Einführung: Persönliche Gedanken zum Kreuz
Für heute Abend: Ich habe euch gesagt, dass ich mit euch einfach die Dinge teilen werde, die mich gerade beschäftigen und die ich vorbereite.
Viele von euch haben den letzten Rundbrief erhalten, in dem ich einige Worte zum Thema Kreuz geschrieben habe. Dabei ging es darum, wozu das Kreuz dient, warum wir das Kreuz Jesu brauchen und warum es notwendig ist. Einige von euch kennen das auch aus meinem Buch, das war das dritte oder so, mit dem Titel „Du musst sterben, bevor du lebst, damit du lebst, bevor du stirbst“. Sicherlich kennen einige von euch dieses Buch.
Im Kapitel zwei habe ich damals etwas geschrieben, das ich jetzt eigentlich teilweise revidieren muss. Denn im letzten Jahr habe ich mich erneut mit der Kreuzestheologie beschäftigt und festgestellt, dass die Interpretation, die ich dort dargestellt habe, nicht ganz dem biblischen Zeugnis entspricht.
Das ist völlig in Ordnung. Ich mache das gerne so. Ich bin ja kein Wissender, sondern ein Lernender. Ich sehe mich als ein junger Bote Jesu, der jedes Jahr ein bisschen dazulernt. Wenn ich erkenne, dass eine Meinung nicht dem biblischen Zeugnis im Ganzen entspricht, dann muss ich meine Meinung ändern und das auch entsprechend anpassen.
In der nächsten Ausgabe – ich glaube, das wird die achte sein – werden die ersten drei Kapitel revidiert sein. Eigentlich müsste ich nur das zweite Kapitel überarbeiten, aber zum besseren Verständnis habe ich alle drei Kapitel überarbeitet, damit der Zusammenhang stimmt. Die alten drei Kapitel lasse ich am Ende drin, damit man vergleichen kann, wo die Unterschiede liegen.
Grundlegende Themen: Sünde und Versöhnung
Wozu das Kreuz? Man kann die Menschheitsgeschichte im Grunde mit zwei Worten beschreiben: Sünde und Versöhnung.
Die Sünde kam am Anfang in diese Welt und hat den Menschen von Gott getrennt. Darüber haben wir in den ersten beiden Abenden gesprochen. Diese Trennung hat das Desaster in dieser Welt verursacht. Deshalb gibt es Leid, Tod und Tränen. Die Bibel schreibt darüber.
Oft sagen Menschen zu mir: „An den Gott der Bibel kann ich nicht glauben, bei so viel Leid in der Welt.“ Doch das Gegenteil ist der Fall. Wer an den Gott der Bibel glauben will, muss auch an Leid glauben, denn es wird in diesem Buch beschrieben. Die Sünde hat den Menschen von Gott getrennt, und deshalb gibt es Leid. Nicht Gott hat das Leid erfunden, sondern weil der Mensch sich von Gott abgewandt hat, kam das Leid in die Welt. Die Bibel nennt das Sünde.
Das ist der eine Begriff, den wir schon teilweise behandelt haben – für die, die sich an die ersten beiden Abende erinnern. Der zweite Begriff, der die Menschheit prägt, ist Versöhnung.
Nachdem die Trennung eingetreten ist und der Mensch sich von Gott entfernt hat, ist Gott von sich aus auf uns zugekommen und hat uns wieder mit sich versöhnt. Das ist der zweite Begriff, der uns prägt: zum einen die Trennung, zum anderen die Versöhnung.
Das gilt übrigens in jeder Beziehung. Viele von uns kennen Zeiten, in denen wir uns von jemandem getrennt haben – vielleicht sogar eine Scheidung erlebt haben und dadurch eine Beziehung zerbrochen ist. Die einzige Möglichkeit, diese Beziehung wiederherzustellen, ist durch Versöhnung. Es gibt keine andere.
Genauso ist es mit Gott und den Menschen. Ich benutze jetzt menschliche Worte: Nachdem sich der Mensch von Gott getrennt hat, geht Gott dem Menschen nach und möchte sich mit ihm wieder versöhnen. Und genau das ist das Kreuz.
Das Kreuz als Zeichen der Versöhnung
Und dazu komme ich jetzt. Jesus ist gekommen und für unsere Sünden gestorben. Das bekennen Christen seit zweitausend Jahren.
Im ersten Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 3, finden wir eines der ältesten Glaubensbekenntnisse der Christen. Dort schreibt der Apostel Paulus: „Denn ich habe euch vor allem überliefert, was ich auch empfangen habe, dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach den Schriften, und dass er begraben wurde und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach den Schriften, und dann erschienen ist dem Petrus und danach 500 usw.“
Jesus Christus ist für meine Sünden gestorben. Er wurde begraben. Nach drei Tagen ist er auferstanden – am Ostersonntag. Und er lebt heute. Das ist das Evangelium.
