Liebe Geschwister, wir haben eben aus dem großartigen Weihnachtslied von Gerhard Terstegen gesungen: „Jauchzt, ihr Himmel, frohlocket, ihr Engel in Chören.“
In der vierten Strophe heißt es: „Gott ist im Fleische, wer kann dies Geheimnis verstehen?“ Wir müssen uns immer klar machen, dass die menschliche Sprache dafür gar nicht ausreicht. All die Vergleiche, die wir suchen könnten, um zu erklären, dass der ewige Sohn Gottes – die Heiligkeit in Person, der die Welt geschaffen hat – unser Fleisch und Blut angenommen hat.
Wenn Sie nur Ihren eigenen Handdruck spüren, das Fleisch und Blut, das vergehen wird im Grab, dann erkennen Sie, was der ewige Sohn Gottes angenommen hat. Wer kann dieses Geheimnis verstehen? Damit wir wissen, wer der Adressat ist: Wir, mit unseren müden Hüften, mit dem Herzen, das uns beim Erbarmen bewegt hat.
Er hat Fleisch und Blut angenommen. Wer kann dieses Geheimnis verstehen?
Das Geheimnis der Menschwerdung und der geöffnete Himmel
Jetzt geht es bei Herrn Stegen weiter. Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen. Offener Himmel ist ja das große Thema über all den biblischen Besinnungen dieser Tage. Das große Staunen ist, dass wir Zugang zum heiligen Gott haben können.
In Württemberg gab es wenig Künstler. Wir Schwaben sind lieber Handwerker. Aber einer der großen Künstler war Dannecker, der Bildhauer. Er hat eigentlich sein ganzes Leben lang Figuren aus der griechischen und römischen Götterwelt geschaffen. Eine der schönsten Figuren ist Ariadne auf dem Panther – der Panther mit seiner Kraft und die Ariadne, die ihn zähmt.
Gegen Ende seines Lebens hat es ihn jedoch bewegt: Er wollte etwas Vernünftiges schaffen. Dann plante er eine Christusstatue. Er ließ sich extra von einem Zimmermann ein riesengroßes Gerüst bauen für eine überlebensgroße Christusstatue. Zuerst war geplant, Jesus als den darzustellen, der die Kinder zu sich bringt – „Lasst die Kinder zu mir kommen“ – den Kinderfreund.
Je mehr Dannecker sich in die Bibel vertiefte – richtige Künstler merkt man daran, dass sie sich oft mehr in die Bibel vertiefen als viele Bibelarbeiter – desto mehr wurde ihm klar: Das Entscheidende an Jesus ist nicht nur, dass er Kinder zu sich gebeten hat, sondern dass er den Zugang zum himmlischen Vater eröffnet hat.
Er hat jede Statue geschaffen, gar nicht überlebensgroß. Die eine Hand ist ausgestreckt, die andere nach unten greifend. Auf den Sockel hat er eingraviert: „Mit mir, mit Jesus kommt man zum Vater.“
Leider ist diese Statue in Sarskoje-Selo im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Es gibt nur noch eine Abbildung davon im Turn- und Taxischen Museum in Regensburg. Aber das war das Staunen dieses Dannecker: Jesus eröffnet uns den Zugang zum Vater, zum heiligen Gott – mit mir zum Vater.
Er hat das ernst genommen, was Jesus gesagt hat, in Johannes 14: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater ohne mich.“ Mit Jesus zum Vater.
Der Zugang zum heiligen Gott als Grundthema des Hebräerbriefs
Und von diesem Staunen, dass wir zu Gott kommen können, der in der Bibel als der allein Unsterbliche bezeichnet wird, von dem kein Mensch gesehen hat und auch nicht sehen kann, berichtet der Apostel Paulus einmal andeutend: „Ich wurde entrückt bis an den dritten Himmel und hörte Worte, die man nicht sagen darf, die man nicht sagen kann.“
Für uns ist die Welt Gottes eigentlich unzugänglich. Doch jetzt sagt Jesus: „Mit mir dürft ihr dort hinkommen, zum Vater.“ Von diesem Staunen ist der ganze Hebräerbrief erfüllt.
