Einleitung: Jesu harte Worte über missionarisches Bemühen
In Matthäus 23 hat Jesus den Schriftgelehrten und Pharisäern vorgeworfen, dass sie Land und Meer durchqueren, um einen einzigen Proselyten zu machen. Dabei machen sie aus diesem Menschen ein Kind der Hölle. Das ist ein hartes Wort. Sie bringen ihn nicht ins Himmelreich, sondern machen ihn zu einem Funktionär in ihrer eigenen Gemeinschaft.
Wehe euch, ihr Schriftgelehrten, die ihr das Himmelreich verschließt, selbst aber nicht hineingeht! Und denen, die hineingehen wollen, verschließt ihr den Zugang zum Himmelreich.
Wenn dies das Urteil Jesu über unsere missionarischen Einsätze wäre, dann ließe sich sagen: Ihr lasst die Menschen gar nicht zu mir kommen. Euch ist es wichtiger, dass ihr wieder einen Namen auf euren Mitgliederlisten habt, in euren Mitarbeiterkreisen.
Deshalb habe ich all das, was ich je zu diesem Thema erarbeitet habe – etwa vor zwei Jahren für die Landessynode – noch einmal völlig neu überarbeitet. Es ist nun ein sehr seelsorgerliches Thema geworden. Vielleicht entspricht es aber nicht dem, was ihr braucht, erwartet oder wollt.
1. Herr, reinige meine Motive
Die Normalität des Gewinnens von Menschen
Drei Teile: Herr, reinige meine Motive; zweitens, Herr, heile meine Methoden; und drittens, Herr, ermahne und tröste mich.
Zuerst einmal: Herr, reinige meine Motive. Wir tun ja nichts Besonderes, wenn wir versuchen, Menschen zu gewinnen. Keine Seifenfirma kann überleben, wenn sie nicht Menschen dafür gewinnt, ihre Produkte zu kaufen. Kein Schachverein kann überleben, wenn er sich nur auf seinen Mitgliederbestand verlässt. Denn dieser stirbt todsicher ab; nach zwanzig Jahren ist niemand mehr da.
Darum wollen alle Vereine, alle Parteien, alle Firmen Menschen gewinnen. Wir tun also gar nichts Besonderes. Auch die Kirche sucht Menschen zu gewinnen. Es ist für mich fast immer rührend, wenn ich bei Wiederbesetzungssitzungen für Pfarrstellen erlebe, wie der Kirchengemeinderat sagt: Wir sollten eben einen Pfarrer haben, der wieder die jungen Leute gewinnt, der dafür sorgt, dass einige vom Mittelalter wieder in kirchliche Kreise und Gruppen integriert werden, der bisher Außenstehende ins Gemeindehaus bringt.
Menschen gewinnen, denn es ist schlecht, eine Kirchengemeinde zu haben, und am Sonntag sind im Gottesdienst nur noch 15 Leute. Das heißt dann oft: „Ha, in der Stunde sind das zwölf alte Leute.“ Und wenn ich frage, wie viele in ihrer Gemeinde zur Bibelstunde kommen, heißt es oft, dass es schon lange keine mehr gibt. „Ja, warum nicht? Da ist niemand mehr gekommen.“
Wenn das noch spitze ist, sind es die zwölf alten Leute, die in der Stunde sind. Menschen gewinnen – aber Menschen lassen sich gar nicht so gerne umgarnen. Sie lassen sich erst recht nicht „kassieren“. Darum ist schon der Versuch, Menschen zu gewinnen, verdächtig.
Die Bedeutung reiner Motive beim Gewinnen
Etwas anderes ist es, wenn man dem Werbenden anmerkt, dass es ihm eigentlich um uns geht. Ich hatte einen Kirchenpfleger in Schörndorf, ein begeistertes Mitglied des Albvereins. Er kam immer mit seiner Frau zum Frühgottesdienst und ist danach um neun Uhr mit dem Albverein losgegangen. Er sagte: „Herr Chefbuch, Sie sind schon recht, aber eines fehlt Ihnen noch. Eigentlich sollten Sie zum Albverein gehören.“
Dabei spürte man, dass es ihm wirklich darum ging, dass es Ihnen guttun würde, sonntags auch zum Wandern zu kommen und die Schönheit der Alb zu erleben. Wenn das nicht spürbar ist, wenn man nicht merkt, dass der Werbende meint, Sie versäumen etwas, dann ist alles Werben umsonst.
Trotzdem hat das Wort „Missionierung“ in unserer Sprache einen Beiklang bekommen, der an Zwangsbekehrung der Sachsen, Gehirnwäsche und Umgarnung erinnert. Damit wird eigentlich alles auf den Kopf gestellt. Denn jeder Mensch hat als Gottes Ebenbild einen Adel. Er soll eigentlich nur Gott gehören und nicht der Knecht der Menschen sein.
Darum haben wir eigentlich nur das Recht und die Vollmacht, Menschen zu gewinnen, wenn es uns darum geht, sie zu befreien aus dem Kreisen um sich selbst und aus der Sklaverei des Bösen. Wir wollen Menschen gewinnen, die von Mächten gefangen gehalten werden, damit sie stattdessen von Gott gewonnen werden können. Und das geschieht nur sehr mittelbar durch uns – für unsere Gemeinschaft und für unsere Kreise.
Die edle Bedeutung des Gewinnens
Eigentlich könnte Gewinnen einen sehr edlen Beiklang haben. Es zielt ja auf das Herz von Menschen: Du hast mein Herz gewonnen. So müsste eigentlich jede Ehe sein, dass wir schwachen Männer sagen können, wie es im Volkslied heißt: „Das hat eine Schönheit gemacht, hat mich zum Lieben gebracht, mit großem Verlangen. Mein Leben bleibt arm ohne dich.“
Deshalb versuchen wir, um eine Frau zu werben, sie zu gewinnen – nicht für uns, sondern weil unser Leben ohne sie arm bliebe. Und das Gewinnen hat hoffentlich nicht seinen Abschluss am Hochzeitstag, sondern bleibt eine lebenslange Aufgabe.
Wir Chefbrüder sind ja fünf Brüder, und unsere Mutter hat immer gesagt, auch über unsere jungen und älter werdenden Ehen: Vergesst nicht, um eure Frauen täglich zu werben. Gewinnen ist eine lebenslange Aufgabe.
Auch in unseren Kreisen und Gruppen bröckeln viele ab, weil wir sie nicht mit Liebe mitgenommen haben. Sonst heißt es bald: „Wie gewonnen, so zerronnen.“ Aber genug der Wortspiele, schließlich ist es ein Bibelwort aus 2. Korinther 5, das das Thema ist: Wir suchen Menschen zu gewinnen.
Der biblische Zusammenhang des Gewinnens
Jedes Bibelwort steht in einem Zusammenhang. Der alte Prälat Schrenk, Stifts-Prediger in Stuttgart, hat immer wieder betont: Das einzige, an was ich mich entsinne, ist der Zusammenhang!
Als kleiner Kerl habe ich ihn erlebt, wie er den Sohn von Elias Schrenk in die Gemeinde hineingerufen hat – Zusammenhang! Damals hatte er noch so weiße Röllchen aus Plastikmaterial. Diese sind bei jeder Bewegung nach vorne gerutscht, sodass er sie gerade noch auffangen konnte – Zusammenhang!
Deshalb steht in 2. Korinther 5: Gott versöhnt die Welt mit sich selbst. Er will, dass Menschen nicht als Unversöhnte leben. So sind wir nun Botschafter an Christi statt. Gott selbst mahnt durch uns. Deshalb bitten und flehen wir an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Menschen müssen durch uns erfahren, dass man in die versöhnende Nähe Gottes kommen kann. Das ist unser Auftrag.
Darum suchen wir Menschen zu gewinnen. Wir haben das Vorrecht, ihnen etwas auszurichten – nicht bloß, dass sie 7 Mark im Lotto gewonnen haben, sondern dass ihr Leben in eine ganz andere Atmosphäre kommen kann. Nicht 14 Tage Seychellen oder irgendetwas Ähnliches, sondern jetzt schon in die Nähe des ewigen Gottes.
Und nach vorne – Zusammenhang! Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi. Dort wird herauskommen, was wir in unserem Leben gesprochen haben: was wir Gutes geredet oder zerbrochen, was wir verschwiegen oder gut, einladend und gewinnend bezeugt haben. Das Gute und das Böse wird offenbart werden, weil wir nun wissen, dass der Herr zu fürchten ist.
Deshalb heißt es in 2. Korinther 5,11: Wir suchen Menschen zu gewinnen. Mit diesem Herrn Jesus ist nicht zu spaßen, und mit dem Auftrag darf nicht gespielt werden. Es liegt nicht in unserem Ermessen, ob wir das ernst nehmen oder nicht. Darum suchen wir Menschen zu gewinnen.
Die Gefahr der Eigenwerbung in der Christenheit
Es ist wieder an der Zeit, dass wir uns in der Christenheit daran erinnern lassen, worum es wirklich geht. Es geht nicht darum, Werbung für unsere Firma zu machen oder einfach nur zu sagen: „Komm auch mal wieder in die Kirche.“
Vorgestern stand ich vor dem Schaukasten eines kirchlichen Jugendkreises. Darin stand: „Wer zu uns nicht kommt, Lothar Matthäus, Theo Weigl“ – und dann wurden noch einige weitere Namen aufgezählt. Am Ende stand: „Aber du könntest kommen, nicht?“ Es war gut gemacht, doch es geht nicht darum, Werbung für unseren Kreis zu machen.
