Seit ich den Stuttgarter Boden betreten habe, habe ich den Eindruck, dass bei mir keine Barthaare mehr wachsen, sondern Tannennadeln durch die Backen sprießen. Musik, Weihnachtsmusik von draußen, Weihnachtsmusik hier drinnen – ich wusste gar nicht, wozu die Wasserträger alles fähig sind.
Jetzt hoffe ich nur, dass ich nach Weihnachten nicht anfange zu nadeln wie ein Baum. Ich würde lieber beim Rasieren bleiben.
Ich gehöre zu den glücklichen Menschen, die in der Schule Griechisch lernen durften. Wir hatten einen ganz besonders gefürchteten Griechischlehrer. Ihm fiel immer das Gebiss ein bisschen runter, dann saugte er es wieder entschlossen an und knurrte uns zwischen diesem Gebiss hindurch an.
Er war schon fast scheintot, weit jenseits der Pensionsgrenze, aber unheimlich gefürchtet und streng. Dann kam er eines Tages in die Klasse, einen Stapel Klassenarbeitshefte unterm Arm. Wir wussten, es war die zwölfte Klasse, wir wussten, was jetzt dran war. Er war gefürchtet wegen seiner Klassenarbeiten.
Er stand vor uns, und wir hatten schlotternde Knie. Es war noch Zeit, und wir standen in unseren Bänken. Dann knurrte er uns an: „Scheirete o Matetei.“ Das ist Griechisch, der griechische Gruß, „Grüß Gott“ oder „Tag!“. Wörtlich heißt es aber: „Freut euch, o Schüler, scheirete o Matetei.“ Und zwar gar nicht nach Freude, sondern eher nach Mut. Deshalb kam es etwas verdrossen zurück.
Dann sagte er: „Scheire o Didaskale.“ Der Lehrer hatte sich gut gefreut, uns bei der griechischen Arbeit zu „verbraten“. Das kam ihm aber zu traurig, zu tränenreich, zu trist vor. Deshalb brüllte er noch einmal: „Scheirete, oh Matetei!“
Wir rissen alle Freude, die wir hatten, zusammen und brüllten: „Scheire, oh Didaskale, freue dich, oh Lehrer!“ Er war der Einzige, der sich freute.
Dann kam das Unheil und nahm seinen Lauf. Wenn einer schon zur Freude auffordern muss, ist ja schon etwas faul. Normalerweise freut man sich von selbst, wenn es gut geht. Aber wenn einer zweimal zur Freude auffordern muss, dann ist etwas oberfaul.
So geht es Paulus. Vorhin wurde das Wort aus Philipper 4 ja schon gesagt und gelesen: „Freut euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich, freut euch!“ (Philipper 4,4)
Wenn man so nachdrücklich zur Freude auffordern muss – und das gleich zweimal –, dann muss da irgendetwas nicht stimmen. Was ist das Problem?
Es ist kein Wunder, dass man in einer Welt, die einer Beerdigung gleicht und in der alle Hoffnungen zu Grabe getragen werden, auf viele Gedanken kommt. Aber der Gedanke, sich zu freuen, gehört normalerweise nicht dazu.
Ich liebe eine Kriminalgeschichte von Dürrenmatt, die sicher viele von euch kennen: „Der Richter und sein Henker“. Dort gibt es eine gespenstische Szene. Der ermordete Polizeileutnant wird begraben, es gießt in Strömen, eine furchtbare Situation. Die Blaskapelle kann gegen den strömenden Regen kaum anspielen. Und dann torkeln zwei riesige Kerle über den Friedhof. Sie grölen irgendwelche blödsinnigen Lieder, reißen Grabsteine um, werfen einen Kranz vor dem Grab nieder und singen laut das Lied „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“.
