Herr Präsident, liebe Geschwister!
Wir haben bereits drei Vorträge zum Thema Identität gehört. Heute Abend möchte ich eine Fortsetzung dazu geben, auch wenn es nicht mehr direkt um das Thema Identität gehen wird. Stattdessen geht es um die seelsorgerlichen und praktischen Auswirkungen unserer Existenz in Christus.
Zunächst möchte ich eine Frage stellen: Angenommen, ihr würdet auf eine einsame Insel verschlagen oder müsstet sogar ins Gefängnis, und ihr dürftet nur ein Kapitel der Bibel mitnehmen. Welches würdet ihr wählen?
Es muss jetzt nicht jeder antworten oder sich melden. Vielleicht hat jemand ein Lieblingskapitel. Einige würden sicher Psalm 23 mitnehmen, den hoffentlich viele auswendig kennen. Andere würden Johannes 10 wählen, das Kapitel vom guten Hirten. Viele haben auf diese Frage geantwortet, unter anderem auch Spörtchen. Sie würden Römer Kapitel 8 mitnehmen.
Römer 8 ist für viele der Haupttext der Bibel. Ich betone noch einmal: Jeder darf seinen eigenen Lieblings- oder Haupttext haben. Bitte nicht falsch verstehen: Die ganze Bibel ist Gottes Wort, von 1. Mose bis Offenbarung. Aber nicht jede Aussage in der Schrift hat dieselbe Gewichtung.
In 1. Mose 36 finden wir beispielsweise das Geschlechtsregister des Esau. Ich glaube nicht, dass man das an einem Krankenbett oder gar an einem Sterbebett vorlesen kann. Trotzdem ist es auch das Wort Gottes und hat seine Berechtigung. Darum steht es ja in der Bibel.
Es gibt jedoch andere Texte in der Bibel, die viel mehr Gewicht und Inhalt haben. Mit Worten aus Römer Kapitel 8 sind Menschen auf dem Scheiterhaufen gestanden und haben ihr Leben für Christus und ihren Glauben hingegeben – nicht mit 1. Mose 36.
So möchte ich nun den Abschnitt aus Römer 8 lesen.
Einführung in das Thema und Bedeutung von Römer 8
Bei den Vorträgen, die ich weitergegeben habe, haben wir auch Bibelstellen gelesen. Meistens konnte ich sie jedoch nicht im Zusammenhang auslegen. Heute Abend wollen wir uns einmal den ganzen Abschnitt vornehmen, und ich werde versuchen, ihn wirklich auszulegen.
Römer 8,31-39:
Da schreibt der Apostel Paulus: „Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer kann gegen uns sein? Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle hingegeben hat – wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken? Wer wird Anklage gegen Gottes Auserwählte erheben? Gott ist es, der rechtfertigt. Wer wird verdammen? Christus Jesus ist es, der gestorben ist, ja, noch viel mehr: der auferweckt wurde, der auch zur Rechten Gottes sitzt und sich für uns einsetzt. Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi? Drangsal oder Angst oder Verfolgung oder Hungersnot oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: ‚Um deinetwillen werden wir getötet, den ganzen Tag; wir sind gerechnet worden wie Schlachtschafe.‘“
Dann schließt Paulus mit dem herrlichen Triumph, mit dem hohen Lied der Heilsgewissheit – so nennt man diese Verse:
„Aber in all dem sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten, noch Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns wird scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“
Ich möchte heute Abend drei Punkte aus diesem Abschnitt entfalten.
Die Hauptfrage der Bibel und ihre Antwort
Erstens die Hauptfrage: Die Hauptfrage der Bibel lautet nicht: Gibt es einen Gott oder gibt es keinen? Das ist nicht die zentrale Frage der Bibel.
Die Bibel beginnt mit den Worten: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Sie setzt Gott voraus und diskutiert nicht lange darüber. Die Bibel geht von der Existenz Gottes aus und bezeugt ihn. Deshalb ist die Frage nach der Existenz Gottes nicht die Hauptfrage der Bibel.
Natürlich ist das für manche Menschen eine wichtige Frage. Es hat schon immer Atheisten gegeben, nicht erst in der Zeit von Kommunismus und Sozialismus. Heute haben wir allerdings einen neuen Atheismus, so nennt man ihn, der durch Bücher wie „Der Gotteswahn“ von Richard Dawkins aus England bekannt wurde. Er hat dieses Buch geschrieben, ich habe es komplett gelesen – ein ziemlich umfangreiches Werk –, aber es enthält keine neuen Argumente. Alles sind nur die alten Kamellen, wieder aufgekocht, ohne wirklich neue Argumente gegen die Existenz Gottes.
Die Hauptfrage der Bibel lautet also nicht, ob es einen Gott gibt oder nicht. Denn obwohl es schon immer Atheisten gab, wurde niemand als Atheist geboren. Zum Atheisten wird man erzogen – durch Ideologie, Medien, Lehrer und vielleicht auch durch die eigenen Eltern. Aber eines ist auch klar: Spätestens wenn ein Flugzeug zu trudeln beginnt, fangen fast alle Atheisten an zu beten. Warum tun sie das? Weil sie im tiefsten Inneren ahnen, manche wissen es sogar ganz genau: Es gibt einen Gott. Diese Welt ist ohne Gott nicht erklärbar.
Es wäre wirklich ein absurdes Theater, wie Samuel Beckett eines seiner Stücke genannt hat, mit dem Gymnasiasten im Deutsch- oder Englischunterricht geplagt werden. Nein, die Frage der Bibel, die Hauptfrage, lautet nicht: Gibt es einen Gott oder nicht? Sondern: Ist dieser Gott für mich oder ist er gegen mich?
Das ist die zentrale Frage, die sich durch die ganze Bibel zieht – von 1. Mose bis in die Offenbarung. Und diese Frage findet hier in Römer 8 ihre ultimative Beantwortung. Darum glaube ich, dass dies der Haupttext der Bibel ist. Die entscheidende Frage lautet: Ist er für mich oder ist er gegen mich?