Franz Werfel hat in seinem großen letzten Roman, den er „Der veruntreute Himmel“ überschrieben hat, gesagt, dass die Christenheit daran zugrunde geht, weil sie dauernd für sich selbst wirkt. Sie lässt nicht mehr erkennen, dass es um den Himmel und die Ewigkeit Gottes geht. Wir veruntreuen den Himmel.
Gott selbst will Menschen für den Himmel gewinnen, und wir dürfen dabei mithelfen. Nein, nicht nur dürfen – wir sollen. Unser ewiges Heil steht auf dem Spiel, weil wir wissen, dass der Herr zu fürchten ist, vor dessen Richterstuhl wir eines Tages stehen werden.
Deshalb dürfen wir dieses Geschäft nicht lasch betreiben. Wir dürfen es nicht gelegentlich aufs Eis legen. Wir sind Botschafter!
Das Botschaftersein als Auftrag
Es hat mich als junger Bursche bewegt, zum ersten Mal zu verstehen, was ein Botschafter ist – im Jahr 1939. Morgens um drei Uhr wurde Lord Henderson, der englische Botschafter in Berlin, aus dem Schlaf gerissen. Er sollte der deutschen Reichsregierung ein Ultimatum überbringen: Wenn die deutschen Divisionen nicht sofort wieder ihre Ausgangspunkte einnehmen, befindet sich England ab sechs Uhr morgens im Krieg.
Lord Henderson konnte nicht sagen: „Es reicht auch noch, wenn wir es um acht Uhr ausrichten.“ Er war Botschafter, und es lag nicht in seinem Ermessen, die Frist zu verlängern. Er war eingesetzt, um den Ernst der Lage deutlich zu machen.
Geht es uns wirklich darum, um die Ehre Jesu und um das Heil der Menschen? Herr, reinige meine Motive, wenn wir missionarisch tätig werden. Dass Menschen unsere Motive bezweifeln und sagen, „Das sind ja auch nur Seelenfänger, die Menschen mit ihrem dummdreisten religiösen Geschwafel beschwatzen wollen“ – das sollte uns nicht zu sehr stören. Es sollte uns vielmehr ins Fragen bringen.
Lieber Vater im Himmel, prüfe mein Herz und erfahre, wie ich es meine. Tue ich es nur, weil das EC es so will, weil es im Werk erwartet wird, weil unsere Gemeinschaft es braucht, oder weil ich ein dynamischer Mensch bin? Oder tue ich es, weil mich, wie wir es in der Andacht hören, der Jammer der Menschen so berührt hat, dass ich gar nicht anders kann? Weil Jesus mein Herz so berührt hat.
Weil wir wissen, dass der Herr zu fürchten ist, suchen wir Menschen zu gewinnen. Punkt. Gott sind wir offenbar. Und noch eine Klammer dazu: Wir müssen alle einmal offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi. Es wird sich zeigen, was unser Herz wirklich bewegt hat, wonach wir wirklich gehungert und gedürstet haben.
Aber vor Gott liegt es heute schon offen.
Das Gebet um reine Motive
Deshalb dürfen wir beten: Lieber Gott, sag mir doch, wie du über mich denkst, wie du mich siehst.
In einem der großen Lieder von Michael Hahn – wir haben ja in diesem Jahr ein Gedenkjahr für Michael Hahn – ist dieses Lied sogar in unser württembergisches Gesangbuch aufgenommen worden. Es heißt: „Eine Bitte, mache mich mir offenbar.“
Ich bin doch oft ein religiöser Schauspieler vor mir selbst. Mache mich mir offenbar, reinige meine Motive. Warum bin ich überhaupt Prediger? Warum bin ich überhaupt Mitarbeiter? Könnte ich nicht genauso im Altverein sein? Es ist gerade Zufall, dass ich mit meiner Dynamik hier gelandet bin. Das soll nicht erst vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, sondern wir sollen jetzt ehrlich vor Gott leben.
Also brauchen wir lautere Motive. Es muss uns um die Ehre Jesu gehen und deshalb auch um das Beste für die Menschen. Wissen wir das? Wenn wir Jesus den Menschen bringen, ist das nicht etwas, das so ein bisschen ist, als ob wir einen stinkenden Hering aus der Tasche ziehen. Das Beste für die Menschen – sind wir davon überzeugt? Fritz Grünzweig hat oft diese Gebetsbitte gehabt: Herr, reinige meine Motive!
Warum machen wir den Gemeindetag? Um ein evangelikales Tingeltangeln zu veranstalten? Warum lassen wir die Damenfußballmannschaften spielen? Um zu zeigen, dass auch Christen Sportler sind? Oder weil wir junge Menschen gewinnen wollen, die sportbegeistert sind? Warum machen wir es? Warum machen wir proChrist? Ich bin bei beiden Vorsitzenden, weil wir zeigen wollen, dass wir Evangelikalen auch etwas auf die Beine stellen können. Dass wir sogar Satellitentechnik gebrauchen können, weil wir christliche Schachtelhuber sind.
Herr, reinige meine Motive! Unser Herr kann unsere Arbeit nicht segnen, wenn es um uns geht und nicht um seine Ehre. Es ist alles ein Schlag ins Wasser, wenn es hauptsächlich darum geht, unser Image als fähige Mitarbeiter aufzubessern, als junge Prediger, die mal endlich wieder Wind in die Sache hineinbringen. Wenn wir Erfolge aufweisen wollen, wenn wir deutlich machen wollen, dass wir viel besser, exegetisch viel differenzierter und homiletisch verantwortlicher reden können als Billy Graham. Auch wenn wir von Hunden erzählen, dass wir als Gemeinschaftsleute mehr losmachen können als Hofackerleute.
Die Kirche mit all ihren Millionen – wenn ich leicht sage: Wir haben den Gemeindetag auf dem Killesberg gemacht mit über 120 Referenten, von denen keiner ein Honorar wollte, und mit einer Million Kosten für Übertragung, Hallenmiete, Stuhlmiete – alles aus Spenden aufgebracht. Und der Kirchentag braucht 27 Millionen, und die Referenten wollen in Hotels untergebracht sein.
Geht es darum, um die Ehre Jesu? Oder darum zu zeigen: Ach, wir sind auch noch da! Es ist vor Gott offenbar, ob wir auf diese menschliche Karte setzen oder ob es uns um die Ehre Jesu und um das gottgewirkte Erbarmen mit Menschen geht.
Können wir wirklich mit Doktor John Stott sprechen und uns an die Leidenschaft für die Ehre Jesu packen lassen, die Leidenschaft Jesu, Verlorene zu retten? Auch der, der ganz weit weg ist, der Zachäus, den die anderen abgetan haben, merkt: Dir kann Heil widerfahren. Geht es uns um diese Ehre Jesu?
Es ist nicht gesagt, dass alle predigen müssen. Im 1. Petrus 3 steht, dass es das Vorrecht der Frauen ist, ihre Männer sogar ohne Worte gewinnen zu können. Wir Männer müssen nicht mehr schwätzen. Aber es gibt auch ein Hinlieben, ein Hinbegleiten, ein Hinbeten zu Menschen, von Menschen zu Jesus. Wir suchen, Menschen zu gewinnen. Da ist alle Phantasie aufgeboten. Was kann ich tun, damit ein Mensch zu Jesus kommt?
Wir haben hoffentlich gemerkt, dass es um etwas total anderes geht als darum, wie es heute oft heißt, einzelne Außenseiter religiös zu sozialisieren, kirchlich zu sozialisieren. In Kirchengemeinden ist immer die Frage: Jetzt haben wir ein Gemeindehaus, wie können wir das Gemeindehaus füllen? Wie kriegen wir Leute in die kirchlichen Wände? Das kann eine Zwischenstufe sein. Aber eigentlich muss es uns heute viel mehr umtreiben, dass wir es in der Kirche noch nicht gemerkt haben – in einer reichen Kirche heute geht das Gericht über die Kirche. Wir müssen hinaus zu den Menschen.
Heiko Klammer hat neulich gesagt: Wann war mir Christ das letzte Mal auf dem Feuerwehrfestle? Natürlich, bevor die große Sau frei losgeht, müssen wir auch wieder gehen. Aber wann sind wir in Kontakt mit Menschen, die man bloß beim Feuerwehrfestle trifft, die nie ins Gemeindehaus, erst recht nicht in den Gemeinschaftssaal kommen?
Warum tue ich mir so schwer, wirkliche Möglichkeiten zu suchen, wie ich Menschen gewinnen kann? Das kann doch schon anfangen mit dem Blumenstrauß für die neu eingezogenen Nachbarn. Nicht als Taktik, sondern als echte Liebe, weil mir die wichtig sind.
Warum überlasse ich das Gewinnen so gern den anderen? Was ist der Grund für meine Furcht, für meine Reserviertheit, für meine Zurückhaltung? Ist es Furcht vor Menschen, mangelndes Zutrauen zu mir selbst, mangelndes Zutrauen zu Gott, mangelnde Angst vor Gott? Denn wir wissen, dass der Herr zu fürchten ist.
