Ich freue mich, unsere kleine Reihe über Liebe fortzusetzen. Für alle Gäste, die gerade dazustoßen: Ihr seid mitten in einer Reihe gelandet, die sich mit dem Thema beschäftigt: Was können wir über Liebe vom größten Liebespaar aller Zeiten lernen?
Dabei geht es nicht um das berühmte Bild aus Titanic, wo sie vorne auf dem Schiff die Arme ausbreitet – ein Moment, bei dem ich immer denke, dass ich dort nie stehen möchte. Stattdessen geht es um Salomon und Sulamit. Es geht um das Hohelied.
Das Hohelied hat es mir gerade besonders angetan. Wally kann es langsam nicht mehr hören. Er sagt, ich springe immer wieder zum Hohelied und verwendet schon recht deutliche Worte wie „Sprungbrett-Predigten“. Dabei denke ich mir: Nein, ihr müsst das noch aushalten. Nicht mehr lange – noch heute, dann noch einmal, und dann ist das Thema Hohelied für euch vorbei.
Es sei denn, ihr begleitet mich nach Görlitz oder besucht eine der anderen Veranstaltungen, wo ich das Hohelied wieder hervorhole und weiterentwickle. Die Idee ist, das Hohelied, die Liebe von Salomon und Sulamit, als einen Prototyp dafür zu sehen, was Liebe eigentlich ausmacht.
In den letzten beiden Predigten zu diesem Thema haben wir uns bereits vier Eigenschaften von Liebe angeschaut.
Grundlegende Eigenschaften der Liebe im Hohelied
Zum einen ging es um das Thema Bewunderung. Liebe bewundert den anderen und sieht in ihm das, was einmalig ist. Das gilt besonders für die Ehe. Wenn es mir gelingt, meine Frau mit den Augen zu sehen, mit denen ich sie am 31. Dezember 1983 zum ersten Mal auf einer Silvesterparty gesehen habe – als dieser blonde Engel mir entgegentrat – und wenn ich diesen Blick bewahre, dann werde ich nie Probleme haben, eine Ehe zu führen. Denn ich halte die Bewunderung fest.
Wir haben auch darüber gesprochen, oder ich habe davon gesprochen, dass Nähe zur Liebe dazugehört. Nähe bedeutet, sich bewusst und aktiv aufeinander zu entwickeln. Dazu gehört auch, Grenzen anzuerkennen. Vielleicht könnte man sagen, dass ein zärtlicher Umgang miteinander dazugehört, wo Sicherheit da ist. Wo ich weiß, ich darf ich selbst sein mit meinen Grenzen. Und der andere nimmt mich mit diesen Grenzen an und schafft einen Raum, in dem ich mich in meiner eigenen Geschwindigkeit weiterentwickeln kann.
Wir sind da unterschiedlich: Der eine sagt, das fällt mir ganz leicht, der andere sagt: „Na ja, ich brauche für den Sprung, den du in zwei Wochen gemacht hast, drei Jahre.“ Darf ich das?
Der letzte Punkt unter dem Stichwort Stabilität und Fürsorge bringt zum Ausdruck, dass wir einander dienen. Das war heute das letzte Mal Thema: drei ganz neue Punkte, alle abgeleitet aus dem Hohelied.
Der erste Punkt ist vielleicht einer, der euch überrascht, aber er ist total biblisch und zeigt, wie Liebe gelebt wird. Liebe sucht Hilfe, wenn sie alleine nicht weiterkommt. Das ist ein sehr interessanter Punkt. Ich wäre nicht darauf gekommen, wenn es nicht im Hohelied gestanden hätte.
Die Realität von Schwierigkeiten in der Liebe anerkennen
Ich lese da ein Stück aus dem Hohelied, Kapitel zwei, und möchte das mit euch gemeinsam betrachten. Im Hohelied beschreiben die beiden, wie es am Anfang ihrer Beziehung war. Man denkt oft, am Anfang sei doch alles ganz einfach: Man lernt sich kennen, hat Schmetterlinge im Bauch, alles ist simpel. Schwierig wird die Ehe erst, wenn man Ja gesagt hat und vielleicht fünf Jahre später – aber niemals am Anfang.
Das Hohelied geht davon aus, dass Probleme in einer Beziehung von Anfang an da sein können. Anders gesagt: Echte Liebe weiß um ihre Hilfsbedürftigkeit. Echte Liebe kennt ihre Grenzen. Sie weiß, dass ich nicht immer genau weiß, wie es geht. Der Eindruck, alles allein schaffen zu müssen, ist schlicht falsch.
Wir kennen alle Personen, Ehepaare oder vielleicht ganze Gemeinden, die Probleme totgeschwiegen und so lange verschleppt haben, bis aus einem relativ kleinen Problem, das man vielleicht mit einem gemeinsamen Wochenende hätte lösen können, ein riesiges Problem wurde. Dann steht man da, auch als jemand, der um Rat gefragt wird, und sagt: „Entschuldigung, ich habe keine Ahnung mehr, was man da noch machen kann.“
Interessanterweise formulieren Salomo und Sulamit ihre Verlobungszeit, wie wir sie heute nennen würden, total begeistert voneinander. Im Hohelied, Kapitel zwei, Vers 15 heißt es: „Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse, die die Weinberge verderben, denn unsere Weinberge stehen in Blüte.“ Noch einmal: „Fangt uns die Füchse!“ Die beiden sagen damit: Wir brauchen Hilfe. Wir sind ein Weinberg, der blüht, wir sind emotional, wir haben Schmetterlinge im Bauch, sind total ineinander verliebt.
