Sehnsucht nach einer angstfreien Gemeinschaft
Ja, wie wünschen wir uns Gemeinschaft? Eine Gemeinschaft, in der wir sind, eine Gemeinschaft, zu der wir gehören. Wir sehnen uns nach Gemeinschaft, die uns Geborgenheit vermittelt.
Geborgenheit bedeutet immer auch, dass es eine Gemeinschaft ist, in der wir uns möglichst völlig angstfrei bewegen dürfen und können. Eine Gemeinschaft, in der wir uns nicht fürchten müssen, wenn wir beobachten, dass zwei oder drei leise miteinander reden. Denn wir wissen, dass sie nicht gegen uns sind und nicht über uns tuscheln – zumindest nichts Negatives, nicht um uns zu schaden oder unserem Ruf zu schaden.
Wir müssen uns nicht fürchten. Wir müssen keine Angst vor dem Einfluss haben, den andere auf diese Gruppe ausüben. Denn wir wissen, dass niemand seine eigenen Ziele in dieser Gemeinschaft verfolgt, dass niemand seinen eigenen Vorteil im Blick hat.
Stellen Sie sich diesen Moment vor: Es ist eine Utopie, oder? Gibt es so etwas? Ja, es ist eine Utopie, aber ich glaube, genau diese Gemeinschaft wird uns Jesaja heute vorstellen.
Einführung in den letzten Abschnitt des Jesajabuchs
Wir kommen zum letzten größeren Abschnitt in diesem Propheten. Heute werden wir jedoch nicht den gesamten Abschnitt betrachten, sondern nur den ersten Teil davon.
Ich hatte euch bereits gezeigt, dass man den zweiten großen Teil von Jesaja in drei Abschnitte einteilen kann. Zufällig oder nicht, hat jeder dieser Abschnitte genau neun Kapitel: Kapitel 40 bis 48, Kapitel 49 bis 57 und Kapitel 58 bis 66. Danach endet das Buch.
Heute beschäftigen wir uns, wie gesagt, mit dem letzten Teil, also den Kapiteln 58 bis 66. Vielleicht können wir uns das Schema kurz anschauen. Grundsätzlich teilt sich dieser letzte Teil von Jesaja noch einmal in zwei recht große Abschnitte auf: Jesaja 58,1 bis 63,6 und dann Jesaja 63,7 bis zum Ende des Buches.
Jesaja beginnt damit, vor allem noch einmal die Situation während der Deportation nach Babylon zu betrachten. Aus seiner zeitlichen Perspektive liegt diese Zeit zwar noch etwas in der Zukunft, aber nicht allzu weit entfernt. In diesem ersten, nicht sehr langen Abschnitt von Jesaja 58,1 bis 59,15 entfaltet er, warum Gott nicht reagiert. Er zeigt auf, warum Gott so lange nicht auf das Rufen seines Volkes und auf die religiösen Bemühungen seines Volkes antwortet.
Anschließend folgt ein relativ langer Abschnitt von Jesaja 59,16 bis 63,6. Hier blickt Jesaja in die Zukunft. Er sieht die Zeit, in der der Messias sein Volk sammelt. Dabei rettet er nicht nur Menschen und bringt sie zurück nach Israel, sondern baut in Israel eine ganz neue Gesellschaft auf. Diese Gesellschaft funktioniert nach völlig neuen und anderen Prinzipien als die Gesellschaft im Allgemeinen und die Gesellschaft Israels in der Vergangenheit.
Jesaja nimmt also etwas, das für ihn fast schon Gegenwart ist – es liegt nur einige Jahrzehnte in der Zukunft – und versucht, eine Perspektive in die ferne Zukunft zu geben. So können Menschen aus dieser fernen Zukunft etwas lernen.
Danach kehrt er noch einmal zurück. Er beginnt fast noch einmal an der gleichen Ausgangsposition mit einem Gebet. Er befindet sich wieder in der Zeit der Deportation und springt dann erneut in die ferne Zukunft, um das Gericht Gottes und die Zukunft zu zeigen.
Es sind also zwei Teile: Jesaja beginnt jeweils mehr oder weniger in seiner Zeit, hauptsächlich während der Deportation, und blendet dann in die Zukunft. Dies macht er zweimal.
Die erste Hälfte dieses Abschnitts werden wir heute betrachten. Merkt euch einfach diese zwei Abschnitte: Der erste Abschnitt endet bei Jesaja 59,15 – das ist ein wichtiger Schnittpunkt. Der zweite, lange Abschnitt beginnt bei Jesaja 59,16 und reicht bis zum Ende dieses Abschnitts und bis zum Ende unseres heutigen Abends.
Der Auftrag Jesajas und die Situation des Volkes
Kapitel 59, Vers 1: Ein Anfang mit Posaunen. Jesaja bekommt gesagt: Rufe aus voller Kehle, halte nicht zurück, erhebe deine Stimme wie eine Posaune. Und tu meinem Volk seine Übertretung kund und dem Haus Jakob seine Sünden.
Jesaja, selbst wenn in diesem letzten Abschnitt viel Herrliches gesagt wird, endet nicht positiv. Zu meiner persönlichen Überraschung endet Jesaja nicht mit einem positiven Bild. Ganz viel in diesen letzten Kapiteln beschreibt die zukünftige Herrlichkeit, was der Messias macht und wie er eine neue Gesellschaft gründet. Aber die erste Hälfte dieses letzten Abschnitts endet mit einem Blutbad, und das Buch endet mit einem riesigen Berg verwesender Leichen.
Dieser letzte Abschnitt beginnt mit den Worten: Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und tu meinem Volk seine Übertretung und dem Haus Jakob seine Sünden. Wie gesagt, zunächst schaut Jesaja Kapitel 58 und 59 wahrscheinlich noch ein bisschen in seine eigene Zeit. Doch man findet die genauste Entsprechung wahrscheinlich in den 70 Jahren, in denen Israel, beziehungsweise Juda, eigentlich in der babylonischen Gefangenschaft lebt. In dieser Deportation bilden sie eine Gemeinschaft, versuchen dort den Zusammenhalt zu bewahren, die Perspektive zu behalten, wer sie sind, und die Hoffnung darauf, was vielleicht noch kommen kann – wie Gott vielleicht ihr Schicksal wenden kann.
