Die verborgene Herrlichkeit der Gemeinde

Wilfried Plock
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Einleitung

Die Bibel sagt sehr viel zu diesem Thema… Am konzentriertesten vielleicht im Sendschreiben an Philadelphia (Offenbarung 3, 7-13) Philadelphia heißt “Bruderliebe” es ist die zweite Gemeinde von sieben, die keinen Tadel erhält (neben Smyrna) stattdessen bekommt Philadelphia ein ausgesprochenes Lob und die Verheißung einer offenen Tür.

Wenn wir heute Philadelphia-Gemeinde” sein wollen, was können wir von dieser Gemeinde lernen? Der Schlüssel für das Wohlgefallen Gottes, das über dieser Gemeinde war, liegt in einem kleinen, unscheinbaren Sätzlein: …denn du hast eine kleine Kraft…” (V.8) Wir können mit voller Überzeugung sagen: In einer lebendigen, biblischen Gemeinde wird die kleine Kraft” bejaht! Was heißt das? Ich muss an dieser Stelle etwas ausholen. Die ganze Bibel zeigt uns, dass Gott nicht mit Macht und Getöse kommt, sondern mit in Niedrigkeit und Unscheinbarkeit. Seine Herrlichkeit war quasi vor den Augen der Welt verborgen.

Wenn wir im AT die Stiftshütte anschauen, die hatte von außen gesehen überhaupt nichts Gewaltiges. Die äußere Bedeckung war gar nicht anziehend, fast sogar hässlich (graue Decke aus einer Art Dachsfell). Aber die ganze Herrlichkeit war drinnen! Innen glänzte alles von purem Gold! Beim salomonischen Tempel war es genauso. Von außen war es nur eine große, weiße Schachtel. Alle Herrlichkeit war drin! Von außen nichts Besonderes.

Aber beim herodianischen Tempel - 1000 Jahre später - da sah es anders aus. Die Jünger gerieten geradezu ins Schwärmen als sie Jesus das imposante Gebäude zeigten. Warum war der Tempel von Herodes in jahrzehntelanger Arbeit äußerlich so aufgemotzt worden? Weil innen nichts mehr drin war. Von dem Tempel, der nach der babylonischen Gefangenschaft durch Esra und Serubabel wieder aufgebaut worden war, lesen wir nie mehr, dass ihn die Herrlichkeit Gottes erfüllt hätte. Und deswegen wurde er wenigstens äußerlich kunstvoll mit Gold und Silber verziert und verschnörkelt.

Als unser Herr Jesus über diese Erde ging, da heißt es von ihm bei Jesaja: Er hatte keine Gestalt und keine Pracht. Und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir Gefallen an ihm gefunden hätten” (Jesaja 53, 2). Und doch kann Johannes später bezeugen: Und das Wort wurde Fleisch, und wohnte (wörtlich: zeltete… - ein Begriff der übrigens wörtlich an die Stiftshütte erinnert) unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit” (Johannes 1, 14). Und in der Gemeinde? Soll es da anders sein? Das wünschten sich natürlich viele Christen, gerade heute in unserer weltseligen Christenheit. Aber das NT zeigt uns für die Gemeinde den gleichen Weg, den unser Meister vor uns gegangen ist. Der Grundsatz gilt auch hier: die Herrlichkeit ist innen!

