Einführung: Das Geheimnis des Kreuzes verstehen
Laut einer Umfrage wissen ungefähr die Hälfte aller Deutschen nicht, was am Karfreitag geschah. Nun gehe ich davon aus, dass dir, wenn du heute hier mit dabei bist, klar ist, dass Jesus Christus am Karfreitag für uns am Kreuz gestorben ist.
Aber was genau ist eigentlich am Kreuz geschehen? Und wie sollten wir darauf reagieren? Darüber wollen wir heute gemeinsam nachdenken und dazu das Markus-Evangelium betrachten.
Das 15. Kapitel des Markus-Evangeliums ist ein langes Kapitel, das ausschließlich von diesem einen Tag berichtet – vom Karfreitag. Markus 15 zeigt uns eine ganze Reihe von Personen und Personengruppen. Wir sehen, wie sie das Kreuz wahrnehmen und wie sie darauf reagieren.
Wir wollen diesen Personen und Gruppen ein wenig auf die Spur gehen und schauen, was sie dort wahrnehmen und wie sie auf das Kreuz reagieren. Anschließend wollen wir genauer hinschauen und darüber nachdenken, was es mit diesem Kreuz wirklich auf sich hat.
Meine Hoffnung ist, dass uns das dazu führt, Gott aus vollem, dankbarem Herzen anzubeten. Dafür möchte ich zu Beginn dieser Predigt mit uns beten:
Himmlischer Vater, wir danken dir für dein heiliges Wort und bitten dich, dass du durch dein Wort zu uns sprichst. Herr, überführe uns von allem falschen Denken und allen falschen Motiven. Hilf uns, wirklich zu erkennen, was am Kreuz geschehen ist, am Karfreitag.
Gebrauche diese Zeit des Schauens auf das Kreuz, um unsere Herzen zu berühren, damit wir dich mehr lieben. Lass uns dich mit frohen und dankbaren Herzen anbeten – nicht nur mit Worten, sondern mit unserem ganzen Leben.
Das erbitten wir im Namen des gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus. Amen.
Die ersten Zeugen am Kreuz: Ankläger und Pilatus
Zu Beginn von Markus 15 sehen wir hasserfüllte Ankläger – Menschen, die Jesus ans Kreuz bringen wollen. Ich lese die ersten 14 Verse von Markus 15 vor:
Am Morgen hielten die Hohenpriester Rat mit den Ältesten, Schriftgelehrten und dem ganzen Hohen Rat. Der Hohe Rat war die religiöse Elite in Israel. Sie banden Jesus, führten ihn ab und übergaben ihn Pilatus. Pilatus war der römische Statthalter, der Vertreter der römischen Besatzungsmacht.
Pilatus fragte Jesus: „Bist du der König der Juden?“ Jesus antwortete: „Du sagst es.“ Die Hohenpriester beschuldigten ihn heftig. Pilatus fragte ihn erneut: „Antwortest du nicht? Sieh doch, wie hart sie dich verklagen.“ Jesus antwortete nicht mehr, sodass Pilatus verwundert war.
Pilatus pflegte zum Fest einen Gefangenen loszugeben, den das Volk begehrte. Das war am Karfreitag, unmittelbar vor dem Passafest, einem großen jüdischen Fest, bei dem an den Auszug aus Ägypten unter Mose gedacht wurde.
Es gab einen Gefangenen namens Barabbas, der mit Aufrührern gefangen war und bei einem Aufruhr einen Mord begangen hatte. Das Volk ging hinauf und bat Pilatus, so zu verfahren, wie er es gewöhnlich tat. Pilatus fragte: „Wollt ihr, dass ich euch den König der Juden losgebe?“ Denn er erkannte, dass die Hohenpriester ihn aus Neid überantwortet hatten.