Herr, reinige meine Motive!
Unser Herr hat in seinen Erdentagen viel Unverständnis seiner Jünger ausgehalten, viel falschen Eifer, viel Schläfrigkeit, wo seine Jünger hätten wach sein sollen. Aber er hat, als er an Pfingsten seinen Geist ausgoss, noch einmal die schwachen Jünger und Jüngerinnen lebendig gemacht.
Und so ist es meine Hoffnung, dass Jesus noch einmal heilend durch unsere Gemeinschaften, Gemeinden und Kirchen geht, dass er unsere Motive reinigt. Er kann dafür sorgen, dass uns seine Retterleidenschaft packt.
Ich habe in Amerika im Jahr 1956 eine Evangelisation der lutherischen Kirche erlebt – von der Ostküste bis zur Westküste ein tolles Programm, überschrieben mit: „Let's see what we Lutherans can do.“ Lasst uns einmal zeigen, was wir Lutheraner auf die Beine stellen können, nicht wahr?
Nein, reinige meine Motive! I'm jealous for Jesus. Er hat das Ziel, dass keines dieser Kleinen verloren geht und dass auch wir kleinen Würstchen die richtigen Motive haben.
Zweitens: Herr, heile meine Methoden!
2. Herr, heile meine Methoden
Die zurückliegende, vielfach gesegnete und viele Menschen ermutigende evangelistische Aktion pro Christ 93 hat deutlich gemacht: Wir sind spitze, was Technik und bedrucktes Papier angeht. Auch in Sachen Conferencier-Begabungen sind wir sehr gut aufgestellt – in Württemberg gibt es Hunderte von begabten Conferenciers. Wir haben zudem Leute für Zwiegespräche und Interviews, Chöre und vieles mehr.
Allerdings sind wir elendschwach, wenn es um persönliche Kontakte geht, trotz Andreas’ Plan. Auf dem bedruckten Papier stand viel, doch wir können einem Menschen durch nichts anderes besser zeigen, dass er uns wichtig ist, als dadurch, dass wir Zeit für ihn haben.
Vorgestern Abend saß ich bei der Verabschiedung von Theosorg aus dem Kollegium einem prälaten Kollegen gegenüber. Ich war ungeschickt, denn ich bin von meiner Frau getrennt worden und hätte mir sonst einen anderen Platz gesucht. Dabei habe ich gemerkt, dass ich eigentlich kaum etwas von ihm wusste: Hat er zwei oder vier Kinder? Kürzlich hörte ich, dass er krank ist. Also fragte ich ihn, ob er Tabletten nehmen muss und wie es seinen Kindern geht. Wir haben eine halbe Stunde über seine Krankheit gesprochen, und er ist mir dabei nähergekommen als in vier Jahren Zusammenarbeit zuvor.
Jeder Mensch erzählt gerne von sich und wartet darauf, dass jemand zuhört. Er erzählt gerne von der Heimat, vom Ergehen, von Hobbys und von seinen Wehwehchen. Wir müssen nur lernen, interessiert zu fragen und Zeit zu haben.
Helmut Schweiger, Landesposaunenwart, habe ich mal gefragt: „Helmut, wie geht’s?“ Er antwortete: „Rolf, möchtest du das wirklich wissen? Hast du Zeit dafür?“ Am Ende eines solchen Kontaktes mit einem Menschen kann ein Wort stehen, das ich sage: „Ich bete für Sie“ oder „Du möchtest wissen, was mir heute wichtig geworden ist.“
Jesus sagt: „Der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich bin auch noch da.“ Es kann sinnvoll sein, erst dort zu sein, wo wir sehr viel Zeit investiert haben und wo es kein Alibi für Zuneigung zu Menschen ist.
Schon Jesus hat so gehandelt – ihm waren einzelne Menschen wichtig. Die Bibel erzählt viel mehr von Einzelbegegnungen Jesu, etwa mit der Frau am Brunnen von Sychar, dem Hauptmann von Kapernaum, Zachäus, dem blinden Bartimäus von Jericho und anderen, als von großen Predigten wie der Bergpredigt oder der Speisung der Fünftausend.
Doch selbst diese großen Predigten Jesu mündeten in Einzelbegegnungen und Einzelgespräche. Die erste Christenheit nahm sich daran ein Beispiel. So konnte Paulus sagen: „Ich ermahne jeden Menschen“, damit ist jeder einzelne gemeint, „ich lehre jeden Menschen.“ Dabei muss man in jeder Form von Weisheit anders reden – mit Akademikern anders als mit Nichtakademikern.
Wir müssen überlegen, mit wem wir schwätzen: Schwäbisch oder Stuttgarter Hochdeutsch, je nachdem, wie ich auf den anderen eingehe. Paulus sagt, dass er sich abmüht, um jeden Menschen in Christus vollkommen zu machen. Dafür ringt er in der Kraft dessen, der in ihm kräftig wirkt.
Den Ephesern sagte er: „Ihr wisst, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht jeden von euch unter Tränen ermahnt habe.“ Das ist Seelsorge, Einzelseelsorge.
Ganz offensichtlich gab es schon in der allerersten Christenheit die Frage, wie man die Sache Jesu für außenstehende Menschen attraktiv, faszinierend und einladend machen kann.
Wenn wir die ersten Korintherbriefe genauer ansehen, merken wir, dass sie Rezepte hatten. Sie ließen sich von Jesus sagen, was er dem Paulus durch ein Gesicht mitteilte: „Ich habe ein großes Volk in dieser Stadt“, in dieser Hafenmetropole des Mittelmeers.
Aber wie kann man das große Volk erreichen? Es gab verschiedene Versuche. Einmal sagte man, das Abendmahl sei zu trist. Man müsse daraus ein richtig feuchtfröhliches Feierabendfest machen. Und bis die Letzten kamen, hatten die Ersten schon ein bisschen gesessen – so wird es dargestellt, nicht?
Andere meinten: Nein, das letzte Abendmahl muss ganz anders sein. Es ist das Pharmakon Athanasias, das Heilmittel der ewigen Welt. Wer einmal die Taufe empfangen hat, ist im Reich Gottes. Wer das Abendmahl genossen hat, ist erfüllt mit Kräften der ewigen Welt.
Paulus sagt jedoch: „Ihr spinnt ja! Wisst ihr nicht, wie es mit dem Volk Israel war? Sie haben alle dieselbe geistliche Speise gegessen und getrunken, sie hatten das Manna, die Speise Gottes, und trotzdem sind ihre Gräber in der Wüste gewesen. Sie sind alle getauft worden, als sie durchs Rote Meer gingen, und trotzdem hat Gott den meisten keinen Gefallen daran gehabt.“
Das wäre übrigens eine wunderbare Textlesung nach unserer Kindertaufe, nicht? Dann wäre alles klar: Mit der Taufe ist noch nichts gemacht. Es war sehr schön, wieder der Durchzug durchs Rote Meer, das Angebot Gottes.
Aber vor allem war es ein faszinierendes Angebot. Und wir wissen das alle, die wir das Neue Testament ein wenig kennen: Mensch, wenn wir den Garten des Geistes hätten – mit Heilungen, Zeichen, Wundern und vor allem der Sprachenrede, mit jenem in Gott versenkten, anbetungsvollen, kindlichen Gebetslallen –, dann müsste das doch die anderen umhauen.
Paulus aber sagt: Nein! Wenn ein Unkundiger käme, der Onkel aus Karlsruhe, der nur wegen der Konfirmation kommt, so ein Außenstehender, dann würde der sagen: „Sie spinnen, die Christen, sie sind von Sinnen.“ Das ist etwas für Eingeweihte, die das verstehen, die noch tiefer in die Geheimnisse Gottes eindringen wollen, aber nicht für die Außenstehenden.
Das Rezept der Liebe als Methode
Was hatte Paulus anzubieten, anstelle dieser Vielzahl faszinierender Programme? In erster Linie 1. Korinther 13, die Liebe.
Wir interpretieren es oft so, dass Paulus den zerstrittenen Gruppen in Korinth sagt: Ihr müsst euch lieb haben. Darum kann es auch gegangen sein. Doch wenn wir den Gesamtzusammenhang des ersten Gründerbriefs betrachten, ging es um die Frage: Was ist attraktiv? Was kann Außenstehende ansprechen?
Und da sagt Paulus: die Liebe. Selbst die Feinde Jesu. Als Jesus am Kreuz hing, musste er den anderen helfen. Seine Langmut, seine Geduld, seine Uneigennützigkeit und seine Hoffnung für jeden Menschen – all das strebt nach dieser Liebe.
Für das Gewinnen von Menschen ist das beste Erfolgsrezept noch immer die Liebe, die gottgewirkte, phantasievolle Liebe.
Es beginnt mit dem, was wir heute Morgen in der Andacht gehört haben: Es jammerte ihn der Menschen. Wer sich je um seine eigenen Kinder gesorgt hat, kennt das: Wann kommt er denn heim, der Ulrich? Halbschlag, jetzt heimkommen, es würde doch nichts mit dem Auto passiert sein.
Jesus weiß, was die Menschen eigentlich bewegt. Nicht der Blick auf die Welt, der einen dispensieren kann, sondern die Sorge um ein paar Nachbarn, Freunde, die doch nicht verloren gehen dürfen.
