Die Vorgeschichte und die Geburt Isaaks
Als Abraham nach zehn Jahren noch keinen Sohn von seiner Frau Sarah bekommen hatte, taten sie, was damals üblich war: Sarah gab Abraham ihre Magd zur Frau. Hagar gebar dann an Stelle von Sarah, man sagt auch, sie gebar in den Schoß von Sarah. Das war eine Art Leihmutterschaft.
Doch Gott wollte unbedingt, dass der versprochene Nachkomme von Sarah geboren wird, die bis dahin unfruchtbar war. Erst nach weiteren 15 Jahren, also 25 Jahre nachdem Gott Abraham einen Nachkommen versprochen hatte, bekam Sarah Isaak. Abraham war damals hundert Jahre alt. Er wurde dann ja hundertfünfundsiebzig Jahre alt, und Sarah war neunzig Jahre alt. Sie wurde hundertsebenundzwanzig Jahre alt.
Nach der Geburt Isaaks musste Hagar mit ihrem Sohn Ismael von der Sippe Abrahams wegziehen. So gingen die Jahre ins Land, und Isaak wurde erwachsen. Über seine Kindheit erfahren wir nichts. Offensichtlich geschah in den nächsten Jahren nichts, das so bedeutungsvoll war, dass es im ersten Buch Mose hätte niedergeschrieben werden müssen.
Die Erzählung macht also einen großen Zeitsprung. Leider wissen wir nicht, wie alt Isaak war. Ich habe versucht, das auszurechnen, aber man hat zu wenig Eckdaten, um das genau zu bestimmen. Wir können jedoch davon ausgehen, dass er um die dreißig Jahre alt gewesen sein muss, also noch kein kleiner Junge, wie man sich das vielleicht vorstellt.
Die Prüfung Abrahams durch Gottes Auftrag
Damals geschah etwas Dramatisches, das an Dramatik kaum zu überbieten ist. Lesen wir, was Mose berichtet:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: „Abraham!“ Und er antwortete: „Hier bin ich.“ Da sprach Gott: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebst, und geh hin in das Land Moria. Opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berg, den ich dir sagen werde.“
Ein Brandopfer bedeutete für Isaak ein Todesurteil.
Früh am Morgen stand Abraham auf, gürtete seinen Esel, nahm zwei Knechte und seinen Sohn Isaak mit sich. Er spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging an den Ort, den Gott ihm genannt hatte.
Am dritten Tag hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von Ferne. Er sprach zu seinen Knechten: „Bleibt hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen. Wenn wir angebetet haben, kommen wir wieder zu euch.“
Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Isaak aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand, und die beiden gingen miteinander.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: „Mein Vater!“ Abraham antwortete: „Hier bin ich, mein Sohn.“ Isaak fragte: „Siehe, hier ist Feuer und Holz, aber wo ist das Schaf zum Brandopfer?“
Abraham antwortete: „Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.“ So gingen die beiden miteinander weiter.
Die dramatische Opferhandlung und Gottes Eingreifen
Als sie an die Stätte kamen, die Gott ihm gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar. Er legte das Holz darauf, band seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar oben auf das Holz. Dann hob er seine Hand auf und fasste das Messer, um seinen Sohn zu schlachten.
Was für ein schreckliches Wort!
Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel zu: „Abraham, Abraham!“ Er antwortete: „Hier bin ich.“ Der Engel sprach: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts, denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und deinen einzigen Sohn nicht verschont hast um meinetwillen.“
Abraham hob seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp hängen, mit seinen Hörnern verfangen. Er ging hin, nahm den Widder und opferte ihn als Brandopfer anstelle seines Sohnes.
Abraham nannte die Stätte „Der Herr sieht“. Daher sagt man noch heute: „Auf dem Berge, da der Herr sich sehen lässt.“
Der Engel des Herrn rief Abraham abermals vom Himmel her und sprach: „Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der Herr: Weil du solches getan hast und deinen einzigen Sohn nicht verschont hast, will ich dich segnen und deine Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres. Deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen. Und durch deinen Nachkommen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast.“
So kehrte Abraham zurück zu seinen Knechten. Sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba. Abraham blieb dort selbst.
