Freude sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Amen!
Einführung: Wahrnehmen, was uns vertraut ist
Liebe Gemeinde,
ein Indianer besuchte seinen weißen Freund. Er verließ sein Reservat und kam in eine größere Stadt. Der Lärm der Autos und die vielen Menschen verwirrten ihn zunächst.
Die beiden Männer, der Indianer und sein weißer Freund, gingen dann über eine belebte Straße. Plötzlich tippte der Indianer seinen Freund auf die Schulter und sagte: „Bleib mal still, hier ist doch etwas, das ich höre. Hör mal genau hin.“
Der Weiße antwortete: „Alles, was ich höre, ist das Hupen der Autos und das Lärmen der Leute. Was soll ich hier schon groß hören?“
„Nein, das meine ich nicht“, sagte der Indianer. „Ich höre ganz in der Nähe eine Grille zirpen.“
„Was? Du musst dich täuschen. Hier gibt es überhaupt keine Grillen. Und selbst wenn es eine gäbe, könnte man das Zirpen dieses Tierchens gar nicht hören, da der Lärm der Autos und des Verkehrs viel zu stark ist.“
Sie gingen weiter. Nach einigen Schritten blieb der Indianer vor einer Hauswand stehen. Wilde Weinpflanzen rankten an der Mauer. Er schob die Pflanzen ein wenig beiseite und siehe da, es saß eine Grille dort.
„Siehst du, da habe ich doch Recht“, sagte der Indianer.
„Tja“, meinte der Weiße, „ihr Indianer könnt eben besser hören als wir Weißen, daran sieht man es wieder.“
Doch der Indianer lächelte nur und sagte: „Nein, nein, das ist es nicht, du täuschst dich, mein Freund. Das Gehör eines Indianers ist nicht besser oder schlechter als das Gehör eines weißen Mannes. Ich werde es dir beweisen.“
Er holte ein 50-Cent-Stück aus der Tasche und warf es auf den Fußweg. Es klimperte ein wenig. Einige Leute, die in der Nähe standen, schauten sich sofort danach um. Schließlich nahm es einer vom Boden auf und ging damit nach Hause.
„Siehst du“, sagte der Indianer, „das Geräusch, das das Geldstück gemacht hat, war nicht lauter als das Zirpen der Grille. Und doch haben sich viele danach umgedreht. Warum?“
Der Grund liegt darin, dass wir stets das gut hören, worauf wir zu hören gelernt haben. Wir hören stets das Gut, worauf wir zu achten gewohnt sind. An bestimmte Geräusche müssen wir uns erst gewöhnen, uns erst einhören, gewissermaßen.
Und was für das äußere Ohr zutrifft, gilt für unser inneres Ohr ganz genauso. Auch bestimmte Dinge unseres Herzens hören wir nur, verstehen wir nur, wenn wir lernen, darauf zu hören, wenn wir unser inneres Gehör gewissermaßen schulen.
Sonst werden wir auch als Christen bestimmte Dinge, die Gott uns sagen und uns zeigen will, immer wieder überhören.
Die Notwendigkeit einer geistlichen Gehörschulung
Das ist einer der Gründe, warum Paulus den Epheserbrief geschrieben hat. An diesen Brief werden wir uns in der nächsten Zeit immer wieder heranwagen, gewissermaßen als eine Gehörschulung für Christen.
Denn damals, als die ersten Leser diesen Brief vor sich hatten, war es genauso wie heute: Bestimmte Inhalte unseres Glaubens kennen wir als Christen aus dem Effeff. Zum Beispiel, dass Jesus Christus gestorben ist, um Sünder zu retten, dass der allmächtige Gott seinen einzigen Sohn auf diese Welt geschickt hat, um sie zu erlösen, und dass Jesus Gottes Sohn ist.
Das alles sind Dinge, die uns vertraut sind, die wir kennen und auch erklären können. Aber an anderen Stellen, die die Bibel ebenfalls anspricht, haben wir es nötig, dass unser Gehör immer wieder geschult wird.
Darum hat der Apostel Paulus betont, zum Beispiel in Apostelgeschichte 20, dass er es nicht unterlassen hätte, der Gemeinde den ganzen Ratschluss Gottes zu lehren. Den ganzen Ratschluss Gottes. Paulus hat sich also nicht auf ein Fastfood-Evangelium beschränkt, gewissermaßen nach dem Motto: Hauptsache unterhaltsam und kurzweilig, und das Wichtigste kriegen wir damit schon rüber. Ansonsten: Hauptsache, wir haben Spaß und müssen uns nicht zu sehr anstrengen.
Dann wären die Briefe von Paulus wesentlich kürzer ausgefallen. Dann hätte er Postkarten schreiben können oder am besten Ansichtskarten. Dann wäre die Bibel überhaupt wesentlich dünner geworden.
Nein, Paulus war sehr einflussreich und einfallsreich in der Art und Weise, wie er sich auf seine Hörer eingestellt hat. Er hat nicht über die Köpfe hinweg geredet und geschrieben, sondern versucht, auf die Menschen einzugehen, die er vor sich hatte. Gleichzeitig hat er ihnen immer auch ein gehöriges Maß an Mitdenken zugemutet – unabhängig von allen Bildungsfragen.
Er hat jedem Christen ein gewisses Maß an Denkarbeit zugemutet. Nicht im Sinne einer intellektuellen Spielerei, sondern weil es wichtig ist. Warum? Weil Gott die Wahrheit, die er seinen Aposteln anvertraut hat – weil er sie uns gegeben hat –, damit wir sie kennenlernen sollen.
