Einführung in das Gleichnis vom Feigenbaum
Wir wollen jetzt am Jahresschluss auf das Wort aus Lukas 13, Verse 6 bis 9 hören.
Jesus sagte ihnen aber dieses Gleichnis: Es hatte jemand einen Feigenbaum, der war in seinem Weinberg gepflanzt. Er kam und suchte Frucht darauf, fand aber keine.
Da sprach er zu dem Weingärtner: „Siehe, ich bin nun drei Jahre lang alle Jahre gekommen und habe Frucht auf diesem Feigenbaum gesucht und keine gefunden. Hau ihn ab, was hindert er das Land?“
Der Weingärtner aber antwortete und sprach zu ihm: „Herr, lass ihn noch dieses Jahr. Ich will um ihn graben und ihn düngen. Vielleicht bringt er doch noch Frucht. Wenn nicht, so hau ihn ab.“
Herr, hilf uns, dass wir das richtig verstehen! Amen!
Die Dunkelheit des Jahreswechsels und menschliche Sorgen
Liebe Schwestern und Brüder,
es ist eigentümlich, dass der Jahreswechsel im Dunkeln liegt – in der Nacht, um Mitternacht. Zwölf Uhr ist es zappenduster um uns herum. Dann hört das Alte auf, und das Neue beginnt. In diesem Moment schießt man Böller, Raketen und Kracher in die Luft. Das sieht ganz lieblich aus, und viele schauen zum Fenster hinaus. Doch es ist nur ein kurzes Schauspiel.
Bald ist es wieder dunkel, unheimlich dunkel. Am nächsten Morgen sieht man dann den ganzen Dreck und die Abfälle auf der Straße liegen. Das Äußere dieses Jahreswechsels zeigt schon, welche Gefühle viele Menschen dabei haben. Man spürt etwas vom Sinnlosen unseres Lebens.
Das ist ganz normal, besonders wenn Sorgen da sind. So wie Sie jetzt Sorgen haben, die Ihre persönliche Gesundheit betreffen, oder Sorgen um Ihren Beruf, Ihren Arbeitsplatz oder Ihre Arbeitskraft. Auch Sorgen der Eltern um ihre Kinder oder Sorgen um diese Welt und das, was kommt, sind solche äußeren Anlässe.
Viel schlimmer ist jedoch, dass die Sicherheit fehlt. Wir wissen gar nicht, wo wir eigentlich stehen und wohin das alles geht. Das, was wir oft und fröhlich aus unserer Lebenskraft schöpfen, ist plötzlich in diesem Augenblick so unsicher. Ob wir das alles meistern, ob wir es in den Griff bekommen, ob wir selbst die Kraft haben für dieses Neue, ist fraglich.
Gottes Wirken trotz dunkler Zeiten
Ich habe dieses Wort gewählt, weil es zu mir gesprochen hat. Es ist ein Wort von Jesus und wurde mir zu einem Wort großer Zuversicht.
Jesus sagt uns durch dieses Bild: Diese Welt mit ihrem Ablauf der dunklen Geschehnisse und die unheimlichen Dinge, die geschehen, sind nicht das Wesentliche. Diese Welt ist Gottes Erntefeld. Gott ist an der Arbeit, baut und sammelt Frucht.
Wir sehen davon oft nichts, weil wir die falschen Dinge unverhältnismäßig groß wahrnehmen. Es ist richtig, dass unheimliche Dinge geschehen. Doch lassen Sie sich den Blick nicht verdecken: In diesen Tagen wirkt unser Gott Großes.
In den vergangenen Tagen haben wir oft Gottes Eingreifen und Gottes Reden so deutlich und machtvoll erlebt, dass wir manchmal ganz bewegt waren. Es gäbe genug zu erzählen in unserem Kreis. Wir könnten bis Mitternacht fortfahren, wenn wir nur die großen Dankgeschichten berichten sollten, in denen Gott uns in diesem Jahr unerwartet beigestanden hat.
Oft hatten wir selbst nicht mehr daran gedacht, doch Gott sprach zu uns, richtete uns auf und ermutigte uns. Gottes Erntefeld ist diese Welt, und wir sehen sie nun ganz anders an.