Vielleicht haben wir viel zu viel Angst vor ihm. Als Jesus sie sah, jammerte ihn der Menschen. Er sah auch das Arme in ihnen.
Beim reichen Jüngling haben die Jünger wahrscheinlich gedacht, dieser eingebildete Fatzke. Doch Jesus sah ihn an und liebte ihn. Er sah, was er ernst meint, was ein Atheist ernst meint, wenn er sich von Gott lossagen will und doch gar nicht von dem Thema loskommt. Er muss dauernd von Gott reden. Jesus sah ihn an und liebte ihn.
Wir haben immer so Angst: Oh, da ist einer sicher ablehnend. Doch er sucht, was er nicht findet – in Liebe und Ehre und Glück.
Es braucht eine große Explosion des Heiligen Geistes, die sich in Liebe äußert. Nicht in all dem, was wir sonst mit Charismata meinen, sondern in der gottgewirkten Fantasie der Liebe für Menschen.
Die Bedeutung des Dienstes in der Methode
Denken Sie daran, dass Jesus, wenn er Menschen berufen wollte, sie sehr oft auch um einen Dienst gebeten hat. Zum Beispiel bat er Petrus: „Fahr mich ein Stück vom Land, ich brauche dich!“
Es ist bewegend zu sehen, wie die Techniker, die wir bei Pro Christ gebeten haben – oft waren es kirchlich völlig außenstehende Leute –, am meisten von Billy Graham gepackt wurden. Sie wussten, wenn wir nicht funktionieren, kommt die Sendung heute Abend nicht rüber. Wir haben sie zur Gebetsgemeinschaft eingeladen, und plötzlich waren sie mit dabei. Sie fühlten sich gebraucht.
Ach, was könnten wir in Phantasie und Dienst alles tun! Zum Beispiel bei Mercedes – wir brauchen sie. Sie könnte die und die Familie und den Behinderten zum Gottesdienst fahren. Der fährt dann nicht weg und kommt dem Elfen wieder, sondern bleibt dabei. Ich werde gebraucht. Man kann einem Menschen keine größere Ehre erweisen, als wenn man ihn braucht.
Beim Bautrupp der Gemeindehausrenovierung in Schöndorf ist nach acht Jahren, in denen ich um Erweckung gebetet habe, nichts passiert. Wir haben gerungen um einen Besuchsdienstkreis. Plötzlich haben wir Leute gewonnen, die gesagt haben, sie könnten uns helfen, in zwei, drei Häusern jeweils mit dem Gemeindebrief einmal in acht Wochen Besuch zu machen. Einige sagten: „Das kann ich nicht, ich kann nicht von Jesus sprechen.“
Nach zwei Jahren konnten die meisten es, aber ich brauchte sie zuerst einmal für den Dienst. Nicht nur im Briefkasten, sondern an den Glastüren einfach mit Leuten sprechen. Dann merkten sie, dass die Leute sagten: „Können jetzt nicht einmal reinkommen“ und vertrauten ihnen alles an – ihre Not, ihre Kinder, ihre Ehe. Dann kamen wieder Besuchsdienstleute zu uns und sagten: „Herr Pfarrer, was soll man da sagen?“
Wir haben verschiedene Spruchkarten gegeben, die sie aussuchen konnten, um sie zu hinterlassen. So sind sie hineingewachsen, weil sie beten konnten und selbst ein Gotteswort weitergeben konnten. Aber wir haben sie zuerst gebraucht.
Ich brauche sie. Kurt Hennig hat vor seinem Sterben noch einmal seine ehemaligen Konferantenjahrgänge aus der Paulusgemeinde zusammengeholt. Dann kam er zu mir und sagte, da war einer dabei, mit dem er Schwierigkeiten hatte. Dieser sagte: „Ich bin jetzt ein Münchner Kirchengemeinderat.“ Auf die Frage, wie das gekommen sei, antwortete er: „Ich habe später in der Johannesgemeinde gewohnt, und Albrecht Schiffbruch hat mich vielleicht zwei Jahre lang besucht, Monat um Monat, mein Bruder, bis ich schließlich aus Verzweiflung mitgegangen bin in den Jugendkreis, und dann bin ich dabei geblieben.“
Die Treue, die sich von der Liebe beflügeln lässt, hat Gott eine Verheißung gegeben. Weil in der Christenheit um uns herum so viel von Liebe gesprochen wird und so wenig von Jesus, verfallen wir oft ins andere Extrem. Wir meinen, wir müssten ganz schnell von Jesus reden, aus lauter Liebe.
Lasst uns nicht hetzen. Es gehört das Wort der Liebe Gottes dazu, eingepackt auch in die Zuwendung der Liebe. Es ist unbarmherzig, wenn man Geschenke macht und nicht auch ein schönes Papier darum herumlegt. Es ist einfach ein Zeichen, es ist lieb gemeint und nicht bloß, dass man in der Buchhandlung ein Buch ausgeholt hat.
Wir müssen auch das Wertvollste, was es gibt – die Liebe Gottes – deutlich werden lassen. Es ist uns wichtig, das einem Menschen zu geben.
Die Gestaltung der Zusammenkünfte als Methode
Zur Methode der Liebe gehört auch die gesamte Frage der Gestaltung unserer Zusammenkünfte. In Korinth kam es vor, dass ein Außenstehender, ein Unkundiger oder ein Ablehnender in die Gottesdienste kam. Sind unsere Türen überhaupt so weit offen?
In unserer Bibelstunde in Schöndorf kam einmal eine Frau herein. Sie machte die Tür auf, und sofort sprang unsere Frau Merz auf und sagte, die Elternversammlung sei eine Etage höher. Sie sagte nicht, es sei wunderbar, dass sie kommt. Nein, die Frau sagte nur „Entschuldigung, ich will zur Elternversammlung, nicht zur Bibelstunde“. Sind wir wirklich unter uns? Wer kommt hinzu? Wer wird eingeladen? Oder haben wir einen einladenden Touch?
In jedem zweitklassigen Kino gibt es Platzanweiserinnen. Wer hilft einem Außenstehenden, einen Platz zu finden, wenn er sich an denen vorbeiquetschen muss, die immer außen an den Bänken sitzen? Wer erklärt ihm, warum er gerade aufstehen oder sich hinsetzen muss? Wer sagt ihm, dass die Zahlen Liednummern bedeuten und nicht Seitenzahlen?
Wenn ich zum Finanzamt muss, bricht mir immer der kalte Schweiß aus, weil ich dort ein Formular falsch ausgefüllt habe. So geht es doch den Leuten, wenn sie zufällig einmal in Christenkreise hereinkommen. Wir müssen ihnen die Befangenheit nehmen durch eine große, herzliche und selbstverständliche Liebe.
Einen Gemeindemittag kann man einladend gestalten. Ein kaltes Buffet tut Wunder. Aber wichtig sind vor allem unsere Gemeinschaftszusammenkünfte, unsere Gottesdienste, in denen Lied, Beichte, Bekenntnis, Wort Gottes, Gebet und Fürbitte komprimiert sind. Dabei ist es wichtig, dass wir das einladend gestalten – ohne zu viel Geschwätzigkeit, aber menschlich und herzlich.
Und dass all das nicht sofort wieder abgewürgt wird von lieben Schwestern, die sagen, das alte Evangelium werde verwässert, anstelle des heiligen Ernstes beginne jetzt das evangelikale Tralala, oder dass dies oder jenes Lied eine Macke habe oder sonst etwas Schlimmeres. Wie leiden wir unter diesem Korsett der Geschwister, als ob das Herkömmliche das Wahre sei!
Nein, die Liebe Christi dringt uns so. Was konnte Zinzendorf für ein geniales System schaffen! Manches war überschäumend, das hat er selbst gemerkt, im Zeitalter des Rokoko. Das Angebot Jesu ist, alles im ganzen Stil zu machen.
Zur Liebe gehört auch, dass wir uns Gedanken machen, ob die zu gewinnenden Leute überhaupt in unsere Gruppen passen. Wo haben wir in unserem Hofacker-Verbundsystem die Möglichkeit, dass ein E-Zähler sagt: Der junge Mensch passt weniger in unseren Kreis, aber der Brüderbund hat einen interessanten Kreis junger Akademiker, dorthin muss er geschickt werden?
Nicht jeder kann alles machen – soziologisch, sprachlich oder von den Voraussetzungen her. Wenn jemand von der Bibel nichts versteht und nicht weiß, wo der Galaterbrief ist, dann muss er in Kreise gehen, in denen lauter solche Leute sind. Nicht in eine Bibelstunde, wo alle schon Gott in allen Zungen und auf allen Seiten der Bibel preisen können.
Wo haben wir die Phantasie der Liebe, dass wir sehen, wo Kreise und Gruppen sind? Ich habe den Traum einer gesamtevangelikalen Strategie trotz vieler Enttäuschungen nicht aufgegeben.
Im letzten Jahrhundert gab es in Stuttgart den Prälaten Kapf. Er war nur anderthalb Jahre Prälat. Dann merkte er, dass man als Prälat nichts ausrichten kann – schon damals nicht – und wurde wieder Pfarrer an der Stiftskirche in Stuttgart. Dort war er 27 Jahre gesegneter Pfarrer und brachte die damals ziemlich leere Stiftskirche dazu, dass sonntäglich 2.000 bis 3.000 Menschen kamen.