Die ganze Wahrheit, die Gott uns in seinem Wort gegeben hat, ist so kostbar, dass jeder von uns etwas versäumt, wenn er nicht versucht, möglichst viel von dieser Wahrheit in seinem Leben kennenzulernen, zu verstehen und dann auch umzusetzen.
Paulus hat schon darauf geachtet, seine Leute nicht zu überfordern, aber er hat die Gemeinde doch Schritt für Schritt mit Gottes großen Wahrheiten vertraut gemacht, weil er eines wusste: Es geht um ein großes Ziel.
Unser Glaube kann nur dann wirklich reifen. Unser Glaube kann nur dann stark und gefestigt werden. Wir können nur dann im Glauben wachsen. Wir werden nur dann Gott mehr lieben und Gott besser kennenlernen, wenn wir Stück für Stück mehr in seine Wahrheit hineinkommen.
Das lohnt sich.
Einstieg in den Epheserbrief: Gottes himmlischer Segen
So haben wir letzten Sonntag begonnen, den Epheserbrief miteinander zu studieren. Wir wollen diesen roten Faden immer wieder aufnehmen, sodass es gewissermaßen wie eine Fortsetzungsgeschichte läuft. Gleichzeitig soll es so gestaltet sein, dass auch jemand, der nur bei einer einzigen Predigt dabei ist oder erst mit dieser einen Predigt einsteigt, schnell einen Zugang findet.
Es soll also nicht so sein, dass jemand, der zum ersten Mal in Kapitel 3 auf den Epheserbrief stößt, nichts versteht, weil er die anderen Predigten vorher nicht gehört hat. Diese kann er dann immer noch auf CD nachhören. Dennoch soll ein Zusammenhang deutlich werden, und jede Predigt soll auch für sich ganz verständlich sein.
Paulus hat, wie wir letzten Sonntag in Vers 3 sahen, deutlich gemacht: Gott hat euch, ihr Epheser, und euch, ihr Christen hier in Hannover, etwas Großartiges anvertraut. Er hat uns einen großen Reichtum geschenkt. Er hat himmlischen Segen gegeben – also Segen, der nicht vergänglich ist, der mit dem Alter und der Zeit nicht an Wert verliert. Das hat er uns gegeben, Leute! So hat Paulus in Vers 3 gesagt: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.
Ab Vers 4 beginnt Paulus dann, dieses Geschenk des Segens Gottes gewissermaßen vor unseren Augen auszupacken – Schritt für Schritt. Er sagt: „Jetzt guckt hin! Guckt hin, was Gott euch geschenkt hat, ihr Christen! Freut euch daran!“ Ja, das ist interessant.
Mit unserem Vers 4 heute fängt Paulus sofort an, diesen Reichtum aufzublättern. Wir wollen heute Morgen nur ein Geschenk herausgreifen, das, was Paulus als Erstes benennt. Wir wollen an den Segen erinnern, an den Paulus auch die Epheser als Erstes erinnert. Und wir wollen sehen, welche Gabe Gottes er an die Spitze seiner Darlegung stellt.
Womit hätten Sie angefangen? Wenn Sie einem Christen seinen Reichtum erklären sollten, den er durch den Glauben an Jesus Christus hat, womit hätten Sie begonnen? Schauen wir mal, wie Paulus beginnt. Es sind die Verse 4 bis 6. Wir lesen aber noch einmal den ganzen Zusammenhang, damit Sie das alles vor sich haben:
Paulus, ein Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, an die Heiligen in Ephesus, die Gläubigen in Christus Jesus: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus. Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten. In seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten.
Wir wollen noch einmal kurz beten: Herr Jesus Christus, nun bitten wir dich, dass du uns wirklich hilfst, zu verstehen, was dein Wort uns an dieser Stelle sagen will. Lass uns das nicht einfach nur als ein intellektuelles Problem sehen, sondern hilf uns, wirklich zu begreifen, dass du hier zu unserem Herzen sprechen willst – auch in diesen Versen. Bitte hilf uns, das zu erkennen. Amen!
Gottes souveräne Entscheidung als Grundlage unseres Glaubens
Also, das ist der erste Segen, den Paulus hier vor uns auspackt. Er sagt: Gott hat euch erwählt, Gott hat euch vor Grundlegung der Welt vorherbestimmt.
Auf die Frage, warum wir zu Gott gehören, müssen wir uns jetzt an das Grillenzirpen gewöhnen, das wir im Hintergrund hören, zusammen mit dem Heuchen unseres Herzens. Paulus stellt diese Frage: Warum gehören wir zu Gott? Wodurch ist Gottes Segen in unser Leben gekommen, von dem er in Vers 3 spricht? Warum dürfen wir seine Kinder sein?
Darauf antwortet Paulus zunächst nicht mit Gründen wie: weil ihr euch bekehrt habt, weil ihr zum Glauben gefunden habt, weil ihr eine Entscheidung für Jesus getroffen habt oder weil ihr euch für Gottes Wort geöffnet habt. All das wird später im Verlauf des Epheserbriefes noch behandelt.
Paulus beginnt nicht mit dem, was wir getan haben. Stattdessen beginnt er mit Gottes souveräner Entscheidung. Er sagt: Gott hat euch erwählt, und er sagt, Gott hat euch vorherbestimmt.
Gott entscheidet vor meiner Entscheidung
Erwählung
Wenn Sie eine Überschrift für Ihre Mitschrift wählen möchten, können Sie schreiben: Gott entscheidet zuerst.