Jeder, der das glaubt, ist mein Bruder und meine Schwester in Christus. Alles andere ist Nebensache. Darum geht es: das Evangelium.
Und ich will heute auf das Erste eingehen: Er ist für unsere Sünden gestorben.
Persönliche Zweifel und Fragen zum Kreuz
Jetzt möchte ich euch mein Problem mit dieser These schildern. Als junger Christ hatte ich zunehmend Schwierigkeiten damit, besonders als ich älter wurde. Mein Denken war so, und ich glaube, einige von euch können das nachvollziehen.
Ich habe mich immer gefragt: Warum brauchen wir das blutige Kreuz? Warum – ich sage es jetzt mal ganz krass – schlachtet Gott der Vater seinen Sohn? Das erscheint mir eigentlich als ein Wahnsinn. Mein Denken war folgendermaßen: Der dreieinige Gott hat uns Menschen zur Beziehung geschaffen. Das lese ich in der Bibel von vorne bis hinten – zur Beziehung mit ihm und zur Beziehung untereinander. Dafür sind wir geschaffen.
Aber dann hat der Mensch rebelliert und ist von Gott weggegangen. Er wollte Gott sein, er wollte nicht mehr mit Gott leben. Doch Gott liebt uns trotzdem und will uns vergeben. Nun stellt sich die Frage: Wie schafft er das?
Jetzt muss sein Sohn, der Sohn Gottes, am Kreuz sterben, damit er mir vergeben kann. Meine Frage war immer: Warum kann Gott mir nicht einfach so vergeben? Warum kann Gott nicht vom Himmel herunterschauen – ich nehme jetzt mal die bildliche Sprache – und sagen: „Hans Peter, du hast echt ein Problem, du bist ein wilder Sünder, aber weißt du was, Hans Peter? Ich will dir vergeben, ich will mich mit dir versöhnen, nimm die Versöhnung an, und dann passt wieder alles.“
Warum hätte Gott das nicht tun können? Warum muss ein anderer für mich sterben, damit mir vergeben werden kann?
Besonders in der Zeit, als ich Vater von drei Kindern wurde, hat mich das zunehmend beschäftigt. Ich dachte mir: Ich habe jetzt drei Kinder, angenommen, das mittlere Kind – sie sind alle schon erwachsen, 21, 20, 16 – angenommen, das mittlere oder irgendeins der Kinder sagt: „Vater, mit dir will ich nichts mehr zu tun haben. Ich ziehe irgendwo weg, du hast keine Adresse mehr von mir, keine Telefonnummer, nichts. Du bist nicht mehr mein Vater, ich will weg von dir.“
Nun geht dieses Kind weg und entfernt sich von mir. Als liebender Vater sehne ich mich nach einer Beziehung mit diesem verlorenen Kind. Was tue ich, um mich wieder mit diesem Kind zu versöhnen? Ich nehme jetzt die krasse Sprache: Ich schlachte eines der anderen, damit ich diesem Kind vergeben kann. Das ist doch völlig unlogisch.
Ich würde niemals eines meiner anderen Kinder umbringen, damit ich dem Kind vergeben kann. Ich würde ganz einfach dem Kind, das verloren gegangen ist, meine Vergebung anbieten, um Versöhnung bitten, und wenn es zurückkommt, dann ist die Beziehung wiederhergestellt.
Und ich fragte mich immer: Warum kann Gott das nicht tun? Das war mein philosophisches Problem. Warum kam Gott nicht einfach auf die Erde in seinem Sohn, in Christus, und sagt: „Meine lieben Kinder, ich habe euch alle erschaffen, ich habe euch immer geliebt, ihr seid alle von mir davongelaufen, habt euer egoistisches Leben gelebt ohne mich, aber ich liebe euch trotzdem und will euch vergeben. Kommt zurück zu mir.“
Und ich frage mich: Warum genügt das nicht? Das machte für mich keinen Sinn.
Die Spannung zwischen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes
Und auf der Suche nach Antworten kam ich nach Jahren zu folgendem Schluss, den ich in diesem Buch festgehalten habe. Wer von euch die Bibel kennt, kann das nachvollziehen. Wenn du die Bibel nicht kennst, musst du einfach zuhören und es so glauben. Es nützt nichts, dagegen anzukämpfen. Es steht so in der Bibel, und du weißt, warum das so ist.
