Erinnerung an die Kraftquelle im Glauben
Wir fahren fort bei der Lesung aus dem zweiten Kapitel im zweiten Timotheusbrief, Vers 8:
„Vergiss nicht Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist, der aus dem Geschlecht Davids stammt, wie es mein Evangelium lehrt. Für dieses leide ich sogar in Fesseln, wie ein Übeltäter. Aber Gottes Wort ist nicht gefesselt. Darum dulde ich das alles um des auserwählten Willens willen, damit auch sie durch Christus Jesus gerettet werden und die ewige Herrlichkeit empfangen.“
Wahr ist das Wort: Sterben wir mit ihm, so werden wir mit ihm leben. Dulden wir, das kann man auch übersetzen mit „harren wir aus“, so werden wir mit ihm herrschen. Verleugnen wir ihn, so wird er uns auch verleugnen. Sind wir untreu, so bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen.
Herr, segne dein Wort an unser aller Herzen. Amen!
„Ich kann nicht mehr“ – das ist ein Satz, den man heute oft hören kann. Doch so sprechen meist nicht die Wehleidigen, sondern die Tapferen. Was haben sie schon alles ertragen müssen! Sie haben, ohne sich etwas anmerken zu lassen, die schwersten Schmerzen ausgehalten. Sie haben eine Enttäuschung nach der anderen ertragen und gleichzeitig nach außen hin die gleichmütigste Freundlichkeit gezeigt. Und dann haben sie von Menschen viel, viel Böses erfahren und erlebt.
Sie haben alles ausgehalten, ohne Klagen, ohne Murren. Aber jetzt geht es einfach nicht mehr. Jetzt sind sie am Ende ihrer Kraft. Jetzt können sie nicht mehr, sie sind erschöpft, ausgepumpt, zusammengebrochen.
Wenn Sie heute Morgen so zum Gottesdienst gekommen sind, dann wünsche ich Ihnen, dass Sie heute wieder die Energie Gottes neu entdecken und finden, die in Ihr Leben hineinströmt. Dass das wahr wird, was wir am Anfang unseres Gottesdienstes gesagt haben: Dass Sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass Sie laufen und nicht matt werden, dass Sie wandeln und nicht müde werden.
Die verborgenen Kraftreserven im Glauben
Aber ich habe noch eine zweite Hoffnung.
Es geht jetzt um Christen, die sagen: „Das weiß ich ja mit der Kraft. Ich kenne diese Kraft, ich benutze sie, ich lebe doch damit. Was wäre mein Leben ohne diese große, mächtige Kraft Christi?“
Ich muss Ihnen sagen: Ich fürchte, Sie kennen diese nie ausgeschöpften Kraftreserven noch gar nicht. Wenn Sie diese Kraftreserven wirklich kennen würden, dann wäre Ihr Leben nicht so verkrampft. Manchmal tun Sie ja so, als müssten Sie Ihr Leben selbst meistern. Meinen Sie das im Ernst? Dann wäre ja nicht alles bei Ihnen so verzwungen, dann wären Sie nicht so matt und enttäuscht.
Auch das liegt in unserem Bibelabschnitt, den wir heute hier im Gottesdienst haben. Paulus schreibt an einen Christen, der ein Mitarbeiter des Apostels war und einen wichtigen Dienstauftrag hatte. Doch er muss hier wieder an diese großen Kraftreserven erinnert werden, von denen sein Leben zehrt und aus denen er seine ganze Kraft schöpfen kann. Davon wollen wir jetzt auch reden.
Ich muss zuerst einmal davon sprechen: Wo sind denn die Kraftreserven?
Schauen Sie sich einmal die Christen genauer an. Drehen Sie sich um, und Sie sehen ja allerhand Christen um sich herum. Gehen Sie dann mit mir und fragen Sie sich: Wie ist das, sind das wirklich so starke Leute? Sie haben doch viele Christen kennengelernt. Haben nicht die Nichtchristen recht, wenn sie sagen: „Ach, ich habe Christen gesehen, war enttäuscht, das sind ganz normale Leute, manchmal sogar auffallend schwächliche Leute.“
Sollen wir das nach außen hin einfach zudecken, oder wie ist das? Ich bin immer wieder froh, wenn wir an diesem Punkt anfangen, dass wir uns alle Illusionen wegnehmen lassen.