Gerichtstermin im geistlichen Sinne
Und jetzt geht Paulus her und verwendet in Römer 8 plötzlich Fachbegriffe aus der Gerichtswelt. Paulus war kein Jurist und hat kein Jurastudium absolviert. Vielmehr hat er Theologie zu Füßen des Gamaliel gelernt. Trotzdem benutzt er hier richtige juristische Begriffe, wie sie in jedem Gerichtsverfahren vorkommen: Für uns, gegen uns, wer wird Anklage erheben, wer ist gerechtfertigt, wer ist verurteilt? Das sind alles Fachtermini aus der Gerichtssprache.
Noch etwas fällt auf: Paulus stellt Fragen in Römer 8. Vielleicht habt ihr das beim Vorlesen registriert. Er tut das ähnlich wie Jesaja im Kapitel 50 seines alttestamentlichen Buches. Damit wir das nicht lange in der Bibel suchen müssen – wir sind ja bequeme Leute – habe ich die Stelle vorbereitet. Dort sehen wir genau, wie Paulus Anleihen macht.
Jesaja sagt prophetisch etwa 700 Jahre vor Christus voraus, dass Jesus einmal in einem Gerichtsverfahren stehen wird. Er sagt es über Jesus voraus: „Nahe ist mir die Rechtschaft“ – ein juristischer Begriff. „Wer will mit mir einen Rechtsstreit führen?“ Diese Fragen habe ich rot hervorgehoben, die juristischen Begriffe unterstrichen. „Rechtsstreit“ ist im Hebräischen ebenfalls ein juristischer Begriff.
Jesaja fordert auf: „Lasst uns zusammen hintreten! Wer ist mein Rechtsgegner?“ – ein weiterer juristischer Begriff und eine Frage. „Er trete her zu mir! Siehe, der Herr hilft mir.“ „Wer ist es, der mich schuldig erklären will?“ – wieder eine Frage und ein juristischer Begriff. „Siehe, allesamt werden sie zerfallen wie ein Kleid; die Motte wird sie fressen.“
Wir merken, Paulus greift das auf. Jesaja sagt das Gerichtsverfahren gegen unseren Herrn Jesus prophetisch voraus und Paulus wendet es auf uns Gläubige an. Er führt uns gedanklich in einen Gerichtssaal, indem er diese Begriffe verwendet.
Wir sind also im Gerichtssaal, und da fühlt man sich nicht wohl. Es herrscht immer eine mulmige Atmosphäre – selbst wenn man nur als Zuschauer oder Zeuge dort ist. Im Gerichtssaal habe ich mich noch nie wohlgefühlt, und schon gar nicht als Angeklagter. Das ist eine ganz andere Dimension: Gott ist der Richter, der Teufel ist der Ankläger, der Staatsanwalt, und ich bin der Angeklagte.
Die Anklageschrift ist lang: Alle Verfehlungen meines Lebens sind lückenlos darauf festgehalten. Das Urteil wäre klar: Tod – zeitlicher und ewiger Tod, ewige Trennung von Gott. Das wäre das Urteil. Die Bibel sagt: „Der Lohn der Sünde ist der Tod.“
Doch dann betritt Jesus Christus, der Verteidiger, den Saal und sagt: „Vater, was ist er schuldig?“ Er erklärt: „Ich habe alles bezahlt mit meinem Blut, alles ist gesühnt.“ So darf der Angeklagte als freier Mann den Gerichtssaal verlassen. Ich bin begnadigt und als Schuldiger freigesprochen, weil ein anderer den Freispruch für mich erwirkt hat.
Das ist das Evangelium, das wir alle kennen – hoffe ich – und glauben. Paulus greift das hier auf und klärt die Hauptfrage der Bibel: Gott ist für uns, nicht mehr gegen uns, weil Jesus Christus, sein Sohn, die Schuld für uns getragen hat und als Stellvertreter die Sünde erwirkt hat.
Paulus fragt: Wer ist verdammt? Wer will uns jetzt noch verdammen? Die rhetorische Antwort lautet: Niemand! Wer soll uns noch verdammen, wenn Gott uns gerechtfertigt hat?
Jesus Christus sagt im Johannes-Evangelium 5,24: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist vom Tod zum Leben hindurchgegangen.“
Wer sich in diesem Leben der Gerichtsverhandlung stellt, vor dem Richter steht und einsieht, dass er schuldig ist, wer den Nacken beugt und erkennt, dass er vor einem heiligen Gott nicht bestehen kann, sondern einen Mittler, einen Bürgen, einen Erlöser, einen Freikäufer braucht – wer seinen Nacken beugt, der kommt nicht mehr ins Gericht. Der ist durch.
Das ist das Gericht: Wenn wir uns vor Gott schuldig sprechen, wenn wir uns beim Richter selbst verklagen – wie es ein Lied sagt – dann sind wir durch. Dann haben wir dieses Gericht hier in diesem Leben bereits erlebt. Und dann kommen wir nie mehr in dieses Gericht.
Der Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen
Und damit sind wir bei einem Hauptunterschied. Anhand des Textes in Römer 8, den wir eben gelesen haben, lässt sich der Hauptunterschied zwischen Christen und Nichtchristen formulieren. Er lautet folgendermaßen: Christen haben die große Gerichtsverhandlung ihres Lebens bereits hinter sich, alle anderen haben sie noch vor sich.
Das ist ein Unterschied, den ich euch sagen kann. Es ist etwas Besonderes, wenn man die große Gerichtsverhandlung seines Lebens vor dem lebendigen Gott bereits hinter sich hat. Wenn man sich als schuldig vor Gott erkannt und verworfen hat und wusste, dass man die Verdammnis verdient hat – die ewige Trennung von Gott – und dann doch Gnade im Angesicht Jesu Christi erfahren hat. Wenn man sein Vertrauen auf ihn setzt und glaubt, dass er alles gut gemacht hat, dort am Kreuz und am Auferstehungsmorgen. Dann ist man durch diese Gerichtsverhandlung hindurch.