Es ist interessant, was in Vers 2 und 3 von Jesaja 58 steht. Dort kommt ein Ausdruck der Verwunderung. Gott wundert sich über die Anfrage dieses Volkes, dieser Volksgemeinschaft, dieser Israeliten. Gott wundert sich, Jesaja wundert sich.
Jesaja 58, Vers 2: „Und doch fragen sie nach mir.“ Er hat gerade von Übertretungen und Sünden gesprochen und sagt jetzt in Vers 2: „Und doch fragen sie nach mir Tag für Tag und begehren meine Wege zu kennen, wie eine Nation, als wären sie eine Nation, die Gerechtigkeit übt und das Recht ihres Gottes nicht verlassen hat.“
Gott sagt: Okay, sie rufen zu mir, als hätten sie ein Recht darauf, dass ich für sie handle, dass ich eingreife, dass ich ihr Schicksal wende, als wäre alles in Ordnung. Das sehe ich anders, sagt Gott. Sie fordern von mir Gerichte der Gerechtigkeit und begehren die Nähe Gottes.
Warum haben wir gefasst? Denn du hast es nicht gesehen, unsere Seelenkastei, und du hast es nicht gemerkt.
Rückblick auf die babylonische Gefangenschaft und das Fasten
Bevor wir an dieser Stelle weitermachen, möchte ich kurz einige Jahre, einige Jahrzehnte überspringen und die Zeit der babylonischen Gefangenschaft aus der Rückschau betrachten.
Im letzten oder eigentlich im vorletzten großen Abschnitt, Jesaja 40 bis 48, haben wir gesehen, dass Kyrus am Ende der babylonischen Gefangenschaft an die Macht kam. Die Perser wurden zur herrschenden Macht, und Kyrus war ihr erster großer König. Er sagte den Israeliten, sie sollten in ihr Land zurückkehren und ihren Tempel wieder aufbauen. Für Jesaja war das ein Schlüsselerlebnis.
Einer der Ersten, der mit anderen Israeliten zurückkehrte, um nach Judäa, nach Israel zu gehen und mit einigen Israeliten den ersten provisorischen Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen, war Sacharja. Schauen wir kurz zu dem Propheten Sacharja. Er hat viel mit der Zeit zu tun, über die Jesaja hier spricht.
In Sacharja 7, Vers 3, wird eine Frage an Sacharja herangetragen. Die Frage lautet: „Wir sind jetzt zurück im Land. Wie sollen wir uns verhalten? Wie ist es mit den Traditionen, die wir in diesen siebzig Jahren in Babylon aufgebaut haben?“ Die Frage, die in Sacharja 7,3 gestellt wird, lautet: „Soll ich im fünften Monat weinen und fasten, wie ich es schon so viele Jahre getan habe?“
Die Israeliten hatten sich angewöhnt, in bestimmten Monaten des Jahres zu fasten und Gott besonders zu bitten, also religiöse Übungen auszuüben. Sie hatten Ereignisse der jüngeren Geschichte ausgewählt – zum Beispiel die erste Deportation oder die endgültige Zerstörung Jerusalems – und diese Jahrestage oder Monate genutzt, um Fastentage als Volksgemeinschaft in Babylon abzuhalten.
Jetzt war die berechtigte Frage: „Wir sind zurück im Land, sollen wir diese Fastentage weiter einhalten?“
In Sacharja 7,4 heißt es: „Und das Wort des Herrn geschah zu mir, so sagt Sacharja: Redet zu dem ganzen Volk des Landes und zu den Priestern und sprecht: Wenn ihr im fünften und im siebten Monat gefastet und geweint habt – und zwar schon siebzig Jahre – habt ihr damit wirklich mir gefastet?“
Das ist eine provokative Frage, die Gott uns stellt: Hatte das Fasten wirklich etwas mit ihm zu tun?
Dann geht es weiter: „Kennt ihr nicht die Worte, die der Herr durch die früheren Propheten ausrief, als Jerusalem bewohnt und ruhig war und seine Städte ringsumher, und der Süden und die Niederung bewohnt waren?“
Kennt ihr nicht die Worte, die damals die Propheten gesagt haben? Ich weiß nicht, an welche Propheten Sacharja alles gedacht hat, aber ein Prophet, auf den diese Beschreibung auf jeden Fall zutrifft, ist Jesaja. Er hatte Gewissheit, als Israel noch im Land war – im Gegensatz zu Hesekiel zum Beispiel. Auch bei Jeremia war das nicht mehr so eindeutig. Die Situation, wie Sacharja sie beschreibt, trifft auf Jesaja zu. Jesaja könnte also einer der Propheten sein, auf die er anspielt.
Sacharja sagt: „Wisst ihr, was damals gesagt wurde?“
In Vers 8 geht es weiter, und hier wiederholt Sacharja eine wesentliche Botschaft, die wir auch heute in den Propheten Jesaja lesen. Er fasst sie zusammen. Das Wort des Herrn geschah zu Sacharja: „So spricht der Herr: Übt ein wahrhaftiges Gericht, erweist Güte und Barmherzigkeit untereinander, bedrückt nicht die Witwe und die Waise, den Fremdling und den Elenden. Seid keiner auf das Unglück seines Bruders gleichgültig in euren Herzen.“
Sacharja sagt, Gott spricht durch ihn: Es gibt etwas, das Gott wichtiger ist als eure religiösen Übungen und Fastentage. Wichtig ist, dass ihr gut miteinander umgeht, dass niemand seine Macht missbraucht, um Schwächere zu unterdrücken oder auszubeuten.
Das ist Gott viel wichtiger. So sieht ein Fasten aus, das ihm gefällt: wirklich auf die eigenen Interessen zu verzichten und nicht nur an bestimmten Tagen auf bestimmte Nahrungsmittel zu verzichten.
Gottes Sicht auf Fasten und soziales Verhalten
Darauf kommt es mir an.