Und gerade in dieser Situation, in der vielleicht jeder sagen würde, jetzt müsst ihr erst mal Zeit miteinander verbringen, sagen sie: Nein, wir kennen unsere Hilfsbedürftigkeit. Wir wissen, dass da, wo zwei Sünder aufeinandertreffen, am Ende Probleme entstehen. Wir haben Angst, etwas falsch zu machen. Deshalb: Fangt uns die Füchse, die kleinen Füchse!
Wenn du einen Weinberg hast – und entschuldigt, ich habe keine Ahnung von Weinbergen, aber ich habe mich ein bisschen informiert, weil das Hohelied ständig von Wein, Weinbergen, Blüten, Blumen, Kräutern und Gewürzen spricht, die ich selbst nie wirklich gesehen habe – dann kannst du dir gut vorstellen: Wenn die Weinstöcke blühen und kleine quirlige Füchse darin Fangenspielen, wie wir es aus Naturfilmen kennen, und sich durchbalgen, tut das den Weinstöcken nicht gut. Am Ende fallen die Blüten ab.
Jeder, der Orchideen zu Hause hat, lässt normalerweise seine Kinder nicht in die Nähe dieser Pflanzen. Wenn man zu kräftig an ihnen rüttelt, verliert man die Hälfte der Blüten, und bei weiterem Rütteln kann man die Pflanze wegwerfen. Das ist die Idee hier: Diese kleinen Füchse toben durch die Weinberge, die in Blüte stehen, und jedes Mal trifft es einen Weinstock – und die Blüten fallen ab.
Salomo und Sulamit übertragen das auf ihre Beziehung und sagen: Wir haben genau dasselbe Problem. Zwei Sünder treffen aufeinander, da gibt es kleine Füchse, also kleine Probleme. Und sie sind sich nicht zu schade, von Anfang an zu sagen: Bitte helft uns!
Ich finde es total spannend zu sehen, dass wahre Liebe mit Schwierigkeiten rechnet. Sie ist nicht realitätsfern oder weltfremd, sondern geht ganz nüchtern und besonnen mit den Schwierigkeiten um. Dieses Prinzip „Ich lasse mir helfen“ findet man später noch einmal.
Im fünften Kapitel gibt es Streit zwischen Salomo und Sulamit. Ich werde später noch mehr dazu sagen. Es reicht jetzt zu sagen: Es gibt Knatsch, und Sulamit steht plötzlich alleine da. Sie hat ihren Salomo enttäuscht und sucht Hilfe.
In Hohelied 5,8 zieht sie sich nicht zurück und sagt, das darf niemand erfahren, dass es zwischen ihr und Salomo nicht stimmt. Stattdessen öffnet sie sich den Frauen, die ihr helfen können, die vielleicht eine Ahnung haben und auch Salomo treffen könnten, weil sie unbedingt mit ihm reden möchte.
Da heißt es in Hohelied 5,8: „Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, wenn ihr meinen Geliebten findet, was wollt ihr ihm ausrichten, dass ich krank bin vor Liebe.“
In einer Situation, in der es Streit gibt, sagt sie zu anderen Frauen: „Ich habe ein Problem. Wenn ihr meinen Geliebten findet, denn ich suche ihn, aber ich finde ihn im Moment nicht, wir haben eine Distanz, eine Trennung zwischen uns, dann richtet ihm bitte etwas aus.“
Nicht: „Ich habe ein Problem, und davon darf niemand etwas erfahren, ich muss das alleine schaffen.“ Diese Haltung kenne ich, und ich denke, viele von euch auch: Ein Problem ist etwas, das man nicht nach außen tragen darf. Salomo und Sulamit machen es genau andersherum. Sie sagen: Wir haben ein Problem, und noch bevor es richtig groß wird, versuchen wir, andere Leute mit einzubeziehen.
Es ist spannend, wenn ihr weiterlest in Hohelied 5,9. Die Töchter Salomos, das sind die Frauen am Königshof, also die „Töchter Jerusalems“, sagen zu Sulamit, die in dieser Situation mit ihrem Ehemann Streit hat und ihn nicht findet, eine einfache Frage. Gute Seelsorger stellen immer Fragen.
Sie fragen: „Was hat dein Geliebter einem anderen Geliebten voraus, du Schönste unter den Frauen?“ Toll! Was hat dein Geliebter denn? Indem sie diese Frage stellen, bewirken sie etwas. Sie zwingen Sulamit, neu über ihren Salomo nachzudenken.
Man merkt, wie es gleich versweise aus ihr herausblubbert, wie toll Salomo ist. Es sind Stellen, an denen man denkt: „Mann, oh Mann, ist das kitschig.“ Und es blubbert und blubbert, bis am Ende ihre Bewunderung wieder da ist und der Streit fast überwunden scheint.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich denke, auch Gemeinden sind in der Gefahr, zu glauben, man müsse jedes Problem alleine lösen. Ein Problem ist etwas, das man nicht zu früh nach außen tragen darf, man muss erst selbst damit zurechtkommen.
Ich glaube, das ist falsch. Ich bin froh über das, was wir von Johannes Reimer gehört haben: Da sagt jemand, er ist bereit zu helfen. Ich hoffe persönlich, dass wir diese Hilfe annehmen – auf eine Weise, die zu uns passt.
Das war der erste Punkt: Wahre Liebe lässt sich helfen.
Selbstbeherrschung und Mut als Grundlage wahrer Liebe
Zweiter Punkt für heute. Und es gibt drei. Der zweite Punkt heißt – und es ist so ein Mischpunkt, der nicht leicht zu erklären ist: Zur wahren Liebe gehören sowohl Selbstbeherrschung als auch Mut. Könnt ihr ahnen, wo die beiden Begriffe eine Schnittmenge bilden? Selbstbeherrschung und Mut.
