Moment mal, wollen wir die Bibel wirklich liebgewinnen? Da ließen sich ja Einwände denken. Jemand könnte sagen: Wir verehren doch bitteschön kein Buch, wir verehren Gott. Nun, das stimmt sicherlich.
Herzlich willkommen zu einem neuen Vortrag auf dem Kanal Glauben, Denken. Unser Thema heute ist ein Wort wie Feuer: die Liebe zur Bibel vermitteln – und warum überhaupt.
Kürzlich sprach ich mit einem jungen Mann, der aus dem Norden kam. Wenn man das auf der Karte sucht, ist es da, wo man es vermutet: ganz im Norden, in Niedersachsen. Er erzählte mir, dass er eigentlich praktisch hinterm Deich aufgewachsen ist. Jetzt, wo er an einem anderen Ort wohnt, merkt er: „Hm, wie schön habe ich da eigentlich gewohnt.“
Ihm war gar nicht bewusst, wie selbstverständlich es war, so nah an der Nordsee zu wohnen. Und jetzt, wo es nicht mehr so ist, vermisst er es sehr. Ich glaube, dass manche junge Leute ähnliche Erfahrungen machen, wenn sie sehr fromm sozialisiert sind im Blick auf die Bibel.
Die Bibel ist ihnen so vertraut, so normal, sie sind so hineingewachsen in die biblischen Geschichten. Wie soll man da überhaupt ein Verhältnis zu den Texten entwickeln? Vielleicht braucht es Abstand.
Ich denke an Geschichten, die Sie unzählige Male gehört haben, wie die vom barmherzigen Samariter und Ähnlichen. Das kann tatsächlich dazu führen, dass wir gegenüber diesen Geschichten abstumpfen, weil wir übersättigt sind von ihnen.
Es kann sich eine Fremdheit einstellen – einfach aus der zu großen Nähe zu diesen Texten.
Aber es gibt auch ein anderes Fremdheitsempfinden im Blick auf die Bibel. Diese Fremdheit erleben vielleicht Menschen, die als Kinder oder Jugendliche überhaupt keine Berührung mit der Bibel hatten. Ihnen fällt es dann auch später schwer, Zugang zu diesem Buch zu finden.
Und es ist ja wirklich auch ein schweres Buch, wenn man es hochhebt. Manche sagen dann: „Ach, da stehen auch wirklich Sachen drin von der Braut und dem Lamm. Ich möchte wirklich mal wissen, was das bedeutet.“
Heute soll es also darum gehen, wie wir aus diesen Fremdheitserfahrungen heraus wieder neu in die Lebendigkeit und Frische der Bibel hineingeführt werden können. Wie können wir sie als Lebensbrot für uns entdecken?
Dazu möchte ich zwei Blickrichtungen einnehmen. Die erste nenne ich den Blick von oben. Dabei geht es darum, dass wir es hier mit einem Buch zu tun haben, das Beziehung trägt und prägt.
Die zweite Blickrichtung ist der Blick von vorn. Dabei sehen wir die Bibel als ein Buch voller Verheißung für unser Leben.
Das sind die beiden Blickrichtungen, die ich einnehmen möchte. Die Frage, die sich am Anfang stellt, ist natürlich: Wollen wir die Bibel wirklich liebgewinnen?
Man könnte Einwände dagegen denken. Jemand könnte sagen: „Wir verehren doch bitteschön kein Buch, wir verehren Gott.“ Nun, das stimmt sicherlich.
Aber wenn uns in der Bibel Gottes Wort begegnet, wenn Gottes Wort vernehmbar wird, dann ist klar: Wir können Gott nicht wirklich verehren, wenn wir nicht auf das hören, was Gott uns sagt.
Andere sagen: „Ach, weißt du, die Bibel ist einfach viel zu dick und außerdem viel zu schwer zu verstehen.“ Und das stimmt auch. An mancher Studienbibel kann man sich verletzen, wenn sie einem auf den Fuß fällt. Selbst bei Dünndruckpapier ist die Bibel immer noch ziemlich dick. Dazu kommt noch das schwere Verstehen.
Oder schließlich: Wozu eigentlich die Bibel? Das höre ich eher in jüngerer Zeit. „Wozu eigentlich die Bibel? Ich habe doch diesen direkten Draht zu Jesus, bin da in einer guten Connection und brauche dieses dicke Buch nicht.“
Ich möchte dazu einladen, dass wir die Bibel neu entdecken als Gottes Beziehungsgeschichte mit uns Menschen. Also ein Buch, das uns von dieser Beziehungsgeschichte mit den Menschen erzählt und uns Anteil gibt, uns hineinführt in die Wirklichkeit dieser Beziehung.
Damit ist schon mal gesagt: Gott ist ein Gott, der Beziehung lebt und der Beziehung will. Christen sind davon überzeugt, dass Gott drei Personen in einem ist. Das heißt, dass Gott von Ewigkeit her die Liebesbeziehung par excellence ist: Vater, Sohn und Heiliger Geist, die in einer engen Beziehung sind. In diesen göttlichen Personen liebt Gott das, was ihm gleich ist, das Eigene.
Aber Gott wollte mit dieser Liebe nicht bei sich selbst bleiben. Diese Liebe ist so überströmend, dass Gott sich sagt: Ich will nicht nur das mir Gleiche, sondern ich will auch das Andere lieben. Ich will die Welt lieben, ich will die Welt ins Leben hinein lieben, ins Leben hinein sprechen.
