Ja, was denkst du, was Gott von dir erwartet?
In der Fortsetzung unserer Predigtserie durch das Buch des kleinen Propheten Micha kommen wir heute zum vorletzten Kapitel, zu Kapitel sechs. Dieses Kapitel findet sich auf Seite 887 in den ausliegenden Bibeln. Es lohnt sich, diese aufzuschlagen.
Ich werde den Text nicht als Ganzes vorlesen, sondern immer wieder einzelne Abschnitte nacheinander mit uns betrachten.
Ich habe keine Predigtfolien. Meine "Predigtfolien" liegen quasi vor Ihnen – in Form der Bibel, also auf Seite 887 oder in den mitgebrachten Bibeln, auf welcher Seite auch immer.
Einführung in den göttlichen Gerichtsprozess
Wir sehen in diesem Predigttext einen göttlichen Gerichtsprozess. Ich möchte diesen Prozess und das am Ende gesprochene Urteil kurz mit uns betrachten. Dabei ist es wichtig, den Text in seinem Zusammenhang zu verstehen.
Im zweiten Teil werde ich noch einmal auf die Kernaussagen dieses Textes eingehen und diese ganz konkret auf uns beziehen. Die Frage dabei lautet: Was will uns dieser Text heute sagen?
Zuerst wollen wir den Text betrachten und uns ihm zuwenden. Wenn wir das tun, erkennen wir gleich zu Beginn, dass dieser dritte Zyklus im Buch des kleinen Propheten Micha sich aus drei Zyklen zusammensetzt: Kapitel 1 und 2, Kapitel 3 bis 5 sowie Kapitel 6 und 7.
Dieser dritte Zyklus beginnt genauso wie die ersten beiden, nämlich mit einem Aufruf, auf Gott zu hören. In den Versen 1 und 2 heißt es:
„Hört doch, was der Herr sagt! Mach dich auf, führe deine Sache vor den Bergen und lass die Hügel deine Stimme hören. Höret ihr Berge, wie der Herr rechten will, und merket auf, ihr Grundfesten der Erde! Denn der Herr will mit seinem Volk rechten und mit Israel ins Gericht gehen.“
Der Herr spricht hier und ruft quasi seine eigene Schöpfung als Zeugen herbei: die Berge und die Grundfesten der Erde. Alle sollen zuhören – selbst die Schöpfung. „Höret ihr Berge, wie der Herr rechten will, und merket auf, ihr Grundfesten der Erde! Denn der Herr will mit seinem Volk rechten und mit Israel ins Gericht gehen.“
Wenn also selbst Berge und die Grundfesten der Erde zuhören sollen, wenn selbst für sie bestimmt ist, was der Herr zu seinem Volk sagt, dann sollten auch wir darauf achten. Wir können davon ausgehen, dass der Herr auch uns etwas sagen möchte durch das, was er hier zu seinem Volk sagt.
Die Anklage Gottes und die Erinnerung an seine Treue
Zu Beginn von Vers 3 sehen wir, dass Gott durch eine Frage im Prinzip andeutet, dass er wahrscheinlich von seinem eigenen Volk angeklagt worden ist. In Vers 3 heißt es: „Was habe ich dir getan, mein Volk? Und womit habe ich dich beschwert? Das sage mir.“
Es ist ganz klar, worauf sich das bezieht. Wir wissen aus den letzten Wochen und Monaten, wann der Prophet Micha seine Prophetien gesprochen hat, nämlich zu der Zeit, als erst das syrische Weltreich das Nordreich Israel zerstört hat und dann auch Richtung Südreich zog. Viele Ausleger gehen davon aus, dass dies vielleicht eine Reaktion auf Klageschreie aus Jerusalem war, als die Assyrer die Stadt belagerten. Das Volk unterstellte Gott offenbar, dass er sich nicht vernünftig um sie kümmern würde.
Bevor wir jedoch vorschnell Gottes Volk dafür richten, dass es so dachte, klagte oder solche Fragen stellte, möchte ich uns herausfordern, uns selbst zu fragen: Haben wir das nicht auch schon einmal getan? Hast du nicht auch schon einmal Gedanken gehabt, die in diese Richtung gingen? Warum mutest du mir so viel zu? Warum stehst du mir in dieser schweren Zeit nicht mehr zur Seite?
Ich denke, wir kennen das. Viele von uns, zumindest manche, haben schon Phasen im Leben durchlebt, in denen es ihnen vielleicht so ging. Denn das Leben ist ja nicht immer leicht, und in dieser Welt gibt es viel Leid. Es ist deshalb erst einmal nachvollziehbar, dass solche Fragen aufkommen.
