Begegnet und die Verarbeitung der Vergangenheit

Reihe: Gott hat den Überblick! (5/7)
Jürg Birnstiel
0:00:00
0:32:35
Serie | 7 Teile

Gott hat den Überblick

Serie in der Offline-Playlist speichern

1.Mose 42-44 Reihe: Gott hat den Überblick! (5/7)

Einleitende Gedanken

Als die Hungersnot in Ägypten begann, lebte Josef bereits 20 Jahre in Ägypten. Die Ägypter nannten ihn Zafenat-Paneach. Der Pharao gab ihm die Tochter eines Priesters zur Frau. Und Josef wurde Vater. Er bekam zwei Söhne: Manasse und Ephraim. So versöhnte sich Josef mit seinem Schicksal. Das zeigt sich besonders bei der Namensgebung seiner Söhne. So lesen wir in der Bibel: Josef nannte den Erstgeborenen Manasse (Vergessling), denn er sagte: „Gott hat mich all meine Sorge und mein ganzes Vaterhaus vergessen lassen.“ Den zweiten Sohn nannte er Efraim (Fruchtbringer), denn er sagte: „Gott hat mich fruchtbar werden lassen im Lande meines Elends.“ Gen.41,51-52. Doch ganz vergessen konnte und wollte er seine Familie nicht. Wir beschäftigen uns heute mit der Begegnung mit seinen Brüdern, die er nun schon seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte.

