Heute Morgen geht es wieder um einen Bibeltext, der sich an Christen richtet, die schon länger im Glauben stehen.
Es gibt bestimmte Schwierigkeiten, die besonders am Anfang des Glaubens auftreten können. Das erleben wir manchmal, wenn wir mit Menschen sprechen, die generell Zweifel haben: Stimmt das überhaupt, was in der Bibel steht? Oder sie sagen: Ich kenne Christen, die leben so und so, oder ich habe das und das gelernt, und die Wissenschaft widerspricht der Bibel.
Das sind Probleme, die am Anfang des Glaubens auftreten und Zweifel oder Zurückhaltung gegenüber dem Glauben auslösen können.
Es gibt allerdings auch Schwierigkeiten, mit denen Christen zu kämpfen haben, die schon länger im Glauben leben. Eine Begebenheit, die Jesus erzählt, richtet sich meiner Meinung nach genau an diese Gruppe.
Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg: Eine Herausforderung für langjährige Christen
Das Reich Gottes gleicht einem Hausherrn, der am frühen Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Nachdem er mit den Arbeitern einen Lohn von einem Dinar für den Tag vereinbart hatte, sandte er sie in seinen Weinberg.
Als er gegen die dritte Stunde ausging, sah er andere untätig auf dem Markt stehen. Er sprach zu ihnen: „Geht auch ihr in den Weinberg, und was recht ist, will ich euch geben.“ Sie gingen hin. Wiederum ging er um die sechste Stunde und um die neunte Stunde hinaus und tat dasselbe.
Als er aber um die elfte Stunde ausging, fand er weitere Leute untätig dastehen. Er sprach zu ihnen: „Warum steht ihr hier den ganzen Tag untätig?“ Sie antworteten: „Es hat uns niemand eingestellt.“ Er sagte zu ihnen: „Geht auch ihr in den Weinberg, und was recht ist, das werdet ihr empfangen.“
Als es Abend geworden war, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: „Rufe die Arbeiter und bezahle ihnen den Lohn, und zwar beginnend bei den Letzten bis zu den Ersten.“ Die Arbeiter, die um die elfte Stunde eingestellt worden waren, kamen zuerst und erhielten jeder einen Denar.
Als aber die Ersten kamen, meinten sie, mehr zu bekommen. Doch auch sie erhielten jeder einen Denar. Nachdem sie ihren Lohn empfangen hatten, murrten sie gegen den Hausherrn und sagten: „Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt, die wir die Last und Hitze des Tages getragen haben.“
Er antwortete einem von ihnen: „Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht um einen Dinar mit mir übereingekommen? Nimm, was dir zusteht, und geh hin. Ich will aber diesem Letzten genauso viel geben wie dir. Oder habe ich nicht das Recht, mit meinem Besitz zu tun, was ich will? Bist du neidisch, weil ich gütig bin?“
So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige auserwählt.
Fehlinterpretationen und die wahre Botschaft des Gleichnisses
Ja, dieses Gleichnis kann zunächst eine ganz gefährliche Tendenz haben. Manche verstehen es in erster Linie so, dass sie noch unendlich viel Zeit vor sich haben. Hauptsache, sie schlüpfen gerade noch soeben in das Reich Gottes hinein. Diese Deutung könnte man durchaus daraus ableiten, wenn man auf diejenigen blickt, die zur elften Stunde dazugekommen sind. Man findet das manchmal bei Jugendlichen, manchmal auch bei Erwachsenen: Wie lange kann ich gerade noch warten, um das Leben zu genießen und dann am Ende doch noch gerettet zu werden?
Das ist natürlich eine vollkommen falsche Auffassung, das ist uns ja klar. Außerdem sollten wir sehen, dass das Gleichnis über diese Leute eigentlich gar nichts aussagt. Gleichnisse dürfen wir nicht so verstehen, dass wir jedes Detail genau ausdeuten und sagen: „Also verlassen wir uns darauf, dass wir gerade noch hineinkommen.“ Dieses Gleichnis hat einen ganz anderen Kontext, das können wir sagen.
Es geht um die Frage nach dem Lohn und nicht darum, wie spät ich mich gerade noch bekehren darf, um gerettet zu werden. Es ist eigentlich eine Antwort der Jünger auf die Frage nach dem Lohn für ihre Nachfolge. Die Jünger sind ja die Ersten, die mit Jesus gehen.
Dass hier eine Einteilung vorgenommen wird, und dass wir gerade am Anfang des zwanzigsten Kapitels sind, ist nicht von Jesus so festgeschrieben. Das ist eine spätere Einteilung. Wenn wir direkt die Verse davor lesen, nämlich ab Kapitel 19, Vers 27, dann sehen wir, dass Petrus darauf hinweist: „Wir haben doch alles für dich verlassen, was werden wir dafür im Himmel bekommen?“ Deshalb kommt am Ende auch die Antwort: „Die Letzten werden die Ersten sein und die Ersten die Letzten.“
Das ist sozusagen die Antwort auf Petrus’ Frage. Er sucht zuerst danach, ob er auch genügend Lohn bekommt, weil er schon so lange im Glauben dabei ist. Und genau darum geht es in diesem Gleichnis: um die Frage nach dem Lohn.
Die Herausforderung der Unzufriedenheit im Glauben
Im Grunde genommen ist dieses Gleichnis eine Antwort auf die Unzufriedenheit und die Suche danach, ob man für das, was man für den Herrn getan hat, auch genügend belohnt wird. Es handelt sich um eine Anfechtung, die erst relativ spät auftritt – nämlich dann, wenn wir versuchen, ein Resümee zu ziehen und vielleicht auf das schielen, was wir hätten noch tun können.
Im Gleichnis denken die Arbeiter etwa: „Na ja, ich hätte mich doch auch gerne noch für den halben Tag auf dem Marktplatz gemeldet, ehe es dann an die schweigende Arbeit ging.“ Der Anfang lief erst mal gut: Diese Arbeiter sind vorbildlich, sie fangen früh morgens an und sind den ganzen Tag fleißig. Das Problem taucht erst am Ende ihres Dienstes auf, und dann fallen sie in eine Art Depression. Ähnlich haben wir es in unserer letzten Morgenstunde gehört, als wir uns mit dem Galaterbrief beschäftigt haben. Dort heißt es in Galater 5,7: „Ihr habt es so gut angefangen, warum seid ihr denn jetzt zurückgefallen?“ Genau an diese richtet sich das Gleichnis stärker.