Wahre Liebe weiß, dass es nicht nur irgendwelche kleinen Problemchen gibt, die sich auswachsen können. Wahre Liebe ist sich darüber im Klaren, dass ich selbst, ich, Jürgen Fischer, eine Gefahr darstelle für jede Beziehung, die ich lebe. Ich stelle eine Gefahr dar. Es sind nicht die Umstände, es ist nicht immer der andere – ich bin ein Problem für eine Beziehung, weil es Aspekte in meinem Menschsein gibt.
Das können eine gewisse Emotionalität sein. Das kann in bestimmten Momenten einfach nur eine Hormonsteuerung sein. Ja, vielleicht ist mein Testosteronspiegel gerade ein bisschen höher. Das kann aber auch sein, dass ich eine gewisse Vorgeschichte in eine Beziehung, auch in eine Gemeindebeziehung, mitbringe, die mich prägt. Das kann sein, dass ich überängstlich bin an bestimmten Punkten.
Wisst ihr, plötzlich merke ich, dass wenn ich zu meiner Frau sage: „Du Schatz, könntest du bitte...“ – und das hatten wir gerade, die Transfereinheit vom Laserdrucker ausbauen und wechseln –, dann merke ich, dass meine Frau nicht sagt: „Hey super, klar, Transfereinheit wechseln vom Laserdrucker, super, da freue ich mich so richtig drauf!“ Da gibt es Vorbehalte.
Sie kann das, es ist nicht schwer, sie muss nur ein Ding rausziehen und ein anderes reinstecken. Aber bis sie sich daran traut, bis sie diese Angst überwindet, das ist genauso, wenn du mich fragst: „Jürgen, kannst du mal Lasagne machen?“ Na ja, prinzipiell schon. Ich kann Kochbücher lesen, ich weiß, wie das ungefähr funktioniert mit dem Kochen, ich weiß, wie der Ofen angeht, ich könnte das schon. Aber wir haben alle unsere Vorbehalte.
Und das sind jetzt simple Beispiele – ein bisschen Technik, ein bisschen Küche. Wir bringen ganz andere Ängste und Vorbehalte in Beziehungen mit, wo wir Erfahrungen gesammelt haben, im Vorfeld, gemeindliche, persönliche Erfahrungen, die wir mit in jede Beziehung hineinnehmen und die uns Grenzen setzen.
Und jetzt ist der Clou: Eine Liebesbeziehung kann nur dann wachsen, wenn ich durch mein aktives – und zwar zu aktives – oder mein zu passives Verhalten sie nicht gefährde.
Also merkt ihr: Wenn ich ängstlich bin, dann kann es sein, dass ich zu passiv bin. Und deswegen braucht jemand, der ängstlich ist, Mut, einen Schritt mitzugehen in die Beziehung hinein.
Und dann gibt es Momente, da gibt es Leute, die sind wie so eine Planierraupe, die fährt. Da ist fast egal, was im Weg steht, da ist das Thema Angst, der fährt einfach durch. Und du denkst dir: Merkst du noch was? Aber das ist so, da geht einfach was weiter. Und der muss sich ein Stück zurücknehmen.
Deswegen: Der eine ist zu aktiv und der andere ist vielleicht zu passiv. Der eine hat seine Ängste und muss sich ein Stück mitnehmen lassen in die Beziehung, da wo Ängste überwunden werden, muss sich auf etwas einlassen. Und der andere muss sich zurücknehmen.
Der möchte immer in alles reinspringen und alles gleich machen und alles richtig ganz und kriegt gar nicht mit, dass er auf diesem Weg den an seiner Seite völlig überfordert, womöglich verletzt. Und er muss sich ein Stück zurücknehmen.
Ich mache euch zwei Beispiele zu diesem Thema aus dem Hohelied.
Ein Beispiel findet sich wieder in der Verlobungszeit. Und das ist ein spannendes Beispiel, weil ich an dieser Stelle auf die Übersetzung ein bisschen mehr eingehen muss.
Hohelied 2,17: Salomo und Sulamit haben gerade einen Tag miteinander verbracht. Er kam wie der junge Hirsch über die Hügel hüpfend morgens vorbei, hat sie rausgelockt aus ihrer Höhle, ist mit ihr ein bisschen spazieren gegangen, sie hatten einfach einen schönen Tag. Es wird Abend.
Was mache ich, wenn ich verlobt bin und es wird abends? Ich trenne mich. Ich sage Tschüss. Und das sagt sie hier in Hohelied 2,17.
Ich lese es in der Übersetzung, die ich selber angefertigt habe, weil es da klarer herauskommt:
„Wenn der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen, wenn es Abend wird, sagt Sula zu ihrem Salomo: Wenn der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen, wende dich weg, mein Geliebter!“
Sie sagt: Bitte geh! Du denkst dir: Warum sagt sie so etwas Komisches – „Wende dich weg“? Und das Ganze wird noch ein Stückchen komischer, wenn wir mitbekommen, dass dieses Motiv „Wende dich weg“ ganz am Ende des Buches nochmal aufgegriffen wird.
Ganz am Ende des Buches, wenn Salomo so den Abschlussgedanken präsentiert, dann sagt er in Hohelied 8,13:
„Bewohnerin der Gärten“ – und der Garten ist so ein bisschen das, wo man so denkt, also die Bewohnerin der Gärten ist die Frau, die seine Phantasie gefangen hat, will er jetzt nicht mehr anders sagen: Bewohnerin der Gärten. Während die Gefährten auf deine Stimme horchen, lass mich hören!“
Und du denkst dir, das Hohelied, das schönste aller Liebeslieder, ist vorbei. Was möchte Salomo am Ende noch einmal von seiner Sula mithören?
Preisfrage: Was möchte er hören? Was sind die Worte, die sie ihm sagen möchte, die er bis in alle Ewigkeit nicht vergessen möchte? Und du sagst: Ich habe die Antwort, ich liebe dich!