Blenden wir zurück zu Jesaja und Sacharja, die im Rückblick gesprochen haben. Sacharja fragt: War euer Fasten wirklich für mich, oder waren es nur religiöse Übungen, bei denen ihr euch gut gefühlt habt? Er sagt, auf welche Art von Fasten Gott wirklich Wert legt – und vor allem, welche Art von Fasten Gott überhaupt keinen Wert beimisst.
Zurück zu Jesaja 58,5: "Ist das ein Fasten, an dem ich Gefallen habe? Ein Tag, an dem der Mensch seine Seele kasteit, seinen Kopf beugt wie eine Binse, sich mit Sack und Asche bedeckt? Nennst du das ein Fasten, einen dem Herrn wohlgefälligen Tag?"
Jesaja macht deutlich: Gott legt absolut keinen Wert auf eure religiösen Traditionen und Gewohnheiten. Auch wenn sie noch so demütig aussehen – wir kennen das aus vielen Religionen. Je weiter man nach Osten kommt, desto verbreiteter ist die Praxis, sich selbst zu kasteien und auf Dinge zu verzichten, um religiös etwas zu erreichen, eine Stufe zu erklimmen oder einen Gott zu befriedigen. Jesaja sagt: Das interessiert Gott überhaupt nicht.
Fasten bedeutet nicht nur, auf körperliche Bedürfnisse zu verzichten. Es heißt, die eigenen Interessen zurückzustellen. Und euer Fasten, euer Fasten in diesen siebzig Jahren, passt einfach nicht zu eurem Verhalten und Umgang miteinander, sagt Gott durch Jesaja.
Jesaja 58,3 bringt das auf den Punkt: "Siehe, am Tag eures Fastens sucht ihr euer Vergnügen und drängt alle eure Arbeiter." Das heißt: Ihr fastet offiziell, verzichtet auf bestimmte Nahrungsmittel oder auf Zigaretten – keine Ahnung. Aber an diesem Tag sucht ihr trotzdem euren Spaß, und eure Arbeiter müssen für euch schuften. Das ist ein Fasten, das Gott nicht interessiert.
Vers 6: "Ist nicht dies ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: die Schlingen der Bosheit zu lösen, die Knoten des Jochs loszumachen, Gewalttätig behandelte als Freie zu entlassen und jedes Joch zu zersprengen?"
Gott hat Interesse daran, dass ihr aufhört, andere aus eurem Volk zu unterdrücken und auszubeuten. Dass ihr eure Schreckensherrschaft über diejenigen beendet, die bei euch in Schuldknechtschaft geraten sind oder ähnliches. Das wäre ein Fasten, das Gott interessiert.
Die zweite Art von Fasten, die Gott gefällt, beschreibt er in Vers 7: "Besteht es nicht darin, dein Brot dem Hungrigen zu brechen, die verfolgten Elenden ins Haus zu führen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bedecken und dich deinem Nächsten nicht zu entziehen?"
Er sagt: Ihr fastet, habt eure religiösen Gewohnheiten, eure Festtage und Askesetage. Aber ihr unterdrückt einander, beutet euch wirtschaftlich aus, und soziales Engagement für Menschen am Rand der Gesellschaft ist euch völlig fremd. Ein hartes Urteil.
Gleichzeitig fragt ihr euch, warum euer Gebet und euer Fasten bei Gott nicht ankommen. Die Antwort ist offensichtlich. Jesaja sagt den Leuten: Wenn ihr wirklich so fasten würdet, wie Gott es gefällt, also eure Interessen zurückstellt, würde das einen großen Unterschied machen – für eure persönliche Lebenssituation und für die Gemeinschaft.
Jesaja beschreibt das noch einmal in Kapitel 59 und 60, was das theoretisch bewirken würde.
Zum Schluss Jesaja 58,9: "Dann wirst du rufen, und der Herr wird antworten." Ihr fragt: "Warum antwortest du nicht? Wir bemühen uns so, wir leisten religiös so viel."
Wenn ihr wirklich eure Interessen zurückstellt, dann würdet ihr beten und um Hilfe schreien, und der Herr würde antworten: "Hier bin ich." Das würdet ihr erleben, sagt Jesaja.
Ende von Vers 10: "Dann wird dein Licht aufgehen in der Finsternis, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Beständig wird der Herr dich leiten."
Vers 12: "Ich lese das alles nur ausschnittsweise: Die Deinen werden die uralten Trümmer aufbauen, die Grundmauern vergangener Geschlechter wirst du aufrichten. Du wirst genannt werden Vermaurer der Lücken, Wiederhersteller bewohnbarer Straßen."
Dann würdet ihr erleben, dass Gott euch in euer Land zurückbringt, die Städte wieder aufgebaut und die Straßen erneuert werden. Ihr könntet das erleben, wenn ihr so fastet, wie es Gott gefällt.
Das sind Verheißungen. Aber zu dieser Zeit ist die Situation ganz anders. Jesaja sagt: Ihr geht diesen Weg nicht, und darum erlebt ihr das nicht.
Die bittere Realität und Gottes Urteil
Was erleben sie praktisch? Wenn man einen kleinen Sprung zu Jesaja 59,9 macht, sieht man am Ende, was die Israeliten zu dieser Zeit sagen und wie ihr Leben wirklich aussieht.
Jesaja hat ihnen gerade die Möglichkeit vor Augen gestellt, dass ihr Licht in der Finsternis aufgehen wird, dass ihr Dunkel so hell sein wird wie der Mittag. Das haben wir gerade gelesen. Doch wie sieht die praktische Situation gerade aus?
Sie sagen: Wir harren auf Licht, und siehe, Finsternis; auf Helligkeit, aber wir wandeln in dichtem Dunkeln. Wie Blinde tappen wir an der Wand herum. Wir tappen umher wie solche, die keine Augen haben. Wir straucheln am Mittag wie in der Dämmerung.
Noch einmal: Was wäre die Aussicht gewesen? Dein Dunkel wird sein wie der Mittag. Doch was ist die Realität? Wir straucheln am Mittag wie im Dunkeln. Wir sind unter den Gesunden den Toten gleich. Wir brummen alle wie Bären, wir girren wie Tauben – nur noch Ausdrücke von Stöhnen und Verzweiflung.
