Einführung: Die Herausforderung erwecklicher Verkündigung
Ich habe uns gestern klargemacht, dass erweckliche Verkündigung ohne biblische Lehre wie ein Körper ohne Knochengerüst ist.
Heute wollen wir den umgekehrten Weg versuchen. Wir wollen uns bewusst machen, wie es gelingen kann, die erregenden Tatbestände aus dem Zentrum unseres christlichen Glaubens so zu verkündigen, dass niemand dabei einschläft.
Es geht darum, das Erregende und Packende nicht in die Watte der Langeweile einzuschnüren und einzupacken. Wie kann es gelingen, treue Haushalter jener Geheimnisse zu bleiben, die Propheten und Könige gern gesehen hätten und die seit Jesus erschlossen und offenbart sind?
Die zentrale Aufgabe: Rechtfertigung erwecklich predigen
Kommt zum ersten Hauptteil Römisch I Rechtfertigung, erwecklich predigen. Ich habe lange gesucht und bin jetzt endlich wieder in der Festschrift zum siebzigsten Geburtstag von Bischof Kurt Scharf auf den Abschnitt gestoßen, in dem Wilhelm Busch Essen niedergeschrieben hat, wie er dazugekommen ist, die erweckliche Predigung der Rechtfertigung als Lebensaufgabe anzusehen.
Da schreibt Wilhelm Busch: Als junger Pfarrer konnte ich mich nicht damit abfinden, dass von unseren Gottesdiensten so wenig Wirkung ausgeht. Wir haben doch eine Botschaft, die Menschen und Welt verändern kann. Da sagte ich mir, es hat Prediger gegeben, unter deren Verkündigung wirklich etwas geschehen ist. Durch Volkenings Predigt in Jöllnbeck wurde das Ravensberger Land von Grund aus verändert. Zu den Predigten des jungen Hofacker in Württemberg strömten Menschen herzu, die bisher völlig gleichgültig gewesen waren. Die Wirkungen von Ludwig Harms in der Lüneburger Heide sind noch heute festzustellen.
So sammelte ich mir aus Antiquariaten die Predigten dieser Männer. Ich geriet an den badischen Erweckungsprediger Hennhöfer, an Gottfried Daniel Krumacher, der das Wuppertal bewegt hat, an den gewaltigen schwedischen Zeugen Rosenius, an den Engländern Spörschen, an Zinzendorfs Berliner Reden. Es waren Reformierte und Lutheraner darunter, aber in einem waren sie eins: Ihre ganze Verkündigung kreiste um Römer 3, um die Rechtfertigung des Sünders.
Nun sagt Wilhelm Busch: Die Botschaft von Römer 3 ist seit der Reformation viel gepredigt worden. Aber je länger, desto mehr wurde solche Predigt unaktuell, trocken, lehrhaft. Sie versenkte die Gemeinde in Schlaf. Und nun machte ich die Entdeckung: Die Erweckungsprediger verkündigten die freie Gnade Gottes für Sünder nie so, dass Menschen in eine trübe Sicherheit gerieten. Es geschah vielmehr das Eigentümliche, dass der Mensch durch die Predigt von dem, was Gott für ihn getan hat, im Gewissen getroffen und erweckt wurde, dass er aufstand und umkehrte. So entstand lebendige Gemeinde.
Es wurde mir deutlich, dass wir vielmehr als bisher bei diesen von Gott legitimierten Predigern in die Schule gehen müssten. Ich bin gewiss, dass die evangelische Kirche steht und fällt mit ihrer Predigt, und ich bin überzeugt, dass darin die eigentliche Aufgabe unserer Verkündigung besteht: die Rechtfertigung erwecklich zu predigen.
Das gilt für das Predigen wie für die Evangelisation, für Gemeinschaftsversammlungen wie für den Hauskreis. Ein Leben lang habe ich mich darum gemüht, ich bin bis heute, bis zu diesem Tag, darin ein Schüler geblieben, die Rechtfertigung erwecklich zu predigen. Soweit Wilhelm Busch.
Also nochmal: Die Hauptaufgabe evangelischer Verkündigung besteht darin, Rechtfertigung erwecklich zu predigen. Man darf lebenslang Schüler bleiben in dieser Aufgabe. Zum Schulpensum gehört es, wie ein Schießhund aufzupassen, dass die Verkündigung der Rechtfertigung nicht trocken, verstaubt oder unaktuell wird. Und zum Schulpensum gehört es, um die Gnade zu bitten, dass über der Verkündigung nicht Menschen in trübe Sicherheit geraten, sondern im Gewissen getroffen und vom lebendigen Jesus erweckt werden.
In diesem Bereich kann ich Ihnen gar keine Ratschläge geben. Da müssen wir alle anfangen. Wir brauchen Schwestern und Brüder, wir müssen darum bitten, dass Gott uns solche Schwestern und Brüder schenkt, die in diesem Bereich mahnen und strafen können.
Persönliche Erfahrungen und Mahnungen zur Predigt
Vor vielen Jahren, als ich noch junger Pfarrer am Ulmer Münster war, hat mich eines Tages Kurt Heimbucher unter meiner Kanzel besucht. Er war ganz stolz, doch ich habe ein wenig darauf gewartet, dass er nach dem Gottesdienst sagen würde: „Rolf, das tat gut, mal wieder eine biblische Verkündigung zu hören.“
Aber nichts davon. Stattdessen fragte er: „Rolf, predigst du eigentlich dauernd so, als ob wir das Schiff unseres Glaubens schon im Hafen hätten?“ Dann tippte er unvergesslich auf seine breite Brust und sagte: „Es ist die bewahrende Gnade Gottes täglich, wenn ich nicht noch ins Zuchthaus komme.“
Das hat mir einen Schock versetzt. Predigen wir so, dass wir den Eindruck erwecken, das Schiff des Glaubens sei schon im Hafen? Oder wecken wir das Gewissen und schenken uns ein anderes Erlebnis?
Ein Widerstand kam von unten an der Kanzel des Ulmer Münsters. Unser guter Haubensack von der altpietistischen Gemeinschaft in Ulm, der schon längst in der Ewigkeit ist, war Kriminalkommissar bei der Ulmer Kriminalpolizei – also alles andere als ein säuselnder Bruder. Er konnte seine Sache scharf sagen, wenn es sein musste.
