Einführung in das hohe priesterliche Gebet
Herr, wir wollen dich erkennen. Du bist der Sohn des Vaters, und das soll das Thema heute Abend sein. Du gibst uns volle Klarheit über dein Geheimnis, das wie ein Lichtstrahl in unsere Welt durch dich kommt. Wir wollen dich immer tiefer erkennen und begreifen. Amen.
Im Jahr 1996 gab es eine Reihenpredigt über das hohepriesterliche Gebet. Der Ausdruck wurde im siebzehnten Jahrhundert von einem Rostocker Theologen erstmals für dieses Gebet Jesu verwendet. Es steht in Johannes 17,1-8. Heute werden wir uns damit beschäftigen. In den nächsten Bibelstunden werden wir weiter darauf eingehen.
Es gab Menschen, die täglich dieses hohepriesterliche Gebet beteten, weil sie es als den Höhepunkt aller Offenbarung und aller Erkenntnis betrachteten. Wir hatten ja schon die Abschiedsreden Jesu, ein Testament, das wir in Johannes 14 bis 16 finden. Nun, bevor die Leidensgeschichte im Johannesevangelium beginnt, folgt dieses hohepriesterliche Gebet.
Es ist Ihnen sicherlich nicht fremd, dass sich viele Theologen selbst den Zugang zu diesem Bibelwort verbauen, indem sie behaupten – und das tun sie an jeder Stelle, wo es ihnen gerade beliebt –, dass es nur die Gemeinde erfunden habe und nicht von Jesus stamme. Bis heute gibt es jedoch keinen überzeugenden Nachweis, der auch nur ein Wort als nicht von Jesus stammend belegen könnte.
Mit keinem wissenschaftlichen Mittel und keiner überzeugenden Theorie lässt sich diese Behauptung untermauern. Es gibt keinen Grund zu sagen, das könne nicht von Jesus sein. Im Gegenteil: Jesus hat davon gesprochen, dass der Heilige Geist kommen werde, der an die Worte erinnern wird, die er geredet hat. Dieses Gebet ist so tief und bedeutsam, dass man ein Leben lang anbetend davor stehen kann.
Das Gebet Jesu im Johannesevangelium (Johannes 17,1-8)
Wir lesen jetzt die Verse eins bis acht. So redete Jesus. Das ist schon eine kühne Sache, wenn jemand einfach sagt: „Das ist nicht wahr.“ Doch so redete nur Jesus. Das kann kein Mensch so sagen.
Er hob seine Augen zum Himmel und sprach: „Vater.“ Es hat noch nie ein Mensch zu Gott „Vater“ sagen können, ohne dass Jesus ihm durch seinen Heiligen Geist die Augen dafür geöffnet hat.
„Vater, die Stunde ist da. Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche. Denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er allen, die du ihm gegeben hast, das ewige Leben gebe.
Das aber ist das ewige Leben, dass sie dich erkennen, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus.
Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.
Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.
Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt.
Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin. Und sie glauben, dass du mich gesandt hast.“
Die Realität des Lebens und die Bedeutung des Glaubens
Als wir von unserer Reise aus Frankreich und Belgien zurückkamen, bemerkten wir an einer Tür unseres Hauses zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen eine Versiegelung. Wieder war unter den wenigen Bewohnern jemand tot aufgefunden worden. Jemand äußerte dann frech: „Wer ist der Dritte in eurem Haus?“
Es ist jedoch erschütternd, wenn man so etwas plötzlich sieht. Man kommt fröhlich zurück und wird mit der Realität konfrontiert. Über uns lebte eine Erzieherin im Alter von 29 Jahren, die sehr zurückgezogen war. Ebenso gab es einen Mann, der oft zu unserem Gottesdienst kam, aber ein sehr kranker, nervenkranker und geplagter Mensch war, der sich ebenfalls stark zurückgezogen hatte.
Wenn man das Elend sieht, fragt man sich: Was ist das Elend unseres Lebens? Wenn ein Mensch in die Verwesung übergeht – ich erlebe das oft bei Beerdigungen – wird das besonders deutlich. Heute kann man den Sarg nicht mehr einfach in die Halle schieben. Was ist eigentlich unser Leben?
Mir wird dabei immer sehr bewusst, wie kurz unsere Lebenszeit ist. Wir schmücken sie mit vielen Erlebnissen, machen uns schön und reden groß davon. Doch was ist der Mensch? Staub und Asche. Oft erlebt man es, dass jemand nicht einmal eine Bestattung wünscht, sondern in der Nordsee verstreut werden will, in seiner Asche.
Was ist der Mensch mit seinem Leben? Das Einzige, was aufleuchtet, ist das, was uns Christus zeigt. Am ganzen Christentum ist nichts dran, keine Herrlichkeit von Kirchenmacht oder Organisation. Warum schieben wir das immer vor? Davon hat Jesus nie gesprochen.
Sicher brauchen wir solche Dinge, auch gewisse Gefäße, aber sie sind so unwichtig, dass wir nicht darüber sprechen wollen. Wir wollen sie richtig gebrauchen. Ich selbst, der im Dienst bin, möchte das ebenfalls recht tun. Doch das Entscheidende, worüber wir sprechen, ist, ob Christus in unser Leben hineinleuchten kann.
Und das ist jetzt so wichtig: Christus zeigt uns hier etwas. Er zeigt es uns in der innersten Zwiesprache, die er mit dem Vater hat.
Die Bedeutung des Gebets und der inneren Haltung
Ihnen fällt es auch schwer, öffentlich zu beten. Es gibt kaum jemanden, dem das nicht schwerfällt. Sie müssen wissen: Das Gebet fällt unter die Scham. So wenig wir uns nackt voreinander ausziehen, so schwer fällt es uns zu beten, denn das Gebet ist das Intimste, mein intimstes Verhältnis.
Nun ist es so, dass Sie keine Gebetsgemeinschaft brauchen, um die ganze Intimität abzulegen. Wir dürfen ja auch Dinge in unserem Privatleben für uns behalten. Aber das Gebet ist etwas Großes. Darum ist mir die Gebetsgemeinschaft immer so wichtig. Wenn ich teilhaben darf, wenn andere für mich beten und ich für andere beten darf, ist das etwas Besonderes.