Wir harren auf Rechtfertigung, aber sie ist fern; auf Rettung, doch sie kommt nicht. Die Situation war verzweifelt. Jesaja sagt, es gäbe einen Ausweg, doch niemand geht ihn. So bleibt die Situation verzweifelt, in diesen siebzig Jahren.
Liegt es an Gott? Sie fragen Gott: Wir tun so viel, wir rufen zu dir, fasten, warum hörst du nicht? Liegt es an Gott?
Jesaja 59,1 sagt: Sieh, die Hand des Herrn ist nicht zu kurz, um zu retten. Nein, es ist nicht das Problem, dass Gott zu schwach ist. Sein Ohr ist nicht zu schwer, um zu hören. Nein, das Problem ist nicht, dass Gott nicht gut hört. Dass vielleicht Babylon zu weit weg von ihm ist, das ist nicht das Problem.
Vers 2 sagt: Sondern eure Ungerechtigkeiten haben eine Trennung gemacht, eine Scheidung zwischen euch und eurem Gott. Eure Ungerechtigkeiten sind das Problem, und eure Sünden haben sein Angesicht vor euch verhüllt, sodass er nicht hört.
Eure Sünden sind das Problem, sagt Jesaja. Wie hat es angefangen? Mach deine Stimme wie eine Posaune, tue ihnen ihre Ungerechtigkeit kund, zeige ihnen ihre Sünde. Das ist der Auftrag Jesajas in diesem Abschnitt.
Die Kernaussage in diesem Abschnitt ist: Eure Ungerechtigkeiten haben Trennung gemacht zwischen euch und eurem Gott, und eure Sünden haben sein Angesicht vor euch verhüllt, sodass er nicht hört.
Ungerechtigkeit und fehlende Rechtsprechung als Ursache der Krise
Wenn wir nun den nächsten Abschnitt in Jesaja 59 lesen, werde ich nur einige wenige Auszüge daraus vorlesen. Dabei begegnet uns immer wieder eine bestimmte Wortgruppe: Ungerechtigkeit und Recht.
Vorab sei gesagt: Was Gott hauptsächlich stört, sind zwei Dinge. Zum einen haben wir bereits gesehen, dass es die Ungerechtigkeit jedes Einzelnen ist. Es fehlt an sozialem Engagement, ebenso an Gottesfurcht. Jeder strebt nur nach seinem eigenen Vorteil auf Kosten anderer. Das stört Gott in dieser Zeit sehr.
Zum anderen stört es Gott, dass nicht einmal jemand aufsteht, um gerecht Recht zu sprechen. Niemand nimmt die Dinge in die Hand, um dem Recht zu seinem Recht zu verhelfen – besonders denen, die zu Unrecht unterdrückt werden. Es gibt keine unabhängige, unparteiische Gerichtsbarkeit in diesem Volk. Offensichtlich legt niemand darauf Wert, und das schockiert Gott ebenfalls.
Das ist immer ein Problem. In jeder Gesellschaft wird es Menschen geben, die ihr Recht durchsetzen wollen. Aber wenn es eine vernünftige Rechtsprechung und Rechtssicherheit gibt, kann eine Gemeinschaft damit umgehen. Gott sagt jedoch, dass beides fehlt. Die Menschen sind ungerecht und egoistisch. Sie setzen ihre eigenen Interessen durch, und es gibt keine Rechtssicherheit. Niemand ist da, an den man sich wenden kann.
Das ist eine Katastrophe.
Ich lese einige Sätze aus Jesaja 59 vor:
Vers 3 am Ende: „Eure Lippen reden Lügen, eure Zunge spricht Unrecht, niemand ruft Gerechtigkeit aus und niemand richtet wahrheitsgemäß.“
Vers 7 am Ende: „Ihre Gedanken sind Gedanken des Unheils. Verwüstung und Zertrümmerung sind auf ihren Bahnen. Den Weg des Friedens kennen sie nicht, und kein Recht ist in ihren Spuren.“
Vers 14: „Das Recht ist zurückgedrängt, und die Gerechtigkeit steht von fern.“
Vers 15: „Die Wahrheit wird vermisst. Und wer das Böse meidet, setzt sich der Beraubung aus.“
Das bedeutet: Wer nicht selbst zu krummen Mitteln greift und sich nicht durchsetzt, ist selbst schuld. Er wird unterdrückt und setzt sich der Beraubung aus. So sieht Gott die Situation, von der Jesaja hier ausgeht: Lüge, Unterdrückung, das Recht des Stärkeren.
Vers 15 weiter: „Und der Herr saß und es war böse in seinen Augen, dass kein Recht vorhanden war. Er sah, dass kein Mann da war, und er staunte, dass kein Vermittler da war.“
Gott staunt, dass niemand die Initiative ergreift, um diese durch Unrecht zerrüttete Gesellschaft irgendwie zu kitten. Die Lage des Volkes ist brutal schlecht, und Gott könnte helfen. Wir haben gelesen: Gott ist nicht zu schwach, um zu helfen. Aber der erste Schritt wäre gewesen, dass jemand die Dinge in die Hand nimmt und sagt: „Wir möchten uns zusammentun und einen Weg gehen, der Gott gefällt.“ So wäre Gott motiviert gewesen, zu helfen. Doch keiner tut es.
Blick in die Zukunft: Gottes Eingreifen und der Messias
Es ist nicht erstaunlich, denn Jesaja hat das schon mehrmals getan. Jetzt richtet Jesaja den Blick in die Zukunft. Er sagt: Ich habe euch bereits zwischendurch die theoretische Möglichkeit vor Augen geführt. Was würde passieren, wenn ihr plötzlich umkehrt und den Weg Gottes geht, sozial werdet und nach dem Willen Gottes fragt? Ganz theoretisch – was würde passieren? Das habe ich euch gesagt.
Aber jetzt nehmen wir eine andere Perspektive ein, sagt Jesaja. Schauen wir mal in die Zukunft. Es wird eine Zeit geben, in der das wirklich passiert. Dann ist es nicht nur eine theoretische Möglichkeit, sondern Realität. Menschen, Israel kehren zu Gott um, und diese Gesellschaft ist plötzlich ganz anders. Ich möchte euch zeigen, wie das dann aussehen wird, wie erstrebenswert und anziehend es ist – nicht nur für die, die zu dieser Gesellschaft gehören, sondern auch für alle, die diese Gesellschaft von außen beobachten.