Falsch!
„Ich möchte hören: Enteile, mein Geliebter!“
Dann denkst du dir: Nee, das kann nicht stimmen! Und sei gleich einer Gazelle und einem jungen Hirsch auf den duftenden Bergen.
Warte mal! Salomo sagt am Ende des Liedes das, was er von seiner Frau hören möchte. Und es ist bitteschön der Schluss eines Liedes, das schönste aller Liebeslieder. Das, was er hören möchte, heißt: Hau ab?
Das ist merkwürdig, oder?
Aber es ist dasselbe Motiv, das wir in Hohelied 2,17 lesen. Es ist das Motiv, wo sie in der Verlobungszeit ihm – und es ist das erste Mal, dass die Bibel das beschreibt im Blick auf Sulamit, sein echtes Gegenüber, seine echte Gefährtin – wird, die genau weiß: Ich muss in der Beziehung an einem bestimmten Punkt einen Riegel vorschieben.
Denn Männer sind, ob wir das wahrhaben wollen oder nicht, wenn es um unsere Hormonsteuerung in der Verlobungszeit geht, das schwächere Gefäß. Da besteht eine Gefahr, eine echte Gefahr im Raum.
Eine Gefahr, die so eklatant ist, dass sie als Strukturmarke im Hohelied dreimal genannt wird, wo Sulamit sagt: „Wenn du auf eine Sache aufpassen willst, dann bitte da drauf!“
Hohelied 2,7:
„Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, bei den Gazellen oder bei den Hirschkühen des Feldes – brauche ich jetzt nicht erklären – ich beschwöre euch, weckt nicht, stört nicht auf die Liebe, bevor es ihr selbst gefällt.“
Nochmal der gleiche Vers in Hohelied 3,5:
„Weckt nicht, stört nicht auf die Liebe, bevor es ihr selbst gefällt.“
Nochmal der gleiche Vers in Hohelied 8,4:
„Ich beschwöre euch, Töchter Jerusalems, was wollt ihr wecken, was aufstören, die Liebe, bevor es ihr selbst gefällt?“
Und merkt ihr: Ich bin eine Gefahr. Und das ist jetzt nur das Beispiel. Der junge Mann ist für die Beziehung eine Gefahr. Das will er nicht sein, aber er ist es einfach.
Und er kriegt ein Stoppschild. Er sagt, ja, sie sagt Tschüss. Und Jahre später erinnert er sich daran, wie sie ihm dieses Stoppschild hinhält und an dieser Stelle ihm unmissverständlich ihre Liebe zeigt.
Es ist nämlich keine Liebe, wenn sie sich einfach seinem Willen und seinen Hormonen gebeugt hätte.
Na, das ist der König und ich bin nur das kleine Mädchen vom Land.
Liebe fängt da an, wo ich mich aktiv investiere, bis an den Punkt, wo ich dem anderen helfe, wieder zu gehen.
Zeit ist, zu gehen.
Ich möchte das jetzt nicht weiter ausführen, aber es gibt eine zweite Szene im Hohelied, wo die Hochzeitsnacht beschrieben wird, wo man merkt, wo sie zurückhaltend ist, wo sie selber Angst hat vor dem, was kommt.
Da greift er sie bildlich an der Hand und sagt: „Ich weiß, wie du dich fühlst,“ und er beschreibt ihr inneres Gefühlsleben.
Und er sagt zu ihr, Hohelied 4,8:
„Mit mir vom Libanon, meine Braut, mit mir vom Libanon sollst du kommen, sollst herabsteigen vom Gipfel des Amana.“
Also es ist wie so ein Weg, den er sagt: Wir müssen einen Weg, wo wir distanziert sind, miteinander gehen. Und da, wo du dich jetzt gerade befindest, vom Gipfel des Senir und Hermon, weg von den Lagerstätten der Löwen und von den Bergen der Leoparden.
Sie hat Angst, das ist alles, was das ausdrücken soll. Ja, sie fühlt sich distanziert, sie weiß nicht, was kommt in dieser Situation.
Und er lädt sie ein und sagt: „Lass uns diesen Weg gemeinsam gehen. Ich weiß, dass du Angst hast. Und ich werde jetzt nicht über dich herfallen. Wir werden uns Zeit nehmen, aber komm du mit!“
Und genauso wie er in seiner Überaktivität – und er wird geschildert in dieser Verlobungszeit wirklich als der junge Hirsch, der über die Berge poltert, wo du merkst, da spritzt das Testosteron aus jeder Pore –, wo sie sagt: „Stopp, den muss ich bremsen,“ und er muss sich bremsen lassen, damit Liebe gelingt, so muss sie an anderer Stelle – und ihr habt das schon mitbekommen – als eine Taube in den Felsklüften bezeichnet werden, als eine Frau, die eher ängstlich ist.
Sie ist nicht die Mutvolle, und sie steht da und sie muss sich an der Hand nehmen lassen von ihm und ein Stück mitgehen und sagen: „Ich lasse mich ein auf die Beziehung, ich lasse mich auf das ein, was jetzt kommt.“
Ich glaube, dass das etwas ist, was dazu führt, dass man Genuss in einer Beziehung erlebt, wenn diese beiden Elemente zusammenkommen: dass der, der so ein Stückchen zu selbstbewusst ist, wo du merkst, boah, den kann niemand mehr stoppen, wenn der sich stoppen lässt.
Und wie gesagt, Salomo sagt, das ist das Größte von meiner Frau gewesen, dass sie mir an dieser Stelle geholfen hat, diesen Ausdruck erster wahrer Liebe möchte ich eigentlich immer wieder hören.
Und auf der anderen Seite, wo es um Mut geht, sich auf Beziehung einzulassen.
