Liebe Gemeinde, Sie haben es sicher mitbekommen: Schon seit einigen Wochen kommt der beschauliche Ort an der Ostsee nicht mehr zur Ruhe. Heiligendamm steht im Mittelpunkt der Schlagzeilen, denn dort findet in den nächsten Tagen der G8-Gipfel statt.
Sie haben von den sehr umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen gehört, die dort organisiert wurden. Dort treffen sich die Führer der angeblich mächtigsten Nationen der Welt. Der wache Beobachter fragt sich natürlich: Wohin werden sie die Welt führen? Wohin geht die Welt?
Wie viel Macht haben die Regierungschefs, männlichen und weiblichen Geschlechts, wirklich? Welche Macht- und Kräfteverhältnisse wirken möglicherweise im Hintergrund? Gibt es Machtfaktoren der Wirtschaft oder Bündnisse, die kein Journalist zu sehen bekommt und die nirgendwo offiziell dokumentiert sind?
Der Beobachter fragt weiter: Wohin wollen sie uns überhaupt steuern? Was werden sie bewegen? Werden sie Geschichte schreiben oder nur Steuergelder verbrauchen?
Wohin bewegt sich die Weltgeschichte? Was bewegt die Geschichte? Wer bewegt die Geschichte? Sind es diese acht Regierungen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, USA, Kanada und Russland? Übrigens ist die Europäische Kommission zusätzlich bei allen Sitzungen vertreten – als ein weiterer Faktor.
Sind es diese acht oder neun, oder sind es vielleicht sechzehn? Wer regiert wirklich? Das sind Fragen, die jeden wachen Menschen beschäftigen sollten.
Offensichtlich hält es der lebendige Gott für wichtig, dass gerade seine Kinder sich mit diesen Fragen auseinandersetzen – Fragen der Weltgeschichte, Fragen der Machtverhältnisse. Sonst würden uns diese Themen in der Bibel nicht auf Schritt und Tritt auf die Tagesordnung gesetzt.
Einführung in die Vision Daniels und die Bedeutung der Weltgeschichte
Ganz besonders in dem Buch, das wir zurzeit in unserer Predigtreihe behandeln, passiert das im Buch Daniel. Heute steht einfach der nächste Abschnitt an, in der ganz normalen Abfolge unserer Predigtreihe ausgerechnet Kapitel sieben.
Das ist ein besonderes Kapitel, weil mit Kapitel sieben die zweite große Hälfte des Danielbuches beginnt – wenn Sie so wollen, die zweite Halbzeit. Bis dahin, in den ersten sechs Kapiteln von Daniel, haben wir die persönliche Geschichte Daniels und auch seiner Freunde kennengelernt. Wir haben gesehen, wie Gott ihn nach der Deportation Israels nach Babylonien dort hat studieren lassen und ihm ermöglicht hat, Karriere zu machen – und zwar in einem guten Sinne. Daniel nahm wichtige Funktionen wahr, und Gott konnte ihn in erstaunlicher Weise dort gebrauchen, in der heidnischen Metropole, im Zentrum der damaligen Macht (Kapitel 1 bis 6).
Jetzt erfahren wir von Kapitel 7 an bis zum Ende, bis Kapitel 12, weitere Visionen und Prophetien, die Gott Daniel in dieser Zeit geschenkt hat. Diese Visionen werden immer genau zugeordnet. Es wird gesagt, in dem und dem Jahr, als er unter dem und dem König diente, erhielt er die und die Vision. Wir bekommen also ab Kapitel sieben weitere Visionen und Prophetien, die jeweils genau datiert werden.
So steigen wir jetzt gleich in diesen spannenden, auf den ersten Blick etwas rätselhaften Text ein, den Sie vor sich haben, unter der Fragestellung: Wohin geht die Welt? Wohin läuft die Weltgeschichte?
Im ersten Jahr Belsazars, des Königs von Babel, hatte Daniel einen Traum und Gesichte auf seinem Bett – also in der Nacht, als er schlief. Er schrieb den Traum auf, und dies ist sein Inhalt.
Wir schreiben wahrscheinlich das Jahr 553 v. Chr. So ordnen es die meisten Ausleger ein. Das sind etwa noch 14 Jahre vor dem Drama in der Löwengrube. Wir befinden uns hier also etwa 14 Jahre vor Daniel 6, nur dass sie es zuordnen können. Daniel ist zu dem Zeitpunkt schon zwischen 66 und 68 Jahre alt und hat somit schon viel erlebt und mitbekommen.
Was Gott ihm jetzt zeigt (Daniel 7) gehört wahrscheinlich zu den aufwühlendsten Prophetien, die in der Kirchengeschichte besonders viel Aufmerksamkeit erregt und manche Kontroversen ausgelöst haben.
Gleich zu Beginn wird mit einem plastischen Bild, das Sie im Text vor sich haben, eingeführt, worum es gehen wird. In Vers 2 heißt es: „Ich, Daniel, sah ein Gesicht in der Nacht. Und siehe, die vier Winde unter dem Himmel wühlten das große Meer auf, und vier große Tiere stiegen aus dem Meer herauf, jedes anders als das andere.“
Symbolik der vier Tiere und die Bewegung der Weltgeschichte
Gleich zu Beginn sehen wir ein dramatisches Bild: das große Meer. In der Bibel steht das Meer als Symbol für das Völkermeer. Dies können Sie in Psalm 46, Vers 4 oder auch in Jesaja 17, Vers 12 nachlesen. Das Meer steht für das Meer der Völker, für die wilde und stürmische Geschichte der Völker.
Dieses Meer ist das, worüber Zeitungen berichten, das, was in den Nachrichten vorkommt – das ist das große Meer. Diese Weltgeschichte, dieses Völkermeer, wird bewegt und aufgewühlt. So sagt es Gott hier dem Daniel: durch die vier Winde unter dem Himmel.
Was sind diese vier Winde? Sie können auch als Geister verstanden werden, so lässt sich der Begriff übersetzen. Man kann sagen, es ist der Zeitgeist, der das Meer der Geschichte bewegt. Wir wissen, dass Zeitströmungen, Zeitgeist, Entwicklungen und Ideologien nicht einfach neutral sind. Nach biblischer Aussage stehen dahinter auch Mächte, geistige und geistliche Wirklichkeiten, die diese Geschichte mitbewegen.