Bitte beurteilt unsere und andere Gemeinden nicht nach äußeren Gesichtspunkten! Wie oft höre ich, wenn eine Gemeinde beschrieben wird, Sätze wie diese: Die haben ein tolles Gebäude; und ein Super-Musikprogramm; und der Lobpreis ist spitze; und die Anspielgruppe hervorragend; und der Pastor ist so humorvoll und spritzig; und die Predigt dauert nur 20 Minuten; aber dafür werden jede Woche Kranke gesund; und Freitagnacht gibt’s immer Tanz bis zur Morgenandacht….” (natürlich überzeichnet) Das ist mir sehr ernst: Philadelphia hatte eine kleine Kraft. D.h. nach außen hin nichts Weltbewegendes, unscheinbar, von der Welt ignoriert oder sogar verachtet, keine gesellschaftliche Größe, kein Machtfaktor in dieser Welt - aber mit verborgener, innerer Herrlichkeit! Das ist der Weg der Gemeinde Jesu durch diese Weltzeit! Es ist Gemeinde Jesu in Knechtsgestalt, oft benachteiligte und verfolgte Gemeinde - noch nicht triumphierende Gemeinde! Gemeinde Jesu Christi ist jetzt in dieser Weltzeit Gemeinde unter dem Kreuz! Ich fürchte, ich selbst und wir alle vergessen diese Wahrheit allzu leicht. Worin besteht die verborgene, innere Herrlichkeit der Gemeinde Jesu Christi?

Ich glaube, das ist ER selbst, der auferstandene, lebendige Herr. Wenn er gegenwärtig ist in einer Gemeinde. Wenn ER im Mittelpunkt steht, und alle Herzen auf ihn hin ausgerichtet sind. Wir haben gerade die letzten Kapitel des Johannesevangeliums gelesen. Wie wichtig war es dem Schreiber festzuhalten, dass der Herr Jesus in die Mitte seiner Jünger trat. Christus im Zentrum! Wie bei einem Rad alle Speichen zur Mitte, zur Nabe hin zusammenlaufen, so wollen wir als Gemeinde zu unserem auferstandenen Herrn hin versammelt sein, zu ihm hin und zu seinem Namen! Diejenigen, die freitags zum Gebetsabend kommen, die hören mich im Blick auf unsere Sonntagsversammlung oft beten: Herr, lass uns deine Gegenwart erleben!” Wie ist das? muss man so überhaupt beten? Hat er nicht seine Gegenwart versprochen, wenn er sagt: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte” (Matthäus 18, 20)?

Sollten wir überhaupt so beten, oder ist das nicht Unglaube? Nun, die Mathematiker unter uns, die werden sagen: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte”. Und dann zählen sie durch und sagen: Zwei, drei, zehn, zwanzig, fünfzig,…. Das reicht dicke - also ist der Herr Jesus in unserer Mitte. Die Gefühlsbetonten, die werden das schon etwas einschränken. Die sagen: Gut, er mag in unserer Mitte sein, aber ich habe es weder gefühlt noch gespürt. Ich hatte nichts davon. Aber können wir wirklich sagen, dass Christus generell in unserer Mitte ist, ganz gleich, ob wir das feststellen können oder nicht? Nach Philadelphia kommt noch das Sendschreiben an die Gemeinde von Laodizea. Diese Gemeinde dachte von sich sehr positiv, sie sei reich und brauche nichts. Alles in bester Ordnung. Aber der Herr stand draußen vor der Tür! Angenommen, er stände heute Morgen draußen vor der Tür. Würden wir das überhaupt merken? Würden wir nicht die gleichen Lieder singen? Würden wir nicht die gleichen Gebete sprechen? Würde nicht alles ablaufen wie sonst auch? Liebe Geschwister, ich glaube, wir sollten nicht nur beten, nein, wir sollten darum flehen, dass wir die Gegenwart Gottes unter uns erleben und die Kraft des Heiligen Geistes! Wir haben weder ein Abonnement, noch ein Monopol darauf! Doch wir dürfen darum bitten, denn der Herr offenbart doch so gerne unter seinen Kindern. Und dabei geht es nicht nach Schema F”. Der eine wird den Herrn durch ein Wort erleben, das ihn ganz persönlich anspricht und zur Kraft wird für sein Leben….