Tatsächlich fällt uns auf, dass diese Arbeiter, die am Anfang begonnen haben, zunächst auf eine Abmachung pochen – was für einen Arbeiter auch ganz normal ist. Sie treffen den Herrn des Weinbergs und einigen sich mit ihm auf einen Denar. Das heißt, es gab scheinbar eine Verhandlung: Sie sagen, wie viel ihre Arbeitskraft wert ist, und einigen sich auf diesen Lohn. Diesen Lohn bekommen sie auch hinterher – allerdings nicht mehr. Und genau das ärgert sie.
Sie erhalten also genau das, was ihnen versprochen wurde, sind aber trotzdem unzufrieden. Interessant ist auch, dass diese Personen Buch führen über das, was sie tun – und zwar über ihre eigene Arbeit und die der anderen. Am Ende können sie genau sagen, dass sie unter der Hitze des Tages gearbeitet haben. Das ist nicht schwer zu erkennen, aber sie schauen in die Zukunft und sagen: „Okay, jetzt habe ich das, was mir versprochen worden ist.“ Doch sie vergleichen ihre Leistung, die sie genau registriert haben, mit der Leistung der anderen.
Das ist eine völlig andere Auffassung, als sie im Reich Gottes herrschen soll. Dort wissen wir doch eigentlich, dass alles Gnade ist, was wir bekommen – zumindest glauben wir das oder sagen, dass wir das glauben. Wir sollten eher am Ende so dastehen können, wie Jesus in einem anderen Gleichnis sagt: Da ist der Diener, der den ganzen Tag gearbeitet hat, und am Abend kommt der Herr, legt die Füße hoch und sagt: „Jetzt machen wir noch was zu essen.“ Jesus stellt dann die Frage: Was ist jetzt mit dem Diener? Kann er hinterher auf einen besonderen Lohn rechnen? Er sagt: Nein, das ist ganz normal, das ist seine Aufgabe – er ist ja Diener zu Hause.
So ist es auch hier. Wenn der Diener etwas bekommt, dann ist das Gnade. Denn der Sklave musste damals umsonst arbeiten – das ist anders als heute. Ein Sklave wurde einmal gekauft und hatte keine Rechte mehr, musste also umsonst arbeiten. Hier gab es einen Lohn, aber das Problem ist, dass diese Arbeiter in erster Linie darauf schauen, was die anderen gemacht haben. Die anderen haben weniger gearbeitet, mir geschieht dadurch ja kein Nachteil, aber ich fühle mich benachteiligt. Denn nach meiner Auffassung dürften die eigentlich gar nichts bekommen.
Das kennen wir wahrscheinlich auch von unseren Kindern. Wenn einem Kind etwas geschenkt wird, kommen schnell die anderen und sagen: „Das ist ungerecht, warum bekomme ich nichts?“ Dann denken sie, sie müssten genauso ein Recht darauf haben. Dabei ist das ja ein Ausdruck von Gnade. Keines der Kinder hat ein gesetzlich gesichertes Recht auf einen Lutscher, ein Bonbon, eine Schokolade oder ein Buch. Es ist einfach ein Geschenk. Aber Kinder empfinden intuitiv – genauso wie diese Arbeiter – dass sie zwar nichts getan haben, aber wenn der andere etwas bekommt, dann müssten sie es auch bekommen.
Manchmal macht sich das an der Leistung fest, etwa wenn ältere und jüngere Geschwister beteiligt sind. Bei uns ist das so: Im Frühling haben wir Holz geschlagen, weil wir mit Holz heizen. Wir waren im Wald, haben Bäume gefällt und klein geschnitten, und alle haben mitgearbeitet. Am Ende haben die Kinder eine Belohnung bekommen – fast alle gleich. Natürlich gab es Streit: Der kleine Samuel hat ja gar nichts richtig gemacht, war schon nach zwei Stunden schlapp und hat nichts mehr getan. Er müsste doch eigentlich viel weniger bekommen als ich, hieß es. Solche Diskussionen entstehen.
Dabei hatten wir von Anfang an gesagt, dass jeder mithelfen muss, damit wir im Winter heizen können – ohne einen Stundenlohn zu vereinbaren. Die Belohnung war dann eher Gnade, ein Geschenk ohne vorher abgemachten Lohn. Aber manche Kinder empfinden das so, und manche Erwachsene ebenso.
Das kann zum Beispiel in der Gemeinde zu Unzufriedenheit führen. Da entsteht der Eindruck: „Andauernd muss ich mich einsetzen, an mir hängt die gesamte Gemeinde. Wenn ich nicht regelmäßig zur Bibelstunde, Jugendstunde, Gebetsstunde und Gottesdienst gehen würde, wäre wahrscheinlich keiner mehr da. Ich mache die Gemeindeverwaltung, bereite Bibelstunden vor, lade Leute ein und betreibe Seelsorge.“ Schnell entsteht der Eindruck von Ungerechtigkeit: „Ich muss alles tun, und der andere nicht.“
Dabei gerät völlig aus dem Blick, für wen oder warum wir das eigentlich tun. Hier entsteht leicht die Tendenz, so etwas wie ein Leistungskristentum aufzubauen: viel Leistung, viel Segen, viel Anerkennung. Aber das ist nicht, was Jesus will. Er will, dass wir es für ihn tun, ohne etwas aufzurechnen. So entsteht in der Gemeinde viel Unzufriedenheit.
Ich erinnere mich an die Zeit, als wir in der Gemeinde gebaut haben. Am Anfang war alles gut: Alle haben sich begeistert gemeldet, um Beton anzurühren, zu mauern und vieles mehr. Doch nach einigen Monaten nahm die Beteiligung ab. Einige, die sich fleißig eingesetzt hatten, waren vorbildlich, aber auch bei ihnen wuchs mit der Zeit eine starke Unzufriedenheit. Sie fragten sich: „Immer muss ich auf dem Bau sein, warum sind die anderen nicht da?“
Diese Unzufriedenheit ist menschlich verständlich. Dahinter steckt aber auch die Auffassung von menschlicher Gerechtigkeit: „Alle müssten arbeiten, so wie wir hier. Wir haben in der Hitze des Tages geschwitzt, und die anderen haben nichts getan. Du bist doch nicht gerecht, wenn du die genauso segnest wie mich.“ So könnte man denken: „Die dürfen nur die Hälfte des Gottesdienstes besuchen, nur die Hälfte des Segens erhalten. Ich bin die ganze Zeit dabei, und wenn sie nicht gearbeitet haben, gibt es für die keine Jugendstunde mehr, denn die Eltern haben nicht genug mitgearbeitet.“
Oder man könnte sich vorstellen, dass im Himmel gesagt wird: „Die müssen die letzten Plätze bekommen, denn sie haben sich hier am Samstag nicht gemeldet.“ Jesus weist jedoch auf das eigentliche Problem in diesem Gleichnis hin.