Im Kapitel 9 heißt es: „Unser Gott ist schrecklich.“ Und in Kapitel 10, Vers 31: „Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ Am Schluss von Kapitel 12 wird gesagt: „Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“
In unserer Welt wird viel zu schnell gesagt: „Die Verstorbenen sind in den Händen Gottes.“ Damit trösten wir uns selbst über das Schreckliche der Tsunamikatastrophe. Wie schnell haben die Bischöfe gesagt: „Die Toten sind alle in Gottes Hand!“
Der Hebräerbrief sagt jedoch: „Schrecklich ist es, in die Hände Gottes zu fallen, wenn wir nicht Jesus gehören.“ Also ist der Hebräerbrief erfüllt von diesem Staunen, dass wir zu diesem heiligen Gott kommen können.
Und jetzt darf ich mit Ihnen ein paar Verse lesen aus Kapitel 10 im Hebräerbrief, Hebräer 10, ab Vers 19.
Der neue Zugang zum Heiligtum durch Jesus Christus
Weil wir nun, liebe Geschwister, wenn in der Bibel „Brüder“ steht, eigentlich den Sammelbegriff „Geschwister“ meinen, wie wir es in unseren schwäbischen Stundenaussagen sagen: „Liebe Geschwister, da sind die Brüder und Schwestern gemeint.“
Liebe Geschwister, wir haben, weil Jesus gestorben ist, durch das Blut Jesu Freiheit und Freimut. Wir haben Freude, wie Kinder vor dem Weihnachtszimmer, die durch das Schlüsselloch schauen und sagen: „Wann dürfen wir endlich hinein?“ Wir haben Freude und Freimut zum Eingang ins Heiligtum, zu dem heiligen Gott. Diesen Eingang, diesen Zugang hat er uns aufgetan als einen neuen lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist durch das Opfer seines Leibes.
Und wir haben einen hohen Priester über das Haus Gottes. Lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen – Stichwort „hinzutreten“, Kapitel 4. Lasst uns hinzutreten zum Thron der Gnade. Er wagt gar nicht, den heiligen Namen Gottes auszusprechen, aber das meint er. Lasst uns mit Freude hinzutreten zu dem heiligen Gott, zu dem wir eigentlich keinen Zugang haben dürfen – in vollkommenem Glauben, vollkommenem Glauben.
Besprengt in unseren Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser. Zuerst einmal, in diesem schwierigen Abschnitt, der sehr schwer für uns zu verstehen ist, wenn wir nicht ganz im Alten Testament gegründet und mit den Begriffen und Vorstellungen vertraut sind, staunen wir: Wir haben Eingang, wir haben Zugang zum Thron der Gnade.
Da ist also ganz ernst genommen, dass Jesus gesagt hat: „Mit mir kommt man zum Vater. Ich bin der Weg. Ohne mich kommt ihr nicht hin, könnt ihr gar nicht hinzutreten zu Gott.“ Das ist in der Bibel immer wieder aufgenommen, voll Staunen, im Römerbrief. Wir haben Zugang zu der Gnade, in der wir stehen (Römer 5,2). Und dann im Epheserbrief, besonders immer wieder in Kapitel 2 und 3, im Epheserbrief.
Wir haben Zugang zum Vater (Epheser 2,18) und noch einmal im Kapitel 3, Vers 12. Durch ihn, durch Christus, haben wir Freimut und Zugang in aller Zuversicht durch den Glauben an ihn. Also das Wort von Jesus „Mit mir zum Vater“ wird immer wieder in der Bibel aufgenommen, bis hin zum Hebräerbrief: „Lasst uns herzutreten zum Thron der Gnade.“ Wir haben doch den Zugang jetzt.
Dieses alles klingt auch in den Weihnachtsliedern nach. Wir haben es eben von Herrn Stegen gehört: „Gott ist im Fleische.“ Wer kann dies Geheimnis verstehen? Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen. Das, was nach dem Sündenfall verschlossen war – der Cherub mit dem hauenden, glänzenden, scharfen Schwert bewacht den Eingang zum Paradies –, dass keiner zur Welt Gottes durchbrechen kann.
In dem Augenblick, als Jesus gestorben ist, hat er den Schwerverbrecher, der neben ihm am Kreuz hing, mitgenommen: „Mit mir ins Paradies.“ Heute schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradies. Der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis! Zugang zur herrlichen, bisher uns verschlossenen Welt Gottes.
