte nicht einfach machen, was er wollte. Sein Chef war es, der in einem Brief Jahre zuvor die Einstellung der Arbeiten in Jerusalem forderte (Esra 4,23).
Was konnte Nehemia in dieser Situation tun? Kennst du das? Du stehst vor einem Problem, und es ist wie eine Sackgasse. Du kannst nicht aufs Pferd steigen und losreiten, du kannst deinen Chef nicht überzeugen, dir sind die Hände gebunden. Was machst du dann? Auch hier dürfen wir von Nehemia lernen. Was konnte er tun? Beten, beten. Dabei sah er sein Gebet nicht als letzte, sondern als erste Möglichkeit an. Er brachte seine schwere Last vor Gott.
Nehemia, du brauchst diese Last, dieses Leid nicht alleine tragen. Du kannst es bei dem lebendigen Gott abgeben. Das darf auch dir heute gesagt sein, was auch immer deine Last sein mag: Du darfst sie bei Gott abgeben. Auch wir müssen die Bürde der Gemeinde Jesu nicht allein auf unseren Schultern tragen.
Vielleicht bist du aktiv in der Gemeindemitarbeit, in einer Kleingruppe, im Seelsorgedienst oder in der Arbeit mit Teenagern – wo auch immer. Die Last spürst du förmlich auf deinen Schultern und auf deiner Seele, weil Menschen in deiner Umgebung bedrückt sind. Nöte werden an dich herangetragen, du wirst mit ihnen konfrontiert. Vielleicht ist es auch die Anbetung in deiner eigenen Familie. Sie liegt wie eine Last auf deinem Herzen.
Du wünschst, dass deine Kinder Errettung finden, vielleicht auch deine Ehefrau oder dein Ehemann zum Glauben an Jesus durchbrechen, oder deine Eltern, die nicht Nachfolger Christi sind. Du stellst fest, dass die Mauern Jerusalems an vielen Stellen niedergerissen sind – auch in deiner persönlichen Umgebung, wenn es um geistliche Fragen geht. Aber dann verzage nicht.
Wir wollen dem Beispiel Nehemias folgen. Ja, ein göttlicher Leiter packt an. So tat es auch Nehemia. Aber das Wichtigste kam für ihn zuerst: Er betete. Im Gebet werfen wir unsere Bürde für die Sache Gottes auf jemanden, der wirklich in der Lage ist, die Last zu tragen.
Wenn wir uns besser fühlen, weil wir unsere Sorgen einem Mitmenschen mitteilen, wie viel besser fühlen wir uns, wenn wir sie Gott darlegen. Denn er ist bereit, uns zu helfen und uns herauszuführen. In Philipper 4,6 heißt es: „Sorgt euch um nichts, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden.“
Sorgen, Nöte und Bürden, die wir nicht abgeben, sondern an denen wir festhalten, erzeugen in uns nichts Gutes. Sie richten nur Schaden an. Erst wenn wir unseren Kummer vor Gott ausbreiten, kann gute Frucht entstehen. So haben wir das, glaube ich, alle schon erlebt. Wie befreiend ist es doch, wenn wir unsere Not dem lebendigen Gott mitteilen können.
Deshalb die Ermutigung an uns alle: Lasst uns unser Gebetsleben kultivieren und pflegen. Was ist deine erste Reaktion auf eine Herausforderung in deinem Leben? Was ist deine erste Reaktion auf schlechte Nachrichten, die dich ereilen? Oder wie reagierst du zuerst auf gute Nachrichten? Wir sollten beten – Gott das Anliegen bringen oder Gott den Dank bringen.
Merkmale von Nehemiahs Gebet
In Kapitel eins sehen wir, wie Nehemiah betet – ein Beispiel dafür, wie auch wir beten dürfen. Einige Kennzeichen seines Gebets, die wir hier gelesen haben, möchte ich kurz hervorheben.
Zum Ersten ist sein Gebet beharrlich. Er blieb geduldig im Gebet, was wir aus dem ersten Vers in Kapitel eins und dem ersten Vers in Kapitel zwei erkennen. In Kapitel eins heißt es, dass die Delegation aus Jerusalem zu ihm im Monat Kislev kam. Das entspricht etwa November oder Dezember.
In Kapitel zwei erzählt Nehemiah dem König von seinem Anliegen. Dies geschah im Monat Nisan, also etwa März oder April. Er betete also ungefähr fünf Monate lang offensichtlich regelmäßig für dieses Anliegen.
