Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Wir wollen noch einmal beten: Herr, nun zeige uns dein königliches Walten. Bring Angst und Zweifel selbst zur Ruh. Du wirst allein ganz Recht behalten.
Herr, mach uns still und rede du. Amen.
Adventliche Gemeinschaft und aktuelle Bedrohungen
Liebe Gemeinde, zum zweiten Advent hier vor Ort in Hannover und alle anderen, die jetzt dabei sind: Wir freuen uns, in einer so großen Gemeinschaft diesen Gottesdienst wieder feiern zu können.
Hannover ist ein interessanter Standort. Vor wenigen Tagen wurde ein 20-jähriger Iraker festgenommen, der letztes Jahr nach Deutschland gelangt war. Man wirft ihm vor, eine Messerattacke auf unseren Weihnachtsmarkt hier in Hannover geplant zu haben.
Aus Brandenburg wurde ein ähnlicher Vorgang bekannt. Ein 16-jähriger Tschetschene soll zusammen mit einem 15-jährigen Deutschafghanen aus Nordrhein-Westfalen einen Anschlag auf eine Synagoge und den Weihnachtsmarkt von Leverkusen geplant haben. Ihr Zerstörungswerk sollte mit einem durch Brennstoff zur Explosion gebrachten Auto erfolgen. Die Jugendlichen gaben sich als Sympathisanten der Terrorgruppe Islamischer Staat, also IS, zu erkennen.
Die Neue Zürcher Zeitung berichtete darüber unter der Titelzeile: Weihnachtsmärkte werden wohl nie wieder sein, was sie einmal waren. Weiter heißt es, neben jüdischen Einrichtungen rücken laut den Sicherheitsbehörden auch die Weihnachtsmärkte in den Fokus terroristischer Anschläge. Die Weihnachtsmärkte sind kein geschütztes Terrain mehr, auf dem man unbeschwert feiern könnte. Kein Weihnachtsmarkt kommt ohne Sicherheitskonzept aus, schreibt die Neue Zürcher Zeitung.
Die Attraktivität der Weihnachtsmärkte für die Terroristen liege eben nicht nur in dem Umstand, dass sich auf ihnen viele Menschen versammeln, sondern – so die Neue Zürcher Zeitung – aus Sicht der Islamisten handelt es sich bei ihnen, also bei den Weihnachtsmärkten, um ein Symbol, mit dem man das Christentum treffen kann. Und zwar völlig unabhängig davon, wie viel Christliches die Deutschen selbst mit ihren Weihnachtsmärkten noch verbinden.
Als Gesellschaft können wir unser weihnachtliches Idyll offensichtlich längst nicht mehr öffentlich schützen. Das ist umso bitterer, als viele mutwillige Entscheidungen der Mächtigen diesen Zustand mit herbeigeführt oder zumindest billigend in Kauf genommen haben.
Religiöser Druck aus verschiedenen Richtungen
Aber Druck kommt nicht nur vom sogenannten Islamischen Staat. Vor wenigen Tagen eröffnete die Stadt Essen ein Bußgeldverfahren gegen einen Taxifahrer.
Was war sein Vergehen? Er hatte auf der Heckscheibe seines Fahrzeugs einen kleinen Aufkleber mit Johannes 14, Vers 6 angebracht. Darauf steht: Jesus Christus spricht: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“
Die Essener Behörde wertete dies jedoch als unzulässige religiöse Werbung. Sie forderte von ihm eine Stellungnahme zu diesem Vorwurf und drohte ihm, wie die Bild-Zeitung berichtet, mit einem Bußgeld von bis zu 1.000 Euro.
Der Mann stammt aus dem Iran, war früher Moslem. Sein Name ist Jalil Maschali. Er sagte dazu: „Ich bin seit 18 Jahren gläubiger Christ und ich liebe Jesus. Ich wollte nur etwas Gutes tun.“
Nun aber kommt die gute Nachricht: Auch wenn von vielen Seiten offensichtlich Druck ausgeübt wird, und obwohl laut der Neuen Zürcher Zeitung sogar die Weihnachtsmärkte gefährdet sind, ist das Weihnachtsfest selbst nicht in Gefahr.
Das wahre Weihnachten lebt nicht davon, dass wir es in harmonischen, ungestörten und komfortablen Verhältnissen feiern können – so sehr wir uns das auch wünschen würden.
Wenn das die Voraussetzung wäre – dass Weihnachten nur dann stattfindet, wenn es komfortabel und harmonisch ist –, dann gäbe es nicht die vielen bewegenden Zeugnisse berührender Weihnachtsfreude mitten in Kriegszeiten.
Weihnachten braucht keine Traumwelt und keinen äußeren Glanz, um seine wahre Schönheit zu entfalten.
Wir müssen Weihnachten nicht vor der Wirklichkeit schützen, um es wirklich zu feiern.
Die Bedeutung des Stammbaums Jesu als Schnittstelle Gottes zur Welt
Und zum Beweis dafür möchte ich heute mit Ihnen ein Dokument studieren. Dieses Dokument zeigt uns die Schnittstelle, an der der ewige Gott in unsere Welt eingetreten ist.
Es handelt sich um ein allzu menschliches Dokument, das uns die Verflochtenheit, die gesamte Verflochtenheit unseres menschlichen Lebens, schnörkellos vor Augen stellt: ein Stammbaum. Haben Sie ihn schon in der Lesung gehört? Ja, Sie haben richtig gehört.
Der ewige Gott hat sich selbst in einen menschlichen Stammbaum hineingeschrieben. Mehr Wirklichkeit geht wirklich nicht. Und dieser Stammbaum ist nicht irgendwo in einem entlegenen Kapitel der Bibel peinlich versteckt. Er steht im allerersten Kapitel, das uns begegnet, wenn wir das Neue Testament aufschlagen: Matthäus 1, Vers 1.
„Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.“ Und dann geht es los: Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob – Schritt für Schritt.