Die geöffnete Tür zum Paradies und die Hoffnung auf das ewige Leben
Letzte Woche hat mir eine Dame in Korntal erzählt, dass sie, als wir gemeinsam über dieses Thema nachdachten, sagte: „Heute schließt er wieder die Tür.“ Ihr wurde ihr Mann beim Sterben so wichtig, dass in der Diakonissenanstalt Stuttgart die Nachtschwester kam und mit dem Sterbenden noch betete.
Dazu passt das Lied: „Ordne unseren Gang, Jesu lebenslang, führst du uns durch raue Wege, gib uns auch die nötige Pflege, tu uns nach dem Lauf deine Türe auf.“
Das trifft es eigentlich sehr gut. Unser ganzes Leben ist nur eine Vorstufe. Wir müssen uns langsam an diesen Gedanken gewöhnen: Vorstufe für das eigene Leben, die Tür zur Welt Gottes ist aufgetan.
Der Herr Jesus hat uns das ganz klar gesagt: „Ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin.“ Wo Jesus ist, ist beim Vater.
Das steht in engem Zusammenhang, in Johannes 14 heißt es: „Ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin. Ich bin nämlich der Weg zum Vater, ich bin beim Vater.“ Das ist der Grundgedanke.
Eines dieser großen Worte des Herrn Jesus ist sein hohes priesterliches Gebet: „Vater, ich will, dass die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“ Wenn das über unserem Leben steht, dann geht es nicht nur darum, dass ich meine Angehörigen wiedersehen will. Es ist schön, wenn uns der Herr Jesus das gewährt. So bezeichnet der Herr Jesus uns als seine engsten Angehörigen.
Er sagt: „Ich will euch wiedersehen, wenn ich Sehnsucht nach euch habe. Ich will wiederkommen und euch zu mir nehmen.“
Das große Staunen, dass der Himmel für uns geöffnet sein kann und geöffnet sein soll, war der erste Gedanke, den ich Ihnen weitergeben möchte: das große Staunen.
Die Herausforderung des Gottesbewusstseins in unserer Zeit
Zweiter Gedanke
Wer nicht staunen kann darüber, hat noch nie begriffen, wer Gott ist. Wir leben in einer Zeit allgemeiner, um sich greifender Gottesvergessenheit. Und wenn selbst in Kirchen gebeten wird: „Guter Gott, Liebe, Zeit haben die“, dann haben die wenigstens eine Ahnung!
Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. Es ist ein verzehrendes Feuer. Am Sinai bat das Volk Israel, das die Wunder Gottes erlebt hatte, aus Angst vor der Zuneigung Gottes: Sie baten Mose, Gott solle aufhören zu reden. „Wir können das Reden nicht ertragen, rede du mit Gott!“
Im ersten Mosebuch wird bei einem Schwur zweimal gesagt: „Ich schwöre beim Schrecken Isaks.“ Was für ein Gottesbegriff! Der Schrecken Isaks und Jakobs, als er im Traum die Himmelsleiter sah – wie schrecklich, wie heilig, wie furchtbar ist dieser Ort! Da gerinnt einem ja das Blut in den Adern.
Selbst wenn es das Tor des Himmels ist, kann ich das kaum aushalten. „Weh mir, ich vergehe“, sagt Jesaja.
Wir haben eine kleine Großnichte, die Frida in Hannover. Ich habe es schon einmal bei einer Bibelarbeit erzählt: Die Mutter erzählte biblische Geschichten und sprach von Gott. Da sagte Frida: „Den mag ich nicht, ich mag lieber den Kleinen.“ Vom Sohn Gottes meinte sie, das sei der Kleine, gell. Aber sie hat noch ein natürliches Empfinden: Die Dreijährige empfindet Gott als zu heilig, den Jesus als nahbarer und vertrauter. Sie hatte noch ein elementares Gefühl dafür.
Im Dritten Reich, das ich noch miterlebt habe, war es so: Wenn Menschen aus der katholischen, evangelischen oder christlichen Kirche austraten, hatte Hitler eine „großartige“ Erfindung. Auf der Lohnsteuerkarte und in den Akten stand dann nicht „verschieden denkend“ (Vd) oder ein Strich, sondern „Ggl.“ In den alten Kirchenbüchern finden wir diese Abkürzung heute noch.
