Vor der Tür

Konrad Eißler

Jesus steht vor der Tür. Deshalb sei heiß bei der Sache. Kauf bei ihm ein. Lass ihn rein. - Stuttgarter Jugo im Advent


Erinnerungen eines alten Mannes, so möchte ich meine Einleitung überschreiben, oder besser: Leise rieselt der Kalk.

Da ist die Erinnerung an meine Kinderjahre. Ich war ja ein so herziger Bub mit Lockenkopf, Stupsnäschen und Segelöhrchen. Du bist mein schnuggel-putziges Spätzle, sagte meine Schenktante, und ich kam mir auch so vor, wenn sie mich auf ihrem Schoß vernudelte und abschleckte. Schön war’s damals, nur ein Gedanke brachte mich erheblich aus der Fassung: Der Niklaus kommt. Das Herz rutschte in die Socken. Wird er wieder mit der Rute durch die Luft fuchteln? Wird er sich endlich des Bruders annehmen und ihm den Marsch blasen? Der Niklaus steht vor der Tür. Das war Kinderstress.

Oder da ist die Erinnerung an meine Schülerjahre. Ich war ja so hochbegabt, nur meine Lehrer waren nichts und so konnte auch nicht viel werden. Einer hieß Lauber und wir sangen: “Herr Lauber, bei ihnen wird man dauber!” Aber weil er die Geduld eines Advents­esels hatte und keine Strafen verteilte, bewahre ich ihm bis heute ein ehrendes Andenken. Nur ein Gedanke stürzte ihn in erhebliche Troubles: Der Schulrat kommt! Hefte wurden korrigiert, Sprüche wurden repetiert und Zeichnungen an der Wand installiert. Wird er tatsächlich das große Einmaleins abfragen? Wird er Schil­lers Glocke hören wollen? Der Schulrat steht vor der Tür. Das war Lehrerstress.

Oder da ist die Erinnerung an meine Pfarrjahre. Ich war ja ein beliebter Don Camillo im Flecken, wenigstens bei den älteren Damen zwischen 80 und der Ewigkeit. Eine sagte immer, mit Hörgerät im Ohr und Vibrato in der Stimme: “Herr Eißler, ich versteh’ kein einziges Wort, aber sie sprechen wunderbar.” Nur eine Ankündigung löste Alarm aus: Der Dekan kommt. Wird er mein Kirchenlicht entdecken, denn Glut ist auch in der Asche? Wird er nicht alle Peinlichkeiten an den Oberkirchenrat weiter­berichten? Meine ganze Karriere zum Bischof ist futsch. Der Dekan steht vor der Tür. Das war Pfarrerstress.

Aber hier werden wir noch an etwas ganz anderes erinnert. Wenn uns schon der Niklaus aus der Fassung bringen kann, wenn uns schon der Schulrat in erhebliche Troubles stürzen kann, wenn uns schon der Dekan in Alarmstimmung versetzen kann, wieviel mehr müsste uns der Gedanke in heilige Unruhe versetzen: Jesus kommt! Er ist nicht der, der zu allem Ja und Amen sagt, sondern der Amen heißt und damit letzte Autorität besitzt. Jesus kommt! Er ist nicht der, der lieb und schwatzhaft lallt, sondern der treu und wahrhaftig redet und damit ewige Autorität beansprucht. Er kommt! Er ist nicht der, der die Nachhut der Schöpfung ausmacht, sondern den Anfang der Schöpfung bildet und damit göttliche Autorität widerspiegelt. Jesus kommt! Lausbubereien werden wird aufs Tapet kommen. Schillergedichte mag er nicht hören. Don Camillo-Stories sind uninteressant. Wird er aber die Tiefe meines Herzens durchschauen? Wird er die Weite meines Gewissens durchleuchten? Wird er die Größe meiner Schuld durchmessen? Jesus steht vor der Tür. Das ist Christenstress.

Auch wenn wir abwinken: Nur kein Stress! Diesem Christenstress muss sich jeder unterziehen. Deshalb hör’ nicht weg, sondern hör’ zu, wenn Jesus sagt:

1. Ich stehe vor der Tür und richte euch

Komm mit mir nach Laodicea. Das war ein Kurort. So wie es bei uns ein Bad Teinach oder Bad Liebenzell oder ein Bad Urach gibt, so gab es damals ein Bad Laodicea. Angeschlagene aus allen Himmelsrichtungen reisten an, um dort Heilung für Ischias oder Gallenkoliken oder Krampfadern zu suchen. Wir sehen die Kurgäste beim Arztbesuch, wie der berühmte Arzt Dr. Zeuxis sie abklopft. Wir sehen die Kurgäste beim Spaziergang, wie sie auf den Uferwegen des Lykosflusses mit ihren Kurschatten promenieren. Und wir sehen sie bei der Trinkkur, wie sie an den bekannten Sprudlern von Hierapolis schöpfen. Diese Mineralquellen schießen heiß aus der Erde und plätschern über Felsterrassen hinunter ins Tal. Deshalb wird entweder oben genippt, wo man den Mund verbrennt, oder unten getrunken, wo man den Durst löscht. Halbhoch ist es lauwarm. Halbhoch schmeckt es scheußlich. Halbhoch dreht es einem den Magen um. Es ist zum Ko…, Entschuldgung: zum Erbrechen. Wasser, das einem schlecht macht.