Er sagte: „Herr Schiffbuch, redet mit Jerusalem freundlich. Wenn man zu viel Stahl in der Stimme hat, kann das Gewissen verhärten und nicht geweckt werden.“
Gott schenke uns solche Schwestern und Brüder, die uns helfen, dass unser eigenes Gewissen geweckt wird. Aus welcher Sicherheit heraus sprichst du denn? Bist du mit deinem Glauben schon längst im Hafen?
Sie helfen uns, dass wir neu ins Beten geraten: „Herr, hilf uns, dass wir dein treuer Haushalter sein können und Gewissen wecken.“
Aber die Hauptaufgabe ist und bleibt die Rechtfertigung, also erwecklich predigen.
Erweckliche Verkündigung: Wecken als Kernaufgabe
Zweiter Teil
Erwecklich hat in erster Linie mit Wecken zu tun. Nun möchte ich einige Anregungen weitergeben, die mir bei vielen Besuchen von Pfarrern klar geworden sind. Ich habe ja die Visitationsaufgabe in meinem Bezirk, bin in der Prüfungskommission unserer Landeskirche tätig und erlebe auch einiges im Bereich der Gemeinschaften.
Unser Bruder von der Leitung des Brunnen Verlags hat gestern besonders freundlich einige Bücher erwähnt, die von mir herausgegeben wurden. Als das Buch auf dem Markt war, wurde Jesus gepredigt und geglaubt. Ein Bruder aus Frankfurt schrieb, er habe das Buch gelesen. Ich danke allen Verfassern für ihre Mühe, Gottes Wort ohne Abstriche und ohne Zusätze zu verkündigen.
Trotzdem muss ich gestehen, dass mich die wenigsten dieser Predigten angesprochen haben. Sie sind viel zu abstrakt und zu trocken. Dann erwähnt er die Predigt eines großen Evangelisten – es ist weder Edgar Schmidt noch ich. Diese Predigt ist so akademisch, dass ich überzeugt bin, sie wurde nicht nach einem Tonband einer gehaltenen Ansprache geschrieben, sondern am Schreibtisch entstanden. Diese Predigt gibt mir nichts, obwohl sie biblisch ist.
Also gibt es Predigten, die treu biblisch lehrhaft sein wollen, aber bei denen kein Funke überspringen kann. Erwecklich hat mit Wecken zu tun. Der Homiletiklehrer von Sankt Grisjona möge mir vergeben, wenn ich einfach einiges sage. Es sind vielleicht Erfahrungen, die nur für das Sremstal zutreffen.
Wir müssen wieder bei den Volksrednern unserer Zeit in die Schule gehen. Neulich habe ich am Rand eine Gewerkschaftsversammlung miterlebt, einen Proteststreik bei der Firma Bauknecht. Der Gewerkschaftssekretär sagte: „Wir wollen Lohnerhöhungen – nicht 1, nicht 2, nicht 3, nicht 4, auch nicht 5, auch nicht 6, auch nicht 7, nein, unter 8 tun wir es nicht.“ Er wiederholte seine Rede dreimal, bis schließlich die Versammlung im Sprechchor mitging.
Nun kann man sagen, das sei zu demagogisch simpel, aber vielleicht sind im Gegenteil unsere Ansprachen so hochgestochen, dass ein müder Mensch schon nach drei Minuten einschläft. Wir müssen so reden, dass es wirklich auch verstanden wird.
Früher waren der Bürgermeister, der Lehrer, der Prediger und der Pfarrer die einzigen in einem Dorf, die einigermaßen reden konnten. Heute ist jeder Zuhörer dermaßen anspruchsvoll, weil er erstklassige Rhetorik gewohnt ist, die im Freihaus durch den Fernseher geliefert wird.
Wenn man bloß einmal einen Rhetoriker ansieht, wie unseren deutschen Bundeskanzler Schmidt – ich wähle selten seine Partei, deshalb kann ich es erwähnen –, dann sieht man, wie exzellent er Unterschiede in der Geschwindigkeit macht: mal langsam, mal schnell, in der Höhenlage mal hoch, mal tief, mal laut, mal leise, auch in der Beherrschung des Mikrofons und vor allem in der Pause.
Beherrschen wir die Pause? Wenn Schmidt sagt: „Und da habe ich die Anfrage an die Opposition, ob sie denn wirklich begriffen hat…“ – machen Sie die Pause? Da wartet jeder, was jetzt kommt.
Das Wichtigste an erwecklicher Ansprache ist, dass wir Pausen machen können. Das sage ich im Ernst. Ich habe es bei meinem Onkel Wilhelm Busch erlebt, der immer so aufgeregt war, seit er im Ersten Weltkrieg schwer verwundet und verschüttet war.
Er hat jede evangelistische Ansprache sich selbst kaputtgemacht, indem er sagte: „Jetzt bitte ich die alte Oma da hinten, dass sie endlich hinsitzt.“ Und keiner hat die alte Oma gesehen. In dem Augenblick haben alle herumgetreten und nach der Oma geguckt.
Dann bekam er 1961 seinen Herzinfarkt und musste nach ärztlicher Verordnung täglich nicht mehr als eine Ansprache halten. Der Arzt sagte: „Täglich einen Schuss nicht mehr.“ Er bekam Beruhigungsmittel. Seine Evangelisation war danach anders: nicht mehr aufgeregt, nicht mehr verhetzt, sondern kam aus großer Ruhe, mit Pausen, in denen der Mensch nachdenken kann – ein Wilhelm Busch, der nicht mehr geschrien hat, sondern seelsorgerlich geredet hat.
Also sollten wir bei großen Rhetorikern in die Schule gehen, sonst sind wir in der Gefahr, dass uns schon unsere zweijährigen Kinder nachmachen. Es hat mich besorgt gemacht. Zuerst haben wir darüber gelacht, wie mein Sohn, gerade zwei Jahre alt, nachgemacht hat, wie ich immer wieder sagte: „Der Herr Jesus“, mit so ein bisschen, der Herr Jesus – er hat so ganz vergnügt vor sich hingesagt: „Der Herr Jesus! Halt, aufpassen!“
Habe ich meine Sprache noch in Kontrolle? Wie ist es mit unserem Wortschatz? Die Sprache ist doch in Bewegung, die Spiegelsprache.