Neulich durfte ich eine Beerdigung halten, bei der stand: „Ggl. 3. April 1940“, also das Datum, an dem jemand aus der Kirche ausgetreten war. Aber man war „gottgläubig“ – das war die Abkürzung. „An Gott glauben wir natürlich.“
Selbst Adolf Hitler sprach von der Vorsehung. Als der Krieg immer schrecklicher wurde, sagte er am 20. Juli 1944: „Die Vorsehung hat mich gerettet.“ Er hat also auch an Gott geglaubt, an ein höheres Wesen.
Aber wussten Sie auch, dass man mit Gott nicht spielen kann? Dass man nicht einfach Bundespartner dieses Gottes sein kann?
Die Rolle Jesu als Hoher Priester und der Zugang zum Heiligtum
Im Hebräerbrief wollen wir jetzt zu unserem Text zurückkehren: Wir haben einen hohen Priester über das Haus Gottes (Hebräer 10,21).
Im Hebräerbrief wird das Evangelium, die frohe Botschaft von Jesus, Menschen erzählt, die bis dahin ganz im Alten Testament zu Hause waren, im Tempelkult von Jerusalem. Dort gab es einmal im Jahr den großen Versöhnungstag. An diesem Tag durfte der Hohepriester stellvertretend für das ganze Volk wegen der begangenen Sünden hinter den Vorhang treten, der das Heilige vom Allerheiligsten abtrennte.
In das Dunkel, wo nur noch die Bundeslade und die Cherubim-Gestalten waren, durfte der Hohepriester einmal im Jahr hinein. Stellvertretend für das Volk sollte er dort die Sünden des Volkes sühnen. Ich stelle mir immer wieder vor, wie ihm dabei der Schweiß auf die Stirn getreten ist. Wie ihm die Beine von den Füßen weggezogen wurden.
Kann ich denn, selbst wenn ich hoher Priester wäre, in die heilige Gegenwart des unsichtbaren Gottes treten? Werde ich nicht so erschüttert sein? Bevor er hineintreten durfte, musste er Waschungen über sich ergehen lassen. Deshalb steht danach: „Beziehung drauf, gewaschen am Leib mit reinem Wasser“. Er musste neue Kleider anziehen.
Wenn das Gewissen aufwacht, selbst bei einem Hohen Priester, kann ich schon nachempfinden, wie es ist, wenn bei einem Pfarrer ein schlechtes Gewissen erwacht. Nicht nur wegen dem, was wir versäumt haben oder wegen falscher Worte, die wir gesagt haben.
Wenn der heilige Gott vor uns steht und sagt: „Lies mal vor, da die Predigt vom zwölften Januar, und dann lies den zweiten Teil am vierten März“, dann werde ich in den Boden versinken. So bin ich mit dem Wort Gottes umgegangen – habe daraus ein harmloses Geschichtchen gemacht.
So kann es einem Pfarrer gehen. Nicht nur, dass wir manche Besuche versäumt haben, sondern auch, dass wir manche Gewissen beschwichtigt haben, ohne zu merken, dass hier ein Mensch mit seiner Schuld kommt, mit den Abgründen seiner Seele, und den Zuspruch des heiligen Gottes sucht.
Das Zittern vor dem heiligen Gott als Ausdruck der Ehrfurcht
Wie war es erst bei einem hohen Priester? Zitternd!
Neulich ist eine neue DVD erschienen, die vom Evangelisten und Jugendpfarrer Wilhelm Busch berichtet. Sie enthält viele gute Berichte über sein Leben und seine Zeitgenossen. Diese Berichte sind sehr anschaulich dargestellt.
Erst vor ein paar Wochen habe ich mit Ulrich Parzany gesprochen, der ein enger Mitarbeiter von Wilhelm Busch war. Wir sprachen darüber, was das Besondere an Wilhelm Busch war: seine Redegabe, seine packenden Beispiele und seine Anschaulichkeit im Reden. Wir waren uns einig, dass er vor dem heiligen Gott gezittert hat.
Ich habe das selbst erlebt, im Jahr 1947, bei einer Evangelisation in der Stuttgarter Markuskirche. Der Posaunenchor spielte noch, und Wilhelm Busch saß auf der Kanzeltreppe. Da steckte ihm der Pfarrer einen Zettel zu. Plötzlich schien er in sich zusammenzusinken. Ich fragte mich, was los sei.
Wilhelm Busch erklärte, dass er innerlich gezittert habe. Er fragte sich, ob er es überhaupt wagen dürfe, für Jesus zu werben und das Wort Gottes in seinen Mund zu nehmen. Dann dachte er, der Pfarrer habe ihm den Zettel zugesteckt, auf dem stand: "Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht." Allerdings stand auf dem Zettel auch: "Bitte das Opfer nach der Ansprache nicht vergessen."