Sie gehen mitten durch die erschrockene, entsetzte Beerdigungsgemeinde und verschwinden wieder irgendwo im strömenden Regen auf dem Friedhof. Das ist unverschämt. Auf einer Beerdigung gibt es nichts zu lachen. Wer dort zur Freude auffordert, kann nur verhöhnen oder spotten wollen.
Auf eine Beerdigung gehören traurige Gesichter und Trauerlieder – aber keine Aufforderung zur Freude. Und genau darin liegt das Problem bei diesem Text, der mitten in einer Beerdigungswelt steht, in der alle Hoffnungen zu Grabe getragen werden.
Übrigens auch Paulus, der im Gefängnis sitzt, als er das schreibt. Ein paar Sätze vorher berichtet er, dass sein Prozess jetzt ins entscheidende Stadium geht. Es war ein Unrechtsstaat, und er wusste nicht, ob er seinen Kopf noch lange auf den Schultern tragen würde.
Eine Welt, in der alle Hoffnungen zu Grabe getragen werden, eine Beerdigungswelt – und darin soll Freude sein? Da muss man entweder betrunken sein, wie diese Typen aus der Dürrenmatt-Geschichte, oder so tun, als sei man betrunken. Oder es muss ein Geheimnis dahinterstecken.
Und hier steckt ein Geheimnis dahinter. Es steckt in den kleinen Wörtchen. Hier heißt es: „Freut euch in dem Herrn!“ Und dann geht es weiter: „Eure Lindigkeit“ – das erkläre ich gleich noch. Das ist nicht „Lindwurm“, damit ihr keine Angst bekommt, das wäre ja etwas! Es bedeutet eure Freundlichkeit. Lasst sie allen Menschen kundtun: Der Herr ist nah.
Das Geheimnis steckt also in den Wörtchen „Freut euch in dem Herrn, der Herr ist nahe“. Diesen Text und diese paar Gedanken, die ich dazu sagen will, setzen wir unter das Motto: Freude in der Beerdigungswelt.
Ich versuche, drei Dinge zu sagen. Wer weiß, wenn es acht Uhr ist und ich mit dem ersten Punkt noch nicht fertig bin, dann geht hier ja der Deckel runter. Ich lege mir extra meine Uhr daneben. Ich habe immer Angst auf solchen Kanzeln, weil ich gehört habe, dass der Mesner hinten so einen Knopf betätigt, wenn die Zeit um ist, und dann geht dieser Deckel runter und es ist Feierabend. Das hat man bei uns in Essen, man kennt das noch nicht, diese automatische Predigt-Beendigungsmaschine.
Deshalb nehme ich mir lieber hier meine Uhr dazu, damit ich zwei Minuten vor null einen Abgang machen kann. Drei Dinge habe ich jedenfalls vor, das soll er wenigstens wissen, wenn ich ja nicht beim Dritten ankomme. Freude in der Beerdigungswelt.
Erstens: Knatschige Kinder sollen kuriert werden!
Ihr müsst euch vorstellen: Auf dem Marktplatz eines kleinen Landstädtchens in Palästina, in der Mittagssonne, herrscht Gluthitze und Staub. Am Rand sitzen sechs, sieben, acht, vielleicht sogar fünfzehn kleine Kinder. Es gibt kaum Schatten, doch eine Dachrinne wirft etwas Schatten, und dort sitzen sie.
„Irgendetwas müssen wir machen“, sagt ein kleiner Junge. „Lasst uns Hochzeit spielen“, schlägt Monika vor, die immer nur an Hochzeit denkt. „Komm, wir spielen Hochzeit! Ich habe auch eine Flöte, und wir pfeifen hier ein Lied.“ Im Orient ist es üblich, dass bei Hochzeitsfeiern besondere Tänze gezeigt werden. Die jungen Leute tanzen sogenannte Reistänze. Das ist spannend!