Wir sind heute Morgen hergekommen und wollen uns das ganz offen eingestehen: Wir haben gar nicht die Kräfte, über die wir oft zu verfügen meinen. Wir sind ganz komplizierte, schwierige, schwache Menschen, die ihr Leben kaum in den Griff kriegen. Und dann reden wir hier von der Kraft, von dem großen Vermögen und von dem Können?
Unsere Schwäche ist eine ganz große Hilfe. Nur wenn wir schwach sind, können wir die Kraftreserven richtig entdecken.
Wenn Sie fragen: Wo sind denn die Kraftreserven? Nicht bei uns! Wenn Sie auch fälschlicherweise in Menschen Kraftreserven gesucht haben, die Ihnen vielleicht ein Vorbild waren, werden Sie enttäuscht. Suchen Sie die Stärke nie in einem Christen, nie!
Wenn Sie die Kraftreserven suchen, liegen sie nie in der menschlichen Kraft. Sie liegen nie im Vermögen, das jemand hat, im Können, in seinen Fähigkeiten, in seinen Gaben, in seiner Person, in seinem Charakter – nie!
Paulus sagt als Apostel, dem wir nacheifern sollen: „Ich will mich am liebsten meiner Schwachheit rühmen, ich will am liebsten mit meiner Schwachheit prahlen und angeben, denn darin liegt der Schlüssel meiner Stärke.“
Jetzt werden Sie sagen: „Ich komme da nicht mit, das klingt so... muss ich ein Fremdwort benutzen... dialektisch, ganz kompliziert, das kriege ich in meiner Logik nicht zusammen.“
Die zentrale Erinnerung an Jesus Christus als Kraftquelle
Ich beginne mit dem ersten Vers unseres Abschnitts, in dem Paulus zu Timotheus sagt: Vergiss nicht Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist. Selbst ein Prediger des Evangeliums, wie Timotheus es war, muss daran erinnert werden. Paulus sagt: Du, Timotheus, vergiss nicht, da ist Jesus, der Herr, da.
Ich war heute am Anfang, während der Vorbereitung und jetzt zu Beginn dieses Gottesdienstes, so befreit. Ich muss das nicht machen, ich muss nicht die Wirkungen bei Ihnen hervorrufen. Denn Jesus Christus ist gegenwärtig, und das ist unsere Kraft. Diese Kraft liegt nicht in mir, es ist sein Wunder.
Vergiss nicht, dass sogar fromme Leute Christus vergessen können. Sicher, sie reden über ihn, aber sie vergessen, mit seiner Kraft zu denken und zu planen. Timotheus steckte in Sackgassen, in denen er mit seinem Leben nicht weiterkam. Er wusste nicht, wo ein Weg weitergehen sollte. Überall sah er nur verbarrikadierte Wege.
Dann ruft ihm Paulus zu: Vergiss nicht, Timotheus, vergiss nicht Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist! Es gibt keine verschlossenen Wege! Wir stehen jetzt noch vor der Frage: Wo sind denn die großen Kraftreserven? Sie liegen nicht in uns, sondern wir machen uns bewusst, dass da doch noch der eine ist, der verheißen hat, alle Tage bei uns zu sein bis ans Ende der Welt. Darum werden wir nicht müde.
Nun erinnert Paulus an die Auferstehung von den Toten. Warum tut er das? Das ist ganz klar: Der Tod ist die dickste Mauer dieser Welt. Wir können viele Probleme lösen, manche nicht, aber am allerwenigsten können wir die Todesnot lösen. Jeder Mensch steht wehrlos vor der grauenvollen Macht des Todes.
Und nun sagt Paulus: Sieh doch, Timotheus, Jesus ist da, der die Mauern des Todes aufgesprengt hat – leibhaftig, wirklich, tatsächlich – und der in deinem Leben da ist.
Manchmal habe ich den Eindruck, fromme, liebe Christen wollen ihrem Leben noch so ein bisschen Kraft entlocken, wie man aus einem trockenen Handtuch noch einen Tropfen herauspressen will. Aber es kommt nichts mehr heraus. Geben Sie doch den nutzlosen Versuch auf, Ihrem Leben noch Kraft abzuringen, als könnten Sie das.
Unsere Kraft ist doch nicht die, die wir angeboren mit uns herumtragen. Sondern es ist die Kraft Jesu Christi, der von den Toten auferstanden ist. Und wenn er in Ihrem Leben wirkt, stellen Sie ihn doch in Ihre Erziehungsschwierigkeiten hinein, stellen Sie ihn in Ihre Familiennöte hinein, stellen Sie ihn in Ihre Spannungen hinein.
