Guten Abend! Paulus hat im Kolosserbrief der Gemeinde in Kolossä zuerst einmal Jesus ganz groß gemacht. Das war ihm wichtig. Ihr sollt auf Jesus schauen, egal was wir sonst noch zu sagen haben, welche Probleme wir haben oder welche Fragen auftauchen. Es gibt viele Probleme und viele Fragen, aber das Erste und Wichtigste ist, Jesus groß zu machen.
Er fasst das auch zusammen. Am Anfang des zweiten Kapitels steht in diesem wunderbaren Satz: „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“ Jetzt kommt er im zweiten Kapitel, und wir haben das ganze Kapitel auf einmal gelesen. Das ist ein ziemlicher Brocken, also zieht euch warm an! Ja, das ist heute okay, denn wir werden durchkommen. Bis Mitternacht werden wir fertig sein – falls da noch jemand hier ist oder im Livestream zuschaut.
Wir wollen das einfach buchstabieren. Die Basis ist: Ja, Christus in uns, bei uns die Hoffnung der Herrlichkeit. In ihm liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen. Also habt Jesus im Blick, egal was auf uns zukommt.
Jetzt aber nennt er die Dinge, die kommen. Ich sage das, damit euch niemand mit verführerischen Reden betrügt.
Ich erinnere mich schwach an meine Schulzeit auf dem Gymnasium. Ich war auf einem altsprachlichen Gymnasium, wo wir Latein, Griechisch und Hebräisch lernten. Im Griechischunterricht lasen wir die Verteidigungsrede des Sokrates. Diese endete damit, dass er zum Schluss einen Schierlingsbecher trinken musste und daran starb. Der Becher hat also nichts genutzt.
In dieser Verteidigungsrede erinnere ich mich, dass Sokrates das Thema behandelte, was der Unterschied ist zwischen überzeugen und überreden. Dabei kommt ein Wort im Griechischen vor, das Paulus hier gebraucht. Ich habe bis heute noch im Morgen vor Augen, wie ein griechischer Lehrer das mit Begeisterung vorgetragen hat. Er machte uns Jungs damals klar, dass wir die ganze Tiefe und Schönheit noch nicht ganz begriffen hatten. Das Wort hieß „Paternos“. Es kann sowohl „überzeugend“ als auch „überredend“ bedeuten.
Sokrates war stolz darauf, dass er mit Argumenten und Gründen arbeitete. Seine Gegner, die Sophisten, hatten es mit der Rhetorik. Das war eine große Wissenschaft: verlernte Rhetorik, wie man geschickt argumentierte und flotte Formulierungen machte, die zu Herzen gingen. Das war das Überreden. Die Leute waren begeistert vom Strom der Rede, und dann waren sie überredet. Aber sie hatten nichts begriffen, sie waren eben nicht überzeugt.
Hier redet Paulus von der „Pithanologia“, also der verführerischen Rede, der faszinierenden, tollen, begeisternden Rede. Er weiß, dass es das gibt – damals und heute. Es gibt Leute, die ganz geschickt und begeistert reden, überzeugend oder überredend, wie auch immer. Manchmal erscheint einem das, was jemand sagt, total überzeugend, weil man es nicht besser weiß und weil einem keine Gegengründe einfallen. Der Redner hat eben den Vorteil.
Paulus sagt: Das passiert. Das wird auch in Kolossä passieren. Das wird immer in den Gemeinden passieren. Da kommen Leute, die etwas sagen, das absolut zündet, das aber verführerisch ist und euch deshalb betrügt.
Ich sage das, und jetzt verstehen wir, was Paulus getan hat. Er hat ein Kapitel lang massiv vorgebaut. Er hat Jesus großgemacht und begründet, warum Jesus allein das Fundament und das Orientierungskreuz ist für alles in unserem Leben, in der Gemeinde und in der Welt überhaupt. Alle Schätze liegen verborgen in Christus. Du verstehst nichts von der Welt und vom Leben, wenn du es nicht durch dieses Kreuz von Jesus siehst.
Also sage ich das, damit euch niemand mit verführerischen Reden betrügt.
Dann sagt Paulus: Obwohl ich leiblich abwesend bin, so bin ich doch im Geist bei euch. Und jetzt knüpft er noch einmal ganz positiv an. Er erinnert auch an Epaphras, den Gemeindegründer und seinen Mitarbeiter. Paulus war selbst nicht in Kolossä, er kannte die Leute nicht persönlich, aber er hatte Bericht.
Und da sagt er: Ich freue mich, wenn ich eure Ordnung und euren festen Glauben an Christus sehe. Er war gar nicht selbst dort, sondern sieht das jetzt so vor Augen aufgrund des Berichts von Epaphras. Dieser hat im Detail beschrieben, was in Kolosse so abgeht, wie sie zum Glauben gekommen sind, wie sie ein Fest an Christus halten und wie sie die Christenheit lieben – Liebe zu allen Heiligen –, wie sie Hoffnung auf den kommenden Herrn haben und wie das ihr Leben prägt.
Da sagt er: Ich freue mich, wenn ich eure Ordnung und euren festen Glauben sehe. Was ist denn Ordnung? Was meint er damit? Paulus hat oft in solchen Auseinandersetzungen militärischen Jargon gebraucht. Er hat ja oft vom Kampf gesprochen, zu dem man sich rüstet. Das kommt in seinen Briefen häufiger vor. Er wusste, dass das Leben kein Ponyhof ist und dass man kämpft. Die Jesusleute kämpfen, sie werden angegriffen und sie kämpfen zurück.
Ordnung – das ist beim Kampf, beim Militär – zunächst einmal die Frage, wie die Armee aufgestellt ist. Die laufen ja nicht alle wild durcheinander. Man muss überlegen, wie man das organisiert. Was war damals, als sie noch alles zu Fuß machten? Das war schwierig. Aber genauso ist es heute schwierig. Da werden ja langsam alle zu Experten. Alle im Fernsehen, alle Militärexperten erklären uns, wie der Krieg in der Ukraine läuft. So lernt man alle Waffengattungen kennen, von denen man vorher gar nicht wusste, dass es die gibt.
