Herr Präsident, liebe Geschwister, vielen Dank für die freundliche Begrüßung!
Sie haben sich bereits intensiv mit dem Text aus Jeremia 20 beschäftigt. Dort fragt Jeremia: „Warum bin ich doch aus dem Mutterleib hervorgekommen?“ (Jeremia 20). Diese Frage stellt Jeremia, obwohl Gott ihn schon ausgesondert hatte, noch bevor er im Mutterleib bereitet wurde.
Warum bin ich aus dem Mutterleib gekommen? So fragt Jeremia, der Prophet Gottes, den Gott berufen hatte, noch bevor er geboren war. Warum überhaupt, wenn ich nur Jammer und Herzeleid sehen muss? Er war bestellt als Prophet, dem Gott sein Wort in den Mund gelegt hatte.
Es ist, als wäre alles vergessen, was Gott ihm einmal gesagt hatte: „Ich bin zu jung, ich tauge nicht dazu“ (Jeremia 1). Doch Gott erwiderte ihm: „Ich lege mein Wort in deinen Mund.“ Und jetzt scheint Jeremia wieder am Ausgangspunkt zu stehen. Warum überhaupt? Warum muss ich existieren? Was soll das alles? Was bringt es?
Doch das ist nicht alles. Im Text, den Sie gelesen haben – Jeremia 20 – gibt es in diesem erschütternden Bekenntnis ab Vers 7 auch ein Bekenntnis in Vers 11. Dort heißt es: „Aber der Herr ist bei mir als ein starker Held.“ Das ist eines der großen „Aber“-Worte der Bibel.
Dieses „Aber“ ist nicht nur ein Ausdruck von Gefühlen oder Emotionen, auf die wir heute so viel Wert legen. Es ist vielmehr eine Haltung, die selbst im Stehen vor Gott, in der Confessio Augustana Coram Deo, immer wieder die entscheidende Ausrichtung vor Gott bedeutet.
Es ist die Frage: Herr, wie ist es denn? Hat das, was ich getan habe, einen Wert vor dir?
Zweifel und Berufung im Dienst Gottes
Mit jedem neuen Konfirmandenjahrgang stellt sich uns die Frage: Was soll das eigentlich? Es wird doch immer schlimmer. Die Kinder bringen kaum noch etwas mit, und die Eltern wollen eigentlich nur ein schönes Fest. Warum soll ich mich da noch mit ihnen abmühen? Ich sehe doch nur Jammer und Herzeleid.
Bei Traugesprächen kann es sogar dazu kommen, dass man gar nicht mehr in die Tiefe geht. Um Gottes Willen, viele kennen doch nicht einmal „Lob den Herren“. Ich möchte doch nicht die ganze volkskirchliche Not erleben.
Die Eltern fragen oft nur, ob es denn reicht, ins Wirtshaus zu gehen und zum Fotografen. Noch schlimmer als die konfirmierenden Jugendlichen sind die konfirmierenden Eltern. Soll ich bei einem Besuch bei konfirmierenden Eltern überhaupt ein Gespräch führen? Dabei sollten wir ja nicht auf religiöse Fragen kommen, denn dann wird ganz deutlich, was wir Pfarrer in 400 Jahren seit der Reformation nicht erreichen konnten.
Was soll’s? Warum bin ich eigentlich berufen zum Propheten? Noch schlimmer kann die Frage sein, die uns gerade in Nächten überkommt, besonders uns Emeriti. Früher konnten wir all diese Fragen betäuben, indem wir uns in die unendliche Fülle der Aufgaben gestürzt und immer wieder etwas Neues angepackt haben.
Aber was bringt das Ganze? Wer hat mich geritten, dass ich meinte, ich sei zum Pfarrer berufen? Wie bin ich überhaupt dazu gekommen, Theologie zu studieren? Hätte ich nicht lieber etwas Vernünftiges gemacht? Was ist denn überhaupt aus den vier Jahrzehnten Dienst geworden? Habe ich Frucht bringen können? Oder bin ich dem Herrn Jesus vielleicht sogar im Weg gestanden?
Das sind Fragen, die die Außenvertreter Gottes immer bewegen, wenn sie ehrlich sind – vor Gott und vor sich selbst.
Jeremia als Beispiel für leidenschaftlichen Dienst und Ablehnung
Bei Jeremia war es noch einmal etwas ganz Besonderes. In Kapitel 25,3 heißt es: „Ich habe euch nun 23 Jahre lang immer wieder gepredigt, und ihr habt nie hören wollen.“ Dabei handelt es sich nicht um eine Aufforderung, die Stelle immer wieder aufzuschlagen, sondern nur, wenn man möchte.
Diese 23 Jahre waren nicht selten vergeblich im Volk Gottes, im erwählten Israel. Die vordergründige Diskussion um das Stichwort Judenmission übersieht oft, dass Israel zwar im Bund stehen kann, aber den Bund auch vergessen oder missachten kann. Die Propheten Gottes wurden abgelehnt.