„Kommt, ihr macht die Klageweiber“, ruft jemand. Im Orient gibt es immer ein paar bestellte Klageweiber, die dann jaulen, so laut sie können. Die anderen schauen erschüttert zu. Drei Mädchen fangen schon an, richtig professionell zu jaulen. Herr Manfred sagt: „Hört auf! Stell die Platte ab, ich habe keine Lust, Beerdigung zu spielen.“
Jesus sagt: „So seid ihr, ihr kleinen Kinder! Man pfeift euch einen Hochzeitstanz, und ihr habt keine Lust zu tanzen. Man klagt euch an, und ihr wollt nicht zur Beerdigung gehen. Was soll man noch tun?“ Johannes der Täufer kommt, und sein Leben ist geprägt von Leiden und Trauer über Sünde, Unrecht, Lüge und Habgier im eigenen Herzen. Er hat verstanden, dass das Leben anders werden muss. Er ruft zur Umkehr auf, zum Bruch mit der Sünde. Das war die Melodie der Beerdigung, der klagende Schrei.
Was hat man mit ihm gemacht? Man nannte ihn vom Teufel besessen und wies ihn zurück. Dann sagt Jesus: „Jetzt komme ich. Ich lade die Freunde ein, die bei Gott keine Chance haben, die falsch gelebt haben. Ich lade sie ein, und wir essen und trinken miteinander, weil wir Geburtstag feiern können! Die Vergebung ist da. Menschen dürfen aufatmen, sie dürfen Kinder Gottes sein. So dürfen wir Gemeinschaft haben, Festgemeinschaft mit Gott.“
Was sagt ihr? Seht ihr ihn an? Ein Fresser und Weinsäufer! Religion ist eine ernste Sache, hier gibt es nichts zu lachen – das galt bis heute. Jesus sagt: „Was soll man eigentlich noch tun? Ihr seid wie knatschige Kinder. Eure Reaktion ist launisch und kindisch, stimmungsabhängig. Was soll man mit euch machen?“ Knatschige Kinder müssen geheilt werden. Hier soll nicht nur Beerdigung gespielt werden, aber auch nicht nur Hochzeit. Sich im Herrn zu freuen heißt beides: mit dem ganzen Leben hineingehen, mit dem Bruch, den man gebaut hat, mit der Schuld, die man auf sich geladen hat, und mit der Freude hinein in Jesus richtig beerdigt werden.
So spricht die Bibel sehr deutlich: Ein Leben kann nicht neu werden, wenn ein Mensch nicht mit seinem ganzen alten Kram, der sein Leben kaputt gemacht hat, begraben wird. Beerdigt im Grab Jesu Christi, mit ihm gekreuzigt am Kreuz – die Habgier, der Hochmut, die Lüge.
Hallo, da kommt jemand! Grüß dich! Du musst vorher eine Schwalbe machen, bevor du das Lied plattsegeln lässt, dann fliegt es weiter. Vielleicht kommt es bis zu mir hier vorne. Aber so endet es in der viertletzten Reihe. Also probiert es nicht, macht es erst später, sonst wird es kolossal ablenkend, wenn jeder versucht, eine Schwalbe hier zu machen.
Gut, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, ich habe hier einen Zettel liegen. Für solche Fälle habe ich immer einen Zettel dabei – sicherheitshalber. Keine Angst, keine Angst. Jesus sagt: Das launische Spiel muss aufhören. Lasst zu, dass euer altes Leben mit Jesus begraben wird.
Du fragst: Wie geht das? Wenn jemand kommt und sagt: „Herr, ich will es nicht mehr länger beschönigen. Das ist mein Leben, diese Lüge, du hast gesehen, wie ich gehasst habe, die Habgier und die bösen Phantasien in meinem Kopf. Ich bitte dich, nimm mir mein Leben ab, nimm es an dein Kreuz, pack es in dein Grab. Es soll erledigt sein bei dir. Ich danke dir, dass du es dort unterbringst.“ Dann bist du mit Jesus beerdigt, du bist mit drin in seinem Tod, mit in seinem Grab.
