Heute, von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, meldet sich Andreas Kocher am Mikrofon – begleitet von einem kräftigen Tusch gleich zu Beginn.
„Von Gottes Gnaden Karl Friedrich, Herzog zu Württemberg und Tick. Auch in Schlesien zu Oels und Dornstadt.“ So mag es geklungen haben, als am 10. Oktober 1743 im damaligen Herzogtum Württemberg jener Erlass bekannt gegeben wurde, der heute kurz und bündig Pietistenreskript genannt wird.
Mit diesem Erlass wurde einer Bewegung Heimatrecht in der evangelischen Kirche gegeben, deren Frömmigkeit durchaus auch spalterische Züge trug. Dass der Pietismus nicht ausgegrenzt, sondern integriert wurde, hat freilich nicht nur den kirchlichen Württembergern gutgetan, sondern dem Land als Ganzem.
Zweihundertfünfzig Jahre später ist das ein Grund zum Feiern, was in diesen Tagen denn auch geschieht.
Einführung in das Thema Pietismus und seine Bedeutung
Wer und was aber ist ein Pietist? Das weiß ich nicht. Was ist das? Pietist muss irgendwas mit Fußgänger zu tun haben. Kommt das nicht irgendwie vom Begräbnis?
Ja, das ist ein evangelischer Christ, der die Glaubensgrundsätze und Regeln sehr ernst nimmt. Recht hat der Mann, ohne damit zum Thema Pietismus schon alles gesagt zu haben.
Das ist natürlich auch in der nächsten halben Radiostunde nicht zu schaffen. Trotzdem lade ich Sie dazu ein, in knapp dreißig Minuten Eindrücke aus zweihundertfünfzig Jahren Pietismus in Württemberg auf sich wirken zu lassen. Dabei lernen Sie einige jener Bet-Schwestern und Stundenbrüder kennen, wie Pietisten manchmal etwas abfällig genannt werden.
Ob sie nicht Besseres verdient hätten? Aber bilden Sie sich doch Ihr eigenes Urteil.
Look to see I've gone
For tomorrow may rain so I'll follow the sun
Someday you'll know I was the one
But tomorrow may rain so I'll follow the sun
And now the time has come and so my love I must go
And though I lose a friend
In the end you will know
Oh, one day you'll find
That I have gone
But tomorrow it rains so I'll follow the sun
- Aber morgen wird es regnen, also werde ich der Sonne folgen.
Ursprung und Charakter des Pietismus
Was ist denn der Pietismus? Er ist zunächst eine innerkirchliche Bewegung. Rolf Schäffbuch weiß, wovon er spricht, denn der Ulmer Prälat ist ein ausgewiesener Kenner und Anhänger dessen, was auch heute noch den Namen Pietismus trägt.
Bezeichnet wird damit eine Richtung innerhalb der evangelischen Christenheit in Deutschland, die eine von Herzen kommende Frömmigkeit fordert und lebt. Ihre Wurzeln reichen bis ins siebzehnte Jahrhundert zurück. Damals hat ein in seiner theologischen Orthodoxie erstarrter lutherischer Glaube eine Reform buchstäblich herausgefordert.
Der sogenannte Gründer des Pietismus war der Frankfurter Dekan, würden wir heute sagen, Philipp Jakob Spener, später Oberhofprediger in Dresden. Von Pfarrern ist das ausgegangen. Er hat gesagt: Wenn wir neues Leben haben wollen, brauchen wir mehr Bibel. Mehr Bibel aber hieß, dass man sich in Gruppen um die Heilige Schrift zusammenfand und in diesen Stunden religiöse Erbauung suchte.
Als sich dann die Pfarrer aus ihrer ursprünglichen Wächterfunktion über die pietistischen Versammlungen zurückzogen, ging die Verantwortung an Lehrer, Kaufleute, Weingärtner und Bauern über. Das war der Anfang des gesegneten Heeres von ehrenamtlichen Mitarbeitern, die es in Württemberg gibt.
Philipp Matthäus Hahn, vor allem Johann Albrecht Bengel, Friedrich Christoph Oetinger, Michael Hahn, Ludwig Hofacker sowie Blumhardt Vater und Sohn – die Liste bedeutender schwäbischer Pietisten ließe sich fortsetzen. Gemeinsam war und ist ihnen dabei eines: ihr Einfluss über die Kirche hinaus in die Gesellschaft hinein.