„Gott entscheidet zuerst“ – das ist das große Thema heute Morgen. Wir wollen uns dieses Thema zunächst genauer anschauen und mit zwei Punkten entfalten, was „zuerst“ eigentlich bedeutet.
Gott entscheidet zuerst, das heißt erstens: Gott entscheidet vor meiner Entscheidung. Das ist der erste Punkt. Der Urtext im Griechischen zeigt, dass diese Wörter genau das meinen, was wir auf den ersten Blick darunter verstehen.
In Vers 4 heißt es: „In ihm hat er uns erwählt oder auserwählt.“ Gott hat in souveräner Freiheit einzelne Menschen dazu auserwählt, dass sie zu ihm gehören sollen. Paulus sagt: „Deshalb seid ihr gläubig geworden.“ Im Griechischen steht hier die grammatikalische Form Aorist. Wer Griechisch kennt, weiß, dass der Aorist verschiedene Aspekte haben kann – etwas Zupackendes, etwas Definitives. Gott hat auserwählt, und so ist das hier gemeint. Paulus verwendet an dieser Stelle den Aorist, um auszudrücken, dass Gott euch definitiv auserwählt hat.
Es ist interessant: Gott hat zum Beispiel Abraham auserwählt, um mit ihm das Volk Israel zu gründen. Er hat Mose auserwählt, um das Volk Israel aus der ägyptischen Sklaverei herauszuführen. Und aus Milliarden von Menschen wählte Gott diejenigen aus, die an seinen Sohn Jesus Christus glauben und errettet werden würden. Das besagt dieser Aorist: Er hat definitiv auserwählt.
Gott erwählt Menschen, Kinder Gottes zu werden, an Jesus zu glauben. Er erwählte ganz bestimmte Menschen als seine Kinder. Das heißt, er erwählte sie dazu, gerettet zu werden und auf ewig in den Himmel zu kommen.
Wenn wir das hören, stockt uns erst einmal der Atem. Das ist wie das Grillenzirpen, das die Menschen in der Stadt überhören. Diese Seite Gottes ist uns völlig fremd. Wir fragen uns: Ist das ein Missverständnis? Wie kann Gott den einen erwählen und andere möglicherweise nicht?
Bedenken Sie, damit fängt Paulus diesen Brief an. Deswegen müssen wir auch heute darüber reden, wenn wir über den Epheserbrief sprechen. Paulus beginnt mit diesem Thema. Man kann sich fragen, ob es taktisch klug war, gerade damit zu beginnen, ob es diplomatisch war, das an den Anfang zu stellen. Hätte Paulus nicht in den ersten Versen etwas weniger Anstößiges schreiben können?
Aber er bekräftigt es. In Vers 4 sagt er: „Gott hat euch auserwählt“, und in Vers 5 bestätigt Paulus dieselbe Tatsache noch einmal mit einem anderen Ausdruck. Er sagt: „Gott hat uns vorherbestimmt.“ Damit schließt Paulus wirklich jeden Zweifel und jede Möglichkeit eines Missverständnisses aus.
Paulus sagt nicht, Gott habe es nur vorher gewusst, sondern er sagt, Gott habe es vorherbestimmt. Da schießt uns natürlich sofort die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in den Kopf: Ist das gerecht?
Natürlich steht in Vers 6 noch: „Er hat uns begnadet durch Christus, also in dem Geliebten.“ Aber wir fragen uns: Warum ausgerechnet uns? Warum hat er nicht alle begnadet? Wie kommt Paulus dazu, so etwas zu behaupten?
Liebe Gemeinde, das behauptet Paulus nicht nur hier. Das ist kein Ausrutscher, sondern er schreibt es an vielen Stellen. Zum Beispiel im Römerbrief Kapitel 8 sagt Paulus: Diejenigen, die Gott zuvor ausersehen hat, also herausgewählt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie dem Bild seines Sohnes gleich sein sollten.
Und dann sagt er weiter in Römer 8, Vers 29: „Die Gott vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht.“ Da gibt es keinen Zweifel.
Jesus hat das Gleiche gesagt. Schauen Sie mal in Johannes 6, Vers 44: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, der Vater, der mich gesandt hat, zieht ihn.“ Oder in Matthäus 11, Vers 27: „Niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem der Sohn ihn offenbaren will.“
Und der Bibeltext, den uns Bruder Nordzig eben vorgelesen hat, sagt das Gleiche. Dort heißt es: Als die Heiden in Antiochia hörten, wurden sie froh und priesen das Wort des Herrn, und alle wurden gläubig – und wie geht es weiter? „Die zum ewigen Leben bestimmt waren“, gemeint sind die, die zum ewigen Leben vorherbestimmt waren.
Verstehen Sie, darauf stößt man in der Bibel auf Schritt und Tritt, wenn man erst einmal gelernt hat, dieses Grillenzirpen nicht zu überhören. Die Bibel ist voll von dieser Lehre. Und Gott hält es offenbar für ausgesprochen wichtig, dass wir diese Lehre nicht überlesen. Deshalb kommt sie so häufig vor, und hier im Epheserbrief steht sie gleich steil und schroff am Eingangstor des Briefes.
Wir wollen uns jetzt behutsam an diese Lehre herantasten und Gott bitten, dass er uns ein wenig verstehen lässt, warum er es so gemacht hat und warum er uns das mitteilt.
Gott entscheidet vor Grundlegung der Welt
Also, das Erste, was wir feststellen, ist: Gott entscheidet vor meiner Entscheidung.
