Von guten zu schlechten Vorbildern: Ein neuer Abschnitt beginnt
Der Kasperle sagt immer: „Seid ihr alle da?“ Wir wechseln jetzt das Thema. Wir waren die ganze Zeit bei guten Vorbildern. Nun müssen wir uns einige schlechte Vorbilder anschauen, denn in der Gemeinde gibt es nicht nur diejenigen, die alles richtig machen, sondern auch solche, die Ärger bringen.
Deshalb geht es ab Kapitel 3, Vers 1 mit den schlechten Vorbildern weiter. Die Überschrift lautet: „Kapitel 3,1-21 – Warnung vor falschen Arbeitern und ein Aufruf, Paulus nachzuahmen.“
Bevor wir uns diesen ganz schlechten Vorbildern zuwenden, möchte Paulus, weil das ja ein so negatives Thema ist – man könnte jetzt sagen: „Ach ja, wie ist das denn in so einer Situation, wenn ich wirklich solche Probleme habe?“ –, etwas sagen. Wir werden gleich sehen, dass es sich um echte Probleme handelt. Probleme, bei denen Paulus sogar ein Stück weit denkt, dass die Gemeinde noch gar nicht richtig verstanden hat, wie groß sie sind.
Bevor er auf die Probleme zu sprechen kommt, sagt er: „Übrigens, meine Brüder, freut euch im Herrn.“ Ich glaube, das war schon ganz am Anfang ein zentraler Gedanke. Wenn man den Philipperbrief hört, dann hört man immer wieder das Thema Freude. Ich weiß nicht, wer das einmal sagte, aber ganz am ersten Tag – ich glaube, das steht in Philipper 4 – ist dieses Thema Freude präsent.
Der Philipperbrief hat tatsächlich als Grundmotiv, das sich durch den ganzen Brief zieht, das Thema Freude. Man könnte das einmal nachschauen, wie oft das Thema Freude im Philipperbrief vorkommt. Immer wieder stellen wir fest: Paulus sagt, obwohl er im Gefängnis sitzt und obwohl er an eine Gemeinde schreibt, in der er Probleme sieht und wo nicht alles rundläuft, sagt er doch: „Übrigens, meine Brüder, freut euch im Herrn.“
Die Bedeutung der Freude im Glauben
Auch das ist ein Punkt, bei dem ich manchmal die deutsche Christenheit betrachte und denke: Oft kommt man in Gemeinden oder sieht Geschwister herumlaufen mit einem Gesichtsausdruck, den man auch für ein Titelblatt der Klagelieder verwenden könnte. Das ist eigentlich traurig. Man schaut sich die Gesichter an, und sie wirken müde, erschöpft, ein bisschen grimmig.
Dabei steht in der Bibel so oft: „Freut euch!“ Woran liegt das? Ich glaube persönlich, dass es daran liegt, dass wir uns nicht oft genug am Tag sagen, dass das eigentliche Problem unseres Lebens – nämlich Schuld, Sünde, Verlorenheit – erledigt ist. Dass wir erlöst sind, einen Vater im Himmel haben und tatsächlich losgelöst von den Umständen leben dürfen.
„Freut euch im Herrn“ heißt nicht, die Augen vor der Realität zu verschließen. Es bedeutet vielmehr: Egal, was du durchmachst und egal, wo du stehst, lass dir dieses grundlegende Frohsein nicht nehmen – die Freude, ein Kind Gottes zu sein. Diese Freude erfüllte sogar Paulus im Gefängnis in Rom, obwohl er nicht wusste, ob er den nächsten Tag überleben würde.
Lasst euch diese Freude bitte nicht nehmen. Auch wenn wir jetzt zu einem schwierigen Thema kommen, ihr lieben Philippa, das heikel ist und vielleicht die Zukunft eurer Gemeinde bestimmt – wenn ihr nicht aufpasst, eure Gemeinde kaputt macht: Freut euch im Herrn! Passt auf, dass euch diese Freude niemand nimmt.
Passt auf, dass ihr nicht anfangt zu denken, Gott mache Fehler. Gott macht keine Fehler. Passt auf, dass ihr nicht glaubt, es gäbe Lebensumstände, in denen Gott sagt: „Ach, was ist dir denn passiert? Das habe ich ja gar nicht gewusst.“ Das wird Gott nicht passieren. Gott kennt dich.