Und so öffnet Gott diese Gemeinschaft hin zur Welt. Gott erschafft und erhält alle Dinge mit seinem kräftigen Wort, so lesen wir im Hebräerbrief im Neuen Testament. Dieses Wort, das alles trägt und alles hält, durch das alles, was ist, seinen Bestand hat, wird Fleisch. Dieses Wort wird Mensch, so erzählt uns das Neue Testament.
Jesus Christus ist Gott in Person. In diesem Jesus lässt Gott sich ins Angesicht schauen. In diesem Jesus spiegelt sich das Angesicht Gottes und wird uns Gott zugänglich in einer Weise, dass wir nicht vergehen müssen.
Unser Glaube richtet sich also auf eine Person: auf diese Person, Jesus Christus. Nur wenn wir an Jesus Christus glauben, handelt es sich wirklich auch um christlichen Glauben.
Die Anhänger werden, so erzählt die Apostelgeschichte, sehr früh als Christen bezeichnet, „Christianos“, Christen genannt, also als die, die zu Christus gehören.
So geht es im Glauben um eine Beziehungsgeschichte, um eine persönliche Beziehung zu Jesus, in dem Gott sich uns selbst in unüberbittbarer Weise schenkt.
Ich möchte gerne etwas vorlesen aus dem Beginn des Briefes des Apostels Paulus an die Christen in Ephesus, Kapitel 1, Verse 3 bis 13. Ich lese aus der Neuen Genfer Übersetzung.
Dort bricht Paulus in einen Lobpreis aus, in dem wir viel darüber erfahren, warum die Bibel es wert ist, von uns geliebt und gelesen zu werden.
Gepriesen sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus! Gepriesen sei er für die Fülle des geistlichen Segens, an dem wir in der himmlischen Welt durch Christus Anteil bekommen haben.
Denn in Christus hat er uns schon vor der Erschaffung der Welt erwählt mit dem Ziel, dass wir ein geheiligtes und untadeliges Leben führen – ein Leben in seiner Gegenwart und erfüllt von seiner Liebe. Von Anfang an hat er uns dazu bestimmt, durch Jesus Christus seine Söhne und Töchter zu werden. Das war sein Plan, so hatte er es beschlossen.
Und das alles soll zum Ruhm seiner wunderbaren Gnade beitragen, die er uns durch seinen geliebten Sohn erwiesen hat. Durch ihn, der sein Blut für uns vergossen hat, sind wir erlöst. Durch ihn sind uns unsere Verfehlungen vergeben.
Daran wird sichtbar, wie groß Gottes Gnade ist. Er hat sie uns in ihrer ganzen Fülle erfahren lassen. In seiner Gnade hat er uns auch alle nötige Weisheit und Einsicht geschenkt. Er hat uns seinen Plan wissen lassen, der bis dahin ein Geheimnis gewesen war.
Diesen Plan hatte er so beschlossen und wollte ihn durch Christus verwirklichen, sobald die Zeit dafür gekommen war. Unter ihm, Christus, dem Oberhaupt des ganzen Universums, soll alles vereint werden – das, was im Himmel ist, und das, was auf der Erde ist.
Außerdem hat Gott uns seinem Plan entsprechend durch Christus zu seinen Erben gemacht. Er, der alles nach seinem Willen und in Übereinstimmung mit seinem Plan ausführt, hatte uns von Anfang an dazu bestimmt, mit dem Ziel, dass wir zum Ruhm seiner Macht und Herrlichkeit beitragen.
Wir haben unsere Hoffnung auf Christus gesetzt. Auch ihr gehört jetzt zu Christus. Ihr habt die Botschaft der Wahrheit gehört, das Evangelium, das euch Rettung bringt.
Ein gehaltvoller Text, wie wir ihn vom Apostel Paulus kennen, der uns aber ganz viel darüber sagt, warum wir dieses Wort wohlwollend aufnehmen und es uns in unser Herz hineinlassen sollen.
Im Prinzip ist es ein Lied mit drei Strophen, in dem Paulus uns erzählt, was Gott sich von Ewigkeit her dabei gedacht hat. Er beschreibt, dass Gott es an uns, mit uns und durch uns geschehen ließ.
Paulus spricht davon, dass uns in Jesus Christus die Gnade Gottes zugänglich wird. Wir sind in ihm zu Kindern bestimmt. Außerdem sind wir in Jesus Christus dazu berufen, ein gottgefälliges und reines Leben zu führen. Uns an Gott zu halten und etwas von seiner Herrlichkeit in dieser Welt widerzuspiegeln – all das wird uns gesagt.
Im letzten Vers, den ich gelesen habe, beantwortet Paulus auch gleich die Frage, wie man an dieser Wirklichkeit teilhat. Wie gewinnt man Anteil daran? Wie empfängt man Zugang dazu?
Paulus sagt, und ich zitiere etwas wörtlicher: "In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Rettung. In ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der verheißen ist, welcher der Unterpfand unseres Erbes ist, zu unserer Erlösung, damit wir sein Eigentum würden, zum Lob seiner Herrlichkeit."
In Christus haben wir das Wort der Wahrheit gehört. Das ist der Zugang, den wir zu all dem Guten, zu all dem Verheißungsvollen und zu all dem Herrlichen bekommen, was Gott uns in Jesus anbietet: dass wir das Wort der Wahrheit hören.
