Liebe Gemeinde,
es kommt selten vor, dass ein Philosoph heute noch eine öffentliche Debatte auslöst. Ende der Neunzigerjahre, im Jahr 1999, ist es dem Kulturphilosophen Peter Sloterdijk gelungen, mit einem berühmt gewordenen Vortrag auf Schloss Elmau in Bayern eine solche Debatte anzustoßen. Der Vortrag trug den provokanten Titel „Regeln für den Menschenpark“.
Für Christen ist dabei besonders interessant, wie Sloterdijk den Menschen sieht. Was ist der Mensch? Er ist, so Sloterdijk, eine unzählbare Bestie. Trotz aller Intelligenz und Erziehung, sagt Sloterdijk, reicht der Geist des Menschen nicht aus, um ihn dauerhaft vor der Barbarei zu schützen. Darum stellt sich die Frage: Wie muss man diese Bestie dressieren und behandeln? Wie soll man mit den Menschen umgehen, um sie wirkungsvoll zu zähmen? Das ist die zentrale Frage.
Sie können sich vorstellen, dass vor allem viele linksgerichtete Intellektuelle vor Wut geschäumt haben, als Sloterdijk diese Thesen propagierte. Es gab entsprechende Artikel in der Zeit, im Spiegel und in der Frankfurter Rundschau. Alle fragten: Wie kann er den Menschen so angreifen? Wie kann er sich so an unseren humanistischen Grundüberzeugungen vergehen, wonach der Mensch doch eigentlich in seinem Kern gut sei?
Sie beschimpften ihn, weil er mit ihrem alten Glaubenssatz aufräumte: Der Mensch ist nur durch Umwelt und falsche Erziehung verdorben, aber mit Geduld und der richtigen Ideologie kann man aus dem Menschen schon irgendwie einen Gutmenschen heranziehen. Für einen Christen klingt Sloterdijks These dagegen gar nicht so radikal.
Jesus hat das schon längst gesagt. In Matthäus 15, den wir letzten Sonntag gehört haben, heißt es, dass das Herz des Menschen böse ist und eine Quelle lauter böser, schädlicher und intriganten Gedanken, mit denen er sich und anderen viel Leid zufügen kann. Aus biblischer Sicht gehen Sloterdijks Thesen also nicht zu weit, sondern nicht weit genug.
Dennoch hält Sloterdijk es für denkbar, dass der Mensch noch Abhilfe findet und sich möglicherweise selbst zähmen könnte. Den Ausweg sieht Sloterdijk bekanntlich in der Gentechnologie. Grob gesagt, sollen im Menschenpark die Exemplare gezüchtet werden, die in eine friedliche Welt passen.
Sloterdijk fragt dann zuspitzend, ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtsfatalismus zur pränatalen Selektion vollziehen kann. Geburtsfatalismus bedeutet, die Kinder werden einfach so geboren, wie sie gezeugt werden – je nach Zufall, in Anführungsstrichen. Pränatale Selektion bedeutet dagegen vorgeburtliche Auslese. Man nimmt mit den Mitteln der Gentechnologie entsprechende Untersuchungen am Embryo vor und entscheidet dann, ob und wie ein Mensch je nach genetischer Prädisposition geboren werden darf.
Medizinisch, sagt Sloterdijk, haben wir diese Möglichkeiten schon bald. Wir haben die Macht der Wahl. Wir müssen nur entscheiden, ob wir diese Möglichkeiten nutzen wollen oder nicht.
Auch an dieser Stelle denkt Sloterdijk nicht konsequent zu Ende: Wer soll denn bitteschön diese Selektion vornehmen? Wer will den Maßstab für die genetischen Entscheidungen festlegen? Doch der Mensch? Hier soll also eine Bestie die andere zähmen. Am Ende siegt dann wieder die stärkste Bestie. Auch dieses Modell kann nicht funktionieren.
Die biblische Perspektive auf den Menschen und seine Sündhaftigkeit
Was Lothar Deyck nicht gelingt, nämlich eine radikale Beschreibung des Menschen und eine ebenso radikale Lösung, hat ein anderer großer Denker schon vor langer Zeit vorgelegt. Das ist seit zweitausend Jahren bekannt. Sie haben dieses Dokument in Ihrer Hand, auf Ihrem gelben Zettel: Was Paulus hier schreibt.
Dagegen klingt Sloterdijks aufregender Vortrag durchschnittlich, fast wie ein Abituraufsatz. Paulus kann das nicht, weil er unbedingt klüger wäre als Sloterdijk – obwohl ich das auch für möglich halte –, sondern weil der allwissende Gott es ihm offenbart hat.
Dieses Beispiel zeigt wiederum: Wir können die Welt und den Menschen nur richtig verstehen, wenn wir zurückgehen auf die Offenbarung des lebendigen Gottes, auf das Textbuch, das er uns gewissermaßen anvertraut hat.
So nehmen wir jetzt den Faden vom vergangenen Sonntag wieder auf. Damals hatten wir mit unserem Text Epheser 2,1-3 schon begonnen. In Kapitel 1 des Epheserbriefes, daran erinnern Sie sich noch, beschreibt Paulus den Reichtum des Christen. Er zeigt, was wir alles dadurch geschenkt bekommen haben, dass wir zu Christus gehören dürfen.
Jetzt, in diesem zweiten Kapitel, bedient er sich der Technik der Rückblende. Er sagt: Wir machen jetzt nochmal einen Schnitt und schauen zurück. Wie war es denn vorher? Wenn ihr ermessen wollt, was sich jetzt alles geändert hat und wie großartig das ist, dann könnt ihr das umso besser, wenn ihr schaut, wie es vorher in eurem Leben ausgesehen hat – als ihr noch nicht Christen wart.
So schließt er dann dieses zweite Kapitel an: Was wart ihr vorher? Was ist der Mensch? Wir wollen das jetzt zusammen lesen, die Verse 1 bis 3:
„Auch ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden, in denen ihr früher gelebt habt, nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams. Unter ihnen haben auch wir alle einst unser Leben geführt, in den Begierden unseres Fleisches, und taten den Willen des Fleisches und der Sinne – man kann auch übersetzen: und der Gedanken – und waren Kinder des Zorns von Natur aus, wie die anderen Menschen auch.“
Herr Jesus Christus, nun bitten wir dich, dass du uns hilfst, dieses dein Wort recht zu verstehen und dass es uns dort trifft, wo wir es brauchen, wo wir es nötig haben. Herr, hilf uns bitte. Amen.