Ihr nehmt euch mit in die Zukunft, sagt Jesaja, und vielleicht könnt ihr daraus etwas lernen. Vielleicht wäre das eine Motivation, jetzt damit zu beginnen. Vielleicht gibt es Menschen, die sagen: Wenn das in der Zukunft möglich ist, können wir jetzt schon einen Schritt weiterkommen – als Einzelne und als Gemeinschaft – auf diesem Weg.
Ab Jesaja 59,16 machen wir, wie so oft bei Jesaja, einen zeitlichen Sprung und schauen in die Zukunft. Ich lese am Ende von Vers 16: „Da half ihm sein Arm. Und seine Gerechtigkeit, sie unterstützte ihn, und er zog Gerechtigkeit an wie einen Panzer und setzte den Helm der Rettung auf sein Haupt. Er zog Rachegewänder an als Kleidung und hüllte sich in Eifer wie in einen Mantel.“
Jesaja sagt, irgendwann wird Gott selbst eingreifen. Er sagt: Da ist niemand, ich greife ein mit meinem Arm, mit meiner Gerechtigkeit. Ich werde die Dinge in meinem Volk ändern, ich werde die Dinge auf dieser Erde verändern. Ich werde Ungerechtigkeit richten und für Gerechtigkeit und Rettung sorgen. Er selbst.
Jesaja spricht hier vom Arm Gottes. Eine Bedeutung ist: Ja, Gott hat einen starken Arm. Wenn er eingreift, dann passiert etwas. Aber wer ist dieser arme Gott? Bedeutet das wirklich nur, dass Gott selbst die Initiative ergreift?
Wenn wir ein Stück weiter lesen, in Jesaja 59,20, dann lesen wir: „Und ein Erlöser wird kommen für Zion und für die, die in Jakob von ihrer Übertretung umkehren, spricht der Herr.“
Gott hat sich gewundert, dass niemand die Initiative ergreift. Jetzt aber, in der Zukunft, ergreift Gott die Initiative. Er schickt seinen Messias, um die Initiative zu ergreifen. Denn hier ist offensichtlich von diesem Messias Gottes die Rede, in Jesaja 59,20.
Gott selbst wird jemanden schicken, der genug Macht und Autorität hat und vor allem den nötigen Sinn für Gerechtigkeit. Gott wird jemanden senden, der alles verändern wird – für dieses Volk, für dieses Land und für diese Erde.
Der Messias in Jesaja 61 und seine Botschaft
Und auf diesen Messias, auf diesen Erlöser, kommt Jesaja einige Abschnitte später zurück. Wir machen einen kleinen Sprung. Gleich kommen wir noch einmal ein Stückchen zurück, doch zunächst überspringen wir ein paar Verse, weil Jesaja dort erneut diesen Messias erwähnt.
In Jesaja 61,1 spricht der Messias selbst. Er sagt: „Der Geist des Herrn, Yahweh, ist auf mir, weil Yahweh mich gesalbt hat. Ich bin der Messias, der Gesalbte. Er hat mich gesandt, den Armen frohe Botschaft zu bringen.“
Das ist eine Botschaft, die besonders vor dem Hintergrund dessen, was wir gerade gehört haben, wichtig ist: Wie die Armen in dieser Volksgemeinschaft unterdrückt wurden. Der Messias sagt weiter: „Er hat mich gesandt, Armen frohe Botschaft zu bringen, die zu verbinden, die zu verbrochenen Herzen sind, Freiheit auszurufen den Gefangenen und Öffnung des Kerkers den Gebundenen.“
Egal, ob du gefangen bist durch die überlegenen Babylonier oder gebunden in der Knechtschaft von jemandem, der Macht über dich hat – vielleicht sogar aus deinem eigenen Volk – dieser Messias wird befreien. Er wird das Ja des Wohlgefallens des Herrn ausrufen.
Wir kennen diese Botschaft. Im vorigen Abschnitt von Jesaja haben wir immer wieder gesehen, dass der Messias kommt, um Licht zu bringen und Menschen aus dem Kerker zu holen, deren Augen schon gar nicht mehr an Licht gewöhnt sind. Jesaja greift diese Botschaft erneut auf.
Interessant ist, dass Jesus, der auf dieser Erde lebt, genau diese Stelle aus Jesaja 61 in der Synagoge von Nazaret vorliest. Lesen wir kurz Lukas 4,16: „Und er kam nach Nazaret, wo er aufgewachsen war. Und wie seine Gewohnheit war, ging er am Sabbat in die Synagoge und stand auf, um vorzulesen. Es wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gereicht. Nachdem er das Buch aufgerollt hatte, fand er die Stelle, wo geschrieben steht: ‚Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, den Armen frohe Botschaft zu verkündigen. Er hat mich gesandt, Gefangenen Befreiung auszurufen, Blinden Augenlicht, Zerschlagenen Freiheit hinzusenden, das angenehme Jahr des Herrn auszurufen.‘“
Nachdem er das Buch zugerollt hatte, gab er es dem Diener zurück und setzte sich. Alle Augen in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Er begann zu ihnen zu sagen: „Heute ist diese Schrift vor euren Ohren erfüllt.“
Wir hatten schon den Verdacht, oder? Der Erlöser in Jesaja 59, der Messias in Jesaja 61, ist tatsächlich Jesus. Jesus sagt: Das, was ich gelesen habe, ist gerade vor euren Ohren erfüllt. Ihr hört dem Messias zu, ihr hört dem zu, den Jesaja dort angekündigt hat. Das ist mein Werk, das ist meine Botschaft.
Mit Jesus beginnt ein völlig neuer Abschnitt im Handeln Gottes. Jesaja nennt es das Jahr des Wohlgefallens oder das Jahr der Annehmung. Doch Jesus hat den Abschnitt nicht zu Ende gelesen, weil der Abschnitt weitergeht.
Jesus hat das, glaube ich, sehr bewusst gemacht, weil nicht der ganze Abschnitt zu seinen Lebzeiten schon erfüllt wurde. Er wird noch einmal erfüllt werden. Ich glaube nicht nur, dass irgendwann in der Zukunft der zweite Teil erfüllt wird, sondern dieser Abschnitt wird erneut erfüllt und dann vollständig.
