Das Scheitern und der Mutverlust des Mose
Ich habe für heute Abend einen Abschnitt ausgewählt, der vom Wüstenzug des Volkes Israel handelt. Es war ein furchtbares Geschehen: Das Volk Israel war vom rechten Weg abgefallen, hatte sich ein goldenes Kalb gegossen und tanzte darum herum. Es wollte einen sichtbaren, begreiflichen Gott haben.
Mose war auf dem Berg und redete mit Gott. Er erschrak über das, was geschehen war, und fürchtete eine Erklärung dieser Vorgänge. Danach verlor Mose den ganzen Mut für seine Führungsaufgabe.
Mose sprach zum Herrn: „Siehe, du sprichst zu mir, führe das Volk hinauf, aber du lässt mich nicht wissen, wen du mit mir senden willst. Dabei hast du doch gesagt: ‚Ich kenne dich mit Namen‘, und ‚Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden‘. Habe ich denn Gnade vor deinen Augen gefunden? So lass mich deinen Weg wissen, damit ich dich erkenne und Gnade vor deinen Augen finde. Sieh doch, dass dies Volk dein Volk ist.“
Gott sprach: „Mein Angesicht soll vorangehen, ich will dich zur Ruhe leiten.“
Mose aber sprach zu Gott: „Wenn nicht dein Angesicht vorangeht, so führe uns nicht von hier hinauf. Denn woran soll erkannt werden, dass ich und dein Volk vor deinen Augen Gnade gefunden haben, wenn nicht daran, dass du mit uns gehst? So werden ich und dein Volk erhoben vor allen Völkern, die auf dem Erdboden sind.“
Daher sprach Gott zu Mose: „Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun. Denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen.“
Die Bitte um Gottes Herrlichkeit und die Grenzen menschlicher Erkenntnis
Und Moses sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen.
Und Gott antwortete: Ich will vor deinem Angesicht alle meine Güte vorübergehen lassen und will dir den Namen des Herrn kundtun.
Der Name des Herrn lautet: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Gott sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen, denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.
Der Herr fuhr fort: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Felsen stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felsluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin.
Dann will ich meine Hand von dir nehmen, und du darfst hinter mir hersehen. Aber mein Angesicht kann man nicht sehen.
Die Angst vor dem Unbekannten und die menschliche Hilflosigkeit
Liebe Brüder und Schwestern,
die Zeichner können unsere Gefühle, die uns heute Abend bewegen, mit ein paar Bildern und Strichen in den Zeitungen einfangen. Man sieht einen Mann, der im Dunkeln steht. Vor ihm liegt nur die Wand des Jahres 1978, unbekannt und fremd, dunkel und undurchdringlich.
Man fühlt sich wie ein Wanderer, der durch die Nacht zieht und nicht weiß, was passiert. Wenn man noch ein wenig sieht, wie das Licht der Straßenlaternen scheint, ist es noch erträglich. Doch in das neue Jahr 1978 hinein sieht man überhaupt nicht.
Man weiß nicht, ob man gleich auf einem Geröllhang abrutscht, irgendwo in unbekannte Tiefen stürzt oder ob in der Nacht ein kläffender Köter angreift, bei dem man nicht weiß, ob man gebissen wird oder was sonst mit einem passiert. Angst – einfach nur Angst.
Es geschieht ein schreckliches Unglück. Und trotz alldem – das ist noch nicht alles.
Ich bin so froh über die Geschichte von Mose, weil dort erst deutlich wird, was uns heute Abend alles beschäftigt.
Die Überforderung in der Verantwortung und das Gespräch mit Gott
Dem Mose war ganz bang; er hatte einfach keinen Mut mehr. Vielleicht hätte er gesagt, das Schlimmste sei nicht, dass ihm etwas Grässliches widerfährt, sondern dass er eine Verantwortung trägt, die er nicht mehr tragen kann. Die Menschen, mit denen er arbeiten muss, können einfach nicht mehr. Er hat sie gerade erst in ihrer erbärmlichen Schwäche erlebt.