Alle anderen, die sich in diesem Leben davor drücken, haben sie noch vor sich. Ich will niemanden erschrecken, aber zum Glück sind hier jetzt auch keine Kinder anwesend.
Das ist eine kleine Illustration aus einem Chick-Traktat. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was die Chick Publications produzieren, aber diese Darstellung finde ich sehr eindrücklich. Dort sieht man nämlich die Szene, in der die Menschen vor dem großen weißen Thron stehen. Das ist die große Gerichtsverhandlung, die die Menschen dann vor sich haben.
Ich sah die Toten, beide groß und klein – das heißt, alle Toten stehen vor Gott. Bücher wurden aufgetan, und ein anderes Buch wurde aufgetan, welches das Buch des Lebens ist. Die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. Dort heißt es: „Bücher wurden aufgetan.“ Darf ich das mal modern ausdrücken? Dort wird der Film des Lebens der Leute, die da stehen, ablaufen. Lückenlos ist alles festgehalten.
Sie möchten den Film anhalten, aber alle Szenen ihres Lebens sind zu sehen: was sie im Licht gemacht haben und in der Finsternis, am Tag und in der Nacht. Und sie können den Film nicht anhalten. So stehen die Menschen vor Gott.
Und wisst ihr, was das Schreckliche an diesem großen weißen Thron ist? Er ist weiß, weil er von der Gerechtigkeit Gottes spricht, von der Reinheit und Heiligkeit Gottes. Wisst ihr, was das Schreckliche an diesem Thron ist? Dort gibt es kein Blut, das für den Sünder spricht – kein Blut!
Das heißt, die Menschen stehen da mit ihrem Leben und ihren Taten, und sie sind verurteilt. Keiner, der hier erscheinen muss, hat eine Chance. Keiner wird den Himmel sehen. Sie sind alle verurteilt, sie sind bereits gerichtet.
Hier haben sie die große Gerichtsverhandlung. Dort bekommen sie ihr Beweisverfahren, und Gott zeigt ihnen, wie sie gelebt haben. Er zeigt ihnen auch, wie viele Gelegenheiten zur Bekehrung sie ausgeschlagen haben. All das werden sie dort sehen.
Aber das Schlimme ist: Es gibt kein Blut. Die Bibel sagt, nur durch Blutvergießen geschieht Vergebung – und dort ist kein Blut.
Wir aber durften hier in unserem Leben zu dem Thron der Gnade kommen, nicht zu dem großen weißen Thron, sondern zu dem Thron der Gnade. Im Hebräerbrief spricht der Schreiber davon. Er wendet das zwar für Gläubige an, aber auch als Unbekehrter kann man schon zu dem Thron der Gnade kommen.
Das ist das Kreuz von Golgatha, wo man den Heiland sehen kann, der für uns starb und sein Leben für uns gegeben hat. Dort kann man Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden – einmal grundsätzlich und dann immer wieder neu.
Ich bin ganz gewiss, dass viele hier im Raum den Thron der Gnade kennen und die große Gerichtsverhandlung ihres Lebens bereits hinter sich haben. Sollte hier jemand sein, der sie noch vor sich hat, der dieses Erlebnis, wie ich es eben beschrieben habe, noch nie gehabt hat – also sich vor Gott schuldig gesprochen hat und das Urteil Gottes akzeptiert hat und dann sein Vertrauen auf Christus gesetzt hat –, dann: Was hindert dich, das zu tun?
Zusammenfassung der ersten Verse und Gottes Fürsorge
Ich fasse Römer 8,31-34 zusammen: Weil Gott für uns ist, schreibt Paulus, kann niemand mehr gegen uns sein – niemand. Natürlich können Menschen gegen uns sein. Auch Behörden und ganze Regierungen können Christen ablehnen. Paulus will jedoch sagen, dass das keine Rolle mehr spielt. Gott ist auf unserer Seite, und er wird uns durch alle Schwierigkeiten hindurchtragen.
Weil Gott seinen Sohn für uns gab, schenkt er uns auch alles andere, was wir brauchen. Gott hat sein Liebstes, sein Höchstes, sein Teuerstes für uns hingegeben. Er hält nichts zurück, sondern gibt uns alles, was zum Leben und zur Gottseligkeit nötig ist.
Ich war einmal in einem Gemeindesaal in der Weihnachtszeit. Dort hatten die Geschwister dieser Gemeinde in Ludwigshafen am Rhein eine Wand – ähnlich wie eure Stirnwand – so dekoriert, dass dort viele echte Pakete hingen. Ihr seht den Schatten, das sind keine gemalten Bilder. Sie hatten Päckchen aufgehängt, um zu zeigen: „Er, der sogar seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle hingegeben hat, wie sollte er uns dann nicht alles andere schenken?“ Diese Dekoration sollte verdeutlichen, dass die kleinen Weihnachtsgeschenke, die man jetzt bekommt, nichts sind im Vergleich zum Geschenk aller Geschenke, das Gott uns gegeben hat. Seinen Sohn hat er für uns gegeben. Und weil Gott seinen Sohn für uns gab, gibt er alles andere dazu.
Weil Gott uns gerechtfertigt hat, kann uns im Gerichtssaal des Himmels niemand mehr anklagen. Es ist ohnehin fraglich, ob dort überhaupt jemand Zutritt hat, der uns anklagen könnte. Aber selbst wenn, kann uns niemand mehr vor Gott anklagen. Wir sind unanklagbar – so hieß es in den letzten Tagen hier bei den Identitätsvorträgen.
Weil Christus für uns starb, auferweckt wurde und uns als Hoherpriester beim Vater vertritt, kann uns niemand mehr verdammen – niemand. Interessanterweise geht Paulus hier in Vers 34 in die Gegenwart. Er fragt: „Wer ist es, der verurteilt?“ Christus, Jesus ist es. Er ist gestorben vor zweitausend Jahren, ja noch länger her, auferweckt vor zweitausend Jahren und sitzt zur Rechten Gottes. Er verwendet sich auch heute noch für uns – nicht nur damals, sondern auch jetzt im einundzwanzigsten Jahrhundert. Paulus benutzt hier die Gegenwartsform.