Die vier Winde können aber auch bedeuten, dass Gott Boten sendet. In Sacharja 6, Vers 5 heißt es: Die vier Winde unter dem Himmel kommen hervor, nachdem sie vor dem Herrscher aller Länder gestanden haben. Gott sendet sie also aus.
Daraus kann man schließen, dass letztlich hinter allen Entwicklungen in der Geschichte Gott steht – auch hinter dem, was ab nächster Woche passiert, und hinter dem, was in der Völkergeschichte berichtet wird. Das mindert nicht die menschliche Verantwortung und Schuld, die wir in dieser Geschichte auf uns laden. Aber letztlich steht hinter allem Gott.
Er ist es, gegen dessen Willen nichts bewegt werden kann. Er hält seine Hand immer noch über das tobende Meer der Weltgeschichte. Er bringt diese Geschichte zu ihrem Ziel.
Was passiert nun in dieser Weltgeschichte? Worauf müssen wir uns einstellen? Wohin geht die Welt? Das zeigt Gott dem Daniel durch vier große Tiere, die nacheinander aus dem Wasser steigen. Sie sehen das in Vers 3. Es ist eine ungewohnte Sprachwelt, in die Daniel uns hier mitnimmt. Aber Gott hat dieses Bild gewählt, um uns diese Information zu geben.
Vers 3: Und vier große Tiere stiegen herauf aus dem Meer, ein jedes anders als das andere. Das erste war wie ein Löwe und hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah, wie ihm die Flügel genommen wurden. Es wurde von der Erde aufgehoben und auf zwei Füße gestellt wie ein Mensch, und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben.
Und siehe, ein anderes Tier: Das zweite war gleich einem Bären, auf der einen Seite aufgerichtet. Es hatte in seinem Maul zwischen seinen Zähnen drei Rippen. Man sprach zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch.
Danach sah ich ein anderes Tier, gleich einem Panther. Es hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken und vier Köpfe. Dem Tier wurde große Macht gegeben.
Dann sah ich in diesem Gesicht in der Nacht ein viertes Tier. Es war furchtbar und schrecklich, sehr stark und hatte große eiserne Zähne. Es fraß um sich, zermalmte und zertrat, was übrig blieb, mit seinen Füßen. Es war ganz anders als die vorherigen Tiere und hatte zehn Hörner.
Als ich auf die Hörner achtgab, siehe, da brach ein anderes kleines Horn zwischen ihnen hervor. Vor dem wurden drei der vorherigen Hörner ausgerissen. Dieses kleine Horn wurde immer größer. Es hatte Augen wie Menschenaugen und ein Maul, das große Dinge redete.
Deutung der vier Tiere im historischen Kontext
Auf den ersten Blick klingen diese Verse völlig rätselhaft. Was will Gott Daniel zeigen? Was will Gott uns zeigen? Wer sind die vier Tiere und für welche Mächte in der Geschichte stehen sie? Das ist das große Thema. Wir wollen uns jetzt schrittweise diesen Fragen nähern.
Bestimmt wurde Daniel, als er das sah, in diesem Traum sofort an den Traum von Nebukadnezar erinnert, den er fünfzig Jahre zuvor gedeutet hatte. Einige von Ihnen nicken sicher zustimmend, denn diese Viererstruktur haben wir bereits in Kapitel 2 gesehen. Damals war Daniel noch ein junger Mann und wurde an den Hof gerufen, um den seltsamen Traum Nebukadnezzars zu erklären und auszulegen.
Sie wissen, Nebukadnezar hatte ein großes Standbild gesehen, das aus vier verschiedenen Materialien bestand. Jedes Material stand für ein Weltreich, das sich in der Geschichte für eine bestimmte Zeit halten konnte. Zur Erinnerung: Da war der Kopf aus reinem Gold – Babylon. Dann Brust und Arme aus Silber – Medo-Persien, also Meder und Perser. Der Bauch und die Lenden bestanden aus Kupfer oder Bronze – das war Griechenland, Alexander der Große. Schließlich die Schenkel und Beine aus Eisen – das war das römische Weltreich mit seinen verschiedenen Phasen und Ausläufern bis hin zu unserem heutigen Europa, das in der römischen Tradition steht.
Deswegen wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, so hieß sie damals noch, in Rom gegründet. Die Verträge heißen bis heute die Römischen Verträge – das ist die Tradition.
Jetzt kommt Kapitel 7, das auf den ersten Blick ganz ähnlich erscheint. Im Unterschied zu Kapitel 2 werden hier jedoch dieselben vier Weltreiche durch Tiere symbolisiert. Das fällt auf. Es sind nicht mehr wertvolle Materialien von Gold bis Eisen, sondern Tiere. Wir werden gleich noch sehen, warum das so ist.
Zunächst sehen wir den Löwen mit Adlerflügeln in Vers 4. Das ist wieder das babylonische Weltreich, das goldene Haupt. Es heißt: „Das erste war wie ein Löwe, hatte Flügel wie ein Adler. Ich sah, wie ihm die Flügel genommen wurden, es wurde von der Erde aufgehoben, auf zwei Füße gestellt, man könnte sagen wie ein Mensch, und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben.“
Im babylonischen Reich gab es merkwürdige Tierbilder, zum Beispiel Reliefs, die man heute noch studieren kann. Darauf waren unter anderem Löwen und Adler als heilige Tiere gemalt und entsprechend verehrt. Das war allgemein bekannt.
Der König der Tiere, der Löwe, gilt als stark und mächtig, der Adler als König der Vögel, beweglich, elegant und schnell. So wurden später Löwe und Adler auch als Bilder für Nebukadnezar, den König, verwendet.
Doch dann passiert etwas: Die Macht des Löwen wird gebrochen. Es heißt: „Ich sah, wie ihm die Flügel genommen wurden.“ Seine Entfaltung wird eingeschränkt, seine Macht zurückgefahren und zerbrochen. Am Ende bleibt nur ein schwaches, zerbrechliches Wesen zurück – ein Mensch mit einem menschlichen Herzen. Nicht mehr die Macht des Löwen und des Adlers.
Das babylonische Reich kollabiert, es bricht zusammen und wird durch ein weiteres Reich ersetzt.