Der geistliche Zustand des Menschen vor der Errettung
Liebe Gemeinde,
wir haben beim letzten Mal gesehen, was Paulus hier beschreibt. Es handelt sich nicht um ein besonders schlimmes Exemplar von Mensch, sondern um jedermann, wirklich jeden Menschen.
Er sagt in Vers 1: "Auch ihr wart tot." Damit spricht er die Heidenchristen an. In Vers 3 am Anfang sagt er: "Auch wir alle haben unser Leben einst so geführt." Hier richtet er sich an die Judenchristen. Am Ende von Vers 3 weitet er das auf alle Menschen aus, also auf alle anderen.
Das bedeutet, hier ist jeder angesprochen. Der Zustand des Menschen wird ganz einfach mit dem Wort Tod beschrieben. Er war tot. Er war getrennt von Gott, herausgerissen aus der ungetrübten Gemeinschaft mit ihm, der Quelle des Lebens. Die Folge dieses geistlichen Todes ist, dass auch der körperliche Tod in die Welt eingezogen ist. Ihr werdet krank, ihr müsst sterben, und ohne Christus endet ihr in der ewigen Verdammnis.
Ihr verschwindet nicht einfach von dieser Welt, sondern eure Zielbestimmung, sagt Gott, ist die ewige Verdammnis – das heißt Tod.
Auch dieser Tote, wie wir letztes Mal gesagt haben, ist noch Gottes Geschöpf. Selbst dieser Tote trägt noch den Fingerabdruck seines Schöpfers. Er kann großartige Dinge vollbringen in der Kunst und in der Wissenschaft. Auch im sozialen Miteinander ist es erstaunlich, wozu selbst der Heide in manchen Situationen fähig ist und wie viel Gutes auch durch Nichtchristen getan werden kann. Das müssen wir einfach anerkennen.
Der Fingerabdruck Gottes ist an jedem seiner Geschöpfe noch erkennbar. Trotzdem hat das Leben eine falsche Grundrichtung bekommen. Das meint Paulus, wenn er hier sagt: "Ihr seid tot in euren Übertretungen und Sünden." So kann man es auch übersetzen. Euer Lebensstil trägt die Symptome eures Todesschicksals.
Ihr lebt in einer grundsätzlichen Spannung. Man muss sogar noch mehr sagen: Ihr lebt in einer grundsätzlichen Antithese, in einer grundsätzlichen Gegnerschaft zu den Absichten des lebendigen Gottes mit euch. Ihr könnt und wollt seinen Vorgaben nicht folgen und gehorchen.
So viel euch auch noch geblieben ist an der wichtigsten Stelle, sagt Paulus, ist alles kaputt. Alles kaputt.
Was die Sache noch schlimmer macht, ist, dass die meisten sich dieses Zustandes überhaupt nicht bewusst sind. Der normale Mensch merkt gar nicht, dass er tot ist. Er feiert seine Situation: "Hurra, wir leben noch und wir nutzen das Leben aus, solange es irgend geht." Er weiß gar nicht, wie es wirklich um ihn steht.
Hier muss man wirklich sagen: Die wirkliche Lage ist schlimmer als die gefühlte Lage. Oft ist es ja umgekehrt, dass man sagt, die gefühlte Lage ist viel schlimmer als die wirkliche Lage, weil wir oft Pessimisten und Miesmacher sind. Aber in diesem Fall ist es genau umgekehrt: Die wirkliche Lage ist schlimmer als die gefühlte Lage.
Alle großen Probleme und Nöte haben ihren tiefsten Ursprung an dieser Stelle, von der die meisten Menschen nicht einmal etwas ahnen.
So weit waren wir letzten Sonntag gekommen.
Die Versklavung des Menschen durch drei Mächte
Und dann beschreibt Paulus, wie so ein Toter denn lebt. Wie er durch dieses Leben wandelt und wovon dieses Todesleben gekennzeichnet ist.
Hier sehen wir einen weiteren wichtigen Punkt: Der normale Mensch ist nicht nur tot, sondern er ist auch versklavt. Immer wenn von Sklaverei die Rede ist, stellt sich natürlich sofort die Frage: Von wem denn bitteschön? Wer ist hier der Sklavenhalter? Auf wen muss man sich einstellen?
Dazu gibt uns Paulus nun drei klare Antworten. Es sind drei Sklaventreiber, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Drei Sklaventreiber, die diesen Toten vor sich hertreiben, die seinen Lebensstil prägen und seine Überzeugungen beeinflussen. Drei Sklaventreiber, die uns nach ihrer Pfeife tanzen lassen und uns an ihrem Bändchen führen wollen.
Der Einfluss des Zeitgeistes
Der erste Sklaventreiber, den Paulus hier nennt, ist der Zeitgeist. Noch einmal: Der erste Sklaventreiber, den Paulus nennt, ist der Zeitgeist. Dies findet sich bereits im Vers 2, wo Paulus sagt: „Ihr habt früher gelebt nach der Art dieser Welt.“
Die Welt ist hier der Gegensatz zum Reich Gottes. Paulus erklärt, dass ihr nach den Grundsätzen, Prinzipien und Überzeugungen gelebt habt, die nicht im Reich Gottes gelten, sondern dort, wo man sich um Gott einen feuchten Kehricht schert. Nach diesen Grundsätzen habt ihr gelebt. Der Zeitgeist, der eure Kultur beherrscht, bestimmt die Richtlinien.
Der normale Mensch richtet sich nach den Maßstäben einer gottlosen Gesellschaft. Je nach Vorliebe und Schwerpunkt wird er mehr oder weniger von den Trends geprägt, die sich in dieser Gesellschaft durchgesetzt haben. Das ist der Regelfall.