Das Problem sind nicht so sehr diejenigen, die am Ende dazugekommen sind. Diese sind demütig – das lesen wir sogar. Sie kommen, ohne einen Preis abzumachen. Die, die um elf Uhr kamen, fragen nicht, wie viel sie bekommen, sondern sagen einfach: „Okay, wenigstens haben wir überhaupt noch etwas.“ Sie sind sich der Gnade bewusst.
Die anderen hingegen sagen genau: „Das ist der Lohn, das ist die Arbeit, dafür kommen wir herein.“ Deshalb entsteht bei ihnen die Unzufriedenheit. Sie schauen nicht auf die Gnade, die ihnen gegeben ist, sondern vergleichen sich mit denen, die aus Gnade mehr bekommen haben – die vielleicht schwächer, labiler oder sündiger sind, aber trotzdem von Jesus mit Gnade errettet wurden.
Das hat nichts mit menschlicher Gerechtigkeit zu tun. Diejenigen, die scheinbar ungerecht behandelt werden, werden trotzdem gerettet – allein durch die Gnade des Herrn. So arbeitet der Teufel immer wieder, um Unzufriedenheit in unser Leben zu bringen.
Diese Unzufriedenheit ist dieselbe, die schon Eva hatte. Die Schlange schürt Misstrauen gegen Gott: „Gott meint es böse mit dir, er will dich nur unterdrücken. Wenn du aber von dem Baum isst, wirst du sein wie Gott.“ Dahinter steht das Misstrauen, dass Gott einem etwas vorenthält, was eigentlich wichtig wäre. Gott wird als ungerecht empfunden.
Genauso haben diese Arbeiter den Eindruck: Hätten sie am Ende einfach ihren Lohn bekommen, wären sie froh gewesen, einen Tag gearbeitet und Lohn dafür erhalten zu haben. Der Weinbergbesitzer bereitet das Ganze sogar noch vor, indem er zuerst denen den Lohn gibt, die zuletzt gekommen sind.
Hätte er der Reihe nach den Lohn ausgezahlt, hätten die zuerst Arbeitenden das Geld genommen und wären zufrieden nach Hause gegangen. So aber müssen sie zuschauen und denken: „Was ist denn da los? Warum bekommen die so viel Geld?“ Und trotzdem erhalten sie keinen Cent weniger.
Trotzdem entsteht diese Unzufriedenheit. Das ist der Gedanke, den der Teufel manchmal benutzt: „Du wirst von Gott ungerecht behandelt.“ So kann in der Gemeinde oder im geistlichen Leben das Gefühl von Ungerechtigkeit aufkommen: „Warum geht es dem anderen so gut?“ Das finden wir auch im Psalm. „Warum geht es den Ungläubigen so gut?“
Wir vergleichen uns und denken: „Wenn ich mich schon so abstrample für den Glauben, müsste ich doch mindestens ebenso erfolgreich sein wie mein ungläubiger Nachbar.“ Dann freuen wir uns vielleicht sogar, wenn dessen Ehe scheitert oder seine Firma pleitegeht, weil wir sagen: „Das geschieht ihm recht, er ist ja ungläubig.“
Aber das trifft uns selbst oft zuerst. Und zum anderen ist das eine völlig falsche Schadenfreude. Vielmehr sollten wir uns freuen, wenn Gott anderen gnädig ist und sie herausrettet – trotz allem Unsinn, den sie gemacht haben, auch wenn sie erst spät zum Glauben gekommen sind oder wenig geleistet haben. Das ist Gnade Gottes.
Wir haben ein Problem, wenn wir auf Gerechtigkeit pochen. Denn wenn wir sagen: „Gott, du musst gerecht sein und mir das geben, was ich verdient habe,“ dann ist das gefährlich. Denn wenn Gott uns das tatsächlich geben würde, hieße das ewige Verdammnis, ewige Trennung von Gott – auch für jeden von uns.
Ich habe euch schon einmal darauf hingewiesen, dass wir nicht mit dem Himmel belohnt werden für das Gute, das wir getan haben. Gott sagt: Das ist selbstverständlich. So wie bei der roten Ampel: Es ist selbstverständlich, dass wir bei Rot anhalten. Dafür gibt es keine Belohnung. Nicht jedes Mal, wenn du bei Rot anhältst, bekommst du einen Euro.
Wir werden vor Gott für das Böse verurteilt, und das müssen wir zugeben. Für Gott gibt es immer die Strafe – nämlich die ewige Trennung. Deshalb ist das Beharren auf Gerechtigkeit und das Gefühl, dass andere zu wenig tun und ich zu wenig belohnt werde, eigentlich irrational und falsch. Denn auch wir haben Gnade bekommen, der andere vielleicht etwas mehr.
Manchmal ist der andere sogar dankbarer, wenn er merkt, was Gott ihm geschenkt hat. Wir kennen das: „Dem ist viel vergeben worden, der liebt auch viel.“ Im Grunde genommen sind wir alle von der Gnade abhängig.
Deshalb braucht es eine innere Umstellung, dass wir erkennen, wie im 2. Korinther 5,17 steht: „Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Kreatur geworden.“
Neue Perspektiven durch die neue Schöpfung in Christus
2. Korinther 5,17: Ihr kennt wahrscheinlich den Vers, aber ich lese ihn trotzdem mal vor: „Denn wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, alles ist neu geworden.“
Jetzt fragt ihr euch vielleicht: Was hat das mit unserem Text zu tun? Es hat damit zu tun, dass sich unsere Bewertungsmaßstäbe verändern sollten, wenn wir Christen werden. Das normale Denken, wie es oft bei Kindern zu beobachten ist – zum Beispiel: „Das ist ungerecht!“ – sollte abgelegt werden. Denn wir denken und handeln nach anderen Maßstäben.
Wir sollten nicht mehr für alles, was wir tun, für jede Kleinigkeit in der Gemeinde oder für jede Spende, ob klein oder groß, eine Rechnung aufmachen und sagen: „Gott, das tue ich, aber dafür erwarte ich jetzt auch, dass du mich besonders segnest oder mir im Himmel Punkte gutschreibst.“ Paulus erwähnt im 2. Korinther 5, dass wir für das Gute, das wir tun, belohnt werden. Jesus spricht hier auch davon, dass wir uns Schätze im Himmel sammeln sollen. Das ist sozusagen die Motivation für die Übergangsphase: Wenn jemand noch nicht ganz ohne den Gedanken an eine Belohnung auskommt, dann motiviere er sich so und arbeite dafür!