Wir sind oft ungeduldig, nicht wahr? Fünf Monate lang immer wieder dasselbe vor Gott bringen. Wir meinen, Gott müsste schnell antworten. Wenn er nicht antwortet, werden wir nicht nur ungeduldig, manchmal klagen wir ihn sogar an. Doch hier sehen wir, wie Nehemiah beharrlich betet.
Gottes Zeitplan ist nämlich ein anderer als unserer. Wir leben nach unserem irdischen, endlichen Terminplan, Gott aber nach einem himmlischen und ewigen. Für ihn ist ein Tag wie tausend Jahre, und tausend Jahre wie ein Tag. Sein Zeitplan ist vollkommen. Er ist nie zu spät und auch nie zu früh. Alles geschieht nach seinem vollkommenen Ratschluss, der nur und immer das Beste für seine Kinder vorsieht. Amen, Amen!
Nehemiah war diszipliniert in seinem Gebet – fünf Monate lang. Und während er das tat, ging er trotzdem täglich seiner Arbeit nach. Nicht, dass du denkst, er müsse als Eremit leben und sich zurückziehen. Er gab nicht auf und vergaß bei seinen Pflichten nicht seine Brüder und Schwestern. Er vergaß Jerusalem nicht.
Er trug es immer wieder vor Gott, seinem Herrn. Sein Herz war dabei engagiert. Er hatte eine Vision von Gott auf sein Herz gelegt bekommen und flehte um Hilfe und Antwort aus dieser für ihn ohnmächtigen Situation: „Was soll ich tun, Herr? Erbarme dich!“
Gott als Mittelpunkt im Gebet und die Bedeutung von Buße
Das eine ist also ein beharrliches Gebet. Das andere, was wir hier sehen, ist, dass an diesem Gebet Gott am Anfang und am Ende steht. Wie viele andere Gebete auch in der Bibel beginnt Nehemia hier sein Gebet damit, dass er sagt, wer Gott ist.
„Ach Herr, du Gott des Himmels“, so fängt er an. „Ach Herr, du Gott des Himmels“ – das hilft auch dir, das hilft auch mir, es hilft unseren Anliegen, das rechte Licht zu rücken. Wenn wir uns daran erinnern, dass Gott Gott ist und dass Gott groß ist, dann wird der Umfang unserer Probleme durch die Größe und das Gewicht Gottes unweigerlich geringer. Denn um uns herum mag alles auseinanderbrechen, aber Gott bleibt derselbe von Ewigkeit bis in Ewigkeit.
Er ist der Gott des Himmels, er ist der Gott der Erde, er ist der Gott des Universums. Er ist größer als das, was dich bedrückt. Dieser Ausdruck wird von Nehemia an mehreren Stellen wiederholt: Gott des Himmels, in Nehemia 2,4 und Kapitel 2,20. Auch Jesus hat uns so gelehrt zu beten: „Vater unser im Himmel, du Gott des Himmels!“ Sein Gebet beginnt mit Gott und es endet mit Gott. In Vers 11 heißt es: „Ach Herr“, damit endet er, „lass doch dein Ohr aufmerksam sein auf das Gebet deines Knechtes und auf das Gebet deiner Knechte, die gewillt sind, deinen Namen zu fürchten.“
Gott war Anfang und Gott war Ende seines Gebetes. Das hilft uns, unsere Nöte in die richtige Proportion zu bringen.
Dann sehen wir in seinem Gebet auch die Komponente der Buße. Vers 6: „Lass doch deine Ohren aufmerksam und deine Augen offen sein, dass du auf das Gebet deines Knechtes hörst, dass ich nun vor dir bete, Tag und Nacht, für die Kinder Israels, deine Knechte.“
Mit ihm bekennt er die Sünde der Kinder Israels, die sie an Gott begangen haben. Obwohl er nicht in Jerusalem war, und als Nebukadnezar die Stadt einnahm, er noch gar nicht am Leben war, verbindet er sich doch mit seinem Volk so sehr, als hätte er mit ihnen gesündigt. Er weiß um seine eigenen Verfehlungen – das dürfen wir nicht außer Acht lassen. Denn er betet: „Auch ich und das Haus meines Vaters haben gesündigt.“
Dann wird er auch spezifisch mit seiner Schuld: Er betet weiter: „Wir haben sehr verwerflich gegen dich gehandelt.“ Ja, was genau denn? „Dass wir die Gebote, die Satzungen und Rechtsbestimmungen nicht befolgt haben, die du deinem Knecht Mose geboten hast.“ Israel hatte das Wort Gottes, und es hat es doch verworfen und nicht gehorcht.