Meine Antwort bestand darin, zu sehen, dass Gott in seiner Barmherzigkeit mir vergeben möchte. Aber Gott ist auch absolut gerecht. Darum kann er mir nicht einfach so vergeben, denn Ungerechtigkeit muss bestraft werden.
Ich habe dazu ein Beispiel genommen, ein krasses Beispiel, damit man nicht lange darüber nachdenken muss. Das ist nicht immer fair, aber ich tue es der Zeit wegen.
Der zehnfache Kindermörder in Belgien vor einigen Jahren – oder in Russland gab es auch einen ähnlichen Fall, oder der Österreicher, der Kinder über mehrere Jahre eingesperrt hat – nehmen wir an, er wird angeklagt. Der Richter fragt diesen Mann: „Tut es dir leid, was du getan hast?“ Und der sagt: „Ja, es tut mir leid.“ Dann sagt der Richter: „Okay, dann kannst du gehen.“ Wäre das fair? Ja oder nein? Wenn er dein Kind in Stücke geschnitten hat und dann sagt: „Tut mir leid“, und der Richter ihn einfach gehen lässt, hättest du damit ein Problem. Das ist nicht gerecht.
Seht ihr, Gott ist nicht nur hundert Prozent barmherzig, er ist auch hundert Prozent gerecht. Das war dann meine Schlussfolgerung: Gott will mir in seiner Barmherzigkeit vergeben, aber in seiner Gerechtigkeit kann er mir nicht vergeben. Er muss mich bestrafen.
Das Problem ist, der Lohn der Sünde ist der Tod. Das heißt, ich würde sterben und dann kann er mich nicht mehr lieben. Was hat er getan? Er hat die gerechte Strafe auf seinen Sohn am Kreuz übertragen. Sein Sohn hat die gerechte Strafe oder den Zorn Gottes auf sich genommen für die Ungerechtigkeit, die ich begangen habe. Damit ist Gott nun frei, mir zu vergeben.
Das ist die These, die ich auch in diesem Buch beschrieben habe.
Innerer Konflikt mit dem traditionellen Kreuzesverständnis
Intellektuell konnte ich damit leben, aber es blieb ein Knoten in meinem Herzen. Wisst ihr warum? Weil am Kreuz nicht das Problem meiner Sünde gelöst wurde.
Das Kreuz war notwendig, um den Zwiespalt im Vater zu lösen. Einerseits will er barmherzig sein, andererseits ist er gerecht und kann deshalb nicht vergeben. Damit er vergeben kann, muss er seinen Zorn und seinen gerechten Zorn auf seinen Sohn abladen. Jesus nimmt stellvertretend den Zorn Gottes auf sich, damit Gott jetzt frei ist, mir zu vergeben.
Damit ist das Kreuz nicht die Lösung meines Problems, sondern das Problem Gottes. Und das hat mir nie gepasst. Irgendwie haben wir gedacht, das passt nicht zusammen. Vor allem hat es mein Gottesbild geprägt.
Ich möchte euch jetzt sagen, wie mein Gottesbild war, damit ihr besser versteht, was ich meine. Dieses Beispiel habe ich oft von anderen Predigern gehört und auch selbst verwendet. Und es war so:
Der Gerichtssaal. Gott ist der Richter, gar keine Frage. Er ist der gerechte und gleichzeitig barmherzige Richter. Er sitzt am Richterstuhl – ich verwende jetzt Bilder – und ich bin der arme Sünder auf der Anklagebank. Ich bin schuldig und stehe vor Gott, dem gerechten Richter, der mich schuldig sprechen muss.
Gott, der Vater, hasst die Sünde und muss mich deshalb verurteilen und mit dem Tod bestrafen. Aber zwischen dem gerechten und erzürnten Gott über die Sünde und mir, dem schlimmen Sünder, steht Jesus in der Mitte. Er sagt: „Vater, ich nehme den Zorn auf mich, damit Hans Peter frei ausgehen kann.“
Da war der gerechte, erzürnte Gott-Vater, dann der liebende Gottsohn in der Mitte und der arme Sünder, ich, auf der Bank. So hat Jesus mich vor dem Zorn des Vaters gerettet, indem er zwischen uns kam.
Wisst ihr, was das bei mir bewirkt hat? Das hat mich extrem verunsichert im Blick auf den Charakter Gottes. Denn seht: Will ich überhaupt zu so einem Vater kommen, der mich zwar einerseits liebt, aber andererseits auch seinen Zorn ausleben muss?