Allerdings sollten wir dabei nie vergessen, wo das Leid in dieser Welt herkommt. Der Herr, Gott, hatte eine großartige Schöpfung gemacht. Die Welt war ohne jedes Leid, sie war paradiesisch. Das Leid kam erst in diese vormals heile Welt, als wir Menschen gegen Gott rebellierten. Deshalb ist der Adressat hier falsch. Gott ist nicht der Adressat für diese Klagen – ganz im Gegenteil.
Obwohl sich Gottes Volk, obwohl sich die Menschen immer wieder gegen Gott gestellt oder ihn einfach ignoriert haben, hat Gott sich in seiner großen Gnade und Barmherzigkeit immer wieder seinem Volk zugewandt. Er hat seinem Volk beigestanden in schweren Zeiten. Er hat es gerettet aus größten Nöten.
Genau daran erinnert der Herr dann ab Vers 4: „Habe ich dich doch aus Ägyptenland geführt und aus der Knechtschaft erlöst, und vor dir hergesandt Mose, Aaron und Miriam.“ Mein Volk, denke doch daran, was Balak, der König von Moab, vorhatte und was ihm Biliam, der Sohn des Beor, antwortete, wie du hinüberzogst von Schittim bis nach Gilgal, damit ihr erkennt, wie der Herr euch alles Gute getan hat.
Gott greift hier drei Ereignisse aus der Geschichte Israels auf und zeigt genau daran, wie er seinem Volk immer wieder beigestanden hat und wie er seinem Volk Gutes getan hat. Er erinnert konkret daran, wie Israel einst gefangen war in der Knechtschaft in Ägypten und wie Gott eingriff. Durch Mose, den er dorthin sandte, durch zehn Plagen und viele Wunder rettete er das Volk aus dieser Knechtschaft heraus. Er befreite und erlöste es.
Dann erinnert er an die Zeit der Wüstenwanderung. Die Begegnung, auf die hier Bezug genommen wird mit Biliam und Balak, war eine Situation, die vielleicht dem einen oder anderen aus dem vierten Buch Mose bekannt ist. Sie spielte sich mitten in der Wüstenwanderung ab, übrigens unmittelbar nachdem Gottes Volk untreu war und unmittelbar bevor es wieder untreu wurde.
Wir sehen, wie Balak, der König der Feinde von Moab, versucht, Biliam, einen Propheten, für sich zu gewinnen, um ihn zu bitten: „Du verfluche das Volk Israel.“ Doch Gott greift ein und bringt Biliam dazu, dass er statt Flüchen über Israel Gottes Volk segnet.
Drittens bezieht sich Gott durch den Propheten Micha hier auf das, was dann geschehen ist. Gott hat tatsächlich in seiner großen Treue sein Volk in das von ihm gelobte, von ihm verheißene Land geführt. Die zwei Städtenamen, die hier genannt werden – Schittim und Gilgal – sind zwei Orte: Schittim liegt auf der Ostseite des Jordans, Gilgal ist die Stadt, in der Israel ankam, nachdem es durch den Jordan gezogen war und ins gelobte Land gelangt war.
Hier wird also daran erinnert, wie Gott sein Volk gerettet, bewahrt und ins gelobte Land geführt hat – und das, obwohl das Volk immer wieder murrte, untreu wurde und klagte. So sagt Gott: „Denke doch daran, denke daran, bedenke es.“
Am Ende, damit ihr erkennt, wie der Herr euch alles Gute getan hat, hören wir dann ab Vers 6 eine andere Stimme.
Die Suche nach dem rechten Umgang mit Gott
Es scheint fast so, als hörten wir hier die Gedanken eines Menschen, der darüber nachdenkt, wie er sich Gott nähern kann. In Vers 6 und 7 heißt es: Womit soll ich mich dem Herrn nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nähern und mit einjährigen Kälbern? Wird wohl der Herr gefallen haben an vieltausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünden?
Diese Gedanken sind interessant. Hier weiß offenbar jemand, dass er nicht einfach so vor Gott bestehen kann. Er beschreibt sich selbst als Sünder und Gott als den hohen Gott. Dabei geht er davon aus, dass die Distanz zwischen ihm und Gott so groß ist, dass kein Opfer groß genug wäre, um diese Distanz zu überbrücken.
In gewisser Weise klingen diese Worte auch ein wenig anklagend gegenüber Gott, der scheinbar zu viel verlangt, ja gar das Unmögliche fordert. Gott gibt jedoch keine direkte Antwort auf die in Vers 6 und 7 gestellte Frage. Dennoch hatte er seinem Volk immer wieder gesagt, was er will. Er betonte, dass die vorgeschriebenen Opfer nicht im Zentrum stehen. Es ging immer um etwas anderes: darum, dass die Menschen Gott erkennen – als einen Gott der Gnade und der Liebe – und sich ihm ebenso zuwenden.