Im griechischen Urtext lauten die ersten beiden Worte des Neuen Testaments und damit auch des Matthäusevangeliums „Biblos genesios“. „Biblos genesios“ bedeutet „das Buch der Abstammung“, das Buch der Abstammung Jesu Christi. Dort gibt es Vorfahren über Jahrhunderte hinweg.
Der einzige Unterschied zu üblichen Stammbäumen besteht darin, dass Jesus keinen leiblichen Vater hatte. Es war ja eine Jungfrauengeburt. Ansonsten war familiär alles ziemlich normal: eine treusorgende Mutter, ein Adoptivvater mit einem soliden Handwerkerberuf, und die Halbgeschwister Jesu, die ihn je älter er wurde, umso kritischer beäugten.
Gott hat, wie gesagt, alles so eingerichtet, dass wir über den Stammbaum stolpern müssen, sobald wir das Neue Testament aufschlagen. Das ist so ähnlich, als wenn jemand, den wir bis dahin noch nicht kannten, uns gleich zu Anfang seine Visitenkarte überreicht.
Dieser Stammbaum ist wie eine Visitenkarte Gottes. In ihr verrät uns Gott ganz viel über sich selbst, über seine Identität. Doch auf den ersten Blick ist es eine verwirrende Visitenkarte, weil wir hier manches erfahren, was wir normalerweise nicht mit Gott in Verbindung bringen würden.
Deshalb lautet der Titel unserer Predigt heute Morgen: Gottes verwirrende Visitenkarte.
Gottes Sohn als Teil sterblicher Menschheitsgeschichte
Lassen Sie uns nun betrachten, was diese Visitenkarte alles über Gott offenbart.
Sterbliche Mitmenschen als Fundament
Erstens sterbliche Mitmenschen. Gott hat sterbliche Mitmenschen. Wenn Sie mitschreiben, Punkt eins: sterbliche Mitmenschen. Dieser Stammbaum ist der Beweis, dass Gott seinen Sohn in die Gemeinschaft der Menschen integriert. Jesus wird Mitmensch. So nahe kommt Gott der Welt.
Hören Sie: Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob, Jakob zeugte Juda und seine Brüder, Juda zeugte Peres und Serach mit der Tamar, Peres zeugte Hezron, Hezron zeugte Ram, Ram zeugte Aminadab – und so geht das Generation für Generation weiter.
Sie müssen wissen: Für Juden hatten Stammbäume eine große Bedeutung. Bei uns sind das heute eher ein paar Spezialisten, die Ahnenforschung betreiben und in alten Dokumenten graben. Oft sind das riesige, alte Bände, in denen sie nach ihren Vorfahren suchen.
Und dann machen das natürlich auch die Mormonen. Die Mormonen behaupten, dass man verstorbene Angehörige noch nachträglich taufen lassen kann und ihnen damit etwas Gutes tut. Deshalb suchen viele fieberhaft nach Angehörigen in riesigen Archiven. Die Mormonen haben auch ein enormes Datenarchiv, das inzwischen auch andere Stammbaumforscher nutzen können.
Warum war es für die Juden wichtig? Die Juden führten sich ganz bewusst auf die zwölf Stämme Israels zurück, die wiederum auf die zwölf Söhne Jakobs zurückgingen. Den Juden war bewusst: Wir sind in besonderer Weise das auserwählte Volk Gottes. Deswegen war es für sie eine besondere Ehre, zu diesem Volk zu gehören. Sie beriefen sich auf die große Verheißung, die Gott schon Abraham gegeben hatte: „Durch dich soll die ganze Welt gesegnet werden, auch die Heiden. Du wirst ein großes Volk werden, und durch dich sollen alle gesegnet werden.“
Das war die Verheißung, die der Stammvater erhalten hatte. Dann folgten Abrahams Sohn Isaak und Abrahams Enkelsohn Jakob. Über Jakobs Söhne entstanden die Stämme Israels.
Wenn jemand beispielsweise Priester werden wollte, musste er nachweisen, dass er aus dem Stamm Levi kam. Sonst hatte er keine Chance. Und um das nachzuweisen, brauchte er seinen Stammbaum.
Matthäus beginnt sein Evangelium nun mit der brisanten Information: Auch Gottes Sohn hat einen Stammbaum. Bei den Engeln war das völlig anders – die brauchten keinen Stammbaum. Immer wieder tauchen diese geheimnisvollen Boten in den Weihnachtsberichten auf, die Engel. Sie kamen quasi zu Besuch, tippten mal kurz auf der Erde und verschwanden wieder – wie Martin Luther das in seinem berühmten Weihnachtslied beschrieben hat: „Vom Himmel hoch, da komm ich her, ich bring euch gute neue Mär.“
Und „Mär“ meint hier einfach Nachricht, nicht Märchen, sondern Nachricht. Vom Himmel hoch, da komm ich her, und zum Himmel gehe ich dann wieder zurück in Gottes unsichtbare Welt. Ein Engel braucht keinen Stammbaum.
Bei Jesus war das völlig anders. Matthäus macht von Beginn an klar: Jesus hat einen Stammbaum. Er macht auch deutlich, dass dieser Stammbaum keinen Anspruch auf lückenlose Vollständigkeit erhebt – das war auch nicht nötig.
Wenn da steht: Juda zeugte Peres, Peres zeugte Hezron, A zeugte B, B zeugte C und so weiter, dann kann man das auch übersetzen mit „war der Vorfahre von“. A war der Vorfahre von B. Das konnte ein direkter Vorfahre sein, aber auch ein indirekter, gewissermaßen mittelbarer Vorfahre.
Wenn Sie zum Beispiel zwischen Peres in Vers 3 und Aminadab in Vers 4 schauen, liegen circa 400 Jahre. Das war offensichtlich. Also war es nicht das Ziel, mit diesem Stammbaum eine lückenlose Abfolge zu dokumentieren. Aber die Reihenfolge stimmt, und wir werden gleich noch sehen, welche Systematik in diesem Stammbaum steckt. Das ist ganz transparent.