Er hat gezittert. Wie könnte ich als schwacher Mensch das nicht verstehen? Man könnte ja sagen: Ich bin Evangelist, ich habe tolle Erfahrungen gemacht, die will ich den Leuten erzählen, was er mit Jesus erlebt hat. Aber nein, er hat gezittert!
Ohne dieses Zittern werden wir nie verstehen, was es bedeutet, dass wir zum heiligen Gottvater sprechen dürfen. Wie heute Morgen unser lieber Bruder Wirtz in seinem Gebet sagte: Lieber Vater, es ist ein Geheimnis. Es geht eigentlich nur durch das Zittern hindurch.
Der heilige Gott, dem kein Mensch nahen darf – wer bin denn ich? Wer das nicht begreift, kann nicht darüber staunen, dass wir Zugang zum Vater haben.
Loslösung vom bösen Gewissen durch Jesus Christus
Der Hebräerbrief spricht davon, loszukommen vom bösen Gewissen. Unser Gewissen ist eine wertvolle Einrichtung. Paulus sagt einmal, dass selbst die Heiden ein Gewissen haben.
Mit „bösem Gewissen“ ist gemeint, dass all das in uns wach wird, was vor Gott nicht richtig war. Es geht darum, womit wir Gott betrübt haben und was ihn traurig über uns gemacht hat.
Der Apostel Paulus schreibt im Epheserbrief, dass die Feindschaft gegen Gott dazu führt, dass wir uns manchmal zum Beten zwingen müssen. Man denkt: „Ach, ich habe heute so viel erlebt, das sollte ich heute Abend noch beten.“ Wir können sicherlich viel für Menschen bitten, die gesagt haben: „Denk an mich!“ Doch dann denken wir: „Jetzt reicht es, jetzt sage ich Amen.“
Gott hat einmal gesagt: „Bin ich denn eine Made für dich, dass du mich fürchten musst?“ Zieht es dich nicht vielmehr dazu, mit mir zu reden und in meiner Gegenwart zu sein? So ist das böse Gewissen: Es lässt uns spüren, dass wir mit Gott nicht vertraut sind.
Wir hören immer wieder: Du sollst Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen und mit all deinen Kräften lieben. Aber wie ist das mit der Liebe zu Gott? Der Apostel Paulus sagt, diese Feindschaft ist wie ein Zaun, den Mose um den Berg Sinai bauen musste, damit niemand zum heiligen Gott durchbrechen kann.
Ihr habt keine Chance, von euch aus zu Gott zu kommen. Doch Jesus hat diesen Zaun durchbrochen. Er hat sich seinen Leib blutig gerissen, als er die Feindschaft durchbrach. Er sagt: „Ich bin der Weg zum Vater, kommt mit mir.“
Dann wird man den Vater erleben und darf zu ihm „Abba, mein Vater“ sagen.
Die praktische Bedeutung des Zugangs zum Vater im Gebet
Mit Jesus zum Vater
Wir haben den Hohen Priester, von dem vorher die Rede war. Wir haben Freiheit – das wollen wir noch einmal lesen. Jesus ist gestorben, durch das Blut Jesu haben wir Freiheit, Freimut und Freude zum Eingang ins Heiligtum.
Jetzt ist der Weg durch den Vorhang offen – nicht bloß ein Spalt, durch den der Hohe Priester hindurchgeht. Im Kapitel sechs wird beschrieben, dass Jesus als Vorläufer ins Heiligtum hineingegangen ist und uns mitnehmen möchte. Staunend darüber erkennen wir: Es gibt Zugang zum Vater.
Man merkt, die Bibel versucht mit immer neuen Begriffen, Vorstellungen und Bildern, uns diese Tatsache klarzumachen. Ihr, die eigentlich unwürdig seid, dürft nicht bloß zu Jesus kommen, sondern mit ihm zum heiligen, ewigen, großen Gott.
Deshalb der dritte Gedanke: Es ist alles anders geworden, und es kann auch bei uns alles anders werden. Denn wir, liebe Geschwister, haben wegen des Sterbens von Jesus durch sein Blut Freiheit und Freude sowie Zugang zum Heiligtum.