Genau davon redet Paulus. Er schaut nach Kolosse und sagt: Ich sehe eure Gemeindesituation, euren Glauben. Ihr steht in einer soliden Schlachtordnung. Ihr habt einen standfesten Glauben und seid in eurem Glauben standfest in Christus. Das ist auch ein militärischer Begriff. Er beschreibt, ob eine Front wankt und zurückweicht, ob alle abhauen, weil der Gegner zu stark ist, oder ob sie standhalten und nach vorne gehen. Das ist ein Unterschied.
Das sind zwei militärische Begriffe, die Paulus hier bildlich auf die Situation einer Gemeinde überträgt. Und er bescheinigt ihnen: Ja, alles, was ich von euch höre, zeigt, ihr seid gut aufgestellt. Ihr habt begriffen, dass es um einen Kampf geht. Ihr macht keinen Ringelreihen mit Anfassen und so etwas, sondern ihr seid aufgestellt wie in einer Schlachtordnung, wie ein Heer aufgestellt ist. Und soweit ich das höre, wie das bei euch läuft, seid ihr standfest im Glauben an Christus.
Hier sagt er: Bei euch greift das, Jesus ist die Mitte.
So, und jetzt sagt er: Worauf kommt es jetzt an? Wie ihr nun den Herrn Christus angenommen habt – also erst noch einmal: Wir notieren das, kampfbereiter, standfester Glaube. Wie ihr nun den Herrn Christus angenommen habt, das ist das Erste.
Hört das Evangelium! Und darauf ist eine Antwort nötig: Nehme ich das an oder lehne ich es ab? Diese Entscheidung ist immer nötig, wenn Menschen das Evangelium von Jesus hören. Gott zwingt nicht, er überfährt uns nicht, er manipuliert uns nicht. Das Evangelium ist immer eine Bitte: Wir bitten an Christus, die Menschen mögen sich versöhnen mit Gott.
Bitten kann man annehmen, aber auch ablehnen. Es gibt keinen Zwang und keine Manipulation. Das muss ich mal sagen, in Klammern. Manchmal beobachte ich Christen, die meinen, es gäbe eine Methode zur Verkündigung des Evangeliums, bei der man automatisch als Ergebnis den Glauben der Hörer hat. Nein, es gibt keine Methode, die automatisch dazu führt.
Ja, aber wenn man vollmächtig verkündet? War Jesus nicht vollmächtig in seiner Verkündigung? Hat die eine Hälfte Ja gesagt und ihm geglaubt, die andere Hälfte hat seine Hinrichtung geplant. Es gibt traurige Geschichten, wie die vom reichen jungen Mann, bei dem Jesus höchstpersönlich das Evangelium erklärt, und der dann traurig weggeht und es ablehnt. War Jesus nicht vollmächtig genug?
Also die Vorstellung, es gäbe eine Methode, das Evangelium so zu sagen, dass alle, die es hören, zum Glauben kommen, ist völlig abwegig. Wer das wünscht, der ist jedenfalls besser als Jesus. Nein, das Evangelium ist aus Liebe ein Angebot, eine Bitte: Lasst euch versöhnen mit Gott! Es ist alles vorbereitet, alles ist da, aber bitten kann man ablehnen.
Deshalb ist der erste Schritt so: Wie ihr nun den Herrn Christus angenommen habt. Das Taufbekenntnis der ersten Christen bestand aus den drei Worten: Jesus, Messias, Herr. Das ist das ganze Taufbekenntnis. Dieser Jesus von Nazareth ist der Messias Gottes für Israel und die Welt, und er ist der Herr.
Das klang in den Ohren aller Juden wie Gotteslästerung, denn Herr, Adonai, war allein der eine Gott. Wenn man bekannte: Jesus ist der Messias, er ist Herr, dann war das entweder Gotteslästerung oder die Wahrheit. Übrigens zuckten auch die säkularen Leute, die nicht Juden waren, beim Taufbekenntnis zusammen, denn Kyrios war eigentlich ein reservierter Titel für den Kaiser in Rom.
Das klang verdächtig nach Revolution, wenn die Leute sagten: Der Messias Jesus ist der Herr. Das war das Taufbekenntnis. Wenn bei der Taufe das jemand bekannte, hieß das: Ich nehme Jesus, den Messias, als den Herrn aller Herren an und folge ihm nach.
Also: Wie er nun den Herrn Jesus Christus angenommen hat, so lebt auch er in ihm. Gut, sagt er. Das ist jetzt nicht nur am Anfang ein steiles, ernst gemeintes Bekenntnis, sondern jetzt geht es darum, dass wir den Weg auch gehen, dass wir in ihm, in Gemeinschaft mit ihm leben.
Das ist auch nicht oberflächlich: Seid in ihm verwurzelt und gegründet. Da ist sowohl das Bild vom Baum oder den Pflanzen, die feststehen, wenn die Wurzeln tief ins Erdreich gehen, als auch das vom Haus, das solide steht, wenn das Fundament ordentlich gebaut ist.
So sagt er: Es kommt darauf an, nicht nur, dass man einen steilen Anfang macht oder die ersten Schritte tut, sondern dass ihr solide, fest verwurzelt seid – in ihm, in Jesus verwurzelt und gegründet und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid.
Also wie ist das? Dieses Gründen und Verwurzeltwerden geschieht dadurch, dass neue Christen im Wort Gottes gelehrt werden. Sie bleiben beständig in der Apostellehre. So geht das. Jesus besser kennenlernen.
Die erste Entscheidung setzt voraus, dass man Jesus kennengelernt hat. Aber es ist in dem Bewusstsein: Ich weiß so viel von Jesus und habe ihn so erkannt, dass das hinreicht, um jetzt die Entscheidung zu treffen: Dem will ich gehören mit Haut und Haaren, dem will ich folgen.
Aber das geschieht in dem Bewusstsein, dass jetzt erst wirklich losgeht, ihn kennenzulernen. So war das bei der ersten Gemeinde. Die Apostel haben ihnen rauf und runter das ganze Alte Testament erklärt und gezeigt, wie Jesus im Alten Testament verdeutlicht wird.
Sie berichteten, was er gesagt hat, was er getan hat, das, was wir in den Evangelien lesen. Sie erklärten, was das für Folgen hat, das, was wir in den apostolischen Briefen im Neuen Testament lesen. Das haben sie gelehrt – einfach gelehrt.
