Wir wollen uns heute Römer 9 anschauen. Dabei betrete ich gewissermaßen dünnes Eis. Römer 9 berührt zumindest teilweise Fragen, die in der Kirchengeschichte immer wieder sehr umstritten waren und noch sind. Egal, was man sagt, es gibt immer gute Bibellehrer auf der einen und auf der anderen Seite.
Mir ist sehr bewusst, dass ich mit dem, was ich heute Abend sagen und betonen werde, sicher einige der Bibellehrer, von denen wir normalerweise viel lernen, eher gegen mich habe. Glücklicherweise kenne ich auch den einen oder anderen, der meine Sichtweise teilt, sonst würde ich mich ganz schön einsam fühlen. Persönlich bin ich überzeugt, dass ich zumindest Paulus auf meiner Seite habe, und das ist immer schon ein gutes Gefühl.
Das Thema heute Abend ist nicht Vorherbestimmung, denn ich glaube, das ist nicht das Hauptthema von Römer 9. Das Thema heute Abend ist vielmehr die Souveränität Gottes.
Um den Text zu verstehen, müssen wir uns vorstellen, wo wir im Römerbrief gerade angekommen sind. Paulus hat im Verlauf des Briefes, was wir in den letzten zwei Stunden ausführlich wiederholt haben, das Evangelium sowohl im weiteren als auch im engeren Sinne entfaltet. Er hat deutlich gemacht, dass wir errettet werden durch Gnade und durch das Blut Jesu. Die Rettung ist ein Erlösungswerk Gottes und geschieht durch unseren Glauben. Paulus hat gezeigt, was die Bedingung für die Rettung ist.
Anschließend ist er weitergegangen und hat über Heilsgewissheit und Heilssicherheit gesprochen. Er hat erklärt, wie wir auch ganz praktisch in unserem Leben gerettet werden. Es gibt ein Evangelium, das nicht erst nach unserem Tod wirksam wird, sondern Paulus zeigt uns in Römer 6 bis 8, dass es jetzt schon eine Rettung von der Macht der Sünde gibt.
Jemand hat es einmal so beschrieben: Römer 1 bis 5 beschreibt grob, dass wir befreit sind von der Strafe der Sünde, weil Jesus die Strafe für unsere Sünden getragen hat. Römer 6 bis etwa zur ersten Hälfte von Kapitel 8 zeigt, dass wir befreit sind von der Macht der Sünde, sodass die Sünde in unserem Leben keine Macht mehr hat. In der zweiten Hälfte von Römer 8 betont Paulus immer mehr, dass wir auf eine ewige Herrlichkeit hinleben, in der wir von der Gegenwart der Sünde befreit sein werden, weil sie dann nicht mehr existiert.
Paulus hat dies alles entfaltend dargelegt und immer wieder betont: Leute, das ist die Grundlage. Ihr könnt nicht gerettet werden, weil ihr zu einem bestimmten Volk gehört. Ihr könnt nicht gerettet werden, weil ihr bestimmte Werke tut oder euch darauf etwas einbildet, weil ihr irgendwelche moralischen Maßstäbe erfüllt. Ihr könnt nur aus Gnade und durch das Blut Jesu gerettet werden, und das geschieht allein, weil Gott es getan hat und weil ihr daran glaubt.
Er hat diese Abgrenzung immer wieder deutlich gemacht, auch gegenüber den Ansprüchen mancher Juden, die gesagt haben: „Aber wir sind doch das Volk Gottes.“ Immer wieder gab es Abschnitte, die in diese Richtung gingen.
Irgendwie hat Paulus dieses Thema aufgespart. Nun ist er sozusagen fertig mit dem bisherigen Teil und kann sich der Frage widmen: Was ist jetzt mit den Juden? Was ist mit all dem, was Gott im Alten Testament gesagt hat? Ist das alles hinfällig? Hat Gott das gesagt und steht jetzt nicht mehr dazu? Was ist mit den Maßstäben, die Gott offenbart hat? Widerspricht sich Gott selbst oder wie ist das zu verstehen?
Paulus hat gespürt, dass bei den Juden Fragen und Einwände da sind. Auf diese Fragen und Einwände geht er nun in den Kapiteln 9 bis 11 ein.
Die Sorge um das jüdische Volk und seine Vorrechte
Ja, das ist das Thema, auch schon in Kapitel neun. Ich lese Vers eins bis fünf.