Und Jesus sagt: So ist euer Glaube. Er ist nicht mehr glühend heiß wie an den Quellen des Evangeliums, die von den Aposteln gebohrt wurden. Er ist auch noch nicht eiskalt, wie in den Tälern des Unglaubens. Lauwarm ist er, affenscheußlich, speiübel, zum Übergeben. Glaube, der schlecht macht.

Vielleicht warst du auch einmal ganz nahe bei der Quelle, damals auf der Freizeit oder beim Bibeltreff, als dir aufging: “Dein Wort ist wie Feuer”. Vielleicht warst du auch einmal ganz durch­glüht von dem Wunsch, in Sachen Glauben ganze Sache zu machen. Vielleicht warst du auch einmal ganz heiß auf Jesus. Und dann plätscherte es so dahin. Die Disco brauchte immer mehr Zeit. Die Tussi hatte mit dem Glauben nicht viel am Strohhut. Der Kumpel hielt immer schon alles Fromme für Quatsch. So ist der eigene Glaube abgekühlt. Natürlich habe ich dafür gesorgt, dass er nicht ganz kalt wird. Manchmal bete ich ein Vaterunser. Die Konfirmationsbibel steht im Ikea-Regal. Am Heiligen Abend, I go to church. Bigottisch bin ich zwar nicht, aber gottlos kann mich auch keiner schimpfen. Jetzt bin ich durchwachsen, mittel­prächtig, wohltemperiert, angewärmt, so eine richtige gestauchte Sprudelflasche von Laodicea.

Aber Gott mag’s nicht lauwarm. “Ach dass ihr kalt oder heiß wäret, aber weil ihr lauwarm seid, will ich euch ausspucken.” Er mag nur eine ganze Liebe, so wie ich meine Freundin ganz liebe und nicht nur ihre Ohrenclips und Parfumwolke dufte finde. Gott mag’s nicht lauwarm. Er mag nur eine ganze Hingabe, so wie ein Forscher sich seiner Aufgabe ganz widmet und nicht nur ein paar Hobbystunden dafür verwendet. Gott mag’s nicht lauwarm. Er mag nur eine ganze Glut, so wie ein Jungverheirateter für seine Frau ganz glüht und nicht nur ein paar Gedankenfetzen für sie verschwendet. Edmond de Pressensé sagte: “Das gefährlichste Christentum ist das Tote Meer, über das kein Vogel fliegt und an dessen Ufer kein Baum wächst, die Lauheit.”

Nein, Gott mag’s nicht laodicenisch lauwarm, sondern christlich heiß, nicht überhitzt bitte. In manchen Kreisen wird kräftig Dampf gemacht und der Glaube künstlich auf 100 gebracht. Diese fiebrige Schwärmerei meine ich nicht. Nur ganz dicht bei der Quelle des Wortes Gottes werden wir jenen glühenden Glauben finden, der nicht unter das Gericht fällt.

2. Ich steh vor der Tür und rate euch

Komm mit mir wieder nach Laodicea. Das war auch eine Einkaufsstadt. Kaufhof, Hertie, Horten, C&A, Lerche, McDonalds, alles war da. Angebote zu Super- und Schnupperpreisen in Hülle und Fülle. Shoppingspaß für Jung und Alt, Kind und Kegel, Hund und Katz. Aber der Renner auf dem Kleidermarkt war die pechschwarze Trimata, eine Art Sackkleid, das in Modeboutiquen wegging wie die warmen Semmeln beim Stefans­bäck. Die Wolle dazu lieferten die schwarzen Schafe, die auf den Weiden direkt vor der Stadt meckerten. Wer etwas auf sich hielt, war in Schwarz gestylt. Nicht wasserstoffblonde Haare, sondern schwarze. Nicht lila Blazer, sondern schwarz. Nicht buntscheckiger Hosenrock, sondern schwarz. Nicht braune Western­stiefel, sondern schwarz. Mit Trimata war man bestens angezogen.

Und dann klopfte es bei diesen Leuten an die Haustür. Ein Mann stand davor, Vertreter, Bekleidungsberater, Textilfachmann. Höflich bittet er, sein Angebot unterbreiten zu dürfen. Unauf­dringlich packt er seinen Stoff aus, weiß, was jedem passt, weiß, was jedem steht, weiß, was jeden festlich kleidet. “Ich rate dir, kauf bei mir!” So sagt es dieser Herr selber, der wie ein Vertreter durch die Straßen geht. Jesus klopft nicht auf den Busch, sondern an die Tür. Mehr als ein freies Angebot ist seine Sache nicht.