Doch die Hohenpriester reizten das Volk dazu, lieber Barabbas freizulassen. Pilatus fragte erneut: „Was soll ich denn mit dem tun, den ihr den König der Juden nennt?“ Sie schrien abermals: „Kreuzige ihn!“ Pilatus fragte: „Was hat er denn Böses getan?“ Aber sie schrien noch lauter: „Kreuzige ihn!“
Hier sehen wir die Hohenpriester zusammen mit den Ältesten, Schriftgelehrten und dem ganzen Hohen Rat, die Jesus hassen. Sie haben ihn gefangen genommen und wollen ihn umbringen. Doch das konnten sie nicht selbst tun, denn ihr Staat war unter römischer Besatzung. Für sie war Jesus ein großes Ärgernis. Er hatte ihre ganze Schrift als Scheinheiligkeit entlarvt und deutlich gemacht, dass ihr Anspruch, die höchste religiöse Elite zu sein, falsch war.
Da sie Jesus nicht selbst töten durften, brachten sie ihn zu Pilatus, dem Statthalter der römischen Besatzungsmacht, und forderten, dass Jesus gekreuzigt werden müsse. Das sind die ersten Menschen, die wir hier am Kreuz sehen: hasserfüllte Ankläger, die nur ein Ziel haben – Jesus muss aus dem Weg geräumt werden. Für sie ist das Kreuz die Lösung ihres Problems.
Als Nächstes sehen wir Pilatus. Er war ein feiger Mann. Er war überzeugt von Jesu Unschuld, wie wir hier in Vers 9 lesen. Er bot an: „Wollt ihr, dass ich euch den König der Juden losgebe?“ Er wollte ihn gerne freilassen. Denn er erkannte, dass die Hohenpriester ihn aus Neid überantwortet hatten.
Aber, wie bereits erwähnt, reizten die Hohenpriester das Volk dazu, lieber den Mörder Barabbas freizulassen. Pilatus versuchte zu verhandeln und fragte immer wieder: „Was soll ich mit ihm tun?“ Doch er hörte nur den Druck der Menschen: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn!“
Pilatus war von der Unschuld Jesu überzeugt, doch alle seine Versuche, Jesus freizulassen, scheiterten letztlich am Druck der Menschen. Vor allem scheiterte er an sich selbst, an seiner Feigheit. Er scheiterte daran, dass er es den Menschen recht machen wollte.
So lesen wir in Vers 15: Pilatus wollte dem Volk zu Willen sein, gab ihnen Barabbas frei, ließ Jesus geißeln und übergab ihn, damit er gekreuzigt werde. Hier sehen wir einen Feigling, der, obwohl er ahnt, dass Jesus zu Unrecht angeklagt wird, lieber dem Druck der Menschen nachgibt, als den Mut zu haben, sich zu Jesus zu bekennen.
Die Soldaten und ihre Rolle: Pflicht und Gedankenlosigkeit
Die dritte Gruppe, die wir hier sehen, sind gedankenlose Soldaten. Dazu lese ich uns den längeren Abschnitt aus Vers 16 bis 27 vor, in dem wir sehen, wie diese Soldaten wirklich Verantwortung übernehmen für die Hinrichtung von Jesus. Es ist ihr Auftrag, und sie führen ihn aus.
Ich lese die Verse 16 bis 27 vor: Die Soldaten aber führten ihn hinein in den Palast, das ist das Prätorium, und riefen die ganze Abteilung zusammen. Sie zogen ihm einen Purpurmantel an, flochten eine Dornenkrone und setzten sie ihm auf. Dann begannen sie, ihn zu grüßen: „Gegrüßt seist du, der König der Juden!“ Sie schlugen ihn mit einem Rohr auf den Kopf, spien ihn an und fielen auf die Knie, um ihn zu huldigen.
Nachdem sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Purpurmantel aus und zogen ihm seine eigenen Kleider wieder an. Dann führten sie ihn hinaus, um ihn zu kreuzigen. Dabei zwangen sie einen Vorbeigehenden, namens Simon von Kyrene, der vom Feld kam und der Vater des Alexander und des Rufus war, das Kreuz für ihn zu tragen.
Sie brachten Jesus zur Stätte Golgata, das heißt übersetzt „Schädelstätte“. Dort gaben sie ihm Myrrhe in Wein zu trinken, doch er nahm es nicht an. Dann kreuzigten sie ihn und warfen das Los, wer was bekommen sollte. Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. Über ihm stand geschrieben, welche Schuld man ihm gab: „Der König der Juden.“
Sie kreuzigten ihn mit zwei Räubern, einen zu seiner Rechten und einen zu seiner Linken.