Und dann darfst du mit ihm Auferstehung feiern. Er zieht dich aus seinem Grab heraus, und du darfst mit ihm das Fest der Auferstehung in ein neues Leben hinein feiern. Deshalb redet Paulus so merkwürdig und sagt: „In dem Herrn soll ein Mensch sein.“ Reingezogen in seinen Tod, reingezogen in seine Auferstehung. Und wenn ich darin bin, sagt Paulus, dann kann ich mich freuen, und zwar überall, wo ich bin.
Er saß nicht gerade in der Stiftskirche und hatte keinen Weihnachtsmarktbesuch, sondern saß im Gefängnis. Und trotzdem sagt er: „Ich freue mich.“ Er lädt euch ein: „Freut euch nicht an den Knastwänden, nicht an den Umständen – die sind nicht zum Freuen, die sind zum Heulen. Auch nicht an eurem eigenen Leben, das oft zum Heulen ist. Freut euch in dem Herrn! Er ist der Grund eurer Freude. Kriecht hinein, lasst euch in seinen Tod hineinziehen und in seine Auferstehung. Bitte vergesst das nicht!“
Du kannst nicht Anteil haben an der Freude, die Jesus mit seiner Auferstehung schenkt, wenn du nicht bereit warst, dich mit ihm beerdigen zu lassen. Manche sagen: „Ach, das ist prima, wenn ich eine Portion Freude bekomme, so eine Stimmungskanone.“ Jesus ist nicht Otto, da gibt es Unterschiede. Manchmal denke ich, manche suchen bei Jesus das, was Otto bietet: ein bisschen Stimmungsmache. Und dann sind sie enttäuscht, weil Jesus auch von den unangenehmen Punkten in unserem Leben redet.
Die Freude, die durchströmt und nicht kaputtzukriegen ist, beginnt immer mit der Beerdigung meines alten Lebens unter dem Kreuz von Jesus. Dann darf ich teilhaben an der Auferstehung. Und dann bin ich drin in Jesus. Wo befindest du dich? Dein Leben entscheidet nicht, ob du in der Kirche bist. Dein Leben entscheidet, ob du in diesem lebendigen Jesus bist, ob du dich in ihn hineingekrochen hast. Das ist Glaube. Ich hänge mit allem, was ich habe, an Jesus. Er zieht mich ganz in sich hinein. Das ist das Erste.
Knatschige Kinder sollen geheilt werden. Es soll nicht immer diese Schaukelpolitik der Launen geben: mal haben wir Lust, mal nicht, mal ist die Stimmung hoch, mal tief, mal haben wir zu diesem oder jenem Lust und mal zu nichts. Jesus möchte Fakten schaffen. Freude soll auf Tatsachen beruhen, nicht auf wechselnden Stimmungen. Auf das Mit-Jesus-Begraben und Mit-Ihm-Auferstehen.
„Freut euch in dem Herrn“, sagt er. Alle Wege des Lebens führen dahin.
Zerstreute Zeitgenossen bekommen ein Ziel, knatschige Kinder werden kuriert, und jetzt erhalten zerstreute Zeitgenossen ein Ziel. Das zweite Geheimnis dieser Freude ist: Der Herr ist nahe, er kommt. Er hat das letzte Wort der Weltgeschichte, sagt Paulus. Er spricht den Schlusssatz von allem und fängt die neue Welt an.
Freut euch! Ich sage es euch noch einmal: freut euch, sagt Paulus, der Herr ist nahe. Ich habe in der Offenbarung des Johannes gelesen. Dort hat Jesus dem Johannes die Augen geöffnet für die zukünftige Welt Gottes. Johannes sieht, wie Jesus als der König und Sieger kommt. Er sieht es ganz merkwürdig, und dann sagt er: „Und er hat auf seinem Kopf viele Kronen.“
Nun kann ich mir das gar nicht vorstellen, wie das aussieht. Wenn ich auf diesen Dattelpalmen eine setze, muss ich schon balancieren. Aber viele? Wie soll das gehen? Ganz schwer vorstellbar. Aber das ist der springende Punkt bei Jesus: Die Grundlage auf seinem Kopf, auf dem Kopf dieses Königs, ist diese Dornenkrone, die sie ihm aufgesetzt haben, mit der sie ihn lächerlich machen wollten. Diese Krone aus Brennmaterial, denn mit den Dornen heizten die Hausfrauen im Orient. Das war Brennholz.