Matthäus beginnt mit der Überschrift Abraham und David – die beiden markantesten Urväter Israels gewissermaßen. Die waren ja selber noch mal tausend Jahre voneinander entfernt. Matthäus schrieb sein Evangelium, das wissen wir auch, zunächst vor allem für jüdische Leser. Er zeigt nun den Zusammenhang zwischen Jesus und dem Stammbaum des Stammvaters Israels.
Dann geht es durch die Generationen hindurch. Irgendwann kommt die Generation David. Damit ist nachgewiesen, dass Jesus ein Davidssohn ist – etwa tausend Jahre vor Christus. Von dort aus geht es weiter über Davids Sohn Salomo.
Dann schlägt der Stammbaum einen großen Bogen, von David um etwa 1000 vor Christus bis hin zur babylonischen Gefangenschaft 587 vor Christus. Von der babylonischen Gefangenschaft aus geht es mit großen Schritten auf die Zeitenwende zu, bis hin zu Jesus.
Der Stammbaum mündet dann in den Versen 15 und 16, wo es heißt: Elihud zeugte Eleasa, Eleasa zeugte Matan, Matan zeugte Jakob, Jakob zeugte Josef – Achtung! – den Mann der Maria, von welcher geboren ist Jesus, der da heißt Christus.
Sie haben es gehört: Wir bekommen hier zwei entscheidende Informationen in diesen letzten Versen. Zum einen handelt es sich bei Matthäus um den Stammbaum von Josef. Zum anderen betont dieser Stammbaum die Jungfrauengeburt. Denn es steht eben nicht: Jakob zeugte Josef, Josef zeugte Jesus, sondern: Jakob zeugte Josef, den Mann der Maria, von welcher geboren ist Jesus, der Christus ist.
Sie haben es gemerkt. Und das müssen wir auch noch wissen: Der Vater – das galt auch für den Adoptivvater – war verantwortlich für die rechtliche Stellung des Nachkommens. Das behalten wir im Hinterkopf.
Die zwei Stammbäume Jesu und ihre Bedeutung
Und jetzt die nächste Frage: Natürlich kennen wir auch den zweiten Stammbaum, nämlich den Stammbaum von Maria. Bitte folgen Sie mir zu Lukas 3. Dort finden wir den Stammbaum von Maria.
Während Matthäus im Stammbaum Josefs mit Abraham beginnt und sich bis zu Josef vorarbeitet, verwendet Lukas genau das umgekehrte Verfahren. Lukas beginnt mit Jesus und arbeitet sich dann zurück.
Hören Sie Lukas 3,23: „Und Jesus war, als er auftrat, etwa dreißig Jahre alt und wurde gehalten für einen Sohn Josephs.“ Hier wieder der Hinweis auf die Jungfrauengeburt: Er war nicht wirklich der Sohn Josephs, sondern wurde nur dafür gehalten.
Weiter heißt es: „Der war ein Sohn Elis, der war ein Sohn Matats, der war ein Sohn Levis, der war ein Sohn Melchis“ usw. Was bedeutet das nun? „Sohn Josephs, der war ein Sohn Elis“?
Wir wissen aus der jüdischen Tradition, dass Eli der Vater Zianis von Maria war, also Maria die Tochter Elis. Lukas 3 setzt nun Joseph als den Schwiegersohn in den Stammbaum Marias ein, weil in jüdischen Stammbäumen Frauen in der Regel nicht als eigenständige Glieder genannt werden.
Deshalb können Sie hier quasi noch das Wort „Schwieger“ in Klammern davor schreiben: Er wurde gehalten für einen Sohn Josephs, der war ein Schwiegersohn Elis, der war ein Sohn Matats, ein Sohn Levis usw.
Damit ist völlig klar: Auch Lukas betont die Jungfrauengeburt, indem er sagt, Jesus wurde gehalten für einen Sohn Josephs. Und hier in Lukas 3 haben wir die ehrenwerte Herkunft Marias belegt. Auch Maria stammt aus der Familienlinie Davids, des großen Königs.
Jesus hatte, das wissen wir, eine leibliche Mutter. Und hier ist die Blutsverwandtschaft beschrieben, die uns bei Lukas dargestellt wird. Es ist die genetische Abstammungslinie, aus der Jesus geboren wird. Auch diese Linie führt über David. Deshalb kann Paulus in Römer 1,3 schreiben: „Jesus wurde geboren aus dem Geschlecht Davids nach dem Fleisch“, also nach seiner leiblichen Herkunft. Das meint „Fleisch“ im Sinne seiner leiblichen Abstammung.
Das ist also der Stammbaum Marias, der zeigt, dass Jesus auch in genetischer Hinsicht aus der Davidslinie stammt.
Damit haben wir einen ersten spannenden Befund: Matthäus bietet uns den Stammbaum Josefs, Lukas den Stammbaum Marias. Wenn wir diese beiden Stammbäume nebeneinanderlegen, sehen wir, dass sie von Abraham bis David völlig gleich sind. Erst in der Generation der Söhne Davids trennen sich die Linien.
Das wird noch wichtig werden: Der Stammbaum bei Matthäus geht über Davids Sohn Salomo bis zu Jakob, dem Vater des Josephs. Der Stammbaum bei Lukas geht über Davids Sohn Nathan bis zu Eli, dem Vater Marias und Schwiegervater Josephs.
Das ist ganz wichtig: Bei Matthäus läuft die Linie über Salomo hin zu Joseph, bei Lukas über Nathan bis zu Maria.
Lukas bietet also die genetische, die leibliche Abstammungslinie durch die Mutter, und Matthäus präsentiert die juristische, die rechtliche Abstammungslinie durch den Adoptivvater.