Auf den König der Löwen, den König der Tiere, folgt ein Bär. Der Bär in Vers 5 steht für das Medo-persische Reich oder die silberne Brust, wenn Sie so wollen.
Es heißt: „Und siehe, ein anderes Tier, das zweite, war gleich einem Bären und war auf der einen Seite aufgerichtet und hatte in seinem Maul zwischen seinen Zähnen drei Rippen. Und man sprach zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch!“
Dieses „Steh auf und friss viel Fleisch!“ ist eine Aufforderung: Erobere, setze dich durch! Und dieses „Man“ ist letzten Endes Gott, der hinter der Geschichte steht.
Außergewöhnliche Kraft besitzt dieser Bär, er verbreitet großen Schrecken. Eine Seite ist aufgerichtet. Sie wissen, das war ein Reich, das sich aus Medern und Persern zusammensetzte. Die Perser waren mächtiger als die Meder, deswegen war eine Seite aufgerichtet.
Die drei Rippen, die er verschlungen hatte, können die drei mächtigen Reiche vor ihm sein: Ägypten, Assyrien und Babylon. Oder die drei Rippen können auch drei Völker sein, die er erobert hatte: Babylon, Lydien und Ägypten. Beides ist möglich. Jedenfalls hatte er sie bereits verschlungen.
Er wird jetzt aufgefordert, seinen Beutefeldzug fortzusetzen, was ihm für einige Zeit gelingt.
Dann tritt das dritte Tier auf den Plan der Weltgeschichte – ein Panther. Er steht für das griechische Weltreich Alexanders des Großen.
Es heißt in Vers 6: „Danach sah ich ein anderes Tier, gleich einem Panther, das hatte vier Flügel wie ein Vogel auf seinem Rücken, und das Tier hatte vier Köpfe, und ihm wurde große Macht gegeben.“
Wieder wird betont, dass ihm große Macht gegeben wurde. Wenn in der Bibel eine Passivform steht, sollten wir aufmerken. Oft ist damit Gott gemeint, das sogenannte göttliche Passiv. Gott steht dahinter und bringt die Geschichte in bestimmte Bahnen.
Der Panther, der Leopard, war bekannt als ein schnelles und leichtfüßiges Tier. Geschicklichkeit und Schnelligkeit sind Kennzeichen für ihn. Genau so hat Alexander der Große sein Reich erobert und zusammengestellt.
Sie müssen sich überlegen: Innerhalb eines sehr kurzen Zeitfensters von 334 bis 330 vor Christus hat Alexander der Große sein riesiges Reich erobert – schnell wie ein Panther.
Wie der Löwe ist auch der Panther mit einem Vogelsymbol verbunden. Das haben Sie gehört. Das erinnert an Götterbilder aus dem Zweistromland, die oft mit zwei Flügelpaaren ausgestattet waren. Das ist ganz typisch. Götterbilder mit zwei Flügelpaaren waren ein Symbol der Göttlichkeit.
Wenn dieses Symbol hier immer wieder auftaucht, wird damit auch Folgendes deutlich: Diese Weltreiche haben immer die Tendenz zur Selbstvergötzung. Je totaler diese Weltreiche werden, desto mehr erheben sie einen religiösen Anspruch. Sie sind alle bereits Vorläufer des antichristlichen Reiches, das später eine eigene Religion darstellen wird – den religiösen Anspruch weltlicher Macht.
Achten Sie auf die Formulierungen, mit denen menschliche Machtblöcke manchmal wie Heilswirklichkeiten beschrieben werden.
Und dann die vier Köpfe, von denen hier die Rede ist: Wir wissen, dass nach dem Tod Alexanders das Reich in vier Gebiete unter vier Generälen aufgeteilt wurde, die Diadochen. Das ist hier schon vorhergesagt.
Überlegen Sie: Alexander starb im 4. Jahrhundert vor Christus, und das hier wurde bereits um 550 vor Christus von Gott Daniel offenbart.
Es ist hochinteressant zu sehen, wie präzise diese Zusammenhänge dargestellt sind.
Das vierte Tier als Symbol der antichristlichen Weltmacht
So, und dann schließlich das vierte Tier. Nach dem Löwen mit den Adlerflügeln, dem Bären und dem Panther folgt schließlich dieses vierte Tier. Es wird aber nicht mehr, was interessant ist, mit einem bekannten Vorbild bezeichnet. Es wird einfach nur noch als ein viertes Tier genannt. Und es ragt völlig heraus aus dieser Galerie.
Sehen Sie mal die Verse 7 und 8: „Danach sah ich in diesem Gesicht in der Nacht“ – jetzt kommt ein erster Höhepunkt – „und siehe, ein viertes Tier war furchtbar und schrecklich und sehr stark und hatte große eiserne Zähne. Es fraß um sich und zermalmte, was übrig blieb, und zertrat es mit seinen Füßen.“ Es war auch ganz anders als die vorherigen Tiere und hatte zehn Hörner.
Von diesem Tier geht, das merken Sie schon, ein besonderer Schrecken aus. Das hat auch Daniel gespürt. Vielleicht ist dieses Tier sogar eine Mischung aus den drei vorherigen. Es gibt nämlich eine interessante Parallele im Neuen Testament, in Offenbarung 13. Dort wird auch dieses Tier der letzten Tage beschrieben, der Antichrist. Es wird ebenfalls als das römische Reich dargestellt, das alle vorhergehenden Reiche in sich aufnimmt.
Da heißt es in Offenbarung 13, Vers 2: „Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Panther. Und seine Füße waren wie Bärenfüße und sein Rachen wie ein Löwenrachen.“ Hier haben wir also alle drei Tiere beieinander. Es ist sehr gut denkbar, dass dieses Tier, wie wir noch sehen werden, die gleiche Person beziehungsweise die gleiche Macht darstellt, von der auch Offenbarung 13 spricht. Dieses Tier ist eine Mischform.
Es verbreitet Angst und Schrecken und setzt sich mit eiserner Macht durch – eiserne Zähne. Erinnern Sie sich noch an Kapitel 2, in dem das Standbild Beine aus Eisen hatte? Das stand für Rom. Und es zermalmt alle Konkurrenten mit brutaler Gewalt. Das heißt, Rom hat Zivilisationen und Völkerscharen massenweise zerstört, ohne Rücksicht auf Verluste. Dafür war das römische Reich bekannt.