Und ich denke, dass wir in der Gemeinde genau diese beiden Aspekte finden: Dass wir auf der einen Seite, wenn es um Veränderung, wenn es um Miteinander geht, Leute haben, die immer vorneweg wegpreschen wollen, die immer sagen: „Johannes Reimer Seminar, ey super, go, ich habe den Zeitplan schon vor Augen, wir machen das im Herbst und das machen wir im Winter und dann im Frühjahr sind wir fertig.“
Die müssen gar nicht mehr überzeugt werden, die wissen schon alles.
Und auf der anderen Seite hast du Typen, die sind sehr zurückhaltend, warum auch immer. Vielleicht sind das bestimmte Prägungen, Vorerfahrungen.
Und wenn das Miteinander gelingen will, scheint mir, gehört beides zusammen: Dass sowohl die, die sehr schnell sind, sich zurücknehmen, wie auch die, die vielleicht Mut brauchen, sich den Schubs geben und sagen: Ich will mich darauf einlassen.
Wahre Liebe, Hohelied – vielleicht ist da eine Parallele.
Umgang mit Konflikten als Ausdruck wahrer Liebe
Letzter Punkt
Der Punkt, der mich am meisten herausfordert, begleitet mich schon sehr lange in meinem Leben. Die Jugend hat ihn gestern schon ansatzweise gehört. Für euch ist es nur ein kleiner Tick eine Wiederholung, aber wirklich nur ein kleiner Tick, denn ich habe natürlich noch ein bisschen mehr zu sagen.
Wahre Liebe und das Hohelied sind klasse, weil es uns nicht dort stehen lässt, wo das klassische Liebeslied aufhört. Das normale Liebeslied handelt davon: „Ach, ich bin so verliebt“, und „Er, ach, ich bin so verliebt“, „Er sieht mich, ach, ich bin so verliebt“, „Er sieht mich ein bisschen mehr“, „Ach, ich bin so verliebt“, „Er will mich“, „Ach, ich bin so verliebt“, „Jetzt habe ich ihn“. So ungefähr läuft das normale Liebeslied ab. Es gibt auch traurige, aber dieses Gefühl hört auf, sobald man sich hat.
Das ist im Hohelied gerade die Mitte. Alles, was danach kommt, ist für die wirklich interessante Zeit der Ehe: Wenn die ersten Schwierigkeiten auftauchen. Die Frage ist, wie sich eigentlich eine reife Ehe lebt, wie das funktioniert und worauf es dabei ankommt. Das bleibt in den klassischen Liebesliedern außen vor, im Hohelied aber nicht.
Interessanterweise stehen in der Mitte des Hohelieds zwei Geschichten. Die eine erzählt, wie sie nach Jerusalem kommt, wie Hochzeit gefeiert wird, wie sie einander finden und wie da wirklich tiefe, innige Gemeinschaft entsteht. Wenn du das liest, denkst du: „Boah, die beiden lieben einander, das ist ja super, das muss ja so weitergehen.“
Die nächste Geschichte, der nächste Erzählblock, hat zum Thema Ehekrach. Locker eine Seite lang geht es um Ehestreit. Du magst es kaum glauben, wenn du das zum ersten Mal liest, dass das zu einem der schönsten Liebeslieder gehört. Gehört Ehestreit wirklich dazu? Also, die beiden sind total verliebt, und dann wird beschrieben – Hohelied 5,2: „Ich schlief, aber mein Herz wachte. So lange war ich schon ins Bett gegangen.“ Ja, sie schläft zwar, aber Salomo geht ihr nicht aus dem Kopf. Sie denkt ständig an ihn, versucht ein bisschen einzuschlafen, doch sie muss ständig an ihn denken.
Dann hört sie ihn: „Horch, mein Geliebter, er klopft.“ Er steht draußen. Und was sagt er zu ihr? „Tu mir auf, meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine Vollkommene!“ Super, das möchtest du als Frau hören, oder? Wie wäre es, wenn er das morgens beim Frühstück sagt: „Ach Schatz, meine Freundin, meine Taube, meine Geliebte, meine Schwester, meine Vollkommene“ – wow!
Du denkst dir: Super, es ist völlig klar, was jetzt passiert. Er steht draußen, „Mein Haupt ist voll Tau, meine Locken voll von Tropfen der Nacht.“ Er ist durch die Nacht gegangen, er klopft, und du denkst, sie reißt die Tür auf, springt ihm entgegen, gibt ihm einen Riesenschmatz.
Doch dann sagt sie: „Ich habe mein Kleid schon ausgezogen, wie sollte ich es wieder anziehen? Ich habe meine Füße gewaschen, wie sollte ich sie wieder beschmutzen?“ Und du denkst dir: Hallo, was ist das für eine billige Ausrede? Wirklich, sie liegt im Bett, denkt über ihn nach, träumt von ihm, wünscht sich ihn herbei, horcht, er klopft, sie muss nur aufstehen und die Tür aufmachen. Der Riegel ist vorgeschoben, mehr nicht. Nur aufmachen. Und du musst dir nicht mal ein Kleid anziehen, er akzeptiert dich auch ohne.
Es ist wirklich billig. Und du stellst dir die Frage: Warum sagt sie das? Die Antwort ist ganz simpel: Weil Sünde immer irrational ist. Du brauchst bei Sünde nie darüber nachzudenken, dass sie rational ist. Sünde bleibt immer irrational.
Es macht irgendwie keinen Sinn. Sünde kommt nie aus unserem erneuerten Denken heraus, das sich fragt: „Was wünscht sich mein Mann, wenn er vor der Tür steht und klopft?“ Das ist nicht so schwer zu erraten. Stattdessen führt Sünde uns immer dahin, wo wir Dinge tun, die irrational und dumm sind. Die Situationen schaffen, in denen der andere zu Recht bitter werden könnte.