Das, was wir hier tun: Wir lesen miteinander die Bibel und versuchen, sie zu erklären, um ein besseres Verständnis des Wortes Gottes zu bekommen. Mit dem Ziel, uns nicht nur einen gedanklichen Wasserkopf anzuhören, sondern dass unser Leben geprägt wird, dass unser Leben geprägt wird und die Wurzeln tiefer werden.
Dann sage ich: Also dies gehört dazu, dieser Prozess der Lehre. Ja, das war in Kolosser so. Das vermisse ich in vielen Gemeinden heute. Ganz erstaunlich zu sehen, dass es in vielen Gemeinden keine Bibelstunde mehr gibt und in wie vielen Hauskreisen irgendwie über persönliche Befindlichkeiten geredet wird, aber nicht mehr solide Bibel miteinander gelesen und studiert wird.
Ich hoffe, dass das bei Ihnen ganz anders ist. Aber zu meinem Schrecken beobachte ich das immer wieder, und sage: So kann kein Glaube gegründet und fest werden.
Also: Gelehrt werden, Lehre. Und dann steht zum Schluss – und das ist wichtig –: Und seid reichlich dankbar! Also den Messias als Herrn angenommen, in ihm verwurzelt, gegründet, gelehrt und reichlich dankbar sein.
Das heißt: In all diesen Prozessen von Lernen und Gründen ist eins besonders wichtig: Wir lassen uns dauernd beschenken. Denn dankbar sein heißt ja: Das Wichtigste ist jetzt, ich werde beschenkt, und ich nehme diese Gaben an.
Ich bin reichlich dankbar, ich habe viel zu danken. Mein Leben wird nicht davon bestimmt, dass ich sagen muss: Ich muss etwas tun, ich habe eine Pflicht. Sondern mein Leben wird bestimmt dadurch, dass ich reich beschenkt bin.
Die Dankbarkeit – das ist die ausgestreckte Hand des Glaubens. Leere Hände ausstrecken und Jesus entgegenhalten, um sie gefüllt zu bekommen. Das stärkt mein Leben. Reichlich Dank! Ich kann mich gar nicht genug beschenken lassen.
So sagt er: Okay, ich habe euch Jesus groß gemacht, dass in ihm alle Schätze der Erkenntnis verborgen sind, in ihm habt ihr den ganzen Reichtum. Ich sehe, ihr habt kapiert: Das Leben als Christsein ist ein Kampf. Ihr steht als Gemeinde in guter Schlachtordnung und seid standfest im Widerstand, im Glauben.
Ihr seid solide gegründet, ihr habt Christus angenommen, als den Herrn bekannt. Ihr seid solide verwurzelt und begründet, ihr gebt Raum für die Apostellehre und ihr seid reichlich dankbar.
Ihr seid nicht verkrampft, denn das ist ganz wichtig. Christen, die diesen Prozess erleben, ohne dauernd im Dank zu leben – also dauernd in dem Bewusstsein: Ich werde hier richtig beschenkt, und ich freue mich über das, was ich geschenkt bekomme – die verkrampfen.
Es gibt viel angestrengtes, verkrampftes Christsein. Da muss ich die Bibel studieren, ich muss das noch, und das weiß ich noch nicht, und das muss ich noch besser können. Es ist alles furchtbar anstrengend.
Die haben das Entscheidende verpasst. Das Entscheidende ist: beschenkt werden. Fröhlich beschenkt werden, wie bei einer Geburtstagsfeier nach der anderen, lauter Geschenke. Und das bestimmt natürlich die Atmosphäre des Lebens. Das ist die Voraussetzung.
So, und jetzt Achtung, Achtung: Ich sage das, damit euch niemand betrügt mit verführerischen Reden. Jetzt kommt endlich mal heraus, worum es hier gehen könnte.
Die verführerischen Reden kommen und argumentieren mit falschen Voraussetzungen. Seht zu, dass euch niemand einfängt durch Philosophie und Lehren, die auf der Lehre von Menschen und auf den Mächten der Welt gegründet sind und nicht auf Christus. Er kommt sofort wieder positiv auf Christus zurück.
Was meint er hier? Also, Philosophie ist eigentlich etwas sehr, sehr Hilfreiches. Philosophie ist die Liebe zur Weisheit. Philosophie bedeutet, dass man darüber nachdenkt, was eigentlich die Worte bedeuten, die ich sage, und wie das mit der Wirklichkeit zusammenhängt. Es ist sehr hilfreich, erst nachzudenken, bevor man redet. Manche haben so einen Lebensstil, dass sie erst reden und dann denken. Manche denken erst, während sie reden. Aber es ist besser, man denkt erst, bevor man redet. Und das ist eigentlich Philosophie: gründlich nachdenken.
Aber hier ist Philosophie eigentlich noch mehr. Wenn man nachdenkt, kommt man natürlich auch zu gewissen Erkenntnissen und Ergebnissen. Dann gibt es auch so etwas wie ein System: „Ich erkläre die Welt so und so, so und so läuft das, und das hat diese und jene Konsequenzen, so muss man das sehen.“ Dann ist das nicht mehr der Prozess „Ich will sorgfältig verstehen, was da gesagt wird und stelle Fragen“, sondern man hat jetzt ein Gedankengebäude, das man sich klug, wie man ist, zusammengereimt hat, auch mit Hilfe von anderen. Und jetzt ist das die Erklärung der Welt.
So kann man also eine bestimmte Philosophie haben, die eine bestimmte Weltanschauung ist, eine bestimmte Welterklärung. Er sagte: Lasst euch nicht einfangen durch Philosophie und Lehrbetrug. Ja, warum? Andere können doch auch Recht haben. Es gibt doch klügere Leute, als ich es bin. Da wäre ich doch gescheit, wenn ich auch darauf höre, was die sagen. Wer meint, er hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen und keiner wäre klüger als er, der disqualifiziert sich ja schon selber.
Also nur dumme Leute stellen keine Fragen, die meinen, sie wüssten schon alles. Das sollte euch zur Ermutigung dienen. Kluge Leute erkennt man immer daran, dass sie noch eine Frage haben. Deshalb schämt euch nicht für Fragen, die ihr habt. Nur dumme Leute haben keine Fragen. Es ist nicht sicher, dass man auf alle klugen Fragen oder auf alle Fragen auch eine kluge Antwort bekommt. Das steht auf einem anderen Blatt. Aber Fragen sind immer hilfreich.