Wie ist Gott nun? Ist er liebend, aber manchmal hat er auch Zornanfälle? Ist er nahbar oder manchmal auch unnahbar? An welchen Gott wende ich mich? Folge ich Gott nach, weil ich ihn liebe, oder unterwerfe ich mich Gott, weil ich Angst vor ihm haben muss?
Gottes Zorn und Liebe im biblischen Kontext
Ich habe heuer im April, also letztes Jahr, 2011, auf einer Pfarrerkonferenz in Indien unterrichtet. Dabei kam einer der Pastoren auf mich zu und sagte: „Ich habe schon viele Menschen durch Angst vor Gott und der Hölle zum Glauben an Jesus gebracht. So habe ich sie zu Jesus geführt.“
Darauf antwortete ich: „Das glaube ich gerne, aber welche Art von Jüngern hast du damit erzeugt? Welche Art von Nachfolgern entstehen dadurch?“ Müssen wir da die Fenster zerschlagen? Das dauert vielleicht ein bisschen. Ist ja heute wahrscheinlich die Skishow oder so irgendwas, genau.
Jetzt ist es so: Natürlich ist Gott zornig. Das kann man in der Bibel nicht übersehen. Ich möchte das nicht einfach übergehen, sondern kurz ansprechen. Zum Beispiel sagt Jesus in Johannes 3,36 ganz klar: „Wer an den Sohn glaubt, der hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht gehorcht, wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt auf ihm.“ Der Zorn Gottes bleibt auf ihm.
Paulus schreibt zum Beispiel im Römerbrief, Römer 1,18: „Denn es wird offenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten.“ Gott ist zornig.
Jetzt ist es wichtig zu verstehen: Wahre Liebe beinhaltet immer auch Zorn. Wenn Gott über Sünde und Ungerechtigkeit nicht zornig wäre, dann wäre er kein liebender Gott, sondern ein gleichgültiger Gott.
Ein Beispiel: Unsere mittlere Tochter Lisa, die jetzt zwanzig wird, hatte als kleines Kind einmal einen Anfall. Sie lief aus dem Garten auf die Straße hinaus. Wir haben zwei Hecken, und sie lief wieder zurück, einfach zum Spaß. Ich sah das, schnappte sie und sagte: „Lisa, das tust du nie mehr! Wenn da ein Auto kommt, können die dich nicht sehen. Die Straße ist ganz schmal, und wir fahren relativ schnell vorbei. Wenn du da rausläufst, bist du tot. Mach das ja nie wieder!“
Drei Stunden später ging ich zufällig wieder raus, und sie tat genau dasselbe – lief wieder auf die Straße. Da nahm ich es strenger und sagte: „Lisa, das ist eine Katastrophe!“ Ich war wirklich zornig über ihren Ungehorsam.
Eine Frage: War ich lieblos, als ich so zornig war? Die Antwort ist Nein. Es ist meine Liebe zu ihr, die sie bewahren will, die meinen Zorn bewirkt.
Angenommen, sie hätte dann nicht aufgehört – Gott sei Dank hat sie – aber wenn Lisa in den nächsten Monaten und Jahren jeden Tag immer wieder rausgelaufen wäre, dann wäre mein Zorn über sie geblieben. Und angenommen, eines Tages läuft sie raus, es kommt tatsächlich ein Auto und tötet sie, wer ist dann schuld, dass sie tot ist? Mein Zorn oder ihr Ungehorsam?
Natürlich ihr Ungehorsam. Nicht mein Zorn hat sie getötet, sondern ihr Ungehorsam hat sie getötet.
Darum: Es ist nie der Zorn Gottes, der irgendeinen Menschen tötet. Gott tötet keinen einzigen Menschen. Es ist unser Ungehorsam, der uns tötet. Gott will nur das Beste für uns.
Gottes Gericht und menschliche Schuld
Ein anderes Wort, bei dem sich manche schwer tun, ist das Gericht Gottes. Viele sagen: „Ja, aber Gott muss uns ja alle richten. Er wird uns alle richten, und die einen richtet er zum Leben, die anderen zum Tode.“
Nun, es ist glasklar in der Bibel verankert, dass Gott der Richter der ganzen Welt ist. Aber jetzt möchte ich euch wieder fragen: Stellt euch einmal den barmherzigsten und gleichzeitig den gerechtesten Richter dieser Welt vor, den es gibt. Also einen Menschen, den es gar nicht gibt, aber nehmen wir an, den gibt es. Er ist total barmherzig, er ist total gerecht.