Die nächste Stufe sollte aber sein, dass ich erkenne: Es ist gut für mich, wenn ich das tue. Oder ich bin dankbar, dass Jesus mich durch Gnade errettet hat – selbst wenn andere noch mehr Gnade erhalten haben. Solche Motivationen sollten dann eine Rolle spielen, damit ich innerlich wirklich neu werde und anders denke als Menschen um mich herum, die nur versuchen, für das, was sie getan haben, eine angemessene Belohnung zu erhalten.
Manchmal betrifft dieser Gedanke nicht nur den Blick auf Ungläubige. Er kann auch unser Verhalten beeinflussen, zum Beispiel beim Spenden. Gestern sprachen wir in unserer Gesprächsrunde über den Zehnten in der Gemeinde. Das will ich jetzt nicht wiederholen, aber manchmal schleicht sich der Gedanke ein: „Ich gebe Geld nicht aus Liebe zu Jesus, sondern damit ich an anderer Stelle von Gott dasselbe Geld oder sogar mehr zurückbekomme.“
Es gibt sogar Predigten, die genau das zu berechnen versuchen. Meistens beziehen sie sich auf Maleachi und sagen: „Bringt den Zehnten, dann werde ich die Schleusen des Himmels öffnen.“ Manche Christen rechnen hier richtig aus. Das ist keine Liebe zu Jesus, sondern eher wie bei einer Bank mit Zinsen: „Ich gebe das, damit ich später mehr zurückbekomme.“ Das ist im Grunde ein egoistischer Gedanke und geistlich falsch.
Außerdem ist das Versprechen Gottes erstens aus dem Alten Testament, zweitens für das Volk Israel gedacht. Der Zehnte gilt im Neuen Testament nicht in dieser Weise für uns. Und es steht auch nicht genau da, worin der Segen besteht. Wenn du also denkst, du bekommst das Geld doppelt oder dreifach zurück, kann das passieren, muss aber nicht. Es kann auch sein, dass Gott dir Erkenntnisse schenkt, die du gar nicht erwartet hast. Vielleicht wolltest du dir ein neues Auto kaufen, aber Gott gibt dir etwas anderes, das du nicht unbedingt wolltest.
Gott antwortet, wenn wir bereit sind, uns für ihn einzusetzen, und segnet uns. Aber nicht unbedingt so, wie wir es vorher planen. Hier zeigt sich, wie menschliches Denken Einzug halten kann: „Ich tue etwas, und jetzt muss der angemessene Lohn kommen.“ Genau wie bei den Arbeitern, die sagen: „Wenn der andere etwas bekommt, dann muss ich noch mehr bekommen.“
Das kann auch in einem geistlicheren Bereich so sein. Ihr kennt vielleicht einige der zahllosen Rezepte für Erweckung. Dort wird oft gesagt: „Wenn wir das und das tun, dann muss zwangsläufig Erweckung kommen.“ Ganz so deutlich wird das vielleicht nicht gesagt, aber es heißt: „Wir beten zu wenig. Wenn wir uns jetzt regelmäßig jede Woche zum Gebet treffen, dann kommt die Erweckung.“ Gerne könnt ihr als Gemeinde beten, denn Gebet ist immer gut. Aber in der Bibel steht nirgends, dass nach einem halben Jahr täglichen Gebets automatisch Erweckung ausbricht.
Gebet ist gut und soll getan werden, aber es gibt in der Bibel keine magische Komponente, keine Art Zauberei, bei der du einen Zaubertrank mischst oder einen magischen Spruch sprichst, und dann müssen die Geister so reagieren, wie du es willst. So ist Gott nicht.
Du kannst dein Leben lang beten, aber wenn Gott sagt: „Nein, jetzt will ich keine Erweckung schicken“, dann kommt keine. Gott hört uns, das wissen wir, und er ist ein liebevoller Vater. Deshalb antwortet er auf das, was für uns wirklich gut ist. Aber es gibt keinen Automatismus, mit dem wir Gott unter Druck setzen könnten.
Ich erinnere mich an eine Gemeinde, in der ich einen Vortrag über erhörtes Gebet hörte. Dort wurde genau erklärt, mit welchen Formeln man beten muss und dass man innerlich stark visualisieren soll, was man bittet, damit es auch passiert. Steht das so in der Bibel? Nein, eigentlich nicht. Sogar Menschen ohne Glauben können zu Jesus kommen und trotzdem geheilt werden.
Natürlich heißt das nicht, dass wir ständig von Zweifeln zerfressen werden sollen. Aber es gibt eben nicht diesen Automatismus, dass bei einer bestimmten Leistung – sei es Gebet, Spende oder Mitarbeit in der Gemeinde – der angemessene Lohn herauskommt.
Wer so denkt, gerät früher oder später in eine geistliche Krise. Er merkt, dass die Resonanz in der Gemeinde nicht so ist, wie er es sich vorstellt. Die Leute liegen nicht auf Knien vor ihm und sagen dankbar: „Oh, wie toll hast du das gemacht!“ Auch materiell oder geistlich bekommt man nicht immer den erwarteten Nutzen.
Dabei sind viele schon geistlich gesegnet, wenn sie zum Beispiel sagen: „Wir haben heute Fitness gemacht, etwas für unseren Körper getan und den Wein angebaut, damit er gut wächst.“ Sie haben nicht nur aufs Ergebnis geschaut, sondern auf den Prozess. So kann es auch sein, dass ich in der Gemeinde arbeite und denke: „Wo ist meine Anerkennung, mein Lohn, mein Podest?“ Wenn das nicht da ist, bin ich frustriert.
Stattdessen sollte ich darauf achten, dass ich durch das Vorbereiten der Jugendstunde oder die Gemeinschaft beim Bau selbst bereichert wurde – durch Austausch, körperliche Tätigkeit oder ähnliches. Auch das ist schon ein Denken nach Belohnung. Selbst wenn das alles nicht wäre, könnte ich sagen: „Aus Liebe zu Jesus habe ich das getan – egal, ob ich einen Lohn bekomme oder nicht.“
Wer so stark auf Lohn und Anerkennung schaut, wird früher oder später frustriert sein. Wir müssen sehen: Trotz allem, was wir tun, ist Gott souverän in seinem Handeln. Manchmal führt er Leute weg, von denen wir denken: „Ich könnte das doch viel besser machen.“
Vielleicht fragen manche: Warum wurde Billy Graham der bekannteste Evangelist des 20. Jahrhunderts? Ich hätte das doch besser machen können. Billy Graham war erst einmal ein ganz normaler Gemeindeprediger. Gott hat ihn gesegnet und gebraucht. Darüber sollten wir uns freuen, auch wenn nicht jeder so berufen ist.
Wer auf eine Abmachung mit Gott pocht, bekommt höchstens das, was in der Abmachung steht. Wer dagegen auf die Gnade Gottes vertraut – wie es hier oft der Fall ist –, bekommt häufig mehr, als er erwartet oder einfordert.
