Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt! Amen!
Lassen Sie uns ein Wort aus der Weihnachtsgeschichte betrachten, und zwar aus Lukas 2. Es handelt von den Hirten: „Und sie kamen eilend.“
Herr, lass dein Wort nicht leer zurückkommen. Lass es an uns ausrichten, wozu du es uns gegeben hast. Amen.
Eindrücke eines besonderen Weihnachtsgottesdienstes
Da habe ich viel Erzählen hören von einem unbeschreiblich eindrücklichen Weihnachtsgottesdienst. Dieser Gottesdienst fand statt in der Stadt der Epileptischen, in der Anstalt Bethel. Ich denke, Sie haben eine Ahnung, was das ist. Es muss ein erschütternder Eindruck gewesen sein oder immer wieder sein, wenn die Hunderte von Kranken, die mit dieser schrecklichen Krankheit, der Epilepsie, geschlagen sind, sich in der großen Zionskirche zusammenfinden.
Ein Strom von Elend, ein Meer von Herzeleid. Und dann singen diese schwer gezeichneten und Geschlagenen brausend aus dem Posaunenchor und die Orgel spielt geradezu weg diese herrlichen Weihnachtslieder: Freude, Freude über Freude, Christus wehret allem Leide!
Und jedem Gottesdienst, von dem immer wieder erzählt wird, stand dann Pastor Fritz, der bekannte Fritz von Bodelschwingh, der auch in der Ewigkeit jetzt ist, auf der Kanzel. Seine Predigt hatte vier Teile. Der wusste immer noch ein Teil mehr als ich. Er hatte vier Teile, und weil er ein Dichter war, hatte er seine vier Teile in ein Verslein gebracht.
Dieses Verslein hat er mit den Kranken eingeübt. Dieses Verslein, diese vier Zeilen, diese vier Teile: „Aus tausend Traurigkeiten gehen wir zur Krippe still, das Kind der Ewigkeiten will uns alle trösten will.“
Der Weihnachtsweg als gemeinsamer Zug der Traurigen
Meine Freunde, wir sind eine sehr besondere Versammlung. Ich sehe strahlende, gesunde, junge Männer, deren Gesundheit man beneiden könnte. Und doch wollen wir hier nichts anderes, als das, was in jedem Gottesdienst geschieht.
Aus tausend Traurigkeiten gehen wir still zur Krippe. Im Geist sehe ich bildhaft vor mir diesen endlosen Zug von Menschen, der sich durch Jahrtausende hindurch aufgemacht hat. Aus tausend Traurigkeiten gehen wir still zur Krippe. Tausende, Hunderttausende, Millionen – sind Sie auch dabei? Sind Sie Besucher eines Weihnachtsgottesdienstes? Auch das ist schon alle Ehren wert, besonders am zweiten Feiertag, nicht wahr?
Bei Nacht und Nebel, aber zu wenig. Gehören Sie zu dem großen Zug derer, die sich aufgemacht haben? Aus tausend Traurigkeiten gehen wir still zur Krippe – ein endloser Zug durch Jahrtausende.
Ganz an der Spitze dieses Zuges gehen die Hirten, von denen die Weihnachtsgeschichte erzählt. Ich habe sie im Geist vor mir gesehen, diese Hirten auf ihrem Weg. Zwischen den Schafhürden auf dem Bethlehemsfeld und der Ortschaft – auf diesem Weg durch die Nacht – das war wahrhaftig ein Weihnachtsweg.
Aus tausend Traurigkeiten gehen wir still zur Krippe. Von den Hirten können wir lernen, wie dieser Weihnachtsweg aussieht. Das möchte ich als Überschrift über unseren kurzen Text schreiben, der von Carmen Eiland stammt: „Der Weihnachtsweg“. Viel Schöneres kann man darüber nicht sagen als Bodelschwing: „Aus tausend Traurigkeiten gehen wir still zur Krippe“ – der Weihnachtsweg.
Die Überraschung des Weges für die Hirten
Ich möchte trotz Bodelschwing bei meinen drei Teilen bleiben. Es würde sonst Durcheinander geben, wenn ich auch vier machen würde.