Diese 23 Jahre sind eine lange Zeit, doch nicht schlimm wegen der Dauer, sondern wegen der Intensität. In Kapitel 18 wird erzählt, wie die Männer von Anatot kommen. Jesus sagt einmal, kein Prophet sei angenehm in seinem Vaterland. Jeremia stellt sich in die Reihe der Propheten. Die Leute von Anatot, seine Gesellen und Freunde, planen Böses gegen ihn. Sie fragen sich: „Wie kriegen wir den weg, diesen Störenfried, diesen Stänker?“
Passur, der Sohn Immers, ein Priester, schlägt Jeremia und sperrt ihn in den Block am Oberen Benjamintor ein. Diese Intensität des Leidens haben nur wenige von uns erlebt.
Dann kommt das dazu, was Sie heute Morgen für sich gelesen haben: Vers 10. Jeremia sagt: „Ich höre, wie viele heimlich reden, Schrecken ist um und um. Den hat es gepackt, den hat Gott im Regen stehen lassen. Offensichtlich hat er es verdient. Verklagt ihn, wir wollen ihn verklagen.“ Alle meine Feinde lauern, ob ich nicht falle. Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können.
Doch ich habe etwas falsch gelesen: Nicht die Feinde, sondern alle meine Freunde und Gesellen lauern auf mich.
Die Herausforderung falscher Freunde und innerer Anfechtung
In meiner privaten Bibellese war ich gerade wieder bei den Richtergeschichten. Als Gott Simson zum Richter Israels berufen hatte, sagten seine Landsleute: „Weißt du nicht, dass die Midianiter über uns herrschen? Wir müssen doch stillhalten.“
Im Dritten Reich, während des Kirchenkampfs, konnten viele treue Kirchengemeinderäte Ähnliches sagen: „Man darf den Mund nicht so weit aufreißen. Es sind mal die Nazis dran. Wir danken, dass Adolf Hitler, unser Führer, die Arbeitslosigkeit beseitigt hat. Jetzt müsst doch ihr von der Kirche nicht dagegen sein.“
Als die bultmannsche Theologie aufkam, habe ich oft hören müssen: „Ihr sollt mal sehen, wie Rudolf Bultmann demütig den Kollektenteller in der Kirche in Marburg herumreicht.“ Gegen den Kollektenteller hatten wir doch nichts. Vernünftige Diskussion wird immer wieder abgewürgt.
Die Freunde und Gesellen sagen: „Ja, Jesus hat uns wie Schafe nur den Wölfen ausgeliefert, aber er hat nicht gesagt, dass wir den Wölfen auch noch ins Ohr zwicken sollen. Haltet doch still, ihr dürft euren Glauben behalten!“
Unter den vielen Gefahren, die Paulus im zweiten Korintherbrief Kapitel elf nennt – in Flüssen und auf Meeren – war wahrscheinlich die schlimmste Gefahr unter falschen Brüdern. Und wenn wir den Feministinnen Recht geben wollen, müssen wir auch dazusagen: unter falschen Schwestern. Nicht bloß falsche Brüder, sondern falsche Geschwister.
Man muss auch nicht so weit treiben, dass der Herr Oberpriester Pashur so erregt ist. Man kann ihm doch nicht den Heiligen Geist absprechen. Er wäre doch nicht in diese Stellung gekommen, wenn Gott es nicht gewollt hätte. Gott hätte es doch sonst verhütet, wenn er nicht auch ein Bote Gottes wäre. Also, wer sich mit ihm so arg anlegt, der kann selber nicht recht sein, sagen die falschen Geschwister – auf ihre Art bis heute.
Die schlimmste Anfechtung kommt nicht von den Feinden Jesu, sondern von den Freunden. Müssen Sie beim Konfirmationsgottesdienst so eine steile Jesus-Predigt halten? Das wäre auch nicht nötig. Müssen Sie dem Sterbenden jetzt noch eine Choralfeier sagen? Müssen Sie ihm den Glauben aufdrängen, der doch gut gelebt hat? „Sie sind doch fanatisch!“
Diese ganze Tiefe der Anfechtung hat Jeremia erlebt. Wir wollen es jetzt nicht bloß auf unsere Existenz deuten und noch pastorale Wehleidigkeit daraus speisen.
Jesus als Erfüllung und Trost für die leidenden Propheten
Was muss es für ein Aufatmen in der Welt Gottes gewesen sein, auch für den angefochtenen Jeremia, als der Herr Jesus sich zu den Propheten bekannte – inklusive Jeremia. Die Weisheit Gottes spricht: „Siehe, ich, Gott selbst, sende zu euch Propheten, Weise und Schriftgelehrte.“
Von ihnen werdet ihr einige töten und kreuzigen, einige werdet ihr geißeln in euren Synagogen und von einer Stadt zur anderen verfolgen. Das sind keine Rabauken, sondern diejenigen, die ich gesandt habe. Sie sind meine Außenvertreter, wie er es schon in der Bergpredigt sagte.
Freut euch, jauchzt, hüpft! Wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen, verfolgen und allerlei Übles gegen euch reden, sofern sie damit lügen, seid fröhlich und getrost. Ebenso haben sie die Propheten behandelt, die vor euch gewesen sind.