Er ist unser Hoherpriester, sagt die Bibel. Sein Kreuz gilt auch für die Sünden des Glaubensstandes, und er vertritt uns jetzt vor dem Vater. Das gehört zu seinem ganzen Heilshandeln. Diese Wahrheit ist enorm wichtig für die Gewissheit unseres Heils.
Christus betet für uns genauso, wie er damals für Simon Petrus gebetet hat. Ihr kennt die Begebenheit: Petrus war selbstbewusst und sagte: „Herr, wenn diese alle dich verlassen, kannst du auf mich zählen.“ So kam er daher, aufgeblasen und überzeugt von sich selbst. Doch Jesus sagte zu ihm: „Simon, Simon“ – er nennt ihn bei seinem alten, schuldbelasteten Namen, nicht Petrus – „der Satan hat begehrt, euch wie den Weizen zu sichten. Er will euch durchs Sieb schütteln. Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört.“
Beachtet, der Herr Jesus betet nicht, dass wir nie in eine Gefahrensituation kommen oder nie erschüttert werden. Das kann jedem von uns passieren. Aber er hat gebetet, dass der Glaube nicht aufhört.
Judas’ Sünde war nicht schlimmer als die von Petrus, der scheiterte. Petrus aber hatte Jesus, der für ihn gebetet hat, damit sein Glaube nicht endet. Judas hatte nie wahren Heilsglauben; er war von Anfang an falsch.
Die Tatsache, dass Christus sich für uns verwendet, ist eine wunderbare und wichtige Botschaft für die Gewissheit unseres Heils. Er betet für uns.
Schaut mal, ein schottischer Missionar namens Robert Murray McCheyne, der nur dreißig Jahre alt wurde, hat sich völlig für Gott aufgezehrt. In wenigen Jahren erreichte er mehr als andere in hundert Jahren. Er war ein Pioniermissionar in Amerika unter Indianern. Einmal sagte er: „Wenn ich Jesus Christus im Nebenraum für mich beten hören würde – stellt euch vor, der Herr Jesus wäre hinter dieser Tür und wir wären alle ganz still und würden ihn beten hören – dann würde ich selbst eine Million Feinde nicht fürchten, wenn ich ihn da beten hören würde.“
Dann fügte er hinzu: „Aber räumliche Entfernung macht doch keinen Unterschied. Er betet dort für mich, dort im Himmel beim Vater.“ Das macht keinen Unterschied. Er betet für mich, für dich auch, für seine Gläubigen, für die Kinder Gottes.
Das ist eine wichtige Botschaft.
Weil der Hebräerbrief diese Wahrheit in besonderer Weise entfaltet, dass Christus unser Hoherpriester ist, nennt man den Hebräerbrief auch das fünfte Evangelium. Habt ihr diesen Ausdruck schon einmal gehört? Ihr denkt vielleicht: „Wieso das? Es gibt doch nur vier Evangelien.“ Matthäus, Markus, Lukas und Johannes beschreiben, was Jesus vor zweitausend Jahren auf der Erde für uns getan hat. Der Hebräerbrief beschreibt, was er jetzt im Himmel für uns tut.
Er verwendet sich für uns als unser Fürsprecher und betet für uns – auch dann, wenn wir selbst nicht mehr beten können. Er vertritt uns.
Ihr seht, das ist eine wichtige Wahrheit.
Gottes Absicht hinter der Heilsgewissheit
So, nun fragen wir: Was ist Gottes Absicht mit diesen Aussagen, die wir gerade hier durchgegangen sind, Römer 8,31-34? Will er, dass wir uns zusätzlich zu unserem irdischen Wohlstand und aller Bequemlichkeit auch noch des ewigen Heiles erfreuen können? Mitnichten.
Gott will uns unseres ewigen Heiles gewiss machen, damit wir bereit werden, freudig, freimütig und unerschütterlich fest für Jesus Christus zu leiden. Woher ich das weiß? Aus den nächsten Versen, die jetzt im Römerbrief folgen.
Damit bin ich beim dritten und letzten Punkt heute Abend, der aber noch ein paar Minuten dauern wird, nämlich der Hauptbotschaft. Wir haben die Hauptfrage geklärt, die lautet: Gibt es Gott oder gibt es keinen? Wir haben den Hauptunterschied gesehen zwischen Christen und Nichtchristen. Christen haben die große Gerichtsverhandlung ihres Lebens bereits hinter sich, alle anderen haben sie noch vor sich.
Und jetzt kommt die Hauptbotschaft. Paulus stellt noch eine letzte Frage: Wer wird uns Christen, meint er, scheiden von der Liebe Christi? Und seine Antwort lautet: Nichts und niemand kann uns Christen von der Liebe Gottes trennen.
Und wir fragen Paulus: Hast du dir das gut überlegt? Paulus schreibt diesen Römerbrief im Jahr 55 nach Christus. 54 war in Rom bereits Nero an die Macht gekommen, der erste von zehn grausamen römischen Kaisern, die alle zehn Christen verfolgt haben. Drei von ihnen wollten die Christen von diesem Erdboden vertilgen, auslöschen, zum Beispiel Diokletian.
Und Paulus schreibt an die Christen in Rom, wo Nero bereits herrschte, und er schreibt: Nichts und niemand kann uns von der Liebe Gottes trennen. War Paulus da ein bisschen oberflächlich? War er ein bisschen enthusiastisch und euphorisch?