Unser zweiter Punkt, mit dem wir das zuvor Erläuterte vertiefen, lautet: Gott entscheidet vor Grundlegung der Welt.
Das steht wirklich so in Vers 4: „Denn in ihm, in Jesus, hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war.“ Das bedeutet, bevor wir geboren wurden, ja sogar bevor die Welt geschaffen wurde, hat Gott seine Kinder bereits erwählt und vorherbestimmt. Das schreibt Paulus einfach so hin.
Mehr noch, er feiert das geradezu. Wenn man diese Verse liest, merkt man, dass sie nicht den Charakter einer grüblerischen Abhandlung haben, sondern eher eines fröhlichen Lobliedes, eines begeisternden Lobliedes. Paulus sagt nicht: „Liebe Mitchristen, ich weiß, jetzt kommt ein harter Brocken, bitte nehmt es mir nicht übel, aber ich komme nicht umhin, euch zu schreiben, dass ihr Christen wurdet, weil Gott euch erwählt hat. Es ist nun mal so.“
So schreibt Paulus nicht. Stattdessen sagt er: „Gelobt sei Gott, er hat uns erwählt, er hat uns vorherbestimmt zu seiner Ehre.“
Es braucht nicht den Scharfsinn eines Paulus, um zu merken, dass das eine sperrige Wahrheit ist – auch für schlichtere Gemüter. Trotzdem jubelt Paulus, weil er den Trost und den Reichtum sieht, der in dieser Tatsache liegt.
Sehen Sie es jetzt einmal von einer anderen Seite: Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, dann kann er wissen: Gott hat mich erwählt, noch bevor ich überhaupt etwas von ihm ahnte oder kannte. Noch bevor die Welt erschaffen wurde, noch bevor Gott die Welt schuf, hat er mich gesehen.
Noch bevor Gott wusste, dass ich zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer bestimmten Mutter mit einer bestimmten Haarfarbe geboren werden würde – das wusste er alles. Aber noch bevor das alles geschah, hat er mich schon für sich herausgeholt. Er wählte mich zum ewigen Leben und legte fest, dass ich eines Tages sein Kind sein sollte und für ewig leben würde.
Können Sie sich eine größere Würde über Ihrem Leben vorstellen, als dass der allmächtige Gott das mit Ihnen gemacht hat? Vor Grundlegung der Welt, vor mehreren tausend Jahren, da sagt Wolfgang Nestvogel: „Und du wirst zu mir gehören, und du wirst mein Kind sein.“ Unvorstellbar!
Paulus sagt: Wenn du zu Jesus Christus gehörst, wenn du an ihn glaubst, dann gilt das für dich. Dann darfst du das so von dir sagen, dann stimmt das so für dich: Du gehörst zu Jesus Christus. Du hast dich bekehrt, bist umgekehrt von deinem alten Leben, weil der allmächtige Gott dich souverän dazu auserwählt und vorherbestimmt hat.
Deswegen hat er dich auch begnadigt. Aus der Ewigkeit heraus hat Gott seine Hand nach dir ausgestreckt. Aus der Ewigkeit heraus, als du noch nicht geboren warst, da hat er dich schon gesehen, da hat er dich schon unter seine Fittiche genommen.
Wenn ein Mensch das von sich selbst behaupten würde, dann würde man sagen: „Der Kerl ist übergeschnappt.“ Ja, ganz klar. Aber Paulus erklärt das hier im Namen Gottes für jeden Christen. Und nicht nur Paulus, sondern auch Jesus, und das zieht sich durch die ganze Bibel hindurch: „In ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war.“
Beginnen Sie jetzt ein wenig zu ahnen, warum das ein Loblied geworden ist?
Fragen und Spannungen im Umgang mit der Erwählungslehre
Aber einige knifflige Fragen sind damit natürlich nicht vom Tisch, und die wollen wir jetzt auch noch ein Stück weit angehen.
Sind wir denn nicht Marionetten?, sagt einer. Es ist doch völlig egal, wie wir leben und was wir machen. Wenn wir sowieso erwählt sind, dann ist ja alles, was wir hier in dieser Welt tun, völlig bedeutungslos.
Ich will Ihnen sagen: Sie haben das sogar bei manchen berühmten Predigern gesehen. Der berühmteste war wahrscheinlich John Wesley, einer der großen Evangelisten Englands im achtzehnten Jahrhundert. Er hat das wörtlich so gesagt: Wenn das wahr ist, dann ist ja alles Predigen umsonst. Es ist unnötig für die Erwählten, denn sie werden mit oder ohne Predigt sowieso gerettet. Und es ist sinnlos für die, die nicht erwählt sind, denn sie können unmöglich errettet werden.
Das klingt ganz logisch, was Wesley schreibt. Aber Wesley hatte einen guten Freund und einen mindestens genauso begabten Evangelistenkollegen: George Whitefield. George Whitefield war übrigens der, der angefangen hatte, im Freien zu predigen, im achtzehnten Jahrhundert. Er hat John Wesley dazu gebracht, ebenfalls im Freien zu predigen, hinauszugehen zu den Menschen und sie mit dem Evangelium zu rufen.
Wissen Sie, was George Whitefield auf diese Frage von John Wesley geantwortet hat? Die haben einen ziemlich öffentlichen Briefwechsel darüber geführt und sich manchmal bis an die Grenze des Freundlichen gestritten, muss man schon sagen.