„Ich sage die Wahrheit in Christo“, sagt Paulus. „Ich lüge nicht, indem mein Gewissen mit mir Zeugnis gibt im Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit habe und unerfülllichen Schmerz in meinem Herzen. Denn ich selbst habe gewünscht, durch einen Fluch von Christo entfernt zu sein für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleische, welche Israeliten sind, deren die Sohnschaft ist und die Herrlichkeit und die Bündnisse und die Gesetzgebung und der Dienst und die Verheißungen, deren die Väter sind und aus welchen dem Fleisch nach der Christus ist, welcher über allen ist, Gott gepriesen in Ewigkeit. Amen.“
Paulus sagt: Leute, dieses Volk ist mir nicht egal. Ihr dürft nicht denken: „Weißt du, der war mal Jude, und jetzt ist er Christ geworden und hat seine alte Familie, sein altes Volk, alles, was er früher mal geglaubt hat und was ihm wichtig war, einfach zur Seite geschoben und dann gesagt, es ist mir wurscht.“ Nein, sagt Paulus, das ist mir überhaupt nicht egal.
Wisst ihr, ob er mir das glaubt oder nicht – ich sage die Wahrheit. Ich glaube, er meint das so, wie Moses es im zweiten Buch Mose gemeint hat. Ich glaube, er meint: Ich war bereit, Gott in Tausch anzubieten. Ich gehe in die Hölle, wenn dieses Volk gerettet wird.
Mose hat gesagt: „Verwirf mich, aber handle mit diesem Volk weiter.“ Und das ist gewaltig.
Er sagt ihnen noch einmal, wie er es ihnen schon einmal gesagt hat, was der Vorzug der Juden ist, warum sie so eine gewaltige Grundlage eigentlich haben, um Gott zu erkennen und mit Gott zu leben.
Er sagt: Wisst ihr, Leute, ihnen gehört die Sohnschaft. Gott hat gesagt: „Meinen Sohn habe ich aus Ägypten geholt“, und das gilt ursprünglich für dieses Volk Israel. Er hat gesagt: „Das ist mein Volk, das sind meine Kinder.“ Ihnen ist die Herrlichkeit. Es ist immer dieses Bild, wie Gott dieses Volk durch die Wüste geführt hat – am Tag in einer Wolkensäule, nachts in einer Feuersäule – und wie über Jahre diese Wolkensäule über diesem Zelt war. Dort, wo Gott gesagt hat: „Dort will ich wohnen.“ Ihnen ist die Herrlichkeit. Bei niemandem hat Gott so gewohnt, in keinem Tempel dieser Erde.
Und ihnen gehören die Bündnisse. Gott hat einen Bund mit ihnen gemacht, er hat sozusagen einen Vertrag mit ihnen geschlossen. Das haben sie, sie haben das Schwarz auf Weiß, Verträge Gottes. Welches Volk hat das? sagt Paulus.
Sie haben das Gesetz bekommen, das beste Gesetz, das es jemals auf dieser Erde gab. Sie haben den Dienst, sie haben einen Tempel mit diesem ganzen Tempeldienst, wo Priester wirklich diesem Gott dienen, wenn Gott sich dazu gestellt hat.
Sie haben die Verheißung von Anfang an, von Abraham an. Sie haben die Väter, sie haben die Vorbilder: Abraham, Isaak, Jakob und deren zwölf Söhne sowie David und alle diese Väter im Glauben. Sie haben Vorbilder, bei denen sie wirklich gesehen haben, wie einzelne Menschen ganz persönlich mit Gott gelebt haben.
Und wisst ihr, was sie haben? sagt Paulus. Sie haben das Größte, was es überhaupt gibt: Aus diesem Volk kam der Messias, der Sohn Gottes und Gott selbst. Es gibt kein gewaltigeres Vorrecht, als zu diesem Volk und zu dieser Familie zu gehören, sagt Paulus.
Und ich würde mir so wünschen, sagt er, dass sie gerettet werden.
Die Herausforderung des Evangeliums für Israel
Ja, wie ist es mit diesem Evangelium? Wie ist es, Paulus, wo du plötzlich gesagt hast, jeder kann gerettet werden? Man wird nicht wegen Zugehörigkeit gerettet, nicht wegen dem Gesetz und auch nicht wegen all dieser Vorrechte, die hier aufgezählt sind. Man kommt nicht durch diese Dinge in den Himmel.
Paulus, du hast mich fast überzeugt mit deiner Logik, aber du kannst nicht Recht haben. Denn dann hätte sich Gott im Alten Testament geirrt. Du kannst nicht Recht haben, Paulus, denn was ist mit seinem Wort an Israel? Was ist mit seinen Verheißungen gegenüber Abraham?
Bevor wir jetzt weitermachen, möchte ich mit euch die Quintessenz dessen lesen, was Paulus sagen wird. Seine Zusammenfassung dieses zum Teil schwierigen Textes, den wir zwischendurch betrachten werden. Kapitel 9, Vers 30, und wir lesen dann bis Kapitel 10, Vers 4. Das ist letzten Endes der Abschnitt, der fast alles zusammenfasst, was wir gleich noch betrachten werden und was Paulus zwischendurch gesagt hat.