Egal, was passiert, unser Leben kann mit den unmöglichsten Konstellationen, wenn wir festhalten an der Hand Gottes und mit ihm durch die Situation gehen. Paulus schreibt das in Römer 5 noch einmal ausführlicher. Solange wir im Hoffen und Vertrauen auf Gott durch dieses Leben gehen, müssen die verquertesten und turbulentesten Zeiten letztlich zu unserem Guten mitwirken.
Wir mögen das im Moment nicht glauben können, weil alles so schwarz, dunkel und finster ist – so wie im Psalm 88, wo keine positive Zeile vorkommt. Das kann sein. Trotzdem ist das die Wahrheit: Wir dürfen uns freuen, obwohl es rein menschlich nichts mehr gibt, worüber wir uns freuen könnten. Wir dürfen uns freuen, weil Gott auf unserer Seite steht.
Und weil, wenn wir durch die Situation gegangen sind, ohne seine Hand loszulassen, wir etwas über ihn gelernt haben. In Sprüche 3,5-6 heißt es: „Auf all deinen Wegen erkenne nur ihn.“ Egal, wo wir entlanggehen und wie der Weg ist, den Gott uns führt – auch wenn es durchs dunkle Tal geht –, wir dürfen sagen: „Ja, ich bleibe bei meinem Hirten und gehe mit ihm durch dieses dunkle Tal.“
Wenn ich bei ihm bleibe, weiß ich, dass dieses Tal ein Ende hat. Ich komme am Ende wieder heraus. Ich gehe nicht verloren, auch wenn ich den nächsten Schritt vielleicht nicht sehen kann, sondern mich nur ganz vorsichtig an seiner Stimme orientiere und frage: Wie wird es hier weitergehen?
Ich darf wissen, dass Gott mich nicht loslässt. Ich darf wissen, dass ich auch in diesen dunklen Momenten des Lebens ihn erkennen darf. Am Ende kann ich sagen, so wie Hiob: Seht ihr das vor Augen, was Hiob ganz am Ende sagt?
Hiob verliert alles, geht durch seine Depressionen. Seine Freunde kommen und erzählen ihm nur Blödsinn. Es gibt tagelang Streitgespräche. Er ist über und über bedeckt mit Geschwüren, sitzt in der Asche und kratzt sich, weil es ihn juckt.
Doch ganz am Ende, nachdem Gott aus dem Sturm zu ihm spricht und er die Stimme Gottes wieder hören kann, sagt er: „Ich habe dich nur wie von ferne gekannt, ich habe eigentlich gar nichts über dich gewusst.“ Aber jetzt, wo er mit Gott durch diese Zeit gegangen ist – und nicht gemacht hat, was seine Frau sagt, die meint, er solle das Gottvertrauen aufgeben –, hält er an einem kleinen Vertrauen fest.
Er sagt: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.“ Das ist Hiob. Er geht Kapitel für Kapitel durch diese Zeit hindurch. Am Ende kann er sagen: „Jetzt kenne ich Gott. Jetzt kenne ich Gott.“
Früher, als es ihm gut ging, hatte er auch eine Vorstellung von Gott, brachte Opfer und betete. Aber jetzt, nachdem er die Schwierigkeiten mit Gott durchgestanden hat, begreift er Dinge über Gott und versteht ihn in einer Tiefe, die ihm vorher nicht möglich war.
Das ist unsere Hoffnung: Nichts kann uns aus dieser Bahn werfen. Deshalb heißt es so oft: „Freut euch! Freut euch im Herrn!“ Euch öfter dasselbe zu schreiben, ist mir nicht lästig. Für euch bedeutet es, dass ihr fest werdet.
Das ist der Grund, warum man manchmal Dinge predigt, die man schon einmal gesagt hat. Wir sind Menschen und vergesslich. Hier unten sind noch welche. Deshalb ist es wichtig, bestimmte Themen immer wieder zu predigen.
Es ist wichtig, weil Menschen dadurch fest und sicher in den Dingen werden, wenn sie sie immer wieder hören. Also bitte nicht abschalten, wenn ihr denkt: „Oh, das Thema kenne ich doch eigentlich schon.“ Hört noch einmal zu – es ist gut für euch.
Warnung vor falschen Lehrern: Die Bedrohung erkennen
Vers zwei: Jetzt kommen wir zu den Problemen. Was Paulus hier macht, ist ein sehr abrupter Übergang. Er verwendet drei Begriffe, die er besonders betont. Deshalb steht das Verb im Imperativ, in der Gebotsform, und das gleich dreimal sehr betont.