Die Herausforderung des Glaubens und Vertrauens
Wer diese Geschichte zum ersten Mal hört, dem stockt der Atem. Ist es wirklich möglich, dass der liebende Gott Abraham den Auftrag gibt, seinen Sohn zu töten und ihn dann als Opfer darzubringen?
„Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Moria. Opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berg, den ich dir sagen werde.“
Geh und opfere dein liebstes Kind, deinen einzigen Sohn.
Nun, die meisten von uns wissen, dass Isaak nicht der einzige Sohn Abrahams war. Doch Isaak – und darum geht es – war der einzige Sohn, durch den die Verheißungen Gottes in Erfüllung gehen konnten. Isaak war der Sohn der Verheißung, der Sohn des Versprechens. Wenn Gott sein Versprechen erfüllen wollte, dann brauchte er Isaak, und Abraham wusste das. Er war der einzige Sohn, auf dem das Versprechen lag, das Gott Abraham gegeben hatte. Gott hatte sich diesbezüglich festgelegt.
Das ist eine ungeheure Vorstellung: Abraham wartet fünfundzwanzig Jahre, bis er endlich den Sohn der Verheißung bekommt. Und etwa dreißig Jahre später soll er diesen Sohn töten, der noch keine Nachkommen hat. Man muss sich das einmal vor Augen führen. Die Vorstellung, das eigene Kind zu töten und auf einem Altar zu verbrennen, lässt uns erschaudern.
Die meisten von uns wagen es kaum, die Frage zu stellen, doch sie liegt uns auf der Zunge: Warum gibt Gott Abraham einen so grausamen, unmenschlichen und unerträglichen Auftrag?
Eine Antwort finden wir im Text selbst. Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham. Gott prüft Abraham. Er wollte wissen, wie stark Abraham, der für die Menschheit zum Vater des Glaubens werden wird, ihm tatsächlich vertraut.
Niemals hätte Gott zugelassen, dass Abraham seinen Sohn tötet. Wenn Abraham nicht gehorcht hätte, hätte Isaak weitergelebt. Aber Gott hätte nie zugelassen, dass Abraham seinen Sohn tötet.
Gott wollte wissen, wie stark der Glaube Abrahams war, wie groß sein Vertrauen zu ihm ist. Glaube bedeutet ja Vertrauen. Wenn wir von Glauben sprechen, meinen wir meistens Vertrauen. Vertraue ich Gott? Vertraue ich dem, was Gott sagt?
Die Bedeutung von Prüfungen im Glauben
Lesen wir die Bibel aufmerksam, stellen wir fest, dass es sowohl im Alten als auch im Neuen Testament heißt, dass Gott Menschen prüft, um zu sehen, ob sie es mit der Beziehung zu ihm ernst meinen.
In der Richterzeit ließ Gott zum Beispiel feindliche Völker in Kanaan mit der Begründung weiter dort leben, dass diese Israel durch ihre Gegenwart prüfen sollten. So sollte deutlich werden, ob die Israeliten den Geboten des Herrn gehorchten, die er ihren Vätern durch Mose gegeben hatte. Gott wollte wissen, ob die Israeliten ihm treu bleiben oder sich von ihm abwenden, sobald es schwierig wird, ihm treu zu sein.
Gott möchte wissen, ob unser Vertrauen in ihn ein theoretisches oder ein praktisches Vertrauen ist. Er will sehen, ob unser Glaube nur aus Lippenbekenntnissen besteht oder auch in Taten und Handlungen Ausdruck findet. Er will wissen, ob wir nur fromm reden oder auch fromm leben, ob wir ihm auch dann treu bleiben, wenn wir dafür auf etwas scheinbar Schönes verzichten müssen.
Gott will wissen, ob das, was wir vorgeben zu sein, auch dann sichtbar wird, wenn wir unter Druck stehen. Ein einfaches Beispiel ist die Zahnpastatube: Wenn man auf sie drückt, soll Zahnpasta herauskommen und nicht Luft. Wer sich in der Bibel gut auskennt, denkt nun vielleicht an eine Aussage im Jakobusbrief, die dem, was ich gerade gesagt habe, zu widersprechen scheint.
Jakobus schreibt, dass wenn jemand in Versuchung gerät, Böses zu tun, er nicht sagen soll, Gott führe ihn in Versuchung. Denn so wenig Gott selbst zu etwas Bösem verführt werden kann, so wenig verführt er jemanden dazu. Gott führt also nicht in Versuchung. Jakobus meint hier, dass Gott einen Menschen niemals dazu reizen würde, etwas Böses zu tun. Das macht Gott nicht.