Von der Vergangenheit eingeholt

Die Hungersnot beschränkte sich nicht allein auf Ägypten. Sie erstreckte sich über die damals bekannte Welt. „Deshalb kamen Leute aus aller Welt nach Ägypten zu Josef, um Getreide zu kaufen; denn überall herrschte Hungersnot.“ Gen.41,57. So auch im Land Kanaan, wo Jakob mit seinen elf Söhnen lebte. Jakob hörte, dass man in Ägypten Getreide kaufen konnte und sagte seinen Söhnen: „Was steht ihr da und schaut einander an?“ Gen.42,1. Werdet aktiv und geht nach Ägypten – von nichts kommt nichts. So machten sich die zehn Brüder auf den Weg nach Ägypten. Benjamin, den Bruder Josefs, liess Jakob nicht mit ihnen ziehen. Er hatte Angst, ihm könnte etwas zustossen. Unerträglich war ihm die Vorstellung seinen zweiten Sohn von Rahel auch noch zu verlieren. Als die Brüder in Ägypten ankamen, begegneten sie Josef ihrem Bruder. Offensichtlich beaufsichtigte er die Getreideausgabe und die Menschen erwiesen ihm Ehre, indem sie sich vor ihm verneigten. Auch die Brüder Josefs warfen sich vor ihm nieder. Sie hatten keine Ahnung, dass dieser mächtige Mann ihr Bruder war. Wie hätten sie ihn auch erkenne sollen. Er war wie ein ägyptischer Edelmann gekleidet und geschminkt. Sie dachten, falls er überhaupt noch lebte, würde er irgendwo als Sklave arbeiten. Dass ihr Bruder nebst dem Pharao der mächtigste Mann Ägyptens war, hätten sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Josef erkannte seine Brüder sofort. Und als sie vor ihm am Boden lagen, erinnerte er sich an seine Träume über die Garben, die Sonne, der Mond und die Sterne, die sich vor ihm verneigten. An die Träume, für die ihn seine Brüder noch mehr hassten und töten wollten. Josef liess sich aber nichts anmerken und behandelte sie wie Fremde. „Woher kommt ihr?“, fragte er sie streng. „Wir kommen aus dem Land Kanaan“, antworteten sie, „wir möchten Getreide kaufen.“ Gen.42,7. Josef sprach über einen Dolmetscher mit ihnen. Er trieb nun seine Brüder in die Enge. Sie wollen gar kein Getreide kaufen, das sei nur eine Tarnung. In Wirklichkeit seien sie Spione behauptete er. Sie würden nur das Land erkunden wollen, um herauszufinden, wo sie später mit einer Armee ins Land einfallen könnten. Die Brüder wehrten sich: „Wir alle sind Söhne eines Vaters, ehrliche Leute! Wir sind keine Spione!“ Gen.42,11. Josef liess nicht locker. Er unterstellte ihnen, sie würden lügen, sie seien Spione. „Nein“, erwiderten sie, sie seien bestimmt keine Spione, denn sie gehörten alle zu einer Familie: „Wir sind zwölf Brüder, deine ergebenen Diener, Söhne eines Mannes im Land Kanaan. Der Jüngste blieb bei unserem Vater, und einer ist tot.“ Gen.42,13. Josef muss ein Stich durchs Herz gegangen sein, als er das von ihnen hörte: „Einer ist tot.“ Wenn sie wüssten! Doch Josef liess sich nichts anmerken. Unbeirrt beschuldigte er sie: „Ich bleibe dabei: Ihr seid Spione!“ Gen.42,14. Er verlangte, dass sie ihm beweisen, dass sie die Wahrheit sagten und zwar indem sie ihren jüngsten Bruder hierherholen. Einer soll den kleinen Bruder holen, die anderen sollen hier warten. Und er liess zunächst alle für drei Tage einsperren. Am dritten Tag machte er ihnen einen für die Brüder besseren Vorschlag. Und er signalisierte ihnen, dass er beabsichtige gerecht zu handelt, denn er meinte: „Tut, was ich euch sage, dann bleibt ihr am Leben. Auch ich ehre Gott.“ Gen.42,18. Josef ehrt Gott. Das hätte seine Brüder aufhorchen lassen können. Doch sie waren mit ihrer Situation so beschäftigt, dass sie diese Äusserung wohl kaum als eine ernstzunehmende Gottesfurcht betrachteten. Josef verlangte jetzt, dass einer der Brüder in Ägypten – sozusagen als Pfand – im Gefängnis bleiben musste. Die restlichen neun Brüder sollen zurückreisen, um ihren jüngsten Bruder zu holen. „Aber schafft mir euren jüngsten Bruder her! Dann will ich euch glauben und ihr müsst nicht sterben.“ Gen.42,20. Die Brüder willigten ein. Ehrlich gesagt blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig. Sie waren richtig aufgewühlt, denn sie befürchteten, dass sie von ihrer Vergangenheit eingeholt würden. Sie sagten zueinander: „Das ist die Strafe für das, was wir unserem Bruder angetan haben. Seine Todesangst liess uns ungerührt. Er flehte uns um Erbarmen an, aber wir hörten nicht darauf. Dafür müssen wir nun selbst solche Angst ausstehen.