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Der Adventsmensch ist ein Hoffnungsmensch, weil er die Hoffnung erwartet. Wie Noah. Noah lernt Gehorsam, Gewissheit und Geduld. So erlebte er den Regenbogen. Das war wie Weihnachten. - Advents-Jugo aus der Stiftskirche Stuttgart


Wie einer Musikmensch wird, wissen wir. Er kaufe sich ein Keyboard, Computer und satten Hifi-Sound, dann wird gerappt, gescratcht, genitscht,¹ dass die Scheiben klirren. Und wie einer Sportsmensch wird, wissen wir auch. Er kaufe sich einen Tennisschläger, Ball und Rehbockschuhe, dann wird gesticht, gebeckert und gehubert,² dass die Bälle fetzen. Und wie einer Staatsmensch wird, wissen wir auch. Er kaufe sich einen Boss-Anzug, Fielmann-Brille und eine Zweitfrisur, dann wird gekohlt, gekinkelt und gewaigelt.³

Aber wie einer Adventsmensch wird, weiß sicher keiner. Dass wir uns richtig verstehen, der Adventsmensch ist kein Weihnachtsmann, der mit Wattebart und Jack Wolfskin-Rucksack die Kinder erschreckt. Der Adventsmensch ist kein Weihnachtsengel, der als Schnitzfigur auf der Spieluhr eiert. Der Adventsmensch ist kein Weihnachtskind, das süß wie Quittenmus himmlisch ruht.

Der Adventsmensch ist ein Morgenmensch, weil er den Morgen wittert, ein Zukunftsmensch, weil er die Zukunft riecht, ein Hoffnungsmensch, weil er die Hoffnung erwartet. Der Adventsmensch ist up to date, nicht von gestern, offen für morgen, zukunftsorientiert.

Aber wie einer Adventsmensch wird?

Studieren wir es beim ersten Adventsmenschen der Bibel, nämlich bei Simeon, nein, bei Hanna, nein, bei Zacharias, nein, bei Johannes dem Täufer, nein, viel, viel älter: bei Noah, richtig: bei Noah, dem Landmann, Noah dem Seefahrer, Noah dem Stammvater des Menschengeschlechts. Drei Befehle machten ihn zum Adventsmenschen. Davon muss ich erzählen.

1. Ran an die Kiste

Irgendwo auf dem flachen Land betrieb er seine Landwirtschaft. Morgens schaufelte er seinen Mist, mittags pflügte er seine Äcker krumm, abends trank er seinen Most. Eines Tages aber legte ihm Gott einen Bauplan, einen Schiffsbauplan auf den Bauerntisch und sagte: “Mach dir einen Kasten.” Noah hörte seinen Verstand: “Du bist doch Kartoffelbauer und kein Schiffsbauer. Wer wird schon den Rübenacker zur Werft umfunktionieren? Fernab von jedem Wasser legt kein Mensch ein Boot auf Kiel!” Noah hörte seinen Verstand, aber dazwischen immer wieder: “Ran an die Kiste.” Deshalb ging er eines Tages mit Hammer und Säge hinaus, um das Verrückteste aller Wasserfahrzeuge zu bauen: 150 m lang, 25 m breit, 15 m hoch, ein uhns Kasten.

Noah hörte seine Söhne. Sem, Ham, Japhet beguckten sich diese merkwürdige Alterserscheinung. Bisher war doch Väterchen ganz normal, ohne Hitzestau im Kopf. Jetzt will er auf seine alten Tage hin den Aussteiger markieren und alternativ leben. “Papa, bleib bei deinem Misthaufen und bau kein solchen Mist.” Noah hörte seine Söhne, aber dazwischen immer wieder: “Ran an die Kiste.” Deshalb baute er an seinem Containerschiff weiter, diesem überdimensionierten Viehstall mit Bug, Heck und Rädern.

Noah hörte seine Nachbarn. Am Ackerrand tauchten sie auf. Sie konnten’s nicht fassen, dass Bauer Noah plötzlich übergeschnappt ist. Welches verseuchte Blutplasma wurde dem Mann übertragen, dass der sich plötzlich vom Meister der Landwirtschaft zum Admiral der Landmarine mauserte? “Guten Morgen Captain, du hast das Fahrwerk am Kiel vergessen. He, du alter Seebär, wann stichst du in die Pfützen? Hallo, Herr Zookapitän, können wir beim Schmetterlingfang und Muckenjagd behilflich sein?” Noah hörte seine Nachbarn, aber dazwischen immer wieder: “Ran an die Kiste”, und schleppte und fugte und hämmerte und nagelte an seinem Seenotrettungskreuzer, weil er gehorsam sein wollte.