Er predigte eigentlich unter seinem geistlichen Niveau, weil er sagte: Wenn ich mit zu voller Kost komme, sind die Halbgebildeten und Halbungläubigen einfach wie der Ochs vor dem Berg. Ich muss ihnen eine Staffel hinstellen.
Für das Heiligtum sprach er eigentlich immer über das Gebet. Dort könne man dem heiligen Gott begegnen, der einen in seine Nähe ziehe. Aber er sagte auch, dass er die Leute, die wirklich ins Heiligtum wollen, in Kreise und Gruppen vermitteln müsse.
Er machte sehr viele Besuche – 3.000 im Jahr –, Kurzbesuche, in denen er einem Menschen deutlich machte: Du bist mir wichtig. Dabei überlegte er immer, wohin er wen weitervermitteln muss.
Ihm waren die Haner wichtig, die Altbietisten. Aber für viele merkte er, dass das zu geheiligte Zirkel sind. Deshalb gründete er den neuen Jugendverein neben dem alten Stuttgarter CV. Dann begann er neben diesem neuen CVM den Jugendverein mit seinen Lehrlingen. Er startete Frauenstunden und Besprechstunden ohne biblisches Thema, aber über geistliche Themen. Außerdem fasste er all die Leiter und Verantwortlichen in einem Verbund der Prediger und Missionskonferenz zusammen, damit man auch wieder voneinander wusste.
Viele Christen, die interessiert waren, sind abgeschwächt zu den Anthroposophen. Wir hätten ihnen sagen müssen: Wenn du solche Fragen hast, dann geh doch zu den Hanern. Die bewegen die tiefen Geheimnisse Gottes.
Manche Studienräte wären zu ihrem geistlichen Recht gekommen, wenn es die Phantasie der Liebe gegeben hätte, die auch ein Verbundsystem sieht. Früher sagte man: Erwin, du kommst jetzt nicht mehr in den CV, du kirchst in der Brüdergemeinde, das ist ein anderer Stund. Man hat ihn weitervermittelt, um ihm auch eine Chance auf eine geistliche Karriere zu geben.
Genug davon. Ich möchte keine neuen Methodenkataloge formulieren. Aber es ist mein Gebet, dass Jesus, die Liebe in Person, unsere Selbstsicherheit umformt und unsere Hartherzigkeit in Geschmeidigkeit verwandelt. Dass wir wirklich beweglich werden und uns liebevoll ausstrahlen können, damit Menschen gewonnen werden.
Die größte der Geistesgaben ist die Liebe. Also: Herr, verwandle meine Methoden, heile meine Methoden, reinige meine Motive, und Herr, ermahne mich und tröste mich.
3. Herr, ermahne und tröste mich
Bei Ruder Wolfsberger wurde bereits angedeutet, was das Geheimnis der Predigt von Hofacker war. Als er gefragt wurde, was denn das Erfolgsrezept seiner von Tausenden besuchten Gottesdienste sei, antwortete er: „Ich predige, was ich selbst brauche, nämlich Buße und Vergebung der Sünden.“
Im Gallerer Brief steht: „Es gibt kein anderes Evangelium.“ Gemeint ist die Gnade Gottes für Sünder. Aber, liebe Geschwister, es gibt kein Evangelium für Bekehrte und ein anderes für noch nicht Bekehrte. Wir haben gemeinsam dasselbe Evangelium.
Und das Schlimme ist, wenn wir den Eindruck erwecken, wir hätten als Leute, die zu Gott hingefunden haben, den armen Unkundigen den Weg zu weisen. Wir hätten als die, die gegründet sind in der Wahrheit, den anderen endlich mal bei. Er wartet eigentlich noch einmal mit einem Superlativ. Am allerwichtigsten ist die prophetische Rede.
Jetzt denken wir an Kaffeesatzlesen, eindringende Geheimnisse Gottes, dass vor diesem Mal das Übermorgen passiert. Das ist bei Paulus, 1. Korinther 13, eventuell angedeutet. Er weiß alle Geheimnisse. Aber es wird dann deutlich, was er eigentlich mit prophetischer Rede meint.
Er erzählt im Grunde genommen in 1. Korinther 14, wenn es dort heißt, dass sie auf ihr Angesicht fallen, in ihrem Gewissen überführt sind und preisend sagen, dass Gott unter euch lebendig ist. Er erzählt die Geschichte von 1. Könige 18, Elija auf dem Karmel. Elija war der Prophet Gottes und hat das Volk ermahnt: „Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten?“ Ihr seid scheinheilig, ihr seid doch gar nicht Volk Gottes, dient halb dem Baal und halb dem lebendigen Gott.
Das ist die Ermahnung, die wir alle brauchen. Die scheinheiligen Menschen um uns herum, die meinen: „Ich glaube doch an Gott, ich lebe auch so, dass, wenn ich nicht in den Himmel komme, wer denn dann?“ Und unsere Scheinheiligkeit gehört ermahnt. Was in Gedanken ist, was in Träumen aufsteigt, was im Zorn aus uns herausbricht – du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von all deinem Gemüt, mit all deinen Kräften.
„Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht“, sagt Paulus nicht vor Damaskus, sondern als der Apostel Jesu. Deshalb dient das prophetische Wort, sagt Paulus in 1. Korinther 14, der Eudämonie, der Erbauung der Gemeinde, und zwar von Außenstehenden, Unkundigen, Unwissenden und von euch. Durch solche Ermahnung sollen sie ihrem Gewissen überführt werden und sagen: „Ich habe ja eigentlich Gottes Zorn verdient.“ Und durch Tröstung, dass Gott genau mit den Niedrigen anfängt, dass er die Armen aus der Asche erhebt, dass er den Hochmütigen widersteht und den Demütigen Gnade gibt.
Das ist der ganze Trost Gottes. Darum, wenn die Gemeinde zusammenkommt zu Gottesdiensten, Hauskreisen, Gemeinschaftsstunden, Treffen und Freizeiten, soll dort etwas hörbar werden, was sonst nirgends zu hören ist, nämlich das prophetische Wort Gottes. Das ist nützlich nicht bloß zur Lehre, sondern zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung der Gerechtigkeit.
Der Geist Gottes, der in wahrhaft prophetischer Rede wirkt, ist darauf aus, uns die Augen zu öffnen: Was ist Sünde, was ist Gerechtigkeit? Darum werden auch die Frommen zu Evangelisationen gekarrt mit Omnibussen, wie man uns oft den Vorwurf macht. Darum, weil wir doch einen Sugar brauchen, nicht damit wir die ersten 600 stellen, sondern damit die anderen auch noch im Schutz der Anonymität dabei sein können.
So weit wir es brauchen, die wir versucht sind, täglich zur Selbstsicherheit, zum Stillstand und Rückschritt, zur christlichen Routine, die wir oft meilenweit entfernt sind vom Apostolischen: „Ich habe es noch nicht ergriffen, ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christus Jesus ergriffen bin.“
Wie ist es denn im weltlichen Bereich? Da ruft die Freundin meiner Frau an und sagt: „Ich täte gern mein Englisch wieder aufbessern. Ihr habt mich auch gemeldet beim Englischkurs. Da ist so eine gute Lehrerin. Kommst du nicht mit?“ Sie sagt nicht: „Ich habe wunderbar Englisch gelernt, dir täte es auch gut, soll ich dir nicht ein paar Lektionen geben?“ oder „Ich wüsste ja einen guten Lehrer, so kommst du mit, wir beide haben es nötig.“ Oder: „Prima, da ist ein tolles Konzert, ich habe schon Karten besorgt, den einen für dich zurücklegen lassen. Kommst du nicht mit?“
So müsst ihr unser Einladen sein beim Gewinnen, weil ich es auch haben will, weil ich es brauche. Es wäre doch schade, wenn du nicht auch dabei wärst.
Und glaubt nicht, verehrte Schwestern und Brüder, dass nur einer von uns die Gabe der prophetischen Rede einfach hat. Schon bei den Propheten Israels heißt es: „Und das Wort des Herrn geschah.“ Selbst bei Jeremia, der von Mutterleib an zum Propheten berufen war, geschah es. Er hat es nicht auf einem Briefchen gehabt und gesagt: „Lieber Gott, du hast mich bestimmt, also ist alles, was ich sage, prophetisch.“ Es hat immer den Propheten zuerst selbst ergriffen, dass er erschrak bis in die Reaktion hinein.
Sonst geben wir etwas als Brot des Lebens aus, das in seiner Formelhaftigkeit schmeckt wie ein unverdaulicher Dauerzwieback. Liebe Freunde, jedes Lebensmittel, jede Arznei hat auch ein Verfallsdatum. Auch unsere Beispielgeschichte.
Also ich erschrecke immer wieder, wenn bei den Lektoren Predigten kommen, was Hoffnung ist. Ein Missionar in der Südsee fragte einen Eingeborenen, was das Wort für Hoffnung ist. Er sagte: „Durch den Horizont schauen.“ Das haben schon Evangelisten um 1720 erzählt. Wir müssen doch langsam auf ein neues Beispiel kommen. Auch Beispiele haben ein Verfallsdatum.