Hier sehen wir die Soldaten, die einfach ihren Job machen. Sie denken nicht groß über das nach, was sie hier ausführen. Sie nehmen nicht wahr, was gerade vor ihren Augen geschieht und was durch ihre Hände geschieht. Gedankenlos akzeptieren sie das Urteil, mit dem Jesus gerichtet worden war: dass er ein irgendwie ein bisschen durchgedrehter Anführer, ein Revoluzzer sei, der meinte, König der Juden zu sein.
So verspotten sie ihn mit Dornenkrone und Purpurmantel und huldigen ihm, während sie ihn gleichzeitig foltern. Schließlich kreuzigen sie ihn. Die größte Hinterlassenschaft des Kreuzes für diese Soldaten, für diese gedankenlosen Männer, ist das, was zurückbleibt: Jesus’ Kleidung. Darüber werfen sie das Los, wer nun was davon bekommt.
Zweifellos taten sie ihre Arbeit und gingen dem nach, wozu sie da waren. Es war Pflichterfüllung. Doch sie übersahen komplett das Vermächtnis des Kreuzes.
Die selbstzufriedenen Spötter und Schaulustigen
Dann sehen wir weiter eine vierte Gruppe: das sind selbstzufriedene Spötter, die am Kreuz vorübergingen. Von ihnen lesen wir ab Vers 29:
„Und die Vorübergehenden lästerten ihn, schüttelten ihre Köpfe und sprachen: ‚Ha, der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen wieder aufbaust, hilf dir nur selbst und steig herab vom Kreuz!‘“
Desgleichen verspotteten ihn auch die Hohenpriester untereinander samt den Schriftgelehrten und sprachen: „Er hat anderen geholfen, kann er sich nicht selber helfen? Ist er der Christus, der König von Israel? So steigen wir nun vom Kreuz, damit wir sehen und glauben.“
Und die, die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn auch.
Diese selbstgerechten Spötter kannten offenbar einiges von dem, was Jesus gelehrt hatte. Sie griffen einige Zitate aus seinen Lehren auf, ohne sie wirklich zu verstehen. Für sie war klar, dass Jesus ihnen nichts zu sagen hatte und dass er nichts für sie tun konnte oder musste.
Sie waren selbstgerecht, zufrieden mit sich selbst und voller Spott über Jesus. Sie konnten nicht verstehen, dass Jesu Lehren eine viel tiefere Bedeutung hatten und für sie von größter Wichtigkeit waren.
Die fünfte Gruppe, die wir sehen, sind schaulustige Zuschauer. Auch von ihnen wird hier berichtet. Das sind Leute, die nicht nur am Kreuz vorübergingen, sondern stehenblieben.
So wie heute gab es damals schon Schaulustige. Da, wo etwas geschah, da, wo Action war, blieb man stehen und schaute hin – auch wenn es grausam war.
Wir lesen ab Vers 33: „Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: ‚Elai, Elai, Lama Sabbattani‘“, das heißt übersetzt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Und einige, die dabei standen, als sie das hörten, sprachen: „Siehe, er ruft den Elia!“
Da lief einer, füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken und sprach: „Halt, lasst sehen, ob Elia komme und ihn herabnehme.“
Diese Leute stehen am Kreuz, völlig unberührt von dem grausamen Sterben des Mannes dort. Für sie ist das alles nur eine große Show.
Sie schauen nur zu und denken: „Oh, das ist spannend.“ Dabei verstehen sie falsch, was Jesus sagt.
Sie hören das Wort „Eli, Eli“, das so viel heißt wie „Gott, Gott“, verstehen aber „Elia, Elia“ und denken, er rufe nach dem Propheten.
Die Juden dachten, Elia würde irgendwann wiederkommen. Sie denken nun, es geschehe vielleicht ein großes Wunder, etwas Spektakuläres. „Lasst uns mal schauen!“
Das ist alles, was sie von Jesus erwarten: eine fromme Show – mehr nicht.