Manchmal erleben wir das auch bei Vorbereitungen für Jugendstunden, Predigten, Gottesdienste oder Ähnliches. Vielleicht kennt ihr solche Erfahrungen: Du bist perfekt vorbereitet und denkst: „Jetzt wird die Erweckung ausbrechen, die Leute werden ihr Leben verändern.“ Dann hältst du deine Stunde, und die Leute sind nicht so beeindruckt. Es läuft zwar, wie du es dir vorgestellt hast, aber die Erweckung bleibt aus. Hinterher bist du frustriert.
Das liegt oft daran, dass wir zu sehr auf uns, unsere Fähigkeiten und unseren Aufbau setzen. Ich kenne auch die umgekehrte Erfahrung: Du hattest keine Zeit zur Vorbereitung, betest vor dem Hauskreis noch intensiv im Auto und merkst dann, dass der Text die Menschen tief trifft und etwas geschieht.
Solche Erfahrungen gibt es in vielen Variationen. Das ist keine Entschuldigung für schlampige Vorbereitung! Ich sage ganz deutlich: Das heißt es nicht. Aber es kann sein, dass wir trotz aller Bemühungen und trotz innerer Schwäche von Gott gebraucht werden.
Wir haben schon gehört: Gott ist in den Schwachen mächtig. Das bedeutet nicht, dass Gott nicht auch durch gut vorbereitete Arbeit wirkt. Aber ich möchte diese Erfahrung betonen, um zu zeigen: Gott ist souverän und will verherrlicht werden. Nicht wir sollen im Mittelpunkt stehen.
Petrus auf dem Wasser: Mut, Schwäche und geistliche Lektionen
Es ist, finde ich, auch interessant, die Aussagen in Matthäus 25 zu betrachten. Dort gibt es das große Völkergericht – oder besser gesagt, es sind die Menschen, die aufgrund ihrer Taten beurteilt werden. Ich möchte aus Matthäus 25 nur einen Vers lesen, und zwar Vers 34.
Matthäus 25, Vers 34: Der Menschensohn kommt, dann werden alle vor Jesus geführt und beurteilt. Ab Vers 34 sagt der König zu denen zu seiner Rechten: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, und erbt das Reich, das euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt. Denn ich war hungrig, und ihr habt mich gespeist; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt; ich war ohne Kleidung, und ihr habt mich bekleidet; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war gefangen, und ihr seid zu mir gekommen.“
Dann antworten die Gerechten und sagen: „Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und gespeist oder durstig und dir zu trinken gegeben? Wann haben wir das getan?“ Das Ganze geht noch weiter.
Der Gedanke, den ich hier interessant fand, war: Die haben gar nicht damit gerechnet. Sie haben all das getan, und Gott hat es ihnen angerechnet. Aber sie sind nicht mit einer Buchhaltung in den Himmel gekommen, um aufzulisten, wie viele Predigten sie gehalten oder wie viele Stunden sie bei der Arbeit verbracht haben. Stattdessen sagen sie sogar: „Das wissen wir ja gar nicht, wir haben doch ganz normal getan, was man halt so tut.“
Hier war keine Unzufriedenheit, sondern eine positive Überraschung. Sie sind von Gott beschenkt und überrascht worden, weil sie eben nicht auf eine solche Rechnung gesetzt haben. Die anderen hingegen, die eher sagen: „Haben wir nicht dies und das getan?“, werden zurückgestellt.
Ich glaube, das ist eher die Motivation, die wir brauchen, um uns vor geistlicher Frustration, Enttäuschung und Depression zu hüten – solche Gefühle, die in der Gemeinde und im christlichen Leben auftreten können, wenn wir zu sehr auf unsere „Rechnungen“ schauen und uns mit denen vergleichen, die weniger leisten oder später zum Glauben gekommen sind und dennoch dieselbe Anerkennung und Stellung in der Gemeinde haben.
Wir tun das, was wir tun, nicht in erster Linie, um etwas dafür zu bekommen. Vielmehr soll es so sein, dass wir es weggeben und es Gottes Sache ist, was dabei passiert. Wenn wir geistlich gewachsen sind, sollen wir sogar nicht nur daran denken, dass wir es für Jesus tun, sondern selbstlos bereit sein, Dinge für andere zu tun – selbst wenn wir dabei nicht groß abschneiden.
Zum Beispiel sagt Paulus in Philipper 2, Vers 4: „Jeder schaue nicht auf das Seine, sondern jeder auf das des Anderen.“ Hier ist aber nicht gemeint, dass man Leistungen vergleicht, um zu sagen: „Der ist ja schlechter dran.“ Nein, es soll heißen: Schau nicht nur darauf, welchen Segen du daraus ziehst – etwa wie in Maleachi, wenn du spendest und fragst: „Was kommt jetzt für Segen auf mich?“ –, sondern schau, welchen Segen das, was du tust, für den anderen bringt.
Jetzt habe ich die Bibelstunde gehalten, und wow, die sind bestimmt von Gott gesegnet. Jetzt habe ich die Gemeinde gebaut, super, die anderen können das mitnutzen, und wir können die Versammlungen halten. Also nicht nur schauen, was es für mich bringt, sondern was es für die anderen bringt.
Denn es heißt: „Denn ihr sollt gesinnt sein, wie Christus Jesus gesinnt war. Der, als er in Gestalt Gottes war, es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein, sondern sich selbst entäußerte, die Gestalt eines Knechts annahm und Mensch wurde wie wir. In seiner äußeren Erscheinung als Mensch erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod – ja, zum Tod am Kreuz.“
Dann geht es noch ein ganzes Stück weiter. Diese Motivation soll uns gegenübergestellt werden: Jesus hat nicht damit gerechnet, irgendeine Belohnung zu bekommen, keinen Ehrenkranz oder ähnliches. Er hat nichts davon gehabt, auf der Erde zu sein – außer Schmerzen, Spott, Verfolgung und Undank.
Man könnte natürlich sagen: „Ja, das ist ja Jesus, das ist ja Gott, der muss das tun.“ Aber hier steht deutlich, dass dies eigentlich das ferne Ziel sein soll. Und wir merken schon, wenn wir ein wenig in diese Richtung umdenken, haben wir nicht mehr so schnell die Gefahr, in Entmutigung und Frustration zu fallen.
Petrus’ Mut und seine Schwächen im Sturm auf dem See
Ich möchte mit euch noch kurz einen anderen Text anschauen, den wir ebenfalls im Matthäusevangelium finden, und zwar Matthäus 14. Auf diesen Text seid ihr schon gut vorbereitet, weil ich vor ein paar Tagen ein ähnliches Thema mit euch besprochen habe.