Mitten in dieser dunklen Nacht geschieht Großes und Wunderbares.
Selbstprüfung und das himmlische Zwiegespräch
Jetzt wollen wir heute Abend nur bei uns selbst stehen bleiben und uns fragen, ob wir Frucht bringen. Wir wollen uns selbst hinterfragen. Dabei findet ein Zwiegespräch im Himmel statt. So stellt Jesus das auf eine anschauliche Weise dar.
Es gibt eine Diskussion zwischen Jesus und Gott, dem Vater, ob es sich noch lohnt, bei uns das Jahr 82 dranzusetzen oder nicht. Es wird darüber nachgedacht, ob das noch wertvoll ist und ob es noch sinnvoll ist, dass wir dieses Jahr, also weitere 365 Tage, erleben.
Ich möchte Ihnen die Augen öffnen: Jesus hat ein großes Vertrauen – nicht in uns, sondern darauf, dass wir eines Tages doch aufwachen, heute umkehren und seine Gaben annehmen. Die Bitte Jesu an den Vater lautet: „Herr, lass ihn noch dieses Jahr.“ Er bittet darum, dass noch ein weiteres Jahr gegeben wird.
Diese Bitte klingt sehr wehmütig.
Die Wehmut des Aufschubs und die Bedeutung des Lebens
Sie kennen das alle aus den Filmen: Wenn dargestellt wird, dass ein zum Tod Verurteilter nur noch 24 Stunden zu leben hat, ist das sehr wehmütig. Noch einmal sieht man die Sonne aufgehen, noch einmal erlebt man den Morgen. Dann gibt man sich alle Mühe, die letzten 24 Stunden möglichst schön zu gestalten.
Dem Verurteilten wird ein Frühstück spendiert, wie er es sonst nie bekommt. Alle Wünsche werden erfüllt. Und dann gibt es noch jenes makabre Geschehen, bevor jemand erschossen wird: Man gibt ihm eine Zigarette, und er darf gierig noch diese Züge in sich hinein saugen – wehmütig.
Manchmal leben wir so. „Ach, noch ein Jahr“, denken viele Menschen heute. Es gibt viele, die sich ganz bewusst mit einer unheilbaren Krankheit arrangiert haben und kaum damit fertig werden. Dabei ist ihre Situation gar nicht außergewöhnlich. Wir alle leben auf Abruf.
Dann hängen wir mit Recht an all den schönen Erlebnissen. Wenn mir gesagt würde, ich hätte noch ein paar Tage zu leben oder noch ein Jahr, würde ich meinen Kalender noch einmal ganz umbauen. Plötzlich hätten Dinge Vorrang, die ich bisher liegen ließ.
Wenn man weiß, man hat noch 24 Stunden, vielleicht nur noch eine Stunde, dann muss man dringend etwas in Ordnung bringen. Es ist heute ein Unrecht, wenn wir Menschen um diesen letzten klaren Überblick betrügen. Denn es ist so wichtig, dass wir etwas tun – aber nicht wehmütig.
Hinter dem Wehmütigen steht ja immer der Gedanke: Das Alte läuft vorbei, und jetzt ist es gleich vorbei. Doch was ist das Alte? Wir erinnern uns an Stationen unseres Lebens, die schön waren. Wir dürfen heute zurückdenken an schöne Erlebnisse in diesem Jahr 1981.
Aber es ist doch falsch, weil wir von uns aus denken, von uns selbst. Wir denken nicht vom großen Anbau Gottes, des Herrn, der durch seinen Garten geht und schaut, ob wir Frucht bringen.
Gottes Erwartungen und die Bedeutung des neuen Jahres
Nicht das, was zurückliegt, war groß – Gott hat neue Erwartungen in dieses Jahr. Und wenn es nur ein Jahr ist, wenn es nur ein halbes Jahr ist, Großes soll geschehen, Neues.