Auf den Gehorsam kommt es zuerst an. Gott legt jedem einen Plan auf den Tisch, einen Schiffsbauplan: Die Maße sind die Zehn Gebote, die Planken sind Gottes Wort, die Besatzung sind die Christen, der Mast ist das Kreuz, der Kapitän ist Gott selber. Ran an die Kiste!

Aber dann hören wir unseren Verstand: “Mit dem Schiff der Gemeinde erleidest du Schiffbruch. Dann hören wir unsere Freunde: Mit dem Schiff der Gemeinde gehst du auf Grund. Dann hören wir unsere Zeitgenossen: Mit dem Schiff der Gemeinde verschiffst du.

Aber dazwischen müssen wir immer wieder diesen klaren Befehl hören: “Ran an die Kiste.” Kein anderes Vehikel trägt dich durch die kommenden Fluten. Oder glaubst du, dass ein Brett vor dem Kopf dich über Wasser hält? Gott hat extra diese Beziehungskiste von Gemeinde und Gemeinschaft entworfen, damit du in allen Fluten, selbst in der Todesflut überlebst.

Ran an die Kiste. Noah lernte Gehorsam. Dies machte ihn zum Adventsmenschen.

2. Rein in die Kiste

Vor dem fertigen Schiff war Appell angesagt. Da stand die ganze Crew aus Hunden und Katzen, Panthern und Löwen, Kamelen und Rhinozerussen, Elefanten und Giraffen. Auf der strohtrockenen Wiese tönte es: “Durchzählen: Wau, miau, muh, mäh, iah, kikeriki. Rechts um, alles an Bord!” Die Luke fiel nach dem letzten Geschöpf ins Schloss. Und dann ging der Regenguss los. Das war kein Aquaplaning, bei dem die Reifen auf dem Asphalt nicht mehr halten. Das war kein Hochwasser, bei dem der Fluss über die Ufer tritt. Das war keine Springflut, bei der die nordfriesischen Halligen “Land unter” melden. Das war die kosmische Urflut, die schreckliche Sintflut.

Wenn der Ur-Ozean über dem Himmelszelt herunterbricht und das Ur-Meer unter der Erdscheibe nach oben drückt, so die damalige Vorstellung, dann entsteht eine kritische Masse, die die Katastrophe auslöst. Dörfer und Städte, Berge und Täler versanken in den Fluten. Nur Noah im Schwimmstall schipperte über das Meer, eine Kiste inmitten des Chaos, ein Kasten auf hoher See, ein Pünktchen im wildgewordenen Ozean. Stürme umtobten das Ding und Stürme durchtobten sein Herz. Noah musste sich fragen: “Hat Gott mich aus den Augen verloren? Hat Gott mich aus dem Gedächtnis gestrichen? Hat Gott mich vergessen?”

Der Psalmist hat auch so gefragt. Und Jona hat auch so gefragt. Viele haben so gefragt: “Mein Gott, hast du mich verlassen?” Es braucht gar keine Sintflut, um diese Anfechtung zu durchleiden. Da gibt es andere Güsse, die einem das Wasser bis zum Halse stehen lassen. Wieviele schwimmen in der Schule, im Betrieb, in der Freundschaft und kriegen keinen Fuß mehr auf den Boden? Deshalb die bohrende Frage irgendwo hinter dem Brustbein: Hat Gott mich aus den Augen verloren? Hat Gott mich aus dem Gedächtnis gestrichen? Hat Gott mich vergessen?

Auf die noachitische Anfechtung sagt die Bibel: “Da gedachte Gott an Noah.” Er dachte an ihn, als er in die Kiste ging. Er dachte an ihn, als er mit der Kiste auf große Fahrt ging. Er dachte an ihn, als die ganze Welt in Fluten versank. Gott hat keine Sekunde den Noah aus dem Blick gelassen. In jedem Augenblick war er unter der Aufsicht dieses Herrn. Noah ist nie vergessen, egal auf welchen Meeren er gerade schwimmt.

Und seit dieser Gott in Jesus zu uns aufs Wasser gekommen ist, kann es jeder wissen: Er kennt mich, auch wenn ich schwimme. Er liebt mich, auch wenn ich leide. Er hält mich, auch wenn ich ertrinke. Gott gedachte an Noah. Gott gedenkt an seine Leute. Gott denkt an dich.