In Matthäus 14, Vers 22 geht es ebenfalls um die Stillung eines Sturmes. Dabei gibt es aber ein paar Aspekte, die ich besonders hervorheben möchte, da sie sich von der Sturmstillung unterscheiden, die wir zuletzt angeschaut haben.
Ich lese ab Vers 22 bis zum Ende des Kapitels:
„Und sogleich nötigte Jesus seine Jünger, in das Schiff zu steigen und vor ihm ans jenseitige Ufer zu fahren, bis er die Volksmenge entlassen hätte. Und nachdem er die Menge entlassen hat, stieg er auf den Berg, um abseits zu beten. Als es Abend geworden war, war er dort allein. Das Schiff war aber schon mitten auf dem See und litt Not von den Wellen, denn der Wind stand ihnen entgegen. Aber um die vierte Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. Und als die Jünger ihn auf dem See gehen sahen, erschraken sie und sprachen: ‚Es ist ein Gespenst!‘ und schrien vor Furcht. Jesus aber redete sogleich mit ihnen und sprach: ‚Seid getrost, ich bin’s, fürchtet euch nicht!‘ Petrus aber antwortete ihm und sprach: ‚Herr, wenn du es bist, so befiehl mir, zu dir auf das Wasser zu kommen.‘ Da sprach er: ‚Komm!‘ und Petrus stieg aus dem Schiff und ging auf dem Wasser, um zu Jesus zu kommen. Als er aber den starken Wind sah, fürchtete er sich, und er fing an zu sinken und schrie: ‚Herr, rette mich!‘ Jesus aber streckte sogleich die Hand aus, ergriff ihn und sprach zu ihm: ‚Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?‘ Und als sie in das Schiff stiegen, legte sich der Wind. Da warfen sich die, die im Schiff waren, anbetend vor ihm nieder und sprachen: ‚Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn.‘ Und sie fuhren hinüber und kamen in das Land Genezaret.“
Vielleicht hören wir bis hierher auf.
Wir sehen hier wieder eine ähnliche Situation: ein Sturm, wie er für die Fischer auf dem See Genezareth normal war. Ich habe bereits erwähnt, warum es dort häufig plötzliche Stürme gab – wegen des großen Höhenunterschieds und des daraus resultierenden Temperaturunterschieds in der Luft. Das ist hier aber nicht so wichtig.
Ähnlich ist, dass Jesus kommt, um den Sturm zu stillen. Dahinter steckt derselbe Gedanke: Wenn ich Jesus als Gott sehe, müsste ich eigentlich keine Angst haben. Wären die Jünger Jesus immer als Gott im Kopf gewesen, hätten sie auch hier keine Todesangst gehabt. Zwar befindet sich Jesus nicht bei ihnen – das war in der ersten Sturmstillung noch verschärfend. Dort war Jesus sogar direkt bei ihnen, sodass sie weniger Angst haben müssten.
Jetzt kommt Jesus dazu und gibt ihnen gewissermaßen die nächste Lehrstufe: Er ist weiter entfernt. Sie sehen ihn nicht direkt und können ihn nicht anfassen – ähnlich wie wir heute, wo wir Jesus nicht direkt sehen oder von Mann zu Mann mit ihm sprechen können, sondern er für uns unsichtbar ist.
Doch auch jetzt sind sie wieder in derselben Problematik. Wieder denken sie nicht daran, dass Jesus eigentlich Gott ist, allwissend und sich bewusst, dass sie in Seenot sind. Selbst wenn er nicht bei ihnen ist, könnte er doch eingreifen. Wir lesen auch nicht, dass sie sich an Gott gewandt haben, um den Sturm zu bitten, aufzuhören. Stattdessen fürchten sie sich einfach und kämpfen mit Wind und Wellen. Das ist wahrscheinlich das ganz normale menschliche Verhalten. Man sieht, dass sie aus der ersten Erfahrung noch nicht viel gelernt haben.
Die besondere Situation bei diesem Ereignis ist das, was Petrus tut. Zum ersten Mal müssen wir sagen, dass Petrus hier ziemlich vorbildlich ist. Ich wäre wahrscheinlich erst einmal im Boot sitzen geblieben und hätte gedacht: „Okay, warten wir, bis Jesus den Sturm stillt, dann fahren wir zurück.“ Aber Petrus ist richtig mutig und bereit, sich voll einzusetzen. Das ist eine Stärke seines Charakters, die wir auch an späteren Stellen wiederfinden.
Zum Beispiel lesen wir in Matthäus 26, Vers 33: Dort sagt er, wenn alle Jesus verlassen, werde er bei ihm bleiben. Jesus muss ihm dann wieder eine Lektion erteilen. Petrus hat die Stärke, sofort bereit zu sein. So jemanden bräuchte man auch in der Gemeinde. Wer geht auf die Straße zur Evangelisation? Ich gehe sofort, ich bekehre alle in der Stadt, und sie werden umkehren! Oder: „Wir wollen eine Jugendscharstunde starten, wer macht mit?“ So ähnlich wäre Petrus: immer Feuer und Flamme, sofort dabei, mit viel Glauben.
Hier zeigt sich das daran, dass er auf das Wasser hinausgeht, ohne lange zu überlegen. Er ist sofort dabei. Doch wir merken auch, dass im geistlichen Leben Frustration und Probleme durch unsere Stärken ausgelöst werden können. Seine Einsatzbereitschaft und Sofortentschlusskraft sind eigentlich Stärken, die oft Männer und Frauen auszeichnen, die Gemeinden voranbringen und Neues initiieren können. Aber genau darin liegt auch die Schwäche, so auch bei Petrus.
Übrigens hat Petrus diese Lektion auch später nicht ganz gelernt. Ähnlich ist das Ereignis, das Paulus in Galater 2 beschreibt. Dort ist Petrus in Antiochien und freut sich, dass Gott die Heiden ebenfalls erwählt und gerettet hat. Er isst und trinkt mit ihnen. Doch als Leute aus Jerusalem kommen, beginnt er zu überlegen: „War das vielleicht zu schnell? Die Heiden halten sich nicht an die Speisegebote.“ Plötzlich zieht er sich zurück und tut so, als sei es falsch, mit Heidenchristen Gemeinschaft zu haben. Paulus muss ihn korrigieren.
Das ist typisch Petrus: wenig überlegen, gleich losstürmen in Begeisterung für Jesus. Das ist erst einmal gut. Solche Leute braucht man in der Gemeinde.
Wenn ihr eine andere Stärke habt, zum Beispiel, dass ihr eher überlegt und nicht sofort handelt, ist das auch eine Stärke. Es gibt aber auch Menschen, die so lange überlegen, dass sie gar nichts tun, weil sie immer Schwierigkeiten finden. Das Problem wird den Deutschen oft nachgesagt – sie sind die typischen Bedenkenträger.