Wenn Jesus mit seinem Vater im Himmel redet, kommt das Innerste hervor. Gleichzeitig müssen Sie wissen: Wenn man miteinander betet, will man Mut machen. Das ist auch ein großes Vertrauenszeichen. Wir erleben das, wenn wir uns irgendwo in der Welt mit Christen treffen und miteinander beten. Dann fühlt es sich an, als ob wir uns schon lange kennen. Eine große Scheu ist weggenommen.
Ich möchte Ihnen auch Mut machen, beim Gebet dabei zu sein. Es ist immer schwierig, wenn manche das Gebet missbrauchen. Das Gebet ist keine Predigt oder eine Gelegenheit, Geschichten zu erzählen. Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott – in Bitte, Fürbitte, Dank und Anbetung.
Jesus betet, und beim Beten hebt er seine Augen auf. Die Haltung des Gebetes darf uns nicht als Verpflichtung erscheinen. Es gibt manche, die darauf schwören, bestimmte Formen einzuhalten. Mich hat beeindruckt, wie Gottfried Arnold, der Liederdichter und große Theologe, in Quedlinburg starb. Trotz seiner Schwäche wollte er von seiner Frau auf die Knie gehoben werden. Es war ihm so wichtig, vor Gott in der demütigen Haltung eines Dieners zu beten.
Wir sollten aus den Gebetsformen keine Gesetze machen. Jesus hat gerne aufgeschaut. Das war ein sicheres Zeichen, sich abzuwenden von den Dingen, die uns hier in der Welt ablenken, vom Irdischen, und den Blick zu Gott zu richten.
Wo finden wir das in der Bibel? Zum Beispiel, als Jesus den taubstummen Jungen gebracht bekam: Jesus sah auf und seufzte. Dieses Hochblicken zum Vater ist eine Gebetshaltung. Es gibt noch andere Stellen. Fehlt Ihnen gerade eine? Ich schaue nach. Bei der Speisung heißt es einmal: „Was ist das so viel?“ Und Jesus sah auf, bevor er das Brot brach und betete. Es gibt noch eine weitere Stelle.
Also, es kommt bei Jesus öfter vor, dass er aufsieht. Es muss bei ihm eine verbreitete Gebetshaltung gewesen sein, den Blick zum Vater zu richten. Für uns ist das keine örtliche Bestimmung. Ich finde, es ist eine große Hilfe, wenn man die Augen schließt und sich nicht von jedem kleinen Anlass ablenken lässt.
Die Stunde der Verherrlichung und die Not der Welt
Und er sprach: Vater. Gehen Sie noch einmal zurück zu Vers 33 des vorigen Kapitels. Wie eindrücklich hat Jesus hier die Nöte dieser Welt beschrieben: „In der Welt habt ihr Angst.“
Das ist die Situation, aus der wir alle kommen – auch an diesem Tag. Manche von Ihnen sind heute Abend in großer Bedrängnis, ihnen steht das Wasser bis zum Hals. Sie sagen: „Ich weiß nicht mehr weiter.“
Wissen Sie, was Gebet ist? Es bedeutet, wegzuschauen von der Angst und zum Vater zu kommen. Es ist wie das Heimkehren eines verlorenen Sohnes. „Vater, ich will zu dir kommen, ich komme nicht mehr weiter.“ Und dass ich zu Gott „Vater“ sagen darf, das ist so groß.
Ich habe vorhin das Programm des Kirchentags angesehen. Dort wird beim Schlussgottesdienst das Vaterunser in „Vater und Mutter“ übersetzt. Ich nenne das immer eine Sexualisierung des Glaubens, als ginge es dabei um Sex. Aber eigentlich geht es darum, an einem Ort zu sein, an dem ich mein Leben nicht selbst meistern muss.
Unser Vaterbild ist in unserer Zeit oft zerstört. Wir müssen doch nicht aus unserer kaputten Welt kommen, sondern zu dem Gott, der mich gewollt hat, der mich in diese Welt gesetzt hat, der mich bis heute in meiner Schwachheit getragen und mit seiner Liebe begleitet hat – viel mehr, als es alle irdischen Personen können.
Im Alten Testament ist es schön zu sehen, dass dort gar nicht unterschieden wird. Das Mutterbild kommt genauso immer wieder vor. Es ist eben gerade nicht sexualisiert, sondern es geht um diese überströmende Liebe, aus der ich mein Leben empfange.
So erhält Jesus vor der dunklen Nacht seiner Hinrichtung den Frieden, indem er beim Vater alles ablegt: „Vater.“ Die Gottesnähe ist da, der Frieden ist da, die Geborgenheit ist da, und das Bedrängende wird abgelegt. Das ist etwas ganz Großes.
Deshalb hat kein Mensch das Recht, uns so etwas einzureden. Es kann nur der sagen, der wirklich von Gott ist. Wir können einander nicht aus diesen Tiefen unseres irdischen Verlorenseins heraushelfen.
Die Stunde der Offenbarung und des Triumphes
Die Stunde ist da – welche Stunde? Wir erinnern uns an die Hochzeit zu Kana. Dort hat Maria, die Mutter Jesu, Jesus gedrängt und gesagt: „Mach doch etwas, es fehlt an Wein. Das Fest ist in Gefahr, es könnte scheitern.“ Doch Jesus antwortete: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“
Jesus fragte immer: „Was ist jetzt der Wille des Vaters?“ Für uns ist es sehr wichtig, diese Frage ebenfalls zu stellen: „Vater, was willst du von mir?“ Ich möchte deinen Zeitplan kennen, dein Timing. Oft sind wir ungeduldig und wollen sofort etwas haben. Doch was ist jetzt die Stunde? Die Stunde des Sieges, des Triumphs, der Offenbarung Gottes.
In der Sterbestunde, die Jesus erlebt, geht es nicht um den Triumph der Hölle, der Lüge, des Verrats oder der Verleugnung durch Menschen. Es ist bedrückend, dass Karfreitag bei uns immer mehr wie ein Volkstrauertag begangen wird, an dem man an Terrorurteile oder leidende Menschen denkt. Doch das hat nichts mit Karfreitag zu tun. Dort offenbart Gott seine Erlösung so vollkommen, dass niemand sie mehr umstoßen kann.