Es hat unendlich viele Menschen in die Sklaverei geführt und versucht, Imperialismus pur auszubreiten. Noch einmal wird hier am Ende von Vers 7 der qualitative Unterschied zu den drei vorhergehenden Reichen betont: „Es war ganz anders als die vorigen Tiere“, steht hier, natürlich.
Zerfiel die römische Herrschaft im fünften Jahrhundert nach Christus, kann man trotzdem sagen, dass sie in zersplitterter Form weiterbesteht. Denken Sie an die zehn Zehen des Standbildes, die von diesen Füßen ausgehen. Diese waren ein Symbol, wie wir damals gesehen hatten, für die Zersplitterung des römischen Reiches, das aber trotzdem noch in sich einen gewissen Zusammenhang behält.
Wir hatten darin ein Abbild des gespaltenen Europas gesehen, das sich doch zusammengeführt weiß und das zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal enger zusammengeführt werden wird. Die Bibel macht deutlich: Am Ende der Zeiten wird dieses letzte Weltreich, dieser Machtfaktor in römischer Tradition, wieder zusammenwachsen.
Auf diese Zukunft richtet jetzt Daniel unseren Blick. Er spricht nämlich von den zehn Hörnern am Ende von Vers 7: „Es war auch ganz anders als die vorigen Tiere und hatte zehn Hörner.“ Da fragen wir: Was sollen die zehn Hörner bedeuten?
Gucken wir an das Ende von Kapitel 7, das haben Sie jetzt nicht vor sich, werden wir nächstes Mal sehen oder über nächstes Mal in Vers 27. Dort sehen wir, dass die zehn Hörner zehn Könige sind. Aus der Offenbarung, die auch über diese Zeit berichtet, aus dem Neuen Testament, wissen wir, dass diese zehn Könige zeitgleich regieren werden.
In Offenbarung 13 und Offenbarung 17 ist auch von diesen zehn Hörnern die Rede. Zehn Könige, die als Herrschaftssystem des Antichristen miteinander verbunden sind. Die zehn Könige begründen gewissermaßen das Herrschaftssystem des Antichristen und werden als Hörner verstanden. Horn ist immer ein Symbol der Macht in der Bibel.
Also ist die geballte künftige Macht des Antichristen hier in diesen zehn Hörnern dargestellt. Und dann passiert noch etwas: Ein kleines Horn tritt plötzlich auf die Weltbühne, lesen wir hier. Dieses Horn schaltet drei andere Hörner aus.
Was das im Einzelnen sein wird, können wir jetzt noch nicht sehen. Aber in Vers 24 am Ende von Kapitel 7 wird wieder über dieses kleine Horn gesagt, dass es ganz anders sein wird als die vorigen und drei Könige stürzen wird. Das wird man dann sehen, wenn es so weit ist.
Jedenfalls erkennt man in diesem Horn, das dann in Vers 8 beschrieben wird, schon Anzeichen des Antichristen. Was wird der Antichrist sein? Dieses Horn wird Augen haben wie Menschenaugen, steht da in Vers 8. Augen wie Menschenaugen – das heißt, der Antichrist wird voraussichtlich wie ein normaler Mensch sein.
Nicht übernatürlich, sondern ein Mensch, der wahrscheinlich an irgendeiner Universität studiert, eine gewisse Karriere macht und dann in eine Machtposition kommt. So in etwa wird man den Antichristen erwarten müssen.
Er wird durch noch etwas gekennzeichnet sein, auch das steht in Vers 8: Er wird einen Mund beziehungsweise ein Maul haben, das große Dinge redet. Nun könnte man das ja von manchem sagen: „Der hat ein Maul, das große Dinge redet.“ Aber hier ist noch enger gefasst, was das bedeutet.
Es meint Lästerung, Lästerung gegen Gott. Der Antichrist wird in besonderer Weise gotteslästerliche Reden führen. In Offenbarung 13, Vers 5, merken Sie schon, ist das so eine Art Parallelstelle. Dort heißt es ganz ähnlich: „Es ward ihm gegeben, einen Mund zu reden große Dinge und Lästerung.“
Das ist der Antichrist.
Die antichristliche Weltmacht und ihre endgültige Vernichtung
So, jetzt halten wir es fest: Wir haben, denke ich, die schwierigste Arbeit heute Morgen geschafft. Es ist gar nicht so einfach, diesen Zusammenhang zu erkennen.
Dieses Tier, das vierte Tier, das in den Versen sieben bis acht beschrieben wird, verkörpert die antichristliche Weltmacht der Endzeit. Diese antichristliche Weltmacht wird unter der Führung des Antichristen stehen. Das können wir aus Offenbarung 13 noch deutlicher erkennen, aber schon hier in Daniel 7 wird diese Information angedeutet.
Das römische Reich in seinen verschiedenen Ausprägungen wäre demnach ein Vorläufer des antichristlichen Weltreichs, der antichristlichen Weltmacht gewesen. Der heutige Leser kann dieses tierische Panorama viel leichter entschlüsseln als Daniel und seine Zeitgenossen.
Wir haben zwei große Vorteile: Zum einen sind für uns die meisten dieser Dinge schon geschehen – bis auf die allerletzten. Überlegen Sie mal: Daniel lebte noch im babylonischen Reich. Das war die Station des Löwen mit den Adlerflügeln. Der Bär sollte erst noch kommen, der Panther sollte erst noch kommen, das vierte Tier musste erst noch erscheinen. All diese zukünftigen Entwicklungen standen damals noch aus. Für uns sind sie schon Geschichte und somit leichter zu verstehen.
Zum anderen haben wir einen weiteren Vorteil: Uns liegen zusätzliche Texte vor, die etwa 650 Jahre später im Buch der Offenbarung im Neuen Testament von Gott gegeben wurden. Dadurch können wir vieles viel besser verstehen. Aber auch Daniel versteht es schon ansatzweise, und wir wundern uns nicht, was in Vers 15 steht: Dort heißt es, dass er großen Schrecken bekommt. Am Ende heißt es: „Ich, Daniel, war entsetzt, und dieses Gesicht erschreckte mich.“ Daniel spürt, was sich hier zusammenbraut.