Der römische Hauptmann und die Frauen: Ehrfurcht und Treue
Aber dann sehen wir noch einen weiteren Mann, der das Geschehen am Kreuz verfolgt: einen römischen Hauptmann. Sehr wahrscheinlich hatte er seinen Rang dadurch verdient, dass er schon manche Schlacht geschlagen hatte. Wahrscheinlich hatte er auch viele Menschen sterben sehen.
Doch als er Jesus hier sterben sieht, wird ihm klar, dass Jesus kein Mann wie alle anderen ist. Ich lese uns die Verse 37 bis 39 vor: Jesus schrie laut und verschied, und der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben bis unten. Der Hauptmann aber, der dabei stand, ihm gegenüber und sah, dass er so verschied, sprach: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.“
Dieser Hauptmann war ergriffen, ergriffen vom Leiden und Sterben Jesu. So ist er der erste Beobachter, der ahnt, dass Jesus viel mehr ist als einfach ein zu Unrecht angeklagter und verurteilter Mensch, der hier sterben muss. Er erahnt, dass Jesus der Sohn Gottes gewesen ist.
Dann sehen wir schließlich noch einige Frauen, die das Geschehen am Kreuz aus sicherer Distanz verfolgen. Wir lesen ab Vers 40: „Und es waren auch Frauen da, die von ferne zuschauten, unter ihnen Maria von Magdala und Maria, die Mutter Jakobus des Kleinen und des Joses, und Salome, die ihm nachgefolgt waren, als er in Galiläa war und ihm gedient hatten, und viele andere Frauen, die mit ihm hinauf nach Jerusalem gegangen waren.“
Über diese Frauen lesen wir, dass sie Nachfolgerinnen Jesu waren. Sie liebten ihn und hatten ihm treu gedient. Auch jetzt wichen sie nicht von seiner Seite. Markus schreibt später, dass sie dann sehen, wie Jesus ins Grab gelegt wird, und dass sie am Ostermorgen zum Grab gingen, um Jesus einen letzten Liebesdienst zu erweisen – um ihn mit wohlriechenden Ölen zu salben.
Diese Frauen liebten Jesus. Sie hatten viel in ihm gesehen und große Hoffnung auf ihn gesetzt. Ihre Liebe nahm kein Ende, auch jetzt am Kreuz. Sie dienten ihm selbst über seinen Tod hinaus.
Gleichzeitig waren sie tief traurig, denn all ihre großen Hoffnungen, die sie in Jesus gesetzt hatten, schienen nun zu einem Ende gekommen zu sein, weil er dort starb. Letztendlich verstanden auch diese Frauen noch nicht, was es mit dem Kreuz wirklich auf sich hatte.
Die Bedeutung der Finsternis und des Schreis Jesu
Nachdem wir uns nun verschiedene Menschen und Menschengruppen angeschaut haben, wollen wir noch einmal genauer hinschauen, um wirklich zu verstehen, was es mit dem Kreuz auf sich hat. Dazu betrachten wir einige kurze Verse miteinander.
Zuerst Vers 33: Dort lesen wir: „Und zur sechsten Stunde kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.“ Die sechste Stunde ist in manchen Bibelübersetzungen auch als „mittags um zwölf“ angegeben. Die sechste Stunde war also zwölf Uhr mittags.
Um diese Uhrzeit bricht plötzlich eine Finsternis über das Land herein – für drei Stunden, bis zur neunten Stunde, also bis 15 Uhr, bis zu dem Moment, an dem Jesus stirbt. Was hier geschieht, lässt sich nicht natürlich erklären. Es kann zum Beispiel keine Sonnenfinsternis sein.
Wir wissen, dass die Kreuzigung unmittelbar vor dem Passafest stattfand. Das Passafest war immer an einem Vollmondtermin festgelegt. Bei Vollmond kann es keine Sonnenfinsternis geben. Wer sich ein wenig auskennt, weiß: Wenn sich der Mond zwischen Sonne und Erde befindet, kann es kein Vollmond sein. Außerdem dauert eine Sonnenfinsternis nie länger als einige Minuten, aber hier herrscht Finsternis für drei Stunden.