Angenommen, dieser Richter hat nun eine Gerichtsverhandlung, und der Angeklagte ist ein Kinderschänder, der 15 Jahre Haft bekommt. Wessen Schuld ist es, dass dieser Verbrecher seine gerechte Strafe bekommt? Ist es die Gerechtigkeit des Richters, die das Problem ist? Die Antwort ist Nein. Sein Vergehen, seine Schuld bringt ihn ins Gefängnis. Nicht die Gerechtigkeit des Richters.
Natürlich ist der Richter gerecht, und er wird auch erzürnt sein darüber, dass dieser Mensch zehn Kinder geschändet hat. Aber es ist nicht die Gerechtigkeit des Richters, die ihn hinter Gitter bringt, sondern sein Vergehen bringt ihn hinter Gitter.
So ist es mit Gott. Ja, wir werden von Gott gerichtet. Aber nicht Gottes Gerechtigkeit ist schuld daran, dass wir gerichtet werden, sondern unser Vergehen. Und ja, Gott ist zornig. Aber auch sein Zorn ist letztlich motiviert aus Liebe. Nicht Gottes Zorn ist schuld an unserer Verurteilung, sondern es ist seine Abneigung gegen Sünde.
Gottes Wesen: Liebe als Fundament
Nun ist es auch hochinteressant: Mir ist in den letzten zwei Wochen aufgefallen, dass wir uns in diesem Zusammenhang oft missverstehen. Die Bibel beschreibt ja die Essenz des Wesens Gottes an zwei Stellen im Johannesbrief ganz explizit: Gott ist Liebe oder Gott ist die Liebe. Das ist, was er ist.
Aber weißt du, was du in der Bibel nie liest? Du liest nie: Gott ist Zorn. Kein einziges Mal. Du liest auch nie: Gott ist Gericht. Ja, als ein liebender Gott ist er zornig, und als ein liebender Gott wird er richten. Aber das ist nicht das, was er ist. Und da muss man beim Bibellesen sehr aufpassen. Wenn wir über den Charakter Gottes nachdenken, müssen wir immer mit der Liebe beginnen.
Wisst ihr, wie ich das früher gesehen habe? Vielleicht geht es manchen so: Für die Bibel, die wir glauben, dass sie das Wort Gottes ist – und ich glaube, dass die Bibel die Offenbarung ist, die wir brauchen, um Gott besser zu kennen –, habe ich mir so gedacht: Ich will ein bibeltreuer Christ sein. Also schaue ich in der Konkordanz nach, wie oft das Wort „Zorn“ in der Bibel vorkommt.
Jetzt nur als Hausnummer, ich habe nicht genau nachgeschaut: Angenommen, das Wort „Zorn Gottes“ kommt hundertmal vor. Okay, dann muss ich hundertmal über den Zorn Gottes predigen. Wie oft kommt „Gericht“ vor? Ungefähr dreihundertmal, dann muss ich dreihundertmal über Gericht predigen. Wie oft kommt „Liebe“ vor? Vierhundertmal, dann muss ich vierhundertmal über Liebe reden. Wie oft kommt „Barmherzigkeit“ vor? Fünfzigmal oder so, dann muss ich fünfzigmal über Barmherzigkeit reden. So ist ein bibeltreuer Christ.
Aber das bist du dann nicht. Weißt du, was ein bibeltreuer Christ wirklich ist? Du musst immer mit dem Fundament der Liebe beginnen, weil das ist, was Gott ist: Gott ist Liebe. Und als liebender Gott kannst du dann über den Zorn reden. Das hat seinen Platz. Aber Gott ist nicht Zorn, Gott ist Liebe. Und auch sein Zorn ist motiviert aus Liebe.
Dann kannst du über Gericht predigen, aber immer mit dem Fundament der Liebe. Sonst hast du keine wahre Aussage über Gott. Was wir niemals tun dürfen – und das kommt leider immer wieder vor – ist, Gott anders darzustellen, als er sich uns offenbart hat. Gott hat sich uns offenbart, so wie er wirklich ist, in Jesus Christus.
Und wenn Jesus zum Beispiel sagt: „Liebet eure Feinde“, warum? Weil Gott seine Feinde liebt. „Seid barmherzig denen, die euch verfolgen.“ Warum? Weil Gott das tut. Und wir dürfen niemals über Jesus hinweggehen, zehn andere Bibelverse hernehmen und dann ein paralleles Gottesbild bauen. Dann bist du nicht mehr biblisch.
Du darfst nie über Jesus hinweggehen, denn Jesus hat gesagt: „Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ „Ich und der Vater sind eins.“ Wenn du wissen willst, wie Gott ist, dann schau nur auf Jesus. Alles andere ist nicht biblisch.
Das ist ganz wichtig zu verstehen, weil die meisten von euch die Bibel sehr ernst nehmen.