Wenn Gott unter uns etwas tut, gibt es hoffentlich neue Beispiele für Hoffnung. Darum erbittet, wenn ihr Menschen gewinnen wollt, von Gott die Gabe, die geistliche Gabe der prophetischen Rede.
Der schwäbische Vorzeige-Christ Johann Christoph Blumhardt hat in seinem Leben nicht wenig erfahren von der wunderwirkenden Kraft Jesu. Aber noch wichtiger war ihm in Möttlingen-Tropen die Bekehrung der Leute. Er sah nüchtern, dass nach dem großen Aufbruch im ganzen Dorf auch wieder Trägheit, Lauheit und Gleichgültigkeit zunahmen.
Er war ein alter Mann, als er uns sein Foto schrieb: „Was ich an Jesus habe, weiß ich jetzt erst recht.“ Nicht das, weiß ich seit den Tagen der Erwägung in Möttlingen, sondern weiß ich mit 82 erst recht. Und das muss man uns abspüren, dass wir mit jedem Lebensjahr das eigentlich sagen können: „Was ich an Jesus habe, weiß ich jetzt erst recht.“
Kommt doch, da kann man Tolles lernen bei Jesus.
Schluss: Ermahnung und Trost für die Gemeinschaft
Ich darf heute Abend noch etwas aus dem Epheserbrief auslegen. Dabei ist mir besonders die Jahreslosung aufgefallen, in der Paulus sagt: Natürlich wart ihr Heiden weit weg von Gott, ihr wart sogar ohne Gott in euren Sünden. Wir als Volk Gottes waren näher dran, wir waren das erwählte Volk. Aber auch wir lebten nach dem Fleisch, genau wie ihr. Jesus hat den Zaun durchbrochen, der uns letztlich von Gott trennte – selbst uns Pharisäer. Er ist unser Friede.
Es hat mich sehr gefreut, als mein Mitarbeiter, der mich manchmal durch die Lande fährt und der sicher mit dem Pietismus nicht viel zu tun hat, plötzlich nach drei, vier Jahren so viel Freude auch in pietistischen Gemeinschaften erlebt hat und dort so viel Liebe erfahren hat. Jetzt fragt er immer: Sind das Leute, kommen die zu Os? Er rechnet sich selbst mit dazu. So müssten wir eigentlich auch zu denen sagen, die fernstehen: Gott hat für uns etwas übrig – für uns alle gemeinsam, für dich und für mich.
Meine Hoffnung liegt in Jesus. Wir wollen nicht nur solche gewinnen, die es nach unserer Meinung nötig haben, sondern auch wir, die es von Tag zu Tag noch mehr nötig haben, wollen andere mitnehmen zu dem guten Herrn. Er muss uns miteinander heben, tragen und erretten, ermahnen und trösten, wenn wir an sein großes Ziel kommen sollen. Herr, ermahne und tröste auch mich.
Herzlichen Dank für Ihr geduldiges Zuhören.
Natürlich hört man in bestehenden Gruppengemeinschaften oft das, was man schon im Jahr 1911 vor dem neuen württembergischen Gesangbuch, also dem vorvorletzten Gourmeysch, gesagt hat: Man hätte auch noch warten können, bis alte Leute gestorben sind. Irgendwann müssen wir aber anfangen. Und zu den bestehenden Gruppen sagen: Es ist gar nicht für euch gemeint, sondern ich möchte hier etwas probieren für die 25- bis 30-Jährigen.
Haben wir uns schon einmal überlegt, dass wir aus Erfahrung sprechen? Es ist immer so, wenn man aus alter Zeit erzählt, dass das auch Gefahren birgt. In Schorndorf haben wir gesagt, das Mittelalter ist überhaupt nicht erreicht. Als ich etwa Dieter Fischer vom Musikhaus Fischer eingeladen habe, sagte er, er sei zwar Vorsitzender vom Handels- und Gewerbeverein, aber er sei öfter bei uns als in seinem Verein. Er kommt vielleicht zweimal im Jahr dorthin, sonst lasse ihn der Terminkalender nicht. Bei uns war er nicht als Hymnuskonzert wahrgenommen, aber auch bei Beerdigungen und Elternabenden war er dabei. Überall, wo der Pfarrer ihn sah, rechnete er das als Bekenntnis zur Kirche Jesu Christi.
Sein Terminkalender ist voll. Für diese Altersgruppe, in der Mann und Frau meist am Samstagmittag oder Freitagabend schon Ski aufs Auto schnallen oder das Surfbrett nehmen und in Richtung Allgäu oder Bodensee fahren, müssen wir Termine finden, die über den Heiligabendgottesdienst hinausgehen und wo sie auch kommen können.
Kollege Anhut hatte die Idee von Schlüsselgesprächen. Diese liefen nicht, solange der Gemeindediakon und wir Pfarrer unterschrieben haben. Aber als Dieter Fischer, Wolfgang Bandl und einige Frauen und Männer aus dieser Altersgruppe eingeladen wurden und wir zu den Älteren sagten: Ihr nicht, was für Leute bis 40 – da wurde daraus plötzlich etwas, bei dem sie drei bis vier Mal im Jahr zeigen konnten: Dazu gehöre ich eigentlich zu dieser Firma.
Man muss auch bis hin zur Wahl der Themen einen geistlichen Prozess finden. Indem sie Verantwortung übernommen haben, sind sie plötzlich auch öfter in den Gottesdienst gekommen. Es ist auch ein Erziehungsprozess in der Gerechtigkeit, deshalb muss man irgendwo anfangen.
Ich könnte mir vorstellen, nicht alles zu machen. Deshalb ist es so schwierig, ein Referat zu halten, weil viele Anregungen in der FML drin sind, und man sagt: Ich kann gerade alles machen, wir haben ohnehin schon genug. Aber wir könnten einen Personenkreis einladen, Leute, die sagen, die Kirche tut zu wenig für die Öffentlichkeit und politische Verantwortung.
Wenn ich an Direktor Eichmüller, Oberbürgermeister Gönner denke, warum machen wir nicht drei- bis viermal ein Gebet für die Stadt? Dabei könnte der Oberbürgermeister Gönner berichten, was er in der Nacht macht, mit der Müllverbrennung usw., und der Landrat, der Sozialamtsleiter und der Chefarzt vom Krankenhaus könnten dabei sein. Immer drei, vier aus der Gemeinde beten für diese Menschen, die uns erzählen, was los war.
Ich garantiere, das wird besser besucht sein als jede Evangelisationsveranstaltung. Gebet für die Stadt ist eine große evangelistische Möglichkeit. Ich erlebe das jetzt in meiner Seelsorge, die wartet darauf, dass der Prälat kommt und sie viertelstündlich fragt, wo ihre schlaflosen Stunden sind und warum, und wie sie fertig wurden mit dem Personalerbau für 2000 Leute aus Wielandwerken.
Ich weiß auch keinen Rat, aber ich kann mit Ihnen vor das Angesicht Gottes treten und für Sie beten, mit Ihnen beten. Ich halte das Gebet heute für eine große evangelistische Chance. Siegs Karl Kapf hat das auch gesehen.
Es sind drei, vier neue Termine, aber gehen Sie mal an einen Personenkreis, auch mit Ihren Gemeinschaften und Kreisen, die bisher von uns nicht abgedeckt sind. Auch durch die Wahl solcher Personen wird evangelistisch deutlich, dass wir weiter sind. Oft entsteht der Eindruck, auch beim lebendigsten EC, dass es ein geheiligter Zirkel ist, der nur die ganz Frommen anspricht.
Deshalb sollten wir auch durch Menschen und Thematik deutlich machen, was wir wollen. Dann wird euch oft gesagt, Stichwort Feuerwehrfest: Wo hört das auf? Stellt euch nicht dieser Welt gleich! Wenn ich im Auftrag Jesu hineingehe, um Menschen für Jesus zu gewinnen, hätte Jesus gleich im Himmel bleiben können und sich dieser Welt nicht gleichstellen müssen, als er zu Zöllnern und Sündern ging.
Natürlich war es sehr eng gesehen, dass er zu Matthäus ins Haus ging. Stellt euch das vor: Das wäre wie, wenn er in Schorndorf in die Spelunke Kalypso gegangen wäre, wo Haschisch gedealt wird. Das Haus von Matthäus war prima. Wenn er wenigstens in der Synagoge die Leute eingeladen hätte, wäre das noch recht gewesen, um ein Bibelstündchen zu halten. Aber einfach dort im Zöllnerhaus essen, das war nicht nötig.
Jesus ging es ja nicht darum, all die Machenschaften der Pharisäer mitzumachen, sondern dass sie das Heil Jesu finden. Es hängt davon ab, ob uns die Angst vor den Superfrommen im Genick sitzt, dass das Fallbeil herunterkommen könnte und wir abgeschrieben werden, wenn wir im missionarischen Einsatz sind.
Als der Ziegenbalg als erster deutscher Missionar nach Indien ging und zuerst die Sprachen lernte und mit Brahmanen sprach, damit er wusste, wohin das Evangelium gehen muss, schrieb ihm die Missionsgesellschaft in Halle beinahe ab: Das tut man doch nicht, mit heidnischen Priestern sprechen.