Aber Whitefield hat Folgendes geantwortet: „Oh, Wesley, was ist denn das für eine Logik? Hat nicht derselbe Gott, der die Errettung für seine Erwählten verordnet hat, genauso verordnet, dass die Predigt des Wortes das Mittel ist, durch das er sie zur Errettung bringen wird?“
Also sagt Whitefield ganz einfach: Lieber Wesley, derselbe Gott, der die Erwählung bestimmt, sagt auch, dass die Erwählten durch die Verkündigung des Wortes Gottes, durch Evangelisation, zum Glauben gerufen und dadurch gerettet werden.
Und genauso sagt es auch die Bibel. Die Bibel sagt, die Erwählten kommen dadurch zum Glauben, dass sie die Verkündigung des Wortes Gottes hören. Das führt zu ihrer Bekehrung, und so werden sie gerettet. Dann erfahren sie, dass sie die Erwählung Gottes sind: Du bist von Ewigkeit her von mir gerufen worden.
Man hat das immer wieder mit einer großen Tür erklärt: Von außen stehen sie davor. Über dem Türrahmen steht, angenommen wir stehen jetzt hier von außen davor: „Jesus ruft: Kommt her zu mir, ich will euch retten.“ Dann gehen wir zu Jesus, wir glauben an ihn, rufen ihn als unseren Retter an. Und wenn wir uns dieselbe Tür von innen anschauen, sehen wir darüber stehen: „Du wurdest erwählt vor Grundlegung der Welt.“
So macht die Bibel beides gleichzeitig und ausdrücklich deutlich. Sie sagt: Gott ist souverän, Gott ist der König, Gott ist der König, der darüber bestimmt, wer in seinem Reich dabei sein darf. Und sie sagt zugleich: Gott ist der Richter, der den Menschen voll bei seiner Verantwortung packt und ihn nach seinem Glauben fragt.
So lehrt die Bibel sowohl die Souveränität und Erhabenheit Gottes auf der einen Seite als auch die volle Verantwortlichkeit des Menschen auf der anderen.
Wir haben in der Bibel eine Fülle von Aussagen. Wenn ich das nächste Mal über den Zusammenhang predige, bringe ich mal eine Liste mit, die kann sich dann jeder mit nach Hause nehmen. Eine Fülle von Aussagen darüber, dass Gott sagt: „Bekehr dich, du bist voll verantwortlich!“ – und eine Fülle von Aussagen darüber, dass die Bibel deutlich macht: „Du bist gerettet worden, weil Gott dich vor Grundlegung der Welt erwählt hat.“
Und wissen Sie, manchmal stehen diese beiden Wahrheiten sogar innerhalb einer Bibelstelle. Paulus macht das zum Beispiel in Galater 4,9 deutlich. Dort sagt er: „Jetzt aber, da ihr Gott erkannt habt“, und dann fügt er hinzu: „ja vielmehr von Gott erkannt worden seid.“ Verstehen Sie das? In einem Vers!
Oder Jesus sagt das mal in Johannes 6,37. Dort macht er ganz deutlich, dass diejenigen zu ihm kommen, die der Vater zu ihm schickt. Johannes 6,37: „Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir.“ Und dann fügt er im nächsten Satz hinzu: „Und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen.“
Und wieder haben wir beides: Der Vater gibt Jesus seine Leute. Wir sind aufgerufen, zu ihm zu kommen. Und wer immer zu ihm kommt, wird von ihm nicht hinausgestoßen.
Und wissen Sie, das ist ganz erstaunlich, dass die Bibel diese beiden Wahrheiten ausdrückt und beieinander hält. Damit nimmt die Bibel etwas vorweg, was die moderne Physik knapp zweitausend Jahre später auch entdeckt hat, nämlich dass es spezielle, komplexe Wahrheiten gibt, die man mit unserer normalen Alltagslogik, die sonst ganz gut funktioniert, nicht sinnvoll ausdrücken kann.
Für die Alltagsfragen funktioniert die alte Logik von Aristoteles. Zum Beispiel: Sie können nicht gleichzeitig hier im Gottesdienst sitzen und in Mallorca am Strand liegen. Das geht nicht. Sie können entweder nur hier sein oder dort zur selben Zeit, also Sonntagmorgen um elf.
Ich will Sie jetzt nicht auf falsche Gedanken bringen, dass Sie sagen: Ich wäre lieber in Mallorca am Strand. Es ist mal gut, dass wir heute hier sitzen, sonst wären wir allein. Also, da geht nur entweder oder.
Aber es gibt bestimmte kompliziertere Wahrheiten, die lassen sich nicht mit dieser Entweder-oder-Alltagslogik erfassen. Die moderne Physik hat das etwa am Welle-Korpuskel-Dualismus deutlich gemacht. Man kann Licht so darstellen, dass es aus Wellen besteht und dass es aus Teilchen besteht. Für unsere Alltagslogik ist das ein unzumutbarer Widerspruch. Trotzdem gibt es für beide Aussagen, wenn Sie die Physiker fragen, ganz solide Belege.
Es lässt sich beides gleichzeitig sagen. Forscher wie Heisenberg haben gesagt, wir müssen lernen, in diesen komplementären Strukturen zu denken. Je länger ein Physiker darüber nachdenkt, so sagt er sinngemäß, umso weniger erscheint ihm das als ein Widerspruch. Er muss einfach lernen, in diesen sich ergänzenden Polen zu denken.
Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, mir ist das mit diesem Thema ganz ähnlich gegangen, weil ich mich in meiner Doktorarbeit lange, lange damit beschäftigen durfte. Je länger ich darüber nachdachte und immer wieder diese beiden Pole bewegte, umso weniger erschien mir das als ein Widerspruch. Es ist beides gleichzeitig, sagt die Bibel, auch wenn wir das nicht so einfach übereinkriegen.