Aber wo liegt hier das Problem? Er sagt: Die betrügerische Philosophie, die euch einfängt, ist gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus. Dieser Ausdruck, den Luther hier übersetzt mit „die Mächte der Welt“, ist ein ganz merkwürdiger, sehr wichtiger Begriff. Den muss man eigentlich übersetzen mit „begründet auf die Elemente der Welt“. Zum Beispiel die vier Grundelemente: Luft, Wasser, Feuer, Erde.
Damals erklärte man aus diesen vier Grundelementen, wie sich alles zusammensetzt. Heute gibt es die chemischen Elementetafeln, aus denen erklärt wird, wie sich alles zusammensetzt. Das ist das Wort, das hier gemeint ist. Es sind Elemente, die die alten Philosophen in der Antike auch als Mächte verstanden, die die Welt bestimmen – auf jeweils unterschiedliche Weise. Grundprinzipien sozusagen.
„Ja, was sind denn die Grundvoraussetzungen?“ Das ist sehr klug, was Paulus sagt. Paulus meint damit: Es gibt überhaupt kein Reden und Denken ohne Voraussetzungen. Das ist auch für uns heute wichtig. Wenn jemand kommt und sagt: „Die Wissenschaft hat festgestellt, dass das alles nicht Quatsch ist und so geht das nicht“, dann zucken wir schon zusammen und sagen: „Ja, die Wissenschaft, das ist ja angeblich voraussetzungslos.“ Jeder Wissenschaftler, der sein Handwerk ehrlich betreibt und klug genug ist und niemanden betrügen will, sagt: Es gibt keine Wissenschaft ohne Voraussetzungen. Du hast immer Voraussetzungen, von denen du ausgehst, dann stellst du Untersuchungen an und kommst zu Folgerungen. Und wenn du klug bist, machst du Experimente, die dich zu der Erkenntnis bringen, dass deine Voraussetzungen nicht ganz gestimmt haben und dass du sie verändern musst.
Ich will das jetzt nicht vertiefen, aber es ist ein ganz wichtiger Punkt: Es gibt kein Denken ohne Voraussetzungen. Der Unterschied ist nur, dass manche Leute argumentieren, ohne die Karten auf den Tisch zu legen, von welchen Voraussetzungen sie ausgehen. Wenn ich im Dunkeln halte, im Unklaren lasse, dann ist das schon ein betrügerischer Ansatz. Dann sind die Leute zwar überzeugt, wie ich logisch argumentiere, aber sie wissen nicht, von welchen Voraussetzungen ich ausgegangen bin.
Voraussetzungen nennt man Axiome. Alles Denken hat irgendwo unbewiesene Voraussetzungen, und auch darauf baut man weiter auf. Wenn die nicht stimmen, dann stimmt auch der Aufbau irgendwo nicht. Paulus war ein scharfer Denker, der sich sehr gut auskannte. Die griechischen Philosophen waren sehr kluge Köpfe, die jahrhundertelang über vieles gut nachgedacht haben, was bis heute sehr wichtig und bedenkenswert ist. Deshalb weiß Paulus genau: Achtet auf die Voraussetzungen, denn wir haben nur die Möglichkeit, entweder die Voraussetzungen zu bauen, die wir erkennen.
Was ist denn diese Lehre von Menschen, diese Mächte der Welt? Was ist das heute? Damals will ich hier keine Philosophiegeschichte der Sokratiker oder Vorsokratiker mit Ihnen machen. Das müssen junge Leute wahrscheinlich in der Schule und an der Universität lernen. Ich will Ihnen nur sagen, was zum Beispiel heute die Grundvoraussetzungen, die Grundelemente des Denkens sind.
Seit etwa dreihundert Jahren fing es damit an, dass Descartes den Satz sagte: „Cogito ergo sum“ – Ich denke, also bin ich. Früher haben Leute gesagt: „Ich bin, weil Gott mich geschaffen hat.“ Meine Identität ist, weil Gott mich geschaffen hat, mich liebt, mich begabt hat, und ich ein Ebenbild Gottes bin, das er gebraucht in dieser Welt und beauftragt. Das ist meine Identität: Ich bin ein Geschöpf Gottes.
Dann kam die Auffassung: Gott ist vielleicht auch nur eine Einbildung. Wer ist der Mensch eigentlich, wenn das mit Gott alles vielleicht nur ein Luftballon ist? Dann kommt das „Ich denke, ich bin, weil ich denke.“ Also jetzt ist das, was ich denke, und wie ich denke, der Mittelpunkt von allem. Das hat sich aber nur höchstens 200 Jahre gehalten.
Dann kam die Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts. Die sagten: Alles ist gar nicht Denken, das Denken, die Vernunft hat ja gar keine Antriebskraft, merkst du das nicht? Die eigentliche Antriebskraft des Lebens ist doch das Gefühl, was ich fühle. Das hat doch eine viel stärkere Triebkraft. Das fing an: Liebe ist Gefühl. In der Kirche sagte man dann: Glaube ist Gefühl. Schleiermacher hat das gelehrt, und das glauben die Theologen bis heute. Er gilt als der eigentliche Kirchenvater der evangelischen Kirche heute. Herr Schleiermacher sagte: Glaube ist nicht Wissen an Tatsachen, sondern das Gefühl der schlechthinigen Abhängigkeit und Anschauung des Universums – das Gefühl.
Es war also plötzlich: Ich bin mein Gefühl, und mein Gefühl bestimmt, wer ich bin. Das ging in ein paar Stufen weiter. Dann kam Karl Marx, dann noch ein paar andere, und dann kam Sigmund Freud. Er sagte: Das mit dem Gefühl ist richtig, aber das wichtigste Gefühl des Menschen ist vor allem seine Sexualität. Das wichtigste Gefühl und der wichtigste Antrieb im Menschen ist die Sexualität; alle anderen Gefühle sind dadurch bestimmt.