Württemberg sähe anders und ärmer aus, wenn der Pietismus vor zweihundertfünfzig Jahren geistig oder sogar wirklich ausgewandert wäre.
Revolutionäre Aspekte und gesellschaftliche Bedeutung des Pietismus
Die Gefahr bestand und flackerte immer wieder auf, weil der Pietismus auch eine revolutionäre Bewegung war, sagt jedenfalls Doktor Joachim Trautwein aus Reutlingen. Als Hauptargument führt der Pietismusforscher den gesellschaftlichen Modellcharakter mancher pietistischer Gruppierungen an.
In diesen Modellgruppen waren stets konstitutiv die Tendenz zum Gemeineigentum, dann die Tendenz zur Weigerung, natürlich die Gewissensfreiheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie die Unabhängigkeit vom Grundherrn und auch die Unabhängigkeit von Landesfürsten.
Es war und bleibt das Verdienst des Pietistenreskripts vom Oktober 1743, dass es mit solchen separatistischen Tendenzen umzugehen verstand und bei aller nötigen Grenzziehung das Prinzip der Toleranz hochhielt. Auf jeden Fall wurde dem Pietismus in Württemberg ein verantwortliches Eigenleben innerhalb der evangelischen Kirche ermöglicht. Seinen Gemeinschaften wurde eine Rolle zugestanden, von der Joachim Trautwein mit Befriedigung spricht.
Es waren die Gruppen, in denen sich die Leute von unten her ohne obrigkeitliche Anordnung versammeln konnten. Insofern gehören sie ganz eindeutig zur demokratischen, selbstverfassten Tradition des Landes.
How many seas must a white dove sail before she sleeps in the sand?
How many times must a cannonball fly before they're forever banned?
The answer, my friend, is blowing in the wind.
The answer is blowing in the wind.
How many years can some people exist before they're allowed to be afraid?
How many times can a man turn his head before he can see the sky?
How many ears must one man have before he can hear people cry?
Persönliche Einblicke und Beispiele aus Württemberg
Manche sagen hier in Württemberg: „Ich bin schließlich auch pietistisch, meine Großmutter ist entstanden gegangen.“ Billy Graham hat ein schönes Beispiel gebracht: Auch wenn jemand in einer Garage geboren wurde, ist er deshalb noch lange kein Autor.
Ein Pietist ist jemand, der eine Stunde geht, ganz schlicht, sagt Rolf Schäffbuch, Prälat von Ulm. Seine eigene pietistische Prägung hat er freilich nicht an der Donau erhalten, sondern in Hülden auf der Schwäbischen Alb.
Dort gibt es bis heute die sogenannte Kullenstunde, die in evangelischen Kreisen Württembergs einen guten Namen hat und bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Waren es damals Jakob Friedrich, Christian Friedrich oder Johannes Kullen, die zur Gemeinschaftsstunde begrüßten, so tun dies jetzt Eberhard oder Siegfried Kullen.
Wir wollen im Namen Jesu mit unserer Stunde beginnen und singen vom Lied 751, 751 „Ich bin ein Fremdling auf der Erde“, die Verse 1 bis 4. Nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung des sonntäglichen Gottesdienstes sind solche Gemeinschaftsstunden gedacht.
Ablauf und Bedeutung der Gemeinschaftsstunden
Wie Gemeinschaftsstunden ablaufen, dazu Hans Schlipak aus Metzingen: Das Wesentliche einer Gemeinschaftsstunde ist das Wort Gottes. An diesen Texten orientiert sich die Gemeinschaftsstunde. In der Regel werden zwei bis drei Lieder gesungen. Danach folgt das Gebet, die Verlesung des Textes und anschließend die Auslegung durch einzelne Personen.
Diese Personen werden als redende Brüder bezeichnet, im Unterschied zu jenen Glaubensgeschwistern, die ausschließlich zum Hören in die Stunde kommen. In Hülben steht heute die alttestamentliche Gerichtsgeschichte von Sodom und Gomorra auf dem Programm.