Das Opferverständnis im biblischen Vergleich
Nun, was hat mir geholfen zu verstehen, dass Jesus am Kreuz nicht für seinen zornigen Vater gestorben ist, sondern für meine Sünde? Ein Wort, das mir dabei geholfen hat, ist das Wort Opfer.
Das Wort Opfer wird heute oft verwendet. Wir sprechen von Kriegsopfern, Verkehrsopfern und so weiter. Wenn man über Opfer nachdenkt, gibt es ein großes Missverständnis. Du kannst in jedem Lexikon nachlesen – geh zu „Opfer“ im religiösen Sinne. Opfer hat mehrere Bedeutungen in verschiedenen Bereichen, aber was bedeutet Opfer im religiösen Sinne?
In jedem Lexikon, zumindest in denen, die ich kenne, steht: Ein Opfer will die Götter versöhnen. Das heißt, im religiösen Gebrauch bringt ein Mensch ein Opfer, damit Gott im Himmel versöhnlich wird.
Als ich in Indien war, besuchte ich einen der sieben größten Hindu-Tempel und schaute mir die Opferrituale der Hindus an. Täglich pilgern Tausende zu diesem Ort. In diesem Tempel gibt es große Geldkästen, größer als dieses hier – mindestens zehn Stück. Die Menschen bringen Geld, Blumenschmuck, der sehr teuer ist, und geben das ihren Göttern, damit diese nicht krank werden und die Ernte gut ausfällt. Sie wollen Gott mit ihren Opfern versöhnlich stimmen.
Früher in Griechenland gab es viele Götter, wie Zeus. Wenn Zeus einmal verstimmt war und eine Dürre über mehrere Monate schickte, opferte man eine zarte Jungfrau. Dann war Zeus wieder versöhnt und schickte Regen.
Im Alten Testament gab es Götzen, denen Kinder geopfert wurden, damit es im Land und in der Familie wieder gut ging. Das ist das typische Opferverständnis in der Religion.
Weißt du, was jetzt das Problem ist? Das ist ein heidnisches Opferverständnis. Wenn wir dieses heidnische Opferverständnis in die Bibel hineinnehmen, haben wir ein Problem. Dann sieht man Jesus als Mensch, der sich am Kreuz gegeben hat, um den zornigen Gott im Himmel zu versöhnen. Das ist das Bild, das entsteht.
Doch dieses Verständnis findest du weder im Alten noch im Neuen Testament. In der Bibel ist es nämlich genau umgekehrt.
Man könnte, wenn man das Alte Testament oberflächlich liest, zum Schluss kommen: Ja, da haben die Israeliten auch Schafe und Rinder geopfert, und der Duft stieg zu Gott empor und hat ihn versöhnlich gestimmt. Das wäre doch genau dasselbe.
Ist es aber nicht.
Wisst ihr, warum nicht? Denn im Alten Testament haben nicht die Israeliten von sich aus Opfer gebracht, um Gott zu versöhnen. Gott hat ihnen die Möglichkeit des Opferkults geschenkt, damit sie wieder in Gemeinschaft mit ihm leben können. Nicht die Israeliten haben den Opferkult erfunden, Gott hat ihnen diese Möglichkeit gegeben. Gott ist der Handelnde, nicht der Mensch.
Das heißt, das Opferverständnis im Alten Testament ist völlig anders als das heidnische Opferverständnis.
Noch klarer wird das im Neuen Testament, wo Gott in seinem Sohn Jesus zu uns kam und sich selbst für uns gegeben hat. Nicht wir haben ihm etwas gegeben, sondern er hat uns etwas geschenkt – in Jesus Christus – und damit die Welt mit sich versöhnt.
Darum ist das Kreuz Jesu nicht die Verstärkung des heidnischen Opferverständnisses. Es ist das Ende von allem heidnischen Opferverständnis.
Gottes Einheit am Kreuz und die Bedeutung von Jesus' Tod
Wer jetzt verwirrt ist, schlägt mit mir mal auf 2. Korinther 5 auf, denn dort wird ganz klar und relativ verständlich erklärt, worum es geht. Das ist etwas, das ich über viele Jahre nicht gesehen habe.
In 2. Korinther 5, Vers 18 und 19 lesen wir:
„Alles aber von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat, nämlich, dass Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnt, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort von der Versöhnung gelegt hat.“
Der Schlüsselsatz für uns jetzt ist, dass Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnt hat. Am Kreuz war Gott in Christus. Gott hat sich selbst gegeben in seinem Sohn.