Wenn Gott uns prüft, dann fordert er uns heraus, das Gute zu tun. Er will, dass wir uns beweisen – nicht indem er uns zur Sünde verführt, sondern indem er sehen will, ob wir bereit sind, das Gute zu tun. Er will uns herausfordern, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Im Grunde will er wissen, ob wir ihn ernsthaft lieben, nicht nur mit Worten, sondern auch mit unserem Leben.
So sagte Mose dem Volk Israel: „Der Herr, euer Gott, versucht euch, um zu erfahren, ob ihr ihn von ganzem Herzen und von ganzer Seele lieb habt“ (5. Mose 13,3). Ich bin überzeugt, dass Gott wusste, dass Abraham ihm vertrauen würde. Abraham musste diese Prüfung bestehen, damit wir in ihm ein gutes Vorbild für den rettenden Glauben haben.
Das Prinzip der Verantwortung und der Prüfung
Hier wird ein geistliches Prinzip sichtbar, das Jesus im Zusammenhang eines Gleichnisses formulierte: Wem viel gegeben wird, bei dem wird man viel suchen, und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
Dieses Prinzip zeigt, warum es immer problematisch ist, wenn wir Christen einander messen. Wir können das nicht, weil wir nie wissen, wie viel einem Menschen gegeben ist. Doch eines wissen wir: Abraham wurde sehr viel gegeben. Er hat Gottes Stimme mehrfach gehört und wusste genau, wann Gott mit ihm sprach.
Abraham musste sich nicht fragen, als er den Auftrag bekam, Isaak zu opfern: „Oh Mensch, ist das jetzt ein Hirngespinst? Drehe ich jetzt durch? Muss ich zum Psychiater? Habe ich das geträumt oder was soll das jetzt?“ Nein, er wusste, dass Gott mit ihm gesprochen hatte. Gott hatte sich ihm schon so oft offenbart, dass Abraham die Stimme Gottes kannte. Deshalb war ihm sehr viel gegeben, und deshalb wurde von ihm auch mehr erwartet.
Gott wusste auch, wie weit er mit Abraham gehen konnte. Auch das ist ein geistliches Prinzip, das Paulus gegenüber den Korinthern äußert – und das galt auch für Abraham. Es gilt bis heute für uns: Gott ist treu. Er wird euch auch in Zukunft keine Prüfung auferlegen, die eure Kraft übersteigt. Wenn er euren Glauben auf die Probe stellt – und das tut er –, wird er euch auch einen Weg zeigen, auf dem ihr die Probe bestehen könnt.
Mit anderen Worten: Wenn Gott von dir etwas erwartet und du dich überfordert fühlst, dann tu es trotzdem. Du wirst es schaffen. Gott erwartet nichts von dir, das du nicht bewältigen könntest.
Natürlich müssen wir noch klären, was Gott von uns erwartet. Wir müssen uns Gedanken machen: Ist das wirklich das, was ich tun soll? Ist das, was ich meine, tun zu müssen, tatsächlich der Wille Gottes? Oder sind es Erwartungen von der Gemeinde, von Freunden oder von der Familie? Sind das wirklich Gottes Erwartungen?
Wenn wir merken, dass Gott uns prüft, wird er uns auch die Kraft geben, das Richtige zu tun und die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Die nüchterne Erzählweise und Abrahams Gehorsam
Leider berichtet uns Mose nichts über die Gedanken und Gefühle Abrahams, als Gott ihm diesen Auftrag gab. Es wäre sehr interessant, etwas darüber zu erfahren. Zum Beispiel, wie Abraham wohl die Nacht vor seinem Aufbruch verbracht hat. Hat er gut geschlafen oder lag er wach? Wir wissen es nicht.
Es ist eigentlich verblüffend, wenn man diese Geschichte liest, wie nüchtern sie erzählt wird – fast emotionslos. Die Emotionen entstehen nur in uns, wenn wir uns vorstellen, was Abraham gerade tun muss. Doch die Erzählung selbst ist schlicht und praktisch, ohne große Gefühlsausbrüche.