Man hat den Eindruck, dass Paulus daran zweifelt, ob die Philipper die ganze Massivität der Bedrohung, die vor ihnen liegt, bereits richtig verstanden haben. Am Ende, bei dem dritten Begriff, den wir gleich lesen werden – dem Begriff „Zerschneidung“ –, merkt man, dass die Bedrohung starke jüdische Züge hat.
„Seht auf die Hunde, seht auf die bösen Arbeiter, seht auf die Zerschneidung!“ So sprechen wir heute nicht mehr. Ich muss das ein bisschen erklären.
Hunde als Bild für Unreinheit und Feindschaft
Hunde – fangen wir mit den Hunden an. Der Begriff „Hunde“ ist durch und durch negativ belegt. Das findet sich bereits im Alten Testament. Vielleicht verstehen wir das nicht so gut, weil wir heute in einer hundefreundlichen Gesellschaft leben.
Wir sind ja, oder Bärbel ist Hauswartin, und manchmal haben wir den Eindruck, dass Leute ihre Hunde überall hinkacken lassen, zumindest immer in unserem Vorgarten. Die Hunde dürfen irgendwie alles – so eine Gesellschaft sind wir. In der damaligen Zeit war das ganz anders.
Hunde waren ein Bild für Unreinheit, Unverschämtheit, Gier und Gerissenheit. Sie standen für Frechheit und Angriffslust. Das waren unreine Tiere, die sich von Aas und Unrat ernährten. In der Mischna, einer jüdischen Schrift, in der Gebote erklärt werden, wird der Begriff „Hund“ synonym mit „Heide“ verwendet, also gleichwertig. Ihr merkt schon: Der Hund steht für den unreinen Menschen, für Menschen, die sich außerhalb des Bundes mit Gott befanden.
Genau das ist der Punkt, den Paulus hier machen will. Wir haben es mit Leuten zu tun, die einen jüdischen Hintergrund haben, die eigentlich aus dem Judentum kommen. Paulus sagt: „Seht auf die Hunde!“ Das heißt, die falschen jüdischen Lehrer, die hier zum Problem werden, waren geistlich betrachtet nicht die Elite. Sie waren der Abschaum, nicht die Heiligen, sondern eigentlich außerhalb des Bundes mit Gott.
Das hätten sie natürlich selbst so nie gesagt, aber so beurteilt Paulus sie.
Böse Arbeiter und die Bedeutung der Zerschneidung
Seht auf die bösen Arbeiter, böse deshalb, weil sie mit einer bösen Absicht ihr Werk tun. Seht auf die Zerschneidung – köstlich. Ich weiß nicht, ob Paulus lange nachdenken musste, um auf solche Begriffe zu kommen, aber das ist wirklich deftig: Zerschneidung. Das muss ich erklären.
Fangen wir mit der Beschneidung an. Beschneidung ist klar, oder? In 1. Mose 17 wird Abraham beschnitten. Das steht in Verbindung mit 1. Mose 15, wo Gott Abraham Nachkommen verheißt. Abraham glaubt, und sein Glaube wird ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Zwei Kapitel später setzt Gott ein äußeres Zeichen ein: die Beschneidung (1. Mose 17,10). Diese Beschneidung ist ein äußeres Zeichen für die Juden. Wer Jude war und männlich, musste beschnitten werden.
Nun kann man sich die Frage stellen: Warum macht Gott das? Warum setzt er so ein Zeichen ein? Der Grund ist, dass durch dieses Beschneiden etwas zum Ausdruck gebracht wird, was im Leben Abrahams wirklich passiert war und nun zeichenhaft dargestellt wird.
Was war im Leben Abrahams passiert? Abraham wurde – ich benutze jetzt einen Begriff, der erst später in der Bibel auftaucht – am Herzen beschnitten. Die Beschneidung am Herzen ist die eigentliche Beschneidung, um die es geht. Es ist die Beschneidung, bei der ich merke, dass in mir eine angeborene Rebellion gegen Gott steckt, ein angeborenes „Nicht mit Gott mitmachen wollen“.
Die Beschneidung des Herzens bedeutet, dass ich dieses Gegengottsein in meinem Inneren abschneide und sage: Nein, ich will nicht gegen Gott, sondern mit Gott sein. Die Beschneidung des Herzens ist die Entscheidung, Gott gehorsam sein zu wollen. Es ist die Entscheidung, Gott folgen zu wollen. Es ist die Entscheidung, glauben zu wollen, so wie Abraham geglaubt hat – an Punkten, wo es nichts zu glauben gab.