Sünde tritt das gerechtfertigte Bedürfnis meines Partners mit Füßen. Das gilt auch in der Gemeinde, in jeder Beziehung. Sünde sagt an einer Stelle einfach „Nein, mache ich nicht“, auch wenn der andere zu Recht auf meine Liebe, mein Entgegenkommen und meinen Einsatz hoffen darf.
Das ist Sünde. Ich verhalte mich an einer Stelle so wie Sulamit, die sagt: „Nein, ich mache jetzt nicht auf, ich habe keine Lust.“ Das ist Sünde.
Und die Frage ist: Was machen wir damit? Das ist mein dritter Punkt.
Wenn so etwas passiert, wenn ein Moment da ist, in dem Bitterkeit, Sauerwerden und Enttäuschung richtig greifbar sind – stell dir vor, du bist König Salomo. Du kommst von deinen Staatsgeschäften, hast dir extra Zeit reserviert, stehst vor der Tür und klopfst an. Und sie sagt Nein. Du hast dich den ganzen Weg gefreut. Was machst du?
Was Salomo tut, ist einmalig. Und ich möchte diese Lektion persönlich für den Rest meines Lebens so tief lernen, wie es nur geht. Es ist die Lektion, die ich lernen möchte.
Und wenn du sagst: „Jürgen, das brauchst du auch dringend“, ja, du hast recht. Das ist meine Lektion, das ist meine Predigt, die ich mir selbst halte. Wenn du ein bisschen was davon abkriegst von den Brotkrumen meiner Predigt, die ich mir halte, ist das völlig okay.
Das ist im Schnelldurchlauf, was Salomo und Sulamit tun.
Umgang mit Streit im Hohelied
Tipps aus dem Hohen Lied zum Thema Streit
Punkt eins: Salomo fängt keinen Ehestreit an. Er tritt nicht die Tür ein, holt nicht die Wachen und stellt sich vor sie hin, um zu sagen: „Wer glaubst du, dass du bist, dass du so mit mir reden kannst?“ Das macht er nicht. Es ist nicht dieses „Bumm“, erst in die Luft gehen, alles kaputt schlagen, Scherben auflesen und kitten können wir dann später probieren. Nein, er geht einfach weg.
Ich muss es euch erzählen, weil wir den Text nicht vollständig durchgehen können – dazu ist er zu lang. Er geht einfach weg, fängt keinen Streit an und lässt sich auf diese Provokation einfach nicht ein. Er bleibt stark.
Dann geht es weiter: Als sie merkt, was sie tut, zur Tür rennt und den Riegel versucht wegzumachen, ist er schon weg. Da spürt sie an ihren Händen etwas – die Bibel sagt „flüssige Myrrhe“. Myrrhe ist ein wohlriechendes Harz in Olivenöl. Dieses Myrrhe ist im Hohelied ein Bild für Liebe. Das heißt, in dem Moment, in dem sie zu diesem Türriegel rennt, spürt sie seine Liebe.
Deshalb ist der zweite Punkt für jemanden, der verletzt wird, dass wir dem anderen zunächst in Liebe begegnen.
Der dritte Punkt ist im Hohelied ganz witzig – oder besser gesagt: Sulamit zumindest nicht. Sie rennt dann in die Stadt und versucht, ihn zu suchen. Dabei kommen die Wächter. Die Wächter misshandeln sie, schlagen sie, verletzen sie. Man fragt sich: Was soll das an dieser Stelle?
Die Antwort ist ganz einfach: Dort, wo ein anderer sich an mir versündigt, lasse ich Gott Richter sein. Ich muss mich nicht selbst rächen. Ich muss mir nicht ausmalen, was es heißt, dem anderen das Heimzuzahlen. Ich kann das in Gottes Hand legen. Gott wird mit dem anderen umgehen, wie er es braucht.
Dann kommt Sulamit – das haben wir vorhin gelesen – und lässt sich helfen. Sie spricht die Töchter Jerusalems an und versucht, Hilfe zu finden. Diese führen sie wieder dahin, wo aus Streit plötzlich wieder Nähe wird. Sie zwingen sie, über Salomo nachzudenken. Und mit einem Mal…
Ich sagte: Sünde ist immer irrational. Sünde heißt, dass ich die Schönheit des Anderen, das Besondere an dem Anderen für einen Moment aus dem Blick verloren habe. Dass ich ihn eigentlich nicht mehr wertgeschätzt habe, dass er mir weniger wert war als dieser sündige Impuls, der in meinem Herzen aufkam. Wo er auch immer herkommt.
Und was die Töchter Salomos schaffen, ist, Sulamit dazu zu bringen, wieder bewundernd über ihren Salomo nachzudenken. Mit einem Mal ist die Distanz, die zwischen den beiden da ist, aufgehoben. Aber da sind wir noch nicht am Ende.
Auf Salomos Seite muss damit einhergehen, dass er sich nicht zurückzieht – für jeden Mann wahrscheinlich das Schwierigste in der Ehe. Im Kolosser 3,19 steht extra noch einmal, dass wir nicht bitter gegen unsere Frauen sein sollen, also nicht zurückziehen.
Salomo macht das nicht. Er bleibt genau da, wo es um Liebe geht. Er bleibt. Er spielt die Sprache des Hohelieds in seinem Garten, er zieht sich kein Stück zurück.
Und wo sie auf ihn zugeht, da tritt er nicht nach. Da kommt jemand und sagt: „Oh, es tut mir leid, ich habe mich versündigt.“ Wie oft ist das die Gelegenheit, wo man dann sagt: „So, Freund, jetzt sage ich dir mal all das, was ich dir schon immer sagen wollte.“ Jetzt holen wir die alte Liste raus – die Liste an Vergehen, die ich noch von dir habe. Weil man meint, jetzt wäre der Moment, dem anderen endlich mal zu zeigen, wie schlecht er ist.