Die Reaktion Abrams muss man einfach erstaunlich nennen. Früh am Morgen stand er auf, gürtete seinen Esel, nahm zwei Knechte und seinen Sohn Isaak mit, spaltete Holz für das Brandopfer und machte sich auf den Weg zu dem Ort, den Gott ihm genannt hatte. Voilà, er hat es einfach getan.
Wie selbstverständlich tat er, was Gott von ihm verlangte – ohne Widerrede. Ganz anders als Mose, der Gott eine klare Abfuhr erteilte, als dieser ihn nach Ägypten schicken wollte. Mose antwortete, nachdem Gott ihm genau erklärt hatte, wie er ihm helfen würde: Er würde aus dem Stab eine Schlange machen und wieder zurückverwandeln. Wenn Mose seine Hand in seinen Mantel steckte, würde sie mit Aussatz herauskommen und beim Zurückstecken wieder gesund werden. Gott gab ihm sogar Wunder mit auf den Weg.
Doch Mose sagte: „Nimm es mir nicht übel, Herr, aber schick keinen anderen. Lass mich jetzt in Ruhe, ich will einfach nicht.“ Damit machte Mose Gott außerordentlich zornig.
Abraham rebellierte nicht. Er ist der Vater des Glaubens. Er tat, was Gott von ihm verlangte.
Die Reise nach Moria und Abrahams Überzeugung
Die Reise von Beerscheba nach Moria dauerte drei Tage. Dabei mussten ungefähr 85 Kilometer zurückgelegt werden. Moria befindet sich in Jerusalem, später komme ich noch darauf zurück. Beerscheba war eigentlich der Wohnort Abrahams.
Am Ziel angekommen, sagt Abraham zu seinen beiden Knechten, die er mitgenommen hatte: „Bleibt hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.“
Fällt Ihnen etwas an dem, was Abraham sagt, auf? „Wir werden wiederkommen, wir!“ Er war überzeugt, dass er mit Isaak zurückkehren würde. Offenbar konnte er sich nicht vorstellen, dass Gott nicht irgendwie eingreifen würde. Wie Gott das machen würde, wusste er nicht. Aber er war sich sicher, dass er mit Isaak zurückkehren würde.
Auf dem Weg zur Opferstelle fragte Isaak, wo eigentlich das Opfertier sei. Abraham antwortete: „Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.“ Das war dann aber nicht so. Abraham baute den Altar und legte Holz darauf. Weit und breit war kein Opfertier zu sehen, und es gab keine neuen Anweisungen Gottes.
Er fesselte also Isaak und legte ihn auf das Holz auf dem Altar.
Die stille Tragödie und Gottes Eingreifen
Was dachte wohl Isaak? Plötzlich nimmt ihn sein Vater, fesselt ihn und legt ihn auf das Holz. Isaak musste also genau wissen, was jetzt passieren würde. Er kannte die Opferrituale.
Gerne würde ich wissen, was die beiden miteinander geredet haben. Irgendwann musste Abraham seinem Sohn gesagt haben: „Du, es tut mir leid, aber ich muss dich opfern. Du bist dieses Tier, eigentlich das Opfer, der Opfergegenstand.“
Es war nur möglich, dieses Opfer darzubringen, wenn Isaak damit einverstanden war. Denn es wäre für ihn leicht gewesen, seinem alten Vater zu entfliehen und sich zu verstecken. So musste er bestimmt einwilligen.
Nun ergriff Abraham das Messer, mit dem er seinen Sohn töten wollte, bevor er ihn auf das Holz legte, bevor er das Holz in Brand setzte. Muss man sich das mal vorstellen! Er packt das Messer, hat es schon in der Hand und weiß jetzt: Jetzt wird es so weit sein. Und jetzt, endlich, später.
Man könnte gar nicht eingreifen. Doch dann greift Gott ein. Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel her und sprach: „Abraham, Abraham!“ Was für eine Erleichterung musste das für die beiden gewesen sein!
Abraham ließ das Messer fallen und hörte den Engel sagen: „Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts, denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest, weil du deinen einzigen Sohn nicht verschont hast um meinetwillen.“
Das Wort „fürchten“ bedeutet im Alten Testament oft Glaube, Vertrauen oder Respekt.
Abraham sah einen Widder, der sich im Gestrüpp verfangen hatte, und opferte dieses Tier anstelle seines Sohnes.