Was für ein Aufatmen in der Welt Gottes! Bei einem verfolgten, einsamen Jeremia stellt sich Jesus zu mir. Für uns können wir daraus auch etwas lernen: Bereitschaft zum Leiden.
Sören Kierkegaard hat gesagt: „Wir brauchen in der Zukunft Pfarrer, die gottgehorsam und zum Leiden bereit sind und Gemeinden zum Leiden erziehen können.“ Nicht so ein Christentum, das nicht anecken will und keine Konturen mehr hat.
Erich Stange, Reichswert des CVJM-Gesamtverbandes – man würde heute sagen – hat 1933/34, nachdem er zunächst geschwankt hatte, ob nicht doch die Übergabe des CVJM an die Hitlerjugend möglich sei, gesagt: „Wir müssen jetzt alles daran setzen, junge Menschen zum Leiden vorzubereiten.“
Zaremba schreibt in dem großen Missionslied: „Die Sache ist dein Wohl an, so nimm uns allzugleich zum Teil am Leiden und am Reich.“ Es gehört zusammen.
Die Frage nach dem Leiden Jesu und seine prophetische Linie
Und trotzdem: Dieses „Warum bin ich denn geboren worden? Warum hast du mich aus meinem Mutterleib kommen lassen?“ ist nur ein Präludium zu einer anderen Frage, die Jesus gebetet hat: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Leider ist heute auch in unserer Kirche eine Diskussion entbrannt über den Sinn des Leidens Jesu. Noch nie in zweitausend Jahren Kirchengeschichte wurde diese Frage so ekelhaft und respektlos formuliert, etwa mit Aussagen wie: „Steht Gott auf Blut?“ Das ist neu. Doch diese Fragen kommen zu spät. Man hat nicht zur Kenntnis genommen, dass die erste Christenheit sich schon gefragt hat, warum das alles sein musste.
Schon damals war die Frage da. Jesus war doch ein Prophet, mächtig in Taten und Worten, vor allem Volk. Man dachte, man wüsste, wie es weitergeht. Er sollte Israel erlösen, das war die große Zielvorstellung. Er ist der Erlöser, der Erlöser aus Zion wird kommen. Er ist doch der Prophet, mächtig in Taten und Worten. Und dann wurde er gekreuzigt.
Darauf antwortet Jesus: „O ihr Dummen Kerle, mit euren schwer beweglichen Herzen und Köpfen! Musste denn nicht Christus leiden, um zur Herrlichkeit einzugehen?“ Er begann bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war: Christus musste leiden.
Jesus nimmt das Wort der Propheten auf. Man dachte, er sei der mächtige Prophet in Taten und Worten, der Erlöser. Doch Jesus zeigt eine andere Prophetenlinie. Mose war ein Prophet, der einen Propheten wie sich selbst verheißt, den der Herr erwecken wird.
Die erste Christenheit verstand diese Mose-Geschichte so, wie sie Stephanus in seiner Rede in der Apostelgeschichte darlegte: Gott hat Jesus zum Erlöser berufen, aber sie verstanden nicht, dass er als Retter gesandt war. Sie widerstanden ihm, gehorchten ihm nicht, und als Mose ein paar Tage auf dem Sinai war, bauten sie Götzenbilder. Sie widerstrebten ihm allezeit, sagt Stephanus – das ist das Schicksal der Propheten und aller Propheten.
Neulich war der Predigttext Jesaja 50: „Ich hielt mein Angesicht denen, die mich schlugen. Ich machte mein Angesicht hart wie einen Kieselstein. Wer will mich verdammen?“ Diese Worte sollen noch kommen. Jesus stellt sich in die Linie der Propheten.
Otto Michel konnte so eindrücklich sagen: Jesus wollte nicht sein wie ein gewöhnlicher Prophet. Der Besitzer des Weinbergs schickt seine Boten, um die Ernte zu holen, doch sie misshandelten sie, schlugen sie auf den Kopf und töteten einige von ihnen. Da sprach der Herr des Weinbergs: „Ich habe noch einen, den will ich senden, meinen Sohn, den werden sie achten.“ Doch dann kommt das Wort Jesu: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“
Durch die Misshandlungen hindurch macht Gott etwas. Jesus stellt sich hinein in die Linie der Propheten. Als er den Emmaus-Jüngern Unterricht gibt, nimmt er vermutlich auch den geplagten Jeremia mit hinein, der fragt: „Warum bin ich aus meinem Mutterleib gekommen?“
Die Frage ist beantwortet: Warum das Leiden? Ganz einfach, nicht mit einer großen Sühnetheorie, sondern so: Gottes Aussenvertreter sind zum Anecken da.
Die Berufung zum Widerstand und die Rolle der Propheten
Wir sollten uns im Fahrberuf klar machen, dass wir zum Anecken da sind, zum Prellbock sein – nicht, damit man uns wohlredet. Es tut manchmal gut, wenn Gott auch manche Leute schickt, die uns wohlreden und uns noch ein bisschen ermutigen. Aber normalerweise sind wir zum Anecken da.