Jesus geht seinen ganzen Erdenweg – das wird besonders schön im Johannesevangelium deutlich. Offenbar hat Gott Johannes etwas ganz Besonderes gezeigt, sodass er das begriff, als er die Worte Jesu hörte: „Hier kommt jetzt die Stunde.“ Es ist nicht die Stunde der Finsternis. Doch an diesem Punkt muss die ganze Not dieser gefallenen Welt, ihrer Schuld und Verlorenheit, entlarvt werden. Gott überwindet sie in seiner unendlichen Liebe.
Am Ende steht fest: Gottes Liebe ist größer als alle Sünde. Gottes Rettung überwiegt sogar den schlimmsten Verrat, wie den von Petrus oder Judas. Selbst für Judas wäre bis zum Ende die Tür zur Umkehr offen gewesen.
Die Stunde ist jetzt da – die Stunde, in der klar wird, dass es eine Errettung gibt. Es gab viele große Stunden: als Jesus Tote auferweckte, Kranke heilte und hungrige Tausende speiste. Doch jetzt ist die Stunde gekommen, in der offenbart wird, wie Gott seine ganze herrliche Gottheit, seine Liebe, sein Erbarmen, seine Güte und seine Gnade vor aller Welt zeigt.
Die Verherrlichung des Sohnes und die Bedeutung der Herrlichkeit
Das ist ganz besonders schwer, wenn Menschen keinen Zugang mehr zum Wort Gottes haben. Das Wort ist doch so einfach, dass jedes Kind es verstehen kann, so wie Jesus uns daran teilhaben lässt, was das Geheimnis Jesu ist. Und Sie wissen ja, wie viele Menschen heute als Theologen über Jesus reden. Wenn das so ist, brauche ich keinen Jesus mehr, dann brauche ich auch kein Christentum mehr.
Jesus ist der, der vom Vater kommt. „Verherrliche deinen Sohn, deinen geliebten Sohn, verherrliche ihn.“ Was bedeutet eigentlich dieses Verherrlichen? Das ist ein schwieriger Ausdruck. Wir kennen es aus der Weihnachtsgeschichte: Die Herrlichkeit des Herrn erschien den Hirten, als die Engelscharen da waren. Im Alten Testament ist das schon immer so: Als Mose auf den Berg Sinai ging und wieder herunterkam, konnten die Leute sein Gesicht nicht mehr ansehen, weil es so strahlte. Was war das im Gesicht? Die Herrlichkeit Gottes spiegelte sich in ihm wider.
Paulus greift das im 2. Korintherbrief Kapitel 3 nochmals auf und sagt, dass sich in uns jetzt auch etwas spiegelt. Wer Christus erkennt, dem spiegelt sich etwas von dem Lichtglanz Gottes wider. Das ist kein äußeres Phänomen, sondern etwas Überirdisches, etwas von der kommenden Welt. Der auferstandene Christus hat schon etwas von dieser Lichtgestalt des neuen Lebens.
Deshalb wird uns vorher gesagt, dass wir im Elend des Sterbens mit dieser herrlichen neuen Lichtgestalt überkleidet werden. Wir werden Jesus gleich sein. Jesaja konnte diesen Lichtglanz nicht sehen, also im Tempel, bei der Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn. Jetzt sagt Jesus: „Lass mich verherrlicht werden!“ Wie soll das gehen? Soll da ein Lichtglanz kommen?
Interessanterweise schickt der Vater jetzt keine äußere Erscheinung, sondern die Herrlichkeit Jesu wird am Mann von Blut und Wunden offenbart. „O Haupt voll Blut und Wunden“, am zerschlagenen Marterbild Jesu, „mach du deine Herrlichkeit groß!“ Was hat dieses Bild die Menschen bewegt? Bei unserer ersten Fahrt in den Schwarzwald gab es viele Kapellen oder Feldwegkreuze, die immer groß waren. Wenn man dieses Bild sieht, hat Gott seine ganze Herrlichkeit hineingepackt.
Denn Gott braucht kein Feuerwerk aus Lichtblitzen. Dort ist seine Güte, dort ist seine Liebe fassbar – so lieb hat er mich – dort ist seine Treue, dort ist seine Wahrheit. Alles ist drin im Gekreuzigten. Und das, was in der Auferstehung sichtbar wurde, ist nur dort geschehen. Die Offenbarung ist die herrliche Gestalt Jesu. In der Herrlichkeit ist das Lamm. In Gent haben wir kurz den Altar von van Dijk angesehen. Ich wusste das gar nicht, aber es ist ein ganz berühmter Altar, eines der größten Gemälde, auf dem im Mittelpunkt, wo all die Scharen davorstehen, ein Lamm mit den Wunden gemalt ist.
Die Menschen früher, vor Jahrhunderten, wussten, was die Herrlichkeit Gottes bedeutet, indem er dargestellt werden will. Er will gefunden werden: „Herr, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche.“ Jesus hat nichts anderes im Sinn, als den Vater, Gott den Vater, großzumachen und seine Wahrheit herauszustellen.
Wo hat Jesus das getan? Bis zu den letzten Worten seines Leidenswegs. Jesus dachte gar nicht an sich selbst, nicht an seinen Durst, nicht an seine Schmerzen. „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Er wollte gehorsam sein bis zum Tod und die Erlösung vollbringen. Das Christentum steht und fällt mit der Göttlichkeit Jesu, mit der Offenbarung seines Heils in Jesus. Es steht und fällt mit der Tatsache, dass es keine andere Rettung und Erlösung gibt.
Im Christentum gibt es nichts Interessanteres. Was soll denn schön sein? Christus ist schön. Er steht in der Mitte, auf ihm ruht der Blick. Der Sohn will Gott verherrlichen, den Vater.
Im Höhepunkt menschlicher Lüge und menschlichen Hasses gibt es kaum etwas Erschütternderes als die Passionsgeschichte. Deshalb bleiben viele daran hängen und sagen, es sei eigentlich erschütternd: Die treuesten Freunde verraten Jesus, die hohen Priester hetzen das Volk auf, es wird ein falsches Urteil gesprochen, der Prozess war juristisch fragwürdig, Pilatus wird unter Druck gesetzt. Die ganze Erbärmlichkeit und das Elend eines Menschen kommen dort zum Vorschein.