Das lässt sich an vielen praktischen Beispielen verdeutlichen, wie der Zeitgeist das Denken verändert. Es ist mittlerweile ganz selbstverständlich, dass Ehen aufgelöst werden können. In manchen Kreisen gehört eine Scheidung schon zum guten Ton. Das gilt nicht mehr als Katastrophe, man gewöhnt sich daran. Man spricht dann von Lebensabschnittsgefährten – ein Beispiel dafür.
Oder denken Sie an die Haltung, die die Mehrheit in unserer Gesellschaft gegenüber der Homosexualität einnimmt. Die Bibel spricht hier eine deutliche Sprache: Sie verdammt nicht den einzelnen Menschen, aber sie erklärt ganz klar, dass praktizierte Homosexualität eindeutig Schuld ist gegen das Gebot Gottes. Es ist ein Verstoß gegen die Schöpfungsordnung und kann nicht einfach als normale Variante hingenommen werden.
Das Bewusstsein in unserer Gesellschaft ist hier völlig anders geprägt. Der Zeitgeist sagt etwas ganz anderes als das Wort Gottes.
Ein weiteres Beispiel ist die Interpretation des Verhältnisses der Religionen zueinander. Es ist heute ganz normal zu sagen, dass alle Religionen letztlich Teil an der einen großen Wahrheit haben. Es sei völlig falsch, nach der Wahrheit zu fragen, weil es die eine sowieso nicht gibt. Jeder trage seinen Teil zum Ganzen bei. Diese Haltung ist aufgrund der Prägung durch den Zeitgeist längst akzeptiert.
Warum ist es so leicht möglich, dass Menschen vom Zeitgeist so stark beeinflusst werden? Manche werden von bestimmten Bewegungen beeinflusst, die meinen, sich gegen den Zeitgeist zu richten, dabei aber doch irgendwie auf ihn fixiert bleiben. Warum ist das so?
Weil der normale Mensch der Bibel nicht glaubt und sie nicht in ihrer Absicht versteht. Der Mensch, der ohne Gott lebt, hat keinen objektiven Maßstab. Er hat, wenn man so will, keinen festen Boden, auf dem er steht und von dem aus er sich an die vielen Phänomene heranwagen könnte, die es zu bewerten gilt.
Früher oder später wird er ein Opfer des Zeitgeistes oder irgendeiner Ideologie. Auch viele sogenannte Alternative, die dachten, sie würden den Materialismus nicht mitmachen, sind anderen Ideologien verfallen, etwa Ausläufern der New-Age-Bewegung und Ähnlichem.
Wir sind in unserem Denken nicht halb so selbständig, wie wir uns das oft einbilden. Ein Beispiel, an dem man das Wirken des Zeitgeistes auf Denken und Urteil besonders gut sehen kann – oder besonders traurig sehen kann – ist die Haltung der meisten Menschen in unserem Land zur Frage der Abtreibung.
Ich habe das immer wieder in meinen Konfirmandengruppen erlebt, wenn wir über diese Dinge sprachen. Wie selbstverständlich es geworden ist, Abtreibung als Methode zur Regelung entsprechender Konflikte zu akzeptieren. Es wird als legitim angesehen.
Wenn wir zurückblicken: Am 1. Oktober, also Anfang dieses Monats, ist das Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz zehn Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass hat der Bundesverband für Lebensrecht zu einem Symposium nach Berlin eingeladen. Das stand unter dem Motto „Zehn Jahre gesetzliche Fristenlösung“.
Dort sprach Professor Christian Hilgruber, Professor am Institut für öffentliches Recht in Bonn. Er setzte sich mit dem Prinzip „Hilfe statt Strafe“ auseinander und damit, dass die Abtreibung bis zur zwölften Woche juristisch straffrei gestellt wurde. Man hatte immer gesagt, dadurch werde das Leben besser geschützt.
Hilgruber stellte fest, dass das Unrechtsbewusstsein, dass Abtreibung eigentlich illegal ist und nur unter bestimmten Umständen nicht bestraft wird, durch dieses Gesetz immer weiter gesunken ist. Es hat also nicht bewirkt, dass die Achtung gegenüber dem Leben gewachsen ist.
Er stellte Folgendes fest: Aus der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen glaubten zwei Drittel, dieses Gesetz erlaube die Abtreibung. So sehen wir, wie Gesetze bewusstseinsbildend wirken. Oft geschieht das mit erstaunlich rasantem, dramatischem Tempo.
Hier zeigt sich nicht nur ein schlechtes Gesetz, sondern auch die Ausgeburt des Zeitgeistes. Ohne den Zeitgeist wäre dieses Gesetz gar nicht möglich gewesen. Und dieses Gesetz hat seinerseits den Zeitgeist wieder verstärkt. Das Denken vieler Zeitgenossen, auch solcher, die sich für Intellektuelle halten, wurde drastisch verändert.
Wer sieht denn noch den Widerspruch, in dem wir uns befinden, während das Bewusstsein für den Schutz der Natur und der Umwelt immer mehr sensibilisiert wurde? Man muss das Leben schützen und noch die letzte Kröte mit der Hand über die Straße tragen.
Während also auf der einen Seite eine Hypersensibilisierung vorgenommen wurde, hat die Achtung vor dem Leben im Mutterleib, vor dem Menschen, der schon vollständig da ist und nur noch nicht geboren wurde, dramatisch abgenommen.
Es gibt inzwischen Zeitkritiker, die sagen: Kein Ort auf dieser Welt ist für den Menschen so gefährlich wie der Mutterleib. So sehen wir, was der Zeitgeist ausrichten kann.
Paulus sagt, das ist das Problem des normalen Menschen: „Ihr habt gelebt“ – und so war es bei euch auch – „nach der Art dieser Welt.“
Die Macht des Teufels
Und dann nennt er einen zweiten Sklaventreiber, und das ist, kurz gesagt, der Teufel. Er sagt: „Der Teufel, irgendwann müssen wir nochmal ein Mikrofon anschaffen oder Hörgeräte mit so einer Hörschleife, die ist dann auch hilfreich.“ Also, der zweite Sklaventreiber ist der Teufel.