Die Frage, warum Christus leiden musste, ist beantwortet: Er stellt sich in die Reihe der Propheten. Doch im Lukas 24 geht es weiter. Jesus sagt allen Jüngern, dass alles erfüllt werden muss, was von ihm im Gesetz des Mose, den Propheten und den Psalmen geschrieben steht. Er öffnete ihnen das Verständnis, damit sie die Schrift verstehen konnten.
Er sprach zu ihnen, dass stets geschrieben steht, dass Christus leiden wird, auferstehen von den Toten am dritten Tag und dass in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern gepredigt wird. Das geht also noch weiter als das, was den Emmaus-Jüngern gesagt wurde.
Jesus begann bei Mose, den Psalmen und allen Propheten. Bei Mose wissen wir, wie Jesus selbst schon eine Spur zu seinem Leiden gesehen hat. So wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, muss auch der Menschensohn erhöht werden. Alle, die an ihn glauben und zu ihm aufsehen, werden aus der Verlorenheit gerettet.
Bei den Psalmen gibt es viele Assoziationen. Zum Wort „Assoziationen“: Ich habe aus dem Buch von Risto Santala, „Der Messias im Alten Testament“, erschienen bei Henssler, gelernt, wo das entscheidende Defizit der Exegese liegt. Die meisten von uns haben gelernt, nicht mehr assoziativ zu denken. Stattdessen katalogisieren wir in einzelnen Begriffen. Das große, herrliche Werk von Kittel ist ein typisches Beispiel dafür.
Im Judentum assoziiert man Vorgänge anders. Dort fragt man nicht, ob das hebräische Wort für Zweig, Stamm, Wurzel oder Ähnliches dasselbe ist. Es ist alles eins – eine gemeinsame Sache, eine gemeinsame Vorstellung.
Deshalb sind Assoziationen an vielen Stellen naheliegend. Zum Beispiel Psalm 118, den Jesus vor seinem Leiden gebetet hat. Dort heißt es: „Man stößt mich, dass ich fallen soll“, als sie den Lobgesang gebetet hatten. Doch der Herr hilft mir. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zu Eckstein geworden. Das ist vom Herrn geschehen.“
Wo müssen wir noch an Psalm denken? Psalm 22: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Psalm 31: „Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist. Du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott!“
Auch bei den Propheten wissen wir einiges. Jesaja 53 beschreibt den Allerverachtetsten und Unwertesten, durch dessen Hand der Plan des Herrn fortgeht. Bei Jeremia ist das vielleicht anders. Vielleicht geht es manchen von Ihnen so wie mir: Ich habe ihn oft gelesen oder überflogen, aber er ist mir fremd geblieben – abgesehen von einzelnen Stellen.
Es gibt ein paar Jeremia-Worte, die in der Christenheit besonders beliebt sind. Man kann kaum ein Gemeindeblatt aufschlagen, ohne dass nicht Woche für Woche ein Bürgermeister über die Suche des Stadtbestes spricht. Diese Stelle wird herausgepickt, als ob sie das Wichtigste wäre.
Wir wissen aber auch, dass Julius von Jahn am Bustag 1938 das Jeremia-Wort weitergegeben hat als Bekenner: „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“
Im Zinzendorf-Gedenkjahr, 300 Jahre nach seiner Geburt, erinnere ich mich, dass Zinzendorf 1738, also von seiner ersten Reise aus Amerika zurückgekehrt, bei dieser stürmischen Überfahrt einen Pastorenspiegel verfasst hat. Er hat dafür zuerst anonym die Selbstzeugnisse des Jeremia zugrunde gelegt – als einen Pastorenspiegel, eine Überprüfung unserer Existenz.
Jeremia als Vorbild für das Leiden und die Hoffnung im Dienst
Aber wie verhält es sich nun, wenn Jesus schon in Emmaus und später den Jüngern in Jerusalem gesagt hat, dass in allen Propheten Hinweise auf den gekreuzigten Jesus zu finden sind? Musste nicht Christus selbst diese Führung übernehmen? Wo aber finden sich bei Jeremia solche Zeugnisse, solche Spuren?
Das hat mich zu Jeremia geführt. Helmut Lamparder schreibt in seinem Jeremia-Kommentar, dass Jeremia unter allen Propheten am nächsten am stellvertretenden Leiden Jesu sei, der auf Golgatha litt. Er zitiert dabei ein Wort, nachdem zuvor gefragt wurde, dass Christus laut Lutherwort Märtyrer sein wolle.
Im gesamten Leiden ist Jeremia ein Leidensträger. Doch wo sind noch Hinweise darauf, dass Jesus ihn möglicherweise zitiert haben könnte? Als der begreifende Christus musste leiden, machte er es allen Propheten deutlich.
Noch einmal zurück zu Ihrem Jahrzwanzig. Sie haben heute Morgen das ergreifende Bekenntnis gelesen: „Herr, du hast mich überredet, ich habe mich überreden lassen.“ Das, was wir schon angedeutet haben, wird im ersten Antwortteil erläutert: Warum musste Christus leiden? Weil Außenvertreter Gottes zum Anecken da sind.