“ Gen.42,21. Sie sahen in dem, was ihnen nun geschah, eine Strafe Gottes. Und Ruben, der damals Josef beschützen und retten wollte, sagte: „Ihr wolltet ja nicht hören, als ich zu euch sagte: ‘Vergreift euch nicht an dem Jungen!’ Jetzt werden wir für seinen Tod zur Rechenschaft gezogen!“ Gen.42,22. Vermutlich war Josef bis zu diesem Zeitpunkt bei den Brüdern kein Thema mehr gewesen. Sie werden nicht darüber gesprochen haben. Es war einfach ein dunkles Familiengeheimnis. Sie verdrängten ihre schreckliche Tat, doch vergessen konnte sie keiner. Jetzt, wo sie unter Druck geraten waren, kommt diese schwere Schuld plötzlich hoch. Das ist heute nicht anders. Wir können Schuld verbergen und verdrängen. Wir können uns mit unserer Schuld arrangieren. Es lassen sich scheinbar gute Rechtfertigungen finden. Was kann ich dafür, dass ich untreu geworden bin, wäre meine Frau oder mein Mann netter mit mir gewesen, hätte ich das nicht getan. Wir wälzen unsere Schuld gerne auf andere ab und Rechtfertigen damit unsere Sünden. Wenn es um Verdrängung von Schuld geht, sind Menschen unglaublich kreativ. Doch früher oder später wird sich die Schuld bei uns melden, egal wie gut wir sie wegerklärt hatten. Irgendwann wird sie – mag sie noch so tief vergraben sein – hochgespült. Bis die Brüder nach Ägypten kamen, schienen sie ihr Leben im Griff zu haben. Doch jetzt wird ihnen klar, dass sie für ihre schreckliche Tat an ihrem Bruder bezahlen müssen. Auch der König David versuchte seine Schuld zu verdrängen. Er wollte seinen Ehebruch und den Mord an dem Mann von Batseba verdrängen. Aber auf Dauer war ihm das nicht gelungen. In einem Psalm spricht er über diese schreckliche Zeit: „Solange ich meine Schuld verschwieg, wurde ich von Krankheit zerfressen, den ganzen Tag habe ich nur gestöhnt.“ Ps.32,3. Verdrängte Schuld kann uns tatsächlich krank machen. Es ist ein grosser Irrtum, wenn wir meinen, wir könnten die Schuld erfolgreich beseitigen, indem wir sie verdrängen. Die Schuld wird sich früher oder später melden. Gott ist nämlich nicht vergesslich. Als Kain Abel ermordete sagte Gott zu Kain: „Hörst du nicht, wie das Blut deines Bruders von der Erde zu mir schreit?“ Gen.4,10. Vor Menschen können wir Schuld verbergen, aber nicht vor Gott. Spätestens dann, wenn wir vor dem Richterstuhl Gottes stehen werden, wird unsere Schuld ans Licht kommen. Johannes sah das in einer Vision: „Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, vom Kleinsten bis zum Grössten. Es wurden Bücher aufgeschlagen, in denen stand, was jeder getan hatte, und aufgrund dieser Eintragungen wurden die Toten gerichtet; jeder empfing das Urteil, das seinen Taten entsprach.“ Offb.20,12. Spätestens dann wird niemand mehr seine Schuld verbergen können. Seit Jesus in diese Welt kam, gibt es für jeden von uns die tolle Möglichkeit, unsere Schuld loszuwerden und diesem Gericht, das Johannes in einer Vision sah, zu entgehen. Jesus sagte das so: „Wer auf mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben. Auf ihn kommt keine Verurteilung mehr zu; er hat den Schritt vom Tod ins Leben getan.“ Joh.5,24. Diesen Glauben an Jesus können wir in einem Gebet zum Ausdruck bringen und dann bekommen wir das ewige Leben. Doch selbst wenn wir das ewige Leben haben, können wir uns noch versündigen. Dann macht uns Jesus ein wunderbares Angebot, das Johannes in seinem Brief beschreibt: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, erweist Gott sich als treu und gerecht: Er vergibt uns unsere Sünden und reinigt uns von allem Unrecht, das wir begangen haben.“ 1.Joh.1,9. Wenn du eine Schuld hast, die du versteckst und verdrängst, dann lass sie hochkommen. Bring die Schuld mit Gott in Ordnung. Denn nicht vergebene Schuld wird dich zerfressen. David jubelte, als er endlich seine Schuld los wurde: „Freuen dürfen sich alle, denen Gott ihr Unrecht vergeben und ihre Verfehlungen zugedeckt hat!“ Ps.32,1. Nun, die Brüder von Josef hatten ihre Schuld verdrängt und jetzt meldet sie sich mit voller Wucht. Als Josef hörte, wie sie über diese Tat sprachen, wandte er sich von ihnen ab und weinte. Als er sich wieder gefasst hatte, liess er Simeon vor ihren Augen festnehmen und die Brüder machten sich auf den Weg nach Kanaan. Als unterwegs einer der Brüder seinen Sack mit dem Getreide öffnete, lag das ganze Geld, das sie für das Getreide bezahlen mussten, oben im Sack. Sie waren schockiert und niedergeschlagen sagten sie: „Warum hat Gott uns das angetan?“ Gen.42,28. Die Vergangenheit hatte sie eingeholt.