Helmut Kohl – Punkt. Ein anderer Helmut – Punkt, nicht der gelackte Löwe aus Sambord – Punkt, schon längst passé. Lesen Sie die Neue Zürcher Zeitung, die Frankfurter Allgemeine, die großen Zeitungen, den Rheinischen Merkur. Wie heute die Sprache darin besteht, in anschaulichen Bildern zu sprechen und doch gegen jede Aussage sofort die Kontrastaussage zu setzen: „Das habe ich gemeint und jenes nicht.“ Denn die Journalisten merken, der Mensch ist so dumm, dass man eigentlich sofort den Gegensatz dazusetzen muss.
Helmut Thielicke und Helmut Lamperter, zwei große Verkündiger, haben dauernd bei sich so eine Art Vokabelheftchen. Wenn sie in der Zeitung oder in einer Rundfunksendung eine gelungene Formulierung sehen, schreiben sie das ein und lesen es immer wieder durch, wie ein Fremdsprachenstudent, der seine Vokabeln paukt, damit nicht immer der gleiche Wortschatz bei uns ist, den alle schon kennen.
Aber es geht um mehr als um Sprache. Erleben wir noch die Wirklichkeit Gottes in unseren Tagen, so dass wir davon berichten können?
Der Neukirchener Kalender beschwört seine Mitarbeiter, dass sie doch wie in früheren Jahren dafür sorgen möchten, dass die Rückseite des Kalenderblatts eine Erfahrung aus dem eigenen Leben bringt, die das, was auf der Vorderseite in Auslegung steht, lebendig macht.
Der Direktor und der Verlagsleiter sind entsetzt, weil Jahr um Jahr immer weniger praktische Rückseiten kommen. Wenn auf der Rückseite steht: „Dietrich Bonhoeffer sagte im Gefängnis“ oder „Martin Luther sagt“, und dann kommen wieder Gedanken – erleben wir überhaupt noch Gott heute? Wird unsere Wirklichkeit für das Handeln Gottes durchscheinen?
Der Herr Jesus hat die Blumen auf dem Felde gesehen, Fischer, die ihr Netz auslesen, und hat gesagt: „So ist im Reich Gottes.“ Das wird für uns Wirklichkeit, durchscheinend für Vorgänge des Reiches Gottes.
Wir brauchen ja nicht die ganze Seelsorge immer auszuplaudern, aber was hat es bedeutet in jener großen Predigt von Johannes Busch? Posaunentag 1956 war es wohl noch, 1955 in Frankfurt. „Adam, wo bist du?“ Da sitzt in der Nacht vor mir ein Mann, dessen Junge weggelaufen ist. Da sagt der Mann gebrochen unter Tränen: „Und da rufe ich nun in die Nacht hinein: Junge, wo bist du?“
Wir reden nicht zu menschlich von unserem Gott, wenn wir wissen, dass auch unser Gott in dieses Frankfurt, in diese Bundesrepublik hineinruft: „Mein Mädel, mein Junge, wo bist du?“
Das ist einer der ganz packenden Augenblicke. Das können Sie heute noch auf der Platte hören, es geht Ihnen durch und durch. Weil einer ein Erlebnis, das er in der Seelsorge gehabt hat, nicht billig ausgeplaudert hat, sondern da haben Menschen gemerkt: „Der versteht uns.“
Mit unseren Problemen, mit unseren Kindern können wir durch Beispiele aus dem Leben signalisieren, dass Menschen merken: „Der kennt uns, der versteht uns.“
Wir brauchen nicht, wie es heute die Not ist, wenn wir die Bibel an den Menschen von heute heranbringen wollen, eine Liturgie zu entwickeln, wie sie heute im deutschen Sprachraum fast überall da ist, in jeder Rundfunkpredigt. Dass die ersten zehn Minuten der Verkündigung bestritten werden mit allen Problemen der Welt, von El Salvador bis Somalia, von der Bevölkerungsexplosion bis zur Bildungsmisere, um deutlich zu machen: Wir bringen zwar die Bibel, aber wir kennen auch die Welt von heute.
Was soll das eigentlich nützen? Im Normalfall bis zu Rundfunkansprachen ist es ja ohnehin nicht mehr als Schlagzeilenwissen auch bei uns.
Das Hemd, das wir uns hier anziehen, ist sehr durchscheinend und berichtet nicht bloß von großer Bildung und Belesenheit, sondern dass wir das tun, was andere auch tun. Und dann haben wir denn die Kraft, die Probleme zu lösen?
Bei so einer Einleitung saß einmal mein Freund Helmut Lamperter neben mir und stöhnte: „Wer die Schippe zu voll nimmt, kriegt sie nicht mehr hoch.“ Kann ich denn nachher mit der Textaussage, mit den 15 Minuten, eine Antwort geben auf all die Probleme?
Da kommen dann die tollen Purzelbäume und die Glaubensaussagen: „Und wenn unsere Welt noch so durcheinander ist, aber unser Herr ist noch größer.“ Ja, ja, aber der in El Salvador und Somalia würde gern wissen, wie es weitergeht, wie der Herr größer ist.
Wir dürfen uns dann schon ein bisschen mehr hineinknien in die Probleme, wenn sie uns wirklich wichtig sind. Also nicht diese billige Tuch.
Ich glaube auch, dass bis heute der moderne Mensch viel mehr von seinem schmerzenden Hüftgelenk umgetrieben ist als von den Problemen der Dritten Welt.
Der Apostel Paulus weiß, warum er wieder die Herrlichkeit der Wiederkunft Jesu im Philipperbrief beschreibt. Er sagt, wir warten auf unseren Herrn Jesus Christus. Nicht weiter, wer die Welt verändern wird, eine Welt voll Gerechtigkeit bringen wird, sondern unseren nichtigen Leib verklären wird. Da wird es konkret, persönlich.
Das heißt nicht, dass wir die Probleme der Welt aussparen sollen, aber den Gott bezeugen sollen, der die Welt von Afghanistan bis Zypern, von A bis Z, so lieb hat, dass er ihr den Sohn gibt. Da wird es aktuell, dass unser Gott in die größte Not dieser Welt hinein das Entscheidende tut.
Aber es wird höchste Zeit, dass wir von diesen homiletischen Anregungen, die uns helfen sollen, besser wecken zu können, zum eigentlichen Thema kommen: Um Rechtfertigung, um das Heil Gottes geht es.