Ich weiß nicht, wie es euch erging, als sich abzeichnete, dass ein Corona-Impfstoff entwickelt wird. Genauer gesagt, dass mehrere Corona-Impfstoffe an den Staat geliefert werden.
Je nachdem, wie man zur Frage der Impfung steht und wie sehr man darauf drängt, diese Phase der Beschränkungen und Einschränkungen zu überwinden, hat sich der eine oder andere die Frage gestellt: Okay, es gibt demnächst einen Impfstoff. Aber wie bekomme ich Zugang? Wie komme ich daran?
Da musste man genau zuhören und die Medien verfolgen, um zu erfahren, was der Plan der Regierenden ist.
Paulus sagt uns, es war Gottes Plan, dass wir, die wir nicht zeitgleich mit Jesus gelebt haben, das Wort der Wahrheit hören und empfangen. Wenn wir diesem Wort gehorsam werden und uns darauf einlassen, empfangen wir all die Segnungen, von denen Paulus im ersten Kapitel des Epheserbriefes spricht.
Mehr noch: Gott gibt uns in Jesus nicht nur sein Wort, sondern schenkt uns auch seinen Geist. Das heißt, er gibt uns den Geist, der uns dieses Wort der Wahrheit – das Evangelium von unserer Rettung – erschließt. Er hilft uns, dieses Wort zu verstehen und seinen wunderbaren Charakter sowie seine Herrlichkeit zu erfassen.
Was geschieht, wenn wir dem Evangelium begegnen? Es entsteht und besteht eine Gemeinschaft mit Christus, der in den Gläubigen lebt und sie als sein Eigentum bezeichnet.
All das geschieht, wenn wir uns auf das Wort der Wahrheit einlassen.
Ich musste an ein kleines Stück Papier denken, ein ganz unscheinbares, mehrfach zusammengefaltetes Stück Papier, das ich in einer Schublade meines Schreibtischs habe.
Wie gesagt, es ist unscheinbar, mehrfach zusammengefaltet und auch ziemlich zerknittert. Darauf steht ein Text, den ich jetzt nicht verraten werde, geschrieben in krakligen Großbuchstaben, mit einer ganzen Reihe von Rechtschreibfehlern.
Und dieses kleine Stück Papier ist mir total wertvoll. Es ist wertvoll nicht, weil es besonders aussieht oder fehlerlos ist, sondern weil es von meiner Tochter stammt. Eine meiner Töchter hat mir diesen Brief einmal zu einem Geburtstag geschrieben.
Paulus sagt: Dieses Wort der Wahrheit sollst du lieb haben – wegen des Absenders, wegen Gottes Willen, der dich kennt, der dich liebt und dir dieses Wort schickt.
Du magst Anstoß nehmen an manchem, was dir da begegnet. Der Satz, den ich vorgelesen habe, ist im Prinzip ein unglaublich langer Satz. Und du denkst: Wer bildet denn solche Sätze?
Aber Jesus sagt: Nimm keinen Anstoß daran, sondern lass dich ein auf den, der dir in diesem Wort begegnet – im Evangelium deiner Rettung.
Die Bibel schenkt uns unsere Identität – als Kinder und Erben. Sie spricht von dem Markenzeichen, das wir haben sollen, nämlich heilig und untadelig zu leben. Schließlich weist uns die Bibel auf unsere Bestimmung hin, die außerhalb von uns selbst liegt. Paulus sagt: Ihr seid dazu bestimmt, etwas zu sein, zum Lob seiner Herrlichkeit. Das bedeutet, unser Leben ist dafür da, Gott zu verherrlichen und ihn in unserem Leben groß zu machen.
Was also ist uns nun die Bibel? Was sollen wir mit diesem Wort der Wahrheit anfangen? Das ist ja ein großes Wort: Wort der Wahrheit, Evangelium von unserer Rettung. Vielleicht lesen manche die Bibel im Blick auf eine Lösung. Sie suchen in der Bibel eine Antwort für ihr Problem, für ein Alltagsproblem, mit dem sie irgendwie nicht zurechtkommen.
Menschen haben durch die Geschichte hindurch bezeugt, dass ihnen biblische Texte in ihr Leben hineingesprochen und geholfen haben, dass sich eine konflikthafte Situation löst. Andere sagen: Ich will etwas mehr über Gott erfahren, ich will vielleicht auch etwas mehr über mich erfahren, wie Gott sich das alles gedacht hat mit der Welt. Sie verstehen die Bibel nicht so sehr als Lösungsmittel, sondern als Lehrmittel. Und auch das ist nicht falsch. Denn wo sonst sollten wir überhaupt etwas von Gott erfahren, wenn nicht durch das Wort, das er selbst autorisiert hat?
Trotzdem bleibt die Bibel mit der Vorstellung, dass sie ein Lösungsmittel oder ein Lehrmittel sei, letztlich in ihrer Bedeutung unterbestimmt. Sie ist mehr als das. Sie ist Lebensmittel. Sie ist, mit einem älteren Wort gesagt, Gnadenmittel. Wir sollen die Bibel lesen in der Haltung: Ich bin offen für das, was Gott durch die Bibel an uns und zu uns tun will.
Darum geht es: eine Offenheit dafür zu haben, etwas zu erwarten, dass Gott etwas tut mit seinem Wort. Darum geht es.