Durch ihn erfahren wir, dass kein noch so teurer und modischer und chicer Outfit “die Schande unserer Blöße” zudecken kann. Mit einem Toupet kann ich meine Platte verstecken. Mit einem Sweatshirt kann ich meine Figur korrigieren. Mit einem Cowboystiefel kann ich meine Säbelfüße wegkaschieren. Aber es gibt nichts auf dem Markt, hinter dem ich mich vor Gott verbergen könnte. Trotz BOSS sind wir vor Gott nackt. Trotz Diesel sind wir vor Gott bloß. Trotz Lacoste sind wir vor Gott total aufgedeckt. Deshalb schrie Paulus, als er sich von diesem Herrn ent­deckt sah: “Herr, geh hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch.”

Aber dieser Herr will uns nicht unbekleidet lassen. So wie der Pharao den Joseph mit sündhaft teurer Leinwand ein­kleidete, so wie Belsazar den Daniel in reinen Purpur steckte, so wie der Vater den verlorenen Sohn mit dem besten Sonntagshäs herausputzte, so bietet er jedem das weiße Kleid der Gerechtigkeit an. Im Blut von Karfreitag ist gewaschen. Im Licht des Ostertages ist es gebleicht. Im Glanz des Himmelsfahrtfestes ist es blütenweiß geworden. Dieses Weiß passt jedem, weil es unserer Natur angepasst ist. Dieses Weiß steht jedem, weil es als Deckweiß alle Macken zudeckt. Dieses Weiß kleidet jeden elegant ein, weil nur diese Farbe beim letzten Abendmahl zugelassen ist.

Keiner soll am Schluss fehlen, keiner soll am Schluss ausgeschlos­sen sein, keiner soll am Schluss draußen stehen, deshalb: Ich stehe vor der Tür und rate dir, kauf bei mir.

3. Ich stehe vor der Tür und rufe euch

Komm mit mir noch einmal nach Laodicea. Das war auch ein Verkehrsknotenpunkt, ein Autobahn­kreuz. Der Kamel- und Pferde- und Eselsverkehr staute nur so durch das Ephesustor. Wir sehen die Feigenmanager, wie sie vor dem 5-Sterne-Hotel vom Muli, dem Vorgänger des Trabi steigen. Wir entdecken die Touristen, wie sie in den Herbergen auf Wanzen­jagd gehen. Wir beobachten die Wohnsitzlosen, die ohne Kies kein Matratzenlager finden und deshalb von Tür zu Tür gehen. Aber die Leute haben abgeschlossen. Sie wollen keinen fremden Besuch. Die Angst geht um wie ein Gespenst.

Und Jesus sagt: “So seid ihr.” Ihr habt eure Türen zugeschlossen und wollt gar nicht mehr hinaussehen. Ihr habt eure Fenster verriegelt und wollt gar nicht mehr hinaushören. Ihr habt eure Luken dicht gemacht und wollt gar nichts mehr wissen, was draußen wirklich abgeht. Aber seht doch: Ich stehe vor der Tür. Hört doch: Ich rufe durch die Tür. Merkt doch: Ich klopfe an die Tür.

Liebe Freunde, Jesus ist der, der in dein Leben hinein will. Er ist kein Einbrecher, der heimlich durch die Scheiben steigt. Er ist kein Hausierer, der dauernd auf der Matte steht. Er ist kein Polizist, der nur Sturm läutet. Jesus ist wie ein Gast, der an meine Haustür kommt: Hauptstr. 16, Berger Steige 30, Marktplatz Nr. 5. Dort stellt er sich hin und klopft, so leise wie ein Krugverkäufer auf dem Weihnachtsmarkt, der einen Tonkrug prüft. Er möchte gerne bei dir sein, mit dir reden, mit dir schweigen, mit dir arbeiten, mit dir ruhen, ganz einfach ein Leben zu zweit mit dir führen.

Dann sähe es doch anders aus in deinem Wohnzimmer, wo du den Dauerknatsch mit deinen Alten nicht loswirst. Dann sähe es anders aus in deinem Arbeitszimmer, wo die Angst vor den Prüfungen und Examinas herumschleicht. Dann sähe es auch anders aus in deinem Schlafzimmer.

Jesus sagt: “Ich stehe vor der Tür und rufe dich.” Ob du mich hörst? Ob du mir aufmachst? Ob du mich rein­lässt? Er drängt dich nicht, aber es muss doch dich drängen: “Komm, o mein Heiland Jesu Christ, mein’s Herzens Tür dir offen ist.”

Amen