Ein Blick auf die Herausforderungen des Christseins im 21. Jahrhundert
Christsein im 21. Jahrhundert – es geht hier nicht um einen Science-Fiction-Vortrag, sondern um einen kurzen Blick nach vorne. Ich weiß nicht, was im Jahr 2100 gefragt sein wird, aber man kann einen Ausblick auf die nächsten zehn Jahre wagen und überlegen, worauf es ankommt.
Jede Herausforderung im Leben, ebenso wie in dieser Welt, verlangt ein ganz bestimmtes Profil. Um ein Beispiel zu nennen: die Berufswahl. Wenn du Maurer werden willst, ist es kein Nachteil, wenn du eine 1,0 im Abitur hast oder Geige spielen kannst wie Anne-Sophie Mutter und eine poetische Ader für mittelalterliche Liebesgedichte besitzt. Doch auf dem Bau braucht man ganz andere Fähigkeiten als nur Geige spielen zu können.
Oder du möchtest Zahnarzt werden. Dann ist es kein Hindernis, wenn du vorher eine Lehre als Automechaniker gemacht hast. Aber das reicht nicht aus, um Zahnarzt zu sein. Man braucht auch ein gewisses Feingefühl, denn ich würde mich nicht zu einem Automechaniker in die Zahnarztpraxis begeben.
Ganz ähnlich wie bei den Berufen verhält es sich mit dem gesellschaftlichen Wandel: Jede Zeit erfordert ganz besondere Fähigkeiten, ganz besondere Antworten und ganz besondere Persönlichkeitsprofile. Das gilt auch für Christen.
Ich werde heute einige Dinge nennen, die immer wichtig sind und es auch immer waren – in den vergangenen zweitausend Jahren und auch noch im 22. Jahrhundert wichtig sein werden. Dinge, die im 21. Jahrhundert ganz besonders entscheidend sein werden.
Es gibt viele Aspekte, auf die es ankommt, aber ich kann heute Morgen nicht alles ansprechen. Deshalb konzentriere ich mich auf drei Punkte, auf die ich den Akzent legen möchte. Dabei werde ich Beobachtungen teilen und Perspektiven nennen, die in der Zukunft, in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren, sehr wichtig sein werden.
Die Bedeutung eines klaren Standpunkts für Christen
Was wird gesucht? Gesucht sind erstens Christen, die einen klaren Standpunkt haben. Samuel Vogel ist ja mein Folienschieber, und ich bedanke mich ganz herzlich schon einmal. So weit ist alles gut: Christen, die einen klaren Standpunkt haben.
Was sich in unserer Gegenwart konkret im letzten halben Jahr vollzieht, ist eine atemberaubende Umwälzung. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Ich hoffe, es hört nicht auf. Wir erleben eine Umwälzung – weg von einer bloßen Verpackungsmentalität hin zu einer neuen Frage nach Inhalten.
Ich weiß nicht, wer von euch vor zwei Jahren bei der Expo in Hannover war. Ich hatte die Freude, zweimal dort zu sein, mir dieses gigantisch großartige Gelände zweimal anzuschauen und viele Angebote wahrzunehmen. Wir hatten unser kleines Töchterlein dabei, und mit einem kleinen Töchterlein hatte man absolute Standortvorteile, das heißt vor allem Wegvorteile. So konnte ich mir mit meinem kleinen Töchterlein ziemlich viel angucken.
Auf dieser Expo ist mir eines klar geworden: Wenn diese Expo im Jahr 2000 in Hannover ein Spiegelbild unserer Zeit ist, dann ist unsere Zeit dominiert von der Fähigkeit, gigantisch fantastische Verpackungen zu machen, die keinen Inhalt haben.
Wer auf der Expo war, wer mal in dem Planet M vom Bertelsmann Verlag, vom Bertelsmann Konzern, drin war, der hat diesen schönen Film gesehen von diesem kleinen arabischen Jungen auf der Frage nach Wahrheit. Im Grunde war die Message dieses ganzen Films: Es gibt nicht eine Wahrheit, es gibt viele Wahrheiten, und alle sind irgendwie Wahrheit. Jeder darf irgendwie seine Wahrheit haben. Das heißt, es gibt keine Antwort mehr. Es gibt nicht einen Wert, sondern es gibt viele Werte.
Oder wer im deutschen Pavillon war, der hat gemerkt: Es gibt überhaupt keine Botschaft mehr, nur blanke Beliebigkeit. Deutschland hat keine Botschaft mehr. Deutschland hat bunte Bilder und tolle Leute, aber keine Botschaft mehr – beliebig.