Lesen wir Jesaja 61,2: „Auszurufen das Ja des Wohlgefallens des Herrn“ – das haben wir gelesen – „und den Tag der Rache unseres Gottes.“
Das hat Jesus nicht mehr gelesen. An dieser Stelle hat er bewusst aufgehört, weil der Tag der Rache Gottes noch nicht da war. Auch Jesaja geht in Jesaja 61 noch nicht weiter darauf ein. Er hat es nur angedeutet und wird diesen Gedanken später in Jesaja 63 wieder aufnehmen. Wir kommen gleich dazu.
Vorerst bleibt auch er bei der positiven Seite. Jesaja 61,3 sagt: „Zu trösten alle Trauernden, um die trauernden Zions zu stärken, ihnen zu geben Kopfschmuck statt Asche, Freudenöl statt Trauer, ein Ruhmesgewand statt eines verzagten Geistes.“
Jesaja sagt, dieser Messias wird kommen und Reichtum nach Israel bringen. Er wird Freude nach Israel bringen. Es wird eine gewaltige Zeit sein.
Vieles in diesem großen Abschnitt Jesaja 60, 61 und 62 zeigt diese große, glorreiche Zukunft Israels, wenn der Messias Gottes mit Israel sein Reich bauen wird. Angst und Bezweiflung des Alltags werden Freude und neuer Wohlstand weichen.
Die Vision einer gerechten Gesellschaft unter dem Messias
Jesaja fasst hier sehr kurz den eigentlichen Kern des gesamten Abschnitts zusammen. In Jesaja 61 beendet er den kurzen Abschnitt mit den Worten, dass sie genannt werden sollen „Terribinden der Gerechtigkeit“, eine Pflanzung des Herrn zu seiner Verherrlichung. Damit beschreibt er das Ziel. Er spricht von der Zukunft und sagt, dass er großartige Dinge zeigen wird: den Einfluss Israels in der Welt, der dann herrschen wird, den Reichtum und das Leben, das wieder in Jerusalem sein wird.
Doch der Kern ist: Ihr werdet ein Baumgarten Gottes sein, ein Baumgarten der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit wird diese neue Gesellschaft durchziehen und prägen – nicht nur Reichtum, nicht nur neues Leben, nicht nur der Wiederaufbau der Stadt und ihre zunehmende Enge, all das, was Jesaja bereits angesprochen hat. Deshalb wird Gerechtigkeit dieses neue Reich prägen. Ihr werdet genannt werden „Terribinden“, ein orientalischer Baum, „Terribinden der Gerechtigkeit“, eine Pflanzung des Herrn zu seiner Verherrlichung.
Wenn wir nun weiter lesen, möchte ich aus Jesaja 60 nur zwei Kernaussagen herausnehmen. Jesaja spricht von Reichtum, davon, dass die Israeliten in ihr Land zurückkehren und sogar von den Völkern in ihr Land zurückgetragen werden. Völker werden ihnen dienen – all das, wovon sie geträumt haben. Doch zwei Kernaussagen möchte ich besonders hervorheben.
In Jesaja 60,1 ruft Jesaja Jerusalem und Israel zu: „Stehe auf, leuchte! Denn dein Licht ist gekommen, und die Herrlichkeit des Herrn ist über dir aufgegangen.“ Dann heißt es weiter: „Siehe, Finsternis bedeckt die Erde und dunkel die Völkerschaften, aber über dir strahlt der Herr auf, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Nationen wandeln zu deinem Licht hin und Könige zum Glanz deines Aufgangs.“
Hier stecken zwei Gedanken drin. Der erste Gedanke, in der zweiten und der vorletzten Zeile, ist: Das Licht ist Gott selbst, der wieder in der Mitte seines Volkes wohnt. Das macht dieses Volk so attraktiv – man merkt einfach, dass Gott da ist. Das ist die eine Seite.
Die andere Seite, und ich glaube, um die geht es Jesaja vor allem, liegt dazwischen: „Stehe auf, leuchte, denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und dunkel die Völkerschaften, und Nationen wandeln zu deinem Licht hin und Könige zum Glanz deines Aufgangs.“ Die Frage ist: Was leuchtet da? Was macht diese neue Gesellschaft, dieses neue Israel unter seinem Messias, so attraktiv, dass Völker sich darauf zubewegen, auf dieses Licht? Warum fragen Könige danach? Was macht diese neue Gesellschaft so anziehend für die ganze Welt?
Die zweite Kernaussage finden wir in Jesaja 61,10. Hier spricht vielleicht der Messias, auf jeden Fall aber irgendwie bildlich Jerusalem, diese neue Gesellschaft. Es heißt: „Hoch erfreue ich mich im Herrn, meine Seele soll frohlocken in meinem Gott, denn er hat mich bekleidet mit Kleidern des Heils, den Mantel der Gerechtigkeit mir umgetan, wie ein Bräutigam den Kopfschmuck nach Priesterart anlegt und meine Braut sich schmückt mit ihrem Geschmeide. Denn wie die Erde ihr Gewächs hervorbringt und wie ein Garten sein Gesätes aufsprossen lässt, so wird der Herr, jawe, Gerechtigkeit aufsprossen lassen und Ruhm vor allen Nationen.“
Weiter heißt es in Vers 1: „Um Zions Willen will ich nicht schweigen, und um Jerusalems Willen will ich nicht still sein, bis ihre Gerechtigkeit hervorbricht wie Lichtglanz und ihre Rettung wie eine lodernde Fackel. Und die Nationen werden deine Gerechtigkeit sehen und alle Könige deine Herrlichkeit.“
Was ist so attraktiv? Was ist dieses Licht? Jesaja sagt: Es ist eure Gerechtigkeit. Natürlich kann man theologisch sagen, dass es sich dabei um die geschenkte Gerechtigkeit Gottes handelt. Das hatten wir bereits in Jesaja 53: Der Messias ist für sein Volk gestorben, es gibt keine Anklage mehr. Sie haben einfach Gerechtigkeit geschenkt bekommen. Vielleicht meint Jesaja das, wenn er sagt, „er hat mir Gerechtigkeit umgelegt wie einen Mantel“. Er sagt: „In meinen Augen bist du jetzt gerecht, du hast Vergebung, es gibt keine Anklage mehr gegen dich.“
Doch ich glaube, er geht hier einen Schritt weiter. Er sagt, der Messias schafft es wirklich, dass diese Gesellschaft auf der Grundlage von Gerechtigkeit funktioniert. Das macht diese neue Gesellschaft attraktiv und anziehend für viele auf dieser Erde – ein Licht.