Der Weihnachtsweg war erstens eine Überraschung für die Hirten selbst. Erster Punkt: Für die Hirten war es eine Überraschung. Stellen Sie sich vor, wir hätten am Abend vor der Heiligen Nacht durch irgendeine Kulissenverschiebung im Welttheater die Hirten getroffen.
„Namen der lieben Hirten, Genossen, was habt ihr jetzt für Pläne?“ Dann hätten die Hirten gesagt, was sie vorhatten: „Nun, wir haben Dienst.“ „Ja, wie sieht das aus?“ „Das können wir dir genau sagen. Wir werden Feuer anzünden.“
Ich stelle mir das vor, obwohl ich noch nie Schafhirte gewesen bin. Ich heiße zwar Pastor, was ja Hirte bedeutet, nicht wahr? Aber die Hirten sagten: „Wir werden Feuer anzünden, dann sitzen wir ums Feuer und erzählen uns ein wenig was. Danach legen wir uns schlafen.“
„Schlafen? Ihr müsst doch wachen!“ „Nun ja, wir wachen in Schichten.“ Sie erklärten: „Alter, ich komme von zwei bis vier dran. Dieser junge Kamerad hier und ich, wir wachen von zwei bis vier. Da werden wir geweckt. Vorher wickeln wir uns in Mäntel und schlafen unter den Sternen.“ So war ihr Plan, ungefähr so, mein Daumen gepeilt.
Ganz anders war es tatsächlich. Sie schliefen nicht. Sie wachten noch nicht bei den Schafen, sondern sie liefen durch die Nacht auf dem Weihnachtsweg zur Krippe oder vielmehr zu dem, der in der Krippe lag: „Euch ist heute der Heiland geboren.“
Das war ganz anders als ihre Pläne für die Nacht, nicht wahr? Ganz anders. Das war für sie selbst eine Überraschung, mit der sie gar nicht gerechnet hatten.
Aber nun war es so. Nein, sie hatten nicht damit gerechnet, dass sie, wenn die Mitternacht vorbei sei, auf dem Weihnachtsweg sein würden. Aber nun war es so.
Die unerwartete Wendung im Leben der Suchenden
Und, meine Freunde, so ist es bei allen, die sich aufgemacht haben zu Jesus. Sie müssen sich über sich selbst wundern. Sie hatten ihr Leben eigentlich anders gedacht, hatten nicht damit gerechnet und sind sich selbst ein Rätsel und eine Überraschung. Wie kommt es, dass ich auf einmal auf dem Weihnachtsweg bin, auf dem Weg zur Krippe?
Ich glaube nicht, dass jener Mensch auf dem Weihnachtsweg gewesen ist oder dass er sich selbst ein Wunder war. Und ich kenne ja viele von Ihnen hier, sehe so manches Gesicht, das aus einem Elternhaus kommt, in dem man nicht in die Kirche geht und wo Jesus verhältnismäßig unbekannt war. Ich sehe viele von Ihnen, die ganz andere Wege gingen und ganz andere Pläne hatten.
Wollen wir uns in dieser Stunde nicht einmal wundern, dass wir hier sind, dass wir auf dem Weihnachtsweg sind?
Als ich darüber nachdachte, fiel mir auf einmal eine ganz versunkene Erinnerung aus meiner Jugend ein, nicht lange zurück. Das war im Ersten Weltkrieg. Da marschierte unser Regiment hinter der Front durch Belgien zu einem anderen Fronteinsatz. Wir marschierten nur nachts. Wir waren zwei junge Offiziere, schon Batteriechefs, weil alles tot war von der vierten und fünften Batterie. Wir zogen vor unserem Haufen her, um uns Bewegung zu machen. Wir waren von den Pferden abgesessen und führten unsere Zügel hinter uns her.
Es war so: Wir zogen durch Gent, und mir fiel auf einmal wieder ein, wie unser Gespräch darauf kam, dass mein Vater Pfarrer sei. „Merklich“, sagte mein Kamerad, „dass es so etwas noch gibt.“ „Ja“, sagte ich, „ich finde es auch komisch. Ich finde es komisch, bei dem wir Leute in der Kirche haben.“ „Aber“, sagte mein Kamerad, „überholt ist das nun doch.“
Und nun sprachen wir darüber, dass die Sache mit dem Christentum ja nun wirklich zu Ende sei. Dieser gescheite, gebildete und denkende junge Mann, ja, das wäre ich, der das nicht ernst nehmen könne. Gott sei ja für Hochzeiten, Trauungen, Beerdigungen und Weihnachten, Klingelöcklein und so ganz nett, aber ernsthaft für einen jungen Mann im Leben eine unbrauchbare Angelegenheit.