Was sollen wir jetzt sagen? Was ist die Schlussfolgerung? Paulus sagt: Die von den Nationen, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, haben Gerechtigkeit erlangt. Eine Gerechtigkeit aber, die aus Glauben ist. Israel aber, wisst ihr, er sagt, es gibt Leute aus den Nationen – er meint hier nicht alle, ich meine, wir wissen alle, dass nicht jeder aus allen Nationen gerettet wird – aber er sagt, da gibt es eine Menge Leute aus den Nationen, die euch jetzt vor der Nase sitzen. Geschichtlich gesehen haben sie nicht nach Gerechtigkeit gestrebt.
Sie haben irgendwie gelebt, wie der verlorene Sohn. Und irgendwo ist ihnen Gott begegnet. Sie haben eine Gerechtigkeit bekommen, Gott hat ihnen Gerechtigkeit angeboten, und sie haben sie angenommen.
„Und guck mal“, sagt Paulus, „jetzt sind sie gerettet.“ Warum? Sie haben eine Gerechtigkeit bekommen, die aus Glauben ist. Denn, sagt Paulus, Leute, ob euch das passt oder nicht, das Kriterium Gottes, wer gerettet wird, ist Glaube.
Israel aber, sagt Paulus, hat einem Gesetz der Gerechtigkeit nachgestrebt, ist aber nicht zu diesem Gesetz gelangt. Warum? Weil es nicht aus Glauben, sondern aus Werken geschah.
Paulus macht hier einen deutlichen Unterschied, das ist ganz wichtig für das, was wir nachher betrachten. Paulus macht hier in Römer 9 in seiner Zusammenfassung einen klaren Unterschied zwischen Glaube und Werken.
Er sagt: Wisst ihr, vielleicht findet ihr das ungerecht. Vielleicht findet ihr es ungerecht, dass ihr euch über Generationen und Generationen so angestrengt habt, diese Gerechtigkeit Gottes zu erreichen. Und dass Gott jetzt sagt: „Leute, eure Anstrengungen reichen nicht.“
Sie haben sich angestrengt, sagt Paulus, dieses Volk hat sich angestrengt, irgendwie diese Gesetze zu erfüllen. Aber sie werden nicht gerettet. Warum? Weil sie Rettung in ihrer Anstrengung gesucht haben. Weil sie Rettung in ihren Werken gesucht haben. Und weil sie nicht Rettung durch Glauben gesucht haben.
Denn, sagt Paulus, ihr Israeliten, ob euch das passt oder nicht – und ob ihr das ungerecht oder unfair findet oder nicht – das Kriterium Gottes, wer gerettet wird, sind nicht Werke, sondern Glauben.
Und Vers 33 ist irgendwie ein Höhepunkt oder vielleicht der Höhepunkt dieses Kapitels, denn sie haben sich am Stein des Anstoßes gestoßen. Wie geschrieben steht: „Siehe, ich lege ihn zum Stein des Anstoßes und zum Fels des Ärgernisses. Und wer an ihn glaubt, wird nicht zu Schanden werden.“
Paulus sagt: Leute, es gibt ein Kriterium, wie man gerettet wird – Glaube an Jesus Christus. Das ist das Kriterium, das Gott vor allen Zeiten festgelegt hat. Ihr könnt ihm glauben oder euch an ihm ärgern, aber daran wird sich euer Leben oder Tod entscheiden: ewiges Leben oder ewiger Tod.
Das ist das ewige Kriterium Gottes, ob euch das gefällt oder nicht.
Er sagt weiter, Brüder, Kapitel 10, Vers 1: „Brüder, das Wohlgefallen meines Herzens und mein Flehen für sie zu Gott ist, dass sie gerettet werden.“ Er meint sein Flehen für diese Israeliten.
Wenn ich ihnen Zeugnis gebe, dass sie Eifer für Gott haben, aber nicht mit rechter Erkenntnis. Denn sie haben Gottes Gerechtigkeit nicht erkannt; sie haben nicht erkannt, wie gerecht Gott ist. Sie dachten, sie könnten mit ihren Werken die Gerechtigkeit Gottes zufriedenstellen.
Sie haben nicht erkannt, was eigentlich die Gerechtigkeit Gottes ist, nämlich dass er Gerechtigkeit verschenkt durch seinen Sohn.
Denn da sie Gottes Gerechtigkeit nicht erkannten und ihre eigene aufzurichten trachteten, haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes nicht unterworfen.