Den ersten Teil habe ich „Der Blick von oben“ genannt. Er hilft uns, die Perspektive einzunehmen, zu der Gott uns führen möchte, damit uns dieses Wort anvertraut ist. Die Bibel ist der Gemeinde anvertraut, und zwar denen, die Christus nachfolgen und dem Wirken seines Geistes Raum geben.
Ja, wir ehren die Bibel, weil sie von Jesus Christus zeugt. Sie gibt uns Zugang zu ihm und macht die Wirklichkeit von Jesus erfahrbar. Die biblischen Texte sagen uns aber nicht nur, wie es um uns Menschen steht und wie Gott sich zu uns stellt. Sie schenken uns auch Zugang zu Gottes Liebesgeschichte mit den Menschen.
Das bedeutet, die Bibel ist nicht einfach nur Lehr- und Lösungsmittel, obwohl sie das auch ist. Vor allem ist sie Lebensmittel der Christusnachfolge. Das heißt, wir sollten uns ihr aussetzen und den Geist dieser Schriften in uns aufnehmen.
Der erste Teil ist also „Der Blick von oben“. Der zweite Teil heißt „Der Blick von vorn“. Die Bibel ist ein Buch voller Verheißungen. Was dürfen wir eigentlich erwarten, wenn wir die Bibel in unser Leben lassen? Was geschieht, wenn wir die Bibel liebgewinnen?
Ich möchte euch fünf verheißungsvolle Motive an die Hand geben. Sie klingen nicht alle gleichermassen verheißungsvoll, aber sie sind Verheißungen Gottes.
Martin Luther hat einmal Folgendes gesagt: Denn Gott hat niemals anders mit den Menschen gehandelt und handelt auch nicht anders mit ihnen als durch das Wort der Verheißung. Wir andererseits können mit Gott niemals anders als durch den Glauben an sein Verheißungswort handeln.
Das heißt, Luther stellt das Verständnis des biblischen Wortes als Verheißungswort, als göttliche Verheißung, ganz in den Mittelpunkt seines Verständnisses der Bibel.
An dieses Wort, an diesen Ausdruck Verheißung, möchte ich gerne anschließen – mit fünf Verheißungen, die ich euch geben möchte. Diese Verheißungen möchte ich euch mit auf den Weg geben für euren eigenen Weg mit der Bibel.
Die erste Verheißung, die uns gegeben wird
Lässt du dich auf die Bibel ein, kannst du dort die Stimme des guten Hirten hören. Boah, was sind das für viele Stimmen, die täglich auf uns einstürmen! Und es sind ja nicht nur äußere Stimmen, also solche, die von außen an unser Ohr dringen. Da ist auch noch der Kampf der Stimmen in uns: Widerstreitende Stimmen, die sagen „Geh nach rechts“, „Geh nach links“, „Folge diesem Weg“, „Folge jenem Weg“, „Lass dich auf diese Beziehung ein“, „Halte Abstand von demjenigen“ und vieles mehr, was auf uns einstürmt.
In diesen Reigen hinein stellt sich nun die Bibel selbst. Jesus sagt im Johannesevangelium, Kapitel 10, Vers 27: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Meine Schafe hören meine Stimme. Dieses Wort aus dem Johannesevangelium hat Anlass zu vielen bildlichen Darstellungen gegeben. Ich habe auch selbst zu Hause in einer älteren Bibel, die ich besitze, ein Bild eingelegt. Darauf ist ein erstaunlich mitteleuropäisch aussehender Jesus zu sehen, der ein Schaf auf dem Arm hält.
Das ist das Bild vom guten Hirten, der auch das einzelne Schaf nicht allein lässt, es nicht verloren gehen lässt, sondern mit seinen Schafen spricht. Wenn ich mir das Bild anschaue, merke ich sehr schnell: Okay, da sind wir ja gemeint mit den Schafen. Na ja, das ist jetzt vielleicht auch kein Kompliment, denn Schafe gelten eigentlich als ziemlich hilflos, wenn sie keinen Hirten haben. Und ähnlich hilflos werden wir hier in der Bibel dargestellt.
Aber erstaunlich ist doch wirklich, wenn man tatsächlich die Gelegenheit hat – ich habe sie manchmal sogar im städtischen Kontext – zu sehen, wie das mit einer Schafherde läuft: Dass sie wirklich dem Hirten folgen und dass auch Hunde dabei sind, die dafür sorgen, dass niemand zurückbleibt.
Doch was passiert hier eigentlich? Wir reden ja nicht von einem Hirten irgendwo im ländlichen Raum oder am Rande einer Stadt, sondern von Jesus als dem guten Hirten. Und Jesus sagt: In meinem Wort hören meine Schafe meine Stimme. Wir können seine Stimme in diesem Wort vernehmen.
Nun bin ich überzeugt, dass wir mehr als je zuvor unser Hörvermögen schulen müssen, um diese leise, sanfte Stimme des guten Hirten zu hören. Wir können die Stimme des Hirten nirgends so klar vernehmen wie hier, und wir können nur an der Bibel unser Hörvermögen für die Stimme des guten Hirten trainieren. Denn darauf kommt es an: die Stimme des Hirten von allen anderen möglichen Stimmen unterscheiden zu können.