Schon bei der Berufung in Kapitel 1 ist das nachzulesen. Sie brauchen es nicht aufzuschlagen, ich sage es Ihnen schnell: Die Berufung heißt „Siehe, ich setze dich heute gegen“. Immer wieder heißt es so. „Ich will dich zur festen Stadt, zur eisernen Säule, zur ehrenden Mauer machen“ – wieder die Könige Judas, wieder seine Großen, wieder seine Priester, wieder das Volk des Landes. Und wenn sie auch wieder nicht streiten – sechsmal wieder, wieder, wieder.
Du bist nicht dazu da, ihnen zu gefallen oder zu reden? Das war aber wieder eine schöne Predigt, da nimmt man etwas mit. „Ich setze dich gegen“ – nicht bloß gegen die Schriftgelehrten, sondern gegen das ganze Volk, gegen die Könige. Das ist eigentlich keiner, der in dieser Kategorie nicht auftauchen würde.
Ich setze dich zum Prellbock, vielleicht sogar zum Rammbock. Nicht bloß ertragen, sondern ich setze dich gegen die herrschende Einstellung im Land, meinem Volk Gottes.
Wer in Gottes Auftrag wirkt in unserer Welt, ist immer ein Außenseiter. In einer Welt, in der Psalm 2 gilt: „Lasst uns von uns werfen die Seile Gottes, wir wollen nicht mehr an ihm angebunden sein.“ Wir wissen seit Dr. Barnard und den Organverpflanzungen, dass unser Körper normalerweise Fremdgewebe abstößt.
Wer sich von Gott durchdringen lassen will, wer in Gottes Auftrag wirken will, für den ist es normal, abgestoßen zu werden. Ein ganz seltener Fall ist es, angenommen zu werden. Wir haben es oft genug erlebt. Aber ich habe immer wieder das Wort von Helmut Thielicke im Ohr, der gesagt hat, es sollen sich nicht alle, die sich schlecht auf die Predigt vorbereitet haben und bei denen die Kirche leer wird, dann brüsten und sagen: „Ich predige das Evangelium, deshalb sind die Leute abgestoßen.“
Wir müssen uns immer selbst prüfen: Ist es wirklich Leiden um Jesu Willen oder Leiden wegen meiner Faulheit, wegen meiner Ecken und Kanten, die ich auch habe, wegen Stahl in meiner Stimme? Ist es das Menschliche oder das Göttliche, das abstößt?
Jesus hat sich in die Reihe dieser Propheten eingereiht und damit die erste Antwort gegeben – ohne große Sühnetheorie: Wer im Auftrag Gottes wirkt, wird abgestoßen. Deshalb musste auch Christus leiden, gerade weil er von Gott kommt.
Und Sie können diese Linie weiterziehen bis zu uns. Warum haben die Apostel dann in Lystra und Derbe, als sie die erste Missionsreise abgeschlossen hatten, ihren Weg zurückgenommen, Älteste eingesetzt und gesagt: „Wir müssen durch viel Trübsal ins Reich Gottes kommen“?
Warum steht dieser Satz im zweiten Timotheusbrief? „Alle, die gottselig, die fromm leben wollen in Christus Jesus“ – das erklärt gleich, was eigentlich fromm ist: gottselig in Christus Jesus. Nicht bloß allgemeine Religiosität und so etwas. Die, die in Christus verbunden sind, müssen Verfolgung leiden.
Ich werde oft zu Lehrkursen eingeladen, zum Beispiel bei den Zell- und Süddeutschen Gemeinschaften und den Alttestamentlern, mit der Frage: „Wie lesen wir die Bibel?“ Da sage ich immer wieder: Nehmt euch diesen Satz vor, 2. Timotheus 3: „Alle, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, müssen Verfolgung leiden.“
Welches Wort betonen Sie? Es gibt natürlich auch in Gemeinschaftskreisen und bei manchen Pfarrern Leute, die es schaffen, jedes Wort zu betonen. Aber eigentlich sollte man im Satz einen Akzent setzen.
„Jetzt alle, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, müssen Verfolgung leiden.“ Was würden Sie betonen? Müssen, ja, alle. Gottselig in Christus Jesus, gottselig in Christus leben wollen, müssen Verfolgung nicht bloß über sich ergehen lassen, sondern bewusst leiden.
Da ist ein Satz, bei dem man eigentlich jedes Wort betonen kann oder über jedes einzelne Wort eine achtwöchige Bibelstundenreihe machen könnte.
Zentralwort: Leute Gottes sind zum Anecken da. Das gilt auch für uns.
Die Verzweiflung und das Lob Gottes in der Tiefe
Zweiter Gedanke
Die Tiefe der Verzweiflung – das haben Sie heute Morgen aus dem Bekenntnis des Jeremia gehört. Er sagt: „Herr, du hast mich überredet, ich habe mich überreden lassen, du bist mir zu stark gewesen.“ Jetzt werde ich verlacht, ich bin Spott. Ich muss nicht eine liebevolle Botschaft bringen, sondern ich muss rufen: Frevel und Gewalt, da stimmt etwas nicht. Ich bin zu Hohn und Spott geworden und dachte, ich will nicht predigen.
Schon in Kapitel 15 heißt es: „Verflucht sei der Tag, da man meinem Vater sagte: Dir ist der Sohn geboren!“ Weh mir, Mutter, dass du mich geboren hast, gegen den jedermann im Land streitet.