Leute, hier liegt das Problem. Und hier liegt das Problem von Römer Kapitel 9, denn um das geht es Paulus in diesem Kapitel. Das ist die Zusammenfassung und die Quintessenz.
Er sagt: Das Problem ist, dass hier Leute sind, die sehr fromm sind, aber nicht bereit, vor dem Plan zu kapitulieren, den Gott gemacht hat. Und vor den Kriterien, die Gott aufgestellt hat, wie man gerettet wird und wie nicht.
Sie sagen: „Aber Gott muss mich doch erretten, so gut wie ich bin. Ich bin doch viel besser als die in meiner Nachbarschaft. Gott muss mich doch erretten, was ich alles durchgemacht habe. Gott muss, Gott muss, Gott muss. Das ist doch so ein guter Mensch, den muss Gott doch retten. Dreimal im Jahr ist er nach Jerusalem gepilgert, und jeden Sabbat hat er nicht gearbeitet, und die Opfer hat er alle gebracht. Gott muss ihn doch retten.“
Paulus sagt: Nein, Leute, Gott muss gar nichts. Gott ist souverän, und er kann seine Maßstäbe aufstellen, wer gerettet wird und wer nicht.
Keiner ist gerecht vor ihm. Keiner kann einfordern: „Ich muss gerettet werden.“ Keiner kann einfordern: „Der muss gerettet werden.“ Gott kann die Kriterien aufstellen.
Das Problem, das ihr habt, sagt Paulus, ist, dass ihr nicht bereit seid, euch der Gerechtigkeit Gottes und seinen Plänen und seinen Kriterien zu unterwerfen. Ihr wollt eure eigene Gerechtigkeit und euren eigenen Stolz.
Glaube als Kriterium der Rettung
Paulus sagt, es gibt nur ein Evangelium. Es tut ihm weh, weil er bereit wäre, für dieses Volk sein Leben und seine ewige Rettung zu geben. Doch wenn sie nicht bereit sind, sich Gott zu unterwerfen, seinem Plan zu folgen und im Glauben sein Erlösungswerk, seinen Stein des Anstoßes, anzunehmen, dann muss Gott nichts tun.
Denn Christus ist das Ende des Gesetzes für jeden Glaubenden zur Gerechtigkeit. Man merkt gut, dass Paulus in diesem Kapitel genau das sagen will. Er möchte betonen, dass Gott souverän ist. In seiner Souveränität hat Gott ein Kriterium festgelegt, wie man gerettet wird – egal, ob uns dieses Kriterium passt oder nicht.
Ich glaube nicht, dass Paulus sagen will, Gott habe Kriterien, die niemand durchschauen kann. Vielmehr will er uns sagen, dass Gott sein Kriterium festgelegt und offenbart hat. Im gesamten Römerbrief spricht Paulus darüber, wie man gerettet wird. Das Problem ist, dass dieses Kriterium vielen Menschen – auch uns – oft nicht gefällt.
Das Problem ist, und ich würde es gerne irgendwie in Herrn Kassel hineinbringen, das Problem ist Israel. Israel waren ernsthafte Leute, die einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebten. Doch sie erreichten nichts durch das Gesetz, weil sie nicht aus Glauben handelten, sondern aus Werken. Wie in Kapitel 10 steht, wollten sie sich der Gerechtigkeit Gottes letzten Endes nicht unterwerfen, sondern wollten selbst gerecht sein.
Das sehen wir durch alle Religionen hindurch. Denn das ist es, was dem Menschen liegt: „Ich leiste so viel, dass ich Gott quasi zwinge, mich anzunehmen.“ Das ist das Prinzip von Religion.
Paulus zeigt das noch einmal, weil es direkt vor der Zusammenfassung in Vers 30 steht. Er macht deutlich, dass die Folgen davon, dass Israel so gehandelt hat, katastrophal für dieses Volk waren. In Vers 27 zitiert er Jesaja: „Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, nur der Überrest würde gerettet werden, denn er vollendet die Sache und kürzt sie ab in Gerechtigkeit, denn der Herr würde eine abgekürzte Sache tun auf Erden.“
Wie Jesaja zuvor gesagt hat: „Wenn nicht der Herr Zebaoth Samen übrig gelassen hätte, so wären wir wie Sodom geworden und Gomorra gleich.“ Die Folge für dieses Volk, das eigentlich Gottes Volk sein sollte, ist, dass sie den Messias verworfen haben und sich an ihrer eigenen Werksgerechtigkeit festklammerten.
In diesem Zusammenhang, den Paulus aus Jesaja zitiert, heißt es, dass nur eine kleine Hütte im Gurkenfeld übrig geblieben ist – eine Hütte, die nicht sehr stabil ist, in einem großen Feld. So sieht es aus mit dem, was von diesem großen Volk Gottes übrig geblieben ist.