Der Physiker Bernhard Filbert hat diese Nachbarschaft von Physik und Gotteslehre ganz gut ausgedrückt. Er hat gesagt:
„Können wir denn erwarten, dass sich Gott, der Herr und Schöpfer der Welt samt allen Denkens und aller Denkgesetze und aller Denkmöglichkeiten, mit Denkoperationen umfassen lässt, die sich nicht einmal die Lichtquanten bieten lassen? Können wir denn erwarten, dass der allmächtige Gott sein Handeln mit uns in so ein enges Kästchen hineinsperren lässt, das nicht mal mehr ausreicht, um die Lichtquanten angemessen zu beschreiben?“
Paulus sagt das viel einfacher: Er sagt, ja lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?
Für uns heißt das: Wir müssen beide Seiten ganz, ganz ernst nehmen. Wir sind voll zur Verantwortung gerufen, aber wir dürfen auch wissen, wenn wir zum Glauben finden durften, dass es letztlich eine Folge dessen ist, dass Gott uns erwählt hat.
Und ich glaube, es ist auch ganz wichtig, dass wir sehen: Paulus hat diese Wahrheit normalerweise in der Gemeinde gepredigt, unter Christen. Er hat diese Wahrheit nicht auf dem Marktplatz gepredigt, wo er wusste, dass viele Menschen Jesus Christus noch gar nicht kennen.
Das war kein Thema für die Evangelisation bei Paulus. Darüber werden wir beispielsweise nicht predigen am nächsten Sonntag, wenn wir alle möglichen Besucher des Kirchentages hierher einladen, um über die Religionsfrage zu reden.
Aber wenn Menschen zum Glauben gekommen waren, wenn sie Christen geworden waren, dann wusste Paulus, dass es wichtig ist, dass sie auch diese Wahrheit, diese komplementäre Wahrheit, kennenlernen.
Und natürlich, das muss man zugeben, das provoziert. An dieser Stelle haben auch Ungläubige immer wieder eingehakt und gesagt: „Na gut, wenn es Gottes Verdienst ist, dass du glauben kannst und gerettet wirst, dann ist es auch eben Gottes Schuld, wenn ich nicht glauben kann und nicht gerettet werde. Ist Gott doch selber schuld, dann bin ich eben entschuldigt in meinem Unglauben, Gott hat mich eben nicht erwählt, basta.“
Genau diese Umkehrung verbietet uns die Bibel. Für unser normales Denken läge das nahe, dass man sagt: „Wenn du errettet wirst, weil Gott dich von Ewigkeit her erwählt hat, dann gehe ich eben verloren, weil Gott mich von Ewigkeit her verdammt hat.“
Aber genau diesen Schluss zieht die Bibel nicht. Sie lässt auch hier wieder diese Spannung stehen. Sie sagt: Der Mensch, der Gottes Ruf gehört hat, ist voll verantwortlich.
Oder etwas einfacher ausgedrückt: In der Hölle gibt es nur Freiwillige.
Die Bibel lehrt nicht, dass Gott sozusagen von Ewigkeit her, vor Grundlegung der Welt, bestimmte Menschen für immer zur Verdammnis herausgesucht hat. Stattdessen lässt sie es bei dieser Spannung stehen: Sie sagt ja, wenn du dich bekehrst, dann ist das im Letzten Gottes Verdienst. Er hat dich erwählt und zu diesem Schritt geführt.
Und sie sagt umgekehrt: Wenn du dich nicht bekehrst, wenn du dich nicht umkehrst, dann kannst du dich nicht darauf hinausreden, dass Gott dich eben dazu bestimmt hätte. Dann wirst du voll bei deiner Verantwortung gepackt. Dann ist es deine Schuld.
So sagt es die Heilige Schrift.
Deswegen ist es für uns wichtig, diese Wahrheit schrittweise zu verstehen, uns immer mehr heranzutasten und uns damit vertraut zu machen, wie mit dem Zirpen der Grillen.
Der Blick in den Ratschluss Gottes und seine Bedeutung für unser Leben
Und deswegen hat Paulus uns heute Morgen einen Blick ermöglicht, der für uns kleine Menschen eigentlich viel zu hoch ist. Das, was wir heute Morgen gelesen haben, war ein Blick in den Ratschluss Gottes. Dabei hat uns Paulus eine große Wahrheit gezeigt: die Tatsache der Erwählung.
Ich denke, es ist normal, dass sich unser erdgebundener, fehlerhafter Verstand leicht immer wieder dagegen auflehnt. Aber das ist auch wahr. Wenn wir lernen, unser Denken dem Wort Gottes unterzuordnen und zu sagen: „Herr, ich weiß, dass du mehr weißt als ich, und ich möchte dich besser verstehen. Ich bin bereit, auch solche Dinge zu akzeptieren, die meinem begrenzten Denken auf den ersten Blick nicht einleuchten. Bitte hilf mir!“
Wenn wir bereit sind, diese eigentlich vernünftige Haltung gegenüber dem Wort Gottes einzunehmen – weil Gott es einfach besser weiß als wir – dann wird er unseren Verstand Schritt für Schritt immer mehr erleuchten. Er wird uns helfen, auch diese komplexeren Dinge, die uns eigentlich gegen den Strich gehen, nach und nach besser zu verstehen.