Letzten Sonntag war ja der schöne Text aus dem 2. Korintherbrief Kapitel 4 dran. Ich durfte mit einem Lektorenkurs in Meissenbach darüber sprechen, dass Trübsal eine unglaublich große Herrlichkeit wirkt. Die Gefahr war auf der einen Seite, dass Trübsal oft mit Krankheit, Not und Sorge um Kinder und Enkelkinder geschildert wird – gar nicht das, was die Zeugen Gottes als Trübsal nennen. Nämlich das Gefühl, vergeblich zu reden, abgeblockt zu werden mit dem, was mein Anliegen ist, dass mein Gebet zu verpuffen scheint. Das ist Klipsis, Trübsal.
Andere sagen dann sehr schnell: „Ach, die Trübsal geht vorbei.“ Paulus sagt ja auch, sie sei zeitlich und leicht und schafft eine über die Maßen große Herrlichkeit. Das Schönste kommt noch, alles recht. Aber so ein Jeremia-Bekenntnis hilft uns doch auch, zu erkennen, was Trübsal wirklich ist – dass man nicht mehr kann.
Der 2. Korintherbrief I redet von der Trübsal, vorausgehend 2. Korinther IV: „Denn unsere Trübsal, die wir in Asien erlitten haben, war über die Maßen groß.“ Dasselbe Wort benutzt Paulus später für die Herrlichkeit. So waren wir gewiss, mit uns sei es aus, wir verzweifelten am Leben und hielten es für beschlossen, dass wir sterben müssten.
Das ist Trübsal: Wenn man sagt, die Hand der Gemeinde ist nichts mehr wert, es ist aus, ich kann nichts mehr wirken. Wenn man schlecht gemacht wird mit Leserbriefen, muss man sich abmelden. Aber was wird in der anderen Gemeinde besser sein? Aus – das ist Trübsal.
Wenn dann noch falsche Gesellen und Freunde kommen und sagen: „Wir haben wahrscheinlich Fehler gemacht, als wir sie berufen hatten, sie sind doch zu eckig“ – das ist Trübsal.
Bei Jeremia war es das Vergessen. Er sagte: „Verflucht sei, der meinem Vater gute Botschaft brachte, dass er einen Sohn hat, der ihn fröhlich machte.“ Es war vergessen, dass Gott ihn bereitet hatte, noch bevor er im Mutterleib geboren war. Vergessen, dass Gott sein Wort in den Mund legte, dass er ihm am Wacholder, am erwachenden Zweig zeigte, was er mit seinem Wort tun wollte.
Wir kennen die Stunden der Trübsal und sollten uns nicht zu schnell herauskatapultieren und sagen: „Jedes Tränlein gibt ein Krönlein.“ Wir trösten uns damit, dass alle Propheten und erst recht unser Herr Jesus das erlitten haben.
Darf ich Sie daran erinnern, dass Jesus beim Hineingehen in seine Leiden gesagt hat: „Muss ich es mal klar machen? Ich muss mich taufen lassen mit einer Taufe. Wie ist mir so bange, bis sie vollendet wird! Wie ist mir so bange!“ Oder das andere Wort von Jesus: „Jetzt ist meine Seele betrübt“, sagt der Heiland der Welt, der Sohn Gottes.
„Meine Seele ist betrübt.“ Da sind schlaflose Stunden mit drin, da sind die Gedanken wie diejenigen, mit denen man eingeschlafen ist – schließlich nachts um drei vor Müdigkeit, und morgens waren sie wieder da. Warum? Was soll's? „Jetzt ist meine Seele betrübt.“ Soll ich sagen: „Vater, hilf mir aus dieser Stunde?“ Darum bin ich doch in diese Stunde gekommen.
Johannes 12 berichtet dazu von dieser Trübsal, von dieser Anfechtung: „Bin in diese Stunde gekommen, dass ich Wahrheit bezeuge, auch wenn die Welt die Wahrheit nicht hören will.“ Und vollends die Stunde, da der Schweiß Jesu floss wie Blutstropfen. Als er fragte: „Muss denn das sein? Kann dieser Kelch nicht vorübergehen? Ist denn gar keiner da, der mit mir betet? Muss ich mutterseelenallein diesen Weg gehen?“
Verstehen Sie das? Jesus, der sich immer an seine Jünger erinnert konnte, konnte sich Jesus von diesem Weg befreien? Konnte er sich dispensieren von dem Weg, den Gott seinen Zeugen gehen ließ? War das nicht wie ein Präludium auf sein Leiden hin?
Ich verstehe, dass viele Geschwister und Brüder sagen: So viel darf man nicht hineinlesen in die Bibel. Und doch bleibt uns seit Wilhelm Fischer ja vom Neuen Testament her, von Jesus her, die Aufgabe, dass wir von Jesus her das Alte Testament verstehen, mit Jesu Ohren hören. Und forschen, wo sind da Spuren im Alten Testament, die hinführen zum gekreuzigten Jesus?