Er hat gesagt: „Du willst ein König sein? Wir werden dir einen verpassen, guck mal her!“ Und dann hauen sie ihm diese Dornenkrone auf. Und alle halten sich den Bauch vor Lachen über diese Königskarikatur. Das trägt er als Grundlage. Und weißt du, was er seitdem tut? Bis zu diesem Augenblick kassiert er alle anderen Kronen, die es in dieser Welt gibt, ein – eine nach der anderen – und setzt sie sich alle auf, alle auf die Dornenkrone.
Er kassiert sie alle ein, die Kronen, die geheimen Kronen der Herrscher und Machthaber. Nicht alle wirklichen Machthaber dieser Welt heutzutage tragen so einen Apparat auf dem Kopf. Aber diese heimlichen Herrschaftszeichen sammelt er alle ein, die von dem Clique-Chef, vor dem du weich in den Knien wirst, weil du eigentlich immer schon den Weg mit Jesus gehen wolltest, aber in deiner Clique dir kein grünes Licht gegeben wird.
Der Clique-Chef wird seine Krone abgeben müssen. All die großen Zampanos, die uns einschüchtern, sie müssen alle ihre Krone abgeben. Jesus geht durch die Zeitgeschichte, und Tausende von Königen und Herrschern haben längst ihre Krone bei ihm abgeben müssen. Und er geht weiter.
Er sammelt übrigens auch kleine Kronen. Er sammelt heute Abend zum Beispiel deine Krone. Jeder von uns versucht, im eigenen Leben sein eigener Herr zu sein, der eigene König. Jesus kommt vorbei und sagt: „Komm, gib mir deine Krone, lass mich König sein in deinem Leben! Leg sie hin zu meinen Füßen – die Krone deiner Herrschaft über dein Leben! Ich will sie mir aufsetzen, ich möchte der Herr sein!“
Wird das gelingen? Wird er heute in dieser Kirche Kronen einkassieren können? Dass Leute da sind, die sagen: „Herr, von heute an sollst du der König sein. Hier hast du das Ding von mir. Ich will dir gehören, dir folgen.“ Jesus sammelt Kronen ein!
Mich hat das sehr interessiert, als in den 50er Jahren in China die kommunistische Diktatur aufgerichtet wurde und die christliche Gemeinde in ihrem Wirkungskreis stark eingegrenzt wurde. Zunächst wurde sie nicht völlig verboten, sie durfte eingeschränkt noch weiterleben. Einige Dinge wurden ihr ausdrücklich verboten.
Zwei davon habe ich behalten, es waren drei, das dritte habe ich vergessen. Zwei waren es: Erstens durften sie nicht das Mahl des Herrn feiern. Und zweitens durften sie – jetzt hört und staunt – über alles predigen, aber nicht von der Wiederkunft Jesu Christi predigen. Das war verboten.
Die Gegner Jesu haben ein Fingerspitzengefühl dafür, wo die Punkte sind. Wo noch einer damit rechnet, dass der Herr aller Herren Jesus ist, dass er kommen wird und das Schlusswort der Weltgeschichte hat, da wissen die Machthaber dieser Welt: Mit denen, die dem nachfolgen, kann man nicht Schlitten fahren. Die kann man nicht mehr kassieren, die werden sich nicht mehr beugen, sie dienen einem anderen König.
Das haben sie gespürt: Die Anbetung, die Verkündung eines Herrn, der kommt als Richter und Herr aller Geschichte, der König aller Könige ist, das ist gefährlich, das muss verboten sein.