Wir leben in einer Welt der tollen Verpackungen, in der alles Mögliche produziert und gigantisch schön verpackt wird, wo aber niemand mehr da ist, der sagen kann – und wenn er es könnte, den Mut hätte –, für irgendeine Wahrheit gegen andere einzutreten.
Uns sind die Werte abhandengekommen, das sagen auch die Politiker. Alle Politiker haben jetzt Wahlkampfjahr, also wird das schon wieder großartig. Ein Fasching, ein Karneval das ganze Jahr über mit großem Ballhu, mit großem Applaus, wo alle Politiker sagen werden: Wir brauchen wieder Werte. Und alle applaudieren und klatschen, aber keiner sagt, welche.
Keiner kann es sich heute leisten, zu konkret zu werten im Blick auf Werte wie Ehrlichkeit, im Blick auf Werte in der Sexualethik, da schon gar nicht. Wir schreien alle nach Werten, und keiner weiß, welche.
Damals auf der Expo war ja der Walfisch, dieser Pavillon der Hoffnung, verpönt, weil der Walfisch den provozierendsten Film aller Filme auf der Expo hatte.
Es gab viele 3D-Kinos, Filme und Streifen, und ihr habt viele angeschaut, wenn ihr dort wart. Der Film im Walfisch war der provozierendste und eindeutigste Film auf der ganzen Expo und deshalb verpönt.
Beim Pavillon der Hoffnung wurde unmissverständlich deutlich, dass das Leben nur mit Jesus einen Wert und eine Würde hat. Und da wurde auch deutlich, was wir im Leben diesen Wert und diese Würde nehmen können.
Hier wurde Stellung bezogen, hier wurde ein Standpunkt eingenommen in einer Welt voller lauter toller Verpackungen, die nur noch auf Wellen surft. Versteht ihr, wir surfen ja nur noch auf Wellen.
Die ganze Industrie basiert ganz maßgeblich darauf, dass eine Welle die andere ablöst. Und wehe, eine Welle ist im Abebben, dann muss schon die nächste da sein, damit ja kein Nachdenken aufkommt, ob diese Wellen überhaupt Sinn machen.
Und dann passierte im letzten Jahr der elfte September. Mit einem Mal war alles anders. Mit einem Mal hat sich unsere Medienlandschaft atemberaubend verändert.
Da fordern auf einmal Medienmagazine, Wochenmagazine – eines, das aussieht wie mein Spiegel – Antworten von den Kirchen, was sie inhaltlich glauben.
Ein Magazin, das 50 Jahre nur abgelästert hat über alles, was Glaube und Kirche heißt, alles, was Christsein heißt, wurde da madig gemacht. Exakt dieses Magazin fordert jetzt von den Kirchen Eindeutigkeit im Blick auf den Glauben.
Ein Magazin, dessen Herausgeber ein bekennender Atheist ist und nichts unversucht lässt, das Ding immer wieder den christlichen Glauben schlechtzumachen, in dessen Magazin wird jetzt Stellungnahme gefordert von den Kirchen.
Jetzt wird auf einmal gesagt, dass wieder ganz neu nachgedacht werden müsse über den Islam, über den Gedanken der Toleranz und dass ganz neu nachgedacht werden müsse, was eigentlich die Glaubensidentität ist.
Das ist das, was Christen schon immer getan haben, schon immer tun.
Auf einmal fordern ganz liberale Blätter und liberale Kirchen eindeutige Aussagen über den Glauben. Hochinteressant. Ich hoffe, dass das nicht vorbei ist, ich hoffe, dass das weitergeht.
Nur genau damit tun sich jetzt die allermeisten Christen in unserem Land sehr schwer, weil sie überhaupt nie Standpunkte gehabt haben, weil sie das gar nie eingeübt haben, Standpunkte zu beziehen.
Hochinteressant, dass diese Einsicht mittlerweile überall durchdringt.
Herausforderungen im interreligiösen Dialog und die Notwendigkeit von Profil
In Hamburg hat der Kirchenbezirk Altona schon lange vor dem 11. September versucht, einen Dialog mit den Hamburger Muslimen in Gang zu bringen. Man wollte sich verständigen, miteinander reden und die Beziehung verbessern. Es wurden Gespräche geführt, die man heute als Konsultationsgespräche bezeichnen würde. Die Gespräche begannen nett, freundlich und harmonisch.