Wenn du in der Nähe ein Fenster hast, kannst du mal rausblicken. Es ist jetzt die neunte Stunde, also 15 Uhr oder sogar etwas später. Stell dir vor, es wäre jetzt mitten am Tag stockfinster. Stell dir vor, es wäre schon seit drei Stunden stockfinster. Das wäre doch beängstigend, oder? Dir wäre klar, hier stimmt etwas nicht. Hier ist etwas los, das ist übernatürlich, das ist nicht normal.
Aber was genau hat es mit dieser Finsternis auf sich? In der Bibel steht Licht immer wieder für die Gegenwart Gottes, für den Wohlwollen Gottes. Vielleicht kennen wir das vom Segen, der oft gesprochen wird, dem hohen priesterlichen Segen: „Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir.“ Das ist ein Ausdruck von Gottes Zuwendung. Wenn es leuchtet, wenn Engel erscheinen, wenn Gott sich zeigt, dann strahlt alles hell. Sie sprechen den Menschen immer etwas zu und sagen: „Fürchtet euch nicht, ihr habt eine gute Nachricht, eine frohe Kunde für euch.“
Als Jesus selbst mit drei seiner Jünger einst auf den Berg der Verklärung ging und dort in der Gegenwart Gottes war, strahlte es hell. Die Stimme Gottes erklang und sagte: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Licht steht also für Gottes Wohlwollen.
Finsternis hingegen wird in der Bibel immer wieder als Bild für Gottes Zorn und Gericht verwendet. Wenn es hier also finster wird, während Jesus am Kreuz hängt und stirbt, will uns das vermitteln: Hier ist Gottes Wohlwollen weit weg, hier ist Gott zornig, hier ist Gericht.
Dabei sollte uns klar sein, dass der Zorn Gottes ganz anders ist als menschlicher Zorn. Menschlicher Zorn ist oft blind und unkontrolliert, aber Gottes Zorn ist sehr zutreffend. Gott weiß ganz genau, was geschieht. Sein Zorn ist immer gerechtfertigt und kontrolliert.
Gott ist zornig über alles Böse in dieser Welt, über jedes Gewaltverbrechen, über jeden Kindesmissbrauch, über jeden Massenmord, jede Gewalttat, über alles, was falsch und böse ist. Gott ist zornig, wenn Menschen im Widerspruch zu seinen guten Geboten leben – dem Weg, wie wir in Liebe und Harmonie miteinander leben sollten. Dort, wo das missachtet wird, kommt Gottes gerechter Zorn.
Im nächsten Vers, Vers 34, sehen wir etwas wirklich Erstaunliches und auf den ersten Blick Schockierendes. Wir sehen, wem Gottes Zorn gilt, wen Gottes Gericht hier trifft.
Vers 34: „Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama sabbatani“, das heißt übersetzt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus erkennt, dass der Zorn Gottes ihn trifft. Er erlebt, dass die liebevolle Zuwendung Gottes, die er immer gekannt hat, nicht mehr bei ihm ist.
Hier erlebt er plötzlich Gottes Zorn. Er traut sich nicht einmal mehr, seinen Vater, seinen himmlischen Vater, so anzusprechen wie sonst immer mit „Aber, lieber Vater“. Stattdessen spricht er ihn mit dem sehr neutralen, distanzierten Wort „Eli“, „mein Gott“, an.
Wir sehen also: Jesus ist hier getrennt von der Liebe Gottes. Jesus erleidet das Gericht Gottes. Aber warum? Warum muss Jesus Gottes Zorn erdulden? Warum trifft Jesus das Gericht Gottes?
Es trifft ihn, damit wir gerettet werden können. Wir hätten den Zorn Gottes verdient. Unsere Sünden trennen uns von Gott. Wir hätten keinen Anspruch, den heiligen Gott, den Schöpfer aller Dinge, unseren lieben Vater zu nennen. Für uns ist er immer nur „der Gott“. Denn wir haben alle gegen Gott rebelliert. Wir alle handeln gegen seine guten Gebote, wir alle gehen unsere eigenen Wege.