In Vers 2 heißt es: „Ihr habt gelebt unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams. Unter ihnen haben auch wir alle einst unser Leben geführt.“ Schon Jesus hat ja den Teufel den Fürsten dieser Welt genannt.
Dieser Teufel hat eine besondere Lufthoheit. Er übt seine Herrschaft im Luftbereich aus, schreibt Paulus. Das ist schwierig formuliert – was meint Paulus damit? Schon in Kapitel 1, Vers 21 war die Rede von dämonischen Mächten, denen wir uns gegenübersehen. Jesus und die Apostel haben sehr deutlich über die Realität dämonischer Mächte gesprochen.
Hier in Kapitel 2, Vers 2 steht im Griechischen der Begriff Aeros, daher kommt etwa der Name der Luftfahrtgesellschaft Aeroflott. Aeros bedeutet im Griechischen kann es einmal Luft heißen, aber es bezeichnet ganz weitgehend die unsichtbare Welt, in der die Dämonen wirken. Und das meint Paulus hier.
Diese unsichtbare Welt, in der die Dämonen wirken, die Finsternismächte, die unsichtbar sind, aber hineinwirken in unsere sichtbare Welt. Und hinten in diesem Epheserbrief, in Kapitel 6, Vers 12, kommt Paulus noch einmal darauf zu sprechen. Da sagt er: „Wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.“
Und in Vers 11, also unmittelbar davor, sagt er, wer diese Geister letztlich beherrscht: Es ist der Teufel. Er sagt, wir haben es zu tun mit den listigen Anschlägen des Teufels. Das ist eine deutliche Sprache.
Und wissen Sie, das ist kein Zufall, dass Paulus das ausgerechnet im Epheserbrief thematisiert. Sie haben vorhin die Lesung gehört von Bruder Kerstowski aus Apostelgeschichte 19 über die Situation in Ephesus. Ephesus war ein Hort des Okkultismus, schon damals.
Wir haben das ja beschrieben gesehen in diesem Bibeltext Apostelgeschichte 19, dass in Ephesus viele Menschen bekehrt wurden. Hier heißt es: „Es kamen auch viele von denen, die gläubig geworden waren, und bekannten und verkündeten, was sie getan hatten.“
Und dann geht es weiter: „Viele aber, die Zauberei getrieben hatten, brachten die Bücher, also die Zauberbücher, zusammen und verbrannten sie öffentlich und berechneten, was sie wert waren, und kamen auf fünfzigtausend Silbergroschen.“ Das heißt fünfzigtausend Tagelöhne.
Diesen hohen Wert – 50.000 Tagelöhne – hatten die okkulten Zauberbücher in Ephesus. Es gab dort also eine breite okkulte Tradition. Und so ist es kein Wunder, dass Paulus ausgerechnet im Epheserbrief dieses Thema so deutlich anspricht.
Wir müssen sehen, hier begegnet uns nicht ein veraltetes Weltbild. Es wird ja oft gesagt: „Na ja, der Teufel gehört ins Mittelalter.“ Nein, ins Mittelalter gehören nur diese abenteuerlichen Vorstellungen vom Teufel, also was weiß ich, mit langem Schwanz und Hörnern und so weiter. Das ist eben die pure, platte Phantasie.
Aber Gott offenbart uns hier durch Paulus eine Realität über diese Wesen. Ohne diese Realität könnten wir die Welt in ihrer Grausamkeit letztlich gar nicht verstehen. Die Welt ohne den Teufel zu verstehen, ist viel weniger plausibel und nachvollziehbar als die Welt mit dem Teufel zu verstehen.
Der bekannte Prediger Martin Lloyd-Jones, der ja von Haus aus Wissenschaftler war, war ein hochversierter Mediziner, in der Forschung tätig, vor allem über Endokarditis hat er gearbeitet, und er hat einmal Folgendes gesagt: Martin Lloyd-Jones: „Ich muss an die Existenz des Teufels glauben, weil ich ohne ihn das Leben nicht erklären kann.“
Und weil der Teufel weitgehend ignoriert wird, ist die Welt so, wie sie ist. Der Teufel geht so subtil, so geschickt vor, dass er die Menschen einerseits bestimmt und sie gleichzeitig davon überzeugt, dass sie gar nicht fremdbestimmt sind. Das ist das Schlimmste.
Wir werden ferngesteuert und halten uns für autonom. Das ist der beste Trick, den der Teufel sich ausdenken konnte. Der Literaturwissenschaftler C.S. Lewis hat das ja sehr schön in seinem Buch „Anweisungen an einen Unterteufel“ beschrieben, wie der Teufel das macht: Er lässt uns glauben, es gäbe ihn gar nicht, und hält uns zugleich sehr eng an seinem Bändchen.
Und dann geht Paulus noch weiter. Er sagt, das eigentlich Anstößige ist noch nicht, dass hier der Teufel existiert, sondern es kommt noch viel schlimmer. Paulus sagt: Dieser Teufel beherrscht die Menschen.
Er ist eben nicht nur aktiv in den Dämonen, sondern er ist jetzt auch, wie Paulus das hier sagt, wirksam in den Kindern des Ungehorsams. Er ist wirksam in den Kindern des Ungehorsams, und wen Paulus mit den Kindern des Ungehorsams meint, sagt er gleich zu Beginn von Vers 3: „Unter ihnen haben wir alle einst unser Leben geführt.“
Also, von wegen, der Teufel wirkt nicht nur durch die Dämonen, er ist nicht nur da präsent, sondern er ist auch wirksam in den Kindern des Ungehorsams. Das war übrigens ein typisch jüdischer Ausdruck. Es gibt auch diese Formulierung „der Sohn des Verderbens“.
So redet Paulus hier von den Söhnen – wörtlich eigentlich – des Ungehorsams, also des Menschen, der Gott nicht gehorcht. Es handelt sich hier nicht um außergewöhnlich schlimme Sünder, also um Leute, die nach katholischem Verständnis bestimmte Todsünden begangen hätten oder die nun besonders brutal sind, dass das die Söhne des Ungehorsams wären.
Paulus fügt extra sofort zum Beginn von Vers 3 hinzu: „Unter denen wir alle einst auch gelebt haben.“ Also, das ist der Normalzustand. Und das ist wirklich skandalös, was Paulus hier postuliert.