Das ist die Beschneidung des Herzens. Ein Jude im vollwertigen Sinn, so wie Gott es sich wünscht und vorstellt, ist nicht nur genetisch von Abraham abstammend, sondern teilt auch den Glauben Abrahams. In Römer 2 heißt es, dass der wahre Jude derjenige ist, der es innerlich ist. Die Beschneidung ist nicht eine äußere, sondern eine Beschneidung des Herzens.
Damit der Gedanke nicht verloren geht, dass Abraham nicht wegen seiner Gene zum Stammvater der Juden ausgewählt wurde, sondern wegen seines Glaubens, wird an einer sehr empfindlichen und für Männer auch wichtigen Stelle etwas abgeschnitten. Das wird im Zeichen der Beschneidung festgelegt.
So gibt es ein Zeichen, das die Bundeszugehörigkeit ausdrückt – ein Zeichen für eine innere Realität. Nur dort, wo jemand äußerlich beschnitten und auch innerlich beschnitten ist, also wo die äußere Beschneidung etwas widerspiegelt, was im Herzen passiert ist, ist jemand Jude oder Israelit im vollwertigen Sinn und gehört wirklich zum Volk Gottes.
Das ist die Beschneidung.
Jetzt kommt die Zerschneidung ins Spiel. Zerschneidung ist ein Wortspiel, das eigentlich nur Sinn macht, wenn die Gegner Paulus’ sehr auf die Beschneidung pochten. Zerschneidung erinnert an heidnische Praktiken. Es gibt in 1. Könige 18 und auch an anderen Stellen das Ritzen und Schneiden.
In der Kinderstunde hat man das bei den Baalspriestern erlebt: Elija sagt, man wolle schauen, wer der wahre Gott ist. Zwei Altäre werden gebaut, Opfer daraufgelegt, und man beginnt zu beten. Das klappt eine ganze Weile nicht. Dann fangen sie an, sich zu ritzen und zu schneiden, bis das Blut in Strömen herunterläuft. Das ist Zerschneidung.
Diesen Begriff benutzt Paulus hier, um die Beschneidung zu bezeichnen. Er verwendet den Begriff Zerschneidung ganz bewusst und stellt die Beschneidung, wie sie die jüdischen Lehrer praktizieren, auf eine Stufe mit einer heidnischen Praxis. Die Juden wussten genau, dass diese Praxis verboten war, dass sie Gott verachtet und nichts bringt.
Seht auf die Hunde, seht auf die bösen Arbeiter, seht auf die Zerschneidung.
Paulus’ Selbstverständnis als das wahre Volk Gottes
Und jetzt kommt die Begründung, warum Paulus so eine scharfe Sprache wählt. Er tut es deshalb, weil seine Gegner eben nicht die Guten sind, auch wenn sie sich als solche ausgeben.
Vers 3: „Denn wir sind die Beschneidung.“ Hier ist der Artikel vor „Beschneidung“ wichtig. Ich möchte das mal so übersetzen, dass es näher am Grundtext bleibt: „Wir und nur wir sind die Beschneidung.“ Paulus möchte betonen, dass, wenn man sich Gedanken über die Beschneidung machen muss oder will – und Beschneidung kann Verschiedenes bedeuten –, hier „Beschneidung“ bedeutet, dass jemand zum Bundesvolk mit den ganzen Verheißungen dazugehört. Also ist nicht mehr das alte Israel Gottes Bundesvolk, sondern die Gemeinde.
Die alten Ordnungen sind tatsächlich Vergangenheit. In Hebräer 8,13 heißt es: „dem Verschwinden nahe“. Wir sind noch nicht so weit, der Tempel steht noch, es ist noch nicht alles kaputt. Trotzdem, wenn es um die Frage geht, wer die Beschneidung ist, wer das Bundesvolk im eigentlichen, absoluten Sinn ist – sind das diese jüdischen Lehrer oder sind wir das? Da sagt Paulus: Nein, wir sind das.
Warum? Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Wir dienen im Geist Gottes, rühmen uns in Christus und vertrauen nicht auf das Fleisch. Was macht uns zum Bundesvolk? Warum können wir, die wir größtenteils nur die Beschneidung des Herzens kennen, sagen, wir sind das eigentliche Bundesvolk? Der Grund ist, dass wir durch unser Leben, durch die Realität unseres Dienstes, durch die Realität unseres Lobpreises und auch durch die Realität unseres Glaubens beweisen, dass wir diesen Titel verdienen.