Also das Verzweifelte: Warum? Warum muss ich denn geboren werden? Warum dieses Leiden? Warum hast du mich verlassen? Eine Antwort scheint mir zu sein: Weil mitten in dieser Tiefe das Lob Gottes aufbrechen soll und darum glaubhaft sein soll. Auf dass die überschwängliche Kraft Gottes und nicht von uns komme – da, wenn wir keinen Mut mehr zum Bekennen haben, keinen geistlichen Adrenalinspiegel, der sagt: „Aber es ist alles doch auch von Gott.“ Wenn ich gar nichts mehr kann, frage ich: „Warum bin ich überhaupt da?“ und sage: „Aber der Herr ist bei mir als ein starker Held!“
Das gleiche Wort, das vorne steht: „Du bist zu stark gewesen, du hast mich in diesen verrückten Dienst gezwungen, du hast mich eigentlich enttäuscht.“ Der gleich starke Gott – du bist doch auch noch da.
Wir kennen das theologisch: seinen Umschlag in den Psalmen. Psalm 73 will den Herrn loben in der großen Gemeinde, Psalm 22 – kennen wir es auch von unserem Leben, diesen Umschlag. Dennoch bleibst du auch im Leide: „Jesu meine Freude“ – das gibt es doch auch noch. „Ich bin auch noch da“, sagt Gott. „Ich habe dir meine Sache befohlen“, so wie Jesus am Kreuz: „In deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Deshalb ist bei Jesus auch kein Hass mehr da, wie es bei Miramira war: „Du wirst meinen vergelten, du lass sie die Vergeltung sehen.“ Lieber Gott, ich habe meine Sache dir befohlen.
Im 1. Petrusbrief heißt es: Er hat nicht wieder gescholten, da er gescholten war, er stellt es aber dem ein Heim, der Recht richtet: „Vater, mach du was draus!“
Wenn wir das fertig bekämen – das, was uns bitter macht, Menschen, Namen, bei denen die Galle sprüht, wenn wir bloß den Namen hören –, sagen wir: „Herr, ich befehle dir diesen Namen, ein letztes Mal in der Fürbitte segne ihn, abgeben.“
So ist es gegangen, als sich nach jahrelanger Auseinandersetzung um den Weltkirchenrat und seine Politik, die heute erkannt wird, nie rein, die auf Sozialismus gesetzt hatte, ich fast verrückt wurde darüber, dass Kollegen sagten: „Du Schiffbuche, es geht um die eigene Ehre, damit sie groß machen, und er sieht gar nicht, wunderbar nicht, alles, was geht.“ Jetzt gebe ich es ab, die ganze Ökumene-Geschichte. Und ich war's los – die schlaflosen Stunden der Nacht.
Man kann auch Dinge, die einen belasten, ihm abgeben. Wenn der Ernst immer wieder gesagt hat: „Aus der Ökumene austreten, nicht? Hier geht mir nichts mehr an.“ Ich darf abgeben und darf das Lob Gottes aus der Tiefe erschallen lassen, so wie es Jesus gemacht hat.
Da ist Jeremia wirklich bloß ein Präludium, ein Vorspiel, eine Intonation des Themas. Jesus hat sich als der Prophet ohnegleichen hineingezwängt in den Buchstaben der Schrift, so hat es Hermann Betzel gesagt.
Was für eine Stunde, als Jesus die Schrift erfüllte, als sich das Wort Gottes in Person hineinzwängte in den Buchstaben der Schrift, auf dass er ihn erfüllte. Es war damals, als Jesus ankündigte: „Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst.“ Aber ich bin nicht allein, der Vater ist bei mir.
Lob Gottes aus der Tiefe: „Auf euch ist kein Verlass, aber auf den Vater, der mich gesandt hat, ist mit mir, er lässt mich nicht allein“ (Johannes 8).
Und vom letzten Abendmahl ging Jesus hinein mit den Worten des Lobgesangs, der in ihm nachklang: „Man stößt mich, dass ich fallen soll, aber der Herr hilft mir. Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“
Johannes 14: „Es kommt der Fürst dieser Welt, der Teufel in Person, aber er hat keine Macht über mich.“ Wieder dies „aber“: „Wie bei mir in mir, aber der Herr ist bei mir, also ein starker Held.“ Kommt er selbst, wie der Teufel in Person, kommt der Fürst dieser Welt, aber er hat keine Macht über mich.
Hebräer 5 ist das aufgenommen worden: Hebräer 5,7: „Jesus hat Bitten und Flehen mit lautem Schreien und Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte, und ist auch erhöht worden, weil er Gott in Ehren hielt, weil er sich erniedrigen ließ, von Gott erniedrigen, darum hat ihn Gott erhöht.“
Selbst für die Außenvertreter Gottes, die abgestoßen werden wie Fremdgewebe, die ausgestoßen werden, verlacht werden, zum Spott werden, die an sich selber irre werden, die nicht mal mehr sagen können: „Aber ganz tief im Herzen drin meine ich es doch ernst!“
So hat es der Hofhacker noch sterbend gesagt: „Ich habe keine rechte Pfarrstelle, das kleine Rielingshaus nicht, war doch gern auf die Petition der Stuttgarter Bürger hin auch Stuttgarter Pfarrer geworden, hätte meinen Ruf erschallen lassen. Ich habe kein rechtes Einkommen erst.“
Die Sorge für seine verwitwete Mutter – damals gab es keine Witwenrente, auch als Pfarrwitwe nicht – die Sorge für seinen geistesskranken Bruder Max: Seine minimalen Einkünfte in der Gemeinde Rielingshausen reichten hinten und vorne nicht. Rielingshausen war so verschuldet mit dem Umbau der Kirche, dass er den Gedanken fasste, den Predigtband, den man eventuell verkaufen könnte, zugunsten von Rielingshausen.