Wenn ihr in einem internationalen Team seid, etwa in der Mission, sind meistens eher die Amerikaner die, die vorangehen: „Wir machen eine Vision, und wenn sie nicht klappt, machen wir die nächste.“ Sie achten nicht so sehr auf mögliche Probleme. Die Deutschen hingegen sagen sofort: „Das könnte schiefgehen, das klappt nicht, das können wir nicht machen.“ Das ist manchmal ein Problem, aber auch eine Hilfe. Wenn beide zusammenarbeiten, ergänzen sie sich gut.
Der Deutsche denkt sich neue Ideen aus, der Amerikaner bremst manchmal, aber beide helfen sich gegenseitig. Der Deutsche sorgt dafür, dass unausgegorene Ideen nicht durchkommen, der Amerikaner sorgt dafür, dass der Deutsche überhaupt in Gang kommt.
Das spiegelt sich auch im Staatswesen wider. In Deutschland ist fast alles geregelt und überdacht. Es könnte ja mal etwas passieren, deshalb braucht man ein Gesetz. Ich habe mit einem Bekannten gesprochen, der wollte einfach so ein Seil über einen Fluss spannen. Dafür braucht man eine Genehmigung, ebenso für ein Floß. Fast nichts ist in Deutschland erlaubt, ohne Genehmigung.
Das ist eine Stärke: Deutsche können organisieren, Gesetze machen und Probleme durchdenken. Aber es kann auch Schwierigkeiten verursachen.
Petrus hat andere Stärken: Er ist begeistert und fasziniert, stürmt voran, hat aber auch dadurch Schwächen. Manche Frustrationen im geistlichen Leben entstehen durch unsere Stärken. Es sind nicht nur unsere Schwächen, die wir meist kennen, sondern auch die Stärken, die dazu führen, dass wir uns von Jesus lösen. Wir denken: „Ich kann das, ich weiß, wie das läuft, ich kann logisch denken, gut planen, ich bin dynamisch, ich ziehe das durch.“ Dann ziehen wir es alleine durch und fallen auf die Nase – wie Petrus.
Er ist erst begeistert für Jesus, und Jesus kritisiert das nicht, was positiv ist. Doch Petrus verlässt sich auf seinen Überschwang, seine Stärke und Sichtweise. Dann geht er hinaus, sieht den Wind und die Wellen und beginnt zu zweifeln. Er hätte im Vertrauen bleiben sollen, aber er schaut auf die Umstände statt auf Jesus.
Warum? Vermutlich ist er unüberlegt rausgegangen, nicht im Vertrauen auf Jesus, sondern stürmisch und unüberlegt. Das ist seine Stärke, aber auch eine Gefahr. Manchmal begeben wir uns leichtfertig in Gefahren, die nicht nötig sind.
Jesus fordert Petrus ja nicht einmal auf, aus dem Wasser zu steigen. Es ist keine Voraussetzung für den Glauben. Es bringt geistlich niemanden weiter, wenn er auf dem Wasser geht. Es geht nur darum, Jesu Nähe und Macht zu erfahren. Das ist nicht schlecht, aber es kommt auf die Motivation an.
Manchmal begeben wir uns als Christen in Gefahren, in die wir nicht hineingehen sollen, und die unserem Glauben schaden. Zum Beispiel will jemand einem Evolutionisten beweisen, dass er Unrecht hat, liest aber zuerst nur Literatur von Evolutionisten. Je mehr er liest, desto mehr wird er überzeugt, dass sie Recht haben, und gerät in eine Glaubenskrise.
Das passiert, wenn wir uns zu stark fühlen und selbständig Glaubensbeweise suchen. Ich habe das bei Theologiestudenten erlebt, die fest im Glauben standen und glaubten, den Professor bekehren zu können. Am Ende haben sie sich selbst vom Glauben abgewandt. Einer schrieb seine Seminararbeit mit dem Titel „Mein Ausstieg aus dem Fundamentalismus“, womit er seinen Abschied vom Glauben meinte.
Manche nehmen es zu leicht, ähnlich wie Petrus: „Lass uns losgehen, wir schaffen das, wir stehen im Glauben.“ Aber es gibt einen geistlichen Kampf. Wenn wir uns nicht vorbereiten, können wir geistlich scheitern.
Manche sagen: „Ich rede nicht mehr mit Ungläubigen.“ Das geht aber nicht, denn es ist unser Auftrag, mit ihnen zu reden. Aber wir sollten uns nicht leichtfertig in Versuchungen und Probleme stürzen.
Manche Jugendliche meinen, sie müssten sich den Leuten anpassen, um zu missionieren: sie trinken, rauchen, tanzen mit ihnen. Am Ende leiden sie selbst, und die Leute merken nicht mehr, warum sie Christen werden sollten. Das ist leichtfertig und schadet dem Glauben.
Dann kann schnell Depression und Frustration entstehen, weil wir Gottes Wirken nicht mehr sehen. Das liegt daran, dass es nicht im Auftrag Jesu war und nicht aus seiner Kraft geschah, sondern aus Intuition und Gefühl.
Die Bibel weist uns immer wieder darauf hin, dass es im Glauben nicht in erster Linie auf Gefühle ankommt, sondern auf Tatsachen. Zum Beispiel lesen wir in 1. Petrus 2, Vers 24:
„Er hat unsere Sünden selbst an seinem Leib getragen auf das Holz, damit wir den Sünden gestorben und der Gerechtigkeit leben würden. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.“
Hier wird nicht auf Gefühle oder Überschwang Wert gelegt, sondern auf eine Tatsache. Wir können dann auch sagen: „Ich weiß, an wen ich glaube.“ Feste Glaubensüberzeugung muss die Grundlage sein.
Oder Johannes 8,31 und folgende: „Die Wahrheit wird euch freimachen.“ Jesus ist die Wahrheit. Es kommt also auf Fakten, Grundlagen, Wissen und Überzeugung als Basis des Handelns an, nicht so sehr auf Gefühle.
Wir sollen nicht in alte Probleme zurückfallen. Das Problem, das Petrus hier hatte, ist typisch: Er überwindet in dem Moment die Angst und Gefahr, doch dann denkt er zurück. Manche Christen haben Probleme des Glaubens, die sie längst überwunden glaubten, plötzlich wieder im Kopf. Der Teufel bringt Zweifel und Ängste zurück.
So bleiben sie immer an derselben Stelle hängen, etwa bei Zweifeln, mangelnder Disziplin im Gebet oder Angst vor Menschen. Dann führt Gott sie ein Stück weiter, sie merken, es klappt, und dann kommt die nächste Situation, und sie gehen wieder zurück.
