Der Genozid an den Kanaanitern – fünf Perspektiven
Theologie, die dich im Glauben wachsen lässt, Nachfolge praktisch – dein geistlicher Impuls für den Tag.
Mein Name ist Jürgen Fischer, und heute geht es um einen Gott der Umkehrenden.
Einführung in das Thema: Gott und das schwierige Thema des Genozids an den Kanaanitern
Der Genozid an den Kanaaniten – wo stehen wir bei diesem schwierigen Thema?
Am Montag haben wir damit begonnen, Gott als einen Gott der Rache zu beschreiben. Dabei haben wir festgestellt, dass Gott den Menschen verbietet, Rache zu üben, weil ihre Rache selten mehr ist als Selbstjustiz. Genau das jedoch darf Gott. Er will vergeben, ist aber auch bereit, Sünde zu ahnden – und zwar nicht erst im Jüngsten Gericht.
Ein weiterer Gedanke war, dass Völker als Ganzes für ihr Tun vor Gott verantwortlich sind. Die Existenz von Völkern mit eigenen Sprachen dient seit der Zerstreuung in Babel dem einen Zweck: Menschen finden so einen gesellschaftlichen Rahmen, der ihnen die Suche nach Gott ermöglicht.
Viele Völker mit vielen Sprachen sind ein Schutz. Das Böse kann sich dadurch nicht ungebremst ausdehnen, moralischer Verfall wird eingegrenzt. Und wo es zu schlimm wird, kann Gott eingreifen, also Gericht halten, sodass Völker verschwinden.
So weit waren wir.
Gottes Geduld und Gerechtigkeit im Umgang mit Völkern und Einzelnen
Jetzt müssen wir jedoch ein ganz wichtiges Aber anfügen. Gott ist nicht nur im Blick auf das Gericht an Völkern ein unglaublich geduldiger Rächer. Wir denken an die vierhundert Jahre, die Israel in Ägypten warten musste, bis die Schuld der Amoriter voll war. Gott ist langsam zum Zorn.
Die Einsicht, dass Gott Völker als Ganzes richtet, darf uns jedoch nicht zu der Annahme verleiten, dass er nicht zwischen dem Volk und dem einzelnen Einwohner unterscheiden kann. Das Gericht über ein Volk bedeutet nicht, dass Gott pauschal die Bevölkerung eines Landes zur Hölle verdammt, so als wäre das Leben des Einzelnen nicht wichtig.
Falsch, ganz falsch! Wenn Völker als Ganzes gerichtet werden, dann ist das Gericht über ein Volk als Ganzes nicht gleichbedeutend mit dem Gericht über den Einzelnen im Volk. Gott ist nicht ungerecht, wenn es um das ewige Schicksal eines Menschen geht. Denn darüber entscheidet nicht das Verhalten meiner Landsleute, sondern ganz allein mein eigener Glaube beziehungsweise mein Unglaube.
Lasst uns das bitte nie vergessen.
Drei biblische Beispiele für Gottes Umgang mit Gericht und Gnade
Ich möchte euch heute in diesem Zusammenhang drei Beispiele vorstellen: Rahab, Josia und Jeremia.
Rahab dient dazu zu zeigen, dass Gottes Gericht nicht pauschal über ein ganzes Volk verhängt wird. Josia steht dafür, dass ein König trotz aller Bemühungen das Gericht, nämlich die babylonische Gefangenschaft, nicht mehr aufhalten kann. Jeremia schließlich zeigt, dass er bei aller Loyalität zu Gott dennoch als Mensch unter den Folgen des Gerichts über Israel leidet.
Rahab: Das individuelle Schicksal im Blick Gottes
Fangen wir mit Rahab an. Rahab, die Prostituierte, kümmerte sich in Jericho um die Kundschafter, weil sie heimlich gläubig an den Gott Israels geworden war. An ihr lernen wir eine ganz wichtige Lektion: Gott sieht die einzelne Person an.
Wo er im Kleinen Buße und Glauben findet, da gilt das nicht nur etwas, sondern alles. Unser ewiges Schicksal hängt nicht vom Glauben oder Unglauben unserer Verwandtschaft ab. So schreibt der Apostel Johannes, dass wir nicht aus Blut, sondern aus Gott geboren werden müssen. Neues ewiges Leben ist niemals eine Sache meiner ethnischen Zugehörigkeit.
Auch Israel, das Volk Gottes, war immer eine Mischung aus Gläubigen, dem sogenannten Überrest, und Ungläubigen. Es ist immer mein Umgang mit Gott, der darüber entscheidet, wie es um mein ewiges Schicksal bestellt ist.
Die Kanaaniterin Rahab, die aufgrund ihres Glaubens Hochverrat begeht, ist dafür ein gutes Beispiel.