Gott will uns lehren, seine Gedanken zu denken. Er will uns lehren, das Zirpen der Grille zu hören. Gerade die Erwählungslehre, wenn wir sie Schritt für Schritt in unserem Leben besser begreifen, wird, denke ich, zu vielen sehr praktischen Auswirkungen führen.
Ich möchte am Ende nur zwei davon nennen: zwei praktische Auswirkungen, zu denen diese Wahrheit in unserem Leben führen kann.
Demut als Folge der Erwählungslehre
Eine Auswirkung der Erwählungslehre ist Demut. Diese Lehre macht Gott groß und den Menschen klein. Sie besagt, dass der Grund, warum Gott dich erwählt hat, nicht darin liegt, dass du besonders toll bist oder von Natur aus ein großes religiöses Potenzial mitbringst. Vielmehr liegt der Grund in seinem Erbarmen und seiner souveränen Entscheidung. Er hat dir die Erwählung schenken wollen, und das macht uns demütig.
Ich erinnere mich noch genau, wie eine Naturwissenschaftlerin mir gegenübersaß, der ich das zu erklären versuchte. Sie sagte: „Dann sagen Sie damit gewissermaßen, alles Gute kommt von Gott und alles Schlechte kommt von uns.“ Ich antwortete: „Ja, so ist es. So sagt es auch die Heilige Schrift.“
Charles Haddon Spurgeon, der große englische Prediger, wurde oft persönlich angegriffen, wenn er diese Lehre predigte. Er sagte einmal: „Geschwister, in uns allen lebt diese natürliche Feindschaft gegen Gott und gegen die Souveränität seiner Gnade.“ Ich habe erlebt, wie Menschen vor Wut auf ihre Lippen bissen und mit den Zähnen knirschten, wenn ich über dieses Thema predigte. Heute ist das hier noch nicht passiert.
Spurgeon nennt auch einen Grund dafür: Er sagt, die Tatsache, dass die Errettung zuerst von Gott kommt, ist eine demütigende Wahrheit. Wegen ihres demütigenden Charakters mögen die Menschen sie nicht. Gesagt zu bekommen, dass Gott mich retten muss, wenn ich gerettet werde, und dass ich in seiner Hand bin, das mögen viele nicht. Einer sagte: „Das mag ich nicht.“ Darauf erwidert Spurgeon: „Das dachte ich mir. Wer hätte hier im Traum daran gedacht, dass du es mögen würdest?“
Das ist also das eine. Diese Wahrheit hilft uns, demütig zu werden, vor Gott auch noch den letzten Rest unseres Stolzes zu verlieren und zu begreifen, dass es wirklich allein seine Großzügigkeit und sein Erbarmen war. Es gibt keinen einzigen Grund, mit dem ich erklären könnte, warum er mich erwählt hat. Es war seine große Gnade. So ist es.
Dankbarkeit als zweite praktische Folge
Und dann gibt es ein zweites, sehr praktisches Ergebnis, das uns Gott durch diese Wahrheit lehren will: Dankbarkeit. Nicht nur Demut, sondern auch Dankbarkeit.
Wenn man sich das klar macht, erkennt man: Meine Rettung hängt zuerst davon ab, dass Gott mich erwählt hat. Ich hatte es nicht selbst in der Hand, so wie Herkules am Scheideweg, der sich rechts oder links entscheiden kann. Ich habe mich nicht einfach so entschieden, rechts zu gehen, während andere sich links entschieden haben. Nein, Gott musste mich zuerst herausholen. Ich konnte es nicht allein.
Wissen Sie, als mir das zum ersten Mal klar wurde, hat mich das richtig erschreckt. Was wäre, wenn Gott mich nicht erwählt hätte? Haben Sie das jemals gedacht? Was wäre, wenn ich nicht glauben dürfte? Dann habe ich einmal tief durchgeatmet, weil ich wissen durfte: Er hat es getan. Er hat mich zum Glauben geführt. Ich darf an Jesus glauben. Deshalb kann ich erleichtert durchatmen und von Herzen dankbar sein.
Wissen Sie, ich weiß nicht, ob es Ihnen auch manchmal so geht. Mir geht es manchmal so, dass wir einerseits theoretisch wissen, dass wir die Rettung nicht verdient haben und als Christen nicht besser sind als andere. Aber dann schleicht sich in einem Winkel unseres verwegenen Herzens – zumindest meines Herzens – doch immer wieder dieser Gedanke ein: Na ja, gut, aber du hast ja Gottes Geschenk wenigstens angenommen. Im Gegensatz zu denen, die ungläubig geblieben sind, bist du wenigstens etwas offener gewesen. Eigentlich ist es doch ganz recht und angemessen, dass Gott dich begnadigt hat und in seinen Himmel reinlässt.
Ja, und dann beschleicht einen doch manchmal ein gewisses Verdienstgefühl, wenn man auf Menschen schaut, die nicht an Jesus glauben, und denkt: Na ja, so unverdient ist es ja doch nicht. Man wagt diesen Gedanken nicht zu Ende zu denken, aber er kann sich schnell ins Herz einschleichen.
Dagegen ist die Wahrheit der Erwählung Gottes ein sehr geeignetes Heil- und Gegenmittel. Denn damit rüttelt Gott mich wach und sagt: Nestvogel, du konntest dich nur bekehren, weil ich dich von Ewigkeit her dazu erwählt habe. Du konntest nur deshalb zum Glauben an Jesus finden, weil ich dich in meiner Gnade vor Grundlegung der Welt herausgeholt habe. Deshalb darfst du mein Kind sein.