Die Praxis unseres Lebens ist davon geprägt, dass der Geist Gottes unser Dienen bestimmt. Wenn wir über Lobpreis und Rühmen nachdenken, haben wir Christus im Mittelpunkt. Und wenn es um Glauben oder Vertrauen geht, vertrauen wir nicht auf das Fleisch.
Jetzt die Frage: Was heißt „auf Fleisch vertrauen“? Und was genau ist Fleisch? Das sieht man in den folgenden Versen. Ich will das mal so zusammenfassen: Fleisch ist das, was ich selbst schaffen kann. Worauf setze ich mein Vertrauen? Das ist immer die Frage.
Wenn mich jemand fragt, gibt es zwei Fragen, die man in einem Gespräch mit einer Person am Büchertisch oder so stellen kann. Diese zwei Fragen möchte ich „Kennedy eins und zwei“ nennen. Sie helfen zu wissen, wo der andere zum Thema Glauben steht.
Frage eins: Stell dir vor, du bist morgen tot. Wo bist du dann? Antwort: „Weiß ich nicht.“ Okay, dann weiß ich, wo du stehst. Antwort: „Ich bin im Himmel.“ Ah, gute Antwort.
Zweite Frage: Warum sollte Gott dich reinlassen? Antwort: „Ich habe immer Kirchensteuer gezahlt, das muss doch irgendwas bringen auf lange Sicht, oder?“ Falsche Antwort. Oder: „Ich habe mich mein ganzes Leben lang angestrengt, so ein feiner guter Kerl zu sein. Das kann doch nicht vergeblich gewesen sein.“ Falsche Antwort. Oder: „Ich hatte eine gläubige Oma, die hat immer für mich gebetet, und irgendwann dachte ich, das muss reichen.“ Falsche Antwort.
All das ist falsch. All das heißt, auf Fleisch vertrauen – auf das, was ich entweder durch eigene Anstrengung oder durch die Bemühungen anderer Menschen erworben habe. Das ist Fleisch.
Die große Frage ist immer: Worauf vertrauen wir, wenn uns die Frage gestellt wird, warum Gott uns in den Himmel lassen sollte?
Also die zwei Fragen, wenn du wissen willst, wo jemand geistlich steht: Erstens: Du bist tot, wo bist du morgen? Zweitens: Wenn er antwortet „Himmel“, fragst du: „Und warum sollte Gott dich reinlassen?“
Die Antwort muss lauten: „Genau, ich habe schon gehört, weil ich aufgehört habe zu kämpfen, eingesehen habe, dass ich keine Chance habe im Gericht, weil mir meine Sünde zu viel geworden ist. Ich habe dieses Angebot angenommen, das Jesus am Kreuz für mich erarbeitet hat, und ihn angerufen, meinen Herrn eingeladen, in mein Leben zu kommen. Ich habe ihm meine Schuld abgegeben und mein ganzes Leben im Vertrauen darauf gelebt, dass das reicht, was Jesus am Kreuz gemacht hat.“
Das ist Bekehrung. Jede andere Antwort ist einfach nur falsch. Jede andere Antwort heißt, auf Fleisch vertrauen – sich irgendwie einreden, es müsste irgendetwas in meinem Leben geben, das mich auszeichnet und warum Gott gerade mich in den Himmel lassen muss. Und das ist Quatsch.
Paulus’ jüdische Herkunft und sein Eifer für das Gesetz
Und dann sagt Paulus in Vers 4: „Obwohl auch ich Vertrauen auf Fleisch haben könnte.“ Paulus spricht hier nicht, als würde er beleidigt sein oder neidisch auf das, was andere haben. Er sagt vielmehr: Wenn irgendein anderer meint, auf Fleisch vertrauen zu können, dann kann ich es noch mehr.
Wenn diejenigen kommen, die euch einreden wollen, dass das Evangelium darin besteht, an Jesus zu glauben und zusätzlich noch etwas zu tun – denn das ist oft die Idee: Glaube an Jesus und tu noch etwas dazu – dann sagt Paulus: Wenn ich mich mit diesen Leuten vergleiche, wisst ihr was? Ich steche sie alle aus. Wenn es darum geht, vor einem jüdischen Hintergrund etwas erreicht zu haben und jemand wirklich als die Nummer eins, als absolut top dastehen will, dann bin ich das.
Wenn jemand meint, auf Fleisch vertrauen zu können, dann kann ich es noch mehr. Wenn jemand damit prahlt, was für ein feiner Jude er ist, mit einer tollen Abstammung und was er in seinem Leben erreicht hat, dann steht Paulus hier und sagt: Ich bin definitiv besser. Warum?