Man traf sich einmal und tauschte Nettigkeiten aus, beim zweiten Mal ebenso. Doch beim dritten Treffen begannen die Muslime, kritische Fragen zu stellen. Plötzlich war die Nettigkeit nicht mehr so freundlich. Fragen wie „Warum lebt ihr Christen eigentlich nicht nach eurer heiligen Schrift?“ wurden gestellt. Das wurde als unverschämt empfunden. Ebenso kam die Frage: „Warum verurteilt ihr eigentlich nicht praktizierte Homosexualität?“
Solche Fragen überraschten die Gesprächspartner. Es wurde auch behauptet, die Bibel sei gar keine richtige heilige Schrift. So ging das den ganzen Abend weiter. Plötzlich war der Kirchenbezirk Hamburg Altona überfordert. Sie merkten, dass ihre muslimischen Gesprächspartner sich nicht nur besser im Koran auskannten, sondern oft auch besser in der Bibel als sie selbst. Auf so ein Gespräch waren sie überhaupt nicht vorbereitet und konnten keine Antworten auf die kritischen Fragen geben. Man stellt doch keine kritischen Fragen, dachte man.
Ein liberaler Hamburger Propst, ähnlich einem Dekan, schrieb später, dass sich Christen in Deutschland so sehr auf Dialog und Toleranz eingestellt hätten, dass sie kaum noch ein eigenes Profil zeigen könnten. Die Angst vor dem Vorwurf, ausländerfeindlich oder politisch und religiös inkorrekt zu sein, sei so groß, dass man nicht mehr in der Lage sei, selbst kritische Fragen zu stellen. Ebenso fehle es daran, den Glauben zu verteidigen, einen Standpunkt zu beziehen und klar zu sagen: „Das glaube ich“ oder „Das glaube ich nicht“. Das habe man nie gelernt.
In Zukunft wird es entscheidend sein, dass das, was auf dieser Jugendmissionskonferenz gehört wird, argumentativ in Gespräche eingebracht wird. Es gilt, Stellung zu beziehen und Standpunkte zu vertreten. Der Hamburger Propst schreibt in seinem Artikel weiter, dass ihnen plötzlich bewusst wurde, dass ihre tolerante Haltung nach dem Motto „Ich bin okay, du bist okay, wir sind okay“ von den Muslimen überhaupt nicht akzeptiert wurde.
Diese Haltung gefiel den Muslimen nicht, sie lästerten darüber. Ihre muslimischen Gesprächspartner wollten Menschen, mit denen sie hart um die Wahrheit ringen konnten. Sie wussten, was sie glaubten, und wollten Gesprächspartner, die in Übereinstimmung mit ihrer Heiligen Schrift lebten. Andere Gesprächspartner akzeptierten sie nicht.
Das ist es, was in Zukunft dominieren wird: Eindeutigkeit und klare Standpunkte werden Erkennungszeichen von Christen sein. Man wird noch viel deutlicher sagen können, wer Christ ist und wer nicht. Die Trennungslinie wird dabei nicht die Taufe sein – das war sie noch nie. Vielmehr wird die Trennungslinie sein, wer über seinen Glauben Rechenschaft ablegen kann, wer bekennen kann, was er glaubt, und wer Standpunkte beziehen kann.
Das ist die gute Nachricht: Es wird in Zukunft leichter sein, als Christ erkannt zu werden. Die schlechte Nachricht ist, dass es nicht mehr so gemütlich sein wird. Doch man wird wieder viel leichter erkennen können, wer Christ ist – nämlich derjenige, der nach biblischen Maßstäben lebt.
Wer klare biblische Standpunkte vertritt, sei es in Bezug auf Ehrlichkeit, Sexualethik, besonders auch auf voreheliche Sexualethik, oder im Umgang mit Drogen, der wird auffallen. Er wird einen Standortvorteil in der Zukunft haben. Auf ihn wird man hören.
Die Kraft von Standpunkten im Alltag
Interessante Geschichte nach dem letzten Jugo, am 23. Dezember – vielleicht war der eine oder andere dabei. Eine Gruppe jugoslawischer Besucher fährt mit der Straßenbahn nach Hause. In der gnadenlos überfüllten Straßenbahn am Sonntagabend beginnen sie ein Gespräch, nicht leise tuschelnd, sondern ganz laut über die Predigt von Konrad Eisler.
Habe ich das richtig verstanden, dass Eisler gesagt hat: Ohne Jesus geht man verloren? Ja, das habe ich auch so verstanden. Die 20-minütige Fahrt verläuft so, dass die Straßenbahn von Minute zu Minute stiller wird. Nur noch diese vier jugoslawischen Leute diskutieren über die Predigt von Konrad Eisler.
Wer Standpunkte bezieht, wird Gehör finden. In einer Welt, die zwar lauter Werte fordert, aber überhaupt nicht sagen kann, welche Werte sie eigentlich will. Heute wehren wir uns oft dagegen, in Schubladen einsortiert zu werden. Viele Christen sagen: Ich will mich nicht so festlegen, ich will flexibel bleiben und mich nicht auf eine bestimmte Position festnageln lassen.