Vergiss nicht Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist! Da liegen doch die Kraftreserven.
Die Bedeutung der Gegenwart Christi im Alltag
Wer fremde Sprachen beherrscht, weiß, dass Worte oft einen doppelten Sinn haben oder auf unterschiedliche Weise wiedergegeben werden können. Vergegenwärtige dir Jesus Christus.
Was bedeutet es, wenn jemand in seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten sich an den auferstandenen Herrn Jesus Christus erinnert, der dem Tod die Macht genommen hat? Vielleicht mag jemand ungläubig lächeln. Doch das Staunen wird noch kommen, wenn sie erfahren, wie Jesus heute in ihrem Leben wirkt. Besonders dann, wenn sie das auch angesichts der finsteren Mächte erleben, die ihren Würgegriff bereits um ihren Hals gelegt haben.
Manchmal sagen Menschen: „Ich spüre Lasten über meinem Leben.“ Ich spreche jetzt zu all denen, die sagen: „Ich kämpfe in meinem Leben mit Einflüssen und Fantasien, die ich nicht mehr steuern kann. Mir ist, als ob der Teufel in meinem Herzen und in meinem Leben alle Macht hat.“
Vergiss nicht Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist. Dort liegt die Kraft. Du darfst als Schwacher und Ohnmächtiger ihm jetzt danken, dass er den Sieg errungen hat und dass ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gehört.
Ich liebe das Lied, das wir mit unseren jungen Leuten so gerne singen: „Ich bin schwach, doch du bist stark, deine Kraft hilft mir voran.“ Diese Kraft liegt nicht in mir, sondern in dir.
Ich möchte, dass du das einmal so deutlich erkennst: Die Kraftreserven habe ich nicht, und ich werde sie auch nie haben. Selbst wenn ich in meinem Christenleben Fortschritte mache, werde ich niemals über Kraftreserven verfügen. Und wenn du noch so viele Dinge für Gott tun darfst, wirst du niemals über eigene Kraftreserven verfügen. Du wirst immer nur wissen: Dort ist Jesus, der alle Macht im Himmel und auf Erden hat. Und wo ich bei ihm stehe, dort bin ich auch stark.
Die Schwäche der Christenheit und die Notwendigkeit der Demut
Nun ist es ja notvoll mit den Christen. Bleiben wir noch einmal stehen bei dem Gedanken, dass die Christen doch ein sehr müdes, schwächliches Volk sind. Heute kann man verzweifeln und fragen: Ist das die Christenheit? Ist das der ganze Eindruck, den die Christenheit der Welt vermittelt?
Schau sie dir doch einmal an: ein zerstrittenes Häuflein, das gar nicht weiß, was es will. Sie wissen nicht einmal richtig, was sie glauben. Es herrscht eine große Krise in der Theologie an den Universitäten.
Mir ist das wie bei den beiden Emmaus-Jüngern, die hinausziehen, während Jesus unsichtbar zu ihnen getreten ist. Sie erkennen ihn noch nicht. Sie meinen, es sei ein anderer, und unterhalten sich miteinander. Sie klagen Jesus ihre ganze Not: „Ach, es ist so, wir dachten, er sollte Israel erlösen. Jetzt bricht der ganze Laden zusammen.“ So laufen sie weg.
Dann schimpft Jesus sie an und sagt: „O ihr Toren und Trägen Herzens!“ Wir sind manchmal so blinde Leute. In unserem klagenden Jammern vergessen wir, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Vergiss ihn doch nicht! Vergegenwärtige ihn dir, nimm ihn hinein in deine Alltagsnöte.
Ich möchte diesen ersten Teil wieder mit Zinzendorfs Worten beschließen: König, gib gesunde Augen, die etwas taugen! Rühre unsere Herzen an, denn das ist die größte Plage, wenn man am Tage das Licht nicht sehen kann.
Dann kommt das Zweite...
Der Zugang zu den Kraftreserven durch Annahme der Schwäche
Wie kommt man an diese Kraftreserven heran? Ganz einfach gesagt: Man kommt an die Kraftreserven, indem man sie einfach nimmt. Es klingt leicht, sie zu nehmen, aber leichter gesagt als getan.