Dann beginnt er eine siebenfache Aufzählung, was es bedeutet, auf Fleisch zu vertrauen. Vier Punkte beziehen sich auf die Qualität seiner Herkunft, die ihn als absoluten Überurjuden auszeichnen. Man kann sich die Frage stellen, ob das damit zu tun hat, dass seine Widersacher oder Gegner an dieser Stelle vielleicht noch nicht so gut dastehen. Möglicherweise handelt es sich um Menschen mit einem proselytischen oder heidnischen Hintergrund – Leute, die erst später zum Glauben oder überhaupt zum Judentum gekommen sind.
Die letzten Punkte beziehen sich auf seine religiösen beziehungsweise ethischen Errungenschaften. Paulus ist ein Insider. Wenn es darum geht, sich hinzustellen und zu sagen: „Ich bin jemand“, dann kann Paulus sagen: „Hey, ich bin viel mehr.“
Und wenn Paulus das hier schreibt, dann ist das ganz wichtig: Er tut es nicht, weil er gerade eine Tiefphase hat und sich selbst loben muss. Sondern er schreibt es, um zu zeigen, wie nichtig die anderen sind. Wie dieses ganze eingebildete Verhalten, das darauf beruht, was man erreicht hat und wer man ist, eigentlich gar nichts bedeutet.
Paulus’ jüdische Herkunft im Detail
Beschnitten am achten Tag – das bedeutet, eine Woche nach der Geburt – beginnt die Zugehörigkeit zum Volk Israel. Vom ersten Atemzug an ist das Kind ein Israelit. Am achten Tag wird ein Kind, das zum Bundesvolk Gottes gehört, beschnitten. Dies gilt besonders für das Geschlecht Israel, eine zusätzliche Betonung der rassischen Zugehörigkeit: ein absolut echter Jude vom Stamm Benjamin.
Benjamin war nicht schlecht, das muss man schon sagen, vor allem in der damaligen Zeit. Er war immerhin der Sohn der Lieblingsfrau Jakobs, Rahel, und der einzige Sohn, der im Land der Verheißung geboren wurde. Der erste König Saul stammte ebenfalls von Benjamin ab. Auch Paulus’ jüdischer Name geht auf diesen Stamm zurück. Der Stamm Benjamin ist der einzige, der nach der Reichsteilung dem anderen Stamm Juda loyal blieb. Diese beiden Stämme bilden den Kern dessen, was später das Volk Israel wurde. Sie sind das Herz der neuen Nation in Jerusalem. Jerusalem und der Tempel liegen auf benjaminitischem Land.
Wenn man den Segen Jakobs in 1. Mose 49,27 liest, hört sich der Segen für Benjamin so an: „Benjamin ist ein Wolf, der zerreißt; am Morgen verzehrt er Raub, am Abend verteilt er Beute.“ Das hätte schlimmer ausgehen können. Es klingt kräftig und dynamisch, als könne man sich ihm kaum entgegensetzen. Es war etwas Besonderes, Benjaminit zu sein, das galt im Volk. Dieser Stamm war nicht irgendein vergessener Stamm, der nach dem Einzug ins Land keine Rolle mehr spielte. Ein Benjaminit zu sein bedeutete: „Ich gehöre zum richtigen Stamm“, sagt Paulus hier.
Doch das reicht ihm nicht. Er bezeichnet sich als „Hebräer von Hebräern“. Was bedeutet das? Ist „Hebräer“ nicht einfach ein anderes Wort für Israelit? Nein, das ist es nicht. Hebräer sind Juden, die normalerweise Aramäisch sprechen. Es sind Juden, die in Gottesdiensten Hebräisch sprechen oder zumindest die Bibel auf Hebräisch vorlesen.
Hinter diesem Unterschied steckt Folgendes: Die Entwicklung der Sprachen in der Antike richtete sich stark nach der vorherrschenden Kultur. Etwa um 600 v. Chr., etwas später um 550 v. Chr., übernahmen die Perser als Großmacht vieles aus dem Orient. Mit den Persern wurde eine neue Amtssprache eingeführt: Aramäisch. Aramäisch wurde im gesamten Osten als Amtssprache und Handelssprache gesprochen.