Natürlich war das Grundmuster dieser Abfolge schon bekannt – die vier Reiche, die aufeinander folgen. Aber jetzt, da Daniel etwa 68 Jahre alt ist, erhält diese Zukunftsschau eine ganz andere Dimension. Und das ist das Erschreckende.
Nebukadnezars Standbild war lebloses Material mit unterschiedlichen Wertigkeiten. Es war eine, wenn Sie so wollen, objektive Darstellung, ein Blick von außen. Daniels eigener Traum entlarvt etwas viel Schlimmeres: Er zeigt das Wesen, das Innere dieser weltlichen Mächte – und entlarvt es als tierisch.
Das ist die erschreckende Einsicht: Alle weltliche Macht, die sich von dem lebendigen Gott emanzipiert, bekommt eine tierische, eine bestialische Dimension. Das ist die Botschaft hier. Man kann sagen: Je größer die Macht, desto gefährlicher wird diese bestialische, tierische Tendenz.
Das ist die provozierende Botschaft dieser ersten Verse. Sie lautet ganz einfach – und bitte nehmen Sie das ganz deutlich auf: Menschliche Macht ohne Gott wird von der Sünde beherrscht und ist darum tierisch, bestialisch in ihrer Tendenz.
Das heißt nicht, dass jeder Herrscher eine Bestie ist. Es heißt nicht, dass nicht auch moralisch integre Menschen sich mühen können, etwas Vernünftiges für diese Welt zu erreichen. Aber das Wesen der Macht, die sich von Gott emanzipiert, wird hier von Gott so dargestellt.
Wer mehr Macht besitzt, ist nicht böser als andere, aber er kann viel mehr Zerstörung und Unheil anrichten. Moralisch betrachtet ist der Unterschied nicht groß: Ob jemand seine Frau verprügelt oder mutwillig einen Krieg anzettelt – moralisch ist das gleich schlecht. Nur kann der eine unendlich viel mehr Menschen schaden als der andere.
Ein Theologe hat das in einem viel zitierten Wort ausgedrückt: „Humanität ohne Divinität wird zur Bestialität.“ Das heißt: Menschlichkeit ohne Göttlichkeit wird bestialisch. Genau das ist die Botschaft dieser Verse.
Deshalb hilft es dem Menschen auch wenig, wenn er sich auf einen aufgeklärten Humanismus beruft oder auf eine bestimmte Vorstellung von Menschlichkeit. Wenn man diesen aufgeklärten Humanismus womöglich noch zur Basis der europäischen Kultur erklären will, dann gilt: Macht ohne Gott kann auf Dauer dieser bestialischen Gefährdung nicht entkommen.
Hans Dannenbaum, der langjährige Direktor der Berliner Stadtmission, hat zu diesem Vers gesagt: „Was die Völkerwelt aus ihrer eigenen Mitte hervorbringt, wird immer tierisch sein.“ Karl Hartenstein, der Missionstheologe, drückt es so aus: „Der tiefste Charakter aller gottlosen Weltmacht ist das Tierische. Der Mensch ohne Gott, die Macht ohne Gott, die Welt ohne Gott wird zum Tier.“
Diese Mächte und Machthaber mögen sich durchaus religiös gebärden. Auch diese Weltreiche hatten ja ihre religiösen Symbole. Das war alles vorhanden. Sie hatten ihre Priester der Macht, ihre Eröffnungsgottesdienste und Zeremonien für ihre Kongresse. Aber sie haben die furchtbare Tendenz, sich selbst zu verabsolutieren und sich letztlich religiöse Vollmacht und Weihe anzumaßen.
Wehe dem, der es wagt, dagegen anzutreten! Dann gibt es Straflager, Konzentrationslager und all diese schlimmen Folgen. Das ist die erschreckende Antwort, mit der Daniel uns heute Morgen konfrontiert.
Er sagt: Wenn ihr fragt, wohin die Weltgeschichte führt, wenn ihr fragt, wo das alles hinsteuert, dann ist das die erste Antwort, die Gott uns gibt: Die Weltgeschichte führt durch menschliche Macht und Schuld.
Das heißt im Umkehrschluss: Die Weltgeschichte führt nicht in eine zivilisiertere Zukunft. Sie führt nicht in eine humane Weltordnung. Sie führt nicht zu einer gerechteren Verteilung der Güter.
Natürlich sollen Christen das Beste für die Stadt suchen. Natürlich sollen wir uns als Bürger um eine Verbesserung der Verhältnisse im Sinne der Zehn Gebote bemühen. Natürlich sollen wir als Christen für Presse- und Meinungsfreiheit eintreten – und hoffentlich tun wir das.
Natürlich müssen wir aufschreien, wenn der Staat mit sogenannten Antidiskriminierungsgesetzen verhindern will, dass etwa praktizierte Homosexualität noch als Sünde bezeichnet werden darf. Wenn nicht so viele aufgeschrien hätten, wäre das Antidiskriminierungsgesetz möglicherweise noch schlimmer ausgefallen.
Das müssen wir alles tun. Aber wenn wir bei alledem nüchtern bleiben wollen, dürfen wir dieses Panorama aus Daniel 7 nicht vergessen: Die Weltgeschichte führt durch menschliche Macht und Schuld.
Die Ambivalenz von Macht und die christliche Verantwortung
Um nicht missverstanden zu werden, möchte ich auch Folgendes sagen: Macht für sich genommen ist weder schmutzig noch böse. Die Bibel eröffnet uns eine durchaus positive Sicht auf die staatliche Ordnung. Denken Sie nur an Römer 13. Die Bibel sagt, dass die Obrigkeit von Gott eingesetzt ist. Sie spricht sich ganz klar für das staatliche Gewaltmonopol aus, und das sollen wir als Christen akzeptieren.
Aber selbst diese Ordnung, die Gottes Schöpferwillen entspricht, steht unter der ernsten Gefährdung durch die Sünde. Bedenken Sie bitte selbst: Unser vermeintlich demokratisches Nachkriegssystem ist inzwischen so weit auf den Hund gekommen, dass ungeborene Babys nahezu schutzlos zur Abtreibung freigegeben sind. Sie sind nahezu schutzlos, weil sich immer jemand findet, der den Berechtigungsschein unterschreibt. Es findet sich immer jemand, es findet sich immer eine öffentliche Stelle, die das tut. Und weil Regierungen und Parlamente einfach wegschauen – einfach wegschauen.