Was ist das römische Recht überhaupt für ein hohes Gut gewesen? Und wie schändlich verlief der Prozess Jesu! Wie gräulich war die Hinrichtung, wie wurde Jesus bis zum Schluss gequält? In diesem Elend verherrlicht sich Gott. Für uns ist das der Triumph.
Mir ist es immer schade. Ich sage immer wieder: Am Karfreitag sollte man keine Trauermusik machen. Wir sind zwar auf dem Friedhof, aber das ist ein Triumftag, weil Gottes Liebe über die Menschenbosheit siegt und weil es eine Rettung für die Sünde gibt. Es ist ein großer Festtag für uns, ein Freudentag.
Ich weiß, dass es Leute gibt, die Jahrzehnte keine Bibel in die Hand nehmen, aber stolz sind, an Karfreitag kein Fleisch zu essen. Wir essen nicht jeden Tag Fleisch, aber ich habe kein Problem, an Karfreitag Fleisch zu essen. Mir geht es darum, dass sie die Herrlichkeit Christi an diesem Tag erkennen. Alles andere ist unwichtig.
Jesus hat Macht über alle Menschen. Der Vater hat ihm diese Macht gegeben. Interessant ist, wenn man auf Daniel zurückblickt. Ich glaube, dass sich viel mehr in der Bibel aufeinander bezieht, als man denkt. Daniel ist ein bisschen schwierig zu finden unter den Propheten, nach Hesekiel und dann Daniel.
In Daniel 7,13 ist das Bild vom Menschensohn, das für Jesus sehr wichtig war. Jesus sprach oft vom Menschensohn, wenn er sich selbst meinte. Er ist der Weltenrichter, der in den Wolken des Himmels kommt und Gericht hält über die Welt. „Ihr werdet sehen den Menschensohn kommen in den Wolken des Himmels“, heißt es in Daniel 7,13.
Jesus war vorsichtig mit dem Messias-Bekenntnis, weil das politisch sehr belastet war. Hier haben wir dieses Bild, und es heißt, dass er Macht, Ehre und Reich hat. Seine Macht ist ewig und vergeht nicht. Gott hat Jesus Macht über alle Menschen gegeben.
Am Donnerstag feiern wir Himmelfahrt. Jesus sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt, alle Macht im Himmel und auf Erden.“ Das ist der Schlüssel für unseren Glauben und auch fürs Beten. Wir wissen, Jesus hat alles in der Hand. Wir sollten viel mehr mit der Wirkung Jesu rechnen. Wir können gar nichts selbst tun, was Jesus nicht selbst tut.
Der Vater hat ihm die Macht über alle Menschen gegeben. Jetzt entsteht die Frage: Warum wirkt Jesus dann nicht mehr? Weil seine Leute ihm wenig vertrauen. Es gab immer Menschen, die mehr gebetet und mehr vertraut haben und mehr von der Macht Jesu erlebt haben.
„Du hast ihm Macht gegeben über alles Fleisch“, heißt es eigentlich im Alten Luther, über alles Kreatürliche, auch über die Schöpfung, die Planeten, die Sonne, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast. Das betonte Jesus oft.
Ich kann nur zu Jesus kommen, wenn der Vater mich dorthin gibt. Das ist ein schwieriger Gedanke. Wir hängen bei diesem Gedanken sofort auf und sagen: „Dann können wir ja gar nichts dafür.“ Das ist ein komischer Gedanke, ein Blitzableiter für uns.
Doch in der Schrift steht, dass wir das Wunder erkennen können. Warum können Menschen glauben? Ist es, weil sie besser sind? Nein, weil Gott ein großes Wunder in der Finsternis ihres Lebens getan hat. Dafür kann man nur danken. Warum der andere nicht glauben kann, kann man nicht klären.
Deshalb sollten wir uns umso mehr bemühen, anderen das Evangelium zu sagen oder für sie zu beten. Jesus sagte auch vom guten Hirten: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, der Vater zieht ihn.“ Mich hat das immer zu der Überzeugung geführt, dass viel mehr Menschen gezogen werden, als wir ahnen.
Ich war bei einer Konfirmation überrascht, wie viele Menschen, die fern von Gott leben, eine große und tiefe Sehnsucht haben, oft viel stärker als gläubige Christen. Deshalb glaube ich, dass der Vater viel mehr zieht, als wir vielleicht begreifen, und dass wir oft zu ungeschickt sind, diesem Ziehen zu folgen.
Es ist ein Wunder, dass Gott das tut. Jesus bekräftigt noch einmal sein Geheimnis: Der Vater gibt Christus Macht über Menschen, damit er ihnen das ewige Leben geben kann.
Was ist das ewige Leben? Das ewige Leben ist nicht, dass man die Todesgrenze weit hinausschiebt. Es wird mir immer schwerer, zu sehen, wie unsere moderne Medizin oft eine Qual schafft. Es ist ganz schwer, was unsere alten Menschen leiden. Unsere Frau Figow, unsere Mesnerin, hat seit Jahren nur einen Wunsch: Sie möchte sterben. Sie hat Angst, hundert Jahre alt zu werden, in ihrem Zimmer zu sitzen, liebevoll betreut, aber nichts mehr zu sehen und nirgendwo mehr dabei sein zu können.
Nicht das irdische Leben ist das Entscheidende, sondern was macht das Leben, das ewige Leben in der Ewigkeit aus? Schon heute das grenzenlose Leben, in dem ich Gott und Christus erkennen kann, weil in Christus alles in voller Reinheit da ist.
Sie wissen, was mir die Liebe meiner Frau bedeutet, aber in Christus ist die Liebe in einer noch viel größeren Weise da. In Christus ist die Geborgenheit, den Frieden, den er gibt. Nirgendwo auf der Welt gibt es so einen Frieden, wie ihn Jesus vermittelt. Das Leben in ganzer Reinheit und Vollkommenheit ist in dieser Welt schon zu fassen, wo ich Gott erkennen kann.
Das ist nichts für den Kopf, nichts für den Intellekt, sondern ein Erfahren, ein Entdecken durch das Hören seines Wortes. In der ganzen Bibel wird gesagt, dass Erkennen ein Hören des Wortes ist, ein Glauben des Wortes. Wenn ich glaube, darf ich erkennen.