Schaut mal, er hat ganz genau hingeschaut. Er zählt nämlich hier in diesem Abschnitt sechzehn mögliche Anfechtungen auf, die uns Christen hier in diesem Leben begegnen können, hier in dieser Welt, in dieser gefallenen, bösen Welt. Wir gehen sie durch: Drangsal, Angst, Verfolgung. Hungersnot – nicht genug zu essen – kennen wir im Augenblick hier, Gott sei Dank, nicht. Blöße – nicht genug anzuziehen. Gefahr, Schwert – das ist der Märtyrertod. Der Tod, das Leben – das meinen die Lebensumstände. Engel, Gewalten – das sind dämonische Engelmächte. Gegenwärtiges, Zukünftiges, Mächte, Höhen und Tiefen – das sind astronomische Punkte in einer Sternumlaufbahn. Noch irgendein anderes Geschöpf wird uns scheiden können.
Das ist eine Ausschlussklausel. Also hat Paulus alles abgesucht, es ist, als hätte er die ganze Erde abgesucht, ja sogar das ganze Universum, nach etwas, das uns Christen von der Liebe Gottes scheiden könnte, die in Christus Jesus ist. Sechzehn mögliche Anfechtungen.
Ich bin kein allzu großer Freund von biblischer Zahlensymbolik, da übertreiben es manche ganz gewaltig. Aber es gibt ein paar Zahlen, die wirklich eine Bedeutung haben. Drei ist die Zahl Gottes, sechs ist die Zahl des Menschen, sieben ist die Zahl der Fülle. Zehn hat meistens mit Israel zu tun, auch zwölf hat oft mit Israel zu tun.
Dann gibt es noch einmal 144 – das war nicht für die Zeugen Jehovas reserviert, sondern das sind Juden in der Trübsal. Und das war es dann auch schon ungefähr mit den Zahlen. Vierzig kommt auch noch vor, hat mit Israel und mit Versuchung zu tun. Aber das war es dann schon.
Eine Zahl haben wir jetzt noch vergessen: die Zahl vier. Vier bedeutet die Zahl der Erde – vier Himmelsrichtungen, vier Elemente. Und sechzehn ist vier mal vier. Darum sagte ich eben, es ist, als hätte Paulus die ganze Erde abgesucht und sogar das ganze Universum nach etwas gesucht, was uns Christen, die wir eine Identität in Christus haben, die wir in ihm sind, wie wir gestern und vorgestern gehört haben, was uns von Gott scheiden könnte.
Und Paulus war nicht oberflächlich. Er zitiert ja sogar hier in Vers 36 Psalm 44, Vers 23 aus dem Alten Testament, und da steht: "Ja, um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag, wie Schlachtschafe sind wir gerechnet worden." Schon im Alten Testament wurden Gläubige manchmal umgebracht, um ihres Glaubens willen. Alttestamentliche Gläubige – und das zitiert Paulus hier im Brief an die Römer.
Ich habe mal den ganzen Psalm 44 angeschaut, er ist ein Psalm der Söhne Korachs. Das können wir jetzt aus Zeitgründen nicht vertiefen, aber seht ihr, was hier als nächster Vers kommt? Vers 24: "Erwache!" Also der Psalmbeter sagt zu Gott: "Schläfst du? Machst du ein Nickerchen? Erwache! Warum schläfst du, Herr? Wache auf! Verwirf uns nicht auf ewig."
Und im nächsten Vers, Vers 25: "Warum verbirgst du dein Angesicht? Vergisst unser Elend und unsere Bedrückung?" Seht ihr, Paulus zitiert diese beiden Verse nicht. In beiden Versen steht das Wort "Warum". Soll das bedeuten, dass wir Christen nicht "Warum?" fragen dürfen? Auf keinen Fall soll das bedeuten. Wir dürfen "Warum?" fragen.
Unser Herr Jesus hat am Kreuz hängend gebetet: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Wir dürfen die "Warum"-Frage stellen. Aber wisst ihr, was auffällt? Im Alten Testament stellen die Menschen die "Warum"-Frage immer an Gott. Die Psalmbeter verstehen Gottes Führung nicht und stellen die Frage an Gott.
Nach der Aufklärung, nach der geistesgeschichtlichen Epoche der Aufklärung, hat sich die Fragehaltung verschoben. Der Mensch fragt nicht mehr Gott, sondern er sinniert, philosophiert, stellt die Frage einfach in den Raum und richtet sie nicht mehr an Gott – die "Warum"-Frage.
Aber wir dürfen "Warum?" fragen. Ich habe von Eltern gehört, die ein Kind verloren haben, ein Mädchen. In ihrem großen Schmerz haben sie auf den Grabstein nur ein einziges Wort setzen lassen: "Warum?"
Und, ihr Lieben, wenn Menschen so etwas machen, wenn sie Gottes Führung nicht verstehen, wenn sie so etwas machen, dürfen wir sie nicht verurteilen. Wir können ihren Schmerz nicht ermessen.
Ihr wisst, ich habe zehn Jahre in Mannheim gelebt, von 1990 bis 2000. In unserer Nachbarschaft, nicht weit weg, lebt eine Familie mit einem schwerstbehinderten Kind. Ich habe noch nie im Leben ein so schwerbehindertes Kind gesehen. Der Junge wurde nur elf Jahre alt, dann starb er.
Dann haben die Eltern in der Mannheimer Morgen, der siebtgrößten Tageszeitung Deutschlands, eine Anzeige geschaltet. Das hat einen Haufen Geld gekostet. Die Anzeige fing an mit den Worten: "Gott weiß schon lange nicht mehr, was er tut." Dann haben sie dort Dampf abgelassen und Gott in der Preislage angeklagt, im Mannheimer Morgen.
Viele Leute im Stadtteil haben sich aufgeregt und gesagt: "Spinnen die?" Und ich habe gesagt: "Seid still, ihr könnt ihren Schmerz nicht ermessen, was die mit diesem Jungen mitgemacht haben." Seid still, habe ich gesagt, verhüllt euren Bart, sagt gar nichts.
Warum haben die auf den Grabstein "Warum" geschrieben? Aber zwei Jahre später sah man, wie sich der Steinmetz noch einmal an dem Grabstein zu schaffen machte. Dann war dort zu lesen: "Gott weiß warum."