Die Schwierigkeit liegt in uns stolzen Menschen. Bei mir ist das eine Not; vielleicht geht es Ihnen an dieser Stelle besser. Ich bin so stolz, dass ich alles möglichst selbst machen will. Bevor ich jemanden um Hilfe bitte, will ich es lieber selbst versuchen. Ich denke: „Vielleicht schaffe ich es doch.“ Auch im Glauben sind wir oft so stolz. Wir setzen großen Ehrgeiz daran, unser Christenleben möglichst aus eigener Kraft zu führen. Dabei muss es doch zwangsläufig zu Misserfolgen kommen. Das kann gar nicht funktionieren.
Wir meinen, wir müssten alles selbst schaffen. Sind wir so töricht wie die Pharisäer, die es doch gar nicht schaffen können? Jesus hat uns als vorbildliche Menschen die Bettler hingestellt, die wir oft als Parasiten der Gesellschaft beurteilen – diejenigen, die einfach die Hand ausstrecken und abkassieren. Doch Jesus sagt: Wer so handelt, der ist richtig. So kommt man nur an die Kraftreserven heran, indem man die Hände ausstreckt und nimmt.
Darum möchte ich Sie bitten: Nehmen Sie in Ihrem Leben die Erlebnisse, bei denen Sie an die Grenzen Ihrer Kraft stoßen, als ganz große Gnadenstunden an. Wir verzweifeln immer wieder, wenn wir merken: „Ich kann es nicht aus eigener Kraft.“ Dann werden wir oft fast depressiv, anstatt zu erkennen, dass wir an genau dieser Stelle wieder schöpfen können. Jetzt kommen wir an die Kraftreserven Jesu heran.
Das war gerade bei dem großen Apostel Paulus so interessant. Er sagt: „Ich will mich meiner Schwachheit rühmen.“ Er ist sogar froh, wenn er gesundheitlich nicht geheilt wird. Das klingt widersinnig, wenn man krank bleibt. Aber die Kraft Gottes zeigt sich erst in der Schwachheit. Verstehen Sie das? In einer Gemeinde können gerade diese Zeiten, in denen man von Misserfolg zu Misserfolg geht, ganz große Segenstunden sein. Wenn man einen Dienst tun will und scheinbar nicht erhört wird, wenn man große Dinge vorhat und alles nicht so läuft, wie geplant, dann sind das große Segenstunden. Nur so kommt man an die großen Kraftreserven Gottes heran.
Nehmen Sie zum Beispiel die großen Nachfolger Jesu, etwa Petrus. Petrus war erst stark, als Jesus ihn in die Schwäche führte, als er zerbrochen war. Wir sollten viel mehr darüber sprechen und sagen: „Ich war auch mal so ein stolzer Christ, der meinte, er könne mit seinem strahlenden Christentum die Welt überzeugen. Doch dann ist in meinem Leben viel zerbrochen. Ich habe gemerkt, dass Gott das nicht zulässt und mich scheitern lässt. Ich will mich am allerliebsten meiner Schwachheit rühmen.“
Petrus wurde von einem anderen geführt, wohin er nicht gehen wollte. Ein anderer nahm ihn an die Hand und führte ihn. Verstehen Sie, warum manche jetzt einen schweren Leidensweg gehen, warum manche müde und verzagt sind? Warum wir oft im Reich Gottes durch dunkle Stunden gehen, durch Wochen, in denen wir meinen, allein gelassen zu sein?
Die Kraft Gottes im Leiden und in der Schwachheit
Paulus sagt hier: „Ich leide für mein Evangelium.“ Warum leidet er für das Evangelium? Er leidet sogar in Fesseln, weil er sagt, das Evangelium könne nur in äußerer Schwachheit bewährt werden.
Da haben diese Gefängniswärter Paulus in eine Zelle geführt. Er, der so groß vom Sieg Jesu redete, ist gebunden wie ein Krimineller, wie ein Übeltäter. Doch er sagt: „Aber Gottes Wort ist nicht gebunden.“ Obwohl man ihn in Ketten legt, beweist Jesus seine Kraft immer wieder, indem er zeigt, dass er Paulus gar nicht braucht.
Das gefällt Jesus bis in unsere Tage hinein: Er macht uns ganz schwach und sagt, er brauche uns gar nicht. Und dennoch baut er sein Reich. Es geschieht nur aus der Schwachheit.
Wie kommt man an diese Kraftreserven heran? Indem man Ja sagt zu seiner Schwäche. Ob Sie das jetzt fassen können oder nicht – ich kann es Ihnen immer besser illustrieren: Sie sind ein Christ nur, wenn Sie um Ihre fortdauernde Schwäche wissen.