Mir ist es immer wieder eindrücklich, wie mein Großvater mir von seinem Vater, also meinem Urgroßvater, erzählt hat. Ich habe die Geschichte schon einmal erzählt, aber sie muss hier stehen. Er war Fabrikarbeiter in der alten Stuttgarter Zuckerfabrik, dort oben in Prag wohnte er in einer fabrikeigenen Wohnung und erstarb mit 39 Jahren.
Für meinen Großvater war es tief eindrücklich, als Junge von acht oder neun Jahren am Krankenbett des schwindsüchtigen Vaters zu stehen. Von dieser Höhe der Prag konnte man in den Talkessel nach Stuttgart hineinsehen. Er sagte: „Wenn das alles mir gehören würde, dieses ganze Stuttgart, und ich dürfte noch ein Jahr bei euch bleiben…“ Er hat nicht viel verdient, doch es war die wirtschaftliche Sorge um die Seinen, wie wir sie heute gar nicht mehr denken können.
„Wenn ich nur noch ein Jahr bleiben dürfte bis zum vierzigsten Lebensjahr, dann würde ich all das herschenken, nur um ein Jahr bei euch zu sein.“ Diese Vaterliebe und Vatertreue wurde mir groß, immer wieder, wenn mein Großvater sie mir erzählt hat.
Und doch ist der wehmütige Blick falsch, weil Gott uns zur Frucht gerufen hat. Das, was wir in diesem Jahr wirken durften, war nur ein ganz schwacher Vorgeschmack von noch viel Größerem. Ja, Gott will Liebe durch uns wirken – Gutes, Freundlichkeit, Schönes – aber durch ihn. Das bleibt über den Tod hinaus, Dinge, die für die Ewigkeit bedeutsam sind.
Die Dringlichkeit der Fruchtbringung und Gottes Geduld
Lass ihn noch dieses Jahr wehmütig sein, so empfinden wir das. Es ist jedoch nicht wehmütig, nicht ein Jahr, um das Alte aufzufrischen, sondern ein Jahr, um das Neue zu entdecken. Aber das Wort ist auch sehr ernst, nicht nur wehmütig – es ist sehr ernst.
Da sagt der große Gärtner: „Ich habe das jetzt eine lange Zeit beobachtet. Der Baum steht nutzlos da. Wie machen Sie es denn? Sie werden doch alle keinen großen Geldbetrag irgendwo liegen lassen, wo sie keine Zinsen dafür bekommen. Das muss doch arbeiten, da muss doch etwas herauskommen. Hat sich die Investition Gottes gelohnt?“
Es ist eine große Investition. Was ist die Gabe unseres Lebens? Bevor er ein paar Tage auf dem Pragfriedhof war, sagte der dortige Verwalter des Friedhofs: „Sterben gerade so viele.“ Dann zeigte er mir den Raum, wo so viele Särge standen – so nüchtern, so hart, wie sie es tun. Die anderen sagen: „Es gibt ja so viele Menschen auf der Welt.“ Aber dein Leben ist kostbar, weil es Gott als große Investition geplant hat.
Wenn Gott jedoch daran vorübergeht, sagt er: „Umsonst, die Investition hat sich nicht gelohnt.“ Wir sind heute Energiesparer geworden, wir sind sorgsam mit jedem Liter Benzin, den man unnütz verbraucht. Wir sagen: „Löscht die Lichter, lasst sie nicht brennen.“ Warum vergeuden wir das kostbare Leben, dieses kostbare Leben, so leicht? Wofür haben wir es, damit es sich für Gott lohnt?
Nicht nur in unseren wehmütigen Erinnerungen und den Bildern, die wir ins Fotoalbum kleben. Gott hat uns oft gerufen und hat uns immer wieder gesagt, dass für unser Leben nur wichtig ist, ob es auf Gott ausgerichtet ist, von seiner Gerechtigkeit geprägt und auf seinen jüngsten Tag hingelegt.
Man kann es hier sehr hart sagen, so wie es Jesus selbst gesagt hat: „Hau ab! Haut den Baum ab! Es ist besser, man haut ihn ab, dann verstellt er wenigstens keinem anderen mehr die Gegend, dann ist Platz geschaffen für andere.“ Das ist ein erschütterndes Wort, und wir müssen es am Jahresende hören.