Darum will er gar nicht mehr weitermachen. Er will Gott den Auftrag niederlegen und sagt: „Ich mache nicht mehr mit, ich steige aus, will irgendwo in Ruhestand gehen, aber ich mache nicht mehr mit.“ Ich denke, viele von Ihnen spüren das heute Abend. Ich weiß, wie viele schwere Schmerzen viele von uns heute Abend mit sich tragen, wo jedes Wort nur neue Leiden verursacht.
Doch dann kommt das Andere hinzu: Man muss weitergehen und Verantwortung tragen – nicht nur für sich selbst, das wäre einfach. Man trägt Verantwortung für die Familie, für Mitmenschen, Verantwortung in einem Betrieb, Verantwortung für unser Volk, Verantwortung im Staat und in der Öffentlichkeit.
Dann steht man irgendwo und fragt sich: „Wo soll das alles weiterlaufen? Wie soll es weiterlaufen? Ich kann das doch nicht mehr steuern, ich kann das nicht mehr tragen.“ Das kann man von Mose lernen: Er spricht es einfach bei Gott aus. Manchem, der kein Christ ist oder kein echter Christ, der das lebt, mag es fremd vorkommen, dass man mit Gott so ungeniert reden kann. Mose redete mit Gott, wie man mit einem Freund redet.
Er schreit es einfach heraus und sagt: „Ich kann das nicht mehr tragen. Und bitte, wenn du schon willst, dass ich das weiterführe, dann hilf mir doch auch.“ So sollen wir es machen. Das ist eine Anleitung für uns heute Abend, wenn wir in dieses neue Jahr hineintreten.
Mit Singen und Beten wollen wir das mit Gott aushandeln und sagen: „Wir wollen das tragen, aber dann richtig.“
Die drei Bitten des Mose als Wegweiser
Da sind drei Bitten, die mir bei diesem Mose aufgefallen sind und die auch für uns wichtig sind. Er sagt: Gib mir eine Stütze. Warum braucht er eine Stütze? Schon am Anfang, als Gott ihn in seinen Dienst nahm, hat er nicht so wohlgefällig gelächelt, wie wir das oft tun, wenn uns ein Amt übertragen wird. Dann denken wir: Ja, das ist richtig für mich, ich bin zu Großem geboren, und ich kann manches Schöne tun.
Mose aber hat am Anfang seiner Berufung gesagt: Nein, ich doch nicht. Er stand da barfuß, mit seinen Schafen, die er hütete. Einen ungeeigneteren Mann Gottes kann man sich kaum vorstellen als diesen Schafhirten in der Wüste, auf der Hochebene des Sinai.
Gott sagt: Ich nehme dich. Und Mose sagt: Die Leute fangen ja schon an zu lachen, wenn ich anfange zu reden. Er hatte offenbar einen Sprachfehler und stotterte. Dann zeigt ihm Gott dieses Geheimnis: Ich gebe dir einen Bruder mit. Es gibt keinen großen Mann im Reich Gottes, der für sich allein groß wäre. Er braucht immer den anderen.
Mose brauchte Aaron, der für ihn redete und seine Schwäche zudeckte. Manch einer geht einsam durch die Welt und sagt: Ich habe niemanden. Ich bin ganz allein. Gerade heute Abend wird das vielen bewusst. Manche kommen gar nicht darüber hinweg und sagen: Ich kann nicht in meinem Zimmer sitzen bleiben, ganz allein. Niemand versteht mich, niemand hat Zeit für mich, niemand hört mir zu.
Dann sage ich: Das ist nicht wahr. Denn Gott bietet jedem Menschen einen anderen an – so einen Aaron. Und das ist der Hintergrund, wenn wir beim Ausgang der Kirche einander die Hand drücken. Das soll nicht nur eine mitmenschliche Floskel sein. Da sind Menschen, die Ihnen das anbieten, Menschen, die mit Ihnen beten können.