Hier sehen wir den wahren Grund der Tragödie. Sicherlich haben einige den Königen Babylons die Schuld in die Schuhe geschoben, auch der amtierende König hatte die Arbeiten an der Mauer stoppen lassen. Aber der wahre Grund für das Desaster waren die Sünden des Volkes. Sie waren die Ursache des Problems.
Wenn die Sünde die Ursache war, dann war das geeignete Heilmittel Buße und Umkehr. Vers 9: „Kehret ihr aber zu mir um und befolgt meine Gebote und tut sie, selbst wenn einige von euch bis ans Ende des Himmels vorstoßen würden, so würde ich sie doch von dort sammeln und sie an den Ort bringen, den ich erwählt habe, damit mein Name dort wohnen soll.“
Was wir hier lernen, ist: Auch Buße ist nötig. Wir wollen Segen, aber nicht der Sünde den Rücken kehren. Wir wollen Gnade, aber keine Heiligung. Nehemia verstand, dass es ohne echte Buße und Umkehr keine Vergebung gibt.
Gott an seine Verheißungen erinnern und das Vertrauen auf seine Barmherzigkeit
Der vierte Aspekt seines Gebets ist, dass er Gott an den Bund erinnert, den er mit ihnen geschlossen hat. In Vers 8 heißt es: „Gedenke doch an das Wort, das du deinem Knecht Mose gegeben hast.“ Er bittet Gott, sich an die Verheißungen zu erinnern, die er seinem Volk gegeben hat.
Er erinnert Gott daran, dass Israel sein Knecht und sein Volk ist, die der Herr erlöst hat. In Vers 10 sagt er: „Sie sind ja doch deine Knechte und dein Volk, du hast ihnen doch Verheißungen gegeben.“ Es klingt, als wolle er sagen: „Nun kannst du sie doch nicht aufgeben, du kannst doch nicht dein eigenes Wort verleugnen. Herr, gedenke daran, was du ihnen verheissen hast!“
Genau so dürfen auch wir Gott erinnern und Hoffnung haben für sein Werk in unserem Land und für die Gemeinde Jesu weltweit. Auch wir haben eine Verheißung, an die wir uns klammern dürfen, an der wir festhalten können. Jesus selbst hat sie gegeben. Er sagte zu Petrus: „Ich will meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.“
Deshalb können auch wir zuversichtlich vor den Thron Gottes treten. Wir können unser Land dem Herrn bringen und sagen: „Herr, da ist eine Verheißung, du hast gesagt, deine Gemeinde wird nicht untergehen.“ Und wenn Kirchen untergehen, wirst du neue Gemeinden entstehen lassen. Es geht ja nicht um eine Organisation, sondern um dein geistliches Haus, das du baust.
Zum Schluss appelliert Nehemia an die Barmherzigkeit Gottes. In Vers 11 heißt es: „Ach Herr, lass doch dein Ohr aufmerksam sein auf das Gebet deines Knechtes und auf das Gebet deiner Knechte, die das Verlangen haben, deinen Namen zu fürchten, und lass es doch deinem Knecht heute gelingen und gib ihm Barmherzigkeit vor diesem Mann, vor dem König.“
Wie die Sache ausgeht, war Nehemia zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht klar. Alles, was klar war: Er wollte sich von Gott gebrauchen lassen. Als Mundschenk hatte er Verantwortung und musste jeden Tag vor dem König erscheinen. Er konnte nicht einfach fliehen. Die Zukunft war unsicher, er hatte eine Bürde, eine Last. Er breitete sie vor Gott aus. Alles, was er nun tun konnte, war beten und warten.
So wie es im Psalm 40 heißt: „Ich harrte des Herrn und er neigte sich zu mir und hörte mein Schreien. Er zog mich aus der grausigen Grube, aus lauter Schmutz und Schlamm, und stellte meine Füße auf einen Fels, dass ich sicher treten kann.“
Schlussworte und Ermutigung zum Gebet
Ich wünsche dir in diesen Tagen – und uns allen – eine neue Last für das Haus Gottes, das neue Jerusalem, die Gemeinde Jesu.
Ich wünsche, dass wir beten: Herr, erwecke Menschen, Gemeinden und Pastoren in unserem Land. Lass die Mauern wieder aufgebaut werden, der Tempel errichtet werden und du wieder neu unter deinem Volk wohnen – dem Volk, dem auch wir hier angehören dürfen.
Ich wünsche dir, ich wünsche mir, dass wir unsere Lasten dem Herrn bringen. Was auch immer dich in diesen Tagen noch bedrückt, bring es dem Herrn. Harre auf ihn! Er sieht dich, er vergisst dich nicht, und er wird dir antworten.
Möge der Herr uns dabei helfen. Amen.