In dem Maße, wie Christen leben ohne die Erwartung des kommenden Herrn, können sie in dieser Welt geduldet werden. Sie werden niemandem gefährlich. Christen, die nicht mit dem kommenden Jesus rechnen, passen sich stromlinienförmig an. Sie müssen sich beugen vor den Herren dieser Welt, den Kleinen und den Großen.
Aber dort, wo Leute auf den kommenden Jesus zuleben, den Sieger erwarten, beugen sie ihr Kreuz nicht mehr vor Menschen. Sie beugen ihre Knie nur noch vor ihm. Das ist das Geheimnis, von dem Paulus hier redet.
Vielleicht sagst du jetzt: „Gut, damals hätte mir das eingeleuchtet, wenn ich in Philippi gewesen wäre, den Brief bekommen hätte, gelesen hätte: ‚Freut euch in dem Herrn, der Herr ist nahe.‘ Aber seitdem sind 1900 Jahre vergangen. Da geht einem beim Warten etwas die Puste aus. Was heißt denn jetzt ‚der Herr ist nahe‘? 1900 Jahre sind eine Menge Holz. Da wartet man sich Schwielen auf die Seele, oder? Uns geht die Puste aus.“
Aber ich sage dir: Seit dem Ostermorgen geht Jesus der Atem nicht mehr aus. Er lebt mit einem langen Siegeratem. Christsein heißt, dass ich mich mit ihm zu einer Person zusammenbinden lasse. Ich bin sehr kurzatmig in meinen Erwartungen, in meiner Kraft. Ich komme nicht über die Runden. Ich leihe mir den Atem von dem Sieger vom Ostermorgen. Der hat einen ganz langen Atem.
Sei gewiss: Es ist nichts gewiss in dieser Welt außer dem einen, dass der auferstandene Jesus wiederkommt. Er wird Richter aller Welt sein, das Schlusswort der Weltgeschichte sprechen und das Eröffnungs- und Schöpfungswort seiner neuen Welt verkünden. Darauf warten wir, sagt Paulus, und deshalb freut euch!
Ja, sagten wir, aber es gibt so viele Dinge, die unsere Aufmerksamkeit gefangen nehmen. Man kann nicht ewig daran denken, dass Jesus wiederkommt. Ja, sagt Paulus, wenn Jesus wiederkommt, wird das so sein wie damals bei Noah.
Was haben die Leute gemacht? Sie haben gegessen und getrunken, sie haben geheiratet, sie haben heiraten lassen, Familie gegründet und Existenzen aufgebaut. Sie waren sehr ernsthaft und beschäftigt, und das alles machte sie müde. Keiner rechnete mit dem Eintreffen des Gerichts Gottes.
Und dann kam es. So wird es sein, sagt Jesus beim Kommen des Richters. So wird es sein: Sie werden essen und trinken, sie werden mit Partys beschäftigt sein, sie werden ihre Heirat planen und die Familiengründung planen. Und dann wird Jesus das Schlusswort sprechen.
Es wird nicht so sein, dass langsam eine Erwartungshaltung wächst, dass Menschen es für das Naheliegendste halten, man müsse sich vorstellen, Jesus komme wieder. Das wird das Widersinnigste, das Abwegigste sein, was man sich überhaupt denken kann. Es wird völlig verrückt sein zu meinen, Jesus könnte kommen.
Das sagt Jesus einst als Kennzeichen der sich zuspitzenden Zeit: „Wundert euch nicht! Sie werden für alles Aufmerksamkeit haben, und ihr werdet für alles Aufmerksamkeit haben, nur nicht für den kommenden Herrn.“
Das nenne ich zerstreutes Leben. So ist das Leben. Man hat unheimlich viele Dinge, die einen aufsaugen. Manchmal kommen mir Menschen so vor, wie ein Hund, der auf der Straße herumläuft.