Damit haben wir eine erste brisante Entdeckung. Diese Stammbäume vermitteln Gottes verwirrende Visitenkarte: Jesus steht hier zwischen lauter sterblichen Mitmenschen.
„Gott hat sterbliche Mitmenschen, anders als die Engel.“ Das ist hier völlig eindeutig.
Der stille Machtanspruch des davidischen Königs
Auf den zweiten Blick enthüllt uns dieser Stammbaum eine Botschaft, die rechtlich von großer Bedeutung ist. Hier finden wir nämlich nicht nur sterbliche Mitmenschen, sondern auch einen stillen Machtanspruch.
Beide Stammbäume weisen Jesus als David aus, als Davidssohn. Entscheidend für seine rechtliche Position ist jedoch die Herkunft des Vaters beziehungsweise des Adoptivvaters. Deshalb muss die junge Familie auch die Weihnachtsgeschichte aus Bethlehem im Ohr haben. Denn Bethlehem war der traditionelle Stammsitz der Davidsippe.
Lukas 2,4: Da machte sich auch Joseph auf den Weg, wenn wir am 24. wiederhören, aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land, zur Stadt Davids, die Bethlehem heißt, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war.
Hier wird also noch einmal bestätigt, was man aus dem Stammbaum wusste.
Nun kommt eine entscheidende Voraussetzung für den Messias, den großen Retter, den Gott schenkt und schickt, der einmal der wahre König Israels sein wird: Er muss ein rechtlicher Nachkomme Davids sein. Der Stammbaum von Matthäus ist wie ein Zertifikat.
Dieser Stammbaum enthält eben diesen stillen Machtanspruch. Er ist wie die notarielle Beglaubigung, mit der Gott beweist, dass sein Sohn Jesus der legitime Anwärter auf dem Königsthron Davids ist und damit der Messias.
Schauen Sie, wie präzise das hier geschieht: Nicht nur, dass Jesus der rechtliche Nachkomme von Josef ist, und Josef der rechtliche Nachkomme Davids, sondern zusätzlich verläuft Josefs Stammbaum in der Generation nach David über dessen Sohn Salomo.
Das ist exakt die Königslinie. Das ist wichtig. Der Stammbaum verläuft nach David über Salomo, und das ist die Königslinie. Damit ist Jesus ausgewiesen als der rechtliche Nachkomme des Königs Salomo und aller weiteren davidischen Könige, die auf Salomo folgen und die hier ab Vers sechs aufgeführt sind.
Isa zeugte den König David, David zeugte Salomo mit der Frau des Uriah, Salomo zeugte Rehabiam, Rehabiam zeugte Abia, Abia zeugte Asa, Asa zeugte Joschaphat, Joschaphat zeugte Joram, Joram zeugte Usia, Usia zeugte Jotham, Jotham zeugte Ahas, Ahas zeugte Hiskia, Hiskia zeugte Manasse, Manasse zeugte Amon, Amon zeugte Josia, Josia zeugte Joachin und seine Brüder um die Zeit der babylonischen Gefangenschaft.
Machtpolitischer Hintergrund
Machtpolitischer Sprengstoff
Für uns sind das auf den ersten Blick nur ein paar hebräische Namen, aber in Wirklichkeit ist das machtpolitischer Sprengstoff. Dieser Stammbaum präsentiert einen stillen Machtanspruch. Die Linie der leiblichen Mutter Maria führt nur über den unbedeutenden Davidssohn Nathan. Doch die Linie des rechtlich maßgeblichen Adoptivvaters, hier in Matthäus 1, weist Jesus als direkten Nachkommen der königlichen Linie aus.
Kein Wunder, dass ein machtbesoffener Potentat wie Herodes nicht mehr ruhig schlafen kann. Matthäus zeigt, dass die königliche Davidsdynastie von Salomo bis Joachim – also in den Versen 6 bis 12 – sich jahrhundertelang an der Macht halten konnte. Das Königtum war mal stärker, mal schwächer, aber die Dynastie blieb bis zur babylonischen Gefangenschaft 587 v. Chr. an der Macht.
Dann kam der brutale Einschnitt. Das Südreich wurde nach Babylonien verbannt. Das Nordreich war schon lange vorher, 728 v. Chr., nach Assyrien deportiert worden. 587 v. Chr. folgte das Südreich, und damit war das Volk Israel seiner Macht beraubt.
Joachim, den wir in Vers 11 und 12 sehen, ist wie ein Brückenkopf. Er repräsentiert die letzte Generation vor dem babylonischen Exil und die erste Generation danach. Diese babylonische Gefangenschaft, 587 vor Christus, markiert den großen Bruch in Israels Königsgeschichte. Damit endet für lange Zeit die Macht der Davidsdynastie. Von da an bestimmen Fremdherrscher, was im Land Israel gilt – erst die Babylonier, dann verschiedene andere, bis hin zu den Römern zur Zeit, als Jesus geboren wird.
Die Abstammungslinie der Davidsfamilie geht natürlich weiter, doch sie haben nichts mehr zu sagen. Das ist vergleichbar mit unserem Ernst August von Hannover. Er hat keine Macht mehr, ist aber immer noch Nachfahre eines alten, ehrwürdigen Königshauses. Ernst August V., Jahrgang 1954, ist ein Nachkomme der Welfen und Urenkel des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. über dessen einzige Tochter Viktoria Luise von Preußen. Ähnlich erging es den Nachkommen Davids seit der babylonischen Gefangenschaft.
Die Namen ab Vers 13 sind, wenn ich das so sagen darf, die Ernst Augusts der Davidslinie. Die Ernst Augusts heißen da so: Serubbabel zeugte Abiud, Abiud zeugte Eliakim, Eliakim zeugte Asor, Asor zeugte Zadok, Zadok zeugte Achim, Achim zeugte Eliud, Eliud zeugte Eleasar, Eleasar zeugte Matan, Matan zeugte Jakob, Jakob zeugte Josef, den Mann Marias.