Dann hat Mose entdeckt, dass diese Stütze nicht immer trägt – auch dieser Aaron nicht. Das ist das Bittere. Auch all die Brüder und Schwestern, die man kennenlernt, bleiben wankelmütige Menschen, an denen man sich grün und blau ärgern kann. Aaron war ja mitschuldig daran, dass sie das goldene Kalb aufgerichtet haben.
Mose sagt: Ich mache einfach nicht mehr mit. Du musst mir doch einen zur Seite geben, an den ich mich richtig anlehnen kann, einen, auf den ich mich stützen kann. Vielleicht sind deshalb so viele Leute von der Kirche enttäuscht, weil sie immer meinten, dort könne man sich mit seiner Schwäche fallen lassen. Und wenn man merkt, dass auch Menschen in Sünde und Ungehorsam leben, dann folgt die grenzenlose Enttäuschung.
Jetzt sagt Gott zu Mose: Ich gebe dir keine solche Stütze, wie du sie dir wünschst. Nein, ich gebe dir nur den Aaron in seiner ganzen Hinfälligkeit – einen Menschen, der auch angefochten ist wie alle anderen. Aber ich gebe mich selbst, dieser Herr, und sage: Ich will dir gnädig sein.
Für Mose gibt es nichts Größeres in seiner übermenschlichen Verantwortung, die er tragen muss, als diese Zusage: Ich bin dir gnädig. Ich bin bei dir, und ich will mit dir sein. Mit dieser Zusage können sie ins neue Jahr hineingehen.
Keine menschliche Stütze, keine Bruderschaft – ja, die bietet uns Gott an. Doch man kann an der Bruderschaft enttäuscht werden. Trotzdem braucht man sie. Aber die letzte Stütze ist der Herr selbst, der einen schwachen Mose mit Geduld und mit Liebe trägt.
Die Dunkelheit der Wanderschaft und die Gegenwart Gottes
Es ist eine dunkle Nacht, durch die wir ziehen. Bei Mose war es eine vierzigjährige Wanderschaft durch die Wüste. Das ist ein Bild für unser irdisches Leben.
Dort hat Mose es erfahren, in Stunden, in denen er nicht mehr weiter wusste und keinen Weg mehr sah. Wo kein Wasser mehr da war und das Volk hungerte. Und dann war die Herrlichkeit des Herrn da.
Das gibt ein wunderbares neues Jahr 1978, wenn wir am Ende sind mit unserem Lateinen und keinen Schritt mehr weiter wissen. Wir sagen: Jetzt ist alles aus. Und dann, auf einmal, deckt uns der Herr seinen Tisch.
Dann zeigt er uns müden Gestalten, armseligen Leuten, wer er ist und wie er seinen Boden aufrichtet. Von allen Seiten umgibt er uns und hält seine Hand über uns – 365 Tage lang im nächsten Jahr, Tag und Nacht, alle Stunden.
Die zweite Bitte: Wegmarkierungen und das Vertrauen auf Gottes Führung
Die zweite Bitte richtet sich an Mose: „Gib mir Wegmarkierungen.“ Manchmal ist man in Not, wenn man keine Landkarte hat. Ähnlich ist es, wenn Gott uns Aufträge gibt – auch dann fühlen wir uns oft hilflos. Viele denken, bei mir wäre es leichter, weil ich in Tübingen studiert habe. Aber wissen Sie, dort lernt man auch nicht, wie man Gottes Führung erkennt.
Wir sind alle so hilflos: Was will Gott eigentlich von uns? Was ist richtig, was ist falsch? Was soll ich tun, wie soll ich mich entscheiden? Ich weiß nicht, wie ich es machen soll. Viele sind heute ratlos – in der Erziehung, bei Berufsentscheidungen oder in politischen Fragen. Sie wissen nicht, was richtig ist.