Gut, und da sind wir heute im Jahr 2023. Mitte des Jahres 2023, um genau zu sein. Werden Sie mitzählen? Ich zähle nicht. Ich bin nicht, weil ich zähle, sondern ich bin, weil ich fühle. Und das Gefühl sagt jetzt: Demnächst wird das Gesetz in Deutschland so sein, dass, wenn du fühlst, du siehst aus wie ein Mann, aber du fühlst dich als Frau, dann bist du eine Frau. Dann gehst du zum Standesamt und sagst: „Hallo, hier bin ich, ich bin nicht Klaus, ich bin Claudia.“ Und dann nicken die mit dem Kopf und schreiben es hin: „Schreiben Sie sich mit K oder mit C, Claudia.“ Und jeder, der das bezweifelt, wird demnächst bestraft. Denn ich bin mein Gefühl.
Das kommt einem wie eine Satire vor, aber das ist die Wirklichkeit des Landes im Jahr 2023. Nun habe ich es – bin endlich up to date. Das sind die Elemente, die Mächte dieser Welt. Das heißt, alles Denken, alles Argumentieren geht jetzt davon aus: Ich denke, also meine Vernunft – nein, nicht nur meine Vernunft, mein Gefühl ist der Mittelpunkt von allem. Wenn du wissen willst, wer du bist, höre auf dein Herz. Das ist ein so romantischer Satz, dass jeder den sofort glauben mag. Aber er ist tödlich. Er ist absolut unsinnig und tödlich. Aber er ist das Grundgesetz der Selbstbestimmungskultur, in der wir heute leben. Da hat keiner von uns die Möglichkeit auszusteigen. Das bestimmt unsere Kultur.
Jetzt merkst du, warum Paulus sagt: Pass auf, lasst euch nicht verführen. Denn es ist ja klar, dass das die ganzen Gemeinden zerreißt. Schon wenn ich diesen Satz kritisiere: „Hör auf dein Herz“, weiß ich, dass in jedem normalen Gottesdienst mindestens die Hälfte der Zuhörerinnen und Zuhörer gegen mich ist. Denn sie haben das alle schon gesagt, geglaubt und toll gefunden, dass man doch auf sein Herz hören muss und sich nicht von außen etwas vorsagen lassen darf.
Da merkst du: Dieser Gedanke, diese Überzeugung, die unsere Kultur prägt, hat sich in dreihundert Jahren entwickelt und ist deshalb wie die Luft, die wir atmen. So nehmen wir sie nicht mehr bewusst wahr, aber sie prägt einfach alles Denken und wird jetzt natürlich auch in Gesetze gegossen, weil es das gesellschaftliche Zusammenleben prägt und prägen soll. Das ist ja Absicht, das ist ja der Wunsch.
Und jetzt stehen wir Jesusleute da und sagen: Oh Moment, ist Jesus eigentlich der Herr? Das heißt, ist er der, in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen liegen? Ist er der, ohne den die Welt nicht zu begreifen ist? Wenn das wahr ist, dass Gott sich in Jesus offenbart hat und in Jesus, der Schöpfer, Erhalter, Richter, Erlöser und Vollender der Welt, uns begegnet, hängt alles an ihm.
Ja, sagt Jesus selbstbewusst: Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Das ist entweder Wahrheit oder Wahnsinn. Und wir stehen jetzt da, mitten in dieser Zeit, atmen die Luft unserer Welt, nehmen das durch die Poren auf in unser Gefühl. Denn wer – ich meine, wer? Man muss sich ja nicht die Mühe machen, diese ganzen elenden Philosophiegeschichten zu lesen. Ich habe in den letzten Jahren mehrere Bücher von tausend Seiten verdaut, um zu verstehen, was da eigentlich gekommen ist. Ein neues Buch, wenn Sie es greifen können, von Karl Trueman, einem Historiker, der die Siegeszucht des modernen Selbst entfaltet – diese Geschichte der letzten dreihundertvierhundert Jahre ganz konsequent. Und da merkst du: Warum habe ich das eigentlich nicht wahrgenommen? So ist es.
Und jetzt, okay, jetzt ist doch klar, das leuchtet uns doch spontan ein, wenn sie sagen: Pass mal auf, was mit der Sexualmoral ist, ob es Ehescheidung ist und wer mit wem jetzt zusammenbleibt, wenn das in der Ehe nicht so geht. Hör auf dein Herz! Du kannst dir doch nicht zumuten, mit dem Weltekel zusammenzubleiben, wenn es euch nichts mehr gibt. Da geht man auseinander.
Und natürlich, ob du homosexuell, heterosexuell, bisexuell, trans empfindest, hör auf dein Herz! Und ich gucke mich um und sehe kaum ein christliches Feld, das ein Argument dagegen hat. Wer will was sagen? Ich sehe Gemeinden, die fürchten, sich überhaupt das Thema Homosexualität zu artikulieren, weil sie Sorge haben, wenn wir das zum Thema machen, fliegt uns der ganze Laden auseinander, wir werden überhaupt nicht einig werden. Deshalb hoffen die meisten: keine schlafenden Hunde wecken, vielleicht geht der Kelch an uns vorüber. Aber es wird nichts gelehrt dazu.
Deshalb können Christen auch natürlich nichts anderes wissen. Denn es gibt ja kein Vakuum. Wenn es in der Gemeinde keine biblische Lehre gibt, dass Jesus die Mitte ist und wie denn die Wirklichkeit von ihm her gesehen zu beurteilen ist und aussieht, dann ist das ja kein Vakuum. Dann werden wir halt gelehrt – nicht durch Philosophiebücher, da brauchst du nur Fernsehen oder Netflix.
Ja, es gibt keine Soap, keine Vorabendserie, keinen Netflix-Film, in dem nicht eine Patchwork-Familie als das Normale gesehen wird. Ein Freund, der Fernsehjournalist ist und Filme machen versteht, sagt mir jetzt: Es gibt in Deutschland überhaupt keine Finanzierung mehr für Filme, für Filmemacher, die eine normale Familie mit einer normalen Ehe vorstellen können. Du musst irgendetwas Queeres machen, kreuz und quer, sonst kriegst du gar kein Geld für deine Produktion.
Wenn Sie sich das angucken: Die ganz normalen Verhältnisse werden nicht gepredigt, sondern das ist halt ganz normal, wie das so geht. Und wer das unnormal findet und sagt: „Da stimmt doch was nicht, es könnte doch auch anders sein“, der hat sich schon selber disqualifiziert. Das meint Paulus hier, wenn er sagt: Lasst euch nicht einfangen, gegründet auf die Lehre von Menschen, auf die Grundelemente, die Mächte, die Macht haben in der Welt und nicht auf Christus.