Im Christenleben kommen Sie nie wirklich weiter, es gibt keine Fortschritte. Sie bleiben ein schwacher Mensch, aber in den Armen Jesu geborgen. „Ich stehe meines Herrn an und will darin stehen bleiben.“ Das ist unser christliches Bekenntnis.
Sinne Sie noch einmal nach über all die großen Gotteszeugen: Mose, der durch die Wüste ging und das Volk führen musste, ohne Wasser. Und dann klagten sie ihn an. Er schlug zornig auf den Felsen, weil er es nicht mehr aushalten konnte, von Gott hineingespannt zu sein.
Das war kein leuchtender Gottesbote, wie wir es in unserem märchenhaften Hirn ausdenken. Das war ein zerbrochener Mann, der um seiner Sünde willen nicht das Land sehen durfte, das Gott verheißen hatte.
Es gibt keine leuchtenden Gottesboten, es gibt zerbrochene Menschen, die durch Jesus gehalten sind.
Da war Elia, dieser eifrige Gottesmensch, der die große Schlacht auf dem Karmel geschlagen hatte. Er lag wie ein Kind in der Wüste und sagte: „Herr, ich kann es nicht mehr, ich kann es nicht mehr.“ Und dann stand der Herr da, stärkte ihn und führte ihn zur neuen Gottesbegegnung.
Dort liegt die Kraft eines Gottesboten.
Ein Jeremia, der so gesandt war, das Wort Gottes zu predigen, klagt in der Bibel: „Oh, wenn ich nur nie geboren wäre! Wenn nur nie einer gelaufen wäre und gesagt hätte, da ist ein Baby geboren! Wenn es nur nie den Tag gegeben hätte, nie wollte ich den mehr haben.“ Er verzweifelt an sich.
Und doch hat er wieder Mut: „Dein Wort ist meines Herzens Speise und Trost. Ich bin ja nach deinem Namen genannt.“ Darin liegt die Freude der Christen.
Es ist ganz eigentümlich, dass es nur in diesem Gegensatz geht: Wir erkennen unsere Schwäche und schauen auf Jesus, der uns an die Hand nimmt und uns stark macht.
Diese Kraftreserven werden nur in großer Schwachheit erschlossen.
Darum dulde ich das alles um der Auserwählten willen, damit auch sie durch Christus Jesus gerettet werden und die ewige Herrlichkeit empfangen.
Wir müssen immer ein Stück Schwachheit auch mit unserem Leib herumtragen, auch als Gottesboten, damit die anderen merken: Es liegt nicht an der Persönlichkeit, sondern die Kraft liegt allein in Christus.
Und dort liegt das rettende Evangelium.
Und der Ermahner Paulus sagt dem Timotheus: Merkt doch mal darauf! Darum bleibt in unserem Leben so viel Unvollkommenheit und Schwachheit, weil die Kraft allein von ihm herkommt.
So wird also eine Gefängniszelle zum Bewährungsfeld der Kraft Christi, wo Paulus das einüben darf.
Jetzt verstehen Sie auch, warum Sie in einem so kleinen Raum leben, warum Ihr Leben immer wieder dieses Bewährungsfeld hat, warum Sie sich so wehren, sich mit ganz großen Dingen der Welt zu beschäftigen, wo Sie doch keinen Einfluss haben.
In Ihrer Familie, mit den Schwierigkeiten, die Gott in Ihr Leben hineingelegt hat, sollen Sie die Kraft Christi erfahren.
Gottes Wort ist nicht gebunden. Und wenn Sie noch so sehr gefesselt sind, werden Sie die Kraft Jesu in Ihrem Leben mächtig erfahren, sodass Sie nur staunen können.
Zeugnis von Hudson Taylor: Kraft durch Vertrauen auf Christus
Ich muss an dieser Stelle noch einmal davon erzählen. Ich habe es schon auf dem Michelsberg getan, aber viele von Ihnen waren damals nicht dabei.
Es geht um das Leben des großen Chinamissionars Hudson Taylor, der mir in der Urlaubszeit im Januar so wichtig wurde. Er hat für Gott das größte Missionswerk aller Zeiten angestoßen. Hudson Taylor war ein Mann des Glaubens, der diese Kraft erst mitten im Dienst erfahren hat. Er war völlig am Ende, belastet durch die große Last der Arbeit, die auf ihm in China lag.