Josia: Grenzen der Umkehr auf kollektiver Ebene
Allerdings gilt auch, dass es bei Gott ein Zuspät gibt. Das lernen wir von dem jungen König Josia, der eigentlich ein Supertyp war. Es heißt über ihn in 2. Könige 23,25: Vor Josia gab es keinen König wie ihn, der zum Herrn umgekehrt wäre mit seinem ganzen Herzen, mit seiner ganzen Seele und mit seiner ganzen Kraft, nach dem Gesetz des Mose. Und auch nach ihm ist seinesgleichen nicht aufgestanden. Das ist ein tolles Zeugnis, oder?
Aber dann lesen wir einen Vers später, in 2. Könige 23,26: Doch kehrte sich der Herr nicht ab von der großen Glut seines Zornes, mit der sein Zorn gegen Juda entbrannt war. Wegen all der Kränkungen, mit denen man Nasse, dem Großvater Josias, gekränkt hatte.
So sehr Gott die Buße des Einzelnen wahrnimmt und seinen Glauben wertschätzt, so sehr hat noch nicht einmal der Glaube und die Buße des Königs die Kraft, das Gericht in Form der babylonischen Gefangenschaft noch abzuwenden.
Beim Gericht über ein Volk – sei es Vertreibung, Deportation oder eine andere Form von Auslöschung – gelten irgendwie ganz eigene Regeln. Man sieht das hier recht gut, weil Gott sich nicht vom Gericht abhalten lässt, wegen all der Kränkungen, mit denen man Nasse, den Großvater von Josia, gekränkt hatte.
Josia muss also bei allem eigenen Glauben und bei aller Buße, die er initiiert, damit leben, dass er das Gericht nicht mehr abwenden kann, weil sein Großvater das Maß vollgemacht hat. Und wisst ihr, das ist umso erstaunlicher, weil es im Leben des Großvaters selbst nach einer Phase ganz schlimmen Götzendienstes am Ende auch eine Buße gab.
Das meine ich damit, wenn ich sage, dass beim Gericht über ein Volk irgendwie ganz eigene Regeln gelten. Die Zeitspannen sind sehr viel länger, als wir das erwarten würden, und es gibt so etwas wie einen Point of no Return. Wenn dieser Punkt überschritten ist, dann kann nichts und niemand mehr das Gericht aufhalten.
Ja, es gibt auch, wie bei Jona und Ninive, so etwas wie letzte Chancen. Aber wehe, sie werden nicht genutzt. Bei Ninive verkündet Nahum ein Jahrhundert nach Jona den Untergang der Stadt. Er tut das, weil die Buße auf die Predigt des Jona hin nicht tiefgehend genug war.
Wir müssen das gut verstehen: Gott ist kein Gott der halben Bußen.
Jeremia: Der leidende Prophet in Zeiten des Gerichts
Ein letztes Beispiel: Jeremia. Der Prophet Jeremia wird von Gott berufen, kurz bevor das Gericht Gottes über sein Volk hereinbricht, also kurz vor der babylonischen Gefangenschaft. Sein vierzigjähriger Dienst macht ihn zu einer der verhasstesten Personen in Israel.
Wenn man sich fragt, warum das so ist, liegt es ganz einfach daran, dass er schonungslos ehrlich Missstände offenbart. Außerdem rät er den Israeliten, das Gericht Gottes anzunehmen, also in die Verbannung zu gehen. Er tut dies, weil es eben zu spät ist, das Unheil noch abzuwenden.
An Jeremia sehen wir die Spannung eines Gläubigen, der in einer Zeit des Gerichts lebt. Er ist jemand, der die Zeiten ganz genau zu deuten weiß und mit seinem Leben sowie mit seiner Predigt Wahrheit verkündet. Trotzdem, bei aller eigenen Loyalität gegenüber Gott, leidet er unter den Folgen des Gerichts.
Aktuelle Bedeutung und geistliche Vorbereitung
Ich sage das so deutlich, weil ich den Eindruck habe, dass wir in Westeuropa gerade auf eine vergleichbare Entwicklung zusteuern. Wir warten auf ein Gericht und werden uns als Christen entscheiden müssen, wem wir dann folgen, wenn es sichtbar über uns hereinbricht.
Werden wir den falschen Propheten folgen, die sich je nach Standpunkt für Mystik, Liberalität oder Übergesetzlichkeit starkmachen? Oder werden wir still und treu dem Herrn Jesus folgen – auf eine Weise, die sein Wort ernst nimmt und uns oft genug als Narren dastehen lässt?
Wenn ich diese Woche über den Genozid an den Kanaaniten spreche, dann nicht nur, um ein wichtiges apologetisches Thema zu behandeln, sondern auch, um uns auf eine Zeit vorzubereiten, in der unser eigener Glaube geprüft wird.
Praktische Impulse zum Abschluss
Was könntest du jetzt tun? Du könntest 2. Könige 23,26 auswendig lernen.
Das war's für heute.
Wenn du noch kein Mitglied einer Gemeinde bist, in die du dich gerade jetzt mit überdurchschnittlich viel Elan einbringst, dann mein Tipp: Ändere das.
Du wirst in den kommenden Jahrzehnten eine Gemeinde brauchen, um geistlich zu überleben.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.