In der Gegenwart bewährt

Zurück bei ihrem Vater erzählten sie alles, was in Ägypten geschah. Sie berichteten Jakob, was dieser mächtige Herrscher von Ägypten verlangte. Sie müssten jetzt gleich nochmals mit Benjamin dorthin reisen, um Simeon zu befreien. Doch Jakob weigerte sich, Benjamin mitziehen zu lassen. Er warf seinen Söhnen vor, warum sie überhaupt erzählten, dass sie noch einen Bruder hätten. Jedenfalls blieben sie in Kanaan und liessen Simeon in Ägypten. Doch als die Vorräte langsam aufgebraucht waren und die Hungersnot anhielt, forderte Jakob seine Söhne auf, sie sollen nochmals nach Ägypten reisen, um Getreide zu kaufen. Seine Söhne weigerten sich. Sie würden nur nach Ägypten reisen, wenn Jakob Benjamin mitreisen liesse. Ansonsten könnten sich gleich hier sterben. Nach langem Hin und Her liess Jakob Benjamin mit seinen Söhnen ziehen. Er sagte ihnen beim Abschied: „Ich bete zu Gott, dem Gewaltigen, dass der Ägypter Erbarmen mit euch hat und Benjamin und euren anderen Bruder wieder mit euch heimkehren lässt. Muss ich denn alle meine Kinder verlieren?“ Gen.43,14. In Ägypten angekommen führte man die Brüder ins Haus Josefs. Sie befürchteten das Schlimmste. Sie sagten zueinander: „Das ist wegen des Geldes, das wieder in unsere Säcke geraten ist! Die Ägypter werden über uns herfallen, uns unsere Esel wegnehmen und uns zu Sklaven machen.“ Gen.43,18. Doch als Josef erschien redete er freundlich mit ihnen. Er erkundigte sich nach dem Ergehen seines Vaters und was ihn vor allem interessierte, ob er noch lebe. Und dann sah er seinen kleinen Bruder Benjamin. Er sagte ihm: „Gott segne dich, mein Sohn!“ Gen.43,29. Josef konnte seine Fassung nicht mehr wahren. „Er lief schnell hinaus. Er war den Tränen nahe, so sehr bewegte ihn das Wiedersehen mit seinem Bruder. Er eilte in sein Privatzimmer, um sich dort auszuweinen.“ Gen.43,30. Als er sich wieder gefasst hatte, wusch er sein Gesicht, damit man nicht erkennen konnte, dass er geweint hatte. Er ging dann zurück zu seinen Brüdern. Er lud sie zum Essen ein und die Brüder staunten nicht schlecht, als sie sich ihrem Alter entsprechend der Reihe nach an den Tisch setzten mussten. Und noch etwas Sonderbares stellten sie fest, als das Essen serviert wurde. „Benjamin erhielt fünfmal so viel wie die anderen Brüder.“ Gen.43,34. Während dem Essen entspannte sich die Stimmung. „Sie tranken mit Josef Wein, bis sie in ausgelassener Stimmung waren.“ Gen.43,34. Aber das war nicht das Happy End der Geschichte. Josef hatte noch eine letzte Lektion bereit. Er liess das Geld für das Getreide erneut in die Säcke legen. Zusätzlich liess er in den Sack von Benjamin seinen silbernen Becher legen. So zogen die Brüder los, glücklich dass diese Geschichte doch noch zu einem guten Ende gekommen war. Doch die Freude war von kurzer Dauer. Der Haushalter Josefs eilte den Brüdern nach und sagte ihnen, dass der silberne Becher seines Herrn abhanden gekommen sei. Einer von ihnen hätte ihn gestohlen. Die Brüder wehrten sich. Nie würden sie auf eine solche Idee kommen. Und um ihrer Unschuld Nachdruck zu geben, sagten sie: „Wenn sich der Becher bei einem von uns findet, soll der Betreffende sterben, und wir anderen wollen deine Sklaven sein.