Feuer und Flamme

Konrad Eißler
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Wenn der Heilige Geist kommt, ist Feuer unterm Dach. Dann brennen die Zungen, die Augen und das Herz. Dann ist man Feuer und Flamme für Jesus. - Pfingstpredigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Feuer im Sand, das gab es am Horeb. Normalerweise brannte dort nichts. Nur Hitze brütete über dem kargen Weideland. Aber plötzlich stand ein Busch in hellen Flammen. Mose, der Hirte, hatte schon viel gesehen, aber dieses Naturphänomen noch nicht. Mit eiligen Schritten rannte er dorthin. Plötzlich stoppte ihn eine Stimme: “Halt! Schuhe aus! Heiliges Land!” Feuer im Sand, das gab es am Horeb.

Und Feuer auf dem Berg, das gab es am Sinai. Normalerweise brannte dort auch nichts. Nur Wolken umspielten den Gipfel. Aber plötzlich wurde der Berg zum lodernden Schmelzofen. Mose, der Führer, zog schnell eine Grenze zwischen diesem feuerspeienden Berg und dem wandernden Nomadenvolk. Keiner sollte auch nur wagen, seinen Fuß über diese Linie zu setzen. Kein Zutritt! Bergsteigen verboten! Lebensgefahr! Feuer auf dem Berg, das gab es am Sinai.

Und Feuer überm Wasser, das gab es am Karmel. Normalerweise brannte dort erst recht nichts. Nur Wind wehte über die Hochfläche. Aber plötzlich fraß ein Feuer das Wasser mitsamt dem Brennholz und dem Opferstier. Elia, der Prophet, hatte es dem Ahab und seinen Baalspriester gezeigt. Ihr Gott kann nichts anbrennen. Baal verkohlt nur seine Leute, sonst nichts. Feuer überm Wasser, das gab es am Karmel.

Aber am Tempelberg gab es noch ein ganz anderes Feuerspektakel, ein ganz anderes Feuerwerk, ein ganz anderes Feuerzeichen. Da war nicht nur Feuer im Sand oder Feuer auf dem Berg oder Feuer überm Wasser, sondern da gab es Feuer unterm Dach. Es züngelte in den Gängen. Es brannte in den Räumen. Es “erfüllte das ganze Haus”. Pfingsten ist immer Hausbrand, weil der Heilige Geist Brandstifter ist. Und der zündet kein Morgenrot an, damit wir im Wald und auf der Heide unseren Gott finden könnten. Er zündet kein Alpenglühen an, damit wir auf der Alm und in den Bergen unseren Gott sehen könnten. Er zündet keinen Sonnenuntergang an, damit wir am See oder Meer unseren Gott entdecken könnten. Der Heilige Geist zündelt unterm Dach, unterm Tempeldach, unterm Kirchendach, unterm Gemeinschaftsdach, unterm Hausdach, wo zwei oder drei in seinem Namen zusammen sind.

Wenn wir also daran leiden, dass es bei uns so kalt ist, dann brauchen wir keinen Menschen, der nur so sprüht vor neuen Einfällen, sondern den Heiligen Geist. Wenn wir daran leiden, dass es bei uns so dunkel ist, dann brauchen wir keinen Zeitgenossen, der nur so seine Geistesblitze zündet, sondern den Heiligen Geist. Wenn wir daran leiden, dass es bei uns so finster ist, dann brauchen wir kein helles Kirchenlicht, das nur so die Flammen der Begeisterung anbläst, sondern den Heiligen Geist. Gemeinde lebt nicht von dem, was von innen kommt, sondern den dem, was von oben kommt. Allein der Heilige Geist kann zum Brandstifter werden. Allein der Heilige Geist kann den Hausbrand verursachen. Allein der Heilige Geist kann dafür sorgen, dass wieder Feuer unterm Dach ist.

Deshalb gibt es keine notwendigere und dringendere und herzlichere Bitte als die: “Veni creator spiritus”, komm Heiliger Geist, komm Heiliger Geist in unsere Welt, komm Heiliger Geist in unsere Stadt, komm Heiliger Geist unter unser Dach. Wie die Erfüllung dieser Pfingstbitte aussieht, zeigt der Apostelbericht.