Wir mögen uns einreden, dass wir ja gar nicht so schlecht sind und immer wieder Gutes tun. Aber uns muss klar sein: Sünder können vor dem heiligen Gott nicht bestehen. Auch nur eine Sünde trennt uns von ihm. Nur eine Sünde macht uns schuldig vor Gott.
Ich bin mir sicher, du wirst nicht auf die Idee kommen, einem Verkehrsrichter zu erklären, dass du bei Rot über eine Kreuzung gefahren bist, aber beim letzten Mal angehalten hast und dass das dann ja doch irgendwie okay sein müsste. Nein, Schuld ist Schuld. Und mit Schuld können wir Menschen vor dem heiligen Gott nicht bestehen.
Weil das so ist, weil wir Gottes Gericht verdient hätten und Gott zugleich barmherzig und gnädig ist und uns Menschen liebt, sendet er seinen eingeborenen Sohn in diese Welt, damit er den gerechten Zorn, das Gericht, auf sich nimmt und die gerechte Strafe für uns bezahlt.
Genau dazu ist Jesus gekommen. Genau das hat er seinen Jüngern zuvor angekündigt, als er ihnen sagte, schon in Kapitel 10, Vers 45, dass er gekommen ist, um sein Leben zu geben als Lösegeld für viele.
Er wollte sterben, er musste sterben, damit wir freigekauft von aller Schuld sein können. In dem Moment, in dem er nun diese Schuld auf sich nimmt und für unsere Schuld am Kreuz stirbt, erleidet er etwas, das Jesus nie gekannt hat.
Für alle Ewigkeit war er innig verbunden mit seinem himmlischen Vater. Und auf einmal erlebt er, wie Gottes Liebe von ihm weicht: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Die Bibel erklärt uns genau, warum. Wir haben das gerade in der Textlesung aus Jesaja 53 gehört: „Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg, aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn.“
Als Jesus am Kreuz starb, geschah genau das. Damit du und ich vor Gott bestehen können, nahm er die Strafe auf sich. Jeder, der sich ihm im Glauben zuwendet, jeder, der ihm seine Sünde gibt, kann wissen: Jesus nimmt sie und stirbt für sie am Kreuz.
Aber das ist notwendig. Jesus hat den Preis der Sünde bezahlt, so dass wir es nicht mehr tun müssen. Er hat den Zorn Gottes auf sich genommen, damit wir von dem Zorn Gottes gerettet werden können.
Und nur die Liebe Gottes genießen dürfen, wenn wir denn nur Gott unsere Schuld bekennen, sie Jesus geben und ihn bitten, sie von uns zu nehmen.
Weil Jesus am Kreuz stirbt, können sündige Menschen vor dem heiligen Gott bestehen.
Das zerissene Vorhang: Zugang zu Gott geöffnet
Und genau das sehen wir dann in den Versen 37 und 38. Zunächst erscheint die Beschreibung etwas seltsam und scheint nicht richtig in den Text zu passen. Dort heißt es: "Aber Jesus schrie laut und verschied", das heißt, er starb. Gleichzeitig zerriss der Vorhang im Tempel in zwei Stücke – von oben bis unten.
Das klingt zunächst ungewöhnlich. Es sind eigentlich zwei Ereignisse, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Jesus stirbt außerhalb der Stadt auf dem Hügel Golgatha. Gleichzeitig scheint es, als würde die Kamera zurückschwenken, hinein in die Stadt, in den Tempel, und dann hineinzoomen an den Ort, wo das Allerheiligste liegt. Das ist der Bereich im Tempel, der für sündige Menschen eigentlich unzugänglich ist und mit einem schweren Vorhang abgedeckt wird.
Dieser schwere Vorhang war wie ein riesiges "Zutritt verboten"-Schild. Nur einmal im Jahr durfte ein Mensch nach einer aufwendigen Reinigungs- und Opferzeremonie für einen kurzen Moment hinter diesen Vorhang treten. Dort brachte er Gott ein Opfer dar, um stellvertretend für die Schuld der Menschen einzutreten und Gott um Gnade zu bitten.