Komprimierte Lehre am Beispiel Römer 3,21
Römer 3,21 ist eine Stelle komprimierter biblischer Lehre. Jedes Mal, wenn eine neue Bibelübersetzung erscheint, schlage ich zur Überprüfung diese Stelle auf. Hier zeigt sich eindeutig, ob es jemand mit vielen Worten schafft, weniger auszudrücken als im Luthertext, oder ob es gelungen ist, mit neuer Sprache das Weiterzugeben, was im Luthertext steht.
Wir wollen deshalb, bevor wir zum dritten Teil übergehen, einige Überlegungen zu Römer 3,21 und den folgenden Versen anstellen und den Text noch einmal hören:
„Nun ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, geoffenbart. Sie ist bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die da glauben.
Denn es ist hier kein Unterschied. Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
Den hat Gott für den Glauben hingestellt in seinem Blut als Sühnopfer, damit Gott erweise seine Gerechtigkeit. Denn er hat die Sünden vergangener Zeiten getragen in göttlicher Geduld, um nun zu diesen Zeiten seine Gerechtigkeit zu erweisen, auf dass er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesus.“
Dürfen wir euch, liebe Brüder, noch einmal mit einem Lied hören? Das wäre jetzt schön.
Ludwig Hofacker: Ein Zeuge der erwecklichen Rechtfertigungspredigt
Nun also zu diesem Abschnitt Römer 3,21: Erwägungen und Überlegungen zu Römer 3,21.
Zuerst wollen wir auf einen der großen Zeugen hören, den auch Wilhelm Busch angeführt hat: Ludwig Hofacker, den württembergischen Erweckungsprediger. Er wurde gerade dreißig Jahre alt, bevor er nach ganz schwerer Krankheit starb. Er hat seinen Freunden geschrieben: „Das ist meine Hauptpredigt.“
„Ich predige das Lamm, das geschlachtet ist. Das zieht die Geister. Es ist schade um die vielen Worte, die man auf den Kanzeln macht, die nicht auf ihn gehen. Werdet doch Evangelisten und keine Moses! Da haben Sie das ganze Problem der Evangelisation.“
Warum weichen wir so gerne aus in ethische Themen? Ehefragen, Fragen der Wahrheit, Umgang mit der Welt, Verantwortung für die Welt? Werdet doch keine Moses, keine neuen Gesetzeslehrer! Die Welt ist voll mit Philosophen und Pädagogen, die sagen: Bisher ist alles falsch gemacht worden. Der Mensch hat zweitausend Jahre falsch gesessen, er hat falsch geschlafen, falsch die Freizeit eingeteilt, er hat falsch gespart, er hat falsch gegessen – und alle sagen: Hurra, gut! Dann gehen wir ins Reformhaus und essen bloß noch Birkermüsli, jawohl!
Wir lassen uns doch jagen von all denen, die sagen: Es stimmt bisher nicht, aber jetzt kommt die große Lösung. Und was ist mit denen, die ihr Leben nicht mehr ändern können? Ihren Lebensstil nicht mehr ändern können, die nicht mehr anfangen können mit Trim nicht, weil sie den zweiten Herzinfarkt hinter sich haben? Was ist mit denen, die ihre Frau verloren haben und hinterher merken, dass sie ihrem Ehegefährten nicht gerecht geworden sind? Deren Kinder groß sind und sie stehen vor den Scherben der Erziehung? Die können nicht mehr in die Erziehungsberatung, es ist zu spät. Haben wir eine Botschaft für die?
Werdet doch keine Moses, sondern Evangelisten, die das Evangelium von der Vergebung der Schuld weitergeben. Jesus Christus, unsere Zuversicht und Stärke, auch für die, die alles falsch gemacht haben – von der Kindererziehung über Ehe, über Beruf, über Politik.
Praktische Verkündigung des geschlachteten Lammes
Und nun ein praktisches Beispiel, wie er das geschlachtete Lamm gepredigt hat, sodass es aufgeklärte Menschen des letzten Jahrhunderts anzog.
Sieh deinen Bürgen in Gethsemane, wie er den ganzen Zorn, der auf die geschmähte Majestät Gottes lastet, auf seinen heiligen Rücken nimmt. Siehe, wie er sich als dein Bürge im Staub vor dem Angesicht des Vaters krümmen muss. Wie er sich auf seinen Knien für deine Schuld mühen muss. Und siehe, da hängt er am Kreuz in brennenden Schmerzen, blutend, von Gott und Menschen verlassen, verschmachtend, sterbend. Das ist die Bezahlung für deine Schuld. Und diese Bezahlung soll dir ewig zugutekommen.
Ich rufe, ich schreie, ich posaune es aus: Ihr Knechte des Verderbens, ihr großen Schuldner, ihr jungen Schuldner, ihr alten Schuldner, ihr bankrotten Leute, ihr armen Leute, kommt, kommt, bekennt eure Missetat! Hier ist der Herr, der euch alle Schulden nachlässt. Hier ist ein Meer von Liebe und Erbarmung. Wer wagt es, in dieses Meer hineinzuspringen? Wer ist so keck? Oh, kehre dich wieder, du abtrünniges Israel, spricht der Herr, denn ich bin barmherzig und will nicht ewiglich zürnen.
Wenn Sie das im Ohr haben, werden Sie merken, dass Wilhelm Busch wirklich hier in die Schule gegangen ist. In früheren Jahren hat er, wenn er ums Kreuz Jesu ging, von Arnold Winkelried erzählt – das freut die Schweizer besonders –, der die Speere auf seine Brust zog. Je älter er wurde, desto mehr sagte Wilhelm Busch nur noch: „Und nun nehme ich dich mit auf den Hügel Golgatha. Da hängt dieser Jesus, schmachtend, leidend für dich. Da ist dein Heilgeschehen!“ So, wie er es bei Hofacker gelernt hat und wie er es beim Apostel Paulus hätte lernen können.
Wenn wir Jesus, den Gekreuzigten, predigen, dann machen wir etwas ohne Netz. Dann hilft uns kein Intellekt mehr und keine Rhetorik. Wir tun rhetorisch gesehen etwas total Unvernünftiges. Wir bieten bloß ein paar Splitter an und wissen: Nur du, lebendiger Gott im Heiligen Geist, kannst daraus eine Brücke zu den Menschen bauen. Ich bin ganz auf dich angewiesen.