1. Wenn Feuer unterm Dach ist, dann brennen die Zungen

So wie bei den Aposteln. Die waren ja seit der Totalkatastrophe am Karfreitag mundtot geworden. Selbst die Zeitenwende am Ostermorgen konnte sie nicht aus der Reserve locken. Das Fähnlein der 12 Aufrechten lebte im Winkel. Keiner sagte ein Wort. Niemand riskierte eine Lippe. Alle hielten sich an die Devise: Mund halten! Die bitteren Erfahrungen im hohepriesterlichen Palast zeigten Wirkung. Wäre Petrus der Magd gegenüber verschwiegen geblieben wie ein Grab, dann hätte kein Hahn nach ihm gekräht. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Diese Männer hätten sich lieber die Zunge abgebissen, als jetzt, erst sieben Wochen nach diesem Desaster, wieder ein Sterbenswörtlein zu sagen. Und dann geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel. Und dann standen auf einmal die Zeichen auf Sturm. Und dann war von einer Minute zur andern Feuer unterm Dach.

Interessanterweise brannte es ihnen nicht unter den Füßen. “Jetzt aber die Beine unter die Arme genommen und nichts wie weg!” Jeder Feueralarm treibt Menschen in die Flucht. Interessanterweise brannte es ihnen nicht unter den Nägeln. “Jetzt aber einen Behinderten von der Schönen Tür geholt und ihm etwas Gutes getan!” Eine gute Tat kann nie verkehrt sein. Interessanterweise brannte es ihnen nicht im Gewissen. “Jetzt ist alles aus, weil wir feige Hunde waren und sind.” Nein, das pfingstliche Feuer setzte ihre Zungen in Brand. Sie wurden alle vom Geist erfüllt. Sie fingen an zu predigen. Sie brannten darauf, Jesus Christus bekanntzumachen. Sie haben sich geradezu die Zunge verbrannt, obwohl ein paar Schreier grölten: “Da ist Branntwein im Spiel!” Pfingstfeuer ist Feuer der Zeugen.

Liebe Freunde, es ist schön, wenn es uns zuweilen unter den Füßen brennt und wir dort Reißaus nehmen, wo es zu heiß wird. Es ist gut, wenn es uns zuweilen unter den Nägeln brennt und wir dort Hand anlegen, wo Hilfe nottut. Es ist hilfreich, wenn es uns zuweilen im Gewissen brennt und wir dort sensibel werden, wo wir andere verletzt haben. Aber notwendig ist, dass es uns auf der Zunge brennt, die gute Nachricht weiterzugeben.

Warum soll ich mir als Schüler in der Klasse nicht den Mund verbrennen, wenn ich zum SBK in der großen Pause einlade? Warum soll ich mir als Student in der Uni nicht den Mund verbrennen, wenn ich in der Mensa von meiner Glaubensüberzeugung weitererzähle? Warum soll ich mir als Angestellter in der Firma nicht den Mund verbrennen, wenn ich aus meiner Liebe zum Herrn kein Hehl mache? Warum soll ich mir als Abgeordneter im Parlament nicht den Mund verbrennen, wenn ich die Außerkraftsetzung von Gottes Gebot für schwere Schuld halte? Nicht umsonst hat Benjamin Schmolck gebetet: “Lass die Zungen brennen, wenn wir Jesum nennen, führ den Geist empor.” Wenn Feuer unterm Dach ist, dann brennen die Zungen.

2. Wenn Feuer unterm Dach ist, dann brennen die Augen

So wie bei den Zuhörern. Die hatten ja mit dem Glauben nicht viel am Hut. Pfingstfest, ursprünglich als Erntefest gedacht, war zum Volksfest verkommen, so mit Bratwurst, Popcorn und türkischem Honig. Ein bisschen schwäbische Wasenatmosphäre und bayrische Wies’ngeruch durchzog die heilige Stadt. Natürlich hatten viele von diesen Festbummlern Jesus schon einmal gesehen. Einige haben das Hosianna mitgejubelt, als er auf einem Esel in die Stadt zog. Einige von ihnen haben das “Kreuzige ihn!” mitgeschrien, als er von Pilatus vorgeführt wurde. Einige haben das “Sein Blut komme über uns” mitgejohlt, als er unter dem Kreuzbalken zusammenbrach. Einige haben sein grässliches Ende miterlebt. Aber das waren Bilder, die in der Erinnerung immer blässer und verschwommener wurden. Die Augen wurden von andern Eindrücken gebannt.

Und dann passierte es unter dem feurigen Reden der Apostel, dass es ganz hell wurde und sie nur noch ein Bild sahen, das alle andern Bilder überlichtete: der auferstandene und aufgefahrene Jesus Christus zur Rechten Gottes. Der Heilige Geist hatte ihnen den Star gestochen, dass dieser Jesus nicht mehr im Grab liegt. Der Heilige Geist hatte ihnen die Sehkraft geschenkt, dass dieser Jesus dem Tod die Macht genommen hat. Der Heilige Geist hatte ihnen die Augen geöffnet, dass dieser Jesus der Herr aller Herren ist. Ihnen brannten die Augen vor Freude.