Denn in ihm – und jetzt kommt er wieder – wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Und an dieser Fülle habt ihr teil in ihm, Jesus, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist. Kommt doch wieder zurück zu Kapitel eins, wo er das gesagt hat.
Ja, der Jesus, dem wir glauben, dem Gott sich offenbart hat, ist der Herr über alle Elemente, alle relativen Mächte. Natürlich haben Meinungen Macht, und Ideologien haben Macht. Wir erleben ja, was das für prägende Macht hat über die Jahrhunderte. Das beherrscht erst die denkenden Köpfe an den Universitäten, und auf den theologischen Fakultäten waren es zunächst mal die Tübinger, die denkenden Köpfe, die Mitte des 19. Jahrhunderts radikale Bibelkritik angefangen haben. Inzwischen ist das in der Breite der Pastorenschaft ganz normal angekommen, auch in den Freikirchen. Und du bist ein Außenseiter, wenn du nicht sagst: „Das schauen wir doch durch, das ist doch längst so.“
In ihm – und jetzt ist noch ein Schritt weiter – wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Da muss ich noch einen Augenblick hängenbleiben und Ihnen das erklären. Das Wort „Fülle“ war vermutlich in der damaligen Zeit ein Schlüsselbegriff in einer bestimmten Philosophie, so wie heute „Ganzheitlichkeit“. „Ganzheitlich“ sagen wir und meinen dann also Seele und Leib und so. Ganzheitlich denken wir nicht, weil eigentlich gehörte auch die Gottesbeziehung dazu, dann wäre es wirklich ganzheitlich. Das ist ein sehr guter Begriff, aber „Fülle“ hieß so.
Und das hat heute auch eine Bedeutung. Die sagen: Wir haben ja so viele Religionen, da gibt es so viele Religionen. Wer hat denn jetzt die Wahrheit? Ich mache mal eine Abkürzung: Am Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Erfindung der Tiefenpsychologie gab es einen Psychotherapeuten, Psychologen, einen Experten in der Schweiz, Carl Gustav Jung. Er hat einen interessanten Gedanken entwickelt: Alles, was die Menschen so erleben und erfahren im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende, das versammelt sich im gemeinsamen Gedächtnis der Menschheit. Es gibt so etwas wie ein kollektives, also gesammeltes Unterbewusstsein.
Stellen wir uns das vor, wie es regnet und Wasser auf die Erde kommt, dann sickert es durch die Erde und es bildet sich im Untergrund tief unten ein großer Grundwassersee. Weil es über viele Jahrhunderte und Jahrtausende da reingeregnet hat, sind alle Erfahrungen, alle Weisheit der Menschen da hineingekommen. Dieser Grundwassersee füllt sich. Und das ist sozusagen das gemeinsame Grundgedächtnis der Menschheit.
Jetzt gibt es natürlich Leute, die Durst haben und Wasser brauchen – Durst im Sinne von Sinnfrage, Gerechtigkeitsfrage, wie hält die Welt zusammen, wie können wir richtig leben und so weiter. Jeder an seinem bestimmten Ort, in seiner Kultur, in seiner Geografie fängt jetzt an zu bohren in der Wüste seines Lebens, um Wasser zu finden, aus dem er den Durst seiner Sehnsucht stillt.
So bohren sie an ganz verschiedenen Stellen, aber sie bohren alle den gleichen Grundwassersee an, den riesigen Grundwassersee, der da unten alt ist. Aber es wachsen an den Quellen, an den Brunnen, je nach Gegend, Bergland, Wüste oder so, unterschiedliche Pflanzen, unterschiedliche Dörfer. Das sieht an den Quellen ganz unterschiedlich aus.
Ja, so ist es. Da hat man Hinduismus, Buddhismus, Islam, animistische Religion, christlichen Glauben und alles Mögliche. Aber, sagte er, im Grunde haben alle das gleiche gemeinsame Menschheitsbewusstsein, Gedächtnis angezapft. Jetzt gibt es unterschiedliche Ausprägungen. Und das ist doch toll, das erklärt sehr schön: Wir haben eine große Vielfalt, die manchmal auch schwer zu ertragen ist. Und wir haben doch das Bedürfnis, dass wir möglichst alles gleich haben. Das geht aber nicht.
Nun haben wir schon im ganzen Land alle Religionen miteinander. Der Sager macht nichts. Im Grunde schöpfen sie alle aus der gleichen Fülle. Also die Fülle war das Gemeinsame – nicht Gott irgendwo. Ja, damals gab es auch solche Vorstellungen, aber in der Moderne gibt es Gott nicht, sondern es ist das, was der Mensch gesammelt hat an Weisheit und Erkenntnis.
Du merkst das: Du kannst jetzt heilige Schriften wie die Bhagavad Gita oder den Koran oder die Bibel lesen und dann zapfst du dieses Grundwasser an. Aber auch Märchen, heißt es dann. Auch Märchen transportieren solche Weisheiten, die im Menschheitsgedächtnis sind, an die Oberfläche, und in Legenden. Und siehe da: Plötzlich kommt es gar nicht mehr darauf an, ob die Geschichten, die wir da in der Bibel lesen, tatsächlich geschehen sind oder nicht, sondern welche Wahrheit sie transportieren.
Hänsel und Gretel transportieren auch eine Wahrheit, Schneewittchen natürlich auch, die Nibelungen sagen natürlich auch etwas, und die Bhagavad Gita auch verschiedene Wahrheiten. Nicht alles schmeckt uns, aber es kommt alles aus der gleichen Fülle.
Und das war schon im ersten Jahrhundert damals im Römischen Reich eine verlockende Idee, weil es so viele widerstreitende Religionen gab, die alle an die Köpfe gingen. Im Römischen Reich musste man die Gesellschaft irgendwie zusammenhalten. Und genau das ist das Problem im 21. Jahrhundert. Es gibt so viel Streit und Hass und so viel Gegensatz. Wir Verantwortlichen in der Gesellschaft und der Regierung haben nur ein Bedürfnis: Wir müssen irgendwie den Laden zusammenhalten.