Wenn man eine Landkarte hätte, auf der Gott den Weg für uns vorgezeichnet hätte, wäre es leicht, diesen Weg zu gehen. Mose sagt deshalb, ich gebe das hier mal etwas salopp wieder: „Gott, gib mir doch eine genaue Wegmarkierung, wie auf der Landkarte. Zeichne sie rot ein!“ Er bittet: „Lass mich den Weg wissen, den du mich führst. Ich gehe gern den Weg, den du mir zeigst. Auch wenn es ein dunkler Teil ist, ich will ihn wissen.“
Gott aber antwortet: „Nein, auch das schlage ich dir ab.“ Manche sagen, es sei gut, dass wir nicht wissen, was kommt. Sonst hätten wir gar keinen Mut mehr. Aber das ist nicht der Grund, warum Gott uns diese klare Wegmarkierung verweigert. Er will sagen: Das Leben ist ein immer neues Vorwärtstasten. Man kann den Weg nie weit im Voraus erkennen. Man kann ihn immer nur für einen Tag erkennen, wenn man sich in der Stille zurückzieht, über das Bibelwort nachdenkt oder wenn wir uns hier im Gottesdienst versammeln und fragen: „Herr, was willst du für uns?“
Es ist ein ständiges neues Fragen und Forschen. Und Sie treten doch mit ein in dieses Forschen. Lassen Sie mich daran teilhaben, was Sie entdecken – welche Wege Gottes für uns sind, wohin er uns führt. Gott sagt zu Mose nur: „Ich gehe dir voran, und dann wirst du wissen, dass es richtig ist.“
Denn plötzlich, wenn wir das entdecken – gerade in einer langen, schweren Zeit –, da ist der Herr wirklich da. Er geht voran. Oder wenn wir draußen auf dem Friedhof stehen und sagen: „In Jesu Namen gehen wir ihm nach.“ Dann wird mir dieses Lied so groß: „Lasst uns nun dem lieben Herrn mit unserem Kreuz nachgehen.“ Er ist schon lange voraus.
So geht es auch durch jeden Tag dieses neuen Jahres. Wenn Sie morgens ins Büro kommen und sich fragen, wie es dort aussieht und wie die Menschen Sie ansehen, dann wissen Sie: Er ist schon lange da. Und wenn Sie sagen, Sie haben gar keinen Mut mehr, dann ist er doch schon da und sagt: „Ich will vorangehen.“
In unserem Gesangbuch gibt es so viele Lieder, die ich an dieser Stelle gerne wiedergeben möchte. Denn meine Worte sind oft zu brüchig. Ich denke an ein schönes Lied, das im Gesangbuch steht, in dem auch von Feinden die Rede ist, die uns umgeben, von Anfechtungen, unter denen wir stehen.
Dort heißt es: „Ob auch der Feind mit großem Trotz und mancher List will stürmen, wir haben ruh’ und sicheren Schutz durch seines Armes Schirmen.“ So wie Gott zu unseren Vätern trat, auf ihr Gebet und Klagen, wird er auch heute zu Spott dem feigen Rat uns durch die Fluten tragen. Mit ihm wollen wir es wagen. Er wird da sein.
In Augenblicken wird er sein wie damals am Schilfmeer, wenn man meint, jetzt kommen wir nicht mehr durch. Dann schaut man auf ihn, und er bahnt den Weg, sodass einem vor Staunen der Mund nicht mehr zugeht. So erfahren wir Gottes Wunder auch heute, im Jahr 1978. Sein Angesicht wird uns vorangehen.
Die Sehnsucht nach Gottes Angesicht und die Offenbarung in Christus
Was ist das denn? Ich möchte ihn sehen, ich möchte Gott sehen. Aber ich meine es so, wie man einen Menschen sieht – wenn jemand im Dunkeln mit einem spricht oder wenn jemand unangenehm wirkt, weil er eine Sonnenbrille trägt. So empfand sie es auch schon während des Gesprächs: „Nimm doch die Sonnenbrille ab, das ist unheimlich, so sieht man gar nicht in die Augen des anderen.“
Ich möchte Gott in die Augen sehen. Doch Gott sagt: „Mein Angesicht kann man nicht sehen.“ Das stimmt aber nicht. Das war nur bei Mose so. Wir können Gott ins Angesicht sehen. Er hat sein Angesicht uns in der Liebe Jesu offenbart. Dort können Sie ihm in die Augen sehen – Liebe und Liebe, brennende Liebe.