Ich erinnere mich: Wir sprachen gar nicht hochmütig darüber, sondern eher ein bisschen traurig, dass so eine nette Sache, die unsere Väter noch beschäftigt hat, nun auch zu Ende sei.
Meine Freunde, da hätte ich mir nicht träumen lassen in jener Nacht, dass ich knapp ein halbes Jahr später kein größeres Verlangen kennen würde, als Jesus zu kennen und Jesus zu gehören. Hätte mir nicht träumen lassen, auf diesem Weg — Verzeihung, wir haben oben einen Kindergarten. Wollen Sie das Kleine nicht eben raufbringen? Es stört nicht nur Sie, sondern uns alle ein bisschen, wissen Sie. Oben sind Kinder, ganz weit oben im Stock. Nehmen Sie ein paar Schelten, bringen Sie es auch immer rauf. Das ist eine schreckliche Sache, das macht uns alle krank.
Also nichts zu machen, dann machen wir weiter, kommen Sie.
Es sind mir, wie den Hirten, keine Lebenspläne in der Richtung gehabt. Und nun war man auf dem Weihnachtsweg und wusste nichts Dringlicheres als: „Ich muss Jesus selber haben, ich muss Jesus selber sprechen.“ Ich hätte mir damals nicht träumen lassen, dass die Kanonen, die hinter uns herrasselten, kurze Zeit später überholt seien, ebenso die Uniformen und die Orden, auf die wir so wild waren. Dass das alles überholt sei.
Aber dass es in der Welt nichts Aufregenderes und Aktuelleres gäbe als die Botschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren.“
Es geht, glaube ich, allen so, die auf den Weihnachtsweg zu Jesus kommen, dass sie sich selbst ein Wunder ohne Rätsel sind. Ihre Pläne sahen ursprünglich anders aus.
Verschiedene Erfahrungen des heiligen Rufes
Wissen Sie, der große Mathematiker Blaise Pascal, dieser großartige Franzose, hat einen Haufen Zettel hinterlassen. Daraus wurde sein Buch, die Pensées, zusammengestellt. Darin schildert er in abgerissenen Sätzen – geradezu erschüttert – sein Erlebnis auf dem Weihnachtsweg. Er beschreibt, wie er in einer Nacht Gott begegnet ist. Nicht irgendeinem Gott, sondern dem Gott der Gelehrten und Philosophen schreibt er nicht. Es sind nur Satzfetzen. Es ist der Gott der Geschichte, der Gott Abrams, Isaaks und Jakobs, der Gott in Jesus Christus.
Von ihm habe ich mich getrennt, möge ich nie von ihm getrennt sein, möge ich nie von ihm getrennt sein. Man spürt, hier ist ein ganz großer Geist auf einmal aufgewacht und auf den Weihnachtsweg gekommen: Ich muss Jesus haben, möge ich nie von ihm getrennt sein.
Lassen Sie uns noch einmal zurückkehren zu den Hirten. Sehen Sie, diese Hirten hatten viele Gründe, nicht nach Bethlehem zu gehen. Ihre Pflicht hielt sie bei den Schafen fest. Und ich kenne viele Leute, die nicht selig werden, weil sie irgendwelche Pflichten haben, die sie hindern, ihre Seelenseligkeit zu suchen.
Als alte soll Staat uns verzeihen, wie sprach man von der verdammten Pflicht und Schuldigkeit. Dies ist die verdammte Pflicht, die in die Verdammnis gehört, die uns hindert, das Wichtigste zuerst zu tun, nämlich Jesus, die Offenbarung Gottes, unsere Seelenseligkeit zu suchen.
Die Hirten hatten viele Gründe, nicht nach Bethlehem zu gehen. War das nicht eine unverständliche Sache mit dem Engel? Wenn ich Hirte gewesen wäre, hätte ich vielleicht gesagt: Ja nun, warum kommen die zu uns? Lass erst mal zu Augustus gehen. Und schließlich haben sich die Theologen noch gar nicht geäußert zu der Geschichte. Wir können doch da nicht anfangen, ehe der Superintendent sich dazu geäußert hat. Wie kommen wir dazu, hier voranzugehen auf dem Weg nach Jesus? Nicht mit Selbstverständlichkeit zu reden, sollen sie.