Und er macht das nicht. Salomo begegnet Sulamit, und das Erste, was er zu ihr sagt, ist das, was jede Frau dreimal am Tag hören möchte – also meine Frau zumindest. Und wenn es bei dir anders ist, okay. Aber das Erste, was er zu ihr sagt, ist: „Du bist schön.“
„Na ja, endlich kommst du mal und fängst an, dich zu entschuldigen. Ja, wurde auch wirklich langsam Zeit. Und du erinnerst dich noch: Das lief damals schief, das hat nicht so richtig geklappt. Und schon wie du heute Morgen aufgestanden bist, ja, das war eigentlich schon klar, dass du heute Abend die Tür zulassen würdest.“ Das kenne ich von mir, deswegen predige ich mir das.
Es ist der Moment, wo man nachtreten möchte. Und Salomo sorgt dafür, dass seine Geliebte von ihm hört: Du bist schön, du hast Ausstrahlung und du bist von deiner Person her für mich weiterhin die selbstbewusste, eigenständige Königin, mein echtes Gegenüber.
Er sagt von ihr: „Du bist furchterregend wie Kriegsscharen.“ Dir zu begegnen macht mir immer noch ein bisschen im neutralen Sinn Angst. Du bist eigenständig, du bist stark – und bitte bleib das.
Nachdem er ihr das gesagt hat, fängt er an, wieder von ihr vorzuschwärmen. Das ist genau das, was er am Anfang schon gemacht hat. Es ist quasi zweimal das Gleiche im Hohelied: „Ach, das ist schön an dir, und das ist schön an dir, und das ist schön an dir.“
Denn wenn jemand sündlich einen Fehler macht und sich dann wieder neu auf Beziehung einlässt, kommt er doch mit einem Minderwertigkeitsgefühl. Er merkt: Ich habe einen Fehler gemacht, ich habe Beziehungen kaputtgemacht. Was braucht er in diesem Moment? Er braucht Lob, noch mal Lob und noch mal Lob – Anerkennung, Wertschätzung. „Ich habe dich genau so lieb wie am ersten Tag.“
Dann tut Sulamit das, was sie hätte tun sollen: Sie übernimmt Verantwortung für ihr Tun und tut das Richtige. Sie treffen sich im Garten.
Aber damit ist die Geschichte noch nicht vorbei.
Das Spannende ist, wenn wir die Geschichte zu Ende lesen, dass danach – nachdem die beiden wieder vereint sind – noch ein Bild nachgeschoben wird. Dieses Bild hat damit zu tun, dass Sulamit uns sagt, wie überrascht sie ist, was am Ende dieses Prozesses, am Ende eines Ehestreits, der richtig geführt wird, passieren kann.
Ein Streit, bei dem keine bösen Worte fallen, keine Vasen fliegen, wo man sich bewusst aufeinander einlässt, Bewunderung sucht und Verantwortung übernimmt, wo man einen Fehler gemacht hat.
Was am Ende dieses Streits passieren kann, war für mich das Überraschendste.
Im Hohelied 6,12 heißt es: „Da setzte mich, ich weiß nicht wie, mein Verlangen, meine Seele. Und jetzt kommt ein Bild: auf die Streitwagen meines edlen Volkes.“
Ein Streitwagen in der damaligen Zeit war die tödlichste Waffe in einer Schlacht. Dieses Bild vom Streitwagen, der in die Schlacht fährt, ist eine interessante Mischung aus Aufregung, Spannung und ganz enger Nähe. Denn es sind zwei Leute auf diesem Wagen: der Lenker und der Bogenschütze.
Und aufgelöst heißt das: Wenn ich durchgehe, wenn ich Streit in der richtigen Weise durchmache, lande ich am Ende nicht dort, wo viele Ehepaare landen – mit ein bisschen Distanz.
Denn jeder Streit fügt Distanz hinzu. So kommt man mit der Zeit auf immer mehr Distanz. Nach zehn, zwanzig Jahren, so in den Vierzigern, kommt man bei einer Ehe oder auch bei einer Gemeindebeziehung an, wo man sich streitet und nicht mehr zusammenfindet. Es bleibt Distanz übrig.
Man lebt zehn Jahre in der Gemeinde und stellt plötzlich fest, dass zu manchen Leuten die Distanz ganz schön groß geworden ist, weil man es nicht geschafft hat, dem Streit, den Konflikten und Missverständnissen richtig zu begegnen – nämlich so, wie Sulamit es beschreibt.
Sie sagt: Ich erlebe, und das hat mich umgehauen, dass am Ende des Streits nicht einfach nur die beiden in ihrem Garten sind und miteinander kuscheln. Sondern dass am Ende des Streits für sie völlig überraschend größere Nähe, größere Erregung und Begeisterung füreinander da ist als am Anfang.
Als ich das so durchdacht habe, wurde es mir sehr leicht. Denn ich merkte plötzlich: Jedes Streitgespräch, jedes Missverständnis kann richtig durchgefochten und sogar versöhnt werden, um Beziehung wachsen zu lassen.
Ich merke das in meiner Ehe. Ich streite mich am meisten mit meiner Frau – von allen Menschen. Weil wir uns am häufigsten begegnen und am häufigsten Missverständnisse möglich sind.
Wenn es nicht so wäre, dass man einen Streit geistlich richtig durchleben und am Ende enger zusammenkommen kann, dann würde Ehe nie funktionieren.
Es muss förmlich so sein, dass Streit uns, wenn man es richtig macht, eigentlich beweist, wie sehr wir uns lieben und nicht auseinanderbringen.