Bis heute ist es nicht einmal gelungen, das Problem der Spätabtreibung einigermaßen menschenwürdig zu regeln. Nicht einmal das ist bisher geschafft worden. Was wollen wir dazu noch sagen?
Deshalb gilt bei aller Loyalität der Christen, die wir dem Staat gegenüber leisten sollen und müssen, weil Gott das so will und weil es für die Ordnung wichtig ist: Es gilt immer zugleich auch die Mahnung aus Apostelgeschichte 5,29: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“
Das heißt: Als Christen dürfen wir nicht automatisch alles tun, was der Staat erlaubt. Wenn der Staat etwas erlaubt, das gegen Gottes Wort ist, dürfen wir es nicht tun. Umgekehrt gilt: Als Christen dürfen wir nicht in jedem Fall unterlassen, was der Staat verbietet. Es kann sein, dass Gottes Wort uns auffordert, etwas zu tun, was der Staat verbietet. Dann müssen wir tun, was Gottes Wort uns sagt.
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Das ist unsere Perspektive. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Gefährdung jeder Macht deutlich vor Augen behalten, wie es uns das Buch Daniel zeigt.
Gottes Gericht über die Weltgeschichte und die Hoffnung der Gläubigen
Wenn wir jetzt die Kraft und den Mut für unser Leben als Christen gewinnen wollen, dann sollten wir unbedingt wissen, wie Daniels Traum weiterging. Ohne das darf ich Sie heute nicht entlassen.
Am Ende von Vers 8 scheint die antichristliche Macht zu obsiegen. Das Böse scheint endgültig die Oberhand zu behalten. Doch sehen Sie, wie es weitergeht ab Vers 9:
„Und ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich. Sein Kleid war weiß wie Schnee, und das Haar auf seinem Haupt war rein wie Wolle. Feuerflammen waren sein Thron, und dessen Räder loderndes Feuer. Von ihm ging ein langer feuriger Strahl aus. Tausend mal tausende dienten ihm, und zehntausend mal zehntausende standen vor ihm. Das Gericht wurde gehalten, und die Bücher wurden aufgetan. Ich merkte auf wegen der großen Reden, die das Horn, der Antichrist, redete. Ich sah, wie das Tier getötet wurde, sein Leib umkam und ins Feuer geworfen wurde. Mit der Macht der anderen Tiere war es auch aus, denn ihnen war Zeit und Stunde bestimmt, wie lang ein jedes Leben sein sollte.“
Das ist die frohe Botschaft in dieser Vision, die Gott Daniel geschenkt hat. Die Weltgeschichte wird nicht nur durch menschliche Macht und Schuld bestimmt, sondern – und das ist unsere zweite These – die Weltgeschichte führt vor Gottes Thron.
Ab Vers 9 werden die Thronsessel aufgestellt. Ganz vorn, in der Mitte, präsidiert einer, der „uralt“ genannt wird. Das meint nicht alt und gebrechlich, sondern ist ein biblischer Ausdruck für Gott. Wörtlich heißt es „ein Alter an Tagen“. Damit wird Gottes Würde und seine ewige Existenz beschrieben. Die Weltreiche sind alle irgendwann vergangen. Sie waren kurzlebig, trotz der Jahrzehnte, die sie manchmal dauerten. Aber Gott ist ewig, voller Würde, und er kann nicht sterben.
Überlegen Sie mal: Was sind alle flüchtigen politischen Machtkonstellationen, sei es in Babylonien, sei es am Verhandlungstisch von Heiligendamm, gegenüber dem ewigen Gott? Die Weltgeschichte führt vor Gottes Thron – und auch die Geschichte jedes Einzelnen.
In diesen Versen macht es den Eindruck, als ob Daniel mit einer Beobachterkamera einen Schwenk macht und den harten Kontrast herausarbeitet. Zuerst fällt der Blick auf die Abfolge der verschiedenen Tiere, das Schrecklichste am Schluss. Jetzt stellt Daniel uns die heilige Wirklichkeit vor Augen, die dieser Trinitatissonntag feiert: Der heilige Gott, heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaot.
Der Wochenspruch fährt fort, wie Bruder Otto vorgelesen hat: „Alle Lande sind seiner Ehre voll.“ Das ist Gottes Anspruch – alle Länder, die ganze Welt. Und das ist auch Gottes Verheißung für die Zukunft: Alle Länder werden seiner Ehre voll sein. Sein Gott wird seine Ehre in allen Ländern durchsetzen. So wird die Geschichte enden.
Dieser Gott lässt Daniel noch mehr von seiner Heiligkeit und Herrlichkeit sehen. In Vers 9 heißt es: Sein Kleid war weiß wie Schnee, und das Haar auf seinem Haupt rein wie Wolle. Feuerflammen waren sein Thron, und dessen Räder loderndes Feuer. Von ihm ging ein langer feuriger Strahl aus. Tausend mal tausende dienten ihm, und zehntausend mal zehntausende standen vor ihm.
Das ist der heilige Gott, der hier beschrieben wird – der dreieinige Gott, die Heiligkeit Gottes. Er zeigt sich in seiner völligen Reinheit: Sein Kleid ist weiß wie Schnee, sein Haupthaar rein wie Wolle.
Übrigens machen die Begriffe, mit denen Daniel hier von Gott spricht, deutlich, dass Gott Ähnlichkeit mit uns Menschen hat. Er hat uns ja nach seinem Bild geschaffen. Da steht, der Alte setzt sich, er hat ein Gewand, er hat Haupthaar. Gott ist nicht eine ganz ferne, nur transzendente, abstrakte Gestalt. Sondern Gott ist der lebendige Gott der Geschichte, der uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat.
Er ist absolut gerecht, völlig hell und rein weiß. Er ist der totale Gegensatz zu jeder Finsternis und Befleckung. Und überlegen Sie mal: Wie sehr sind die tierischen Machtverhältnisse der Menschen mit Bösem befleckt – mit Korruption, Mord und Totschlag, Gemeinheit, Lüge, Unrecht und Unmoral?