Damit haben wir eine ganz wichtige Erkenntnis: Es gibt kein Niemandsland. Anthropologisch gibt es für den Menschen kein geistliches Niemandsland. Wer nicht zu Jesus Christus gehört, wer tot ist in seinen Sünden, der ist nicht nur dem Zeitgeist ausgeliefert, sondern er hat auch noch den Teufel als Sklaventreiber, obwohl er nicht gleich dämonisch besessen sein muss.
Es muss sich also nicht gleich um Zwangserscheinungen handeln, sondern es ist einfach eine Machtfrage. Paulus sagt: „So ist unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams, haben wir alle einst unser Leben geführt.“
Wie lebendig diese Dinge sind, lesen Sie immer wieder in der Zeitung, wenn sich das dann äußert in diesen üblichen okkulten Techniken. Und es ist eben keine seltene Schlagzeile, wie wir sie hier finden: Hölle, Tod und Teufel – der Satanismus boomt.
Sie können beim Spiegel gab es vor einiger Zeit in den Neunzigerjahren eine ganz ähnliche Schlagzeile: Hellseherei, Besprechen von Krankheiten. Und wissen Sie, vieles kommt so absolut harmlos daher.
Ich nehme nur mal die ganze Halloween-Geschichte. Da gab es vor einiger Zeit einen hochinteressanten Artikel „Neue Trends in Deutschland – Heidenspaß Halloween“, also Heidenspaß in doppelter Bedeutung.
Da heißt es: Die deutsche Jugend ist auf dem Horrortrip. Skelette und Totenköpfe erobern die Kinderzimmer. Früher schmückten im Herbst bunte Papierdrachen die Fenster, heute sind es Hexen und Gespenster. Die weltoffenen Eltern stellen sich eine leuchtende Kürbisfratze aus Plastik vor die Haustür. In einem hessischen Kindergarten wurde die Weihnachtsfeier in diesem Jahr kurzerhand durch ein Halloweenfest ersetzt.
Viele sind einfach nicht informiert und wissen nicht, dass Halloween zurückgeht auf dieses keltische Fest für den Totengott Samhain. Er wird gefeiert, und es gibt diesen Brauch, sich vor den Geistern der toten Hexen und Dämonen zu schützen. Dazu hatten die Druiden große Feuer mit Getreideopfern entzündet, um auf diesem Wege die Seelen der Verstorbenen zu besänftigen.
Das ist der eigentliche geistige Hintergrund des Halloweenfestes. Dabei wurden mitunter auch Menschenopfer gebracht. Außerdem verkleidete man sich mit Tierfellen und Tierköpfen, um die Geister zu erschrecken.
Vor den Häusern wurden kleine Gaben, die sogenannten Treats, also kleine Geschenke, aufgestellt, um damit die Geister zu besänftigen und sie von Untaten abzuhalten. Später ging man dazu über, Gesichter in Rüben zu schnitzen – das ist also die Vorform dieser Kürbisse –, um die Geister glauben zu machen, an diesem Ort haust bereits eine verdammte Seele.
So weit der Hintergrund des Halloweenfestes.
In einer hannoverschen Tageszeitung dann um die Halloweenzeit gab es diesen schönen Artikel unter der Überschrift „Auf den Gruselgeschmack gekommen“. Dort wird dieses Halloweenfest beschrieben und zugleich natürlich deutlich, welche große Geschäftemacherei mit diesem Brauch jetzt verbunden ist.
Darum ist es umso schlimmer, und ich sage das hier ganz bewusst, wenn es in der Kinder- und Jugendliteratur inzwischen vor Geistern, Dämonen, Hexen und Magie geradezu wimmelt. Auch die ganze Harry-Potter-Manie ist in diesem Zusammenhang zu bedenken.
Das ist für sich genommen alles nicht so harmlos. Warum? Weil es zur Verharmlosung des Okkultismus beiträgt, weil schon die Kinder an diesen Gedanken herangeführt werden: „Ach, es ist doch nett, sich mit Hexen und Zauberern und Geistern zu befassen.“ Das Okkulte wird gefeiert. Es ist Anlass für Feste, für Faschingsorgien.
Dadurch trägt man nicht nur zur Verharmlosung bei, sondern man senkt auch die Hemmschwelle. Wenn im Harry-Potter-Kontext etwa auch von guten Geistern die Rede ist, weiße und schwarze Magie dann manchmal bunt durcheinandergehen, senkt das natürlich auch die Hemmschwelle, gerade der Jungen, aber mitunter auch der älteren Leute gegenüber diesen Praktiken.
Was Paulus sagt, macht die Sache aber noch schlimmer. Paulus bezieht sich mit diesem Wort hier eben nicht nur auf bestimmte Leute, die eine besondere Offenheit und Affinität zu diesen okkulten Spielereien haben, die ja nicht nur Spielereien sind.
Paulus sagt: Jeder Mensch. Jeder Mensch, auch der, der nie ein Harry-Potter-Buch gelesen hat, auch der, der nie eine Totenbefragung durchgeführt hat, auch der, der nie nachts auf dem Friedhof blutige Hühnerköpfe geopfert hat, auch derjenige, der niemals an einer Satansmesse teilnahm, auch derjenige, der sich fernhält von der Hellseherei und vom Handlesen, auch derjenige, der nie versucht hat, in Kontakt mit den Toten zu treten – auch der lebt letztlich unter der Herrschaft dieses mächtigen Sklaventreibers: Teufel.
Die eigene sündige Natur als dritte Macht
Und damit ist die Zustandsbeschreibung des normalen Menschen noch immer nicht abgeschlossen. Man hat den Eindruck, Paulus geht hier vor wie ein Wissenschaftler, der die Sache Schritt für Schritt herausarbeitet. So nennt er dann noch einen dritten Sklaventreiber: nicht nur der Zeitgeist, nicht nur der Teufel, nein, der dritte Sklaventreiber, der uns im Griff hat, ist die eigene gottlose Natur des Menschen.