Das hat nichts mit einem intellektuellen Akt zu tun. Es ist ein Glaubensschritt, den ich gehe. Jetzt redet man wie ein Blinder von der Farbe oder erkennt sie selbst – das ist Leben.
Wie wunderbar, wenn jemand zum Glauben durchbricht, die Geborgenheit Gottes hat, Vergebung empfängt und weiß: Alles ist vergeben, Gewissensqualen sind weg. Wenn jemand weiß, Christus wirkt in mir, gebraucht mein Leben und setzt mich zum Segen – das ist das Leben.
Alle Jünger Jesu, alle, die ihm gehorsam sind, die seinem Wort folgen und ihm nachfolgen, erkennen das Leben. Sie haben das Leben.
Im 1. Johannesbrief, Kapitel 5, steht: „Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.“ Ganz einfach.
Ich habe mein Andachtsbuch so überschrieben, weil wir im Gemeindetag 1975 im Neckarstadion das als Losung hatten: „Wer Jesus hat, hat das Leben.“ Ich habe oft gehört, dass man so etwas nicht sagen darf. Aber so hat Jesus es gesagt: Wer Jesus hat, hat das Leben. Nichts anderes.
Darum geht es. Wenn jemand in frommen Versammlungen sitzt und sagt, so sei das Leben, kann es stinklangweilig sein. Aber wer Jesus hat, hat das Leben – darum geht es.
Jesus sagt: „Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast.“ Jesus wollte nur den Vater ehren und das Lob Gottes leben.
Wie bescheiden hat Jesus sein Leben verbracht! Er hat keine große Reise gemacht, keinen Titel erlangt, keine große Versammlung gehalten, in der ihm Ruhm und Beifall von Menschen zufielen. Er wollte nur den Vater groß machen.
Wie wollte Jesus das tun? Zum Beispiel in der Bergpredigt erklärte er sein Wort und seinen Willen. Jesus zeigte die Schöpfergröße Gottes, die Lilien auf dem Feld. In der Liebe zu den Verlorenen zeigte er die Güte Gottes, weil er immer nur gegangen war, nie sich selbst gesucht hat, damit Menschen den Vater ehren.
In unseren Tagen wird die Würde und Ehre Gottes in ungeahnter Weise mit Füßen getreten, sodass es kaum noch einen Wert hat, sich dagegen zu wenden. Die Frage ist, ob wir den Vater ehren und Gottes Ehre als Ziel in unserem Tun haben.
Jesus sagt: „Ich habe das Werk vollendet, das du mir gegeben hast.“ Was war das Werk? Als Jesus in Bethlehem geboren wurde, war es sein Werk, die zerstreuten Kinder Israels zusammenzubringen und die Verlorenen zu holen.
Darum zeigt sich für mich immer wieder, etwa bei einem Missionstag, die Größe Jesu besonders, wenn man miterleben darf, wie Menschen, die bisher ausgestoßen waren, zum ersten Mal in den Frieden Gottes eintreten dürfen. Und sie erleben das oft viel größer als wir.
Es gibt in der ganzen Welt keinen anderen Punkt, an dem ich Gott erkennen kann als in Christus. Sie kennen moderne Literatur in ihrer Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit. Wo kann ich Gott erkennen? Ich kann Gott nicht über meinen Intellekt erkennen. Das war die tiefe Einsicht von Blaise Pascal.
Wie kann ich Gott erkennen? Ich kann ihn nur in Christus erkennen, und Christus offenbart mir den Vater.
„Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.“ Es gibt viele Bibelstellen, die uns sagen, dass Jesus von Ewigkeit beim Vater war.
Mir ist das immer sehr wichtig, auch bei der Konfirmation unser Glaubensbekenntnis noch mit der lutherischen Erklärung zu lesen: Jesus ist der ewige Sohn des Vaters.
Die Muslime wollen auch wissen, wie Jesus entstanden ist. Die Bibel sagt nichts davon, dass er gezeugt wurde. Er kommt vom Vater, geheimnisvollerweise geboren von der Jungfrau Maria, aber er war in Ewigkeit beim Vater. Er hat die Welt geschaffen, sagt Paulus im Epheserbrief.
Im ersten Kapitel des Johannesevangeliums steht von diesem theologischen Fremdwort Präexistenz: Jesus ist der ewige Sohn. Im Philipperbrief, Kapitel 2, steht, dass er gehorsam dem Vater ward, Mensch wurde und sich erniedrigte.
Er hatte beim Vater den himmlischen Glanz, die Herrlichkeit – für uns, von unserer irdischen Gestalt her, schwer zu verstehen. „Herr, gib mir wieder diesen himmlischen Glanz.“
Wie schwer ist es, wenn wir Unrecht ertragen müssen oder mit etwas Schmutzigem in Verbindung kommen. Wie sehr hat das Jesus geschmerzt, aus der Reinheit des Vaters? Er kannte keine Lüge, keinen Betrug und musste doch an der ganzen Niedrigkeit des Menschen teilhaben.
Jetzt sagt Jesus: „Herr, lass mich deine Herrlichkeit sehen. Ich habe deinen Namen offenbart.“ Was ist der Name? „Ich habe deinen Namen offenbart.“ Wenn es nur um eine Formulierung ginge, den Namen Jahwe oder Jehova, den kannten die Leute ja.
Was hat Jesus mit dem Namen offenbaren wollen? In der Bibel steht, dass der Name immer auch für die Person steht. Es geht nicht nur um die Buchstaben eines Gottesnamens – den gibt es ja gar nicht.
Schon in 2. Mose 3, als Mose am Sinai Gott begegnet, heißt es: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Das ist kein Name. Du wirst mich erleben, du wirst mich erkennen.
Ich habe Menschen erlebt, die die Herrlichkeit Gottes zeigen wollen. Wenn ich morgen einen Psalm lese, kommt viermal vor: „Du bist ein furchtbarer Gott.“ Gott kann sich vor uns sehr verbergen, und gleichzeitig ist er der erbarmende, liebende Vater.