Jesus hat die Schuld weggetan, den Zaun der Feindschaft durchbrochen. Er hat uns einen neuen, lebendigen, ungeahnten Weg hinein ins Heiligtum geöffnet. Er ist der Hohe Priester über das Haus Gottes. Lasst uns mit wahrhaftigem Herzen hinzutreten.
Ich habe vorher von Wilhelm Busch erzählt. Auf dieser DVD hören wir im Originalton, wie er berichtet, dass er als junger Offizier, gerade zwanzig Jahre alt, aus großen Sünden und Gottesferne erschrocken war. Obwohl er Pfarrersohn war, fragte er sich: Wenn ich jetzt tot wäre, wo wäre ich? Dann wäre ich in der Hölle.
Doch dann hat ihn dieses eine Wort getroffen. Er sagte: „Vater im Himmel, du hast ausrichten lassen: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen.“ Und das möchte ich, dass das auch mir gilt: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen.
So hat er immer in seinen Evangelisationsvorträgen gesagt, dass auch du so beten darfst. Wer jetzt, nachdem Jesus sogar Sünder eingeladen hat und sogar einen Verbrecher mitgenommen hat ins Paradies, lasst uns hinzutreten. Jetzt möchte ich auch zum heiligen Gott kommen.
Denn: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstossen.
Die Bedeutung des persönlichen Gebets und der Anrufung Jesu
Wo wird es denn praktisch, dieses Hinzutreten? Zuerst einmal in unserem Beten. Ich habe immer wieder geraten, gerade in einer Zeit, in der in vielen Gottesdiensten und Kirchengebäuden der Name Jesus immer seltener genannt wird und man sehr großzügig von Gott spricht, dass wir Jesus nicht oft genug anrufen können.
Das war das Wesen der Christenheit, wie es in 1. Korinther 1 beschrieben ist: Die Christen rufen den Namen unseres Herrn an allen Orten an. Wo Jesus angerufen wird, da ist Christenheit.
Über diese Vorbereitung zur Bibelarbeit ist mir auch klar geworden, dass niemand den Eindruck haben sollte, man müsse nicht mit Gott reden oder brauche nicht mit Gott zu reden. Im Gegenteil: Das ist die Krönung dessen, dass wir einigermaßen verstehen, was wir am Heiland Jesus haben, nämlich dass wir den Vater anrufen dürfen mit den Worten: lieber Vater.
Ich habe so viele große Eindrücke von betenden Menschen bekommen. Als junger Student bin ich mit einem Stipendium nach Amerika gekommen. Es war schwierig, vom Schiff zu kommen, denn es war gerade Thanksgiving Day. Als wir in New York waren, in dieser völlig fremden Welt, wurden wir in ein Hochhaus gebeten, in das Büro des National Council of Churches.
Durch mehrere Vorzimmer kamen wir endlich zum Herrn Generaldirektor Basdorf, dem Direktor des National Council. Er trug ein schick gebügeltes weißes Hemd, eine Propellerfliege. An den Wänden hingen Bilder von seinen Yachten. Die Ledersessel, in denen wir beinahe versanken, nahmen uns fast den Atem. Es war beeindruckend, beim Generaldirektor der nationalen Kirchen Amerikas zu sein.
Dann begrüßte er uns freundlich und sagte: „First of all, before we start information, let’s pray“ – lasst uns beten. Er begann mit den Worten „Heavenly Father“, ohne die Hände zu falten, aber es war ein so vertrautes Gespräch. Für mich war das Amerika, mehr noch als Billy Graham – die Selbstverständlichkeit, so vertraut wie die teuren Yachten und die gute Kleidung, mit dem Vater im Himmel zu reden.
Wir Theologiestudenten hatten oft Schwierigkeiten, ins Gebet zu kommen. Wir formulierten sechsmal, machten acht Bauaufzüge, bevor einer wirklich mit dem Vater sprach.
Später wurde mir eine Seelsorge anvertraut, die etwas schwierig war. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen Schwerkriegsverbrecher handelte, der vier Jahre lang in Landsberg die rote Weste der zum Tode Verurteilten getragen hatte – wegen schrecklicher Verbrechen, die er im Krieg begangen hatte.