Das tut Paulus weh. Gleichzeitig kämpft er gegen diejenigen, die meinen, sie könnten ihre eigenen Maßstäbe und Vorstellungen von Gerechtigkeit durchsetzen.
Gottes souveräne Auswahl und die Grenzen menschlicher Ansprüche
Und womit er in seiner Argumentation beginnt, ist Folgendes: Ich glaube nicht, dass ich jeden einzelnen Vers oder sogar jeden halben Vers in diesem Text wirklich gut erklären kann. Aber ich kann versuchen, die Linie aufzuzeigen, die er verfolgt.
Er beginnt damit, dass einige Leute meinen, sie kämen in den Himmel, weil sie zu einem bestimmten Volk gehören – weil sie Abrahams Same sind. Paulus sagt daraufhin: „Ach, dann kommen also alle Araber in den Himmel und auch die Edomiter?“ Nein, das ist nicht so. Es ist nicht so, als ob das Wort Gottes hinfällig geworden wäre.
Paulus sagt den Leuten, dass sie Gott falsch verstanden haben. Es ist nicht so, dass Gott im Alten Testament etwas gesagt hat, das jetzt plötzlich nicht mehr gilt. Schaut euch doch mal ganz genau die ersten Geschichten an, ganz am Anfang. Nicht alle, die aus Israel sind, sind wirklich Israel. Auch nicht alle, die Abrahams Same sind, sind automatisch Kinder Gottes. In Isaak wird der Same genannt. Das bedeutet: Nicht die Kinder des Fleisches sind Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet.
Denn dieses Wort ist ein Verheißungswort: „Um diese Zeit will ich kommen, und Sarah wird einen Sohn haben.“ Wie ist es, fragt Paulus, mit der ersten Geschichte, in der es überhaupt um euer Volk geht, die Geschichte eures Erzvaters Abraham? Nein, sagt er, nicht alle Nachkommen Abrahams sind gerettet worden. Gott hat nicht gesagt: „Weil sie von Abraham abstammen, werden sie alle gerettet, sind alle mein Volk und kommen alle in den Himmel.“
„Ihr würdet jederzeit zugeben“, sagt er zu den Israeliten, „dass die, die von Ismael abstammen, und die, die von Ketura abstammen, nicht dazugehören.“ Gott hat nicht einmal Abraham herausgenommen und jetzt sei es eine große Pyramide, und alle, die von ihm abstammen, gehören zu mir, sagt Gott. Nein, ich habe Abraham herausgenommen, aber aus seinen Nachkommen habe ich manche gerettet und manche nicht.
Leute, es ist keine Frage der Abstammung, sondern eine Frage meiner Maßstäbe und wem ich letzten Endes meine Verheißungen und Zusagen gebe. Ich suche aus. Ich habe nicht einmal ausgesucht, und seitdem läuft alles automatisch. Ich habe nicht einmal einen Mann und eine Frau ausgesucht, und seitdem läuft alles automatisch. Sie müssen nur viele Kinder kriegen. Nein, auch unter ihren Kindern suche ich mir die aus, die zu mir gehören. Nicht Abstammung allein, sagt Paulus.
Und das war ein harter Schlag für die Israeliten, aber ein gutes Argument.
Vers 10: „Nicht allein das, sondern auch als Rebekka schwanger war von einem, von Isaak, unserem Vater, selbst als die Kinder noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, damit der Vorsatz Gottes nach Auswahl bestände, nicht nach Werken, sondern aus dem Berufenden, wurde zu ihr gesagt: Der Größere wird dem Kleineren dienen, wie geschrieben steht: ‚Den Jakob habe ich geliebt, Esau habe ich gehasst.‘“
Ich weiß, das sind irgendwie schwierige Verse. Wenn wir jetzt eine Diskussion anfangen würden, könnten wir sicher den ganzen Abend darüber reden. Aber ich möchte euch einfach das Argument zeigen. Und ich hoffe, ihr habt noch im Kopf, worum es in diesem Kapitel geht.
Das eine Argument zieht sich durch: Ihr meint, ihr werdet wegen eurer Abstammung gerettet? „Hey Leute, ich habe noch ein Beispiel für euch“, sagt Paulus. „Isaak und seine zwei Kinder. Hat Gott beide genommen?“ Gott hat sich wieder die Freiheit gelassen, auszuwählen. Also kann es nicht nur die Abstammung sein, sagt Paulus.