Ich darf das erleben und aus allem Gericht und Leiden heraustreten. Jesus sagt: „Ich habe deinen Namen offenbart den Menschen, die du mir aus der Welt gegeben hast.“
Noch einmal sagt Jesus: Es ist ein Wunder, wenn jemand an Jesus glaubt. Es ist ein Geheimnis, das der Vater bewirkt. Seine Wirkung ist der Geist Gottes, der uns bewegt, damit wir glauben können.
Wir werden das noch ein paarmal in den nächsten Bibelstunden hören: Was meint Johannes mit der Welt? Nicht nur einzelne sündige Praktiken der Welt, sondern die Welt ist das Herrschaftsgebiet der gottfeindlichen Mächte.
Wo ich in der Welt stehe, reißt es mich von Gott weg, schleudert mich weg. Es ist so wichtig, dass ich in der Welt bin, aber nicht von der Welt, dass ich in der Welt lebe und Gott diene.
Jesus sagt: „Du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt.“ Der ganze Schaden der Christenheit heute liegt darin, dass man das Wort nicht bewahrt. Er sagt nicht „deine Worte“, sondern „dein Wort“, das geoffenbarte Wort, das Wort, das die Propheten angekündigt haben.
Sie haben ja meine Ausbildung in der kritischen Theologie erlebt, wie Geister wie Bonhoeffer und Käsemann und viele Theologen bekannt waren und viele Bücher gelesen haben – auch Bibelkritik.
Aber ich will Ihnen sagen: Es ist mir merkwürdig, dass ich noch nie ein Wort des Widerspruchs gehört habe, obwohl ich weiß, dass auch Theologen da sitzen. Wenn ich sage, ich kenne kein Wort der Schrift, an dem ich aus Gründen der Rationalität, Wissenschaft oder Archäologie zweifeln müsste an der Wirklichkeit des Wortes Gottes.
Ich bin überzeugt: Wenn das Wort Gottes der Weg ist, auf dem sich Gott offenbart, dann hat auch dieses Wort am herrlichsten die Herrlichkeit Gottes offenbart.
Dieses Wort Gottes erleben Sie bei der Bibellese. Vielleicht verstehen Sie manches nicht, aber Sie verstehen so viel, dass man nur bewundernd davorstehen und sagen kann: „Herr, dein Wort ist ein so herrliches Mittel zur Rettung meines Lebens.“
Die Bewahrung deines Wortes ist so wichtig. „Du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Lass mich dein Wort rein bewahren, dein Wort haben.“
Damit steht und fällt im Christenleben, ob ich ihm worttreu bleibe. Ganz oft im Neuen Testament, wir hatten es schon in den Abschiedsreden.
Nun wissen Sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin.
Mit Christus ist die Offenbarung zum Ende gekommen. Wir brauchen nichts mehr. Das ist der Höhepunkt. Ich brauche keine Prophetie mehr. Ich kann nur noch auf das Wort zurückgehen. Mein Glaube fußt auf dem Zeugnis der Apostel und Propheten.
Da ist alles da, damit Menschen Christus erkennen können und glauben, dass du mich gesandt hast. Das ist der Höhepunkt des Glaubens: Christi Sendung vom Vater anzunehmen.
Die Macht Jesu und die Erfüllung der Schrift
Jesus hat Macht über alle Menschen. Der Vater hat ihm diese Macht gegeben. Es ist interessant, wenn man jetzt einmal auf Daniel zurückblickt. Ich glaube, dass sich in der Bibel viel mehr aufeinander bezieht.
Daniel ist unter den Propheten etwas schwer zu finden, da er nach Hesekiel kommt. In Daniel Kapitel 7, Vers 13, finden wir ein Bild, das für Jesus ganz wichtig war: das Bild des Menschensohnes, der in den Wolken des Himmels kommt. Dieses Bild war für Jesus immer bedeutend. Wenn er vom Menschensohn sprach, meinte er genau das – er ist der Weltenrichter, der in den Wolken des Himmels kommt und Gericht über die Welt hält.
Ihr werdet sehen: „Des Menschensohns kommen den Wolken des Himmels“ ist in Daniel 7,13 zu finden. Jesus war mit dem Bekenntnis zum Messias sehr vorsichtig, weil dies politisch stark belastet war. Hier haben wir dieses Bild, und es wird deutlich, dass er Macht, Ehre und Reich hat. Seine Macht, so heißt es in Vers 14, ist ewig und vergeht nicht.
Gott hat Jesus Macht gegeben über alle Menschen. An diesem Donnerstag ist Himmelfahrtstag. Jesus sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt, alle Macht im Himmel und auf Erden.“ Das ist der Schlüssel für unseren ganzen Glauben und auch fürs Beten. Wir wissen, Jesus hat alles in der Hand. Wir sollten viel mehr mit der Wirksamkeit Jesu rechnen.
Wir können gar nichts aus eigener Kraft tun, was Jesus nicht selbst tut. Er hat Macht über alle Menschen. Der Vater hat ihm diese Macht gegeben. Nun entsteht die Unruhe: Warum wirkt Jesus dann nicht mehr? Weil seine Leute ihm wenig vertrauen. Es gab immer Menschen, die mehr gebetet, mehr vertraut und mehr von der Macht Jesu erlebt haben.
„Du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen“, heißt es im Alten Testament eigentlich „über alles Fleisch“, also über alles Kreatürliche, auch über die Schöpfung, die Planeten und die Sonne. Damit er das ewige Leben geben kann allen, die der Vater ihm gegeben hat. Das ist etwas, was Jesus sehr oft betont hat.
Jesus sagte: „Ich kann nur zu Jesus kommen, wenn der Vater mich dorthin gibt.“ Das ist ein schwieriger Gedanke. Wir hängen bei diesem Gedanken oft sofort fest und sagen: „Dann können wir ja gar nichts dafür.“ Das ist merkwürdig, fast wie ein Blitzableiter. Dabei steht in der Schrift, dass wir das Wunder erkennen sollen. Warum können Menschen glauben? Ist es, weil sie besser sind? Nein, weil Gott ein großes Wunder in der Finsternis ihres Lebens getan hat. Dafür kann man nur dankbar sein.