Aufruf zur Umkehr und Ordnung im Leben
Ich möchte Sie bitten, bringen Sie am Jahresende Ihr Leben ganz mit Gott in Ordnung. Nehmen Sie keinen Streit mit ins neue Jahr, keine Unversöhnlichkeit und keine Schulden aus dem alten Jahr mit hinein.
Der Baum steht nicht dafür da, dass er seine Äste und Zweige in die Gegend streckt und sich selbst gefällt. Er soll vielmehr Frucht bringen. Ebenso will Gott, dass seine Investition sich lohnt. Unser Leben soll sich für Gott lohnen.
Dies ist ein Angebot zur Umkehr.
Das Wunder der göttlichen Geduld
Doch das Dritte ist ein Wunder. Nicht nur der wehmütige Aspekt ist da, nicht nur der ernste Aspekt, sondern das Wunder, dass Jesus sagt: Vater, lass ihn noch.
Wie kommt Jesus auf den Gedanken, dass da doch noch etwas drin sei? Drei Jahre lang war nichts. Ich bin jetzt 43 Jahre alt. Wie sieht das aus der Sicht Gottes aus? Wie sieht die Bilanz aus, die wir so stolz am Jahresende ziehen, von Gott her betrachtet?
Jesus sagt: Gib noch ein Ja darauf. Nicht weil er es verdient hat, nicht weil man mehr erwarten kann, sondern weil ich noch etwas Besonderes tun will. Ich habe ihn noch nicht abgeschrieben.
Über diesem Jahreswechsel steht die große Geduld Gottes über uns, auch über unsere Gemeinde, auch über unsere Kirche. Gott hat uns nicht schon alle davon gejagt, uns unwürdige Leute. So groß ist seine Geduld, da kann man nur staunen.
Und dass er noch einmal probiert: Ich will noch einmal graben. Ach, das hat er doch so oft schon getan, das war doch immer wieder vergeblich. Noch einmal fängt er an, noch einmal probiert er, noch einmal: Lass ihn noch dies Jahr.
Was sind wir für blinde Menschen, dass wir Tag für Tag dahinleben und alles andere so wichtig nehmen als das eine Ziel: Gott zu gefallen, ihm zu dienen mit unserem Leib und Leben und was wir sind. Möge uns diese Geduld Gottes in das neue Jahr begleiten.
Einladung zum Vertrauen und Segenswunsch
Das ist ein Angebot für heute Abend: Wir können unser Leben in Ordnung bringen.
Das geht ganz einfach, indem Sie wissen: Ich gehöre Gott, und er geht mit mir in dieses neue Jahr hinein. Ich darf unter seiner Führung fröhlich und sicher meinen Weg gehen. Das, was an Aufgaben hier vor mir liegt, gehe ich in seinem Namen an. Ich will es für ihn tun, damit Frucht herauskommt – Bleibendes, nicht Vergängliches.
Ich rechne mit ihm und will gar nicht daran denken, wann er die Ernte einsammelt und die Garben zusammenliest. Das ist das biblische Wort vom Sterben: „Sie gehen hin und bringen ihre Garben, die Erntefrucht.“
Ich wünsche Ihnen, dass Sie ein reiches Jahr 1982 haben. Möge die Gnade Gottes, das heißt das geduldige Vergeben Jesu, dieses unbegreifliche Nachgehen, nicht vergeblich sein. Er kann uns reich beschenken.
In dieser dunklen Nacht kniet Jesus beim Vater und bittet, dass das Gericht noch nicht über unser deutsches Volk anbreche, obwohl wir es alle verdient hätten. Auch bittet er, dass das Gericht Gottes noch nicht über die Welt komme, obwohl es besser wäre, wenn dieser Baum abgehauen würde.
Aber jetzt noch nicht – noch ein Jahr. Dieses Jahr wollen wir nützen, das uns der Herr neu schenkt, damit wir etwas werden zu seinem Lob.
Ich wünsche Ihnen allen ein von Jesu Erneuerung reich gesegnetes neues Jahr. Amen.