Vielleicht bist Du allzu kritisch geworden und siehst nur noch Fehler und Mängel in der Gemeinde? Und dort, wo Du früher wunderbar erbaut wurdest, nimmst Du heute nicht mehr viel mit, weil Du soviel an dem Verkündiger auszusetzen hast. Der andere wird die Gegenwart Jesu beim Brechen des Brotes am innigsten erleben…. Der nächste in der Gebetsgemeinschaft…. und wieder ein anderer vielleicht, wenn er vor dem Herrn seine Sünden bekennt und ihm die Größe der Gnade Gottes erneut aufgeht…. Wie auch immer - wenn wir nur unter uns ganz real die Gegenwart Gottes erleben! Das ist das alles entscheidende Kennzeichen einer lebendigen, biblischen Gemeinde. Ohne das wird alles andere leer und hohl! Ohne die Gegenwart des Herrn sind wir nicht Philadelphia, sondern Laodizea! Aber das ist eine lebendige Gemeinde, wo sich die Gläubigen sehnen nach der Gemeinschaft mit ihrem geliebten Herrn, wo sie Sonntagmorgens wach werden und es gar nicht abwarten können, bis sie zu ihm hin versammelt sind. Gibt’s das auch, was ich jetzt beschreibe? Oder ist das nur eine fromme Illusion? Ganz gleich, wo wir als Gemeinde im Blick auf diesen Punkt stehen - wir wollen dankbar sein für das, was uns bereits geschenkt ist; aber wir wollen uns dennoch danach ausstrecken, dass es besser wird mit uns!

Jetzt haben wir einen langen Exkurs gemacht. Aber diese Dinge sind mir sehr wichtig. Das ist der Schlüssel: Eine lebendige, biblische Gemeinde bejaht ganz bewusst ihre kleine Kraft”. In einem zweiten, kürzeren Gedankengang möchte ich noch ein paar weitere, konkrete Auswirkungen zeigen, die aus der Bejahung der kleinen Kraft” hervorwachsen:

1. Eine Gemeinde, die sich ihrer kleinen Kraft in dieser Welt bewusst ist, wird sich

fest an das Wort Gottes klammern.

V.8: …du hast mein Wort bewahrt… Was heißt das? Das Wort ist ihre Kraft! Das bedeutet zunächst, dass die Lehre stimmt. Das Wort muss unsere Theologie bestimmen, nicht umgekehrt. Und das bedeutet aber auch, dass das Leben stimmt. Wir wollen uns in allen Bereichen unseres Lebens unter die guten Ordnungen Gottes stellen - auch da, wo es uns persönlich etwas kostet! Es ist bei jedem Sendschreiben sehr wichtig, wie sich der erhöhte Herr Jesus der jeweiligen Gemeinde vorstellt. Darin steckt schon ein Hinweis auf den Charakter der betreffenden Gemeinde.

Was können wir aus der Vorstellung für Philadelphia entnehmen? V. 7: Dies sagt der Heilige, der Wahrhaftige,…” Die Gemeinde von Philadelphia war von Heiligkeit und Wahrhaftig geprägt. D.h.: Sünde und Heuchelei wurden in den Reihen der Gläubigen verabscheut und geächtet. Wir könnten also feststellen: In einer lebendigen, biblischen Gemeinde wird nicht die Schrift kritisiert, sondern Menschen werden vom Wort überführt! Folge: Eine lebendige, biblische Gemeinde wird Sünder aushalten, ohne sie loswerden zu wollen; aber Sünder werden nicht auf Dauer die Gemeinde aushalten können, ohne ihre Sünde loswerden zu wollen!

2. Eine Gemeinde, die sich ihrer kleinen Kraft in dieser Welt bewusst ist, wird den

Namen Jesu nicht verleugnen!