Wir sind immer sehr schnell dabei zu wissen, was man nicht tun darf. Dabei muss die Liebe Christi dringend sein, ohne alle Machenschaften mitzumachen. Vielleicht müssten wir sehr schnell aufstehen. Da hat man als Missionar ein gutes Gefühl.
Bei meiner Fünfziger-Feier war zwar Minister Guntram Palm auch dabei, der mit fünfzig war. Da war sie sehr geehrt, als der radikale Chefbuch damals da war. Aber man merkte sehr schnell, als die ersten schlüpfrigen Witze kamen, dass er aufstehen muss. Ich durfte vorher für sie die Andacht halten, in der ich sagte, sie könnten doch vorher in der Stadtkirche eine Andacht halten, wo ich versucht habe, das Wort zu sagen.
Irgendwo müssen wir signalisieren, dass uns diese Menschen wichtig sind. Der Heilige Geist wird uns ein sehr gutes Gespür geben, aufzustehen. Der Dekan Seng in München sagt: Ich gehe zu jedem Fest, und die Leute freuen sich, dass sie kommen und sind auch froh, wenn die Bitterbänder aufstehen.
Natürlich ist man vielleicht trotzdem mit dem Gewissen getroffen, dass man jetzt steht. Christ, steh auf! Jetzt ist der Punkt, das wäre doch eine Sache.
Ich sehe nur, dass manche Dinge – warum hat man überhaupt so ein Evangelisationszelt erfunden? Man sagte: Das Zirkuszelt ist ein Signal, damit deutlich wird, vom Universitätsprofessor bis zum Hilfsarbeiter geht man zum Zirkus. Das ist ein Ort für alle, während der Konzertsaal für Akademisch Gebildete ist.
Das Zelt war ein Anspruch für alle. Heute ist das Zelt so fromm geworden, dass nur noch ganz Fromme hineingehen, abgesehen vom Zirkus. Das Harmonium war früher ein ganz weltliches Instrument, heute ist es superchristlich, das kaum jemand mitnutzt.
Wir müssen neue Stilformen benutzen. Als sie in Schorndorf gefeiert haben und Eis die ganze Stadtkirche mit Staniol ausgekleidet haben und eine tolle amerikanische Singgruppe geholt haben – geistlich gut.
Was hat die X Promeleiten des in unserer Stadtkirche gemacht? Jetzt kann man eigentlich nicht mehr in die Stadtkirche gehen, jetzt ist sie entweiht, so etwas gab es noch nie. Nein.
Ich denke immer, wir wollen alle fröhlich sein in dieser österlichen Zeit. Das singen sie natürlich nicht, aber das Gesangbuch ist im Grunde ein wunderbares Tanzlied: Wir wollen alle fröhlich sein, in dir ist Freude, in dir ist Freude. Dann muss man schnell genug singen, dann merkt man das Tanzlied.
Warum beanspruchen wir nicht die Dinge und merken, was das Zeitgefühl ist? Natürlich haut es mir der Magen dreimal rum, wenn gesungen wird: Jesus starb am Kreuz, Halleluja, Jesus starb am Kreuz für mich und Liebe, Zeit. Das ist eine etwas ernsthaftere Sache.
Aber es ist Zeitgefühl. Vielleicht kriege ich die Botschaft von Jesus für heutige Zeitgenossen nur rüber, wenn ich nachsinge: Der am Kreuz ist meine Liebe, für mich privat. Aber ich kann nicht mein Gefühl zur Vorschrift machen für die Generation, die schon die Generation meiner Enkel ist.
Ein Termin in der Gemeinde war eine konkrete Frage. Eine Antwort war: Man sollte sich eine Sache vornehmen, eventuell mit einem neuen Aktionskreis, und sich von einer Sache dispensieren.
Zweite Antwort: Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, aber in der Kirche verwenden wir zu viel Zeit für Sitzungen. Eine Sitzung, die lang dauert, ist schlecht vorbereitet, oder es ist ein Kreis, in dem so viel Misstrauen herrscht, dass man auch bis zwölf Uhr nachts diskutieren kann und nichts herauskommt.
Es braucht Grundvertrauen und die Frage: Was könnten wir tun? Was sollten wir tun? Was packen wir miteinander an? Wofür haben wir das Geld? Wenn wir uns nicht einig werden, sollten wir überlegen, die nächste Sitzung erst in vier Wochen zu machen, um nachzudenken und miteinander zu sprechen, damit man beim nächsten Mal eine Entscheidung treffen kann.
Eine Sitzung ist keine Stunde, in der man sagen kann: Das, was vorher gesagt worden ist, möchte ich auch noch einmal sagen. Das darf man in der Abstimmung deutlich machen, wofür man ist.
Gut, es war ein Gedanke. Wer hat nun andere Gedanken? Gut, nur den einen? Können wir dem zustimmen? Zack, nicht? Also: Wir müssen ganz neu in Sitzungen denken. Die Zeit ist kurz, da müssen wir Zeit gewinnen.
Manchmal muss man überlegen, ob man manche Dinge einstellen kann. Bewegt euch in Liebenzell. Ich darf es dem Gerner sagen: Ich habe mit harter Hand die Konfirmation in Liebenzell, die 21 Jahre gelaufen ist, abgestellt.
Ich bin weit über meine Kompetenzen als Hofhager Vorsitzender hinausgegangen, aber wir haben so viel geredet im Oberkirchenrat und in Hofhager Kreisen. Nach fünf Anmeldungen haben wir gesagt: Das lohnt den Aufwand nicht.
Der Kirchgemeinderat in Liebenzell redet darüber. Es gibt manche Dinge, da muss man auch mal sagen: Das braucht zu viel Kraft im Verhältnis zu dem, was erreicht wird.
Deshalb Termine sparen heißt auch, einmal zu probieren, ob man bei manchem Fehlen kann und ob es überhaupt gemerkt wird. Ich probiere das bei manchen Sitzungen und Besprechungen und sage: Es tut mir furchtbar leid, dass ich nicht kommen kann. Plötzlich merke ich, es ist ganz gut ohne mich gegangen. Also kann ich das nächste Mal darauf verzichten.
Man kann sich aus manchen Sitzungen auch dispensieren. Das wären Ratschläge, aber ich weiß, dass unsere Terminkalender zu voll sind. Prioritäten setzen oder „Prosterioritäten“ – was ist weniger wichtig? Wo können andere auch ohne mich?
Da muss man oft fragen: Viele Teilnahme, auch bei uns, frage ich vor Gott, reinige meine Motive, wenn ich denke, ohne mich geht es nicht. Große Täuschung.
Wilhelm Busch war ein großer Seltsager, weil er Gespräche sprach und immer den vierzehnjährigen Lehrling in der Grube im Bergwerk vor Augen hatte und die Leute in Sägerau, die ganz unkirchlich waren.
Deshalb sind die frommen Leute zur Evangelisation mit wie ein Busch geströmt, weil sie gemerkt haben: Das Evangelium ist für mich. Wir müssen für den Außenstehenden sprechen.
Den kann man nicht helfen, bis er dann mal auf die Nase fällt und wieder zur Stadtmission kommt. Die Begeisterung hört auch mal irgendwo auf. Wer dauernd nur Sahnetorte isst, will auch mal wieder Schwarzbrot essen.
Ich habe das sehr bewusst gesagt: Es gibt kein anderes Evangelium für Fortgeschrittene. Genau hier liegt der Fehler, wenn wir uns nicht ausrichten, wie Paulus in Römer 7 sagt: „Ich bin doch fleischlich unter die Sünde verkauft“ oder im Philipper 3: „Nicht, dass ich es schon ergriffen habe.“
Dann verstehen wir das Evangelium falsch. Natürlich können wir sagen, wie im ersten Petrusbrief, einem Präbrief: Es ist höchste Zeit, dass wir eigentlich mal für Fortgeschrittene etwas sagen. Aber ihr seid ja noch hartnäckig dazu, ihr braucht immer nur Kindesmilch.
Im Grunde genommen müssen wir so schaffen.
Jetzt war dahinter noch eine andere Frage: Es sind ein paar Fragen zu Motivation und Vergebung. Wenn ich nicht alles beantworte oder nicht zufriedenstellend, bin ich ja auch ein Sucher.
Früher hat man viel öfter mit persönlichem Kennenlernen von Situationen gearbeitet als mit Papier. Papier ist ein ganz schlechter Wärmeleiter.
Früher, wie uns der Generalsekretär Elsässer oder Gustav Schwab, CFADM-Sekretär für Nürnberg, erzählt haben, gab es noch keine hauptamtliche Ausbildung. Man schickte Leute für zwei Wochenenden nach Stuttgart zum CFADM. Dort sollten sie vom Samstagabend bis Sonntagabend alles mitmachen, was dort gemacht wird.
Dann sagten sie: Jetzt probierst du dasselbe in Ansbach, nicht? Das war die Ausbildung. Man sah, was läuft. Sie erlebten nur einen Ausschnitt.
Ich habe in meiner Heimatgemeinde, der Johannesgemeinde, den Stadtmissionar Vogelgesang erlebt, einen begabten Mann, der unter heutigen Bedingungen Professor geworden wäre. Er sagte: Wir dürfen es nicht nur den Nazis überlassen, dass sie die Leute einspannen.
Er begann damals bei jedem Besuch zu fragen: Wollen Sie nicht mithelfen in unserer Gemeinde? Auf sechs Anfragen bekam er fünf Körbe, aber auch einmal ein Ja: Was muss ich denn machen?