Ich kann alles andere predigen, die ganze Ethik, und brauche den Heiligen Geist dafür nicht. Das kann dem normalen Menschen einleuchten. Beim Kreuz Jesu vernimmt der normale Mensch jedoch nichts. Deshalb hat sie auch ein Hofhager bei Paulus gelernt, der den Galatern sagt: „Es war doch euch Christus vor Augen gemalt, als ob er unter euch gekreuzigt wäre“ (Galater 3,1). Kreuzespredigt kann vielleicht gar nicht viele rhetorische Kniffe anwenden. Sie muss das ernst nehmen, denn jetzt muss der Heilige Geist das Entscheidende tun.
Aber Hofhager konnte auch anders reden, scharf – wie man es von einem Prediger der Liebe Jesu gar nicht erwartet.
Die Bedeutung des Glaubens an Christus
Wenn es nach den falschen Propheten unserer Tage ginge, dann wäre es vollkommen nebensächlich, was man von Jesus hält.
Wenn es wahr wäre, was sie sagen – dass der Mensch ohne einen Mittler zu Gott kommen kann, dass er aus eigener Kraft tugendhaft sein kann, dass es keine Erbsünde und keinen Sündenfall gibt –, dann, liebe Zuhörer, wäre es die gleichgültigste Frage der Welt, was von Christus zu halten ist. Christus wäre der gleichgültigste Mann der Welt.
Wenn all das wahr wäre, was die falschen Propheten behaupten, dann könnte man sagen, was schon viele gesagt haben: Glaubt, was immer ihr wollt, aber lebt so, dass ihr es verantworten könnt. Doch das wäre weit gefehlt.
Da würde ich euch große, unverantwortliche, seelenmörderische Lügen predigen. Da würde ich mich und euch in die höllische Verdammnis führen. Ich würde euch und mich in das allerschwerste, unerträgliche Gericht Gottes hineinführen. Denn das ist nun einmal der Wille Gottes, desjenigen, durch den er die Welt gemacht hat – Jesus, der Große.
Wie der Hersteller der gefallenen Welt sein soll, so ist es der Wille des Vaters, dass der Sohn das Oberhaupt sei über alles im Himmel und auf Erden. Man soll den Sohn ehren, wie man den Vater ehrt. Und wer nicht glaubt an den Sohn Gottes, über dem bleibt der Zorn Gottes.
Wer sich nun dieser göttlichen Ordnung widersetzt, wer sich ihr nicht fügt, wer meint, er sei zu klug dazu, wer glaubt, mit seinem Verstand über das hinausgewachsen zu sein, wer dem Heil am Sohn nicht die Ehre gibt, die ihm gebührt, und sich nicht als armer Sünder unter den beugt, der gekommen ist, Sünder selig zu machen –
wer seine Seligkeit, alle Gnade, alles göttliche Leben, alle Vergebung der Sünden und alles, was eine unsterbliche Seele braucht, nicht vom Sohn holen will, sondern andere Wege und Künste sucht – der wird verdammt werden.
Das heißt: Er hat keine Gnade, keine Barmherzigkeit zu hoffen. Alles, was er sich von der Barmherzigkeit Gottes vorstellt, ist eitler Wahn und Traum. Er hat nichts anderes zu erwarten, als dass er von Gott, dem Richter, der ewigen Finsternis zugewiesen wird.
Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.
Liebe Zuhörer, Christus ist der allerunentbehrlichste Mann für einen Sünder. Er ist unentbehrlicher als tägliches Brot, unentbehrlicher als Kleider.
Ach, was brauche ich solche Gleichnisse? Wer nicht sterben, sondern ewig leben will, muss Jesus haben. Ohne ihn ist dieses Leben ein elender, schwerer Traum. Ohne ihn bleibt das arme Herz unbefriedigt und unselig. Ohne ihn ist der Tod erst wirklich ein Tod, und die Ewigkeit Schrecken und Finsternis.
Ach, was sind wir ohne Jesus? Ja, elender als Elend, jämmerlicher als jämmerlich, bloser als bloß. So elend und jämmerlich, dass der ganze Himmel über unser Elend weinen möchte.
Lieber wäre ich ein Pferd, das man in seinem Karren zu Tode schindet, lieber ein Stier, den man mästet für den Schlachttag, als ein Mensch, der keinen Heiland hat.
Schon einmal – was für eine Sprache, was für ein Wortschatz, mal äußerlich gesprochen. Was für eine Überzeugung! Ohne großes Wenn und Aber, ohne Tagesaktualität.
Ich bin überzeugt: Auch heute merken Menschen, da ist meine Sache dran. Was für ein Bild von Gott ich mir mache, ob ich ewig lebe oder nicht, was meine Vorstellungen über den Tod sind – und doch nicht bloß mit dem Schrecken geschafft, sondern Gewissen geweckt durch das, was mir Gott im Heiland gegeben hat.
Willst du denn ohne ihn leben? Du bist doch jämmerlich als jämmerlich, ärmer als arm, wenn du ihn nicht hast.
Soweit Hofacker.
Eigene Überlegungen zur erwecklichen Verkündigung
Als Schüler, der ich bin und dem diese Hausaufgabe gestellt wurde, nachdem Wilhelm Pustas mir schon als junger Student geraten hat, immer wieder an diesem Abschnitt dranzubleiben, möchte ich nun meine heutige Sichtweise darlegen. Ich habe oft nach menschlichem Ermessen versagt, doch ich möchte vorstellen, wie wir diese Botschaft in unseren Gemeinschaften erwecklich weitergeben könnten – sei es in Ansprachen oder in Briefen an Patenkinder. Briefseelsorge ist sehr wichtig. Es reicht nicht, nur „Alles Gute“ zu schreiben. Man muss auch einmal inhaltlich schreiben.
Dora Rappert hat über Briefseelsorge geschrieben, und Martin Luther, der Evangelist, der erweckliche Predigten halten wollte, hat Wilhelm Busch immer gesagt, dass man am Anfang etwas sagen muss, womit der Hörer zustimmen kann. Die barth’sche Theologie mag richtig sein, aber von Anfang an einen Zuhörer vor den Kopf zu stoßen, hat keinen Sinn, wenn man als Erweckungsprediger wirken will. Ich möchte, dass der Zuhörer einmal sagt: „Jawohl, das sehe ich so ähnlich.“
Natürlich besteht die Versuchung, sich durch Scherzchen oder politische Stellungnahmen ins Herz des Zuhörers einzuschleichen. Doch es ist wichtig, etwas zu finden, worauf der Zuhörer heute, im Jahr 1981, sagen kann: „Ja, das ist dran.“ Ich glaube, dass Gott uns hilft, denn die Frage der Gerechtigkeit ist nach wie vor aktuell.