Wenn du eine Erklärung geben kannst: Vielfalt ist toll, weil im Grunde meinen wir alle dasselbe. Es sieht ein bisschen unterschiedlich aus, aber nehmt die Unterschiede nicht zu ernst, guckt da nicht so genau hin. Denkt daran, es kommt alles aus dem gleichen gemeinsamen Menschheitsgedächtnis. Wir haben es alle selber produziert. Das ist eine große, hoffnungsvolle Anschauung heute.
Wir haben viele Sorgen, wie wir unsere Gesellschaft eigentlich zusammenhalten. Keiner möchte doch, dass einer dem anderen den Kopf einschlägt. Und der Hass auf Hass hält politisch, weltanschaulich, religiös und überhaupt an. Deshalb ist das Beste: Da gibt es eine Fülle, und Vielfalt ist toll. Das ist ja wie ein Programm an vielen.
Und jetzt kommt Paulus und sagt: Die Wahrheit ist genau umgekehrt. Die ganze Fülle der Gottheit ist in Jesus leibhaftig. Da ist alles drin. Jesus ist nicht eine sozusagen Bohrung aus der Fülle des allgemeinen Gottesbewusstseins der Menschheit, sondern er kommt von oben. Gott, der Schöpfer, offenbart sich in Jesus. Deshalb ist die ganze Fülle – das war ein provozierender Begriff.
Paulus nimmt den Begriff der Fülle, der in der damaligen Philosophie gegen die Christen gebraucht wurde, auf und wendet ihn kritisch gegen diese Philosophie. Er sagt: Diese Philosophie ist auf menschlicher Lehre gegründet, auf die Grundelemente, die Voraussetzungen, Denkvoraussetzungen menschlichen Denkens. Aber in Christus ist die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.
Was nun? Wollen Sie dem zustimmen? Oder Sie müssen nicht! Und wenn Sie dem nicht zustimmen, haben Sie die Mehrheit der sogenannten Christenheit in Europa schon auf ihrer Seite. Denn die Mehrheit in unseren Kirchen redet nicht von der Offenbarung Gottes, sondern von der Spiritualität der Menschen, vom Glaubenszeugnis der Menschen.
Da fallen alle Pietisten schon um: Was gibt es Schöneres als das Glaubenszeugnis? Glaubenszeugnis – religiöse Menschen denken über Gott nach und sagen, was sie über Gott denken. Ja, und woher haben sie das? Irgendwo aus diesem gemeinschaftlichen Grundgedächtnis der Menschheit, wo eine Menge Weisheit gesammelt ist.
So, Paulus sagt aber: Die Sache geht unberührt weiter. Religion ist der Gegner der Offenbarung. Spiritualität ist nicht das gemeinsame Gute, sondern menschliche Spiritualität.
Kein Mensch will nur mit Geld und Holz und Material leben. Wir brauchen alle ein bisschen mehr, sonst finden wir das Leben blöd. Und wir saugen es von unten. Gott offenbart sich in Jesus von oben und sagt: Alles in ihm, alles in ihm.
Wir werden als Christen entscheiden müssen. Und das ist nicht gedanklich und philosophisch, sondern ihr werdet merken, dass das tief einschneidet in jedes persönliche Leben, in unsere Familien, in unser berufliches und gesellschaftliches Leben.
Ob wir sagen: Unsere Identität ist in Gott. Er hat uns geschaffen, in Jesus erlöst, und in Jesus kennen wir die Fülle der Gottheit leibhaftig. Oder ob wir sagen: Ich selbst, wer ich bin, das bestimmt meine Vernunft und mein Gefühl. Nur ich selber kann sagen, wer ich bin. Das nennt man authentisch leben.
So nennt man das. Seit etwa 1950 bezeichnen Philosophen unsere Zeit in Europa als das Zeitalter der Authentizität, der Echtheit. Und das ist das Wichtigste: Du kannst machen, was du willst, du kannst leben, wie du willst. Hauptsache, du bist authentisch.
Und wenn du das, was du machst, auch wenn es schräg ist, offen und ehrlich bezeugst, dich outest, dann bist du anerkannt. Weil wir leben im Zeitalter, wo nicht die Wahrheit gilt, es gibt keine absolute Wahrheit, sondern wo die Echtheit zählt.
Wenn du dem folgst, was du denkst und was du fühlst in dir, dann bist du bei dir selbst, dann bist du echt und authentisch, dann bist du ein Mensch dieser Zeit, dann bist du im 21. Jahrhundert angekommen und bist nicht von gestern und vorgestern. Von vorgestern und vorvorgestern will natürlich keiner sein.
Nur vorgestern und vorvorgestern war die Offenbarung Gottes in Jesus geboren, in Bethlehem, gekreuzigt unter Pontius Pilatus und erweckt in Jerusalem zwischen 26 und 36 nach Christus, also unserer Zeitrechnung.
So, ich wollte Ihnen gerne versuchen zu erklären, warum das, was Paulus hier schreibt, vielleicht lange her ist, vielleicht auch nicht so ganz einfach klingt. Der Kolosserbrief ist nicht die leichteste Lektüre in der Bibel, aber absolut brandaktuell.
Jetzt nur noch einmal angucken – ich breche hier jetzt ab. Ich glaube nicht, dass ich heute das Ganze schaffe. Keine Angst, die Fülle, die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig in ihm, in Christus, Gott im Mensch gewordenen Jesus.
Dann sagt er noch einmal: Er hat die Macht über alle Mächte, er ist das Haupt aller Mächte. Was Jesus gesagt hat auf dem Berg in Galiläa: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Das ist sein Thronbesteigungssatz.
Darum sagt er: „Geht hin in alle Welt, macht zu Jüngern alle Völker, lehrt sie halten alles, was ich euch geboten habe!“ Merken Sie, das ist der Gegenentwurf zu dem, was wir heute leben. Natürlich muss jeder entscheiden.
Das andere kann ich Ihnen ganz schnell sagen: Damals sagten die Leute: „Ja, aber Beschneidung ist doch wichtig.“ Nein, sagt Paulus, Beschneidung geschieht durch Christus, mit Christus gekreuzigt und verstanden. Das ist die wirkliche Beschneidung. Das andere, alles andere, ist äußerlich.