Aber er sagt auch: Na ja, natürlich ist es nicht nur die Abstammung. Letzten Endes muss man auch treu sein, man muss die Gesetze Gottes befolgen und die Werke tun, die Gott von einem will. Ja, sagt Paulus, wirklich. Ehrlich gesagt hat Gott, als diese Babys noch im Bauch ihrer Mutter waren, gesagt: „Mit dem werde ich meinen Bund weiterführen, mit dem Jüngeren, nicht mit dem Älteren.“
Wisst ihr, Gott hat nicht angeguckt, wie treu jemand war oder ob er genug geschafft hat. Am Ende seines Lebens sagt er: „Okay, du bist der Gute, und du bist der Böse, und so geht's weiter.“ Nein, sagt Paulus, nicht nach Werken.
Ich glaube, das hier ist ein Argument im Zusammenhang. Hier steht nicht, nach welchen Kriterien Gott Jakob und Esau getrennt hat, was er von ihnen wusste und was er in diesen Babys schon gesehen hat. Das steht nicht da. Es steht nur, worum es nicht ging: nicht um Werke.
Aber was er ihnen hier sagen wollte, ist: Gott hat Kriterien. Und seine Kriterien sind erstens nicht die Abstammung, zweitens nicht deine Gesetzestreue und deine Werke. Seine Kriterien sind andere. Ich habe es euch schon verraten. Ich habe seinen Plan vorweggenommen.
Gottes souveräne Gnade und das Recht zur Begnadigung
Was sollen wir nun sagen? Gibt es Ungerechtigkeit bei Gott? Das sei ferne! Denn er sagt zu Mose: „Ich werde begnadigen, wen ich begnadige, und mich erbarmen, wessen ich mich erbarme.“
Also liegt es nun nicht an dem Wollenden noch an dem Laufenden, sondern an dem begnadigenden Gott. Und genau das möchte Paulus sagen. Er richtet sich an die, die ihr Heil aufgrund ihrer Werksgerechtigkeit einfordern. Er sagt ihnen: Nein, ihr könnt laufen und euch anstrengen und in den Himmel wollen, so viel ihr wollt. Ihr könnt euch den Himmel nicht erkämpfen, ihr könnt das Tor des Himmels nicht stürmen. Das Material ist zu hart, die Schlösser zu fest. Es gibt nur einen Weg hinein, sagt er: die Gnade Gottes.
Er zitiert Gott, der zu Mose sagt: „Ich werde begnadigen, wen ich begnadige, und mich erbarmen, wessen ich mich erbarme.“ Das steht in einem Zusammenhang, den wir hier nicht vollständig aufrollen, aber den man nachlesen kann. Es ist kurz nach der Geschichte mit dem goldenen Kalb, als Gott gesagt hat: „Schluss, Mose, geh zur Seite, ich mache einen Neuanfang mit dir.“ Dieses Volk hört einfach nicht auf Gott. Mose redet mit ihm, und Gott sagt: „Gut, ich handle weiter mit diesem Volk.“ Mose erwidert: „Wenn dein Angesicht nicht mitgeht, will ich dieses Volk nicht mehr führen.“
Dann sagt Gott diesen Satz, und ich habe den Eindruck, er meint: Mose, pass auf, ich gehe mit euch weiter, aber das heißt nicht automatisch, dass ich für das ganze Volk bin und es in das verheißene Land führen werde. „Ich stelle mich nicht hierhin und sage, dass dieses ganze Volk mein Volk ist und ich es alle ins Land bringe.“ Nein, Mose, das werde ich nicht tun. „Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarme, und Gnade zeigen, wem ich Gnade zeigen will. Ich bin souverän und entscheide, wer von diesen Leuten zu mir gehört und wer in dieses Land einziehen darf. Ich lasse mich von dir nicht zwingen, zu diesem ganzen Volk Ja zu sagen.“
Das zeigt Paulus: Gott hat sich bei Abrams Söhnen vorbehalten, einen auszuwählen und einen nicht. Bei Isaaks Söhnen hat er sich vorbehalten, einen zu nehmen und einen nicht. Damals bei Mose in der Wüste hat Gott sich vorbehalten, nur einen kleinen Teil von denen, die aus Ägypten ausgezogen sind, zu retten und einen Teil zu verwerfen. Gott sagt: Ich lasse mich nicht festlegen, ich habe meine Kriterien.
Aber das heißt nicht, dass Gott keine Kriterien hat oder diese nicht offenbart. Es ist ziemlich klar, wer ins Land kam: Joseph und Caleb, Leute, die geglaubt haben. Gottes Kriterium ist eigentlich einfach, auch wenn es für uns Menschen schwer ist und wir dagegen ankämpfen. Sein Kriterium ist Kapitulation, denn Glaube ist Kapitulation. Wer vor ihm kapituliert, dem schenkt er Gnade, und der wird gerettet.