Dagegen steht der heilige, absolut reine Gott, der sich Daniel hier so zeigt. Daraus folgt das Gericht, denn Gottes Wirklichkeit bedeutet für alle Menschen, die ihm begegnen, Gericht. Ob einzelne Menschen, Weltreiche oder Regierungen – es bedeutet Gericht.
Gericht wird in der Bibel meist mit dem Bild des Feuers ausgedrückt. Deshalb heißt es hier auch: Feuerflammen waren sein Thron, und die Räder dieses Throns waren loderndes Feuer. Im Alten Testament finden sich oft solche seltsamen Beschreibungen, etwa bei Hesekiel, wo Gottes Thron in seiner Dynamik und Beweglichkeit wie auf Rädern dargestellt wird.
Diese Räder sind loderndes Feuer, und von ihm geht ein langer feuriger Strahl aus. Feuer ist ein Bild für Gericht. In Gottes Heiligkeit und Reinheit wird alles Unheilige verzehrt, aufgezehrt, gerichtet. Es kann nicht bestehen.
Diesem heiligen Gott gebührt Lob, Anbetung und Verehrung von Millionen Stimmen – zehntausend mal zehntausende. Jetzt geschieht das durch die Engel. Die Bibel sagt sehr deutlich, dass es in der Zukunft auch unsere Aufgabe sein wird, in diesen Chor der zehntausend mal zehntausende einzustimmen, um den heiligen, dreieinigen Gott zu ehren und zu loben.
Hier ist unsere Aufgabe schon beschrieben, die wir als Kinder des lebendigen Gottes einmal wahrnehmen werden. Dann geht das Ganze auf das Ziel zu. Dieser Gott spricht der Weltgeschichte und ihren Mächten das letzte Wort.
Vers 10: „Das Gericht wurde gehalten.“ Wörtlich heißt es: „Das Gericht setzte sich.“ Offensichtlich waren mehrere beteiligt. Aus dem Neuen Testament wissen wir, wer alles beim Gericht beteiligt ist: Gott der Vater, Gott der Sohn, aber auch die Heiligen. Das heißt, die Kinder Gottes werden an diesem Gerichtshandeln in einer für uns noch zu definierenden Weise beteiligt sein.
Sie erinnern sich vielleicht daran, wie in der Gemeinde in Korinth Ärger entstand, weil ein Christ gegen einen anderen vor dem öffentlichen Gericht zog. Was sagt Paulus in 1. Korinther 6,2? „Wie könnt ihr gegeneinander vor Gericht gehen, wenn ihr als Christen, als Heilige, doch einmal die Welt richten sollt?“ Dort wird ganz deutlich gesagt, dass Gott uns an diesem Gerichtshandeln beteiligt.
Dann führt Gott seine Beweismittel an. Es heißt, die Bücher wurden aufgetan. Gott weist jedem, den er verurteilt, nach, was er getan hat. Gott ist kein Gott der Willkür, sondern der Gerechtigkeit.
In Vers 11 sehen Sie das Ergebnis dieses Gerichts: Das wiedergöttliche Tier wird getötet. Es wird nicht nur einfach getötet, sondern gewissermaßen zweimal. Sein Leib, der umkommt, wird ins Feuer geworfen. Offenbarung 13 sagt, dass es in den feurigen Pfuhl geworfen wird.
Dieser „feurige Pfuhl“ wird in Offenbarung 20 als der zweite Tod bezeichnet. Der zweite Tod bedeutet nicht einfach nur das Ende der Existenz oder den natürlichen Tod des Antichristen. Der zweite Tod meint die ewige Verdammnis, die ewige Hölle, die ewige Strafe, von der der Herr Jesus in Markus 9 gesprochen hat: „Wo ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht.“
Das ist die Realität des Gerichts über diesen Antichristen, und man schaudert, wenn man das liest.
Am Ende steht dann Vers 12: „Und mit der Macht der anderen Tiere war es auch aus, denn es war ihnen Zeit und Stunde bestimmt.“ Das heißt, Gott hat ihnen bestimmt, wie lang ein jedes Leben dauern soll.
Damit ist die Macht aller menschlichen Weltreiche endgültig beendet. Das vierte Weltreich wird nicht durch ein früheres noch einmal ersetzt, das ein Comeback feiert. Es ist Schluss. Hier heißt es: „Mit der Macht der anderen war es auch aus.“
Gott, der Herr, hat ihnen eine Grenze gesetzt, eine Frist bestimmt. Diese Frist können sie nicht überschreiten.
Dieses Gericht Gottes beginnt schon mitten in der Weltgeschichte. Babylon wurde gerichtet mitten in der Weltgeschichte, Persien wurde gerichtet mitten in der Weltgeschichte, Griechenland wurde gerichtet mitten in der Weltgeschichte, der erste Teil des römischen Reiches wurde gerichtet mitten in der Weltgeschichte, und seine Fortsetzung wird am Ende gerichtet werden.
Das ist die große Wahrheit, die uns aus diesen Versen heute Morgen entgegenleuchtet. Wir hatten gefragt: Wohin führt die Weltgeschichte? Hier bekommen wir die Antwort: Die Weltgeschichte führt nicht nur durch menschliche Macht und Schuld, sondern zweitens führt die Weltgeschichte vor Gottes Thron.
Walter Lüthi hat gesagt: „Wir dürfen Gottes Thron aufgerichtet wissen über den Völkern und ihren Regenten.“ Ich möchte hinzufügen: Aber auch über unserem Leben ist dieser Thron aufgerichtet.
Wenn wir in den nächsten Tagen in die Zeitung schauen, dann werden wir, wenn wir etwa von Heiligendamm lesen, nur eine sehr oberflächliche Beschreibung der Wirklichkeit dort finden – nur eine sehr oberflächliche Beschreibung der Zeitgeschichte. Die Zeitung beschreibt immer nur das Meer und die Tiere. Das kann die Zeitung beschreiben: das Meer und die Tiere, den Teil der Völkergeschichte, der auf der Hand liegt, die Außenseite.
Darum sollten wir neben der Zeitung immer gleich die Bibel legen, damit wir diese größere Wirklichkeit in den Blick bekommen. Damit wir nicht vergessen: Es muss alles vor den Thron Gottes kommen. Sie müssen alle vor den Thron Gottes treten, wer sie sind und wie sie heißen.