Und das ist oft ein Missverständnis: Wir glauben ja nicht an drei Götter, auch nicht an zwei Götter. Wir glauben nicht, dass da Gott der Vater ist, da Gott der Sohn, und Gott der Heilige Geist. Wir glauben an den dreieinigen Gott. Es ist ein Gott in drei Personen, aber es ist ein Gott.
Am Kreuz ist es hilfreich, in dieser Einheit zu denken, weil du sonst zwei Götter hättest. Das wäre völlig unbiblisch und man wäre überhaupt nicht mehr auf biblischem Boden. Gott war in Christus. Am Kreuz war nicht da der zornige Vater und hier der missbrauchte Sohn als zwei verschiedene Dinge.
Gott hat nämlich kein Opfer von jemand anders gefordert. Das ist ja manchmal die Anschuldigung von liberalen Theologen, die sagen: Wie kannst du ans Kreuz glauben? Da schlachtet der Vater seinen Sohn usw. Ein anglikanischer Bischof hat es mal so genannt: Das ist kosmischer Kindesmissbrauch, was da geschieht.
Die Diskussion geht völlig falsch. Denn Gott hat eben nicht jemand anders delegiert, für ihn zu sterben, sondern er ging selbst ans Kreuz. Er hat sich selbst in seinem Sohn gegeben. Und das ist der Schlüssel: Er ist für uns gestorben in Christus.
Dann ist oft verwirrend, dass wir im Psalm 22, den Jesus am Kreuz zitiert, hören: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Das ist eines der sieben Kreuzesworte. Über diesen Satz gibt es viele Spekulationen und viel Nachdenken – berechtigterweise –, weil wir glauben, hier habe Gott der Vater seinen Sohn verlassen.
Aber dieses Denken geht nicht auf, wenn du es weiterdenkst. Denn erstens sagt Jesus immer noch „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Er zitiert Psalm 22, einen Davidspsalm, und fügt dann noch einen Satz hinzu, bevor er am Kreuz starb: Hier zitiert er Psalm 31, Vers 6, ein Abendgebet der Juden, und sagt: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Wenn er von Gott verlassen gewesen wäre, wie kann er dann seinen Geist in die Hände des Vaters befehlen? Das heißt, am Kreuz bleiben die Einzelheiten uns verborgen, es bleibt ein Geheimnis. Aber was wir wissen dürfen, ist: Nicht Gott hat seinen Sohn am Kreuz erschlagen wegen seines eigenen Problems, sondern Jesus wurde geschlagen wegen unserer Sünde.
Bitte schlagt auch Jesaja 53 auf, besonders Vers 4 und 5. Das ist so ein fantastisches Kapitel! Wenn du mal ein Kapitel auswendig lernen willst, lerne Jesaja 53. Im Alten Testament, sechshundert Jahre bevor Jesus überhaupt in diese Welt kam, wurde dieses Kapitel geschrieben.
Dieses Kapitel bereitet den Juden große Schwierigkeiten, weil sie nicht an Jesus glauben. Aber dieses Kapitel beschreibt so klar Jesus. In Vers 3 lesen wir:
„Er, das ist der Gottesknecht, der Messias, Christus, er war verachtet und von den Menschen verlassen, ein Mann, der Schmerzen und mit Leiden vertraut ist, wie einer, vor dem man das Gesicht verbirgt. Er war verachtet, und wir haben ihn nicht geachtet.“
Weiter heißt es:
„Jedoch unsere Leiden hat er getragen, und unsere Schmerzen hat er auf sich geladen. Wir aber hielten ihn für bestraft, von Gott geschlagen und niedergebeugt. Doch er war durchbohrt um unserer Vergehen willen, zerschlagen um unserer Sünden willen.“
Seht ihr, hier ist es: Ich habe auch gedacht, er wurde von Gott bestraft, Gottes Problem wurde am Kreuz gelöst. Aber dann sagt er: Nein! Unser Problem ist es, wofür Jesus am Kreuz gestorben ist.
Schlussfolgerung: Die Notwendigkeit des Kreuzes
Damit komme ich jetzt zurück zur Eingangsfrage, und dann bin ich für heute Abend fertig.
Warum kann Gott nicht einfach so vergeben? Wozu das Kreuz? Die Antwort lautet: Weil die Sünde, die mich von Gott getrennt hat, eine reale Wirklichkeit ist. Diese reale Wirklichkeit muss aufgehoben und entfernt werden.
Seht ihr die verheerenden Auswirkungen der Sünde, die wir jeden Tag erleben? Ob Kindesmissbrauch, Geiz oder Boshaftigkeit – all das sind Konsequenzen der Sünde. Das ist keine Theorie, sondern Realität. Tod, Leid und Vereinsamung sind die Folgen der Sündenlawine, in der wir uns täglich befinden.