Warum brennen sie uns immer wieder vor Schmerz? Natürlich haben wir diesen Jesus auch schon einmal gesehen, als kindersegnenden Heiland im Bilderbuch, als jüngerlehrenden Meister im Bilderrahmen, als tiefgebeugten Schmerzensmann im Bildstock. Das aber sind Bilder, die in der Erinnerung immer blasser werden und keine Beziehung zu meinem belastenden Leben haben. Liebe Freunde, Pfingsten kann es anders machen.

Ich las von einem Maler, der den Auftrag bekam, einen Christus zu malen. Schnell ging er ins Atelier und machte sich an die Arbeit. Ein Entwurf nach dem andern entstand auf der Staffelei, aber alles befriedigte nicht und landete im Papierkorb. Eines Tages aber arbeitete er bis spät in die Nacht hinein, stellte sein Bild fertig und sank todmüde ins Bett. Als er am nächsten Morgen aufwachte und sich das Bild beguckte, erschrak er tief. Er hatte dem Christus seine eigenen Gesichtszüge gegeben. Meine Stirnrunzeln - seine Stirnrunzeln. Meine Augenränder - seine Augenränder. Meine Sorgenfalten - seine Sorgenfalten. Er - wie ich, mehr: er - für mich.

Der Heilige Geist ist gewissermaßen ein Maler. Er stellt seine Staffelei ins Atelier unseres Lebens. Dann malt er uns Christus vor Augen, so wie er wirklich ist: der Sohn Gottes, der Mitregent zur Rechten des Vaters, der Herr aller Herren im Himmel und auf Erden, der trägt meine Züge. Meine Ängste - seine Ängste. Meine Sorgen - seine Sorgen. Meine Trauer - seine Trauer. Meine Einsamkeit - seine Einsamkeit. Mein ganzes Leben mit allem, was es an Unsagbarem und Unaussprechlichem in sich birgt, hineingemalt, hineinverwoben, hineingebunden in ihn. Das meint Luther, wenn er davon sprach “ein Kuchen mit ihm”. Natürlich ist das ein unbegreifliches Wunder, aber wer an das Pfingstwunder glaubt, der wird seine blauen Wunder erleben.

Wenn Feuer unterm Dach ist, dann brennen die Augen.

3. Wenn Feuer unterm Dach ist, dann brennt das Herz

So wie bei den Dreitausend. Die brannten ja lichterloh. Aber nun nicht so wie ein großes Scheit Holz, das in Flammen aufgeht, ganz innen jedoch unversehrt bleibt. Dieses Feuer fraß sich sofort durch. “Es ging ihnen durchs Herz.” Da wurde gelöchert. Da wurde getötet. Da wurde verbrannt. Da starb der Hochmut, der mit Gott umgeht, als sei er nur die Notbremse für Krisenzeiten. Da starb der Gleichmut, der einem einredet, dass man weder Gott noch die Hölle fürchten müsse. Da starb die Schwermut, weil man glaubte, mit seiner Vergangenheit selbst fertig zu werden. Da starb alles, was einen im Grunde des Herzens belastet und schwer macht.

Pfingsten ist kein lieblich Fest, an dem die Natur aufblüht, wie Goethe meinte, sondern ein bestürzendes Fest, an dem die Schuld abbrennen soll. Gottes Feuer ist das Werkzeug dazu. Es brennt aus und macht neu. Aus dieser Rumpelkammer der Schuld kann eine Wohnung des Geistes werden. Aus dieser Höhle der Verzweiflung kann ein Schacht des Lichtes werden. Aus diesem Behälter der Hoffnungslosigkeit kann eine Quelle getrosten Mutes werden. Keiner muss mit beschwertem Herzen weiterleben. Niemand muss mit leidendem Herzen seines Weges ziehen. Jeder kann um dieses erneuerte Herz bitten.

Wenn Feuer unterm Dach ist, dann brennt das Herz, dann brennen die Augen, dann brennen die Zungen, dann ist man Feuer und Flamme für Jesus.

In der früheren Sowjetunion erzählte man sich von Radio Eriwan viele witzige und hintergründige Geschichten. So zum Beispiel auch diese Frage an Radio Eriwan: “Stimmt es, dass die Gemeinde Jesu in den sozialistischen Ländern nicht überleben kann?” Antwort: “Im Prinzip ja, aber dem Heiligen Geist ist nicht zu trauen.” Inzwischen wissen wir, dass der Sozialismus nicht überlebt hat. Die Gemeinde Jesu aber lebt und wird leben, nur brauchen wir Feuer unterm Dach.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]