Der Weg zu Gott war sonst verschlossen, der Zutritt durch einen etwa zehn Meter hohen und ungefähr zehn Zentimeter dicken Vorhang verboten. Was geschieht nun in dem Moment, in dem Jesus stirbt? Seltsamerweise reißt dieser Vorhang von oben bis unten in zwei Teile.
Es ist fast so, als ob Gott selbst diesen Vorhang zerreißt, genau in dem Moment, als Jesus stirbt. Und genau das soll uns hier gesagt werden. Dieses kosmische Ereignis ist Gottes lauter Ruf: Der Weg ist nun offen, sodass Menschen in Gottes Gegenwart treten können, weil Jesus am Kreuz gestorben ist.
So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn in diese Welt sandte – ja, ans Kreuz hingab –, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen und nicht gerichtet werden. Stattdessen sollen sie ewiges Leben haben, schon hier auf Erden versöhnt mit Gott und dann für alle Ewigkeit bei ihm.
Die Frage nach unserer Reaktion auf das Kreuz
Ihr Lieben, das ist es, was dort am Kreuz geschieht. Abschließend möchte ich uns fragen: Wie reagieren wir? Wie reagierst du auf das, was am Kreuz geschah?
Lass uns noch einmal die Reaktionen bedenken, die wir anfänglich gesehen haben. Bist du ein Mensch, der, wie die Hohenpriester, Gott hasst, Jesus hasst und ihn ablehnt? Vielleicht, weil dich die Bibel, Gottes Wort oder Jesus selbst in Frage stellt. Vielleicht, weil er dir deine Schuld vorhält? Uns muss klar sein, dass das nicht nur Atheisten betrifft, die damit manchmal ein Problem haben. Manchmal sind es Christen, die in dem Moment, in dem sie von ihrer Sünde überführt werden, Gott ablehnen und das nicht wollen.
Oder bist du so wie Pilatus? Du erkennst zwar, dass an Jesus irgendetwas dran ist, vielleicht sogar gerade zum allerersten Mal. Vielleicht hast du ein bisschen Angst davor, was die Menschen wohl denken, wenn du dich zu Christus bekennst. Vielleicht bist du auch schon ein Christ, doch immer wieder in Situationen, in denen du dich nicht traust, dich klar und deutlich zu Jesus zu bekennen und zu sagen: Er ist der Herr meines Lebens. Ich lebe so, wie er es mir sagt, egal was andere denken.
Oder bist du wie die Soldaten, einfach zu beschäftigt und gedankenlos? Du gehst den Dingen im Leben nach und ignorierst, was am Kreuz geschah. Es ist erstaunlich: Obwohl wir während der Corona-Krise eigentlich alle ein bisschen mehr Zeit haben sollten, verbringen so viele Menschen gedankenlos Stunden damit, irgendwelche Netflix-Serien zu sehen oder im Internet zu surfen. Schnell noch mal die neueste Statistik nachschauen, als ob es eine Rolle spielt, wie viele Tote es gerade gibt, morgen geben wird oder gestern gab.
Und auch das trifft auf uns Christen zu. Wie oft vernachlässigen wir unsere Beziehung zu Gott, unsere Anbetung, unsere Hingabe und unser Glaubensleben, weil wir uns gedankenlos mit Dingen beschäftigen, die wir gerade für wichtiger und dringlicher halten?
Vielleicht bist du auch wie die Spötter, die am Kreuz achtlos vorübergingen. Du hast schon einiges von Jesus gehört, aber es macht für dich einfach keinen Sinn. Die Spötter sagten: Dann soll er doch vom Kreuz herunterkommen, wenn er wirklich Jesus ist. Aber ich möchte dir sagen: Jesus ist vom Kreuz gekommen. Am Ostermorgen ist er von den Toten auferstanden.
Viele Menschen haben ihn gesehen. Selbst nichtchristliche Quellen berichten davon, dass dieser Christus von den Toten auferstanden ist und von vielen gesehen wurde. Dann ist er in den Himmel aufgefahren. Er hat gesagt, er würde wiederkommen, um von dort die Lebenden und die Toten zu richten.