Das sind die Ernst Augusts der Davidslinie – die Macht ist dahin. Es ist nur noch ein matter Glanz der Tradition. Seit Israel aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrt ist, gibt es keine wirklichen Könige mehr. Das zeigt sich auch an diesem Geschlechtsregister: Ab Vers 12 kommen keine prominenten Namen mehr vor, und ab Abiud in Vers 13 sind die Personen nicht einmal mehr in der Bibel erwähnt.
Matthäus standen vermutlich zuverlässige Stammbäume zur Verfügung. Denn bei den Juden zur Zeit Jesu war es absolut üblich und wichtig, sorgfältig auf die eigenen Stammbäume zu achten. Das war steuerrechtlich relevant, bei Erbschaften, bei Landbesitz, und wenn jemand Priester werden wollte, brauchte man die Stammbäume für viele wichtige Angelegenheiten.
Wir können also davon ausgehen, dass die jüdischen Familien damals strengstens auf ihre Stammbäume achteten. Dadurch konnte Joseph nachweisen: Ich bin nicht nur ein Nachkomme aus der weit verzweigten Familie des Königs David – das galt ja auch für Maria –, sondern ich stamme definitiv aus der offiziellen Königslinie über David, Salomo, Rehabeam und all deren Nachfolger bis hin zu meinem Vater Jakob.
So wird Jesus ein legitimer Nachkomme der davidischen Königslinie und erfüllt alle rechtlichen Voraussetzungen, die der Messias mitbringen muss. Deshalb beginnt Matthäus sein Evangelium mit diesem Stammbaum. Das ist kein verstaubtes Archivmaterial, das er vor dem Vergessen bewahren will, sondern hochaktuelle Information.
In diesen Versen verbirgt sich ein stiller, aber massiver Machtanspruch auf den Davidsthron, falls Israel irgendwann wieder die Macht dazu haben sollte. Das bedeutet: Jesus ist der legitime König Israels – das ist nachgewiesen.
Die Bedeutung des davidischen Königs für den Messias und uns
Warum ist das so wichtig? Jesus wollte doch sowieso nicht mit einem politischen Anspruch auftreten. Warum ist es so bedeutend, dass Jesus Anspruch auf den Davidsthron erheben kann? Und warum ist das für uns wichtig, obwohl wir politisch ja nicht direkt mit Israel zu tun haben?
Die Antwort lautet: Weil der Messias, den Gott angekündigt hat, aus dieser Königslinie kommen musste, um der wahre Messias zu sein. Für die Zukunft hat Gott mit diesem Messias noch ganz andere Pläne, wenn er sichtbar in dieser Welt herrschen wird. Aber schon jetzt ist das für uns von größter Wichtigkeit. Gott hatte ja schon zu Zeiten Davids versprochen, dass er diesen Messias schicken würde.
Der Kerntext dazu ist 2. Samuel 7. Dort finden wir die große Verheißung gegenüber David. Gott sagt ihm im Vers 11: „Und der Herr verkündigt dir, dass der Herr dir ein Haus bauen will.“ In Vers 12, an David gerichtet, heißt es: „Wenn nun deine Zeit um ist und du dich zu deinen Vätern schlafen legst, will ich dir einen Nachkommen erwecken, nämlich Salomo, der von deinem Leibe kommen wird. Dem will ich sein Königtum bestätigen.“
Ab Vers 16 richtet die Prophetie dann den Blick in die weite Zukunft. Da heißt es in Vers 16: „Aber dein Haus und dein Königtum sollen beständig sein in Ewigkeit vor mir, und dein Thron soll ewig bestehen.“
Das ist die Messlatte für den Messias: Er wird die zerschlagenen Herzen heilen, die Sünde vergeben, die Verlorenen retten, die Gedemütigten aufrichten und am Ende auch das so leidige Machtproblem lösen.
Für uns bedeutet das schon jetzt: Jesus kann nur dann unser Retter sein, wenn er der legitime König ist. Sonst wäre er nicht der Richtige laut biblischer Vorhersage. Er muss der Davidssohn sein, der aus der königlichen Linie über Salomo kommt. Dafür liefert Matthäus in diesen Versen das Zertifikat, den Stammbaumbeweis.
So erklärt sich schließlich auch dieser rätselhafte Vers 17, mit dem Matthäus diesen Stammbaum besiegelt. Dort heißt es: „Alle Glieder von Abraham bis zu David sind 14 Glieder, von David bis zur babylonischen Gefangenschaft sind 14 Glieder, von der babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus sind 14 Glieder.“
Dabei wird Joachim doppelt angeführt, nämlich als Ende der zweiten Linie, die zur babylonischen Gefangenschaft führt, und als Anfang der dritten Linie, die dann zu Christus hinführt.
Wir haben schon gesagt, und das war auch allen Lesern klar: Matthäus bietet keine lückenlose Abstammungslinie. Das ist nicht seine Absicht und war für jeden klar. Deshalb muss man Vers 17 so verstehen: „Alle Glieder (die in diesem Stammbaum aufgeführt sind) sind vierzehn.“
Matthäus hat diese Vierzehnerstruktur ganz gezielt gewählt. Damit will er ein Zeichen setzen. Er meint, das war für jeden klar auch ausdrücklich symbolisch: Dreimal vierzehn Glieder. Von Abraham bis zur Davidsdynastie die Machtentfaltung, dann von der Davidsdynastie bis zur babylonischen Gefangenschaft der Niedergang und schließlich der Neuanfang nach der babylonischen Gefangenschaft, sehr kümmerlich zunächst, der aber dann in Christus erfüllt wird.
Alle diese drei Linien werden nach diesem Vierzehnerprinzip gestaltet. Warum ausgerechnet vierzehn? Sie müssen wissen: Der Zahlenwert des Namens David im Hebräischen ist vierzehn.