Warum der andere nicht glauben kann, ist eine Frage, die man nicht klären kann. Deshalb sollten wir uns umso mehr bemühen, anderen das Evangelium zu sagen oder für andere zu beten. Auch beim guten Hirten hat Jesus gesagt: „Niemand kann zu mir kommen, es sei denn, der Vater zieht ihn.“
Mich hat das immer zu der Überzeugung geführt, dass viel mehr Menschen als wir ahnen – auch heute Abend, viel mehr Menschen draußen – vom Vater gezogen werden. Ich war wieder ganz überrascht, zum Beispiel bei der Konfirmation, wie viele Menschen, die oft ganz fern von Gott leben, eine große und tiefe Sehnsucht haben. Oft ist diese Sehnsucht viel stärker als bei gläubigen Christen.
Deshalb würde ich eher sagen: Ich glaube, dass der Vater viel mehr zieht, als wir denken, und wir vielleicht zu ungeschickt sind, diesem Ziehen zu folgen. Es ist ein Wunder, dass Gott hier wirkt.
Jesus bekräftigt noch einmal sein Geheimnis: Der Vater gibt Christus die Macht über Menschen, damit er ihnen das ewige Leben geben kann.
Das ewige Leben als Erkenntnis Gottes in Christus
Und gleich wird hinzugefügt: Was ist das ewige Leben? Das ewige Leben bedeutet nicht, die Todesgrenze weit hinauszuschieben. Mir wird es immer schwerer zu ertragen, wie auch mit unserer modernen Medizin eine Qual geschaffen wird.
Es ist ganz besonders schwer, das Leiden unserer alten Menschen zu sehen. Unsere Frau Figow, unsere Mesnerin, hat seit Jahren nur einen Wunschtraum: Sie möchte sterben. Sie empfindet es als furchtbar, hundert Jahre alt zu werden und dann in ihrem Zimmer zu sitzen, liebevoll betreut, aber nichts mehr sehen und nirgendwo mehr dabei sein zu können.
Nicht das irdische Leben ist es, sondern die Frage ist: Was macht das Leben, das ewige Leben in der Ewigkeit, aus? Und heute schon das grenzenlose Leben, das ich in Gott und Christus erkennen kann, weil in Christus alles in voller Reinheit da ist.
Sie wissen, was mir die Liebe meiner Frau bedeutet, aber in Christus ist die Liebe in einer noch viel größeren Weise gegenwärtig. In Christus ist die Geborgenheit, die er gibt, der Frieden. Nirgendwo auf der Welt gibt es so einen Frieden, wie ihn Jesus vermittelt. Das Leben in seiner ganzen Reinheit und Vollkommenheit kann man in dieser Welt schon erfassen, wenn man Gott erkennt.
Und das ist nichts für den Kopf, nichts für den Intellekt, sondern es ist ein Erfahren, ein Entdecken durch das Hören seines Wortes. Sie wissen, dass es in der ganzen Bibel immer so von Jesus gesagt wird: Erkennen ist ein Hören des Wortes, ein Glauben des Wortes. Und wenn ich glaube, darf ich erkennen.
Das hat nichts mit einem intellektuellen Akt zu tun, sondern es ist ein Glaubensschritt, den ich gehe. Und jetzt redet man wie ein Blinder von der Farbe oder erkennt man selbst? Das ist Leben.
Wie wunderbar ist es, wenn jemand zum Glauben durchbricht, die Geborgenheit Gottes hat, Vergebung empfängt und weiß, dass ihm alles vergeben ist. Die Gewissensqualen sind weg. Wenn jemand weiß, Christus wirkt in ihm, gebraucht sein Leben und setzt ihn zum Segen – das ist das Leben.
Also alle Jünger Jesu, alle, die ihm gehorsam sind, alle, die seinem Wort folgen und ihm nachfolgen, die erkennen das Leben. Die haben das Leben. Im Johannesbrief heißt es dann: 1. Johannes 5, wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben. Ganz einfach.
Ich habe mein Andachtsbuch so überschrieben, weil wir im Gemeindetag 1975 das als Losung hatten, damals im Neckarstadion: Wer Jesus hat, hat das Leben. Ich habe unheimlich viel Kritik dafür bekommen, man dürfe so etwas nicht sagen. Aber so hat Jesus es gesagt: Wer Jesus hat, hat das Leben. Nichts anderes.
Genau um diese Gleichung geht es. Wenn jemand in frommen Versammlungen sitzt und meint, das sei das Leben, kann es stinklangweilig sein. Sondern wer Jesus hat, hat das Leben – darum geht es.
Die Vollendung des Werkes Jesu auf Erden
Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast. Jesus wollte nur den Vater ehren und das Lob Gottes leben.
Wie bescheiden hat Jesus sein Leben verbracht! Er unternahm keine großen Reisen, erlangte keinen Titel und hielt keine großen Versammlungen ab, bei denen ihm Ruhm und Beifall von Menschen zufielen. Er wollte nur den Vater groß machen.
Wie wollte Jesus das tun? Etwa in der Bergpredigt hat er sein Wort und seinen Willen erklärt. Jesus hat die Schöpfergröße Gottes gezeigt, zum Beispiel an den Lilien auf dem Feld. In der Liebe zu den Verlorenen hat Jesus die Güte Gottes offenbart. Er ging immer nur seinen Weg, suchte nie sich selbst, damit die Menschen den Vater ehren.
In unseren Tagen ist die Würde und Ehre Gottes auf eine ungeahnte Weise in den Dreck getreten worden. Es scheint fast keinen Wert mehr zu haben, sich dagegen zu wenden. Die Frage ist, ob wir den Vater ehren und ob wir Gottes Ehre als Ziel in unserem Tun haben.
Und ich habe das Werk vollendet, das du mir gegeben hast. Was war dieses Werk? Als Jesus in Bethlehem geboren wurde, war es seine Aufgabe, die zerstreuten Kinder Israels zusammenzubringen und die Verlorenen zu holen.
Auch mir wird das immer wieder bewusst, besonders wenn wir einen Missionstag haben. Dann kommt etwas von der Größe Jesu zum Vorschein, wenn man miterleben darf, wie Menschen, die bisher ausgestoßen waren, zum ersten Mal in den Frieden Gottes eintreten dürfen. Diese Menschen erleben das oft noch viel größer als wir.