Im Westen kam später das Griechische hinzu. Israel lag an der Grenze zwischen diesen Sprachräumen. Zur Zeit Jesu sprach man in Israel Aramäisch und feierte Gottesdienste auf Aramäisch. Ähnlich wie in der katholischen Kirche, wo Gottesdienste auf Latein abgehalten werden und diese lateinischen Gottesdienste sehr rückbezogen und konservativ sind, gab es auch unter den Juden Strömungen, die den Ursprung betonen wollten. Sie waren mit Gottesdiensten nur auf Aramäisch nicht zufrieden und wollten so viel Hebräisch wie möglich in den Gottesdienst einbringen. Zumindest die Lesung sollte auf Hebräisch erfolgen, begleitet von einer aramäischen Übersetzung.
Wenn Paulus sich und seine Eltern hier als Hebräer bezeichnet, obwohl er eigentlich aus Tarsus stammt – einer Gegend, die heute zur Türkei gehört – bringt er damit zum Ausdruck, dass seine Familie stark an der alten jüdischen Tradition festhielt, obwohl sie in einem heidnischen Umfeld lebte. Hinzu kommt, dass seine Eltern es ihm ermöglichten, Kindheit und Jugendzeit, zumindest teilweise, in Jerusalem zu verbringen. Der Bezug zu Jerusalem und Palästina war so stark, dass man den Jungen dorthin schickte, wo er seine religiöse Ausbildung zu den Füßen Gamaliels erhielt. Seine Kindheit und Erziehung waren also ultra-orthodox jüdisch.
Das steckt im Begriff „Hebräer von Hebräern“. Paulus war nach dem Gesetz ein Pharisäer. Der Begriff „Pharisäer“ bedeutet „Abgesonderte“. Ursprünglich hatten die Pharisäer viel mit heutigen Evangelikalen gemein. Sie waren sozusagen die Freikirchler ihrer Zeit. Während der politischen Verfolgung unter Antiochus Epiphanes stand eine Gruppe religiöser, positiver Menschen auf und sagte: „Wir machen da nicht mit.“ Antiochus Epiphanes, stark griechisch geprägt, versuchte alles Jüdische auszurotten. Er schändete den Tempel, verbot Sabbat, Beschneidung und Feste und löste quasi einen Bürgerkrieg aus.
In dieser Zeit gab es Menschen, die sagten: „Wir sind dagegen, wir stehen auf Gottes Seite und wollen rein bleiben, trotz all des Unreinen.“ Ein Zeusaltar wurde im Tempel aufgestellt, ein Schwein wurde geopfert. Diese Menschen weigerten sich, mitzumachen, auch wenn es ihr Leben kostete. Aus dieser Bewegung, die ursprünglich sehr positiv war, entstanden die Pharisäer.
Diese Bewegung kippte irgendwann. Aus einer Gruppe streng bibeltreuer Leute wurde eine Gruppe, die sich eine bestimmte Herangehensweise ans Gesetz erarbeitete. Mit „Gesetz“ sind hier nicht nur die Gebote des Alten Testaments gemeint – das wäre schon genug –, sondern auch zahlreiche zusätzliche Gebote, Spitzfindigkeiten und Auslegungen. Im Neuen Testament spricht Jesus oft von der „Überlieferung der Ältesten“. Das ist ein riesiges Sammelsurium von Zusatzgeboten und Vorschriften, die wahrscheinlich kein Mensch vollständig merken konnte, außer jemand hat sein Leben damit verbracht, sie zu studieren.
Wenn Paulus sagt, er sei nach dem Gesetz ein Pharisäer, bringt er damit zum Ausdruck, dass er sich damals nicht nur an das geschriebene Gesetz hielt, sondern auch an die vielen hundert mündlich überlieferten Gesetze, die oft nur Interpretationen waren. Er fühlte sich an diese Gesetze gebunden und lebte sie mit großem Eifer, was ihn zu einem Verfolger der Gemeinde machte.
Wenn wir uns Paulus vorstellen, sehen wir einen Mann, der bereit ist, für seinen Glauben den Preis zu zahlen. Er ist nicht jemand, der unschlüssig in der Ecke sitzt und sagt: „Ich weiß nicht, was ich heute machen soll.“ Er hat wirklich Vollgas gegeben. An anderer Stelle sagt er, er war an seiner Universität der Beste, ein Elitestudent, der alles gegeben und alles erreicht hat.
„Dem Eifer nach ein Verfolger der Gemeinde“ – hier ist Eifer positiv gemeint, auch wenn das Ergebnis negativ war. Eifer ist ein Kennzeichen dafür, dass jemand etwas richtig ernst meint. Radikalität hat im geistlichen Leben ihren Wert, wobei man darauf achten muss, dass es nicht Eifer ohne Erkenntnis ist.