Im Hebräischen haben alle Namen zugleich einen Zahlenwert, der sich ergibt, indem man die Konsonanten, die diesen Namen bilden, addiert. Der Name David besteht im Hebräischen aus drei Konsonanten: Dalet, Waw, Dalet – man kann sagen D, W, D, wenn man es etwas vereinfacht überträgt.
D ist der vierte Buchstabe, also Wert vier. Waw ist der sechste Buchstabe, also Wert sechs. Dann haben Sie D plus W plus nochmal D: Vier plus sechs sind zehn, plus vier macht vierzehn. Das ist der Zahlenwert des Namens David.
Das will Matthäus hier sagen: Die gesamte Geschichte Israels – und er zeigt das durch diesen Vierzehner-Rhythmus – läuft auf den Davidsohn Jesus zu.
Nicht der alte, ruhmreiche König David ist das Ziel der Geschichte; das war nur eine Zwischenstation. Es geht letztlich um den verheißenden ewigen Thronnachfolger, den Sohn Davids. Einer der Titel, mit dem sich auch Jesus vorgestellt hat, war „Ich bin der Sohn Davids.“ Viele haben ihn auch so angerufen: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“
Das macht Matthäus hier klar. Er sagt: Das Ziel dieser drei Epochen, das Ziel der gesamten Israelgeschichte, ist der wahrhaftige David, der wahrhaftige Vierzehner, Jesus Christus.
Was für eine Präzision! Schauen Sie, was für eine Präzision Gott hier einsetzt, um uns durch Matthäus zu zeigen, dass sein Sohn der legitime König, der wahre Messias ist – der einzig wahre Retter. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Johannes 14,6). Der Taxifahrer hat völlig Recht – das ist Jesus.
Und das ist die zweite Botschaft, die uns Gott hier über sich mitteilt auf dieser verwirrenden Visitenkarte:
Erstens, Gott kommt unter sterbliche Menschen. Und zweitens: Dieser stille Machtanspruch – er, Jesus, ist der davidische König.
Die menschliche und sündige Verwandtschaft Gottes
Und dann ein letzter, ungemein wichtiger Punkt: die Verwandtschaft, mit der Gott sich in diesem Stammbaum gemein macht. Die Verwandtschaft, in die er seinen eigenen Sohn hineinschickt.
Drittens: schmutzige Menschenhände, sterbliche Mitmenschen – stiller Machtanspruch. Und das dritte, schmutzige Menschenhände, das beweise ich Ihnen jetzt hier noch.
Paulus sagt über Jesus: Er erniedrigte sich selbst (Philipper 2,6). Und ja, das sehen wir hier. Jesus steigt ein in eine Familiengeschichte, deren dunkle Kapitel in der Öffentlichkeit kein Geheimnis waren. Kein Geheimnis.
Gott begibt sich nicht nur in Menschenhände, sondern in schmutzige Menschenhände. Das ist mal ein großer Unterschied.
Also diese Königskandidaten aus den Versen sieben bis zwölf – die waren ja einschlägig bekannt. Das konnte man ja im Alten Testament nachlesen, in den Königs- und Chronikbüchern, ja? Rehabian, Abia, Joram, Ahas, Manasse, Amon, Joachim – einschlägig bekannt, ziemlich schräge Typen zum Teil.
Positiv waren eigentlich nur Joschafat, Usia, Hiskia und Josia. Aber auch sie hatten eine gemischte Bilanz.
Die Gesamtbilanz der Könige Israels kann man in 2. Chronik 33 nachlesen. Dort wird das über Manasse gesagt, der gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs ist.
Dort steht die Bilanz (2. Chronik 33,9): „Aber Manasse verführte Juda und die Einwohner von Jerusalem, sodass sie es ärger trieben als die Heiden, die der Herr von den Israeliten vertilgt hatte.“ Ärger als die Heiden – das ist die Bilanz.
Schlimmer als die Heidenvölker.
Manasse – ja, die Liste seiner Perversionen und Gottlosigkeiten ist lang. Sogar im Tempel hatte er ein Ascherer-Standbild aufstellen lassen, er ließ Tempelprostitution zu, betrieb die Anbetung der Gestirne, führte Kinderopfer durch – er opferte seine eigenen Kinder. Das zeigt seine grenzenlose Gier, ein grausames heidnisches Ritual, intensiven Okkultismus.
Manasse verbündete sich mit finstersten Mächten. Am Ende schenkte ihm Gott trotzdem die Bekehrung. Aber er gehört zum Stammbaum.
Überlegen Sie, was es für einen völlig reinen und durch und durch heiligen Gott bedeuten muss, seinen geliebten Sohn in diesen Stammbaum hineinzuschicken, in diese verkorkste, schlimme Familiengeschichte.
Und nicht nur die meisten Könige in diesem Stammbaum haben schmutzige Menschenhände, sondern ebenso krass ist der Leumund, der Ruf der Frauen in diesem Stammbaum.
Das war sowieso schon ungewöhnlich, dass Frauen in so einem Stammbaum auftauchten. Aber hier werden sie alle genannt. Und was für Stammfrauen finden wir hier?
Es hätten ja theoretisch, weil die Männer ja auch dabei waren, Sarah, Rebekka, Lea und solche ehrenwerten Mütter Israels darunter sein können. Aber die finden wir hier nicht. Sondern wen finden wir?
Tama in Vers drei, Rahab in Vers fünf, Ruth in Vers fünf und Bathseba, die Frau des Uriah, in Vers sechs.
Und was haben diese vier Frauen gemeinsam? Sie haben in jüdischen Ohren alle keinen guten Klang.
Diese vier Frauen erinnern alle an dunkle Kapitel der Geschichte Israels. Es waren alles Heiden.
Tama, eine Kanaaniterin, eingeheiratet in eine jüdische Familie; Rahab ebenfalls eine Kanaaniterin; Ruth eine Moabiterin. Das Volk der Moabiter gehörte wirklich zu den harten Feinden Israels.