Ich befürchte jedoch, dass so mancher Spötter sich an dem Moment, wenn Jesus wiederkommt, wünschen wird, er hätte seinen Spott beiseitegelegt und wirklich Acht gegeben auf das, was dort am Kreuz geschah.
Vielleicht bist du auch wie die Schaulustigen, die am Kreuz stehen geblieben sind. Vielleicht schaust du und staunst. Aber irgendwie ist dir das Geschehen am Kreuz nicht genug. Du willst noch ein spektakuläres Wunder.
Es gibt so viele Menschen, die meinen, das, was sie in der Bibel haben, reicht ihnen nicht. Gott müsste etwas Großes tun, dann wären sie vielleicht bereit, an ihn zu glauben – ein großes Wunder.
Wirklich, ich glaube, viele Christen sind gar nicht so anders. Es gibt viele, die sich spektakuläre Zeichen und Wunder wünschen. Irgendwie ist das, was Jesus am Kreuz getan hat und was er uns in seinem Wort aufträgt, nicht gut genug.
Aber es gibt auch noch zwei andere Optionen. Wir sehen den Hauptmann. Vielleicht bist du wie er, am Kreuz voller Ehrfurcht vor dem, was dort geschieht, und erkennst: Dieser Jesus ist wahrhaft der Sohn Gottes. Das ist ein guter Anfang.
Vielleicht bist du auch wie die Frauen, die Jesus so treu dienten bis in den Tod hinein. Auch das ist gut und richtig.
Doch muss uns klar sein, dass weder eine allgemeine Ehrfurcht noch ein hingegebener Dienst uns letztendlich helfen können, wenn der Tag des Gerichts kommt.
Was nötig ist, ist, dass Jesus am Kreuz unsere Schuld auf sich nimmt. Was nötig ist, ist nicht nur ein gewisses Staunen, eine gewisse Ehrfurcht oder ein gewisses Dienen.
Nein, was es wirklich braucht, ist, dass wir zu diesem Jesus am Kreuz kommen und sagen: Ich bekenne dir, ich bin ein Sünder. Ich brauche das, was du für mich tust. Ich gebe zu, ich hätte es verdient, am Kreuz zu sterben. Ich preise dich, dass du bereit warst, zu kommen und dein Leben als Lösegeld für mich zu geben.
Das ist die angemessene Reaktion auf das Kreuz: dass wir uns Jesus hingeben, ihm unsere Schuld bekennen und über seine Gnade staunen.
Dann sagen wir: Jesus, du hast mein Leben mit deinem Leben erkauft. Jetzt soll mein Leben dir gehören, und ich will dir dienen für den Rest meines Lebens.
Möge das bei mir und bei dir so sein. Dafür möchte ich beten.
Schlussgebet: Dankbarkeit und Hingabe
Himmlischer Vater, wir danken dir, dass du ein Gott bist, der bereit war, deinen eingeborenen Sohn in diese Welt zu senden, weil du uns nicht in unserer Verlorenheit lassen wolltest.
Wir hätten es alle verdient, dass du eine weitere Sintflut bringst und uns alle umbringst. Wir hätten es verdient zu sterben, deinen Zorn zu empfangen und das ewige Gericht der Hölle zu erleiden. Doch du hast dich um unserer Sünden willen hingegeben.
Du, Gott, der Sohn, du Jesus Christus, hast dein Leben gegeben als Lösegeld für viele.
Ich bete, dass jeder, der in der Reichweite meiner Worte ist, diese frohe Botschaft erkennt und sich dir hingibt. Wirklich sagt: „Okay, Jesus, ich bekenne dir, dass ich nicht so gut bin, wie ich sein müsste, um vor dir zu bestehen. Ich brauche einen Retter. Sei du mein Retter.“
Ich bete auch für uns alle, die wir das schon getan haben, die wir Jesus als unseren Retter anerkennen und als Herrn unseres Lebens. Dass wir immer mehr für diesen Herrn Jesus leben, denn er hat uns erkauft.
Wir wollen dich loben, lieber Vater, für das, was du für uns getan hast. So schenke uns dankbare und frohe Herzen, die dich anbeten.
Amen.