V.8: …du hast meinen Namen nicht verleugnet…. Diesen Vers kann man wohl leichter verstehen, wenn man weiß, was sich damals im 3. Reich” abgespielt hat. Hitler und sein Apparat waren nicht generell gegen das Christentum - sie waren nur gegen biblisches Christentum. Darum haben sie es systematisch umgeformt. So war zum Beispiel der 1. Glaubensartikel erlaubt (Ich glaube, an Gott, den Vater….), aber der zweite wurde abgeschafft (…und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn…) - das war angeblich zu jüdisch. Und schon waren die echten Christen jener Tage herausgefordert, Farbe zu bekennen. Wo sind wir heute gefordert, den Namen Jesu nicht zu verleugnen? z.B. indem wir nicht in dem allgemeinen Toleranzstrom mitschwimmen, der behauptet, alle Religionen hätten ein Stück der Wahrheit und der Absolutheitsanspruch Jesu sei unerträglich. Da kann ich nur immer wieder mit Wolfgang Dyck sagen: Wenn alle Religionen gleich gültig sind, dann sind sie mir alle gleichgültig!” oder jeder einzelne von uns verleugnet dann den Namen Jesu nicht, wenn wir uns in der Schule, im Beruf oder in der Nachbarschaft mutig und offen sichtbar auf die Seite Jesu stellen. Wie oft versagen wir da und verleugnen! Aber gebe es der Herr, dass man an uns nicht nur das tausendfache Verleugnen sähe, sondern auch die Tränen der Buße wie bei Petrus!

3. Eine Gemeinde, die sich ihrer kleinen Kraft in dieser Welt bewusst ist, wird

keine ungöttlichen Verbindungen mit Machtorganisationen eingehen.

Dieser Gefahr war die Christenheit von Anfang ihres Bestehens ausgesetzt und ist ihr eigentlich größtenteils erlegen. Doch die Gemeinde Jesu darf keine unbiblische Verbindung eingehen - weder zum Staat noch zu anderen Machtinstitutionen (z.B. große Verbände). Lasst uns bitte weiterhin aus Überzeugung eine von Menschen unabhängige Gemeinde bleiben, aber dafür um so abhängiger vom Herrn sein!

4. Eine Gemeinde, die sich ihrer kleinen Kraft in dieser Welt bewusst ist, wird eine

betende Gemeinde sein.

Die Gebetszusammenkünfte sind der Gradmesser des geistlichen Lebens einer Gemeinde. Man kann es einfach auf folgenden, kurzen Nenner bringen: In einer lebendigen, biblischen Gemeinde wird beim Gebet viel gearbeitet und beim Arbeiten viel gebetet. So soll es sein.

5. Eine Gemeinde, die sich ihrer kleinen Kraft in dieser Welt bewusst ist, wird das

baldige Erscheinen ihres Herrn lieb haben.

V.10: ….weil du das Wort vom Harren auf mich bewahrt hast…” Eine Gemeinde, die mit ganzem Herzen an ihrem Herrn hängt, die wird ihn auch mit Inbrunst erwarten. Hier klingt das Bild von Braut und Bräutigam an. Braut und Bräutigam pflegen ihre Liebesbeziehung. Und genau das ist der Kern eines richtig verstandenen Christenlebens. Ich darf ausruhen am Kreuz. Dort bin ich mit ewiger Liebe geliebt. Ich bin angenommen, und mein Erlöser wird mich nie mehr hergeben! Nie mehr! Das ist schon hier meine Seligkeit. Darum hänge ich an ihm und diene ihm freiwillig aus Liebe und Dankbarkeit.

Schluss

Im vergangenen Jahrhundert ging ein Mann vom Land in die große Stadt London. Er wollte an einem Sonntag zwei berühmte Prediger hören. Nach dem ersten Gottesdienst sagte der Mann: Das war ein gewaltiger Prediger! Das war ein gewaltiger Gottesmann!” Abends ging er in eine andere Gemeinde und hörte dort Charles H. Spurgeon predigen. Und am Ende dieser Versammlung sagte der Mann: Was haben wir für einen gewaltigen Herrn!” Versteht Ihr den Unterschied? Das ist das wichtigste Merkmal einer lebendigen, biblischen Gemeinde, dass Menschen in dem tiefen Bewusstsein nach Hause gehen, eine lebendige Begegnung mit dem lebendigen Herrn gehabt zu haben! Darauf, darauf kommt alles an.