Das ist der dritte Sklaventreiber, die eigene gottlose Natur. Das sagt er hier zum Schluss. Er betont: „In den Begierden unseres Fleisches haben wir unser Leben geführt, in den Begierden unseres Fleisches taten wir den Willen des Fleisches und der Sinne oder der Gedanken und waren Kinder des Zorns von Natur, wie auch die anderen.“
Das ist nun interessant: Die ersten beiden Sklaventreiber kommen von außen. Der Zeitgeist kommt von außen auf den Menschen zu, der Teufel kommt von außen auf den Menschen zu. Aber der dritte Sklaventreiber ist in uns drin. Das macht Paulus deutlich mit den Begriffen, die er hier verwendet.
Woher kommt denn diese Begierde, dieser Wille? Er ist uns nicht nur von außen aufgezwungen, um uns gegen Gott aufzulehnen und ihm ungehorsam zu sein, sondern er steckt in uns selbst drin. Er gehört zu unserem Ureigenen, er macht unsere eigene Identität aus.
Woher kommt denn dieser gottwidrige Wille? Paulus redet hier von den Begierden des Fleisches, vom Willen des Fleisches. Und das ist nun interessant: Fleisch bedeutet nicht – und bitte verstehen Sie das ganz genau – Fleisch bedeutet nicht das Körperliche.
Diesen Dualismus, diese Trennung hatte man ja in der griechischen Philosophie, also bei Platon zum Beispiel, dass alles Körperliche und Materielle schon mal fragwürdig und negativ war und abgewertet wurde. Und dass alles Geistige, was mit Bildung zu tun hatte und Wissen, von sich aus schon gut war. Also die Trennung zwischen dem körperlich Materiellen, das letztlich schlecht und minderwertig ist, und dem Geistigen auf der anderen Seite, das immer schon sehr hoch zu schätzen ist.
Das ist griechische Philosophie, aber nicht biblisches Denken. Die Bibel spaltet den Menschen nicht auf. Die Bibel hat keine negative Vorstellung von Sexualität. Die Bibel hat nichts einzuwenden gegen ein leckeres Essen. Die Bibel sagt nicht, alles greifbar Materielle sei minderwertig, und alles, was höhere Regionen betrifft, sei dagegen gut.
Nein, was meint Paulus mit Fleisch? Fleisch meint das menschliche Wesen. Das ist mein Fleisch, unsere sündige Natur, unser böses Herz, das um sich selbst kreist und Gott nicht ehren will. Das ist die Quelle des Bösen.
Deswegen kann Paulus den Ausdruck Fleisch noch durch den Ausdruck Sinne ergänzen: „taten den Willen des Fleisches und der Sinne.“ Das übersetzt man am besten mit Gedanken.
Damit ist nicht nur einfach der Sinnesgenuss oder die sinnliche Ekstase gemeint. Das würde dann gleich wieder nur auf Sexualität und menschliche Genüsse, Alkohol usw. beschränkt. Nein, hier übersetzt man besser: „taten den Willen des Fleisches und der Gedanken.“
Das Hauptproblem sitzt tief in unserem Herzen, in der Grundhaltung unseres Lebens, die gegen Gott gerichtet ist. Schon im ersten Buch der Bibel, in 1. Mose 8,21, sagt Gott: „Das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an.“
Von dort aus, von unserem Herzen heraus, werden dann alle Bereiche unseres Lebens vergiftet, kontaminiert: unser Wille, der Umgang mit unserem Verstand, der immer poröser und anfälliger für den Zeitgeist wird, der Umgang mit unserem Körper, der Umgang mit unseren Gefühlen, der Missbrauch der Sexualität, die Frage, wie wir mit Alkohol umgehen, mit unserem Geld usw.
Alles wird letztlich von unserem Herzen gesteuert. Und deswegen ist es vielleicht aufgefallen, dass Paulus hier darauf verzichtet, Einzelheiten für die einzelnen Sünden zu nennen. Er nennt hier gar nicht so viele konkrete Taten in diesem Zusammenhang; das kommt später.
Paulus kann sehr deutlich von sexueller Unreinheit reden, von bösen Worten, von okkulten Praktiken, von Habgier, Egoismus, Lieblosigkeit – das kommt alles an anderer Stelle. Aber hier sagt er ganz grundsätzlich: Warum? Weil diese einzelnen Sünden nur die Symptome sind, nur die äußeren Folgen, die Kennzeichen dessen, was in unserem Fleisch, in unserem sündigen Herzen, in der gegen Gott gerichteten Grundausrichtung unseres Lebens liegt.
Das Hauptproblem ist eben unsere sündige Natur. Oder wir könnten ganz einfach sagen: Das Hauptproblem sind wir selbst.
Das Hauptproblem sind wir selbst, unsere eigene gottlose Natur. Und das macht Paulus dann am Ende deutlich in dieser letzten Zeile: „von Natur aus.“ Das heißt, wir befinden uns schon immer in diesem Zustand der Versklavung, von Geburt an.
Wir kommen nicht neutral auf die Welt oder gar als gute Menschen. Wir werden nicht als unbeschriebene Blätter geboren – das stimmt einfach nicht.
Wir tragen keinen guten Kern in uns, wenn wir auf diese Welt kommen, sondern wir sind schon Sünder, unabhängig von unseren Taten, unabhängig von dem Einfluss unserer Umgebung – das ist so.
Und wenn Psalm 51,7 sagt: „Siehe, ich bin als Sünder geboren, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen,“ dann meint dieser Ausdruck „in Sünden empfangen“ nicht, dass die Zeugung dieses Menschen sündlich wäre, also der sexuelle Vereinigungsakt von Mann und Frau.
Nein, es ist der Zustand des Säuglings gemeint. „Meine Mutter hat mich in Sünden empfangen“ heißt: Schon sozusagen im Moment meines Entstehens, meines Werdens, bin ich in meinem Wesen Sünder. Das ist damit gemeint.
Und dieses Sündersein des Kindes – das können Sie ganz leicht sehen, wenn Sie eigene Kinder haben. Lassen Sie mal ein Kind von Anfang an in einer vermeintlich optimalen Umgebung aufwachsen, was schon gar nicht geht, weil es dann auch sündlose Erzieher geben müsste.