Der Glaube Abrahams als Vorbild
Wir fragen uns natürlich immer noch, wie Abraham so weit gehen konnte. Er hätte seinen Sohn tatsächlich geopfert. Hätte der Engel nicht eingegriffen, hätte er es getan. Wie konnte er das nur?
Auf diese Frage findet sich im Neuen Testament eine Antwort. Das hat natürlich auch die Menschen damals schon beschäftigt. Dort heißt es: Durch den Glauben und das Vertrauen hat Abraham Isaak dargebracht, als er versucht wurde, und gab den einzigen Sohn dahin, obwohl er schon die Verheißungen empfangen hatte. Von ihm war gesagt worden, dass nach Isaak sein Geschlecht genannt werden würde.
Also war er bereit, den Einzigen hinzugeben, der sozusagen Bürge für das Versprechen war, das Gott ihm gegeben hatte. Man muss sich das vorstellen: Warum tat er das? Aus Glauben, weil er gehorsam war, weil Abraham Gott vertraute und wusste, dass Gott sein Versprechen halten wird. Deshalb befolgte er die Anweisung Gottes.
Er dachte, Gott kann auch von den Toten erwecken. Als ein Gleichnis dafür erhielt er die Zusage, dass er Isaak auch wiederbekommen würde. Deshalb wusste er, dass er mit Isaak zu seinen wartenden Knechten zurückkehren würde. Entweder würde Gott ihm ein anderes Opfer zeigen, oder er würde Isaak, nachdem er ihn geopfert hatte, wieder zum Leben erwecken.
Das traute Abraham Gott zu, weil er wusste, dass Gott alles in Isaak hineingelegt hatte – das ganze Versprechen. Gott würde eingreifen, so oder so. „Ich werde mit Isaak zu meinen Knechten zurückkehren.“ Das ist Glaube.
Egal, was uns passiert – könnten wir auch sagen: So oder so werden wir die neue Erde betreten. Was Gott versprochen hat, wird er halten. Und selbst wenn es in unserem Leben so aussieht, als würde alles nicht wirklich eintreffen, wird es eintreffen.
Die heilsgeschichtliche Bedeutung des Ortes und der Verheißung
Diese Geschichte hat natürlich eine heilsgeschichtliche Dimension. Gott führte Abraham an den Ort, an dem später der Tempel in Jerusalem gebaut wurde – die Opferstätte des Volkes Israel.
So lesen wir im 2. Buch der Chronik: Dann begann Salomo, der Sohn Davids, auf dem Berg Moriah in Jerusalem das Haus für den Herrn zu bauen. Den Platz hatte schon sein Vater David bestimmt, weil ihm dort auf dem Dreschplatz des Jebusiters Araunah der Herr erschienen war.
Es würde mich nicht überraschen, wenn der Ort der Opferung genau dort gewesen wäre, wo Jesus über 1900 Jahre später gekreuzigt wurde. Das würde mich nicht überraschen.
Der Engel bestätigte Abraham nochmals das Versprechen Gottes: „Durch deinen Nachkommen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden.“ Und dieser Nachkomme, das erklärt uns später der Apostel Paulus, ist Jesus Christus.
Den Galatern schreibt Paulus genau in Bezug auf diese Stelle im 1. Buch Mose Kapitel 22: So ist es auch mit der Zusage, die Gott Abraham und seinen Nachkommen gemacht hat. Er sagt übrigens nicht „um deinen Nachkommen“ im Plural, wie es in vielen Bibelübersetzungen steht. Ich habe sogar eine Übersetzung gesehen, die ich inzwischen wieder entfernt habe, weil sie den Text völlig verdreht und man nicht mehr versteht, was eigentlich gesagt wird.
Paulus als Apostel nimmt Bezug auf diese Stelle und erklärt: Es heißt ausdrücklich nicht „und deine Nachkommen“ im Plural, als ob viele gemeint wären. Sondern er sagt: „Das ist ausdrücklich deinem Nachkommen“ – und er meint damit Christus. Das ist der Nachkomme, durch den alle Völker gesegnet werden.
Das vollkommene Opfer und der Unterschied zur Kreuzigung
Was damals geschah, war ein Vorbild auf das bevorstehende und vollkommene Opfer, das nicht von einem Menschen dargebracht wird, sondern von Gott selbst. Gott wird seinen einzigen und geliebten Sohn opfern.