Er gebraucht Bilder, die wir gerade gelesen haben: Er sagt, es ist so attraktiv wie eine Braut und ein Bräutigam, die sich schön machen und die alle bewundern auf ihrem Fest. Es ist so attraktiv wie ein Garten, der neues Leben hervorbringt. Es ist einfach so attraktiv wie Licht.
Jesaja sagt, unter dem Messias wird es eine Gesellschaft auf dieser Erde geben, wie sie seit der Schöpfung nicht existiert hat – wie sie eigentlich von Gott gedacht war, aber nie existiert hat. Dann wird sie verwirklicht.
Wovon spricht er? Ich habe es in meiner Einleitung schon gesagt: Stellt euch so eine Gesellschaft vor! Jesaja baut sie im Kontrast zu dem, wie die Israeliten gerade leben und wie sie in der Deportation miteinander umgehen. Er zeigt diesen Kontrast auf, schaut in die Zukunft und beschreibt, was für eine Gesellschaft der Messias bauen wird.
Eine Gesellschaft, in der auch Führungspersönlichkeiten transparent sind. Wisst ihr, warum sie transparent sind? Weil sie nichts zu verstecken haben, nichts, wofür sie sich schämen müssen. Paulus hat es im 2. Korintherbrief gesagt: „Wir haben den geheimen Dingen der Scham entsagt.“ Er sagt, wir haben nichts getan und versteckt, aber auch nichts, wofür wir uns schämen müssten, wenn es ans Licht kommt.
Welche Führungspersönlichkeit kann von sich behaupten, dass sie nichts getan hat, wofür sie sich schämen müsste, wenn es ans Licht kommt? Jesaja sagt, so wird diese zukünftige Gesellschaft sein.
Es ist eine Gesellschaft, eine Gemeinschaft ohne Gruppenbildung. Es gibt keine Parteilichkeit, weder unter den Leuten noch bei den Leitern und Richtern. Es gibt keine parteiischen Urteile, eine Gemeinschaft, in der niemand heimliche Ziele verfolgt. Eine Gemeinschaft des Lichts.
Kein versteckter oder offener Wunsch, im Vordergrund zu stehen oder im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Es gibt keinen Neid in dieser Gesellschaft. Krass, oder? Und deshalb hat niemand den Wunsch, einem anderen zu schaden. Niemand hat ein Interesse daran, offen oder heimlich negativ über jemand anderen zu reden.
Das ist die Gesellschaft, die Jesaja uns vor Augen führt und den Menschen damals vor Augen stellt. Er sagt: Ist es nicht attraktiv? Menschen werden kommen, um diese Gesellschaft anzuschauen und daran teilzuhaben. Nationen – wir haben es zweimal gelesen – Könige werden sich an dieser Gesellschaft orientieren.
Noch einmal Jesaja 62,1: „Bis ihre Gerechtigkeit hervorbricht wie Lichtglanz und ihre Rettung wie eine lodernde Fackel, und die Nationen werden deine Gerechtigkeit sehen und alle Könige deine Herrlichkeit.“
Wir haben ähnliche Dinge schon in Jesaja gelesen. Jesaja 11 beschreibt, dass der Wolf beim Lamm wohnen wird und der Leopard beim Böckchen lagern. Der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Kinder können an den Löchern von vorher giftigen Schlangen spielen, ohne Angst haben zu müssen.
In Jesaja 11 wird deutlich, dass Jesaja sich wahrscheinlich nicht in erster Linie für die Veränderung der Natur interessiert hat, sondern für die Veränderung von Menschen. Dort heißt es: „Man wird weder verletzen noch zerstören auf meinem ganzen heiligen Berg.“ Das ist die neue Qualität dieser Gesellschaft, die der Messias bringt.
Es ist kein Wunder, dass Jesaja – und das ist eigentlich der Abschnitt für das nächste Mal – in seinem letzten Teil genau diesen Gedanken noch einmal zusammenfasst. Jesaja 65,25 sagt: „Wolf und Lamm werden zusammen weiden“ – das hatten wir in Jesaja 11. „Und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind“ – wörtlich aus Jesaja 11. „Und die Schlange wird Staub zu ihrer Speise haben“ – das hatten wir zwar nicht wörtlich, aber die Auswirkung beschreibt Jesaja bereits in Jesaja 11. Und jetzt fast wörtlich: „Man wird nichts Böses tun und kein Verderben anrichten auf meinem ganzen heiligen Berg“, spricht der Herr.
Wir sind hier wieder bei Jesaja 65, aber die Gedanken knüpfen direkt an Jesaja 11 an. Jesaja nimmt diesen Gedanken der Gesellschaft, in der man sich vor niemandem mehr fürchten muss, als Idealbild der Zukunft vor Augen. Nein, er sagt sogar, es lohnt sich, dafür schon den einen oder anderen Schritt zu gehen – in unserem Verhalten, in unserem Denken.
Wäre es nicht eine Motivation, heute schon an persönlicher Veränderung gemeinsam mit dem Herrn zu arbeiten, an der Veränderung unserer Gemeinschaft? Wäre das nicht eine Motivation, wenn wir sehen, wie das ist, wenn es aufblüht? Könnten wir nicht schon anfangen, ein bisschen so zu leben?
Das ist die Botschaft für uns heute. Das ist die Botschaft des Neuen Testaments. Ein Beispiel ist Kolosser 1,12: „Dank sagen dem Vater, der uns fähig gemacht hat zum Anteil am Erbe der Heiligen.“ Er hat uns die Fähigkeit gegeben, so zu leben und in einer Gemeinschaft von Heiligen zu leben. Das ist unsere Zukunftsaussicht.