Wohin liegt jetzt genau die Bedeutung dieser Verheißung? Wenn du dich auf die Bibel einlässt, wirst du meine Stimme hören, wirst du die Stimme des guten Hirten vernehmen. Drei Gedanken sind mir hier wichtig.
Das erste: Eine Stimme hören bezeichnet in der Antike zumindest eine Beziehung. Wir müssen uns in den zeitgeschichtlichen Kontext dieses Textes hineinversetzen. Damals gab es noch keine Memos, keine Sprachnachrichten und Ähnliches. Heute können wir unsere Stimme konservieren, festhalten und damit einer Beziehung Ausdruck geben. So kommunizieren wir miteinander. Das ging damals nicht.
Damals bedeutete es, etwas in Schriftform zu bringen, quasi, dass ein Text eine Beziehung irgendwie auch in die Vergangenheit rückt. Da hat jemand etwas geschrieben. Aber eine Stimme zu hören steht dafür, in der Beziehung zu sein mit der Person, auf die ich mich hier einlasse. Die mir nicht einfach etwas hinterlässt, sondern die sich gerade jetzt auf mich einlässt. Es ist die Stimme des Hirten, der eine Beziehung haben möchte zu den Menschen, die ihm nachfolgen.
Das Erste ist also: Eine Stimme zu hören meint im Verständnis des Textes, dass Jesus eine Beziehung zu uns möchte. Eine Beziehung, die unseren Alltag durchdringt, eine Beziehung, die unserem Leben Gestalt gibt.
Das Zweite: Hören braucht Nähe. Wir können uns heute gut hineinversetzen, wie laut es um uns herum ist. Hören braucht Nähe. Es ist tatsächlich so, dass die Stimme des Hirten, Jesus, schwächer wird, wenn wir nicht in seiner Nähe bleiben. Manchmal sagen Menschen: „Ich kann einfach nichts hören, auch durch das Lesen der Bibel erreicht mich da nichts.“ Es kann sein, dass das damit zu tun hat, dass du dich von Jesus entfernt hast, dass die Stimme einfach leiser wird, weil du weiter weg bist.
Ich sage nicht, dass das so sein muss, aber es kann sein. Und es braucht immer wieder auch Selbstprüfung: Suche ich diese Nähe? Möchte ich an Jesus dranbleiben?
Und schließlich: Das Hören auf den Hirten braucht Vertrauen. Es braucht das Vertrauen, dass uns hier in diesem guten Hirten Jesus jemand begegnet, der uns besser kennt als irgendjemand sonst. Jesus als der gute Hirte – weil er mich gut kennt.
Das ist die erste Verheißung, die mir wichtig geworden ist, die erste Verheißung, die uns begegnet: Wenn du dich auf die Bibel einlässt, wenn du die Bibel lieb gewinnst, dann begegnet dir die Stimme des guten Hirten. Die Stimme, die wir wirklich brauchen im Leben und im Sterben.
Das Zweite: Wenn du dich auf dieses Wort einlässt, wenn du diesem Wort der Wahrheit in deinem Leben Raum gibst, wirst du zu unvergänglichem Leben erblühen. Das ist doch mal eine starke Aussage: Wenn du dich auf dieses Wort einlässt, dann wirst du zu unvergänglichem Leben erblühen.
Im Alten Testament haben wir das große Buch Psalter mit 150 Psalmen, die hier zusammengestellt sind. Die Psalmen sind nicht willkürlich aneinandergereiht, sondern folgen einer gewissen Ordnung. Der Auftakt, Psalm 1, ist wirklich ein programmatischer Beginn. Dort ist davon die Rede, dass wer Freude hat an Gottes Weisung, an Gottes Wort, der ist – so übersetzt Luther – wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen. Dieser Baum bringt seine Frucht zu seiner Zeit und seine Blätter verwelken nicht.
Hier werden Menschen beschrieben, die Freude daran haben, sich auf Gottes Wort einzulassen. Es wird ein Bild aus der Natur gebraucht: Diese Menschen werden aufblühen, Frucht bringen und nicht verwelken. Was hier entsteht, ist ein Bild des Friedens und der Zufriedenheit.
Wir merken sehr schnell: Das ist nicht das Bild, das sich alltäglich in unserem Leben einstellt. Es ist das Bild für ein gesegnetes Leben, aber ein Leben, dessen Vollgestalt wir offensichtlich hier auf der Erde noch nicht realisiert haben.
Es kommt darauf an, in der Beziehung zu Gott verwurzelt zu sein. Dafür steht das Bild vom Baum. Daraus empfängt man die Kraft – aus der Wurzel – zur Vergebung, zum Zeugnis, zum Dienst, zum Neuanfang nach Versagen, zum Dank nach gelungenem Tun und zur Ausrichtung auf das, was zählt.
Im Neuen Testament wird uns dann deutlich, dass dieser Segen nicht äußeres Wohlergehen garantiert. Dieses Wort, das uns hier gegeben wird, will uns tragen – auch in der Anfechtung, auch im Leiden. Es wird hier vergänglich gesät, aber es wird unvergänglich aufgehen in der ewigen Welt Gottes.
Das Bild, das der Psalmbeter hier zeichnet, ist etwas, das sich in unserem Leben abzuzeichnen beginnt. Seine Vollgestalt gewinnt es aber erst, wenn Jesus sein Reich aufrichtet, wenn Jesus wiederkommt.