Sie hatten viele Gründe, nicht zu gehen. Aber sehen Sie, diese Gründe, nicht auf dem Weihnachtsweg zu sein, waren alle über Bord gegangen in dem Augenblick, wo der heilige Ruf sie traf. Das Wort des Paulus: Er hat uns berufen mit einem heiligen Ruf.
Oh, haben Sie eine Ahnung von diesem heiligen Ruf? Dieser heilige Ruf kam an die Hirten durch die Engel, an die Apostel Paulus und Christen durch den auferstanden erhöhten Herrn selber bei Damaskus. Ich habe ihn nicht durch den Engel bekommen, noch indem ich den Herrn sah. Ich habe den heiligen Ruf bekommen durch einen gewaltigen Schrecken, als ich sah, dass ich in die Hölle komme.
Man kann, wenn einem die Augen aufgehen, Angst bekommen vor Gott. Ehret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer vom Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten, nicht die Verderbnis ernten. Da habe ich Angst bekommen. Das war der heilige Ruf.
Ganz anders ging es bei Terstegen, dem Großen. Verzeihen Sie, dass ich mich in so eine Reihe einstelle mit Hirten und Terstegen, aber man kann dieses Ding immer nur zeugnishaft sagen. Bei Terstegen war es so: Er sagt, durch Liebe sanft und stark gezogen, neigt sich mein Alles auch zu dir.
Den traf der heilige Ruf, indem einfach die Liebe Gottes in Jesus ihn glühend berührte. Vielleicht trifft den einen der heilige Ruf so, dass er mit seinem Leben einfach nicht mehr fertig wird und sagt: Ich verzweifle, wenn ich nicht Hilfe bekomme. Wie viele meiner jungen Freunde haben so den heiligen Ruf bekommen – man wurde mit dem Leben nicht mehr fertig.
Und vielleicht sind kluge und nachdenkliche Leute hier, die den heiligen Ruf so hörten, dass sie einfach, darf ich beinahe sagen, mit dem Intellekt erkannten: Dieser Jesus ist in Wahrheit die Offenbarung Gottes, und ich liege schräg und bin blind und dumm, wenn ich nicht auf den Weihnachtsweg komme zu ihm.
Wie dieser heilige Ruf auch uns trifft, liebe Freunde, wenn er uns trifft, dann müssen wir laufen. Und dann ist allen eins gemeinsam: Man ist sich selbst ein Wunder und eine Überraschung, dass man auf diesen Weg gekommen ist. Und wenn ich jetzt mal sagen würde, es sollen mal zehn Männer aufstehen und davon erzählen, wie sie sich selbst ein Wunder und eine Überraschung sind, dass sie auf dem Weg sind, dann würden zwanzig und dreißig aufstehen.
Die Spannung zwischen Gewissheit und Erwartung auf dem Weihnachtsweg
Aber ich muss noch ein zweites sagen: Der Weihnachtsweg – die Hirten waren sich selbst eine Überraschung.
Und jetzt zweitens: Auf dem Weihnachtsweg bewegt man sich zwischen Gewissheit und Erwartung. Sehen Sie, ich predige so gerne am zweiten Feiertag. Da ist der sogenannte Weihnachtshummel ein bisschen verflogen. Man ist ausgeruht, hat gut gegessen und gut geschlafen. Und da kann man die nachdenklicheren Dinge am zweiten Feiertag behandeln.
Zudem gehört das, was ich jetzt sagen will, genau in diesen Bereich zwischen Gewissheit und Erwartung. Sehen Sie, ich sehe im Geist die Hirten nach Bethlehem laufen, durch die Nacht. In ihren Herzen sind zwei fast widerstrebende Gefühle. Auf der einen Seite eine ganz große Gewissheit: Jetzt ist der Heiland da. Er führt die Sache meiner Seele. Ich darf jetzt ruhen. Jetzt nimmt er mein Leben in die Hand, und ich darf ruhen.