Wir wurden bereits in der Andacht darauf hingewiesen: Krimis lese ich zwar nicht wie Adenauer, der viele Krimis las, aber ich sehe manchmal fern und bin überrascht, wie oft ähnlich wie in den Filmen der 50er und 60er Jahre Gerichtsszenen auftauchen. Das liegt daran, dass die Filmproduzenten damit verhältnismäßig billig arbeiten können. Sie brauchen keine Außenaufnahmen, haben immer denselben Raum und müssen nur Ankläger, Staatsanwalt und Verteidiger auftreten lassen. Es ist eine relativ günstige Sache, aber sie würden sie nicht zeigen, wenn das Thema nicht hochaktuell wäre.
Der Richter und der Mensch, der vor dem Gerichtstisch steht, kommen entweder als Verbrecher heraus, wodurch sie für ihr Fehlverhalten bestraft werden, oder als Unschuldige, die ihre Unschuld beweisen können, oder es kommt zu einem Justizirrtum. Das ist eine ungeheuer erregende Frage. Ähnlich wie wenn wir einen hohlen Zahn haben, kreist unsere Zunge ständig daran herum, bis wir uns entschließen, zum Arzt zu gehen. Das zeigt, dass die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes und der Gerechtigkeit vor Menschen in der modernen Welt eine brennende Frage ist.
Der Mensch beschäftigt sich unbewusst mit der Frage der Gerechtigkeit. Wenn wir heute sagen: „Gibt es denn noch Gerechtigkeit vor Gott und Menschen?“, ist das ein Thema, zu dem wir etwas beitragen können. Viele Menschen stellen sich Gott als einen würdigen Senatsgerichtspräsidenten vor, wie er in der deutschen Fernsehserie in Hamburg dargestellt wurde – ein ehrenwerter, unbestechlicher Mann, der sich die Argumente anhört und dann sein Urteil fällt.
So stellen sich viele Menschen Gott vor. Kant hat es in seiner Kritik der praktischen Vernunft auf den Punkt gebracht: Es muss eine Instanz geben, wo wir zeigen können, dass wir etwas geschafft haben. Der normale Mensch ist hin- und hergerissen. Einerseits weiß er, dass nicht alles in seinem Leben stimmt. Wir sind keine Engel – das können heute Millionen bezeugen, die das zugeben. Engel sind wir nicht.
Andererseits sagt er sich: „It could be worse – es könnte schlimmer sein. Es gibt Leute, die im Gefängnis sitzen. Ich habe es geschafft. Ich habe für meine Kinder gesorgt, auch wenn sie nicht richtig eingeschlagen sind. Ich habe ihnen Geld gegeben, sie zur Schule geschickt. Meine Frau kann auch nicht klagen; sie durfte sogar mal allein in Urlaub fahren.“ Der normale Mensch ist überzeugt: Wenn ich nicht in den Himmel komme, wer dann?
Er steht vor dem Gericht Gottes. Auch wenn er angeklagt wird und böse Menschen etwas Schlechtes über ihn sagen, bittet er: „Lieber Gott, denk doch an dies und das. Das darfst du nicht übersehen. Das muss doch zu einigen Pluspunkten führen, mindestens zu einem befriedigenden Urteil, oder?“ Diese Vorstellung von Gott begegnet man oft in seelsorgerlichen Gesprächen.
Auf der anderen Seite sieht der Mensch über seine eigenen Fehler hinweg – oder sagt, die anderen tun es auch. Er hält sich für ganz gut bürgerlich. Er ist daran interessiert, dass extreme Bosheiten gesühnt werden. Wenn 99 % der Bevölkerung gegen die Todesstrafe sind, erlebt man in Friseurgesprächen, wie schnell die Meinung umschlägt, wenn ein Kind ermordet wurde: „Rübe ab, den sollte man nicht leben lassen. Das darf doch nicht einfach so laufen. Der wird auf Staatskosten noch 25 Jahre verhalten.“
Als vor etwa einem Jahr in Franken entdeckt wurde, dass ein Oberbürgermeister, der in Würthen lebte, entscheidend an der Judendeportation in Frankreich beteiligt war, konnte man die Sache nicht mehr gerichtlich verfolgen, weil sie verjährt war. Ein Sturm der Entrüstung ging durchs Volk. „Das darf doch nicht wahr sein! Man darf so etwas nicht einfach laufen lassen. Der kann doch nicht in Ehren und Würden in seinem Bungalow wohnen bleiben, wenn er schuldig am Tod von Hunderttausenden von Juden ist. Da muss etwas passieren!“
Diese Frage wird nicht nur den menschlichen Obrigkeiten vorgelegt: „Tut ihr denn etwas?“ Selbst wenn Menschen nicht an Gott glauben, begegnen sie uns, die wir mit Gott rechnen, und fragen: „Was tut denn euer Gott? Ist er auf seinem Gerichtsstuhl eingeschlafen? Was tut er angesichts Hunger, Unterdrückung, Revolution, Krieg, Kriegsangst und dem Triumph der Bosheit?“
Man kann von unserem schönen, lieblichen Remstal sagen, dass der Teufel in den engsten Verhältnissen einer Stadt steckt – im Stadtrat. Es gibt kein Vertrauen mehr zur Polizei, zum Bürgermeister oder zur Verwaltung. Alles wird gegenseitig schlechtgemacht. Die Opposition ist nichts, die Regierung ist nichts, die Verwaltung ist nichts. Es ist wie ein Fieber, das umgeht.
„Lieber Gott, wo bist du? Lässt du die Welt so laufen? Lässt du die Schurken laufen?“ Wir könnten all das in einer evangelistischen Ansprache aufnehmen, ohne viel über El Salvador oder Krebsangst zu sprechen – ganz nah an dem, was uns und viele Menschen bewegt: Wo ist Gott? Wo ist die Gerechtigkeit?