Das ist die zweite Zusage: Wenn du dich in diesem Wort der Wahrheit beheimatest, dann wirst du zu unvergänglichem Leben erblühen. Nichts in dieser Welt wird dich von der Verheißung dieses unvergänglichen Lebens trennen können.
Meine dritte Verheißung, die ich mitgeben möchte, klingt jetzt vielleicht weniger verheißungsvoll: Im Labyrinth des Lebens auf dem Kreuzweg bleiben.
Ich habe den Eindruck, dass manche Vorträge gerade an dieser Stelle enden. Dort wird die gute Seite aufgezeigt, das, was in unserem Leben passieren kann, wenn wir uns auf Jesus einlassen und seinem Wort Vertrauen schenken. Dass es uns dann gutgehen möge, dass Gott an unserer Seite ist und dass es keinen Weg in unserem Leben gibt, auf dem Jesus nicht dabei ist.
Aber ich denke, wir müssen diesen Aspekt noch vertiefen. Das Leben ist ja nicht einfach so gestaltet, dass der rechte Weg mal gerade so da wäre. Ich muss an einen Forschungsaufenthalt denken, den ich in Chicago hatte und zu dem ich meine Familie mitgenommen hatte.
Wir haben einen Samstag genutzt, um einen Tagesausflug zu machen – und zwar in das größte Einkaufszentrum des US-Bundesstaates Illinois, das sich in dem Ort mit dem deutsch klingenden Namen Schaumburg befindet.
Die bauliche Besonderheit dieses Einkaufszentrums besteht darin, dass es viele wabenartig angeordnete Cluster enthält. Ein riesiger Teil, der in sich so wabenartig angeordnet ist. Wir waren nun in den USA ohne Auto unterwegs, was ja schon für sich betrachtet ein Wahnsinn ist, und haben uns auf die öffentlichen Verkehrsmittel eingelassen. Mit Bahn und Bus sind wir dorthin gekommen.
Als sich der Tag dem Ende neigte – wir hatten zwar nicht sonderlich viel gekauft, aber uns zumindest mit Essen und Trinken gut eingedeckt – musste ich ein bestimmtes öffentliches Telefon finden. So alt ist die Geschichte schon, dass ich ein öffentliches Telefon brauchte, um ein Anruftaxi zu organisieren.
Ich fand dieses Telefon dann auch. Dort stand schon der Inder, der auch schon im Bus zum Einkaufszentrum bei uns war. Er sagte: "Ich habe gerade angerufen, da kommt das Anruftaxi." Damit begann das Abenteuer.
Ich musste jetzt nicht nur zum Anruftaxi oder zum Stellplatz des Taxis, ich musste erst mal meine Familie wiederfinden. Und das war das Problem: Dieses wabenförmig konstruierte Einkaufszentrum hat mich schier wahnsinnig werden lassen. Ich habe in diesem Labyrinth einfach nicht zurückgefunden.
Irgendwann, ich war der Verzweiflung nahe, ist es mir dann gelungen. Aber ich dachte: Was für ein Wahnsinn! Ein Labyrinth, hier wirklich den richtigen Weg zu finden – wie soll das gehen?
Nun heißt es im Psalm 19: "Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen." Wer schreibt denn heute noch so? "Die Gebote des Herrn sind lauter und erleuchten die Augen." Das hebräische Wort, das dort für "lauter" steht, könnte man vielleicht auch mit "gerade" übersetzen.
Ansonsten verwenden wir dieses Wort "lauter" in unserer Umgangssprache ja nicht mehr. Es gibt in Sachsen einen Ort namens Lauter, und wenn man dort am Bahnhof aussteigt, steht man vor dem Schild "Lauter Sachsen" und weiß damit auch, was einen in diesem Ort erwartet: lauter Sachsen halt.
Aber nun eben: Die Gebote des Herrn sind gerade, und sie erleuchten die Augen, heißt es. Ja, wenn es doch so einfach wäre!
Billy Graham, der ja nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland sogenannte Crusades veranstaltet hat – also, im abgerüsteten Deutsch übertragen, Evangelisationsveranstaltungen –, war dafür bekannt, dass er immer seine Bibel hochnahm und sagte: "The Bible says."
Ja, das geht uns heute nicht mehr so leicht über die Lippen. Heute sagen wir eher, die Ausleger erwägen, könnte dies oder jenes heißen. Ich habe den Eindruck, dass wir tatsächlich ein gewachsenes Bewusstsein für die Schwierigkeiten der Bibelauslegung haben. Man könnte sagen, ein gewachsenes hermeneutisches Problembewusstsein.
Diese Schwierigkeit, biblische Texte zu verstehen, wird heute sehr stark betont. Die Vielfalt der Bibelauslegung, die Wandlung im geschichtlichen Bibelverständnis, aber vor allem auch der Missbrauch biblischer Texte für die Durchsetzung oder Bewahrung bestimmter Machtinteressen hat es ja auch gegeben und gibt es vielleicht auch heute noch.
Trotzdem möchte ich gerne dazu sagen: Ja, wir haben heute ein gewachsenes Bewusstsein für die Schwierigkeiten der Bibelauslegung. Dennoch glaube ich, wir können all das wissen, was wir für unser Leben wissen müssen.
Die Bibel begegnet uns nämlich genau so, wie Gott sie gewollt hat. Die Herausforderung ist hier also von Gott von Anfang an eingepreist.