Bathseba war zwar selbst israelischer Herkunft, aber sie war durch Heirat mit Uriah ja quasi Hethiterin geworden.
Und diese vier Frauen machen den Stammbaum schon zu einer skandalösen Chronik, zu einer Skandalgeschichte.
Tja, und es kommt ja noch schlimmer: Bis auf Ruth – der ein ausgesprochen liebevoller und zuverlässiger Charakter bescheinigt wird – sind alle diese Frauen nachweislich belastet mit ziemlich krasser Sünde.
Alle Menschen sind Sünder, das macht die Bibel immer wieder ganz klar. Aber bei denen war das besonders offenkundig, und die Sünde lag größtenteils drastisch auf sexuellem Gebiet.
Tama – das haben wir vor wenigen Wochen in Genesis 38 miteinander genauer betrachtet: Nachdem sie Witwe geworden war, verführte sie ihren Schwiegervater Juda, indem sie sich als Hure verkleidete. Das Ergebnis dieser Verbindung waren die Zwillinge Peres und Serach, die finden Sie auch hier im Stammbaum. Hurerei plus Inzest.
Und trotzdem stehen diese Namen im Stammbaum des Messias.
Dann Rahab (Vers fünf): Rahab verkleidete sich nicht nur als Prostituierte, sie war jahrelang eine Prostituierte. Krass. Aber sie versteckte dann die Kundschafter Josuas, als es darauf ankam, und sie hat sich später offensichtlich bekehrt.
In Hebräer 11,31 steht: „Durch den Glauben kam die Hure Rahab nicht mit den Ungehorsamen um.“ Sie hat sich offensichtlich bekehrt, diese Frau.
Und natürlich die Frau des Uriah. Jeder halbwegs gebildete Jude kannte diese Geschichten.
Bathseba hat Ehebruch mit König David begangen. Das war der Tiefpunkt beider Biografien. Dafür steht Bathseba.
Und Gott macht deutlich: Sie gehören alle hinein in den Stammbaum meines Sohnes.
Verstehen Sie: In diese Welt, in diese Familiengeschichte, in diese Genealogie steigt Jesus ein.
Gottes Sohn kommt in eine Königsdynastie, an der die Regenbogenpresse und die Bildzeitung ihre helle Freude gehabt hätten: Mord und Totschlag, Ehebruch und Untreue.
So lässt Jesus sich hineinschreiben in die Geschichte einer tief verschuldeten Menschheit.
Und damit beginnt Matthäus sein Evangelium.
Martin Luthers Erkenntnis zur Heiligkeit und Sünde
Martin Luther war fasziniert von diesem Befund und hat dazu Folgendes gesagt: In der Linie oder im Geschlechtsregister Christi ist zu bemerken, dass der Evangelist vier Frauen anführt, die in der Schrift sehr berüchtigt sind, nämlich Tamar, Rahab, Rut und Batseba. Aber von den wohlberühmten Frauen, also denen, die besonders angesehen sind wie Sarah, Rebekka, Lea und Rahel, wird nichts gesagt.
Luther fragt sich, warum das so ist, und gibt folgende Antwort: Er hält es für geschehen, weil diese Frauen Sünderinnen waren, also offenkundige Sünderinnen. Christus wollte in dem großen Geschlecht geboren werden, in dem Huren und Buhlerinnen sind, um damit zu zeigen, welche Liebe er zu Sündern trägt. Denn wahre Heiligkeit – je heiliger sie ist – macht sich umso mehr den Sündern nah.
Wenn Christus ein Pharisäer gewesen wäre, hätte er sich nicht mit ihnen gerühmt. Sie hätten vor ihm sinken müssen, und er hätte die Nase gerümpft. Aber weil er heilig war, mussten diese verrufenen Frauen unter seine Großmütter gezählt werden. Das ist ein großartiger Befund.
Gott konnte nicht deutlicher zeigen, dass er zu Sündern und nur zu Sündern kommen will. So hat es der Herr Jesus ja auch gesagt, in Matthäus 9, Vers 12. Dort hat er deutlich ausgedrückt, dass die Gesunden den Arzt nicht bedürfen, sondern die Kranken. Er ist gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten, also nicht diejenigen, die sich für gerecht halten.
Das heißt: Wer sich nicht als Sünder erkennt, dem hat Jesus nichts zu sagen. Wenn sie nicht bereit sind, vor Gott Buße zu tun und sich als Sünder zu erkennen, dann hat Jesus ihnen nichts zu sagen. Dann können sie sich das ganze Weihnachten schenken.
Luther bringt es auf diesen einen Satz hier in unserem Text: „Denn rechte, also wahre Heiligkeit, je heiliger sie ist, je näher sie sich zu den Sündern macht.“ Verstehen Sie? Der Heuchler benutzt die Sünde des anderen, um sich darüber in seinem Stolz zu erheben. Der Heuchler freut sich über die Sünde des anderen: „Pfui, pfui, was für ein Sünder, und wie gut bin ich dagegen!“ Aber die wahre Heiligkeit rückt ganz nah an die Sünder heran – das ist ihr Wesen.
Warum? Das ist doch ganz logisch: Echte Heiligkeit dürstet, echte Heiligkeit sehnt sich nach Reinheit. Darum dürstet sie danach, nah an die Sünde heranzugehen, um sie zu überwinden, um sie zu heilen. Verstehen Sie? Das muss so sein.
Echte Heiligkeit dürstet nach Reinheit und kann darum gar nicht nah genug an die Sünde heranrücken, weil sie sie ja überwinden, weil sie sie ja vergeben, weil sie sie ja beseitigen will.
Darum dürfen wir am Ende feststellen: Weil Gott völlig heilig ist, begibt er sich in schmutzige Menschenhände – nicht obwohl Gott völlig heilig ist, sondern gerade weil er heilig ist. Luther hat genau verstanden, worauf es hier ankommt.