Schublade? Nein, danke! Das mag euch vielleicht komisch vorkommen, aber ich sage: Freunde, habt Mut zur Schublade, Mut zur Schublade! Besser eine Schublade mit festem Boden und stabilen Wänden als überhaupt kein Zuhause.
Mut zur Schublade! In einer Welt der wässrigen Werte und verschwommenen Standpunkte kann nur derjenige Menschen für Jesus gewinnen, der ein Zuhause hat und anderen Menschen ein Zuhause anbieten kann. Nur wer Standpunkte hat, hat ein Zuhause, hat feste Wände.
Ladet die Menschen in eurer Umgebung in eure Schublade ein. Mut zur Schublade! Und ich kann auch nur sagen: Mut zur Unterschublade! Ich bin Pietist, Punkt, sage ich. Ich bin ein Evangelikaler noch dazu, dazu stehe ich – das ist mein Profil.
Daran kann man sich reiben, daran kann man sich ärgern. Aber ich sage: Herzlich willkommen in meiner Schublade, es ist noch Platz für andere. Entscheidend ist nicht, ob wir in Schubladen stecken, sondern dass unsere Schublade viel, viel Platz für andere hat, dass Menschen hier ein Zuhause finden können.
Wir brauchen einen klaren Standpunkt, eine eindeutige Botschaft und die Fähigkeit, diese auch weiterzusagen, sie in den alltäglichen Gesprächen mit den Menschen zu vermitteln, die Gott uns vor die Füße stellt.
Deshalb werbend, einladend, kreativ, pfiffig – alles, aber klar und eindeutig! Es gibt keinen anderen Namen, in dem wir selig werden sollen, als allein den Namen Jesus. Es gibt nichts Eindeutigeres als den Namen Jesu.
Praktische Schritte zum Standpunkt
Wie geht das ganz praktisch? Ich möchte nun die nächsten fünf Praxispunkte vorstellen. Keine Sorge, es ist nicht so kompliziert.
Erstens: Fang an, mit Menschen über Jesus zu reden. Du wirst merken, dass du in dem Moment, in dem du in einem Gespräch Antworten geben musst, automatisch erkennst, dass du Standpunkte brauchst. Du kannst nur Antworten geben, wenn du Standpunkte hast. So wirst du ganz von selbst merken, wo du welche hast und wo nicht.
Zweitens: Stelle der Bibel genau die Fragen, die dir gestellt werden. Suche nach konkreten Antworten auf konkrete Fragen. So wirst du biblische Standpunkte gewinnen.
Drittens: Fang an, in deinem Jugendkreis Andachten zu halten. Das klingt einfach, aber für mich begann hier die erste Krise meines Glaubens. Mein Jugendkreis hat mich mit 15 Jahren dazu gebracht, meine erste Andacht zu halten. Es war die schlechteste Andacht meines Lebens. Aber heute stehe ich hier. Damals begann ich, Standpunkte zu beziehen, weil ich merkte, dass ich meinen Jugendkreislern bei einer Andacht etwas Substanzielles sagen musste. Ich musste überlegen, was ich sagen kann und was nicht. Beim Andachtenhalten musst du Entscheidungen treffen – auch in Lehrfragen.
In dem Moment, in dem du beginnst, das Evangelium weiterzugeben, rollt eine Lawine von Fragen auf dich zu. Hab keine Angst davor. Du wirst irgendwann wieder Luft holen. Aber es ist gut, einmal in diese Flut einzutauchen und die Fragen zuzulassen. Sie provozieren dich dazu, nach Antworten zu suchen.
Viertens: Drücke dich nicht vor Diskussionen. Nimm jede Niederlage in einer Diskussion an. Es ist nicht schlimm, unterzugehen – überhaupt nicht. Jesus steht über all unseren Niederlagen in Diskussionen. Aber nimm jede Niederlage als Herausforderung, noch mehr an deinen Standpunkten zu arbeiten.
Fünftens: Such dir eine Gemeinschaft, die dich in deinen Standpunkten stützt, trägt und, wenn es sein muss, auch korrigiert. Es ist wichtig, immer wieder zu überprüfen: Habe ich eigentlich noch die richtigen Standpunkte? Hatte ich sie jemals? Bleibe offen gegenüber Schwestern und Brüdern für Korrektur und sei nicht starr wie ein Stahlbetonpfeiler.