Rein in die Kiste. Noah lernte Gewissheit. Das machte ihn zum Adventsmenschen.

“Rums”, machte es am Kiel. “Bums”, machte es im Stall. Die Arche saß auf dem Ararat fest.

3. Raus aus der Kiste

Natürlich wollte der Mann raus. Schließlich war das keine flotte Kreuzfahrt mit betuchten Schicki-Mickis. Wo so viel Viecher unter einem Dach leben, riecht es nicht nach französischem Parfüm. Aber keine Rede davon, dass bei der Strandung die Türen aufsprangen und die Falltreppe hinunterklappte. Zehn Wochen lang passierte überhaupt nichts. Zweieinhalb Monate hing das Ding an der Bergkuppe. Das Leben im Mief ging weiter. Am 1. Oktober tauchten die ersten Bergspitzen aus dem Wasser, aber von Ausbooten war keine Rede. Noch weitere 40 Tage flössen dahin, dann riss Noah der Geduldsfaden: Frische Luft! Und die Luke plumpste ins Wasser. Wie alte Seefahrer, die in Ermanglung von Navigationsinstrumenten Vögel benutzten, ließ er einen schwarzen Raben starten. Aber der brachte nur rabenschwarze Nachricht: “Alles bätschnass”. Dann waren die weißen Tauben dran: Eine kam sofort zurück, die andere brachte ein Ölblatt im Schnabel, die dritte blieb aus, das heißt: Pegel auf null!

Und Noah flippte nicht aus. Kein Bordfest mit Pizza und Cola aus der Kombüse. Keine Extraportion Rüben und Heu für die gesamte Wilhelma. Kein gar nichts. Es ist 1. Januar geworden, 6 Monate nach dem Auflaufen, und Noah sitzt immer noch zwischen Elefanten und Mäusen und Gorillas und Federvieh. Die Kiste wurde zum Knast.

Warten lernen ist schwer, sehr schwer sogar, nicht nur für Noah. Auch ein Mose musste warten, 40 Jahre lang in der Wüste. Auch ein Jakob musste warten, über den Tod hinaus. Auch ein Paulus musste warten, in vielen Polizeigefängnissen.

Warten ist das Los derer, die von diesem Gott nicht loskommen. Und wenn dir auch der Geduldsfaden reißen will, und wenn dir auch nur rabenschwarze Nachrichten ins Haus flattern, und wenn dich auch die weißen Friedenstauben nicht beruhigen können, dann höre: Geduld tut not. Gott hat eine eigene Uhr, aber sie ist nicht stehengeblieben. Er weiß genau, wann es Zeit bei dir ist. Deshalb warte in deiner Angst, in deinen Zweifeln, auch in deinen Stürmen der Liebe, in deiner Freundschaft, bis Gott sagt: Raus aus der Kiste.

Einmal wird er das bei dir sagen, so wie bei Noah, der mit seiner ganzen Menagerie in feierlicher Prozession herausmarschierte. Dann fiel der Mann auf die Knie und sah hinauf. Dort sah er über den Himmel gespannt den Regenbogen und er hörte eine Stimme: “Es soll nicht aufhören Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.”

Das war wie Weihnachten! Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen: Leben unter dem Friedensbogen Jesu, happy Christmas! Gehorsam, Gewissheit, Geduld hatten sich gelohnt.

Adventsmenschen erleben Weihnachten, nur Adventsmenschen erleben Weihnachten.

Deshalb lerne diesen Gehorsam. Der Herr gibt dir seine Befehle in der Bibel. Lerne diese Gewissheit, der Herr vergisst dich in keiner Sekunde. Lerne diese Geduld, der Herr öffnet dir die Tür, ganz bestimmt. “Wenn die Stunden sich gefunden, bricht die Hilf mit Macht herein.”

Nimm’s mir grau und greis gewordenem Menschen ab: Werde ein Adventsmensch. Bete darum. Jesus kann aus dir einen machen. Amen.


¹ Johannes Nitsch war ein bekannter christlicher Musiker

² ironische Bezugnahme auf die Marke “Reebok” und die Tennisstars Michael Stich, Boris Becker und Anke Huber

³ Bezugnahme auf die bekannten Politiker Helmut Kohl, Klaus Kinkel und Theo Waigel

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]