Paulus möchte nicht sagen, dass es keine Kriterien gibt, aber er sagt den Leuten: Gott legt die Kriterien fest. Dann fügt er hinzu, und das wird euch überraschen, obwohl ihr es eigentlich aus der Schrift wisst: „Denn die Schrift sagt“, so heißt es in Vers 17, „zu Pharao: Eben hierzu habe ich dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde. So denn, wen er begnadigen will, begnadigt er, und wen er will, verhärtet er.“
Du wirst sagen: „Warum tadelt er noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden?“ Paulus antwortet: „Mensch, wer bist du, dass du Gott zurechtweisen willst? Will der Töpfer etwa zu dem Ton sagen: Warum hast du mich so gemacht? Hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus derselben Masse ein Gefäß zu Ehre und ein anderes zu Unehre zu machen? Wenn er aber will, seinen Zorn zu erzeigen und seine Macht kundzutun, so hat er mit vieler Langmut die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bereitet sind, ertragen, damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Begnadigung kundtue, die er zur Herrlichkeit bereitet hat.“
Schauen wir uns den Anfang an: Er spricht von Pharao. Im Alten Testament, im zweiten Buch Mose, finden wir die Geschichte mit Pharao. Das Zitat stammt aus Kapitel 9, wo Gott sagt, dass er das Herz von Pharao verhärtet hat, damit er seine Herrlichkeit erweise und alle sehen, wie groß und stark Gott ist. Wenn man genau liest, merkt man: Das ist nicht der erste Schritt. Bei den ersten zwei oder drei Wundern war es so, dass Gott handelte, Mose redete, und Pharao sein Herz verhärtete. Der erste Schritt war nicht, dass Gott Pharaos Herz verhärtet hat, sondern dass Pharao sein Herz gegen Gottes Handeln verhärtet hat.
Der zweite Schritt war, dass Gott sagte: „Okay, wenn du nicht willst, dann werde ich dafür sorgen, dass du bei den nächsten Plagen nicht nachgibst, damit ich zeige, wer hier stark und wer schwach ist.“ Hat Gott ein Recht dazu? Paulus sagt: Ja, Gott hat das Recht. Gott hat jedes Recht. Frag nicht, welches Recht Gott hat, denn er hätte das Recht, niemanden in den Himmel zu lassen. Er könnte nur einen bestimmten Stamm aus Afrika in den Himmel lassen. Gott kann auswählen. Die Frage ist nicht, welches Recht Gott hat, sondern was er mit diesem Recht macht.
Paulus betont: Wir sind der Ton, Gott ist der Töpfer, und er hat jedes Recht, zu tun, was er will. Wenn die Israeliten darüber nachdachten – und ich denke, Paulus spielt besonders in Vers 22 und 23 darauf an – dann waren sie schockiert. Denn es gab etwas, worauf sie stolz waren. Erstens, sie waren stolz auf ihre Herkunft, auf ihre Väter und die Verheißungen, die sie aus dem Alten Testament kannten. Sie waren das Volk Gottes. Zweitens waren sie stolz auf das Gesetz und ihre Werke. Drittens waren sie stolz auf ihre jüngere Geschichte: Gott hatte sie aus Babylon zurückgeführt, was ein großes Wunder war. Das war zwar 400 Jahre her, aber noch relativ nah.
Neben ihnen waren große Reiche entstanden und vergangen, und sie waren noch da. Sie sagten: „Das ist ein Beweis, dass Gott mit uns ist.“ Dann kam jemand, der sagte: „Ich bin der Sohn Gottes, der Messias, glaubt an mich.“ Sie verworfen ihn und nagelten ihn ans Kreuz. Was geschah? Nichts. Kein Himmel, der sich öffnet, keine Strafe für die Israeliten, keine Schlangen, die sie beißen und töten. Nein, nichts. Sie sagten: „Das beweist, dass wir richtig gehandelt haben. Sonst hätte Gott eingegriffen, nachdem wir seinen Sohn getötet haben. Das beweist, dass wir auf der richtigen Seite sind.“
Paulus antwortet: „Na ja, Pharao hätte vielleicht nach der achten Plage auch gesagt: ‚Wir sind noch nicht untergegangen, das beweist, dass ich Recht habe, dass man Gott widerstehen kann.‘ Nein, das beweist nichts. Gott muss euch nicht sofort richten, so wie er Pharao nicht sofort vernichten musste. Er muss auch nicht so handeln, dass ihr schnell umkehrt, um Gnade zu bekommen. Gott kann euch verhärten. Und Gott kann euch gebrauchen, um Christen zu verfolgen.“
Im ersten Jahrhundert waren es nicht in erster Linie die Römer, sondern die Juden, die Christen verfolgten. Sie entfachten in jeder Stadt Verfolgungen. Paulus sagt: Gott hat das Recht dazu, dass es euch noch so gut geht. Das ist kein Beweis dafür, dass Gott für euch ist. Es könnte sein, dass Gott euch nur benutzt, um seine Macht zu zeigen. Gott kann begnadigen, wen er will, und er will die begnadigen, die an ihn glauben. Aber er kann auch verhärten, wen er will, und er verhärtet die, die ihr Herz gegen das Evangelium verhärtet haben. Es ist gefährlich, sein Herz gegen Gott zu verhärten.