Es gibt auf der ganzen Welt keinen anderen Punkt, an dem ich Gott erkennen kann, als in Christus. Man kennt moderne Literatur mit ihrer Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit. Wo kann ich Gott erkennen? Über meinen Intellekt kann ich Gott nicht erkennen – das war ja die tiefe Einsicht von Blaise Pascal.
Wie kann ich Gott erkennen? Ich kann ihn nur in Christus erkennen. Christus offenbart mir den Vater.
Die Präexistenz Jesu und die Offenbarung des Namens Gottes
Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war. Es gibt eine Reihe von Bibelstellen, die uns sagen, dass Jesus von Ewigkeit beim Vater war. Mir ist das immer sehr wichtig, auch bei der Konfirmation unser Glaubensbekenntnis noch mit der lutherischen Erklärung zu lesen: Jesus ist der ewige Sohn des Vaters.
Die Moslems wollen auch immer wieder wissen, wie Jesus sexuell gezeugt wurde. Doch es steht kein Wort darüber in der Bibel. Er kommt vom Vater, ist geheimnisvollerweise geboren von der Jungfrau Maria, aber er war in Ewigkeit beim Vater. Er hat die Welt geschaffen, sagt Paulus im Epheserbrief.
Im ersten Kapitel des Johannesevangeliums steht von diesem theologischen Fremdwort Präexistenz: Jesus ist der ewige Sohn. Im Philipperbrief 2 steht, er ward gehorsam dem Vater, wurde Mensch, erniedrigte sich. Er hatte beim Vater den himmlischen Glanz, die Herrlichkeit – für uns von unserer irdischen Gestalt her ganz schwer zu verstehen. Herr, gib mir wieder diesen himmlischen Glanz.
Wie ist es unschwer vorstellbar, wenn wir einmal Unrecht tragen müssen oder wenn wir irgendwo mit etwas Schmutzigem in Verbindung kommen – wie hat das erst Jesus geschmerzt, aus der Reinheit des Vaters? Er kannte doch keine Lüge, keinen Betrug und musste teilhaben an der ganzen Niedrigkeit des Menschen.
Jetzt, Herr, lass mich deine Herrlichkeit sehen. Ich habe deinen Namen geoffenbart. Was ist der Name? Ich habe deinen Namen geoffenbart. Wenn es nur um eine Formulierung ginge, den Namen Yahweh oder Jehova oder so, den kannten ja die Leute. Was hat denn Jesus an Namen offenbaren wollen?
Da wissen Sie, dass in der Bibel der Name immer gleichzeitig auch für die Person steht. Ich will, ich habe nicht nur die Buchstaben eines Gottesnamens – das gibt es ja gar nicht. Schon in 2. Mose 3, als Mose im Sinai Gott begegnet, heißt es ja: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Das ist ja gar kein Name. Du wirst mich erleben, du wirst mich erkennen.
Ich habe Menschen, die Herrlichkeit Gottes zeigen wollen. Morgen lese ich in einem Psalm, was viermal vorkommt: „Du bist ein furchtbarer Gott.“ Gott kann sich vor uns sehr verbergen, gleichzeitig ist er der erbarmende, liebende Vater. Und ich darf es erleben und darf aus allem Gericht und aus allem Leiden heraustreten.
Ich will deinen Namen, den Menschen habe ich geoffenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Noch einmal sagt Jesus: Es ist ein Wunder, wenn jemand an Jesus gläubig wird. Es ist ein Geheimnis, der Vater steckt dahinter. Seine Wirkung des Geistes Gottes bewegt uns, dass wir glauben können, aus der Welt heraus.
Wir werden das ein paarmal noch in den nächsten Bibelstunden haben. Was meint Johannes mit der Welt? Nicht bloß einzelne sündige Praktiken der Welt, sondern die Welt ist das Herrschaftsgebiet der gottfeindlichen Mächte. Und wo ich in der Welt stehe – jetzt wissen Sie – da reißt es einen von Gott weg, da schleudert es einen weg.
Es ist so wichtig, dass ich in der Welt bin, aber nicht von der Welt; dass ich in der Welt lebe und Gott diene. Du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Der ganze Schaden der Christenheit heute liegt darin, dass man das Wort nicht bewahrt. Dass er nicht sagt „deine Worte“, sondern „dein Wort“ – das geoffenbarte Wort, das Wort, das die Propheten angekündigt haben.
Sie haben ja meine Ausbildung in der kritischen Theologie gehabt, wie ja alle: Geissen, Bonkamp, Käsemann und all die Theologen, die da bekannt waren, und haben all die Bücher gelesen, die Bibelkritik betreffen. Aber ich will Ihnen sagen: Es ist mir merkwürdig, ich habe noch nie ein Wort des Widerspruchs gehört, obwohl ich immer weiß, dass auch vielleicht Theologen da etwas drin sehen.
Sondern eher brechen sie zusammen, wenn ich sage: Ich kenne kein Wort der Schrift, an dem ich aus irgendwelchen Gründen der Rationalität oder der Wissenschaft oder Archäologie zweifeln müsste an der Wirklichkeit des Wortes Gottes.
Ich bin überzeugt: Wenn das Wort Gottes die Weise ist, wie sich Gott offenbart, dann hat auch dieses Wort am herrlichsten noch die Herrlichkeit Gottes an sich. Und dieses Wort Gottes erleben Sie bei der Bibellese. Vielleicht verstehen Sie manches nicht, aber Sie verstehen so viel.
Da kann man nur bewundernd davorstehen und sagen: Herr, dein Wort ist ein so herrliches Mittel der Rettung meines Lebens. Die Bewahrung deines Wortes ist so wichtig. Du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Lass mich dein Wort bewahren rein, dein Wort haben.
Damit steht und fällt im Christenleben, ob ich ihm worttreu bleibe. Ganz oft im Neuen Testament, wir hatten es schon in den Abschiedsreden. Und nun wissen Sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin.
Mit Christus ist die Offenbarung zum Ende gekommen. Wir brauchen nichts mehr. Der Höhepunkt ist da. Ich brauche keine Prophetie mehr, ich kann nur noch auf das Wort zurückgehen. Mein Glaube fußt auf dem Zeugnis der Apostel und Propheten. Da ist alles da, dass Menschen Christus erkennen können und glauben, dass du mich gesandt hast.
Das ist der Höhepunkt des Glaubens: Christi Sendung vom Vater anzunehmen.