Schlagt bitte mit mir noch Römer 6,16 auf. In Römer 6,16 ist es wichtig zu verstehen, was Paulus sagt: „Wisst ihr nicht, dass ihr, wem ihr euch zur Verfügung stellt als Sklaven zum Gehorsam, dessen Sklaven seid, dem ihr gehorcht? Entweder seid ihr Sklaven der Sünde zum Tod oder Sklaven des Gehorsams zur Gerechtigkeit.“ Das heißt, Sünde hat uns versklavt. Weil wir uns der Sünde hingegeben haben, hat die Sünde ein Anrecht auf uns.
Dieses Anrecht hat Jesus am Kreuz weggenommen. Er hat unsere Schuld bezahlt, die wir der Sünde schuldig sind, und sie weggenommen, damit ich wieder in die Gegenwart Gottes kommen kann.
Wenn früher oder später der Tod bei mir anklopft und mein Leben fordert wegen meiner Sünde – denn der Sündelohn ist der Tod –, wisst ihr, was ich dann tue? Dann verweise ich ihn auf das Kreuz und sage: Tod, du hast deinen Tod bereits ausgelebt. Er wurde bezahlt, denn Jesus ist für mich gestorben. Ich muss nicht mehr sterben, Jesus ist für mich gestorben.
Der Sündelohn ist der Tod, den hat Jesus am Kreuz getragen. Und wenn die Sünde zu mir kommt und sagt, ich habe einen Stein in die Luft geworfen, und nun kommt dieser Stein auf mich zurück, dann verweise ich auf das Kreuz und erinnere sie daran, dass Jesus bereits die Folgen meiner Sünde getragen hat. Er hat den Tod getragen, den ich verdient hätte.
Das nennt man in der Bibel – und das wünsche ich jedem – den sogenannten glücklichen Tausch. Darum gibt es den Dauernhof, darum tue ich, was ich tue.
In der Theologie spricht man seit dem zweiten Jahrhundert vom sogenannten glücklichen oder seligen Tausch. Jesus ist gestorben, damit wir leben können. Jesus wurde zum Fluch, damit wir erlöst werden. Das findest du alles im Neuen Testament: Jesus ist zur Sünde geworden, damit wir gerecht sein können. Das ist der glückliche Tausch.
Jesus ist arm geworden, damit ich reich sein kann. Jesus wurde zum Knecht, damit ich frei sein kann. Jesus verspürte die Gottesferne, damit ich Gott nahe sein kann. Jesus wurde Menschenkind, damit ich ein Gotteskind sein kann.
Das ist der glückliche Tausch, der in hundert Liedern besungen wird, in allen Kirchenliedern vorkommt und in der Bibel dutzendfach beschrieben ist. Darum bin ich so gerne Christ.
Darum brauchen wir das Kreuz. Ohne Kreuz gibt es keine Vergebung, ohne Kreuz gibt es keine Versöhnung, weil die Sünde ein Anrecht auf dich hat. Dieses Anrecht hat Christus aufgehoben. Das ist die gute Botschaft, das ist das Evangelium – zumindest ein Teil davon.
Der glorreiche Teil ist die Auferstehung. Wir leben mit ihm. Aber das machen wir dann morgen.
Abschlussgebet
Jetzt bete ich noch, lieber Vater. Es ist einfach spannend, immer wieder neu aus deinem Wort die Wahrheit zu lernen, die wir in Christus finden. Und nur in Christus, denn in Christus haben wir die genaue Offenbarung Gottes.
Hätten wir Christus nicht, wüssten wir nicht, wie Gott ist. Danke, Herr Jesus, dass du gekommen bist, um uns deinen Vater zu zeigen. Du hast uns gezeigt, dass das Fundament die Liebe ist.
Du hast uns immer gewollt. Du bist nie unser Feind gewesen, sondern wir sind vielmehr deine Feinde geworden. Wir sind von dir weggegangen, und du bist uns nachgegangen bis zum Kreuz. Dort hast du dein Leben für deine Freunde gegeben, damit wir leben können.
Danke, dass die Sünde kein Anrecht mehr über mich hat. Der Tod hat keine Berechtigung mehr bei mir, weil du ihn bereits getragen und besiegt hast. Dafür danke ich dir.
Danke für diese gewaltige Hoffnung, die wir in dir und in dir alleine haben. Möge diese Wahrheit uns segnen und durch uns für viele andere Menschen zum Segen werden.
Das bete ich im Namen unseres Herrn und Heilandes, unseres Retters, unseres Liebhabers, Jesu Christi. Amen.