Dann kommt das Bild von den Gefäßen der Herrlichkeit. Das geht über zwei Abschnitte, aber ihr kennt es noch. Gott will seine Macht und Gnade an den Gefäßen der Begnadigung beweisen. Und jetzt beschreibt Paulus, wer das ist: Diese Gefäße der Begnadigung sind wir, die er berufen hat, nicht nur aus den Juden, sondern auch aus den Nationen. Wie er zu Hosea sagte: „Ich werde nicht mehr mein Volk mein Volk nennen, und die nicht Geliebte werde ich Geliebte nennen. Und es wird geschehen, an dem Ort, da ihnen gesagt wurde, ihr seid nicht mein Volk, da werden sie Söhne des lebendigen Gottes genannt.“
Paulus sagt: Gott hat in seiner Souveränität eine Wahl getroffen. Er hat gesagt: „Ich möchte Leute aus den Heiden und aus den Juden nehmen, Leute, die er abgeschrieben hatte.“ Herrlich sagt Paulus, diese Leute waren so wie ihr. Denn zu euch und zu den zehn Stämmen, die verstreut wurden, wurde gesagt: „Ich werde euch nicht mehr mein Volk nennen.“ Leute, die so weit weg waren von Gott wie ihr, hat Gott zu seinem Volk gemacht.
Hier sagt Paulus: Ihr dachtet, wir seien alle Gottes Volk, weil wir so treu sein Gesetz halten, weil wir zum richtigen Volk gehören und weil Gottes Handeln in unserer Geschichte so deutlich ist. Doch Gott hat nur einen kleinen Überrest übriggelassen. Und wisst ihr, woran das liegt? Paulus fragt: Was sollen wir dazu sagen, dass die von den Nationen, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, Gerechtigkeit erlangt haben? Eine Gerechtigkeit, die aus Glauben ist. Israel aber, das einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebt, ist nicht zu diesem Gesetz gelangt. Warum? Weil es nicht aus Glauben, sondern aus Werken geschah. Sie haben sich am Stein des Anstoßes gestoßen, wie geschrieben steht: „Siehe, ich lege in Zion einen Stein des Anstoßes und einen Fels des Ärgernisses; wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.“
Ich habe euch am Anfang gesagt, dass dieses Kapitel viele Probleme und Streit in der Kirchengeschichte verursacht hat. Es gibt Streit darüber, wie Gott erwählt und wie diese Erwählung aussieht. Ob es auf unseren Glauben und unsere Verantwortung ankommt oder ob Gott vor Grundlegung der Welt bestimmte Leute ausgesucht hat, gegen die man nichts machen kann, oder ob beides stimmt.
Aber ich glaube, dieses Kapitel spricht nicht über Vorherbestimmung, auch wenn an einer Stelle betont wird, dass Gott ausgewählt hat, bevor die Werke offenbar wurden. Dieses Kapitel spricht darüber, was das Evangelium ist. Es sagt, dass es nur ein Evangelium gibt. Gott sagt nicht: „Na ja, du hast mein Evangelium nicht angenommen, aber du hast dich immer bemüht, die zehn Gebote zu halten, ich lasse dich trotzdem in meinen Himmel.“ Nein, dieses Kapitel sagt: Nicht aus Werken, sondern aus Glauben, wie Paulus in den Kapiteln 1 bis 5 betont hat. Nicht aus Werken, sondern aus Glauben – egal, ob es Juden oder Heiden trifft, egal, ob es dieses Volk trifft, zu dem ich gehöre und das mir am Herzen liegt oder nicht.
Das sind Gottes Kriterien. Und egal, ob es dir passt oder nicht: Gott ist souverän, und er hat in seiner Souveränität dieses Kriterium festgelegt. Ich bin persönlich überzeugt, dass Gott nicht willkürlich auswählt, wen er wählt und wen nicht. Ich bin überzeugt, dass Gott keine geheimen Kriterien hat, die niemand nachvollziehen kann. Und das schadet seiner Souveränität nicht. Gott hat in seiner absoluten Souveränität beschlossen, dass das sein Kriterium ist – weil er Gott ist.