Doch ein Stück weit möchte Paulus, möchte Gott, dass wir das schon verwirklichen in unserer Gemeinschaft.
Ach ja, ich habe noch zwei oder drei Worte vergessen: Er hat uns fähig gemacht zum Anteil am Erbe der Heiligen – in diesem Licht. Er sagt, genau so eine Gesellschaft, genau so eine Gemeinschaft, wie Jesaja sie entfaltet, ist das, was christliche Gemeinschaft einmal sein wird im Himmel. Und es ist das, was christliche Gemeinschaft ein Stück weit schon sein sollte auf dieser Erde: ein Stück Himmel auf Erden.
Eine Gemeinschaft, in der Gerechtigkeit herrscht, in der niemand auf seinen eigenen Vorteil achtet, in der niemand Dinge verstecken muss, weil er sich schämen müsste. Diese Gemeinschaft des Lichts ist eine Verheißung für uns und eine Herausforderung, das mit dem Herrn zu leben.
Die Rückkehr zum Gericht und die Realität des Messias als Richter
Wir müssen diesen Abschnitt noch abschließen. Jesaja 63 bildet das Ende dieses Abschnitts, und Jesaja wendet sich wieder der Rückseite der Medaille zu.
Wir haben gelesen, dass der Messias kommt, um das Jahr des Wohlgefallens des Herrn auszurufen und den Tag der Rache unseres Gottes zu verkünden – den Tag der Rache unseres Gottes.
Jesaja beginnt seinen Abschnitt in Kapitel 59, Vers 16, mit dem Bild vom Arm Gottes und beendet ihn in Jesaja 63, Vers 6 ebenfalls mit dem Arm Gottes.
Beginnen wir mit Vers 1: „Wer ist dieser, der von Edom kommt, in hochroten Kleidern von Bosra, dieser geehrt in seinem Gewand, der ein Heer zieht in der Größe seiner Kraft?“ Die Antwort lautet: „Ich bin es, der in Gerechtigkeit redet, der mächtig ist zu retten.“
Offensichtlich kommt der Messias erneut in seiner Macht. Er kommt nach Israel, von Osten, aus Edom, und trägt ein rotes Gewand. Die Frage lautet: „Warum ist Rot an deinem Gewand und sind deine Kleider wie die eines Kälteretters?“ Die Antwort lautet: „Ich habe die Kälterei allein getreten, und von den Völkern war niemand bei mir. Ich zertrat sie in meinem Zorn und zerstampfte sie in meinem Grimm, und ihr Saft spritzte auf meine Kleider, und ich besudelte mein ganzes Gewand.“
Das ist martialisch, oder? Ein Blutbad.
Was Gott uns hier in Jesaja zeigt, ist: Es gibt keine vollkommene Gerechtigkeit, keine Gemeinschaft, die wirklich so funktioniert, in Gerechtigkeit, außer sie ist verbunden mit Gericht. Denn es werden nie alle Menschen bereit sein, sich verändern zu lassen. Es werden nie alle Menschen bereit sein, sich Gott und seinem Messias zu unterwerfen.
Wenn ich eine Gemeinschaft haben will, die ein Stück Himmel auf Erden ist, ein Paradies auf Erden oder wie auch immer man es formulieren möchte, dann wird Gott nicht um Gericht herumkommen.
Das ist eine wichtige Botschaft: Der Messias wird nicht nur als Retter kommen, sondern auch als Richter. Das ist etwas, das wir oft verdrängen.
Was steht hier weiter in Jesaja 63? „Denn der Tag der Rache war in meinem Herzen, und das Jahr meiner Erlösung war gekommen.“ Sind wir da nicht wieder in Jesaja 61 oder 62? Fast zweimal, ja.
Der Tag der Rache wird hier beschrieben. Jesaja ist darauf zurückgekommen. In Jesaja 59, Vers 15 hatte Gott diesen Abschnitt eingeleitet mit den Worten: „Ich blickte umher, und da war kein Helfer, ich staunte, und da war kein Unterstützer.“ Dann heißt es: „Da hat mein Arm mir geholfen und meine Gerechtigkeit.“
Hier geht es weiter: „Da hat mein Arm mir geholfen und mein Grimm, er hat mich unterstützt. Ich trat die Völker nieder in meinem Zorn und machte sie trunken in meinem Grimm, und ich ließ ihren Saft zur Erde rinnen.“
Niemand wollte für die Deportierten Gerechtigkeit sorgen. Niemand wollte und konnte für Gerechtigkeit sorgen in diesem Volk und auf dieser Erde. Aber auch niemand wollte und konnte für Gericht sorgen. Niemand war bereit, das mit Konsequenz durchzuziehen.
Auch hier muss der Arm Gottes selbst eingreifen.
Jesaja macht es an dieser Stelle besonders spannend – habt ihr das bemerkt? Wir haben den ersten großen Abschnitt von Jesaja in Kapitel 34 und 35 mit einem Vergleich zwischen Edom und Esau, dem einen Zwillingsbruder, und Israel, Jakob, dem anderen Zwillingsbruder, abgeschlossen.
Jesaja hat uns gesagt, dass der eine Zwillingsbruder von Gott gerichtet wird, der andere aber von Gott gesegnet wird.
Jetzt sind wir zurück bei Edom. Gott und sein Messias haben diese Erde durchzogen und ein furchtbares Blutbad angerichtet – zumindest bildlich gesprochen. Ihre letzte Station war Edom.
Er kommt von Edom in Richtung Israel.
Der eine Zwillingsbruder ist furchtbar gerichtet worden, das Gewand des Messias ist von oben bis unten rot von Blut. Nun kommt er nach Israel.
Die Frage ist: Wird das Gericht an der Grenze stoppen? Wird das Gericht an der Grenze zu Israel stoppen – dieser Gerichtszug Gottes durch die Erde, der den Zwillingsbruder Israels getroffen hat? Wird dieses Gericht wirklich beim anderen Zwillingsbruder aufhören?
Was passiert, wenn der Messias in sein Land kommt?
Das ist die Botschaft Jesajas in den letzten beiden Abschnitten seines Buches. Das besprechen wir dann beim nächsten Mal.