Dann sagte er, in dieser Gemeinde von damals, dem Gemeindebezirk von acht Evangelischen, da hatte man nicht so wunderbare Gemeindebriefe wie heute. Es gab nur kleine Kerdlemper, die einmal im Monat an jede Glastür gedruckt wurden: „Ich wollte Ihnen etwas von der Gemeinde bringen.“
Er ließ kleine Holzkreuze herstellen, die wir mit der Kinderkirche bastelten. Wenn jemand in der Familie gestorben war, wurde zwölf Monate lang zuerst das Kreuzchen überreicht und dann eine Gedenkkarte mit den Worten: „Lass uns bedenken, dass wir sterben müssen, und Gott alles tröstet.“
Wenn nach zwölf Monaten niemand reagierte und keinen Kontakt mit der Kirche suchte, wurde das Gespräch mit dem Besuchenden wieder aufgenommen. Man hörte nicht auf, sondern machte das Angebot: Wir suchen eure Nähe.
Nicht mehr als acht Glastüren, das waren oft sogar in einem großen Stuttgarter Wohnhaus mehrere Glastüren. Man sollte schauen, dass man möglichst hinter die Glastür kommt, mit den Leuten ins Gespräch kommt.
Aus dieser Mannschaft von Frauen und Männern, die Besuche machten, gewann er eine missionarische Mannschaft. Von denen kamen dann wieder Fragen zurück: Was sagen wir, wenn …?
Ich habe es in Schorndorf nach langen Jahren versucht. Nach acht Jahren ist schließlich auch nach manchem Beten etwas aufgebrochen. Dort hatte jemand Mut, manche Leute anzusprechen.
Ich merkte plötzlich, ob Konfirmanteneltern oder andere: Viele Leute sagen, ihr habt früher im Jugendchor mitgesungen oder ich war früher auch mal in der Kirche, in der Gemeinschaft, oder meine Mutter war im Kirchenchor. Es gibt manche Bindungen, die ihnen selbst das Alibi geben: Ich probiere es mal.
Dann holten wir Erwin Schumann, der uns ein Seminar halten sollte. Er schob in seinem Tageslichtprojektor eine Folie mit möglichen Antworten ein, wenn Leute über die Kirche schimpfen.
Eine der Antworten war: Sie sollten Jesus mehr kennenlernen. Da sagte selbst meine Frau, der kann nicht mitmachen. Dabei war das, was Erwin Schumann sagen sollte, dass man das nicht sagen sollte.
Seine empfohlene Antwort war Nummer eins: Sie sollten sagen, sie hätten wohl schlechte Erfahrungen mit der Kirche oder mit Christen gemacht, damit die Leute mal ausparken können. Alles, was sie sagen wollen.
Aber zu sagen: „Sie müssten Jesus kennenlernen“, das kann ich nicht. Nach zwei Jahren gab es eigentlich niemanden in dem Kreis von über achtzig Leuten, der diese Frage nicht auch hätte stellen oder beantworten können.
Es war ein Wachstumsprozess. Die, die von ganz fern hereinkamen, wo man es nie zugetraut hätte, dass sie mitmachen, sind geistlich gewachsen, in Phantasie gewachsen, halfen bei Gemeindebriefen, schrieben „Strohsternle“ drauf oder „von eurer Helferin sowieso“. Plötzlich sagte jemand: Sind Sie die Maria Mutter? Ach so, man spricht schon lange mit Ihnen.
Man macht aufmerksam auf gewisse Dinge, die sich selbst animieren. Man muss nicht immer vorne stehen und als Pfarrer oder Prediger animieren, was gemacht werden muss. Lasst die Ideen kommen!
Wir sind doch Originale. Gottes Geist hat Begabungen in die Menschen gelegt. Wenn sie an eine Arbeit gesetzt werden, arbeitet dieser Kreis für sich.
Genauso ein Gottesdienstvorbereitungskreis für Wochenschlussgottesdienste, natürlich ohne Talar und ohne „Im Namen Gottes des Vaters“, und mit einem Lebensbild und Hymnen plus Lieder, gesungen von Apelles von Löwenstern.
Ich weiß gar nicht, ob ihr wisst, wer Apelles von Löwenstern ist und was für Lieder er gesungen hat und wie plötzlich sein Lebenslauf sich in den Liedern spiegelt.
Einmal haben junge Leute vom EC von der Freizeit erzählt, und wir haben mit ihnen die Lieder gesungen, die sie auf dieser Freizeit gelernt haben – jedes Mal etwas anders!
Meine lieben, treuen Bengelhausfiguren, die nach mir kamen, und Kollegen haben diesen wunderbaren missionarischen Gottesdienst wieder total kaputtgemacht, weil sie wieder mit dem Talar gekommen sind und im Namen Gottes des Vaters und Sohnes drei Lieder vorne und hinten und bei Gebet vorne und hinten.
Die Leute brauchen einen Anlass, der ein bisschen anders ist als sonst die Stunde oder der Gottesdienst. Sie müssen merken: Aha, da ist was für uns Oberbank macht, nicht für die Insider.
Bis hinein in den Stil müssen wir uns überlegen. Wenn das nicht ein Gottesdienstkreis in der Hand hat, sondern die Funktionäre, dann hört mit jedem Funktionär, der geht, die Sache wieder auf, und andere machen es wieder anders.
Deshalb möglichst delegieren in einen Aktionskreis und Leute versuchen zu gewinnen.
Wir müssen in unseren verantwortlichen Gremien, ob Kirchengemeinderäte oder Gemeinschaften, überlegen: Wen könnten wir denn in der Häberlestraße ansprechen? Lassen Sie uns mal Haus um Haus durchgehen. Ich kenne die Leute überhaupt nicht.
Kennt jemand in der Häberlestraße jemanden? Gibt es da überhaupt niemanden, der kirchlich ist? Vielleicht müssen wir mal die ganze Häberlestraße nächstes Mal mit unserem Posaunenchor an Advent bespielen und ihnen ein Zeugnis geben.
Welches Traktat können wir ihnen bringen? Wir müssen selbst Defizite entdecken. Oder finden wir jemanden als strategischen Punkt, mit dem wir besprechen: Wenn ihr eure Kinder mit dem Auto zum Kindergottesdienst bringt, könntet ihr nicht auch die Nachbarfamilie mitbringen?
Dann die Nachbarfamilie fragen: Macht ihr nicht mit? Oder die Eltern nicht einmal mit auf die Freizeit? Wir müssen Kontakte, die da sind, ausbauen, strategisch ausbauen. Da müsste man viel mehr schaffen als mit all den Verwaltungssachen, die wir haben.
Was machen wir, wenn wir gut begonnen haben, geistlich begonnen haben und die Motive klar sind, aber plötzlich Seitenmotive hereinbrechen? Wenn plötzlich Ehrgeiz wieder hereinkommt und wir zeigen wollen, wer wir sind und all diese Dinge.
Überlegt euch einmal, ob wir nicht auch im verantwortlichen Kreis nicht bloß sagen: Wir wollen miteinander auf ein Wochenende gehen, wir untereinander, sondern: Wo ist ein geistliches Angebot, wo wir als verantwortlicher Kreis unterstehen können, unter das Wort kommen können?
Sonst ist es immer der, der Verantwortung trägt – ob Prediger, Jugendwart oder sonst wer –, der die Leute wieder auf Vordermann bringen muss.
Nein, wir wollen miteinander wieder von Gott zur Sache gerufen werden, damit wir miteinander bis zum Ziel kommen.
Ich finde es fast beschämend, dass Taizé solche Dinge hat, wo es seine Leute wieder zusammenruft, wo wieder geistliche Vordermänner kommen. Wo haben wir solche Rüstzeiten?
Liebenzell gibt es sicher, aber im Bodenseehof machen sie es auch. Wo ist diese geistliche Stärkung?
Wie motiviert man Menschen zum Mitmachen? Einfach einladen und sagen: Ich brauche dich, mache mit!
Im Evangelium steht bei uns vom Herrn der Richter, der sich nicht rausbringen lassen wollte, aber um ihres unverschämten Willens.
Wir waren bisher in einem reichen Land, in einer reichen Kirche, in einer reichen Gemeinschaft. Wenn ein personelles Problem da war, haben wir es gelöst durch Teilzeit- oder Vollanstellung eines Hauptamtlichen.
Wir werden wieder ganz anders betteln müssen, dass Laien – sogenannte Ehrenamtliche, obwohl das ein falscher Begriff ist, denn wir alle haben ein Ehrenamt – mitmachen.
Ob uns die Sache wichtig ist, zeigt sich daran, dass wir inständig bitten und sagen: Wir brauchen dich!
Auch wir, die wir dafür besoldet werden, müssen noch einmal ganz anders herangehen.
Man kann durchaus mehr als 24 Stunden schaffen, wenn man eine Stunde vor Sonnenaufgang aufsteht. Das ist ein Witz, wenn ein Schwarzer gesagt hat: Es geht immer noch ein bisschen mehr.
Andere Leute denken: Ach, es kommt der Ruhestand. Was machen wir dann in der Gemeinde Jesu? Wir wissen, dass wir noch genug zu schaffen haben. Das ist schon wunderbar.