Wenn mir das bewusst wird, werde ich wieder ganz neu dankbar dafür, dass ich Christ sein darf und diesem Herrn gehören darf. Es passiert uns als Christen ja immer wieder, dass wir sagen: Es fällt uns manchmal schwer, dankbar zu sein, und es fehlt uns vielleicht noch schwerer, demütig zu sein.
Ich kann Ihnen einen guten Rat geben, der mir selbst geholfen hat: Wenn Sie demütiger und dankbarer werden wollen, vertiefen Sie sich in die Erwählungslehre. Danken Sie Gott dafür, dass er Sie errettet hat. Danken Sie ihm und geben Sie vor ihm zu: Herr, ich gebe es zu, ich war es nicht einmal ein Fünkchen wert. Aber du hast mich zu dir gezogen.
Einladung zur Umkehr und zum Glauben
Und ganz am Schluss: Ich kenne ja nicht alle Menschen und kann nicht in jedes Herz blicken. Wenn hier jemand sein sollte, der noch nicht zu Christus gehört, dann haben Sie vielleicht schon gedacht: Wie gerne würde ich dazugehören, aber ich bin draußen, für mich gilt das nicht. Vielleicht ist heute Ihre Stunde. Vielleicht benutzt Gott ausgerechnet diese Predigt über die Erwählung, um Sie zur Bekehrung zu führen. Das könnte sein, um Ihre Sehnsucht nach seiner Vergebung und nach seinem Frieden zu wecken.
Vielleicht ist heute die Stunde, in der Gott Sie ruft. Dann geben Sie ihm Antwort: Setzen Sie Ihr Vertrauen auf Jesus Christus, wenden Sie sich im Glauben an ihn und sagen: Herr, rette mich, vergib mir! Dann kann ich Ihnen Folgendes zusagen – und das ist ganz wichtig, dass wir das zum Schluss hören: Es gibt keinen einzigen Fall in der ganzen Bibel, keinen einzigen Fall, in dem Jesus einen Menschen abgewiesen hätte, der zu ihm kam mit der Bitte: Herr, rette mich, Herr, vergib mir meine Schuld, bitte erbarm dich über mich.
Ich sage Ihnen, es gibt keinen einzigen Fall in der Bibel, in dem jemand mit dieser Haltung zu Jesus kam und von ihm abgewiesen wurde mit der Begründung: Es tut mir leid, du bist leider nicht erwählt. Das gibt es nicht! Darum ist es für einen Menschen, der gewissermaßen vor dieser Tür steht, völlig falsch, sich die Frage zu stellen: Bin ich erwählt? Das ist müßiges Spekulieren.
Sie müssen sich eine ganz andere Frage stellen, nämlich: Bin ich seinem Ruf gefolgt? Jesus Christus ruft mich – wir haben das vorhin gesungen: Jesus Christus ruft dich. Sein Ruf dringt jetzt an dein Ohr. Das ist die Frage, die Sie sich stellen müssen.
Ich denke, es ist kein Zufall, dass Jesus ausgerechnet in Johannes 6 – also in dem Kapitel, in dem er so viel über die Erwählung gesprochen hat – auch diesen Satz platziert hat: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen. Und ich denke, es ist kein Zufall, dass Jesus, nachdem er in Matthäus 11, Vers 27 so deutlich gesagt hat: Niemand kennt den Sohn als nur der Vater, und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will, unmittelbar im nächsten Satz Folgendes anfügt.
Da sagt er nicht etwa: Nun hört in euer Herz hinein, ob ihr vielleicht von Gott auserwählt seid. Wissen Sie, was Jesus im unmittelbar nächsten Satz sagt? In Matthäus 11, Vers 28 sagt er: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch Frieden geben.
Damit will Jesus jedes Missverständnis ganz eindeutig ausschließen, dass jemand, der zu ihm kommt, möglicherweise nicht angenommen wird mit der Begründung: Du bist leider nicht erwählt. Darum kann ich Ihnen vom Wort Gottes her diese Garantie wirklich geben – nicht weil ich es sage, sondern weil die Bibel es sagt: Wer immer in der richtigen Haltung zu Jesus Christus kommt, mit der Bitte um Erbarmen, mit der Bitte um Vergebung, mit der Bitte: Herr, rette mich –, der wird angenommen. Darauf steht seine Zusage.
Später wird Gott Ihnen die Augen öffnen, warum Sie kommen konnten, warum Sie diese Stunde der Umkehr erleben durften. Dann wird Gott Ihnen sagen: Noch bevor du angefangen hast, mich zu suchen – im Jahr 2004 oder 2005 –, habe ich schon längst begonnen, dich zu mir zu ziehen. Ja, mehr noch: Vor Grundlegung der Welt habe ich schon entschieden und bestimmt, dass du für ewig bei mir sein sollst.
Wer das begreift, wird nachvollziehen können, was der Dichter John Chadwick einmal in ganz einfachen Versen geschrieben hat, als er sagt: Ich suchte Gott, doch später wurde mir klar, er war es, der mein Herz zum Suchen trieb. Er suchte mich. Nicht ich war der, der fand. O Retter, wunderbar, gefunden wurde ich ganz durch dich. Gefunden wurde ich ganz durch dich.
Wenn uns diese Wahrheit wirklich nahekommt und unser Herz trifft, wird sie uns helfen, demütig vor unserem Herrn zu werden und dankbar. Dann werden wir aus Überzeugung singen, was wir jetzt singen: Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert. Das Selig zu dem Wunderbaren mein stolzes Herz hat nie begehrt. Jetzt weiß ich das und bin erfreut und rühme die Barmherzigkeit. Amen.