Dann sagt er: Jesus allein hat die Schuld- und die Machtfrage gelöst. Der Schuldbrief ist getilgt, er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet. Die Schuldfrage ist gelöst, die Machtfrage ist gelöst. Ein Triumphzug über die Mächte zieht er hinter sich her, so wie die römischen Feldherren die Beute und die Gefangenen hinter sich herzogen. So geht Jesus, der Auferstandene, und führt die Mächte.
Dann sagt er: Ihr seid dauernd in der Gefahr, eine Jesus-plus-Lehre zu haben, also natürlich Jesus, aber auch Beschneidung. Und dann geht es noch weiter, ganz schnell, weil ich sonst nie mehr dazu komme.
Lasst euch kein schlechtes Gewissen machen wegen Speise, Trank, wegen eines bestimmten Feiertages, Neumond oder so. Das alles ist nur ein Schatten des Zukünftigen. Leibhaftig ist es in Christus.
Ja, was ist denn jetzt mit den alttestamentlichen Geboten? Speisegebote, Reinheitsgebote, Feiertage halten? Paulus sagt: Es ist alles ein vorausgeworfener Schatten, den Jesus, der geoffenbarte Gott, wirft. Jetzt ist Jesus selbst da, der Schatten ist überholt.
Damit sind die Reinheitsgebote, Speisegebote alle erfüllt und gelten nicht mehr. Deshalb sind Feiertagsgebote nicht mehr bindend. Feiertags- und Speisegebote weisen prophetisch auf den Messias Jesus hin. In Israel machten die Reinheits- und Speisegebote rein. Rein macht uns heute nur Jesus.
Jesus selbst hat das erklärt. Er liest in Markus 7, wo er von der Reinheit spricht. Er sagt ja, alle Speisen sind rein. Damit erklärt er alle Speisen für rein, und er muss sagen: Ist das alles so wichtig? Ja, sagt Paulus im Galaterbrief 5, wer meint, er müsse zu Jesus noch zufügen, dass er sich beschneiden lässt, bestimmte Speisegebote aus Reinheitsgründen einhält, bestimmte Feiertage hält, weil es sonst nicht reicht, der hat Christus verloren.
Der hat Christus verloren. Jesus-plus-Theologie ist nicht: Wir sind noch ein bisschen frömmer als andere Christen, sondern der hat Jesus verloren. Deshalb ist Paulus an diesem Punkt absolut scharf.
Ich wollte Ihnen noch einen Hinweis geben, wenn Sie sich vertieft mit der Frage beschäftigen wollen, wie weit die Gebote der Bibel aus dem Alten Testament auch heute gelten. Ich möchte Sie hinweisen auf zwei Vorträge von Professor Christian Stettler, Schweizer Pfarrer, der Professor an der staatsunabhängigen Theologischen Hochschule in Basel ist.
Ich zeige Ihnen das hier an auf www.bibelundbekenntnis.de. Ich kann Ihnen das geben, wenn Sie es nicht so schnell abschreiben wollen. Dort können Sie zwei Vorträge von ihm hören, die messerscharf, sehr, sehr gut sind, aber durchaus so, dass jeder denkende Christ sie versteht. Nicht theologisch abgefahren, nur für Spezialisten zu verstehen. Denn das ist so eine wichtige Frage, deshalb weise ich Sie darauf hin.
Zum Schluss, im Widerstand gegen die Jesus-Plus-Lehre, verleiht Jesus selbst den Sieg. Er spricht erneut vom Siegespreis. Haltet euch nicht zurück, verehrt nicht die Engel. Wir gehören dem Sieger. Der Herr ist unser Herr, nicht die Bodyguards. Jesus hat den Sieg errungen.
Es schließt am drastischsten: Wenn ihr nun mit Christus den Mächten der Welt gestorben seid, was lasst ihr euch dann Satzungen auferlegen, als lebtet ihr noch in der Welt? Du sollst nicht das anfassen, du sollst nicht das kosten, du sollst nicht das anrühren, du sollst nicht das anziehen – könnte man sagen, du sollst solche Haartrachten oder Haarfrisuren tragen. Man könnte beliebig weitermachen.
Das alles soll doch verbraucht und verzehrt werden. Es sind Gebote und Lehren von Menschen, die zwar einen Schein von Weisheit haben durch selbst erwählte Frömmigkeit und Demut und dadurch, dass sie den Leib nicht schonen. Sie gehen esketisch und hart gegen sich selbst vor. Sie sind aber nichts wert und befriedigen nur das Fleisch.
Fleisch steht hier bei Paulus für den gottlosen Menschen. Das heißt, die schärfste Form der Gottesfeindschaft ist die Religion, die der Mensch sich selbst macht. Das macht die Sache so gefährlich, weil wir denken, alle, die glauben, stehen auf einer Seite, und auf der anderen Seite die Atheisten. Nein, alle, die glauben, stehen gegen Jesus.
Selbstgemachte Religion ist der ärgste Feind des Glaubens an Jesus. Paulus sagt ja, das machen sie spirituell, leben toll, sehr eindrücklich, sehr prägend, nachahmenswert, vielleicht begeisternd – ist nichts anderes als die Befriedigung des gottlosen alten Menschen. Also, was besonders religiös erscheint, dient nur dem Leben ohne Gott und gegen Gott.
So schroff ist Paulus in der Auseinandersetzung. Arme und Wohlhabende, ich lade Sie ein, mit mir zu beten:
Ach Herr, gib uns Deinen Geist, um nicht nur zu verstehen, was Du uns in Deinem Wort sagst, sondern es auch aus der Kraft Deines Geistes zu leben. Wir können doch nicht anders. Du weißt, dass wir es anpassen und aufsaugen lassen von dem, was rings um uns wichtig zu sein scheint.
Du allein kannst uns erfüllen mit Deinem Geist und Gemeinden stärken, Dich anzubeten, Dich zu ehren, Dir zuzuhören, Dir zu vertrauen und Dir zu folgen. Danke, dass Du Dein Werk nicht nur begonnen hast in Deiner Gemeinde, sondern als Haupt Deiner Gemeinde und als Haupt über alle Mächte dieser Welt es auch zum Ziel bringen wirst.
Dafür preisen wir Dich. Amen.