Auf der anderen Seite ist da eine ganz große Erwartung: Wie wird es in Bethlehem sein? Wie wird er auftreten? Und das bringt sie in Bewegung, es versetzt sie in Unruhe. Verstehen Sie, zwischen Gewissheit, die Stille schafft, und Spannung, die Unruhe verursacht, dazwischen stehen sie. Nein, beides ist vorhanden.
Und nun denken Sie mal: Diese Hirten auf dem Weihnachtsweg waren eigentlich die allererste Christengemeinde, die erste Gemeinde Jesu Christi. Diese paar Hirten – ich weiß nicht, wie viele es waren, ihre Namen sind nicht bekannt – ein tolles Häuflein, die erste Gemeinde Jesu Christi. Das ist die Kirche. Das war damals die Kirche. Das war die Kirche, die paar Hirten, nicht?
Und sehen Sie, sie zeigen uns, wie Kirche aussehen sollte. Das ist eine Spannung zwischen Erwartung und ganz großer Gewissheit. Wenn ich das jetzt so ausbreche, werde ich ein kleines bisschen traurig. Wenn ich unsere Kirche so anschaue, dann finde ich weder eine große Gewissheit noch eine große Erwartung.
Jetzt will ich in Klammern etwas sagen, da dürfen Sie abschalten, für diejenigen, die sich, sagen wir mal, für geistliche Strömungen interessieren: Ab und zu war das eine oder andere da. In der Orthodoxie oder im heutigen Fundamentalismus gibt es die Gewissheit, die zementiert ist, aber keine Spannung und Erwartung darüber.
Beim Social Gospel des Amerikanismus oder in einem unruhigen Pietismus gibt es Spannung und Erwartung, da ist Laufen, Rennen, Jagen. Aber es gibt keine Gewissheit, kein Ruhen.
Sehen Sie, die Hirten zeigen, wie die Kirche Jesu Christi aussehen müsste: Gewissheit und Erwartung, Ruhe und Spannung.
Liebe Freunde, wenn wir von Kirche reden, dann sind wir Kirche. Darf ich mal fragen: Wie sieht denn unser Christenstand aus? Wie sieht unser Christenstand aus? Ist da etwas zu sehen von Spannung und Erwartung?
Ein Beispiel für Glaubensgewissheit und erwartungsvolle Haltung
Lassen Sie mich das an einem ganz, ganz schlichten Beispiel deutlich machen. Christliche Wünsche, Spannung und Erwartung sehen Sie bei der Anstalt Brügen bei Basel. Dort hat im großen Segen ein Inspektor Zeller gewirkt. Er war später gelähmt und hat dann dreizehn Jahre im Fahrstuhl in noch größerem Segen gewirkt.
Dieser Inspektor Zeller erzählte einmal eines Morgens seinen Freunden und Brüdern: „Wir sind mit unserer Gro, das ist eine Kinderanstalt, nicht so, Waisenkinder und so. Wir sind mit unserer Anstalt“, erzählt er, „augenblicklich in großer Not, mit ungeheuren Problemen, die einen kaputtmachen, mit Fragen und so, ungeheure Probleme, die einem den Schlaf rauben.“
Da erzählte er weiter: „Ich habe gestern Abend gebetet: Lieber Heiland, du hast mich doch mit deinem Blut erkauft zu deinem Eigentum. Jetzt gehöre ich doch dir, jetzt gehöre ich doch dir! Du hast mich zu dir gerufen, hast mich angenommen und mir das Siegel des Geistes gegeben. Ich gehöre dir, und darum gehören auch meine Sorgen dir. Weil sie zu schwer sind, lasse ich sie dir ganz alleine. Ich werfe sie auf dich. Amen.“ Danach habe ich schön geschlafen.
Dann fuhr er fort: „Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war ich richtig – ich sage es der Schweiz – wundervoll neugierig, wie der Heiland wohl hinkriegt, dass er uns durchbringt. Da war ich richtig neugierig, wie er das hinkriegt, dass er uns durchbringt.“
Sehen Sie, da haben Sie beides beieinander: wundervolles Ruhen, Gewissheit – ich gehöre doch dir! – und die Erwartung: Jetzt bin ich mal gespannt, wie seine starke Hand offenbar wird.