Dann erhielt er einen Brief von einem Missionar namens McCarthy. Dieser schrieb ihm, er solle nicht selbst kämpfen und sich abmühen, sondern auf Jesus sehen, sich auf seine lebendige Kraft verlassen und ihm vertrauen. Es sei, als ob die Morgenröte eines herrlichen Tages über ihm angebrochen sei. Hudson Taylor beschreibt das Gefühl, als ob er nur bis an das Ufer eines grenzenlosen Meeres gekommen sei. Es sei, als hätte er nur genippt von etwas, das völlige Befriedigung gibt.
Diesen Brief nahm Hudson Taylor in die Hand. Er hatte so etwas schon oft gehört und selbst gepredigt. Doch später sagte er, das sei die Wende seines Lebens gewesen. Erst jetzt habe er wirklich angefangen, sein Leben auszutauschen und alles, seine ganze Arbeit, so auf Christus zu legen.
Er wusste, dass er es anders gar nicht meistern konnte. Er wollte es auch nicht mehr allein schaffen, denn seine Fähigkeiten reichten dafür nicht aus. Für ihn wurde klar: Christus allein ist die Kraft, die ganze Kraft und die einzige Kraft für seinen Dienst.
Die Früchte des Lebens in der Kraft Christi
Da muss ich jetzt vom Dritten noch sprechen. Was hat man denn davon? Das Erste war: Wo findet man diese Kraftreserven? Wie kommt man an sie heran? Und nun: Was hat man denn davon?
Lassen Sie mich gerade weitermachen. Hudson Taylor hat einen Brief an seine Schwester nach England geschrieben, in dem er sagt: „Ich habe das neue Leben gefunden, überströmend glücklich.“ Sie müssen das in der ganzen Freude nachlesen. Seine Mitarbeiter sagten, sie hätten ihn noch nie so ruhig und gelassen erlebt. Später haben andere oft gesagt: „Ich bewundere Sie um Ihre Nervenstärke.“ Er hat darauf geantwortet, dass das ihm gar nicht eigen sei. Er habe in seinem Leben nur an der Grenze seiner Kraft in der Tiefe erlebt, dass er es nicht könne.
Er sagt weiter: „Eigentlich habe ich“, so sagt er Jahre später, „noch nie so schwere und verantwortungsvolle Arbeit gehabt wie jetzt. Aber die Last und der Druck sind von mir genommen. Die Jahre, die ich jetzt lebe, sind die glücklichsten meines Lebens. Er ist meine Ruhe, er ist mein Frieden. Ich lege alles unter ihn, ich lasse ihn in meinem Leben Herr sein.“
Wenn Sie fragen: „Was habe ich denn von diesen Kraftreserven?“, dann haben Sie das freie, getrostete und geborgene Leben. So wie Paulus den Timotheus auch hier beschreibt: „Sterben wir mit ihm, so werden wir mit ihm leben.“ Wenn wir all unsere Lebensziele Jesus weggeben und nicht große Teile unseres Lebens für uns behalten – das nennt die Bibel Sterben, Absterben mit unserem eigenen Ich –, wenn Jesus in unserem Beruf, in unserer Familie überall der Herr ist, dieses Absterben, dann werden wir mit ihm leben.
Dann können wir auf einmal sagen: „Herr, es ist nicht meine Sache, ich darf auf dich blicken.“ Dulden wir, so werden wir mit ihm herrschen. Ich habe gesagt, dieses Dulden heißt gleichzeitig auch Ausharren, dieses lange Warten oder auch einmal dieses getrostete Zuwarten, wie er es für uns lösen wird.
Auch etwa, wenn Sie in Auseinandersetzungen sind, wo uns das Vorbild gegeben ist im Petrusbrief, dass Jesus nicht widersprach, da er gescholten wurde, der nicht drohte, da er litt. Er stellte es dem anheim, der das Recht richtet. Wenn Sie ausharren und sagen: „Ich mache das nicht mehr zu meinem Kampf, ich lege das im Gebet Jesus hin“, dann werden Sie mitherrschen. Schon in dieser Welt werden Sie wichtigen Einfluss nehmen können. Christus hat Sie dazu bevollmächtigt.
Und das ist die Aufgabe für schwache Christen: in dieser Welt schon zu herrschen, einfach durch die Vollmacht, die einem gegeben ist. Sterben wir mit ihm, so werden wir mit ihm leben. Dulden wir, so werden wir mit ihm herrschen.