“ Gen.44,9. Es dauerte nicht lange, bis der Becher im Getreidesack von Benjamin gefunden wurde. Nun waren sie ausser sich! Das war der Super Gau! Schlimmer hätte es gar nicht kommen können. „Die Brüder zerrissen entsetzt ihre Kleider, beluden ihre Esel und kehrten allesamt in die Stadt zurück.“ Gen.44,13. Jetzt würde auch noch Benjamin getötet werden! Zurück bei Josef ergriff Juda das Wort und sagte zu Josef: „Was sollen wir sagen, Herr? Womit könnten wir uns rechtfertigen? Gott hat unsere Schuld ans Licht gebracht. Wir alle sind jetzt deine Sklaven, genau wie der, bei dem sich der Becher gefunden hat.“ Gen.44,16. Mit dieser Schuld, die Gott ans Licht gebracht hatte, muss er die Schuld gemeint haben, die sie sich durch die schreckliche Tat an Josef auf sich geladen hatten. Diesmal richten sich die Brüder aber nicht gegen Benjamin den Lieblingssohn ihres Vaters, sondern sie solidarisieren sich mit ihm. Ganz anders als damals, als sie Josef töten wollten. Josef wollte jedoch seine Brüder nicht versklaven. Er wollte nur seinen kleinen Bruder Benjamin bei sich behalten. So antwortete er Juda: „So ungerecht werde ich nicht handeln! Der, bei dem der Becher gefunden wurde, soll mein Sklave sein; ihr anderen könnt in Frieden zu eurem Vater heimkehren.“ Gen.44,17. Nein, wie sollten sie ohne Benjamin in Frieden zu ihrem Vater zurückkehren! Juda versucht Josef umzustimmen. Übrigens war Juda auch der Wortführer, als es darum ging Josef zu töten. Was für eine Wandlung dieser Mann vollzogen hat! Jetzt kämpfte er um seinen kleinen Bruder und um seinen Vater. Er erzählte Josef, dass sein Vater immer noch darunter leide, dass der erste Sohn seiner liebsten Frau von einem Tier zerrissen worden sei. Wenn er nun Benjamin, den zweiten Sohn dieser Frau auch noch verlieren würden, dann würde das seinen Vater vollends zerbrechen. Schlussendlich flehte Juda darum, dass er den Platz Benjamins einnehmen dürfte: „Erlaube mir, Herr, dass ich anstelle des Jungen hier bleibe und dein Sklave werde. Ihn aber lass mit den anderen heimkehren!“ Gen.44,33. Was für eine Wandlung hatte Juda durchgemacht! Vielleicht fragen sich die einen schon länger, warum Josef seine Brüder dermassen in die Enge getrieben hatte. Wenige von uns können sich die Ängste vorstellen, die diese Brüder durchmachen mussten – Wechselbäder der Gefühle. Wollte sich Josef an seinen Brüdern rächen? Warum hatte er sich ihnen nicht gleich zu erkennen gegeben? Das hätte doch alles vereinfacht. Vielleicht spielte der Gedanke, dass er seinen Brüdern zeigen wollte, was er selber durchmachte, auch eine gewisse Rolle. Doch denke ich nicht, dass Rache und Strafe die Hauptmotive waren. Vielmehr gehe ich davon aus, dass Josef wissen wollte, ob sich seine Brüder geändert hatten. Sein kleiner Bruder wurde von ihrem Vater genauso bevorzugt, wie er damals. Um diese besondere Stellung Benjamins noch hervorzuheben, bevorzugte auch Josef seinen kleinen Bruder. Ihm wurde fünfmal mehr aufgetischt als seinen Brüdern. Wie