Dieser Wilhelm Harm hatte immer nur ein Thema: Er hat mich angenehm gemacht, wie es in Epheser 1 heißt. Heute steht dort in der Übersetzung: „Er hat mich begnadet in dem geliebten Jesus.“ Der Vater im Himmel hat mich, einen stinkenden Verbrecher, angenehm gemacht, damit ich vor Gott erscheinen kann. Das war das Staunen über das Leben dieses Mannes.
Die Kraft des Gebets in der Gemeinschaft und im Alltag
Jetzt erzähle ich ein paar Geschichten, um etwas weiterzugeben, was mir geschenkt wurde – von einem meiner Seelsorger, Professor Helmut Lamperter. Er war Vorsitzender unseres württembergischen Jungmännerwerks, mit dem ich viel zusammenarbeiten durfte. Wenn wir zu Beginn unserer Sitzungen eine Gebetsgemeinschaft hatten, hat er am Ende immer das Gebet abgeschlossen.
Wenn er gebetet hatte, war er tief in sich versunken. Ich habe manchmal versucht, ihn anzustoßen und gesagt: „Wir müssen weitermachen, die Tagesordnung steht an.“ Ich sagte auch „Amen“. Doch er war in solcher heiliger Ehrfurcht verbunden, in Dankbarkeit, dass er mit diesem heiligen, ewigen, großen Gott reden durfte – ich, der kleine Helmut Lamperter. Wir haben nur den Herrn Professor gesehen, aber er hat gespürt: „Ich bin eine Made vor Gott.“
Er wusste, dass Gott ihn hören will, dass er ihn anrufen kann. Beim Gebet heißt es: „Lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen.“ Es ist ein Vorrecht, auch gerade als älterer Seelsorger, zu dem Menschen eher Vertrauen haben als zu einem jungen Pfarrer.
Wenn mir am Telefon mitgeteilt wird: „Oh, meine Frau hat heute Nacht einen Schlaganfall gehabt, ich kann nicht mehr, ich kann kaum reden“, dann kann ich sagen: „Darf ich mit Ihnen beten?“ „Ja, geht das am Telefon?“ „Ja, wir können doch den Vater anrufen.“ Es gibt keinen Ort, an dem wir ihn, den großen Vater, Herrn Himmels und der Erde, nicht anrufen können. Wo zwei oder drei versammelt sind – sei es an einem Hörer oder an einem anderen – da brauchen wir keine Kirchengebäude.
Von unserem Jugendreferenten und leitenden Referenten Heiner Völker beim württembergischen Jungmännerwerk weiß ich nicht, ob Bruder Kutschbach ihm je begegnet ist. Es hieß, aus seinem Zimmer sei nie jemand ungebetet hinausgegangen. Er hat immer gesagt: „Moment, bleib mal sitzen, jetzt wollen wir miteinander den Vater anrufen.“
Das, was ich nur empfehlen kann, ist: Natürlich dürfen wir in großem Vertrauen die Krönung unseres Glaubens wieder sagen, aber lieber Vater, ich verstehe, warum der Apostel Paulus das immer sagt. Dann nehme ich den Sühnetod Jesu ernst. Ich nehme es ernst, dass er mich als Heiland zum Vater bringt. Aber jetzt nehme ich es ernst, ja, lieber Vater.
Ich empfehle nur, dass wir uns auch einmal klar machen, wie viele Ehrentitel Du hast: Barmherziger und Gnädiger, Du Herr Himmels und der Erde, Du Erbarmer, Mein Ruhm, Du Herzenskündiger – all diese Titel stehen auch noch in der Bibel. Ich habe sie mir aufgeschrieben, das ist vorne in meiner Bibel drin, damit ich nicht zu billig sage: „Lieber Gott!“
Du bist allmächtiger, ewiger Gott, der du allein Unsterblichkeit hast, dass ich vor dich kommen kann. Ich danke dir für Jesus, der mich zu dir bringt, der mich dir vertraut gemacht hat, der meinen Namen dir schon längst gesagt hat, dass ich dir lieb bin, lieber ewiger Vater im Himmel. Eigentlich müsste ich vergehen.
Versuchen Sie sich einmal hineinzubeten in dieses Staunen: Wir haben Zugang zum Vater, zum Vater. Und das gilt ja dann erst recht nicht bloß beim Gebet, sondern auch, wenn wir einmal vor Gott treten werden.
Lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen, in vollkommenem Glauben und großer Erwartung. Helmut Lamperter konnte immer sagen in gespannter Erwartung zu diesem Vatergott, wie er ihn begrüßen wird und sagen: „Bei dir ist es recht geworden, du hast verstanden, was Jesus ist, warum ich Jesus in die Welt gesandt habe, warum Jesus Fleisch und Blut hat.“
Es ist ja herrlich, dass bei dir das zum Ziel gekommen ist. Das Wohlgefallen Gottes wird aufstrahlen. Es wird lebendiger Glaube, wenn wir das haben – unbesprengt in unseren Herzen, los vom bösen Gewissen.
Die Liebe vertreibt die Furcht und die Vergebung durch Jesus
Der Apostel Johannes hat im ersten Johannesbrief geschrieben: „Furcht ist nicht in der Liebe; die wahre Liebe treibt die Furcht aus.“
Los von dem Gewissen, das befürchtet, es könnte vor Gott doch noch herauskommen, was ich bisher in keiner Beichte erwähnt habe, was ich keinem Menschen sagen konnte und was ich selbst vor mir verdränge. Wenn all das aufwacht – meine Versäumnisse, meine unguten Worte, das, was ich falsch gemacht habe, die Erziehung meiner Kinder, die viele Lieblosigkeit meinem Ehegefährten gegenüber – dann will Jesus für all das sorgen. Für all das, was in meinem Leben falsch gelaufen ist, ist er am Kreuz gestorben.
Der neue Vorhang ist durch das Opfer seines Lebens aufgetan. Ich bin gekommen zu einer Erlösung für die vielen. Heute Morgen hat es an unserem Frühstückstisch Bruder Meier Gerber gesagt: Wir dürfen auch das, was in unserem Gewissen aufwachen möchte, um Jesu Willen zurücklassen. Lasst uns hinzutreten im wahren Vertrauen zu dem heiligen Gott.
Paul Gerhardt hat es erfasst: Man darf kein Gericht scheuen, wie sonst ein Sünder es tut – vielleicht noch mehr in unserer Zeit. Jochen Klepper schrieb: „Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.“ Manche singen: „Kommt dort nicht ins Gericht.“ Doch wir werden vor dem heiligen Gott erscheinen.
Uns wird offenbar werden, dass es bei mir sein wird wie eine riesige Schutthalde, wie eine Müllkippe – all das, was falsch war. Ich komme aus dem Gericht, weil Jesus für solche Menschen gestorben ist, die tief drinstecken in dieser Müllkippe.
Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht. Ach, wir können staunen: Wir haben Zugang, Eingang zum Thron Gottes – beim Beten und einmal in Ewigkeit. Heute öffnet er wieder die Tür zum offenen Himmel. Christfestfreude fürs ganze Leben, ein ganzes Jahr lang.
Das Wort des Vaters als Wegweiser und Trost
Und nun darf ich mit Ihnen beten. Ich wurde einige Male nach dem Lied von Johann Albrecht Bengel gefragt: „Du Wort des Vaters, rede du.“
Mit diesem Wort des Vaters ist ja Jesus gemeint, wie es im Johannes 1 beschrieben ist – der unzugleich redende Gott, der mit uns spricht. Das passt jetzt gut, wenn wir Zugang zu diesem lebendigen Gott haben.
„Du Wort des Vaters, rede du und stille meine Sinne, sag an: Ich höre willig zu, ja, lehre frei von innen. So schweigt die Vernunft mit ihrem Tand, und du bekommst die Oberhand nach deinem Recht und Willen. Dir räume ich all mein Inneres ein. Das wollest du, ja du allein, mit deinem Geist erfüllen.“
„Wohlan, so lebe Gott in mir, in dem ich lebe und weben darf, damit mein Geist ihn nach Kräften hoch erhebt, bis ich nach ausgestandener Probe in vollem Licht zu Gottes Lob die Gottesschau erlange. Amen!“
Der große alttestamentliche Theologe Geheimrat Otto von Proksch in Erlangen hat immer gesagt, das sei das größte Wort im Alten Testament: „Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache an deinem Bild, wenn ich dich sehe.“
Und das hat Bengel aufgenommen: Bis ich nach ausgestandener Probe in vollem Licht Gott selbst sehe, die Gottesschau erlange, ihn sehe.
Dieser Weg ist uns aufgetan. Darüber dürfen wir staunen, und mit diesem Staunen wollen wir heute den Tag beginnen. Es soll uns den Tag über begleiten.