Die ernste Warnung und die unerschütterliche Treue Gottes
Verleugnen wir ihn, so wird er uns auch verleugnen – das ist hart. Wenn wir ihn verleugnen, wird er uns ebenfalls verleugnen. Und wenn wir sagen: „Ich brauche dich nicht“, dann braucht er uns auch nicht. An dieser letzten Grenze wird der Ernst des Gerichts sichtbar.
Wenn ich ohne ihn leben will, dann bin ich ein verlorener Mensch. Man bekommt Angst und fragt sich: Wie kann ich dann überhaupt noch mit meinem Christenleben bestehen? Verleugne ich ihn nicht? Und dann fährt Paulus fort: Sind wir untreu, dann müsste eigentlich die Folge sein, dass er auch untreu ist. Nein, dann ist er treu.
Darin liegt die letzte Kraftreserve. Er ist sogar der Garant unseres Glaubens. Selbst wenn wir untreu sind und ihm manchmal nicht nachfolgen, dann geht er uns nach wie der gute Hirte und sucht uns, obwohl wir es gar nicht verdient haben. Darum sagen Sie jetzt nicht: Vielleicht hat er mich schon verleugnet. Heute sucht er Sie in seiner unbegreiflichen Treue.
Er kann sich selbst nicht verleugnen. Er geht uns nach und will uns wieder die ganzen Kraftreserven erschließen. Bitten Sie nicht um zwei Pfund Kraft. Die meisten Christengebete sind wie ein Gebet um eine Flasche Beruhigungsmittel: „Herr, gib mir ein bisschen Trost, gib mir so wieder Pulver, eine Tablette, die mir hilft, über ein paar Schwierigkeiten hinwegzukommen.“
Christus verteilt keine Pulverchen und keine Fläschchen, er gibt sich selbst. Und Sie dürfen ihn nehmen – ihn mit der ganzen Kraftfülle, der alle Macht im Himmel und auf Erden hat. Sie dürfen es heute neu hören: Für dich.
Da stehen dann große Worte in den Psalmen: „Ich gehe ein, Herr, in der Kraft des Herrn, so sollen sie nach Hause ziehen“ oder „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?“ Amen.
Schlussgebet um Kraft und Treue
Wir wollen beten, Herr, und dir einfach danken für dein Wort. Du hast uns als Hungernde und Dürstende die Quelle gezeigt, die nie versiegt – eine Quelle, die immer frisch ist, quellfrisch zu jeder Stunde und zu jedem Augenblick.
Nun vergib uns, dass wir uns abgewandt haben und immer wieder auf andere Stützen geschaut haben als auf dich. Vergib uns, dass wir uns selbst so viel zugetraut haben. Vergib uns unseren schrecklichen Aberglauben an uns selbst, wenn wir mit unserer Kraft gerechnet und von dir weggelaufen sind.
Wir danken dir, dass du, auch wenn wir untreu sind, doch treu bist – ganz treu bis heute. Und dass du uns jetzt wieder aufnimmst mit deinen offenen Armen. Wir dürfen dir all das anvertrauen, was uns jetzt bewegt und umtreibt: die Aufgaben, in denen wir stehen, die Schwierigkeiten, die wir zu tragen haben, all das Schwere, das uns im Leben widerfahren ist, und auch das Bewährungsfeld, in das du uns hineinstellst – so wie du einst Paulus ins Gefängnis gelegt hast.
Du weißt, wer von uns jetzt in solch einem Gefängnis ist, wer leiden muss, wer krank ist, wer durch Schwermut hindurchgeht, durch Traurigkeit, Verlassenheit, bösen Ruf oder Enttäuschung. Du kannst all diese Menschen durch dein Evangelium aufrichten. Dein Wort ist nicht gebunden. Bei dir ist alle Macht im Himmel und auf Erden.
Darum wissen wir dich jetzt auch bei deiner ganzen Christenheit in der Welt geborgen – in welcher Lage sie auch immer gerade ist, in den Spannungsgebieten der Welt. Wir wissen dich auch bei deinem Volk Israel, gerade in diesen bewegenden Tagen, und wir wollen dir dein Volk an dein Herz legen.
Alles, was uns auch bewegt im Blick auf unser eigenes Leben, wollen wir einschließen in das Gebet, wie du es uns gelehrt hast:
Vater unser im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.