Es hatte aber zwei Jahre gedauert, und es kann noch länger dauern, bis aus dem quälenden "Warum" ein heilendes "Wozu" geworden ist. Oder ich sage es anders: bis Gott Frieden gegeben hat.
Wir haben auch unser erstes Kind verloren. Es kam tot zur Welt, aus heiterem Himmel, plötzlich war es tot. Meine Frau musste es tot zur Welt bringen. Und wir haben erfahren, wie Gott uns Frieden darüber gegeben hat.
Wir mussten die "Warum"-Frage damals glücklicherweise nicht stellen. Natürlich haben wir uns auch gefragt: Wer weiß, was mit dem Jungen geworden wäre, ob er krank gewesen wäre oder was immer mit ihm gewesen wäre. Wir haben gesagt, das werden wir in der Ewigkeit erfahren, wenn es uns dort noch interessiert.
Gott hat uns Frieden gegeben, und wenn Gott Frieden gibt über einer Führung, dann ist es gut. Da muss man nicht unbedingt die Antwort haben. Gott beantwortet uns die Fragen nicht immer, aber er löst sie auf, indem er uns Frieden gibt.
Und so war es auch bei diesen Eltern: Gott weiß warum.
Die Liebe Gottes in schweren Zeiten
Und ihr Lieben, jetzt sind wir bei einem ganz entscheidenden Punkt für unser Glaubensleben angekommen – einem wirklich entscheidenden Punkt. Wir alle, die wir hier sind, befinden uns in derselben Gefahr.
Wir dürfen die Liebe Gottes zu uns nicht an unserem persönlichen Wohlergehen ablesen wollen. Doch genau das tun wir oft ganz automatisch. Ich möchte das mal etwas provokativ ausdrücken und vielleicht überzeichnen, damit der Kern besser sichtbar wird. Bitte nicht falsch verstehen.
Wenn man gesund ist, einen Arbeitsplatz hat, verheiratet ist, einen netten Ehepartner und wohlerzogene Kinder hat, ein Haus gebaut hat und drei, vier oder fünf Mal im Jahr in den Urlaub fliegen kann, dann ist es nicht so schwer, an die Liebe Gottes zu glauben, oder?
Aber wenn Gott nimmt, wenn wir Verlust erleiden, wenn wir in die Kälte kommen und durch harte Zeiten gehen, dann werden wir mit der Frage konfrontiert: Liebt Gott mich noch? Dann kann der Zweifel aufkommen: Liebt mich Gott dennoch? Warum lässt er das zu? Warum erfüllt er mir den großen Lebenswunsch nicht? Warum, warum?
Ihr Lieben, Gott hat seine Liebe zu uns ein für alle Mal bewiesen – ein für alle Mal durch die Hingabe seines Sohnes am Kreuz von Golgatha. Wie wir eben gelesen haben: Wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken? (Römer 8,32)
Gott hat seine Liebe ein für alle Mal bewiesen. Er muss sie mir nicht immer wieder neu beweisen, indem er mir das gibt, diesen Wunsch erfüllt, das Unglück abwendet und mich immer segnet. Das muss Gott nicht tun. Er segnet gerne, er schenkt gerne. Aber es kann auch sein, dass wir einmal durch die Mühle gehen müssen.
Früher oder später wird das bei jedem mal so sein. Bei mir war es schon ein bisschen so, aber vielleicht weiß ich nicht, was noch auf mich zukommt, und ich weiß auch nicht, was auf dich zukommt. Und dann wird uns hoffentlich der Herr den Blick auf das Kreuz richten, denn dort hat er ein für alle Mal bewiesen, dass er uns liebt.
Wir können immer wieder zum Kreuz kommen. In dieser gefallenen Welt ist das Kreuz ein leuchtendes Fanal der Liebe Gottes. Nicht unsere Erfahrung ist entscheidend, sondern die Schrift. Und die sagt uns: Gott hat uns lieb, er ist für uns, und nichts kann uns von seiner Liebe scheiden (Römer 8,38-39).
Warum Gott die Lasten nicht nimmt
Ich habe noch eine letzte Frage: Warum nimmt uns Gott die Lasten nicht weg? Warum lässt Gott die Christen in Rom, schon die alttestamentlichen Gläubigen und auch heute Christen in Nordkorea und anderen Ländern unter solchen Lasten und Verfolgungen leiden?
Ich hoffe, ihr betet auch für die verfolgten Christen. Das ist mir ganz wichtig. Es gibt noch immer Verfolgung, zum Beispiel in China im Inneren des Landes. An der Küste ist es relativ frei. Auch in Nordkorea, in islamischen Ländern und anderen Teilen der Welt besteht für Christen noch immer eine ernsthafte Bedrohung.
Warum nimmt uns Gott die Lasten nicht weg? Ich habe zwei Antworten gefunden, und zwar im Zusammenhang mit dem Römerbrief.
Gott nimmt die Lasten nicht weg, weil sie uns helfen, in das Bild Christi umzugestalten. Seien wir ehrlich: Wenn in unserem Leben alles glattläuft und alles in Ordnung ist, dann ist unser Glaubensleben oft oberflächlich. Dann hat unser geistliches Leben keinen Tiefgang, es schwebt so dahin. Wir sind oft mit ganz anderen Dingen beschäftigt.
Aber wenn Gott Last auflegt – wie ich eben sagte: Wenn die Trauben in die Kälte kommen, dann fließt der Wein –, dann wird unser Leben fruchtbar. Gott hat viele Möglichkeiten, uns in das Bild Christi umzugestalten. Er gebraucht natürlich auch sein Wort, den Heiligen Geist und andere Christen. Aber er gebraucht auch die Lasten unseres Lebens.