Verehrte, liebe Geschwister, ich habe lange mit mir gerungen, ob ich zu diesem Text überhaupt etwas sagen soll. Denn in ihm kommen Rauch und Schwefel vor, und dieser Rauchdampf erinnert mich an Auschwitz. Dieses furchtbare Gericht über Sodom und Gomorra kam nicht unangemeldet wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Ich möchte eigentlich noch einmal zu Abraham zurückkehren, weil er in dieser Geschichte eine ganz wesentliche Rolle spielt, obwohl er kaum mehr vorkommt. Häufiger wird dagegen etwas anderes erwähnt, und zwar dann, wenn die Berufs- und vor allem Laientheologen fertig sind.
Dann nämlich geht es zumindest auf der Schwäbischen Alb im alten Schulhaus ein Stockwerk höher, wo Kaffee und Weißbrot gleichermaßen duften und schmecken. Für Siegfried Kullen ist das eine biblische Selbstverständlichkeit. Dass Leib und Seele eine Stärkung brauchen, hat vielleicht der Pietismus aus dem Evangelium gelernt.
"Der Kaffee ist fertig" – klingt das nicht unheimlich zärtlich? "Der Kaffee ist fertig" – klingt das nicht unglaublich lieb? Wenn die ersten Sonnenstrahlen auf meine Augen fallen, dann hält eine Stimme, die wie Glocken klingt, diese Worte:
"Der Kaffee ist fertig." Klingt das nicht unheimlich zärtlich? "Der Kaffee ist fertig." Klingt das nicht unglaublich lieb? Wenn ich irgendetwas nicht vermissen möchte an jedem Montag, an dem ich die Ja noch mache, dann sind es diese vier Worte von dir: "Der Kaffee ist fertig."
Klingt das nicht ganz einfach herrlich? "Der Kaffee ist fertig." Klingt das nicht ganz einfach lieb? Wenn die Glocken nach der Schlacht läuten und ich wieder spät gestresst bin, dann sagst du: "Der Kaffee ist fertig." Das klingt für mich wie Musik: "Der Kaffee ist fertig." Da wäre ich ja wieder daheim. "Der Kaffee ist fertig." Da schlafe ich ja wieder ein.
Die Rolle der Frauen und die familiäre Tradition im Pietismus
Der Pietismus ist eine Glaubensrichtung, die seit dem sogenannten Pietistenreskript vor zweihundertfünfzig Jahren in Württemberg in der evangelischen Kirche Heimat gefunden hat. Das ist das Thema dieser Sendung.
Weil auch in Hülben auf der Schwäbischen Alb der Kaffee fertig ist, bleiben wir noch ein bisschen dort. Bei einer Tasse dieses belebenden Getränks lassen wir uns über die Anfänge des Pietismus im Dorf unterrichten.
Wenn man dem Senior der Kullendynastie Glauben schenken darf, dann hat alles mit einer Frau begonnen. Ihr Name war Anna Katharina Kullen. Laut Eberhard Kullen hatte sie durch die Lektüre des Römerbriefs ein Bekehrungserlebnis. Von da an hat sie zusammen mit ihrem Mann die Bibel und auch Predigtbücher gelesen.
Wir nehmen an, dass etwa 1768 die Stunde in Hülben entstanden ist und bis heute weiter besteht. Frauen nehmen dabei eine ganz wesentliche Rolle bei der Vermittlung von Glaubensinhalten pietistischer Prägung ein, auch wenn sie sich öffentlich oft zurückhalten, zum Beispiel vor dem Mikrofon.
Ich sage immer: Die Frauen sind eigentlich diejenigen, die Familientraditionen und auch gewisse Familienkultur weitergeben. Die Männer haben darin weniger Gaben. Dort, wo die Mütter praktisch den Geist des Hauses bestimmen, lebt auch die christliche Tradition weiter.
Für Siegfried Kullen schlägt sich diese christliche Tradition im täglichen Leben der Familie nieder. Zur pietistischen Haustradition gehören die Hausandachten und das Tischgebet. Bei den Hausandachten werden oft Predigtbücher und Andachtsbücher gelesen, die es im evangelisch-christlichen Raum in großer Zahl gibt.