Dieses Kind wird sich selbst unter menschlich besten Bedingungen als Sünder erweisen, weil es als Sünder geboren wird. Und das sagt Paulus hier, wie auch die übrigen.
Das sind wir Menschen: Wir sind versklavt. Versklavt unter den Zeitgeist, versklavt unter den Teufel, versklavt unter unsere eigene gottlose Natur.
Das ist nicht sehr schön, was Paulus hier schreibt, aber es ist wahr.
Die Ursache der menschlichen Sklaverei und ihre Folgen
Und jetzt fragen wir natürlich: Wie ist das möglich? Wie konnte es mit Gottes herrlicher Schöpfung so weit kommen? Auch darauf gibt uns die Bibel die entscheidende Antwort – ganz vorn, ganz vorn.
Im dritten Kapitel des ersten Mosebuches wird der Sündenfall berichtet und erläutert. Wir werden uns in mittlerer Zukunft ausführlicher mit diesem dritten Kapitel beschäftigen. Heute möchte ich dazu nur in Kurzfassung so viel sagen.
Wie konnte es zu dieser Sklaverei kommen? Es konnte dazu kommen, sagt die Bibel, weil das erste Menschenpaar, Adam und Eva, gegen Gott gesündigt und rebelliert hat. Dadurch wurde das Verhältnis zu dem lebendigen Gott heillos zerrissen und zerstört. Der Mensch wollte sich selbst vergotten und sagte: „Ihr werdet sein wie Gott.“
Gott weist ihn durch den Tod in seine Schranken. Er zeigt ihm die Grenzen seiner menschlichen Begrenzung und liefert ihn seiner Sterblichkeit aus. Seitdem, sagt die Bibel, werden alle Nachkommen Adams in diese Kaputtheit hineingeboren. Wir werden in die Sklaverei hineingeboren, selbst wenn wir in dem demokratischsten Gemeinwesen zur Welt kommen, das man sich denken kann.
Wir werden geboren mit einer vergifteten Natur. Wir werden hineingeboren in die Knochenmühle des Sündigens – das ist unser Erbe von Adam her. Und wir bestätigen dieses Erbe durch unser Leben immer wieder. Wir sind moralisch voll verantwortlich, sagt die Bibel. Wir treten voll in dieses Erbe ein.
Wir lieben Gott nicht, wir ehren ihn nicht, sondern wir leben als mehr oder minder gehorsame Knechte dieser drei Tyrannen, die unser Leben versklaven. Und das ist diese eigenartige Spannung: Wir müssen diesen Sklaven gehorchen, sagt die Bibel, diesen Sklaventreibern gehorchen – aber wir wollen es auch.
Vielleicht nicht so sehr dem Teufel, dessen Existenz wir möglicherweise noch bestreiten, aber dem Zeitgeist. Und vor allem den Regungen unseres Fleisches, unseres sündigen Herzens, dem wollen wir ja auch nachgehen und nachgeben.
Paulus macht hier deutlich: Das geschieht ja nicht widerwillig, sondern wir tun mit sehr viel Engagement und Schwung den Willen des Fleisches. Das ist das Problem, das die Sünde noch einmal richtig auf den Punkt bringt. Mit Schwung und Engagement leben wir den Willen und die Begierden unserer sündigen Natur aus – das ist das Problem.
So ist der normale Mensch ein Sklave sein Leben lang: getrieben vom Zeitgeist, beherrscht vom Satan, von Geburt an gebunden an die eigene sündige Natur. Als Toter kann er nicht zu Gott, als Versklavter will er nicht zu Gott.
Die Konsequenz des menschlichen Zustands: Gottes Zorn
Am Ende bleibt nur die furchtbare Konsequenz, die Paulus im letzten Halbsatz beim Namen nennt: Der normale Mensch ist nicht nur versklavt, sondern auch verurteilt. Wir sind Kinder des Zorns, sagt er. Wir leben als Menschen unter dem Zorn Gottes, von Natur aus sind wir Kinder des Zorns Gottes.
Das müssen Sie sehr deutlich sehen: Der Zorn Gottes meint nicht eine unkontrollierte Wut, so wie wir Zorn manchmal verstehen. Es ist nicht so, dass jemand plötzlich aufbraust, sich nicht mehr kontrollieren kann, auf den Tisch haut und nicht mehr weiß, was er tut. Bei Gott bedeutet Zorn etwas völlig Stimmungsunabhängiges, etwas, das berechenbar ist.
Der Zorn Gottes beschreibt die Haltung Gottes gegenüber dem Bösen. Diese Haltung hat zu tun mit Gottes Gerechtigkeit und seiner Heiligkeit. Weil Gott heilig und gerecht ist, stehen Sünde und Sünder unter seinem gerechten, heiligen Zorn. Deshalb ist der Zorn Gottes ein integraler Bestandteil seines göttlichen Charakters.
Dieser heilige Zorn Gottes gehört genauso zu seinem Wesen wie seine Liebe und sein Erbarmen. Das dürfen wir in Gott nicht auseinanderreißen. Der Zorn Gottes ist gewissermaßen die Kehrseite seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit. Deshalb kann Gott die Sünde nicht stehen lassen und nimmt uns voll in die Verantwortung.
Deswegen sagt der Apostel Johannes in Johannes 3,36: Der Mensch, der von Christus fernbleibt, bleibt unter dem Zorn Gottes. Dieser Zorn ist nicht erst bei einem Endgericht über ihm, sondern er liegt schon jetzt auf ihm.
An anderer Stelle sagt Paulus in Römer 1,18: Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alles gottlose Wesen. Hier spricht Paulus von unserem gottlosen Wesen und von der Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart.
Wie macht Gott das? Er hat seinen Zorn immer wieder in bestimmten geschichtlichen Ereignissen offenbart, zum Beispiel in der großen Flut zur Zeit Noachs. Dort hat Gott seinen Zorn eindeutig gezeigt. Wir dürfen aber nicht sagen, dass jede große Überschwemmung automatisch ein Ausfluss des Zorns Gottes ist. Das sagt die Bibel nicht. Es wäre spekulativ, jede Katastrophe auf den Zorn Gottes zurückzuführen. Das können wir nicht grundsätzlich immer sagen.