Ich kann das beweisen: Unmittelbar vor dem Text, den wir eingangs gelesen haben, steht ja der bekannteste Vers des Römerbriefs überhaupt, den wir manchmal zu schnell und zu leichtfertig zitieren, nämlich: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, zum Besten“, sagt Luther sogar. Er verwendet den Sublativ: „denen, die nach seinem Vorsatz berufen sind.“
Was ist das Beste, zu dem uns alle Dinge dienen sollen – alle Dinge, auch die sechzehn, die wir eben auf der Leinwand gesehen haben? Die Antwort steht in Vers 29: „Denn die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie dem Bild seines Sohnes gleichförmig werden.“
Gott verwendet also auch die Lasten unseres Lebens, sogar Verfolgung, um uns in das Bild Christi umzugestalten. Wollen wir das versuchen zu verstehen und zu verinnerlichen? Wenn es mal wieder in unserem Leben aktuell wird, dann denken wir daran: Danke, Herr, du meinst es gut mit mir. Du willst mich in dein Bild, in das Bild Christi, umgestalten.
Eine weitere Antwort habe ich gefunden: Gott nimmt die Lasten nicht weg, weil wir Überwinder werden sollen.
In unserem Abschnitt steht in Vers 37: „Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat.“
In diesem allen – in diesen ganzen Anfechtungen, die wenige Verse vorher aufgezählt wurden, die sechzehn Anfechtungen –, in diesem allen, in den Widerwärtigkeiten dieser Welt, sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat.
Luther übersetzt „Überwinder“ mit „weit überwinden“. Darüber habe ich mir jahrelang den Kopf zerbrochen und versucht zu forschen, was Paulus meint mit „wir überwinden weit durch den, der uns geliebt hat“.
Ich habe vor nicht allzu langer Zeit, wie ich meine, die Antwort gefunden – und zwar auch im Römerbrief, Kapitel 12.
In Römer 12 werden 24 Imperative, also Aufforderungen und Befehle an uns Christen, weitergegeben. Einer davon lautet: „Lasst euch nicht vom Bösen überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem.“
Habt ihr das gehört? „Feurige Kohlen aufs Haupt sammeln“ – das bedeutet, nicht vom Bösen überwinden zu lassen! Wenn wir mit Bösem zurückreagieren, haben wir uns vom Bösen überwinden lassen.
Aber wenn wir mit Gutem antworten, wenn uns Böses geschieht, wenn wir Ungerechtigkeiten und Nachteile erleiden müssen und dennoch mit Gutem antworten, dann überwinden wir weit.
Beispiel aus dem Alltag und praktische Anwendung
Ich muss euch ein Beispiel erzählen. Meine Frau war eine junge Lehrerin und kam mit 22 Jahren zum Glauben. Ich auch – wir kamen im gleichen Jahr zum Glauben, ohne uns damals zu kennen. Gleich danach hatte sie den Wunsch, ihre Schülerinnen einzuladen. Sie war Hauptschullehrerin und unterrichtete auch 14-jährige Mädchen. Deshalb lud sie diese zu sich in die Wohnung ein.
Sie wohnte über einem älteren Ehepaar. In deren Haus, oben in der Dachwohnung, begann sie einen Teenagerkreis. Die Vermieter unten, ein älteres Ehepaar, beide über siebzig, waren nicht begeistert. Sie machten Stress, drohten sogar mit der Polizei und verboten ihr, weiterhin dort oben mit den Mädchen zu singen und herumzutrampeln.
Meine Frau war wirklich in der Bredouille und wusste nicht, was sie tun sollte, weil die Vermieter mit der Polizei gedroht hatten. Dann kam es so, dass die Frau des Vermieters, ebenfalls über siebzig, einen Schlaganfall erlitt und ins Krankenhaus musste.
Daraufhin hatte meine Frau die Idee, für den Strohwitwer zu kochen. Sie bereitete ein Essen zu und stellte es vor seine Tür. Männer, wenn sie anfangen zu kochen, essen oft nur Spiegeleier – aber sie machte ihm ein gutes Essen. Doch er holte es nicht rein, sondern ließ es stehen und ignorierte es.
Am nächsten Tag kochte sie wieder und stellte das Essen hin. Diesmal war es weg – er hatte es reingeholt und gegessen. So kochte sie für ihn, solange seine Frau im Krankenhaus war.
Als die Frau aus dem Krankenhaus zurückkam, konnte sie nach dem Schlaganfall nicht sprechen. Meine Frau, eigentlich Mathelehrerin und nicht Deutschlehrerin, machte mit ihr logopädische Übungen und half ihr, wieder sprechen zu lernen.
Ich fasse die Geschichte kurz: Ich habe sie dann aus dieser Situation weggeheiratet und von dem unseligen Lehrerberuf erlöst. Ich bin Zeuge, dass als meine Frau sich verabschiedete, das Ehepaar da stand und ihnen die Tränen liefen, weil sie auszog.
Sie boten ihr sogar an, sie als Alleinerbin einzusetzen. Sie hätte das ganze Haus samt Grundstück erben können, denn sie hatten keine Kinder. Meine Frau hat jedoch dankend verzichtet.
In all dem sind wir mehr als Überwinder. Wenn meine Frau einen Rechtsanwalt eingeschaltet oder gegen das ältere Ehepaar Stress gemacht hätte, was wäre wohl dabei herausgekommen? Aber so war es besser.
Leider haben sie sich, soweit wir wissen, nicht bekehrt. Natürlich haben wir ihnen noch Zeugnis gegeben, Schriften geschenkt und alles versucht. Aber immerhin standen sie da, und ihnen kullerten die Tränen über die Wangen, als ich meine Frau dort weggeholt habe.
Vielleicht hast du auch einen Nachbarn, der dir das Leben schwer macht, oder Arbeitskollegen oder andere, die es nicht gut mit dir meinen. Versuch es mal – wirklich: Versuch, das Böse mit Gutem zu überwinden.
Wenn du natürlich in einen Rechtsstreit verwickelt wirst, weil du einen Auffahrunfall hattest oder Ähnliches, dann geht es nicht anders. Da musst du dich auch mit juristischen Mitteln wehren. Da kannst du nicht sagen: „Jetzt koche ich dir mal ein Essen.“ Das greift dann nicht.