Und wir müssen auch alle vor den Thron Gottes treten. Da hätte keiner von uns eine Chance, vor dieser Heiligkeit und Reinheit Gottes zu bestehen, wenn nicht ein anderer für uns eintreten würde – wenn nicht ein anderer für uns eintreten würde, der vor diesem Thron passt, weil er auch zu diesem Thron gehört.
Der Menschensohn als Hoffnung und Ziel der Weltgeschichte
Und von diesem Einen – das war die große Entdeckung, als ich diesen Text diesmal so intensiv studiert habe. Von diesem Einen sprechen dann die nächsten Verse, die wir am kommenden Sonntag gemeinsam betrachten wollen. Ich möchte Ihnen jetzt nur noch vorlesen.
Diese Verse 13 und 14 zeigen uns den Thron, vor dem die ganze Weltgeschichte zusammenkommt. An diesem Thron Gottes müssen sich alle Herrscher und Mächte beugen. Dort ist der ewige Gott, aber es ist noch jemand da. Jemand, der in engster Verbindung mit dem Alten steht. Das sehen wir bereits hier bei Daniel, etwa 550 vor Christus.
In Vers 13 heißt es: „Ich sah in diesem Gesicht in der Nacht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels, wie eines Menschensohn, und gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht.“ Und der Alte gab ihm, dem Menschensohn, Macht, Ehre und Reich, damit ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollen. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende – das Reich des Menschensohnes.
Wer das Neue Testament liest, sieht, dass nur einer den Ausdruck „Menschensohn“ verwendet und ihn auf sich selbst bezieht. Nur einer sagt, dass der Menschensohn nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben. Dazu ist der Menschensohn gekommen (Markus 10,45). Und Sie wissen, das ist der Herr Jesus selbst.
Der Herr Jesus hat diesen Titel aus Daniel 7 übernommen. Schon Daniel hat also von ihm gesprochen, von Christus, dem Menschensohn, weil Gott es ihm damals gezeigt hat – auch wenn Daniel noch nicht alles in seiner vollkommenen Entfaltung begreifen konnte. Er sprach vom Menschensohn, weil wir die heilige Wahrheit dieses Trinitatissonntags nur ertragen können, wenn da ein Menschensohn ist, der uns unsere Schuld abnimmt. Wenn da ein Menschensohn ist, der für uns eintritt, weil wir vor dem heiligen ewigen Gott nicht bestehen können.
Darum ist das die große Perspektive, über die wir nächsten Sonntag sprechen dürfen. Heute haben wir gesehen: Die Weltgeschichte führt durch menschliche Macht und Schuld, aber die Menschengeschichte führt auch vor den Thron Gottes. Beim nächsten Mal werden wir noch deutlicher sehen, dass die Menschengeschichte zum Menschensohn führt, die Weltgeschichte zum Menschensohn Jesus Christus. Dahin führt die Weltgeschichte – sein Reich steht am Ende. Das macht Daniel 7 unumstößlich klar.
Und darum, liebe Mitchristen: Wenn Sie zu diesem Menschensohn gehören, wenn Sie Ihr Leben an den Herrn Jesus Christus gebunden haben, der der Menschensohn ist, dann können Sie sehr getrost in diese neue Woche gehen. Sie dürfen sehr gelassen all die Meldungen über die Mächtigen und ihre Ziele verfolgen. Ja, wir sollen wachsam sein, wir sollen uns einmischen – das sollen wir unbedingt tun, solange es geht. Aber wir müssen das nicht ängstlich tun.
Sie dürfen auch ganz getrost auf all die Machtgebilde und Bedrohungen schauen, die Ihnen in Ihrem unmittelbaren Lebensumfeld zu schaffen machen. All die Dinge, die sich erheben und Sie bedrohen, vor denen Sie sich fürchten. All die persönlichen Mächtigkeiten, die uns begegnen, all das, wovor wir Angst haben – auch darauf dürfen Sie ganz getrost schauen. Denn alles muss vor den Thron Gottes kommen.
Und da, am Thron Gottes, da geht es uns gut. Da sind wir sicher. Warum? Weil der Menschensohn uns unter seine Fittiche genommen hat. Darum ist das das Entscheidende, auf das auch dieser Text zielt: dass wir nur beim Menschensohn sind, dass nur unser Leben – Ihr Leben, dein Leben – an Jesus Christus gebunden sein möge. Damit du sicher durch diese Zeit kommst und auf der richtigen Seite in der Ewigkeit ankommst.
Schlusswort und Ermutigung im Vertrauen auf Gottes Herrschaft
Ich schließe mit einem alten Theologen. Er war todkrank und bekam noch einmal Besuch von einem seiner besten Freunde. Sie sprachen über die Weltlage und über manches, was sie bedrückte und besorgt machte.
Zum Abschied sagte der alte Mann nicht mehr viel, doch diese Worte gab er noch mit: „Eduard, es wird regiert. Es wird regiert.“ Der allmächtige Gott selbst hält die Geschichte in seiner Hand.
Ich sah, wie Throne aufgestellt wurden, und einer, der uralt war, setzte sich darauf. Sein Kleid war weiß wie Schnee, und das Haar auf seinem Haupt war rein wie Wolle. Feuerflammen umgaben seinen Thron, und seine Räder loderten wie Feuer. Von ihm ging ein langer, feuriger Strom aus. Tausendmal Tausende dienten ihm, und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm.
Das Gericht wurde gehalten, und die Bücher wurden aufgetan. Ich merkte auf, um der großen Reden willen, die das Horn redete. Ich sah, wie das Tier getötet wurde, sein Leib umkam und ins Feuer geworfen wurde.
Mit der Macht der anderen Tiere war es auch aus, denn ihnen war Zeit und Stunde bestimmt, wie lang ein jedes Leben sein sollte.
Ich sah in der Nacht dieses Gesicht, und siehe, es kam einer mit den Wolken des Himmels wie ein Menschensohn. Er gelangte zu dem, der uralt war, und wurde vor ihn gebracht. Dieser gab ihm Macht, Ehre und Reich, damit ihm alle Völker und Leute aus so vielen verschiedenen Sprachen dienen sollten.
Seine Macht ist ewig und vergeht nicht, und sein Reich hat kein Ende. Amen.