„Ich habe nichts, dessen ich mich rühmen könnte. Ich habe keine Gesundheit, keinen Schülerkreis, keinen besonderen Freundeskreis, keinen Erfolg.“ Aber da raunt es in mir: „Du meinst es jeden mindestens so ernst wie wenige es meinen so ernst mit Gott.“
Aber selbst da kommt dann die Stimme Gottes, die mich fragt, und ich kann bloß sagen: „Wenn Jesus mich fragt: Hast du mich lieb? Herr, geh hinaus von mir, ich bin ein sündiger Mensch!“
Haben wir Jesus so lieb, wie wir in idealen Fällen unseren Ehegefährten lieb hatten und haben? Aber wie Jesus so lieb? Wie wir sehnen wir uns so nach ihm, wie wir uns nach dem Urlaub gesehnt haben in Zeiten der Dienstzeit. Sehnen wir uns so nach seinem Wort, wie wir uns nach ein bisschen Lob sehnen: „Herr Pfarrer, das war eine Predigt, von der man was mitgenommen hat.“
„Hast du mich?“ Ich kann nur sagen: „Geh von mir hinaus“, wenn selbst das im Innersten zerbricht. Aber der Herr ist bei mir, der sich zu zerschlagen hält.
Der Herr wohnt in der Höhe, so sagt Jesaja, und im Heiligtum und ist bei den zerschlagenen Herzen, bei den Gedemütigten.
Die Bedeutung des Leidens für den Glauben und die Gemeinde
Also, die erste Antwort auf die Frage, ob Christus Märtyrer haben will, lautet: Nein, nicht aus Sadismus, weil er bei uns einen Masochismus fördern möchte. Christus will Märtyrer haben, damit deutlich wird, wie unsere ganze Welt und auch wir selbst der Erlösung bedürftig sind.
Jesus wartet auf ein Aufwachen, auch bei den Frommen, um zu zeigen, wie weit wir von Gott entfernt sind. Dieses Aufwachen gab er am ersten Pfingsttag, als die Menschen fragten: „Was sollen wir denn tun?“ Sie hatten den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt und fragten sich, was sie getan hatten.
Dieses Aufwachen erlebte Jeremia bei sich und seinem Schicksal nicht. Jesus aber ist in der Herrlichkeit erweckt worden – nicht, damit er groß herauskommt, sondern wie Petrus in der Pfingstpredigt sagte, um euch zu segnen und zu retten von aller Bosheit.
Die Herrlichkeit des Zerschlagenen besteht darin, dass er Menschen, die schuldig geworden sind, aus der Not heraushilft.
Kurze Antwort auf die Frage, ob Christus leiden musste: Ja, weil er ein Prophet sein wollte, ein Außenvertreter Gottes, der Fremdling in dieser Welt ist – so wie wir hoffentlich auch.
Warum musste Christus leiden? Weil er das auch durchstehen wollte. Er wollte sich nicht von dieser absoluten, letzten Verzweiflung in der Ferne von Gott dispensieren lassen. Damit auch wir, wenn wir hineinkommen, wissen, dass unser Herr das kennt.
Warum musste Christus leiden? Um zu seiner Herrlichkeit einzugehen, damit er sich nicht an den schuldig Gewordenen rächt, sondern seine ganze Herrlichkeit dazu benutzt, sie zu segnen.
Übermorgen werden wir sehen, wie Jeremia diesem halsstarrigen, nicht hörbereiten Volk ausrichten darf, was der neue Bund ist, den Gott mit euch vorhat. Auch wenn ihr gar nicht wollt und meint, es sei alles in Ordnung – Gott hat etwas ganz Neues und Großartiges mit euch vor. Das war das Evangelium, das Jeremia ausrichten durfte.
Jetzt darf ich mit ihm beten:
Herr, unser Gott, wir danken dir, dass du uns deine Boten geschickt hast und dass du deinen Sohn nicht dispensiert hast, diesen Weg auch zu gehen. Wohlan, so nimm uns allzumal zum Teil am Leiden, am Reich und an der Gewissheit, dass der Herr bei mir ist als ein starker Held.
Darum soll das nicht das Letzte bleiben – auch nicht unsere Ohnmacht, unsere Verzweiflung oder unser Hadern mit Gott.
Zu fragen bleibt: Was kommt dabei heraus? Du kannst Großes wirken, so wie du aus dem torsohaften Fragment des Ludwig Hofacker noch nach seinem Tod etwas gemacht hast. Lass doch auch in den Gemeinden und Aufgaben, die uns anvertraut waren, etwas wachsen zum Lob deiner herrlichen Gnade. Amen.