Aber ihr habt verstanden, worum es hier geht. Vielleicht gibt euch der Herr die Gelegenheit, auch Überwinder zu werden. Entweder wir werden Überwinder oder wir sind Überwundene – eins von beiden.
Entweder überwindet uns das Böse, und wir gehen darin unter, klagen, jammern, lamentieren und klagen am Ende sogar Gott an. Oder wir überwinden weit durch den, der uns geliebt hat, durch den Blick aufs Kreuz.
Schlussworte und Gebet
Und dann schließt Paulus mit den wunderbarsten Worten, die wir im Römerbrief finden – vielleicht auch mit den schönsten in der ganzen Schrift. Denn ich bin gewiss: Schaut mal, was das für zentnerschwere Sätze sind!
Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer noch Gewalten – das schreibt er an die Christen in Rom. Wisst ihr, was der wahnsinnige Nero gemacht hat? Er hat die Christen bei lebendigem Leib in Wachs eingießen lassen und sie angezündet, damit sie die Partyanlagen in seinen Gärten in Rom erleuchten sollten.
Wisst ihr, was der wahnsinnige Pol Pot in Kambodscha getan hat? Er hat Christen bis zum Hals in die Erde eingegraben, mit Mähdreschern drüberfahren lassen und ihnen die Köpfe abgemäht. Wisst ihr, in welchen Dingen Christen in dieser Welt leben und leiden müssen?
Da schreibt Paulus: Nichts vermag uns zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. Was ist das für eine Botschaft! Versteht ihr, warum ich glaube, dass es der Haupttext der Bibel ist, mit seiner ultimativen Antwort?
Und das gilt für Menschen, die eine Identität in Christus haben, die wissen: Ich bin von Gott angenommen, meine Schuld ist vergeben, ich bin gerechtfertigt. Ich bin genauso gerecht wie der Apostel Paulus und wie der Herr Jesus. Ich bin mit seiner Gerechtigkeit beschenkt, und nichts und niemand wird mir das mehr rauben. Was ist das für eine Botschaft!
Damit sind die Christen auch in der Arena von den Löwen zerrissen worden und auf andere grausame Arten ums Leben gekommen. Noch einmal, damit sich das vielleicht auch einprägt und ihr es mitnehmen könnt: Wilhelm Busch hat gesagt, man muss dem Hörer in einer Predigt immer wie drei Nägel in den Kopf schlagen, an die er die Predigt aufhängen und mit nach Hause nehmen kann. Hier sind die drei Nägel:
Die Hauptfrage der Bibel lautet nicht: Gibt es einen Gott oder gibt es keinen? Sondern: Ist dieser Gott für mich oder ist er gegen mich? Und diese Frage ist ultimativ beantwortet, letztgültig.
Der Hauptunterschied ist nicht arm oder reich, krank oder gesund, jung oder alt, sondern Christen haben die große Gerichtsverhandlung ihres Lebens bereits hinter sich. Ich auch, dafür bin ich unendlich dankbar, und ich hoffe, du auch. Und dann danke Gott dafür.
Die Hauptbotschaft lautet: Jetzt kann uns nichts und niemand mehr von der Liebe Gottes trennen. Ich weiß nicht, ob ihr Familie Gruner kennt. Der Benjamin hat hier die Aufnahmen in den letzten Tagen gemacht. Seine Mutti ist heute Nacht heimgegangen, die Christiane, mit sechzig Jahren. Ja, ich habe sie nicht gekannt, aber ich habe auch schon für sie gebetet, weil ich die E-Mails von Sebastian erhalten habe, der sie herumgeschickt hat.
Und ja, heute Nacht ist sie heimgegangen, und sie sind jetzt in Trauer. Aber ich hoffe, dass sie auch diesen Frieden im Herzen haben – alle, der Stephan und die drei Jungs – dass sie diesen Frieden haben: Nichts und niemand, auch nicht der Tod, kann uns von der Liebe Gottes scheiden, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Damit will ich die Vortragsreihe abschließen, und natürlich beten wir noch:
Ja, Vater im Himmel, wir wollen dir heute Abend ganz besonders danken für dein Wort, für die ganze Schrift, aber auch für diesen herrlichen Römerbrief, für dieses achte Kapitel, das seit zweitausend Jahren schon so vielen Menschen Kraft, Trost, Halt, Geborgenheit und Frieden gegeben hat.
Danke, Herr, für diese wunderbaren Aussagen, die uns gelten, die uns gegeben sind und die wir auch in unserem Leben übernehmen und umsetzen dürfen.
Und so weißt du auch, ob hier unter uns heute Abend Geschwister sind, die gerade durch schwere Prüfungen gehen und die die Warum-Frage in ihrem Herzen bewegen: Warum hast du das zugelassen? Warum sind bestimmte Dinge geschehen? Herr, gib du ihnen die Antwort. Wir Menschen können die Antwort nicht geben. Gib du ihnen den Frieden, der höher ist als alle Vernunft.
Und lass uns dieses Wissen ganz tief im Herzen haben, dass uns wirklich nichts und niemand von deiner Liebe scheiden kann, die wir am Kreuz von Golgatha finden. Dort ist sie ein für allemal manifestiert, hat sich für immer gezeigt, und dort finden wir sie.
So möchte ich dich bitten, auch für die Gemeinschaft hier in Hartmannsdorf, dass du die ganze Gemeinschaftsarbeit segnest – auch die EC-Jugendarbeit und die Jungschararbeit, alles, was hier geschieht, die Kinderstunden.
Herr, lass die Gemeinschaft ein lebendiges Zeugnis sein, ein Leuchter hier in diesem Dorf und in der ganzen Umgebung. Lass hier dein klares Wort verkündigt werden, lass hier echte biblische Gemeinschaft erlebt werden und lass auch von hier dein Zeugnis ausgehen in die ganze Umgebung.
Ich bitte dich für alle Geschwister, die heute Abend hier sind, für uns alle. Wir befehlen uns dir, deiner Gnade und dem Wort deiner Gnade an. Amen.