Nun dürfen wir sagen: Wir sind froh, dass wir die Bibel haben. Wir sollten viel öfter mit der Bibel kommen, nicht nur als rhetorischen Kniff, wie es manche Evangelisten gemacht haben. Ich halte es für gut, dass Billy Graham das eingebracht hat und Ulrich Parzany mitgenommen hat, dass wir immer wieder auf die Bibel hinweisen und sie auch wirklich bringen.
Wir können sagen: Liebe Leute, es könnte sein, dass wir alle in Sachen Gerechtigkeit einen blinden Fleck haben. Ich schlage Ihnen ein Beispiel vor, von dem ich nicht ganz überzeugt bin, weil es mir noch zu harmlos für den Ernst der Sache erscheint. Aber ich bin auf kein besseres gekommen und kann nur meine Armseligkeiten weitergeben.
Mein ältester Sohn, heute 21 Jahre alt, ist rot-grün-blind. Das haben wir erst bemerkt, als er relativ alt war, mit acht Jahren. Wir waren im Urlaub am Milstädter See und sahen ein herrliches Feld mit Walderdbeeren. Die anderen Kinder hatten bald halb ihre Becher voll, er aber noch keine einzige Beere. Unsere Cornelia sagte: „Erdmann, siehst du uns die Beeren nicht?“ Er antwortete: „Was ist da?“ Er sah nur Grün in Grün. Sein Auge reagiert nicht auf das leuchtende Rot.
Es gibt viele Menschen mit dieser Art von Farbenblindheit. Deshalb sind Ampeln so angeordnet, dass Grün unten ist und Gelb in der Mitte, damit selbst Rot-Grün-Blinde wissen, wann welche Farbe leuchtet. Wahrscheinlich gibt es in jeder Verwandtschaft oder im Betrieb jemanden, der davon betroffen ist. Jeder muss zugeben, dass es dieses Phänomen gibt.
Wir können also gut sagen, dass Gott uns gesagt hat, dass wir in Sachen Gottes und Gerechtigkeit einen blinden Fleck haben. Wir sehen nur, was Menschen tun. Wir sehen nur eine Farbe in Sachen Gerechtigkeit: was Menschen tun, was ich anständig für meine Kinder mache, wie ich meinen Beruf ausübe, wie ich mich für die Öffentlichkeit einsetze. Ich sehe die Untaten der anderen, wie sie sich benehmen, wie meine Nachbarn mir das Leben schwer machen und wie schön alles wäre, wenn es die Russen nicht gäbe.
Ich sehe in Sachen Gerechtigkeit nur Menschen und frage am Ende: Wo ist Gott? Die Bibel sagt mir, Gott ist in Sachen Gerechtigkeit längst unterwegs. Du darfst ihn nicht nur hinter dem Richtertisch suchen und auf den Stuhl bannen. Wenn wir gerecht sind, bedeutet das, dass wir oft für das Rote Kreuz spenden, dass wir einem Heimatlosen ein Nachtlager und einen Imbiss geben.
Unsere Gerechtigkeit heißt, dass wir unserer Frau gerecht werden, unseren Kindern, unserem Beruf, dass wir handeln, planen und zupacken. Wenn Gott gerecht ist – und das steht in der Bibel –, dann will er nicht auf dem Stuhl sitzen bleiben. Er will anpacken, zupacken und etwas tun.
Was steht hier in Römer 3? Zuerst in Vers 25: Gott hat die Sünden vergangener Zeiten getragen in göttlicher Geduld. Ich bin überzeugt, dass Sie das auch dem fernstehendsten Menschen so nahebringen können, dass er ganz dicht vor der Tür des Glaubens steht und dass Gott durch seinen Heiligen Geist das Wunder der Erweckung tun kann.
Ich muss zugeben, dass es mir unerklärlich ist, warum die Welt sich nicht längst selbst in die Luft gesprengt hat. Dass Gott unsere Welt nicht schon längst weggeworfen hat, ist mir unerklärlich. Römer 3 sagt uns, dass Gott die Welt in göttlicher Geduld trägt, wie man einen Zwanzigzentner-Blindgänger trägt – mit Vorsicht, damit der Zünder nicht losgeht.
Gott rinnt der Schweiß herunter bei dieser Arbeit. Er hält in seinen bewahrenden Händen diese tobende, vibrierende Welt. Sagen Sie dem Hörer, dass er morgen früh, wenn er die Tageszeitung liest, die Hände Gottes sehen soll, die diese Welt halten – von Teheran bis Somalia, von Südafrika bis in die USA. Gott hält diese Welt. Er tut etwas.
Der gerechte Gott – sehen wir überhaupt, was Gott tut? Die Bibel gibt noch mehr Informationen darüber, was Gott tut, wenn sie sagt, er sei gerecht und mache gerecht. Hier müssen wir den großen Zusammenhang von Römer 1 und 2 mit hineinnehmen: Der Mensch trägt seine Hauptschuld darin, dass er Gottes Gottheit nicht ernst nimmt.
„O Gott, du frommer Gott, du Brunnenquelle guter Gaben, ohne den nichts ist, was ist.“ Gott ist ein schaffender, handelnder, mächtiger Gott. Gott will für uns denken. Habe ich Zeit, seine Gedanken zu vernehmen? Gott will in mein Leben hineingreifen. Habe ich Zeit, das zuzulassen? Gott will mir zusprechen. Habe ich überhaupt die Bereitschaft, auf ihn zu hören?
Oder behandle ich Gott wie einen Hausierer? Ich weiß nicht, ob es in der Schweiz noch Hausierer gibt. Bei uns gibt es nur ab und zu solche lieben Freunde, die besonders gern an Pfarr- und Predigerhäuser kommen und dann an der Glastür mit ihren großen Taschen stehen. Man sagt: „Ach, das ist aber schön, dass Sie da sind.“ Dann schaut man, was sie haben: Handcreme, Zahnpasta, Schnürsenkel. Wir haben noch eine ganze Schublade voll. Hosengummi brauchen wir auch nicht mehr bei den neuen Hosen.
Also sagt man: „Nein, es tut mir furchtbar leid, aber ich brauche nichts. Kommen Sie das nächste Mal wieder.“ Degradieren wir Gott nicht auch oft zum Hausierer? Lieber Gott, was hast du heute anzubieten? Ach, in der Bibel lese ich Psalm 119, das kenne ich schon, das brauche ich nicht so genau zu lesen. Danke.