Die Notwendigkeit lebenslangen Lernens für Christen
Zweitens werden Christen gesucht, die nicht aufhören zu lernen. Das 21. Jahrhundert braucht Menschen, die lebenslang lernen – und dazu gehören auch Christen. Wer Christ ist, muss bitte nicht falsch verstehen, kein Intellektueller werden. Wir brauchen geistliche Köpfe, aber keine Eierköpfe. Dennoch müssen wir als Christen unser ganzes Leben lang Lernende bleiben.
Es ist kein Zufall, dass von Anfang an in der Kirchengeschichte Christen die treibende Kraft bei der Einrichtung von Schulen waren. Auch wenn manche heute vielleicht nicht mehr wissen, dass Christen sich um Bildung gekümmert haben, so war es doch immer so. Das hängt eng mit Jesus zusammen. Jesus war Lehrer. Ich sage das deutlich, auch wenn manche dadurch vielleicht eine Glaubenskrise bekommen oder die Liebe zu Jesus abkühlt: Jesus war Lehrer. Er hat seine Jünger geschult und gelehrt. Er wollte, dass diese Jünger etwas wissen, und er will, dass auch wir etwas wissen.
Wenn es etwas gibt, das im 21. Jahrhundert entscheidend sein wird, dann ist es Wissen und Information. Entscheidend ist, wie man möglichst schnell an Informationen kommt. Ich möchte euch zwei Vergleiche anbieten: Im Mittelalter lebte ein durchschnittlicher Europäer in einem kleinen Dorf. Städte gab es damals nur sehr wenige und sie waren sehr klein. Ein Mensch im Mittelalter bekam in seinem ganzen Leben etwa so viele Informationen, wie heute in einer einzigen Ausgabe einer großen deutschen Tageszeitung stehen.
Vor tausend Jahren musste ein Mensch im Mittelalter also etwa so viele Informationen verarbeiten, wie heute zum Beispiel in einer Ausgabe der FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) stehen. Der gleiche Mensch traf in seinem ganzen Leben etwa so viele Menschen, wie du in der letzten Woche getroffen hast. Das heißt, er musste auch nur so viele Begegnungen mit Menschen verarbeiten, wie du in der letzten Woche hattest. Du hast allein an diesem Tag mehr Menschen gesehen als ein Mensch vor tausend Jahren in seinem ganzen Leben. Das will erst einmal verarbeitet sein.
Was das Wissen angeht, leben wir in einer der spannendsten Epochen der Weltgeschichte. Das Weltwissen – was ist das? Das Weltwissen ist die Summe aller verfügbaren Informationen, die es heute, am 13. Januar 2022, auf der Welt gibt.
Dieses Weltwissen, also die Summe aller verfügbaren Informationen, hat sich zwischen dem Jahr 1800 und dem Jahr 1900 innerhalb von 100 Jahren verdoppelt. Im Jahr 1900 wusste man also doppelt so viel wie 100 Jahre zuvor. Die nächste Verdoppelung fand im Jahr 1950 statt. Im Jahr 1950 wusste man doppelt so viel wie 1900, wissenschaftlich und insgesamt.
Weitere Verdoppelungen fanden 1970 und 1980 statt. Im Jahr 1997 verdoppelte sich das Weltwissen alle vier Jahre, im EDV-Bereich sogar alle anderthalb Jahre. Heute verdoppelt sich das Weltwissen alle zweieinhalb Jahre. Das heißt, in zweieinhalb Jahren weiß die Welt doppelt so viel wie heute.
Was bedeutet das für uns? Das bedeutet, dass das Wissen, das ich heute habe, in zweieinhalb Jahren nur noch die Hälfte wert ist. Das tut mir leid, aber Wissen ist unglaublich vergänglich. Obwohl wir heute absolut gesehen wahrscheinlich mehr wissen als alle Generationen zuvor, werden wir relativ gesehen immer weniger wissen. Relativ zum Weltwissen wissen wir heute weniger als ein Mensch im Mittelalter.
Was bedeutet das für die Zukunft? Es bedeutet keinesfalls, dass wir jetzt sagen: „Das macht doch alles keinen Sinn mehr, überhaupt etwas zu lernen.“ Das wäre die falsche Alternative. Wer so denkt, ist morgen arbeitslos. Und aus christlicher Sicht noch viel schlimmer: Wer so denkt, verliert morgen seine missionarische Vollmacht, seine Gesprächsfähigkeit und seine kritische Wahrnehmungsfähigkeit. Wir brauchen beides: missionarische Gesprächsfähigkeit und kritische Wahrnehmungsfähigkeit, damit wir uns nicht alles aufschwatzen lassen, was man uns in den Medien vorsetzt.
Was tun? Wir müssen unsere Lebensplanung komplett umstellen. Früher und heute noch teilen Menschen ihr Leben grob in drei Phasen ein: Erste Phase – lernen (vielleicht spielen am Anfang), zweite Phase – arbeiten, dritte Phase – ruhen, Freizeit genießen, Golf spielen, als Rentner.