Statt zu lernen und weiterzugehen, wie Petrus es hätte tun können: „Jetzt habe ich gelernt, Gott hat Macht, Jesus hat Macht über das Wasser, er hat es ja schon einmal stillgestellt, ich kann auf dem Wasser stehen, Jesus kommt zurück.“ Doch der Zweifel kommt, und Petrus sinkt.
Was wir hier am Ende sehen, ist, dass Gott trotz allem Zweifel und Kleinglauben gnädig ist. Das ist gut, denn wir sehen immer wieder, dass Gott nicht sagt: „Du bist durchgefallen.“ Auch wenn Petrus zum zweiten Mal erlebt, dass Jesus den Sturm stillt und er es noch nicht ganz begriffen hat, hat Gott Geduld und nimmt uns immer wieder in seine Hand und führt uns weiter.
Aber wir sollten das nicht als Entschuldigung nehmen, immer stehenzubleiben, sondern versuchen, voranzugehen.
Zusammenfassung und Ermutigung für den Glaubensweg
Wir haben heute Morgen zwei Texte behandelt. Der erste war das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Dabei haben wir erkannt, dass es keine Entschuldigung ist, möglichst lange mit der Umkehr zu warten. Vielmehr ist das Gleichnis eine Lektion für diejenigen, die mit Gott genau rechnen wollen: Was bekomme ich für das, was ich für dich getan habe? Oder muss derjenige, der weniger tut und später zum Glauben kommt, schlechter dastehen?
Es ist falsch, von der Gemeinde, von Gott oder vom Segen Gottes Anerkennung zu erwarten. Das Gleichnis zeigt uns, dass diese Motivation nicht richtig ist. Wenn wir ständig Vergleiche mit anderen anstellen, werden wir irgendwann frustriert und unzufrieden. Wir werden missgünstig, wenn wir sehen, dass andere gesegnet sind, obwohl wir vielleicht mehr getan haben. Es kann durchaus sein, dass wir mehr getan haben, aber Gottes Denken und Prinzipien sind anders.
In einem ersten Schritt sollten wir einfach darauf schauen, was Jesus uns versprochen hat. Wenn der andere mehr bekommt, ist das nicht unsere Angelegenheit. Im nächsten Schritt sollen wir so gesinnt sein, wie Jesus es war. Wir haben gelesen, dass er nicht auf das Seine schaute, sondern sich vielmehr mitfreute, dass es dem anderen gut geht, weil Gott ihn segnet. Dabei soll man nicht darauf achten, was einem selbst dadurch möglicherweise verloren geht.
Dann haben wir die Geschichte von Petrus auf dem Wasser betrachtet. Hier zeigt sich wieder, dass Jesus Gott ist, aber Petrus das noch nicht vollständig verstanden hat. Deshalb gerät er in Angst. An der äußeren Situation ändert sich nichts, aber plötzlich schaut er nicht mehr auf Jesus, sondern auf die Probleme und Schwierigkeiten, die vorher genauso da waren.
Wir sehen, dass unsere charakterlichen Stärken oft zugleich auch Schwächen sind. Bei Petrus war das sein Überschwang. Bei anderen kann es Trägheit sein, die ebenfalls eine Stärke sein kann. Manche Menschen, die sehr unter Stress stehen, lassen sich kaum stressen, weil sie so träge sind. Sie kommen erst langsam in Fahrt. Ebenso kann Melancholie vorteilhaft sein, weil melancholische Menschen sehr schnell mitfühlen können. Empathie habe ich ja schon erwähnt. Allerdings hat sie auch Schwächen, denn solche Menschen geraten leichter in Depressionen und Schwierigkeiten.
So sind oft unsere Stärken auch unsere Schwächen. Wir sollen uns über sie freuen, aber sie in Grenzen halten. Das muss auch Petrus lernen. Wir sollen uns nicht, wie Petrus, in Gefahr begeben, wenn Jesus es eigentlich nicht will, denn dann können wir Schaden nehmen. Ich habe Beispiele genannt, wie etwa die Bibelkritik oder das endlose Fernsehen, bei dem wir meinen, es sei nicht schlimm und alles sei gut. Im Glauben merken wir erst mit der Zeit, dass uns das schadet. Auch hier könnten wir weitere Beispiele nennen.
Petrus ist ein Vorbild für Aktivität. Wir sollen uns aber nicht nur an unseren Gefühlen festhalten, so wie es Petrus mit seiner Angst tat. Stattdessen sollen wir auf die Fakten schauen, die sich auf Dauer nicht verändern. Trotz allem, selbst wenn wir einmal kleingläubig sind, geht Jesus uns nach und hilft uns, selbst dann, wenn wir es eigentlich gar nicht verdienen.
Ich bete gerne mit euch: Herr Jesus, vielen Dank, dass wir in der Bibel so viele Lektionen von Menschen finden, die nicht vollkommen gelebt haben, sondern Fehler gemacht haben. An ihnen willst du uns zeigen, welche Fehler wir vermeiden können. Ich möchte dich bitten, gerade für die Situation, in der jeder von uns steht oder stehen wird, wenn wir wieder zurück an den Arbeitsplatz, in die Familie und in unsere gewohnte Umgebung kommen, uns die richtige Perspektive zu schenken.
Hilf uns, zu erkennen, was unseren Einsatz und unsere Arbeit für dich betrifft. Ich bitte dich, uns von deiner Selbstlosigkeit und der Liebe zu anderen zu geben, die du hattest, ohne darauf zu schauen, was es dir bringt, was du getan hast. Ich bitte dich auch, dass wir von dir Segen empfangen, selbst dort, wo wir ihn nicht verdienen, und dass wir in unserem Leben erfahren und spüren, dass du ein liebender Herr bist, der nicht nur gerecht richtet, sondern uns mehr gibt, als wir verdienen.
Ich bitte dich, uns in der Lage zu halten, uns an Petrus zu erinnern, wenn wir es brauchen. Zeige uns, wo unsere Stärken und Schwächen sind, wo wir Grenzen setzen müssen und wo du unsere Gaben einsetzen möchtest. Bewahre uns davor, eigenmächtig Dinge anzufangen, die schiefgehen und uns frustrieren. Hilf uns, nicht nur auf unsere Gefühle zu schauen, die uns von dir wegziehen, sondern auf die Fakten, die du uns in der Bibel eindeutig gegeben hast.
An dieser Stelle möchte ich dir auch danken, dass du uns nicht loslässt, egal wo wir stehen, was wir schaffen können und wie wir im Glauben vorankommen. Du gehst uns nach, liebst uns und möchtest uns gebrauchen. Danke dafür. Amen.