Ja, es mag so sein, dass es über viele biblische Texte unterschiedliche Auslegungen gibt – das ist tatsächlich so. Dennoch komme ich selbst immer wieder zu diesem berühmten Ausspruch von Mark Twain zurück: "Ich habe Probleme nicht so sehr mit den Bibeltexten, die ich nicht verstehe, sondern mit denen, die ich verstehe."
Ich glaube, dass Gottes Wort klar ist im Blick darauf, was Jesus von uns erwartet, wozu Jesus uns einlädt und was die neue Wirklichkeit in der Gemeinschaft mit Jesus ist.
Nämlich, dass wir aufblühen sollen in diesem Leben – und zwar in einer Weise, die dann ihre Vollendung im Himmel findet.
Paradoxerweise vollzieht sich dieses Aufblühen auf einem Lebensweg, der ein Kreuzweg ist. Jesus lässt keinen Zweifel daran: "Hört mal, wenn ihr mir nachfolgen wollt, dann … dann wird es nicht spaßig, lustig oder fröhlich, dann wird uns nicht immer gut gehen. Sondern: Wollt ihr mir nachfolgen, dann verleugnet ein jeder sich selbst und nehmt sein Kreuz auf sich."
Und das soll eine Verheißung sein. Das ist nicht als Drohung gemeint, sondern als Verheißung, dass wir aufblühen werden in der Gemeinschaft mit Jesus, wenn wir uns auf diesem Weg einlassen.
Die populären Alternativen, die heute im Raum stehen, sind die Botschaften vom gelingenden Leben. Eine Botschaft mit einem Wort, das mir guttut.
Aber was begegnet uns in diesem Wort vom Kreuz? Was begegnet uns in diesem Wort der Wahrheit?
Ich denke, wir müssen hier vorsichtig sein. Unsere Antennen sind tatsächlich von Natur aus auf solche Botschaften ausgerichtet, die zum gelingenden, zum wohltuenden, guttuenden Leben einladen.
Die Bibel bietet aber eine Lebensbotschaft, die Leben durch den Tod verheißt, die Stärkung in der Anfechtung verheißt und Hoffnung im Leid gibt.
Das ist vielleicht nicht mehr so populär, dass wir mit unseren Glaubensüberzeugungen auch Anstoß erregen werden, dass wir manche Anfechtung erleiden werden, dass wir die Erfahrung machen, vielleicht in unserem Umfeld alleinzustehen, angegriffen oder ausgegrenzt zu werden.
Paulus aber sagt uns Leuten: "Denkt daran, wenn ihr euch auf das Wort Christi einlasst, dann werdet ihr verwandelt durch Erneuerung eures Sinnes."
Aber viel lieber ist uns eigentlich, dass wir das Wort verwandeln durch eine neue Auslegung des Gotteswillens. Dass wir das Ganze also umkehren, so dass nicht wir uns verändern müssen – zumindest nicht, wenn es wehtut oder schmerzhaft wird –, sondern dass wir einfach sagen: Na ja, wir sind da jetzt zu einer neuen Auslegung gekommen.
Mein Eindruck ist, dass wir sehr aufpassen sollten bei einem Evangelium, das nicht das Kreuz ins Zentrum stellt und nicht Richtung Himmel weist.
Ein Evangelium, das nicht das Kreuz im Zentrum hat und nicht Richtung Himmel weist, ist ein anderes Evangelium.
Wenn es schmerzhaft wird in unserem Leben, wenn es weh tut und wenn ich mich tatsächlich auf das Wort der Bibel auch dann einlassen muss, wenn ich merke: Mist, das lebe ich ja eigentlich gar nicht – was korrigiere ich jetzt? Mein Leben oder dieses Wort?
Dann steckt dahinter die Frage, ob wir Gott wirklich zutrauen, dass er mit seinen Geboten das Beste für uns im Sinn hat. Oder aber fürchten wir, durch die Beachtung der Gebote Gottes das Beste eigentlich zu verpassen?
Was ist denn dieses gute Leben, das Gott uns gibt? Was ist denn dieses gute Leben, das er uns anbietet?
Psalm 73 gibt eine Antwort: Gott nah zu sein, ist gut für den Menschen.
Wenn ich also vom guten Leben spreche, dann meine ich ein Leben, in dem sich nicht für mich alles gut anfühlt, sondern ich meine ein Leben, das mich nah bei Gott hält, zu dem Gott sich stellt, weil ich bereit bin, den Weg des Kreuzes, den Kreuzweg, auf mich zu nehmen.
Spannend ist noch einmal das Psalmwort, das wir gehört haben: Gottes Gebot will ja einleuchten.
"Das Gebot Gottes gibt erleuchtete Augen", heißt es da.
Ich könnte auch sagen: erleuchtete Herzen.
Das steht dafür, dass etwas am Menschen geschieht, dass die Liebe von Menschen entfacht wird und wir die Wirklichkeit in einem neuen Licht sehen – und zwar im Licht der Auferstehung Christi.
Denn erst da, wo wir wirklich dem Auferstandenen begegnet sind und uns mit seinem Geist beschenken lassen, erst dann werden wir wirklich erfahren: "Seine Gebote sind nicht schwer", so heißt es im 1. Johannesbrief.
Meine vierte Verheißung, die ich mitgeben möchte, ist: Gottes Gegenwart feiern können. Paulus schreibt: „Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen, lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit, mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen“ (Kolosser 3,16).