Das müsste so sein.
Ich glaube, es ist ein Inbegriff wahrer Liebe, wenn wir uns darauf einlassen, einen Prozess anzustreben, bei dem der Streit nicht in einem Waffenstillstand endet. Nicht dort, wo wir ein bisschen Distanz zueinander haben, uns aber schon wieder im Gottesdienst begegnen können.
Vielleicht würden wir uns nicht mehr zum Geburtstag einladen, mag sein. Aber im Gottesdienst gemeinsam zu singen, wie sehr Gott uns als Gemeinde liebt und zusammengestellt hat, das kriegen wir schon noch hin.
Dann machen wir das zehn Jahre. Und irgendwann kommt A mit B nicht mehr wirklich klar, weil wir es versäumt haben, den Punkt zu erreichen, an dem unsere Liebe wieder zurückfindet zu dem, was die Bibel „erste Liebe“ nennt.
Ich weiß nicht genau, wie man diesen Neun-Punkte-Plan in einer Gemeinde umsetzen kann. Aber eines merke ich: Wenn eine Gemeinde es schaffen würde, einen Streit so zu leben, dass er darin mündet, dass die beiden danach noch enger beieinander sind als vorher – stellt euch eine Gemeinde vor, die das zehn Jahre lang lebt. Das wäre irre.
Warum tun wir das nicht? Aus dem gleichen Grund, warum wir es in der Ehe nicht tun. Weil in uns eine Neigung zur Sünde ist. Weil wir, wenn wir bitter werden, nur zu gerne auf den Zug aufspringen und denken: „Jetzt endlich kann ich es ihm mal so richtig geben. Jetzt habe ich einen Freibrief für ein bisschen Sünde, für ein bisschen Grobheit, für ein bisschen Zurückschlagen.“
Und weil wir in unserem tiefsten Inneren einander nicht wirklich lieben. Sondern weil wir uns nur akzeptieren, weil wir nicht drum herumkommen zu sehen, dass Gott uns zusammengestellt hat. Aber eine herzliche Begeisterung füreinander, der bewusste Wunsch, diese Beziehung zu bauen, ist nicht wirklich da.
Zusammenfassung und Ermutigung zur Veränderung
Drei Punkte für heute: Wahre Liebe
Wahre Liebe bedeutet, dass wir Hilfe suchen und uns der Realität bewusst sind. Probleme sind die Norm, die Regel, nicht die Ausnahme. Denn dort, wo geliebt wird, begegnen sich Sünder.
Wahre Liebe heißt auch, dass wir uns selbst als diejenigen erkennen, die die Beziehung belasten. Das kann passieren, weil wir entweder zu scharf oder zu zurückhaltend sind. Manchmal wollen wir am liebsten auf jeden Zug aufspringen, manchmal weigern wir uns, Veränderungen mitzugehen. Es braucht beides: Mut und Selbstbeherrschung beziehungsweise die Bereitschaft, sich etwas sagen zu lassen.
Der dritte Punkt: Kein Streit. Liebe heißt, wie im 1. Korinther 13 beschrieben, dass sie sich nicht erbittern lässt und Böses nicht zurechnet. Wo das geschieht, bleibt die Liebe auf der Strecke.
Was ich mit dieser Aufzählung nicht erreichen möchte, ist Frustration. Ich habe das selbst beim Studium des Hohelieds bemerkt: Man liest es, denkt sich, es ist ja schön und gut, aber ich bin das nicht. Und das stimmt – wir sind das alle nicht.
Deshalb möchte ich die Predigt mit einem Vers abschließen, der uns Mut machen soll. Er findet sich in 2. Korinther 3,18. Dieser Vers macht uns Mut, weil er zeigt, dass die Veränderung hin zu richtiger Liebe etwas ist, was der Heilige Geist in uns bewirken möchte.
Wenn du jetzt denkst, du musst das alles selbst schaffen, dann hast du fast schon verloren. Gott möchte zwar den Entschluss von dir, dich zu verändern. Fehlt dieser Entschluss, wird Gott ihn nicht einfach übergehen. Aber der Prozess selbst sieht so aus:
"Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an." (2. Korinther 3,18)
Ich habe es gestern in der Jugend erklärt und sage es nochmal: Dieses Anschauen ist eigentlich ein Reflektieren, ein Anschauen in einem Spiegel. Wir kopieren, imitieren und spiegeln Christus durch unser Verhalten. Wir leben das aus, was der Geist Gottes in uns an geistlichen Impulsen wirkt, zum Beispiel diese Dinge:
Ich komme in eine Situation, in der ich merke, dass mir die Galle hochkommt. Ich schlucke sie wieder runter und lasse es einfach nicht zu. Ich merke, dass ich dem anderen jetzt sagen möchte, was ich ihm schon immer mal sagen wollte – und ich sage es nicht. Stattdessen starte ich mit den Worten: "Wow, wie schön du bist!"
Das wäre genau das, was es heißt, die Herrlichkeit des Herrn zu reflektieren.
Und dann heißt es weiter: "Und wir werden so verwandelt in dasselbe Bild, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie es vom Herrn, dem Geist, geschieht."
Das ist es, was passiert: Der Geist Gottes will uns verwandeln in Menschen, die Profis in Sachen Liebe sind, die im Umgang miteinander perfekt sind. Und das nicht nur in der Ehe, sondern auch in der Familie, in der Gemeinde und darüber hinaus in der Gesellschaft.
Ich merke, dass mich dieser Gedanke immer mehr packt. Wir kommen an einen Punkt, an dem wir uns als Gemeinde entscheiden müssen, welchen Weg wir gehen wollen.
Ich finde es total spannend, was im Moment passiert.
Amen.