So sollte der Weihnachtsweg der Christen aussehen: Gewissheit und Erwartung. Lassen Sie mich das noch ein bisschen unterstreichen: Das ist so wichtig.
Wir haben eine größere Gewissheit als der Engel, als die Hirten. Die wussten nur, Jesus ist gekommen. Wir haben eine größere Gewissheit: Ich weiß, dass der Sohn Gottes für mich gestorben ist, für meine Schuld bezahlt hat und mich versöhnt hat durch das Opfer seines Leibes. Ich weiß, dass er auferstanden ist, mich erwählt und berufen hat. Wir dürfen das innere Zeugnis des Heiligen Geistes haben, dass wir Gottes Kinder geworden sind.
Oh, wir dürfen große Gewissheit haben, größere Gewissheit als die Hirten. Ich wünsche uns von Herzen, dass wir solche Gewissheit haben.
Aber, liebe Freunde, zugleich auch Erwartung, Erwartung und Spannung. Ich kann es nur skizzieren: Paulus sagt, dass Gott seine Kinder führt von einer Klarheit zur anderen. Wir dürfen zum Beispiel auf dem Weihnachtsweg gerade so gespannt sein, zu welcher Klarheit des Geistes er mich heute führen wird, von einer Durchhilfe zur anderen. Wir dürfen erwarten: Wie wird er mich heute durchbringen? Was wird er heute an mir tun? Wie wird er heute seine Hand zeigen?
Ja, wir dürfen überhaupt erwarten, dass er in Herrlichkeit wiederkommt.
Welches Warten? Die Bibel, darf ich noch sagen, enthält ein Wort im ersten Petrusbrief, wo dasselbe ausgesprochen ist: Stille sein, Gewissheit und Erwartung. Dort sagt Petrus: „Wartet und eilet zur Zukunft unseres Herrn Jesu Christi.“ Ganz gewiss warten – ich bin erkauft und erkommt – und eilen, denn da ist noch alles zu tun vorher.
Gewissheit und Spannung und Erwartung – was ist das für ein interessantes Christenleben, in dem beides vorhanden ist! Und wie schrecklich langweilig ist ein Christenstand, wo das eben nicht ist.
Ich fürchte, es gibt heute so viel verstaubten, langweiligen Christenstand, da ist keine Gewissheit drin, keine Strahlkraft und keine Erwartung, dass kein Mensch weit und breit in sieben Meilen Umkreis diesen Christenstand nachahmen möchte.
Schauen Sie auf die Hirten in diesem Augenblick hier: Sie sind die wahre Kirche.
Der Weg durch die Nacht zum Licht
Aber lassen Sie mich noch ein drittes sagen: Der Weihnachtsweg war für die Hirten selbst eine Überraschung – zwischen Gewissheit und Erwartung.
Und noch ein kurzes letztes: Der Weihnachtsweg – aus Nacht zum Licht, aus Nacht zum Licht. Ich habe im Geist die Hirten vor mir gesehen. Ich glaube, es war ein sehr, sehr unbequemer Weg. Heute macht man es in so einem Fall einfacher: Taschenlampen, nicht mehr zuck zuck, dann ist alles hell. Aber damals gab es keine Taschenlampen, und Straßenlaternen auch nicht. Das muss eine Zeit gewesen sein, in der es keine Straßenlaternen gab.
Sie konnten nicht einfach in einen Omnibus steigen – so etwas gab es noch nicht. Auch nicht, um nach Bethlehem auf den Marktplatz zu fahren. Da musste man laufen, über Berg und Tal, auf Wegen, die noch kein Mensch richtig gemacht hatte. Diese Wege waren nur von Schafen oder Karren ausgefahren und getreten worden. Und dann die Suche durch die Nacht in Bethlehem. Der Engel hatte ja vergessen, eine genaue Adresse anzugeben. Da beschwert sich die Post schon, wenn das jemand tut, nicht? Und die Engel hatten nicht gesagt: „Ich war auf der Bahnhofsstraße dreizehn in Bethlehem.“ Sie mussten also herumfragen und suchen, bis sie in der Garage das Kind gefunden haben.
Sehr unbequem, dieses Laufen durch die Nacht. Aber dann kam doch der Augenblick, da sahen sie mit vom Geist erleuchteten Augen das Kind. Sie sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.