Heute redet man viel von Begriffen, die mit Gerechtigkeit zusammenhängen: behindertengerechte Fahrstühle, kindergerechte Schulsysteme, altersgerechte Rentenpläne, familiengerechte Wohnungen. Aber ist unser Leben gottgerecht? Ist es auf Gott ausgerichtet?
Gott sitzt nicht nur hinter seinem Tisch und wartet darauf, was du aufgebaut hast oder was du gemacht hast. Er fragt: „Meine Entschuldigung, ich bin Gott, der Fromme, die Brunnenquelle guter Gaben. Brauchst du mich eigentlich überhaupt nicht? Warum weist du mich Tag für Tag ab?“
Ich will aufzählen, wie viele Tage du mich überhaupt nicht gebraucht hast – meinen Mahnungen, meinem Trost nicht. Das wird ein Schweigen geben, wenn wir einmal zur Verantwortung vor Gott gezogen werden und er uns so fragt. Und dann ruft er: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“
Wenn wir uns nach dieser Stimme umdrehen, sehen wir noch einmal Gott, so wie in Römer 3 geschildert: Er hält mit seinen Händen, die blutbefleckt sind, Jesus, den Gekreuzigten, in seiner ganzen Todesnot. Den brauchst du, weil jedes Versagen deines Lebens gesühnt werden muss.
Man kann es nicht einfach laufen lassen. Man kann es nicht hinnehmen: deine unbarmherzigen Urteile, deine Gottesrebellion, wie du mich beleidigt hast, jedes ungute Wort, wie du deinen Kindern nicht gerecht wurdest. Das alles kann nicht einfach so bleiben. Es ist gestraft worden, und die Strafe ist auf Jesus gefallen.
Sieh ihn an, der es nicht nötig gehabt hätte. Er war der reine, vollkommene Gott. Er hält Jesus in unsere Welt hinein – bis heute. Er bietet ihn an. Schau dir ihn an, der für dich gelitten hat.
Der handelnde Gott, der diese Welt in seinen Händen trägt, der uns mit vollen Händen anbietet: „Brauchst du denn nichts?“ Und wenn wir an diesem großen, schenkenden Gott schuldig geworden sind, gibt er uns als größte Gabe Jesus, der stellvertretend für unsere Schuld gestorben ist. So erweist Gott seine Gerechtigkeit.
Er hat uns Jesus als Sühnopfer in seinem Blut vorgestellt, damit er weiß, dass er gerecht ist. Er lässt nicht alles laufen und nicht alles hinnehmen. Sünde gehört gestraft, Rebellion gegen Gott gehört gestraft, jeder unreine Gedanke gehört gestraft, jedes böse Wort, jede Selbstsucht gehört gestraft.
Und Gott straft und lässt die Strafe auf den fallen, den er uns jetzt hinhält. Für euch geschehen, so wie Jesus gesagt hat in seinem Wort: „Mein Leib für euch gebrochen, mein Blut für euch vergossen.“ Gott hält uns diesen Jesus hin und fragt: „Nimmst du dieses Urteil an?“
Ich weiß eigentlich gar nicht recht, was ich machen soll. Wir müssen aufpassen, dass wir keine Aufrufe machen, bei denen der moderne Mensch unsicher wird und sagt: „Soll ich Halleluja rufen oder nicht? Soll ich sprechen oder schweigen? Soll ich meinem Herzen folgen oder nicht?“
Wir müssten auch die Tiefe der Bibel aufnehmen, die in 1. Korinther 2 sagt: „Der normale Mensch vernimmt nichts, es ist ihm eine Torheit.“ Und da Sie deshalb sagen: „Normalerweise, vielleicht ist es Ihnen sympathisch, aber normalerweise können Sie und ich damit nichts anfangen“, stehen wir davor und sagen: „Das ist rührend, aber was soll's?“
Also darf ich noch einmal hier lesen, in diesem Abschnitt, wo es um Gerechtigkeit geht: Nun ist die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart. Unser Gott ist kein Geheimniskrämer, der irgendetwas undurchsichtig lässt. Es gehört zur Güte Gottes, wenn er mit vollen Händen gibt, dass er auch Dinge, die uns verschlossen sind, aufschließt und offen macht.
Damit rechne ich, dass er, der uns gezeigt hat, was seine Gerechtigkeit ist, nicht ein untätiger Gott ist, sondern ein Gott, der in Geduld diese Welt hält, der mit großen und freigebigen Händen austeilt, der selbst Menschen, die an diesem freigebigen Gott schuldig geworden sind, Vergebung anbietet.
Dieser Gott erschließt ihnen auch das und macht plötzlich ganz klar, dass es nur eins gibt: dass sie jetzt still die Hände falten und sagen: „Herr Jesus, zu dir will ich gehören. Du hast meine Schuld getragen, und jetzt möchte ich mit dir leben, Herr Jesus.“
Dann kann ein Leben anfangen, das in der vollen Gerechtigkeit Gottes enden wird. Gott will die gerecht machen, die sich zu Jesus halten. Er will nicht nur mit vollen Händen Trost, Gesundheit, Freude an Kindern, Urlaub und Auskommen schenken, sondern er will auch die Gerechtigkeit schenken denen, die zu Jesus gehören wollen.
„Nimmst du das Urteil an, dass du eigentlich den Tod verdient hast?“ hält uns Jesus hin. „Siehst du, dass du gestraft gehörst, und willst du gelten lassen, dass Jesus für dich gelitten hat und dass darum alles recht ist?“
Wir sollten immer bei unseren erwecklichen Aufrufen die Fragen, die wir stellen, im Gebet münden lassen. Das wollen wir auch jetzt tun:
Herr Jesus, du bist uns nachgegangen, du hast dich vom Vater in unsere Welt schicken lassen. Wir haben gar nicht gemerkt, wie oft der Vater uns seine Güte in Fülle angeboten hat. Wir sind schuldig geworden. Jesus, wir sind dankbar, dass du unsere Schuld auf dich genommen hast, und jetzt wollen wir dir in der Stille sagen, dass wir dir ganz neu gehören wollen.
Damit Gott uns segnen kann mit der Gerechtigkeit – jetzt schon und einst ewig. Herr Jesus, stoß uns nicht zurück. Lass es wahr werden: Wer zu dir kommt, den willst du nicht hinausstossen.
Herr, du hörst auch, was Einzelne dir jetzt gesagt haben. Sag du deinen Amen darauf. Amen.