Wenn ich unseren etwas unterentwickelten Dackel spazieren führe, dann hat der so eine Orientierung: Er schlägt sich durch von einem Laternenpfahl zum nächsten, immer mit der Nase dicht an der Wirklichkeit. Hier eine Duftnote und da eine Duftnote, und ganz nervös guckt er herum, wo der nächste Baum ist oder der nächste Busch. So orientiert er sich am Straßendreck.
Das ist ein Hundeleben. So leben wir Menschen oft. Die Nase ganz tief auf dem Boden, orientieren wir uns am Straßendreck. Und da wundere ich mich nicht, dass über unserem Leben eine lähmende Traurigkeit, ein Verwesungsgestank, der Kotgestank der Straße liegt.
Kopf hoch, sagt Herr Paulus, Kopf hoch, der Herr ist nahe! Wir kennen, wer kommt als der Sieger und Herr. Lebt auf ihn zu, lebt nicht wie die Hunde. Orientiert euch nicht am Straßendreck. Hebt den Kopf hoch, damit ihr in Zuversicht und Hoffnung auf ein Ziel leben könnt.
Zerstreute Zeitgenossen bekommen ein Ziel.
Und drittens und letztens: Die Freude breitet sich auf der Frequenz der Freundlichkeit aus.
Jetzt komme ich zu dem Lindwurm, zu der Lindigkeit, meine ich. Da heißt es zwischendrin: „Freut euch in dem Herrn allewege.“ Noch einmal sage ich: Freut euch! Und dann heißt es: „Eure Lindigkeit lasset kund sein allen Menschen, der Herr ist nahe.“ Lindigkeit, gelinde sein, heißt zartfühlend sein, freundlich, gütig, liebend sein.
Also ist es ja so, dass man als Pfarrer keine Predigt halten darf, ohne mindestens ein Lutherzitat zu bringen, bis wir restlos verlutert sind. An dieser Stelle lasse ich jetzt meine Pflichtübung ab und zitiere Luther. Bitte aufmerksam: „Es ist ein schönes Wort.“ Luther hat ja unheimlich kernige Sprüche gemacht.
Er sagt: „Mein Mut ist zu fröhlich, als dass ich jemandem könnte herzlich Feind sein.“ Noch einmal: „Mein Mut ist zu fröhlich, als dass ich jemandem könnte von Herzen Feind sein.“
Die Freude und die Freundlichkeit hängen zusammen. Wer den Sieger Jesus kennt, wer weiß, dass er zum Gericht kommt, der braucht den Feind nicht mehr so bissig ernst zu nehmen. Der braucht nicht so bitter zurückzuhassen. Der muss sich nicht im Teufelskreis der Vergeltung mitdrehen.
Hass und Bitterkeit wollen uns einmauern in ein Grab. Sie wollen das verschließen und uns darin beerdigen. Aber seit dem Ostermorgen ist das Grab unwiderruflich offen.
Der Herr ist nah, sagt Paulus, wenn man den Sieger kennt. Braucht ihr euch nicht mehr einmauern zu lassen in die Bitterkeit, in den Hass?
Die Freundlichkeit ist die Frequenz, auf der die Freude, die Jesus schenkt, sich ausbreitet. Was wird sich von diesem Gottesdienst ausbreiten? Die Freude, die Jesus schenkt, hat eine eigene Wellenlänge. Diese heißt Menschenfreundlichkeit.
Denn unter der Perspektive, dass Jesus als Richter, Herr und Sieger dieser Welt kommt, darf ich Menschen ganz anders ansehen.
Freunde, ich wünsche uns, dass von diesem Gottesdienst aus in dieser Adventszeit in unsere Familien und Klassen, in unsere Gruppen und Gemeinden, wo auch immer wir jetzt wieder hingehen, auf der Frequenz der Freundlichkeit diese unerhörte Freude aus Jesus sich ausbreitet.