Diese Dreiphaseneinteilung, die bei euch vielleicht noch im Kopf ist, könnt ihr vergessen. Ihr und wir werden keinen Ruhestand mehr haben. Ich will euch nicht schocken, aber in 30 Jahren, wenn ich langsam in den Ruhestand gehen würde, wird es diesen nicht mehr geben. In 30 Jahren wird ein Drittel aller Menschen älter als 60 sein. Deutschland wird ein gigantisches Altersheim werden. Dieses Altersheim kann kein Staat mehr finanzieren, egal was Politiker heute sagen.
Wir werden bis 70 oder 75 arbeiten, wenn wir überhaupt so lange leben. Oder wir werden ab 50 arbeitslos sein – das ist die Alternative. Was bedeutet das für unser Leben? Wir müssen die Dreiphaseneinteilung in ein Gleichzeitig umwandeln. Wir müssen unser ganzes Leben lang lernen, arbeiten und gleichzeitig Freizeit, Urlaub und Erholung haben. Das Nacheinander muss in ein Gleichzeitig verwandelt werden.
Nimm dir bewusst Zeit für Fortbildung. Wer nur noch in die Arbeit investiert, ist in zehn Jahren „out“ – mega out, giga out. Investiere bewusst Zeit in deinen Alltag, für geistliche und fachliche Fortbildung in deinem Beruf und in vielen Bereichen des Lebens. Investiere auch viel Zeit in Freizeit.
Was mich immer wieder nachdenklich stimmt: Viele Menschen zwischen 30 und 40 klappen zusammen, weil sie sich total verausgaben. Sie haben einen eigenen Betrieb oder einen Job, der sie voll fordert, und dann bricht alles zusammen. Ihr sollt euer Leben lang Kraft haben. Gott möchte, dass ihr ein Leben lang für ihn im Einsatz seid – nicht nur bis ihr 35 seid und dann ein Burn-out-Syndrom bekommt.
Achtet darauf, dass ihr immer wieder viel Freizeit habt, dass ihr in den Urlaub geht. Ihr werdet vielleicht nicht nur einen Beruf haben – das ist Vergangenheit. Früher haben viele von der Lehre bis zum Ruhestand in einem Beruf gearbeitet, oft im gleichen Betrieb. Das haben unsere Eltern meist so gemacht.
Ihr werdet in der Regel zwei, drei oder vier Berufe haben. Nutzt die Übergangszeiten, um auch einmal etwas ganz anderes zu machen, vielleicht ein halbes Jahr auszusteigen. Im Ruhestand werdet ihr das nicht mehr können, weil es ihn wahrscheinlich nicht mehr geben wird oder ihr ihn nicht erleben werdet.
Alles, was du dir heute für deinen Ruhestand vornimmst, verteile auf dein ganzes Leben. Ich möchte nicht, dass ihr mit siebzig sagt: „Gell, damals hat man mir gesagt…“ Ich sage es euch heute.
Wie kannst du ganz praktisch ein Mensch bleiben, der lernt? Hier fünf Punkte:
Erstens: Augen und Ohren aufmachen. Versuche, deine Umwelt mit offenen Augen und Ohren wahrzunehmen. Interessiere dich für Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und so weiter. Auch wenn heute oft der Wirtschaftsteil überblättert wird und viele Zeitungen als Schrott angesehen werden, schau dir mal ein Politmagazin an.
Zweitens: Bilde dich in deinem Beruf weiter. Bleib fachlich dran. Denk nicht, wenn die Schule vorbei ist, weißt du genug. Vergiss es! Du weißt vielleicht genug für die nächsten fünf Jahre, aber bilde dich danach weiter.
Drittens: Kauf dir einen PC mit Internetanschluss, falls du noch keinen hast. Viele haben das schon, aber manche auch nicht. Es ist entscheidend, dass du in den neuen Medien dabei bist und den Anschluss nicht verlierst.
Viertens: Achte darauf, dass du richtig surfst. Hänge nicht bei den falschen Seiten herum, sondern besuche die richtigen, informativen und wichtigen Seiten. Lerne, dieses Kommunikationsmedium sinnvoll zu nutzen.
Fünftens: Versuche, Spaß daran zu haben, neue Dinge zu lernen.
Die Bedeutung der Seelenpflege für Christen
Ein letzter Punkt: Gesucht werden in der Zukunft Christen, die für ihre Seele sorgen. Das ist immer wichtig, aber in den nächsten Jahren wird es entscheidend sein. Gesucht sind Christen, die für ihre Seele sorgen. Ein klarer Standpunkt und eine Fülle von Wissen bringen überhaupt nichts, wenn du deine Seele verkümmern lässt.