Warum lädt Paulus dazu ein, dem Wort Gottes in unterschiedlicher Gestalt in unserem Leben möglichst viel Raum zu geben? Besteht nicht die Gefahr, wie ich sie eingangs benannt hatte, dass uns das Wort durch Übersättigung wieder fremd wird und wir einfach genug davon haben?
Paulus möchte hier Antworten auf die Frage geben: Was gibt unserem Leben eigentlich Zusammenhalt? Was verleiht ihm Kohärenz? Was charakterisiert unsere Identität? Wenn wir den Text heute lesen, merken wir sehr schnell, dass unser Problem darin besteht, dass unserem Leben kaum noch etwas Kohärenz und Zusammenhalt gibt. Wir zerrinnen in der digitalen Zerstreuung.
Dieses Problem können wir natürlich auf ganz praktischer Ebene angehen. Zum Beispiel, indem wir uns Regeln für den Gebrauch digitaler Endgeräte geben. So könnten wir sagen: Wenn ich morgens ins Büro komme, schaffe ich erst etwas weg, bevor ich E-Mails lese oder Ähnliches.
Wir können das Problem auch auf der ethischen Ebene angehen, indem wir sagen: Wir werden so fremdbestimmt von diesen Geräten, aber ich möchte lieber selbstbestimmt leben.
Oder wir gehen es grundsätzlich theologisch an: Wie können wir der Zerstreuung im Zeitalter digitaler Medien entgehen? Indem wir ein von der Anbetung geformtes Ich ausbilden. Man könnte auch von einem gottesdienstlichen Ich sprechen.
Das gottesdienstliche Ich, in dem das Wort Christi reichlich unter uns wohnt, gibt dem Christenleben Kohärenz und Zusammenhalt – eine rote Linie. Gott danken und Gott preisen verleiht unserem Leben Identität.
Diese Identität stellt sich ein, wenn wir wirklich in Gottes Wort bleiben, in ihm leben und das mehr und mehr ausprägen. So wird uns das Lesen und das Wohnen im Wort Gottes zur Gewohnheit. Ja, wir haben unbeschränktes Wohnrecht in Gottes Wort. Und dieses Wort soll unbeschränktes Wohnrecht bei uns haben.
Es verbindet in Ermutigung und Ermahnung, es stärkt den inneren Menschen und kennzeichnet Christen auch äußerlich. Wozu? Das Wort Gottes soll reichlich unter uns wohnen, damit es unseren Charakter und unsere Beziehungen prägen kann.
Und meine letzte Verheißung
Warum sollen wir die Bibel liebgewinnen? Wenn du das Wort der Wahrheit in dein Leben lässt, wirst du selbst zu einem offenen Brief für andere, die in deinem Leben lesen.
Nochmal Paulus, zweiter Grund der drei:
Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid durch unseren Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes.
Es ist so: Nur ein Bruchteil der Bevölkerung unseres Landes liest die Bibel. Viel mehr Menschen lesen täglich das Leben von uns Christen. Unser Leben ist tatsächlich das Buch, das sich für viele eröffnet. Wir sind als Christen eine Botschaft, ob wir das wollen oder nicht.
Menschen lesen an unserem Leben ab, wie sich Gott und seine Absichten vorstellen lassen. Und wir geben, ob wir wollen oder nicht, auf irgendeine Weise Zeugnis von ihm. Die Frage ist, welches Zeugnis wir geben und wie wir welchen Gott bezeugen.
So soll unser Leben, das ist die Verheißung, transparent werden auf seinen Urheber hin, auf Gott, von dessen Geist wir uns bestimmen und leiten lassen sollen.
Ich bin überzeugt davon: Es ist ein Privileg und eine Verantwortung, für andere erfahrbar zu machen, dass Gott Vergebung und neues Leben schenkt. Dass Gott uns das Leben in Fülle für jeden Menschen bereithält und dass wir auch in der Kraft seines Geistes für Gerechtigkeit und Wahrheit eintreten sollen.
Und damit bin ich am Schluss. Am Schluss steht jedoch kein Punkt, sondern eher ein Doppelpunkt. Erwartungsvoll sollen wir lesen und begeistert von Jesus leben.
Wie kann das geschehen? Wie können sich diese Verheißungen in unserem Leben als wirklich und real erweisen? Ja, es braucht das Wirken des Heiligen Geistes. Es zeichnet das Wirken des Heiligen Geistes aus, dass er Menschen nicht zwingt, sondern sie gewinnt. Er sucht den Eingang und lässt sich aufnehmen.
Wie findet der Heilige Geist Eingang? Dadurch, dass wir uns eine dem Anspruch der Bibel entsprechende Haltung aneignen. Das geschieht durch die Bereitschaft, aufmerksam zu hören und zu gehorchen.
So schließe ich diesen Vortrag mit einem Satz von Andrew Murray, einem südafrikanischen Pastor, ab. Er hat geschrieben: „Gottes Wort ist Nahrung, Brot vom Himmel. Das erste Erfordernis für das Bibelstudium ist daher ein Hunger nach Gerechtigkeit, ein ernsthaftes Begehren, Gottes ganzen Willen zu tun. Die Bibel ist ein Licht. Die erste Bedingung, sie zu genießen, ist ein herzliches Verlangen, in Gottes Wegen zu gehen. Das Wort ist nichts, wenn ihm nicht gehorcht wird.“
Vielen Dank.