Dort können Sie Ihre Zweifel ihm ins Gesicht schleudern, und er blickt Sie mit einer Liebe an, wie es kein Mensch kann. Er sagt: „Ich gehe voran, und ich lasse dich nicht los.“ Das haben Sie vor sich im neuen Jahr: keine Wegmarkierung, aber dieses freundliche Angesicht, das Sie anblickt.
Die letzte Bitte: Gottes Herrlichkeit als Beweispfand
Doch die letzte Bitte, Moses: Gib mir einen Beweispfand! In unseren Tagen bricht dieses Verlangen in jedem Menschen einmal auf, besonders vielleicht bei unseren jungen Menschen. Sie leben heute in einer großen geistigen Auseinandersetzung und sagen: „Ich möchte meinen Glauben ganz fest ergründen.“ Irgendwann kommt der Punkt, an dem sie fragen: „Wo kann ich das dennkerisch in die Hand bekommen?“
Wir reden mit ihnen und sagen: „Du wirst das auch denkerisch nicht in die Hand bekommen. Es bleibt ein Wunder, dass du auf das Wort Gottes ja sagst.“ Diese Bitte ist so alt wie Mose selbst. Er sagt: „Lass mich doch irgendwo fassen! Ich will keine albernen Beweise, aber ich will ein Pfand haben, an das ich mich selbst in dunklen Stunden halten kann. Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“
Diese Herrlichkeit Gottes meint im Alten Testament die ganze sichtbare Erscheinung des unsichtbaren Gottes. Es ist wie ein Glanz, im Hebräischen „Kabod“ genannt, der über das Volk Israel fällt – die Herrlichkeit Yahwehs, Gottes. Es heißt, dass man Mose nicht ins Auge sehen konnte oder auf sein Gesicht, weil solch ein Glanz von ihm ausging.
Mit unseren irdischen Begriffen lässt sich nicht wiedergeben, was aus der unsichtbaren Welt Gottes hereinfällt. Mose bittet: „Lass mich doch jetzt, nur heute Abend in dieser stockdunklen Silvesternacht“ – so heißt seine Bitte – „ein Stück der ewigen Herrlichkeit sehen, jetzt nur einen kleinen Blick auf den himmlischen Thron Gottes, die Schar seiner Engel.“ Dann habe er genug. Dann reicht es ihm, und er geht fröhlich weiter.
Doch Gott sagt: „Ich gebe dir dieses Beweispfand nicht. Kein Mensch kann leben, der mich sieht.“ Wir tragen alle das irdisch Vergängliche an uns. Wir können nicht den schwächsten Lichtglanz der Ewigkeit fassen.
Dann sagt Gott: „Aber es ist genug, da in diesem Sinaigebirge.“ Vor zwei Jahren, als wir mit einigen von Ihnen dort oben herumgestiefelt sind, in diesen unheimlichen Schluchten – stell dich einmal dazwischen, zwischen die Felswände! – dann lasse ich vor dir meinen Namen vorüberziehen und rufe dir noch einmal zu.“
Es ist eine bildhafte Darstellung: Diese kleinen Menschen in diesem Gebirge mit seinen über zweitausend Metern Höhe, diese ungeheuren Steinmassen, und dort steht dieser kleine Mensch drin, während Gott seine Hand über ihn hält.