Es kann jedoch sein, dass solche Ereignisse im Einzelfall mit dem Zorn Gottes zu tun haben. Im Fall der Sintflut hat Gott es ganz klar definiert und gesagt: Das ist ein Strafgericht.
Gottes Zorn wird auch offenbart in seinem Wort, in seiner Offenbarung. Dort zeigt sich der Zorn Gottes als Bestandteil seines heiligen Wesens, hier in der Bibel.
Dann gibt es noch einen Ort, an dem Gottes Zorn in einer Klarheit und einem zupackenden Ernst offenbar wird, wie wahrscheinlich nirgendwo sonst: das Kreuz von Golgatha. Nirgendwo anders hat der lebendige Gott seinen Zorn so deutlich offenbart wie an dem Kreuz, an dem sein eigener geliebter Sohn für unsere Schuld gestorben ist.
Dort macht Gott deutlich: Ich nehme die Sünde so ernst, und die Schuld all dieser Toten und Versklavten ist so groß, dass es keinen anderen Weg geben kann, diese Schuld zu sühnen, diese Strafe zu beseitigen, zu ertragen und damit wegzunehmen, als dass mein eigener Sohn in diese Welt kommen muss.
Kein anderer ist in der Lage, diesen Zorn zu ertragen und diese Strafe auf sich zu nehmen, weil alle anderen schon mit ihrer Sünde so kontaminiert sind, dass sie für Gott kein tragfähiges Opfer mehr darstellen könnten.
Nirgendwo anders wird der Zorn des heiligen Gottes so deutlich wie am Kreuz. Der Tod Jesu am Kreuz geschieht zunächst um Gottes Willen, damit der heilige Gott, der uns trotzdem unvorstellbar liebt und sich nach Gemeinschaft mit uns sehnt, heilig bleiben und uns trotzdem in seine Vaterarme ziehen kann.
Um Gottes Willen stirbt Jesus und trägt die Schuld dort am Kreuz. Dann stirbt er um deinet und meinet Willen, damit es für uns eine Zuflucht gibt. Dort, wo der Höhepunkt von Gottes Zorn sich entlud, wurde die einzige Tür geöffnet, durch die wir dem Zorn Gottes entkommen können.
Die einzige Rettung: Das Kreuz und die Gnade Gottes
Darum haben wir Menschen nur einen einzigen Fluchtpunkt, an dem wir wirklich Sicherheit finden: das Kreuz unseres Herrn Jesus Christus. Das ist auch die einzige Tür, durch die wir all diesen Sklavenschreiern entkommen können. Wir müssen durch die Tür des Kreuzes hindurchgehen, uns vor dem auferstandenen Jesus Christus beugen und sagen: Ich gebe meine Schuld zu, ich bin angewiesen auf das Opfer, das du für mich gebracht hast.
Nur so entkommen wir dem Klammergriff des Zeitgeistes, dem Klammergriff des Teufels und sogar dem Klammergriff unserer eigenen gottlosen Natur. Die Bibel sagt sehr deutlich und nüchtern, dass wir in dieser Welt als Menschen niemals ganz ohne Sünde sein werden. Auch als Christen, als Menschen, die durch das Tor des Kreuzes hindurchgegangen sind, deren Leben an Jesus Christus hängt, werden wir immer wieder einzelne Sünden begehen.
Wir werden immer wieder erschrecken über das, was noch von unserem alten Leben in uns geblieben ist. Erst wenn wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und bei ihm in der Herrlichkeit sind, wird das endgültig überwunden sein. Doch der Unterschied zwischen vorher und nachher, zwischen dem, was Paulus im Kapitel 2 beschreibt über den alten Menschen, und dem, was er in Epheser 1 sagt über den, der zu Christus gehört, ist schon jetzt ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Ein Gegensatz, den man sich kaum größer vorstellen kann.
Denn für die, die zu Christus gehören, ist die Strafe Gottes auf ewig durch ihn getragen. Wir sind freigesprochen, uns wird von Christus zugesagt: Du gehörst zu mir. Du bist nicht mehr unter dem Klammergriff des Teufels, nicht mehr hilflos ausgeliefert dem Zeitgeist. Trotz deiner eigenen sündigen Natur bist du ein Mensch, den Gott liebt, an dessen Leben er arbeitet, den er mit Geduld verändert.
Wenn du immer wieder erschrickst über deine eigenen Sünden, weißt du jederzeit, wohin du dich flüchten kannst. Du findest deine Zuflucht und Geborgenheit bei ihm. Darum stellt uns der Herr Jesus Christus beim Abendmahl wieder sein Kreuz vor Augen. Es ist so wichtig, dass wir immer wieder Abendmahl feiern, denn in dem vielen, was um uns herum geschieht, gibt es vieles, das uns ablenkt, das die Schwergewichte verrückt, verändert und verfälscht.
So stößt uns der Herr Jesus Christus in diesem Zeichen des Abendmahls immer wieder darauf, dass da die Tür ist! Da ist der einzige Ort. Siehe, das war nötig um deiner Sünde willen, aber ich habe es für dich getan. Vertraue mir, und du wirst gerettet sein.
All die Sklaventreiber und ihre Auswirkungen wirst du hier und da immer noch merken. Du wirst noch spüren: Hoppla, an der Stelle bin ich noch ganz schön vom Zeitgeist eingefärbt. Überprüfe dein Denken an dieser Stelle, wo das möglicherweise der Fall ist. Du wirst noch merken: Oh, der Teufel versucht, mein Leben gewissermaßen in Unruhe zu stürzen. Und du wirst immer noch entsetzt sein über das, was du da plötzlich in einem bisher unbekannten Winkel deiner eigenen Regung und deines Herzens findest.
Das ist alles wahr. Aber noch viel größer und wahrer ist, dass ich deine Schuld getragen habe, dass du unter meinem Schutz stehst und darum sicher bist. Sicher ist der, der zu Christus gehört. Darum lasst uns ihn von ganzem Herzen dafür loben! Amen!
Wir wollen das jetzt auch zusammen singen mit dem Lied Nummer 53.