Als ich das ansah – dieses Laufen durch die Nacht bis zum seligen Finden – da begriff ich: Der Weihnachtsweg ist der normale Weg der Christen, derer, die dem Herrn Jesus gehören. Denn das ist immer ein Weg durch die Nacht bis zum seligen Ziel, wo man ihn sieht, von Angesicht zu Angesicht.
Ich mache keinen Streit über Zukunftsoffnungen, aber die Bibel hat mir gezeigt, dass in dem Augenblick, wenn die dunkelste Nacht des Todes über mich kommt, ich aufwachen darf an seinem Angesicht. Dann sehe ich ihn, wie die Hirten ihn sahen: ihren Heiland.
Sehen Sie, der ganze Weg der Christen ist ein Weihnachtsweg. Das ganze Leben der Christen ist ein Weihnachtsweg. Es ist ein Weg durch die Nacht. Durch die Nacht wurden die Hirten geleitet, nur von einem, nämlich von dem Wort des Engels, von dem Wort Gottes. Und so wird die Nacht unseres Lebens geleitet durch das Wort Gottes.
Wer diese Sicht nicht hat, der tut mir schrecklich leid. Damit fing bei mir das Licht an, als ich die Bibel fand, die meine Mutter mir im Gepäck geschmuggelt hatte. Und da stand vorne drin: „Dein Wort ist meines Fußes Leucht und Licht auf meinem Wege.“ Durch die Nacht unseres Lebens haben wir ihr Licht, aber es geht durch Nacht.
Was meinen Sie wohl, wie viele dunkle Nachtstunden auf uns warten im kommenden Jahr? Und wie verzweifelte Stunden liegen hinter uns? Wenn das alles sein soll, überhaupt nur für den Weltmenschen, der es läuft durch die Nacht – da schaudert mich. Wie schrecklich ist ein Leben ohne Jesus! Wie schrecklich – nicht!
Und ist es nicht herrlich, dass die Hirten ganz gewiss wussten: Wir werden ihn finden und ihn sehen. Und so dürfen Christen ihren Weihnachtsweg gehen. „Wir wandeln hier im Glauben“, sagt Paulus, „aber dann kommt die Stunde, wo wir ihm schauen, wo wir ihn sehen von Angesicht zu Angesicht.“ Dort, wo alles, was mich hier bekümmert, bedrückt und verzweifelt macht und schwermütig hinter mir liegt. Wo er selbst die Tränen von unseren Augen wischen wird.
Sehen Sie, es hat mich sehr bewegt, dass die Geschichte der Hirten damit endet: Sie priesen und lobten Gott. So endet der Weg durch die Nacht – sie priesen und lobten Gott. Und da war mir ein Bild, dieses Preisen und Loben, für das es in der Offenbarung steht: „Kinder Gottes wandeln durch die Nacht dieser Welt, aber das Ende ist: Und ich sah eine große Schar, die niemand zählen konnte, von dem Traum Gottes und des Lammes, die schrien mit großer Stimme und sprachen: Heil sei unserem Gott und dem Lamm!“
Das ist dann, wenn wir schauen, wenn wir es gefunden haben wie die Hirten, wenn wir ihn sehen von Angesicht zu Angesicht.
Der Weihnachtsweg als Lebensweg im Licht Christi
Das, was ich eben gesagt habe, nämlich dass das ganze Christenleben ein Weihnachtsweg sei – von der Nacht zum Schauen des Heilandes im Licht –, ist in einem wunderschönen Weihnachtsvers ausgedrückt:
„Jesu Christ, dein reines Licht,
leuchte unseren Schritten,
bis mein sterblich Auge bricht
und ich ausgelitten.
Und in ewiger Weihnachtswonne
schauen darf der Sonnensonne
mit verklärt’tem Gesicht
Jesus Christ, dein reines Licht.“
Wir wollen beten:
Ach Herr, gib doch unserem Leben dieses herrliche Profil, dass wir nicht nur durch die Welt getrieben werden, sondern Menschen auf dem Weihnachtsweg sind.
Dass wir durch alle Nacht hindurch das vor uns Stehende sehen:
Wir werden ihn sehen, wie er ist.
Und wir danken dir, Herr Jesus, dass du uns hier in dieser Welt entgegengekommen bist. Amen.