Mit Abraham und Isaak hat Gott gezeigt, wie die endgültige und vollkommene Erlösung aussehen wird: Gott als Vater wird seinen liebsten und einzigen Sohn opfern. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied bei der Kreuzigung von Jesus. Nicht ein Mensch drückt seine Liebe zu Gott aus, sondern Gott zeigt damit seine Liebe zu uns Menschen.
Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass Gott seine Liebe zu uns ausdrückt. Denn: "So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben" (Johannes 3,16).
Gott will uns mit der Geschichte von Abraham und Isaak bestimmt nicht sagen, dass wir damit rechnen müssten, von ihm aufgefordert zu werden, eines unserer Kinder zu opfern. Wie schrecklich wäre das! Im Gegenteil: Gott hat das Menschenopfer nicht zugelassen, er hat es geradezu verhindert. Denn Menschenopfer sind Gott ein Gräuel.
Das einzige Menschenopfer, das Gott je gebracht hat, war das Opfer seines eigenen Sohnes. Dadurch hat er uns erlöst, wie es schon im Alten Testament angekündigt wurde: "Er ist um unserer Missetat willen verwundet, um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe lag auf ihm, damit wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt" (Jesaja 53,5).
Gott tat das für uns – für dich und für mich. Er ließ seinen Sohn die Strafe bezahlen, die ich verdient hätte. Wir alle gingen in die Irre wie Schafe, jeder sah auf seinen eigenen Weg. Aber der Herr warf unsere aller Sünde auf ihn, auf diesen Nachkommen, auf Jesus Christus, seinen Sohn.
Einzigartigkeit der Prüfung Abrahams und die Haltung des Glaubens
Was Gott von Abraham verlangte, war einmalig und einzigartig. Das wird sich niemals wiederholen. Niemand sollte erwarten, dass Gott von ihm verlangen würde, sein eigenes Kind zu töten. Wenn ein solcher Gedanke einmal aufkommt, dann stammt er garantiert nicht von Gott. In einem solchen Fall ist dringend Hilfe nötig. So ein Gedanke kann nicht von Gott sein.
Jesus war der einzige Mensch, der als menschgewordener Gott geopfert wurde. Gott selbst ließ sich für uns hinrichten. Vor seiner Hinrichtung flehte Jesus zu seinem Vater: „Mein Vater, wenn es möglich ist, lass diesen bitteren Kelch an mir vorübergehen, aber nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ So hat er sich gebeugt und in das Opfer eingewilligt – genauso wie Abraham einwilligen musste, dass sein Vater ihn opfert.
Auch Jesus sagte hier Ja und erklärte: „Ich tue es, wenn ich deinen Willen tue.“ Jesus war bereit, für unsere Schuld zu sterben.
Was wir von Abraham lernen können und worin er uns ein Vorbild ist, ist sein unerschütterliches Vertrauen in Gott und seine vertrauensvolle Hingabe. Er vertraute darauf, dass Gott gute Gedanken über ihn hat. Daran sollten wir ihm nacheifern. Es ist die Hingabe an Gott selbst.
Die Aufforderung zur Hingabe im Leben der Gläubigen
Der Apostel Paulus fasste diese Hingabe in Worte, indem er die Christen in Rom aufforderte: „Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und gottwohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.“
So dienen wir Gott. Wir dienen mit allem, was wir haben und sind, unserem Herrn. Das ist die Haltung der Dankbarkeit gegenüber Gott, der uns durch den Tod seines Sohnes für Zeit und Ewigkeit gerettet hat.
Mit den Liedern, die wir jetzt singen werden, können wir das für uns noch einmal festmachen: Jawohl, Gott, mein Leben soll ein Leben der Hingabe für dich sein. Ich will wirklich dir treu bleiben.
Ich bin auch bereit, auf das eine oder andere zu verzichten, wenn ich merke, dass dir das keine Freude macht und du das nicht willst. Dann will ich deinen Willen tun.
Vielleicht hast du das eine oder andere, bei dem du im Grunde genommen weißt, dass du daran arbeiten solltest, weil du weißt, dass Gott das gerne möchte. Dann sag ihm doch während dieser Lieder: Ich packe es an, Herr, ich will es jetzt anpacken, denn ich will ein Leben führen, das dir gefällt.