Die Folge einer verkümmerten Seele ist eine instabile Persönlichkeit – eine Persönlichkeit, die viel weiß und möglicherweise sehr klare Standpunkte hat. Doch sie kann irgendwann zusammenklappen, weil ihre Seele kaputt ist. So ähnlich wie ein großer, roter, bunter Luftballon: toll anzusehen, wenn er aufgeblasen ist, aber wenn die Luft rausgeht, sieht man ihn nicht mehr.
Woran geht eigentlich unsere Seele kaputt? Eine Seele leidet vor allem an Schuld und Sünde. Nichts zerstört unsere Seele mehr als unbereinigte Sünde und eine unversöhnte Vergangenheit. Eine Seele leidet auch an gestörten und zerstörten Beziehungen. Sie leidet selbst dann, wenn ich nur Zuschauer bin, zum Beispiel, wenn die Beziehung meiner Eltern gestört oder zerstört ist. Meine Seele leidet darunter.
Sorge dafür, dass deine Seele hier heil wird, auch wenn du gar nichts für ihre Zerstörung kannst. Wenn Beziehungen nicht in Ordnung sind, wird jedes Kind darunter leiden.
Eine Seele leidet unter dem falschen Umgang mit der Sexualität. Es ist ein großes Missverständnis zu glauben, Sexualität sei nur etwas für den Körper – das ist Unsinn. 90 Prozent der Sexualität spielen sich in unserer Seele ab. Und wo Sex nicht mit Treue und lebenslanger Bindung verbunden ist, geht die Seele kaputt, nicht der Körper.
Eine Seele leidet unter einer falschen Selbstwahrnehmung. Wenn ich ständig gegen Wände laufe, weil ich ein völlig falsches Bild von mir selbst habe und denke, ich sei der große Zampano, komme ich überall nur gegen Wände und hole mir immer nur eine blutige Nase. Das passiert, weil ich nicht den Mut und die Ehrlichkeit habe, mir wirklich sagen zu lassen, wer ich bin, in den Spiegel zu schauen und mir ehrlich einzugestehen, welche Gaben und welche Grenzen ich habe.
Eine Seele leidet unter der permanenten Verschmutzung von außen. Wenn ich mir alles anschaue und anhöre, was in unseren Medien angeboten wird, wird meine Seele verunreinigt und verschmutzt. Es ist eine Illusion zu glauben, der ganze Müll, den unsere Augen sehen, würde an unserer Seele abperlen. Es bleibt immer etwas hängen, das die Seele kaputtmacht.
Ich sage das, weil mir sehr viele junge Menschen mit verletzter Seele begegnen. Wisst ihr, ihr und ich gehören zu einer Generation, die materiell alles bekommen hat, was man sich nur denken kann. Allen Wohlstandsmüll haben wir über uns abgeladen bekommen – und wir haben ihn auch noch dankbar angenommen. Aber die entscheidenden Dinge, die die Seele braucht, bekommen immer weniger junge Menschen: Liebe, Geborgenheit und Harmonie sind die Grundbestandteile, die ich zum Leben brauche, mit denen ich ins Leben starten muss.
Ich habe eine Bekannte, die in einer Kinderkrippe arbeitet. Diese Kinderkrippe hat von 6:30 Uhr bis 16:30 Uhr geöffnet, damit Eltern ihre Kinder abgeben können. Das ist okay und für Alleinerziehende oft nötig und wichtig. Jetzt wird die Forderung gestellt, diese Kinderkrippe bis 20:00 Uhr zu öffnen.
Versteht ihr, in Europa gibt es keine Gewerkschaft und wahrscheinlich weltweit keine, die es zulassen würde, Arbeitnehmer einem Stress von zwölf Stunden Hochdauerstress auszusetzen. Aber mit unseren Kindern machen wir genau das. Unsere Kinder müssen zwölf Stunden Dauerstress in einer Kinderkrippe erleben.
Und dann sagt diese Mitarbeiterin zu einer Mutter, warum sie das nicht will, dass sie möchte, dass diese Kinder auch noch ein paar Stunden am Tag ihre Eltern sehen: „Ach, weißt du, ich mache mit der Tochter auch nichts zu Hause. Ich weiß nicht, was ich mit diesem Kind anfangen soll.“
Wenn wir Kinder vor die Hunde gehen lassen, haben wir morgen kaputte Seelen. Dann haben wir Menschen, die sehr intelligent, sympathisch und kreativ sein können, aber eines nicht sein werden: Persönlichkeiten. Sie werden nie Persönlichkeiten werden.