Diese Szene hat immer wieder Dichter und Maler angeregt, sie zu malen: dieser kleine Felsvorsprung, diese Nische, wo man sich bergen kann. Das verspricht Gott ihnen. Er gibt ihnen ihr ganzes langes Leben und das ganze neue Jahr lang diese Felsenluft, an die sie sich anschmiegen können, während er seine Hand über sie hält und sagt: „Ich rufe dir dann noch einmal zu: Das ist mein Name, das ist mein Wesen, das ist meine Art. Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig. Ich stelle mich dazu und bleibe so, wie ich bin.“
Das heißt doch, dass Gott hält, was er einmal angefangen hat. Er nimmt uns, Todeskandidaten und schuldige Menschen, für seine großen ewigen Aufgaben. Durch uns will er in dieser Welt schon etwas darstellen von seinem ewigen Reich.
„Ich bin gnädig, du kannst dich daran halten, Mose. Und wenn Aaron versagt und wenn du versagst, ich gehe mit dir. Ich lasse meine Güte an dir vorüberziehen.“
Rückblick und Dank für Gottes Begleitung
Lassen Sie heute Abend noch einmal die Güte Gottes im Jahr 1977 an sich vorüberziehen. Sehen Sie alles noch einmal, wie diese Worte zu Ihnen gesprochen haben.
Für viele von uns bleibt heute Abend nichts anderes übrig, als nicht mehr von schönen Urlaubsstunden oder von Festen zu reden, die wir gefeiert haben, oder von Erlebnissen. Stattdessen sagen wir: Das war das Allergrößte, dass wir immer wieder seine Hand sahen – seine durchbohrte Hand, die er auf uns legte.
Immer wieder sagte er mir: Fürchte dich nicht, ich bin bei dir. Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Für dich ging ich in den Tod.
So wollen wir es heute Abend zum letzten Mal im Jahr beim Abendmahl hören – für dich. Amen.
Gebet und Segensbitte für das neue Jahr
Wir wollen beten. Herr, wir danken dir für diese Erfahrung, die wir schon oft in unserem Leben gemacht haben, besonders dort, wo du uns durch finstere Täler geführt hast. In diesen Zeiten warst du da – mit deinem Wort und deinem festen Halten.
Darauf wollen wir unseren Blick jetzt richten, auch wenn wir durch diese Nacht in das neue Jahr hineingehen. Wir danken dir, dass wir keine Angst mehr haben müssen, sondern mutig und fröhlich weiterziehen können. Schon in dieser Nacht wollen wir dir unsere Loblieder singen, weil wir wissen: Es muss alles gut werden.
Es muss alles gut werden, weil du gnädig bist. Deine Wege enden nicht im Unbekannten oder Rätselhaften, sondern du führst uns zum unbegrenzten, weiten und erfüllten Leben. Du führst uns in deine Ewigkeit. Danke, dass das kommende Jahr uns auch darin ein ganzes Stück näher zu dir bringt.
Hilf uns, dass wir uns nicht in irdischen Kleinigkeiten oder belanglosen Dingen verlieren. Lass uns diese große Zielrichtung immer wieder deutlich vor Augen haben. Und dann gib uns in den Entscheidungen des Alltags deinen Heiligen Geist, damit wir richtig und weise handeln – als Bürger deiner kommenden Welt.
Hilf uns, uns zu bewähren als Kinder des Lichts mitten in einem verkehrten Geschlecht. Hilf uns, solche Menschen zu werden, in denen du wirkst!
Ich möchte dich heute Abend auch bitten für alle, die traurig sind, weil sie einen lieben Menschen verloren haben. Du kannst besser trösten als eine Mutter. Hier befehlen wir die Schwermütigen an dich, Menschen, die mit ihrem Leben gescheitert sind.
Du kennst alle, die heute Abend heimatlos sind und keinen Menschen haben. Gib uns ein Gespür und eine Offenheit für Menschen, denen wir von deiner Liebe weitersagen müssen.
Lasst uns gemeinsam beten:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Nun wollen wir um den Segen Gottes bitten:
Herr, segne uns und behüte uns.
Herr, lass dein Angesicht leuchten über uns und sei uns gnädig.
Erhebe dein Angesicht auf uns und gib uns deinen Frieden!