Weil Gott heilig ist, kann er Sünde nicht ertragen. Er kann auch meine Sünde nicht ertragen und dein finsteres Herz nicht ertragen. Darum rückt er uns im wahrsten Sinne so nah auf die Pelle.
Mit dem einen großen Ziel, unsere Sünde zu verwandeln in Heiligkeit durch die Macht seiner Vergebung. Und in seiner Nähe muss dann aller Schmutz weichen, alle Schuld.
Ja, wir werden manchmal rückfällig, wir merken, wie sehr wir immer wieder Vergebung brauchen. Aber er bleibt bei uns, er geht mit uns den Weg, und er lässt uns nicht mehr los. In seiner Nähe muss schließlich aller Schmutz weichen.
Weihnachtsgeschichte als lebendiges Zeugnis göttlicher Nähe
Die Szene, mit der ich schließe, ist fast zu schön. Deswegen habe ich mir letzte Woche noch einmal bestätigen lassen, dass dahinter wirklich eine wahre Begebenheit steht.
Eine junge Familienmutter erzählt, wie sie mit ihrer kleinen Familie ausgerechnet am Weihnachtstag von Los Angeles nach San Francisco fahren, um die Großeltern zu besuchen. Vielleicht sind sie auf dem Highway Number One unterwegs, jedenfalls geht es von L.A. nach San Francisco – eine Riesentour. Zwischendurch machen sie eine kurze Rast in einer Kleinstadt.
Im Bistro ist kaum etwas los, bis der einjährige Erik aus dieser Familie aus seinem Kinderstühlchen einen Landstreicher anlacht, der gerade hereinkommt. Dieser Landstreicher ist ein Fetzen: Sein Mantel ist zerlumpt, am Hemd fehlt der Kragen, er riecht nicht gut. Doch er erwidert das Lächeln von Erik und schaut mit leuchtenden Augen auf den kleinen Jungen.
Die beiden, Erik und der Landstreicher, beginnen eine lautstarke Kommunikation, sodass sich die Leute schon umdrehen. Eriks Eltern ist das peinlich. Der Vater verzieht sich mit dem sechsjährigen Bruder schon einmal zur Kasse und sagt zur Mutter: „Bring du Erik mit, wir treffen uns dann auf dem Parkplatz.“
Die Mutter hilft, Erik schließt sie aus dem Kinderstühlchen, trägt ihn in Richtung Ausgang. Als sie an dem Landstreicher vorbeigehen will, streckt Klein Erik die Arme zu ihm hin. Der Landstreicher fragt höflich: „Würden Sie mich Ihr Kind auf den Arm nehmen lassen?“
Was soll sie machen? Es ist ihr unangenehm, aber sie kann nichts anderes tun, als das zuzulassen. Sie legt ihm den Sohn in die Arme. Später erzählt sie dann: Erik lehnte sein Köpfchen an die mit Lumpen bedeckte Schulter, und ich sah, wie unter den Augenliedern des Alten Tränen hervorquollen. Seine schwieligen, schmutzigen Hände umschlossen liebevoll den Körper meines kleinen Jungen.
Schließlich gab er mir Erik zurück und sagte mit fester Stimme: „Und jetzt kümmern Sie sich wieder um Ihr Baby. Gott segne Sie, liebe Frau, Sie haben mir mein Weihnachtsgeschenk gebracht.“
Irgendwie presste ich ein „Ja“ doch hervor, nahm mein Kind in Empfang und stürzte zum Auto davon. Auch während die Mutter davonlief zum Auto, packte sie ihr Gewissen, und sie schämte sich für ihre Sturheit und Unfreundlichkeit.
In diesen Momenten sagt sie, begriff sie klarer als jemals zuvor, wie viel Weihnachten Gott gekostet hat: Gott, dass er seinen eigenen Sohn Jesus Christus uns ausgeliefert hat, dass er Jesus in unsere schmutzigen Hände gelegt hat. Und das nicht nur gezwungenermaßen für ein paar Sekunden, sondern freiwillig für viele Jahre bis hin zum Tod – ja, zum Tod am Kreuz.
Er hat sich mit unserem Schmutz und mit unserem Schund infiziert und unsere Schuld gesühnt, dadurch, dass er am Kreuz alle Strafe auf sich nahm. Verstehen Sie: Bis heute hat Gott nicht aufgehört, Sünder in ihrem Schmutz zu suchen, die sich nach seinem geliebten Sohn ausstrecken, obwohl wir wissen, dass wir zu schmutzig sind für Jesus.
Aber er hat sich davon nicht abschrecken lassen. Er hat wahrgemacht, worauf schon der Prophet Jesaja gehofft hatte: „Wenn eure Sünde auch blutrot ist, so soll sie werden weiß wie Schnee.“ Das beweist Gottes Stammbaum.
Ach, allmächtiger Gott, wir können dir nur danken, dass du zu uns gekommen bist. Dass du vor unserem Schmutz und unserer Gottlosigkeit, unserer Hartherzigkeit, unserer Gier, unserem Hochmut und unserem Egoismus nicht zurückgeschreckt bist. Und dass du uns das bewiesen hast – auch in diesem wunderbaren Stammbaum.
Herr, danke, dass du deine reinen Hände nach uns Sündern ausgestreckt hast und dass du es bis heute noch tust. Dass du auch in dieser Adventszeit wieder unterwegs bist, um das Leben von Sündern zu verändern, zu retten für Zeit und Ewigkeit.
Herr, danke, dass wir dir gehören dürfen. Lass doch bitte geschehen, dass noch viele, viele Zeitgenossen auch hier in Hannover und wo überall diese Predigt gehört wird, erkennen, wie sehr wir dich brauchen. Und dass du wirklich alles, alles heil machen kannst, du lieber, guter Herr! Amen!