werden die Brüder darauf reagieren? Werden sie Benjamin auch opfern, so wie sie das bei Josef getan hatten? Es wäre doch eine gute Gelegenheit gewesen, diesen verwöhnten und bevorzugten Bruder loszuwerden. Sicher – Josef wollte seinen Brüdern eine Lektion erteilen. Die hatten sie ja auch verdient. Aber er wollte vor allem sehen, wie ihre Einstellung heute ist. Er wollte sehen, ob sie immer noch so hasserfüllt und böse reagieren oder ob sich etwas verändert hat. Wir wissen selber. Erst wenn wir unter Druck stehen, erkennen wir, was in uns steckt. Dann, wenn wir einer unangenehmen und schrecklichen Situation nicht ausweichen können, zeigen wir unser wahres Gesicht. Ich bin überzeugt, dass Gott in unserem Leben manchmal ähnlich handelt. Er möchte wissen, ob das, was wir immer so nett und fromm daherreden, tatsächlich unserer Überzeugung entspricht. In den Sprüchen heisst es: „Für Gold und Silber gibt es Tiegel und Ofen; aber das Herz eines Menschen prüft der Herr.“ Spr.17,3. Im Psalm 66 lesen wir auch davon, dass schwierige Situationen so verstanden werden können, dass sie uns die Gelegenheit bieten, dass wir unsere Vertrauen in Gott beweisen können. Es steht: „Ja, Gott, du hast uns Prüfungen ausgesetzt, du hast uns geläutert wie Silber im Schmelzofen. Du hast uns ins Fangnetz geraten lassen, hast drückende Lasten auf unseren Rücken gelegt. Du hast nichtswürdige Menschen über uns hinwegtrampeln lassen wie über besiegte Feinde. Ins Feuer sind wir geraten, ins Wasser ebenso – aber du hast uns herausgeführt und mit Überfluss beschenkt.“ Ps.66,10-12. Unser Glaube wird dann geprüft, wenn nicht alles rund läuft. Und der Glaube wird dort geprüft, wo wir einen Vorteil nutzen könnten, wenn wir es mit der Treue zu Gott nicht so ernst nehmen würden. Es ist ja nur dieses eine Mal. Eine kleine Notlüge, eine kleine Untreue, was ist das schon. Jesus sagt: „Wer in den kleinsten Dingen treu ist, ist auch in den grossen treu, und wer in den kleinsten Dingen nicht treu ist, ist auch in den grossen nicht treu.“ Lk.16,10. Gott schenkt uns oft Gelegenheiten, dass wir uns bewähren können. So wie sich die Brüder von Josef bewähren konnten, denn dieses Mal hatten sie ihren vom Vater bevorzugten Sohn in Schutz genommen.

Schlussgedanke

Josef erzählte seinen Brüdern von seinem Traum: „Wir banden Garben mitten auf dem Feld. Meine Garbe richtete sich auf und blieb auch stehen. Eure Garben umringten sie und neigten sich tief vor meiner Garbe.“ Gen.37,7. Und nun, als sich seine Brüder Jahre später vor ihm verneigten, dachte er an diesen Traum. Das musste seine Erfüllung sein. Das bestärkte ihn innerlich, dass Gott über all die Jahre die Übersicht nie verloren hatte. Manchmal kann es Jahre, manchmal sogar ein ganzes Leben dauern, bis wir das sehen, was Gott uns versprochen hat. Doch eines dürfen wir wissen: Gott wird seinen Plan immer ausführen und Gott wird seine Versprechen immer erfüllen. Im Hebräer lesen wir: „Was ist denn der Glaube? Er ist ein Rechnen mit der Erfüllung dessen, worauf man hofft, ein Überzeugtsein von der Wirklichkeit unsichtbarer Dinge.“ Hebräer 11,1