Soweit die Begabung vorhanden ist, spielt auch die Hausmusik eine große Rolle.
Herausforderungen und positive Bilanz des Pietismus
Natürlich ist der Pietismus nicht frei von Problemen. Oft setzt die Kritik zu Recht bei einer übertriebenen Gesetzlichkeit an, bei einem zu häufigen "Du darfst nicht" und generell bei einem sehr ausgeprägten Hang zur theologischen, moralischen und gesellschaftspolitischen Konservativität.
Trotzdem zieht Siegfried Kullen persönlich eine positive Bilanz. Pietismus ist auch eine gewisse Lebensform. Da die Pietisten ihre Kinder mögen und in der Regel gute Erzieher sind – wobei die Probleme, die in der Pubertät auftreten, keineswegs verkannt werden – werden die Kinder zunächst einmal in den unbelasteten Jahren in eine Welt hineingeboren, die selbst von denen, die sich später im Pietismus nicht mehr heimisch fühlen, als positiv angesehen wird.
Bemerkenswert ist aber auch noch eine andere Sache, die wohl nicht nur für das pietistische Hülben gilt. Offensichtlich macht ein ernst gelebter christlicher Glaube immun gegen die Verführungskünste politischer Demagogen.
So kann Eberhard Kullen davon berichten, dass die ersten nationalsozialistischen Wahlen für die neuen Machthaber auf der Alb zu einem Fiasko geworden sind. Bei dieser ersten Wahl haben über 120 Hülbener mit Nein gestimmt. Einheimische sagten sogar, es müsse noch viel mehr gewesen sein.
Das hat sich so ausgewirkt, dass am Eingang des Dorfes, von Urach her und von Neuffen her, ein großes Schild stand mit der Aufschrift: "Hier leben 120 Volksverräter."
Bedeutung und Ausblick auf die Zukunft des Pietismus in Württemberg
Zu geistlichen Übungen, entsprechend ihrer Absichten und Umstände, bedarf es heute mehr denn je einer ganz besonderen Aufmerksamkeit, christlicher Vorsicht und geistlicher Klugheit. Es sind inzwischen 250 Jahre vergangen, seit am 10. Oktober 1743 im damaligen Herzogtum Württemberg das Pietistenreskript erlassen wurde.
Diese 250 Jahre haben pietistische Frömmigkeit im Remstal, auf der Alb, im Schwarzwald und anderswo ihre Spuren hinterlassen. Diese Spuren waren und sind, wie erwähnt, nicht nur geistlicher Natur. Sie sind auch wichtig für die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft und das Land als Ganzes. Das ist Grund genug zum Feiern und zugleich zu einem durchaus selbstkritischen Blick nach vorn.
Noch einmal Prälat Rolfs Chefbuch: Im Pietismus gibt es natürlich viele Fehler. Keiner ist da ein Engel. Dennoch bin ich dankbar dafür, dass Gott unsere württembergische Kirche durch Bibelbewegungen bis heute gesegnet hat. Es ist uns gelungen, den Pietismus in der Kirche zu halten, auch durch das Pietismusreskript. Gott gebe uns, dass wir auch in Zukunft lebendige, in der Bibel verankerte Gruppen in unserer Kirche bewahren können. Denn sonst sind wir im Nu am Ende.
Noch nicht am Ende sind die Diskussionen darüber, wie das Verhältnis von Pietismus und Kirche in Zukunft aussehen soll. Auf jeden Fall wird das Pietistenreskript noch in diesem Jahr fortgeschrieben und mit aktualisierten Bestimmungen versehen werden. Umstritten ist dabei vor allem die Frage, inwieweit Gemeinschaftsprediger Amtshandlungen wie Taufen, Trauungen und Beerdigungen vornehmen dürfen. Dabei lässt sich diese Frage natürlich auch nicht hier und heute abschließend klären.
Ob Sie nach dieser halben Stunde die Betschwestern und Stundenbrüder in einem anderen Licht sehen können? Ob Sie etwas aus 250 Jahren Pietismus in Württemberg erfahren haben? Ich hoffe es und freue mich darüber, dass Sie zugehört haben.
Alles Gute wünscht Ihnen am Schluss dieser evangelischen Kirchensendung Ihr Andreas Koch.