Zwei Dinge müssen zusammenkommen: eine klare Erkenntnis dessen, was Gott will, also ein klares Verständnis des göttlichen Willens, und ein richtiger Eifer, bei dem man seine ganze Energie in die richtige Richtung lenkt. Wenn das zusammenkommt, ist es gut. Paulus hat seine ganze Kraft in die falsche Richtung investiert und wurde so zum Verfolger der Gemeinde.
Besonders in Jerusalem verfolgte er Christen. Er ließ Leute ins Gefängnis werfen, gab seine Stimme für Todesurteile ab und zwang andere, in der Synagoge öffentlich gegen den Glauben zu sprechen. Kann man sich das vorstellen? Jemand wird gläubig, und Paulus überlegt, wie er Druck auf ihn ausüben kann. So viel Druck, dass der Gläubige seinen Glauben abschwört und sich öffentlich in der Synagoge hinstellt und sagt, das war alles falsch.
Paulus dachte darüber nach: Wie stelle ich das an? Was kostet es, dich von deinem Glauben abzubringen? Muss ich dir deine Familie wegnehmen, deinen Arbeitsplatz, deine Gesundheit? Was muss ich tun? Und Paulus war bereit, all das zu tun.
Wenn man jemanden sucht, der radikal seinen Glauben gelebt hat, hier ist er. Einer, der bereit ist, über Leichen zu gehen, um zu zeigen, dass er es mit Gott ernst meint. Im Alten Testament haben wir Pinhas, der ein ähnlicher Kandidat war. Da gab es die Verführung durch die Moabiter. Ein junger Israelit verschwand mit einer Moabiterin im Zelt, und Pinhas nahm seinen Speer und ging hinterher. Ende der Durchsage.
In dieser Haltung hat Paulus gelebt.
Paulus’ Gerechtigkeit nach dem Gesetz
Da gibt es Christen, die behaupten, dass Jesus nicht Gott sei, dass Gott keinen Sohn habe und dass Jesus nicht der Messias sei. Sie sagen, das könne nicht sein. Das ist Gotteslästerung. Haben unsere Obersten ihn nicht dafür verurteilt, dass er ein Gotteslästerer sei? Dieses Urteil, das gesprochen wurde, vollstrecke ich jetzt an jedem Einzelnen, der sich traut zu sagen, er sei Christ, und mir davon bekannt wird.
Dann sagt Paulus etwas ganz Interessantes: „Der Gerechtigkeit nach, die im Gesetz ist, untadelig geworden.“ Das ist ein bemerkenswerter Satz. Für einen Pharisäer bedeutete Gerechtigkeit etwas, das man durch das Halten der Gebote erreichen konnte.
Paulus spricht hier im Blick auf diesen Weg, die Gerechtigkeit nach dem Gesetz. Wenn man die ganzen Regeln so nimmt, wie sie damals von einem typischen Pharisäer ausgelegt wurden, und sich vorstellt, wie ein Pharisäer gelehrt hätte, zu leben, dann konnte Paulus sagen: „Das habe ich gehalten.“ Im Hinblick darauf, was er damals wusste, wie man leben soll – und das war kompliziert und nicht einfach – war er untadelig.
Das heißt, er war vorbildlich. Der Begriff meint nicht unbedingt sündlos, aber zumindest so viel, dass Paulus sagt: Im Hinblick auf das, was man als gläubiger Jude und Pharisäer erreichen konnte, habe ich die höchste Stufe erreicht, die ich für die beste hielt. Ich war letztlich die Nummer eins oder gehörte zu den Besten.
Wenn jemand meint, auf das Fleisch vertrauen zu können, wenn jemand glaubt, dass seine Herkunft, sein Bezug zum Gesetz, sein Eifer für Gott oder sein Versuch, gerecht zu leben, irgendetwas bringt, dann sage ich, Paulus, dir: Ich habe noch viel, viel mehr versucht. Ich stehe viel besser da.
Aber – und das ist Vers 7 – was auch immer mir Gewinn war, wovon ich mir einen Nutzen versprach, worin ich mich irgendwie vom Rest abhob, das habe ich um Christi willen für Verlust gehalten. Das gilt mir heute gar nichts mehr.
Was Paulus damit meint, ist der Paradigmenwechsel, der in seinem Leben eingetreten ist: die neuen Werte im Leben des Apostels. Das schauen wir uns morgen an.