Die PISA-Studie ist jetzt der große Anlass, auf alle Pädagogen einzuschlagen. Es gibt gute Kindergärten, sehr gute Kindergärten, gute Lehrer und weniger gute – das ist kein Thema. Aber eines wird nicht geschehen: dass man auch einmal den Eltern den Finger zeigt. Wisst ihr, Eltern sind immer Wähler.
Wenn wir es nicht annehmen, dass wir Kinder erziehen müssen und Kinder Zeit brauchen, werden Seelen kaputtgehen.
Deshalb kommt es mir darauf an: Wir brauchen Leute, die für ihre Seele sorgen, damit sie für die Seele anderer sorgen können, die selbst nicht mehr für ihre Seele sorgen können.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich rede hier nicht von psychisch Kranken, sondern von ganz normalen Menschen. Auch von Menschen mit verletzter Seele, sympathisch, charmant, intelligent, erfolgreich und beliebt – aber mit verletzter Seele.
Wer eine verletzte Seele hat, kann vieles, aber eines wird er nie können: treu sein. Er wird nicht verbindlich sein können. Um eine verbindliche Beziehung zu gestalten, zum Beispiel eine Ehe, brauche ich eine geheilte Seele. Nur mit einer geheilten Seele werde ich auch sexuell das erleben können, was ich mir von der Sexualität erhoffe. Mit einer verletzten Seele kann ich das nicht. Mit einer verletzten Seele werde ich keine Stütze sein können, weil ich im Grunde selbst nur gestützt werden muss.
Bitte sorgt für eure Seele, damit ihr morgen Verantwortung für andere Menschen übernehmen könnt.
Wir erleben im CVD immer ein interessantes Phänomen: Wir haben unglaublich viele junge Christen, die wahnsinnig kreativ sind, fantastische Ideen haben, sehr begabt und intelligent sind. Aber wir finden keine jungen Menschen unter dreißig, die verbindlich über längere Zeit hinweg Verantwortung übernehmen wollen.
Nicht, dass das böser Wille ist, sondern es ist die blanke Angst vor Überforderung. Mal ein Lied singen, mal eine Predigt halten, mal dies, mal das – genial, gigantisch, einmal. Wir brauchen morgen Menschen, die das über lange Zeit hinweg tun, über Jahre verbindlich mitarbeiten.
Lasst uns hier nicht im Regen stehen! Lasst uns nicht im Regen stehen! Bis morgen muss einer von euch hier irgendwann mal diese Yumiko zelebrieren. Und das muss über Jahre hinweg gehen.
Praktische Wege zur Seelenpflege
Wie geht das praktisch?
Erstens: Nehmt bewusst und regelmäßig Zeit für die Stille mit Gott. Wenn du vollkommen erschöpft bist und nichts mehr geht, ist es besonders wichtig, dir diese Zeit zu nehmen. Schau dir in der Bibel die Menschen Gottes an: Gott hat sie alle in die Wüste geschickt. Die Wüste ist der stillste Ort auf der Erde. Dabei musst du nicht unbedingt in die Sahara gehen – es geht um die Stille. Unsere Wüste ist die Stille vor Gott. Nimm dir also bewusst Zeit für diese Stille.
Zweitens: Such dir einen Seelsorger oder eine Seelsorgerin und kümmere dich um die Heilung deiner seelischen Verletzungen. Es ist nicht schlimm, wenn deine Seele verletzt ist. Entscheidend ist, dass du an der Heilung deiner Seele arbeitest.
Drittens: Lebe aus der Vergebung deiner Schuld heraus.
Viertens: Benutze einen Terminkalender. Wenn du noch keinen hast, kauf dir zuerst einen. Ich spreche hier aus Erfahrung. Ich arbeite mit Studenten im Bengelhaus, und viele von ihnen haben zwar einen Terminkalender, lesen ihn aber nicht. Deshalb: Kauf dir einen! Es muss kein dicker Kalender sein, es reicht ein einfacher, in dem die Tage übersichtlich eingetragen sind. Trage deine Termine ein, plane deine Woche und gehe vernünftig mit deiner Zeit um. So vermeidest du, dass du Tag für Tag ziellos Dinge tust, die sinnlos sind. Am Ende des Tages sind dann die wichtigen Dinge nicht erledigt.
Fünftens: Prüfe gewissenhaft, was deine Augen sehen, was deine Ohren hören und was dein Mund sagen soll. Lass nur das Gute an dich heran. Triff Entscheidungen über dein Leben, die gut für dich sind.
Das war es. Vielen Dank fürs Zuhören. Jetzt singen wir ein Lied.