Diese Beziehung soll geprägt sein von Liebe, Gehorsam und Demut. So erinnert Gott sein Volk in Vers 8 an Worte, die er bereits im fünften Buch Mose erwähnt hatte. Er zeigt, was die Grundlage des Bundes zwischen Gott und seinem Volk sein sollte und wie diese Beziehung gelebt werden soll.
Vers 8 lautet: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist. Und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
Wir werden über diesen Vers gleich noch intensiver nachdenken. Das war Micha, Kapitel 6, Vers 8. Über diesen Vers werden wir gleich noch weiter nachdenken.
Die Folgen von Untreue und Ungerechtigkeit
Am ersten Mal wollen wir uns jetzt dem zweiten Teil des Kapitels zuwenden, denn dort sehen wir, welche Konsequenzen es hat, wenn Menschen nicht so leben, wie es von ihnen erwartet wird. Das war ja das große Problem: Das Volk Israel lebte eben nicht in einer echten Beziehung zu Gott.
Sie brachten zwar Opfer und zeigten eine gewisse Religiosität, die war vorhanden. Doch durch das ganze Buch Micha hindurch wird immer wieder deutlich, dass die Menschen keine Liebesbeziehung zu Gott hatten. Sie taten nicht das, was ihm wohlgefällig war, sie haben nicht das Gute getan.
Immer wieder wird klar, dass die Menschen Gott gegenüber untreu geworden sind. Außerdem handelten sie einander gegenüber ungerecht und es gab Machtmissbrauch. So hören wir in Vers 9 zunächst die Schuldfeststellung (Micha 6,9-12):
Die Stimme des Herrn ruft über die Stadt:
„Wer deinen Namen fürchtet, dem wird es gelingen.
Hört ihr Stimme und Ratsleute, noch immer bleibt Unrecht gut im Hause des Gottlosen, und das verfluchte falsche Maß!
Oder sollte ich Unrecht, vage und falsche Gewichte im Beutel, billigen?
Ihre Reichen tun viel Unrecht, und ihre Einwohner gehen mit Lügen um und haben falsche Zungen in ihrem Hals.“
Das ist die klare Schuldfeststellung.
Ab Vers 13 folgt dann die Strafe (Micha 6,13-15):
„Darum will auch ich anfangen, dich zu plagen und dich um deiner Sünden willen wüst zu machen.
Du sollst essen und doch nicht satt werden, und was du beiseite schaffst, wirst du doch nicht retten, und was du rettest, will ich dem Schwert preisgeben.
Du sollst sehen und nicht ernten, du sollst Öl keltern und dich damit nicht salben und Wein keltern und ihn nicht trinken.
Denn du hieltest dich an die Weisungen Omris und alle Werke des Hauses Ahab – das waren zwei ganz besonders schlechte Könige im Nordreich – und folgtest ihrem Rat.
Darum will ich dich zur Wüste machen und ihre Einwohner, dass man sie auspfeifen soll, und ihr soll die Schmach meines Volkes tragen.“
Ich möchte jetzt auf diese Verse nicht im Detail eingehen, denn wir haben in den letzten Wochen immer wieder darüber nachgedacht. Gott hat eingegriffen und sein untreues Volk gerichtet.
Die Babylonier kamen über hundert Jahre nachdem Micha das angekündigt hatte. Sie zerstörten das Südreich Juda und führten die Menschen in die Gefangenschaft.
Diese Worte sind drastisch und hart. Doch Gott überliefert sie uns, weil er ein Gott der Liebe ist. Er ist ein Gott, der unser Bestes im Sinn hat. Diese Worte sind uns zur Ermahnung gegeben, damit es uns besser ergehe als dem Volk Israel und dem Volk Juda damals.
Die Lehren für unser Leben heute
Und deswegen möchte ich jetzt im zweiten Teil der Predigt noch einmal mit uns gemeinsam fragen, was wir genau aus Micha Kapitel sechs lernen sollten. Ich bin überzeugt, dass uns die erste Hälfte des Kapitels den Weg weist, damit das, worüber in der zweiten Hälfte des Kapitels gesprochen wird, auf uns nicht zutreffen wird.
Die erste Hälfte zeigt uns also den Weg, sodass uns die zweite Hälfte eigentlich nicht mehr interessieren muss. Das ist die gute Nachricht.
Die erste Lehre für uns sollte sein, dass wir gerade in Zeiten, in denen unser Leben von Leid geprägt ist und es uns vielleicht nicht so gut geht, uns auf diese Zeiten besinnen. Wir sollen uns daran erinnern, wer Gott ist und was er bereits für uns getan hat.
Nicht in Vers 3, da hören wir die Anklagen des Volkes gegen Gott. Doch der Herr entgegnet ihnen, dass sie daran denken sollen, was er immer wieder für sie getan hat. So sollen sie erkennen, wie der Herr ihnen alles Gute getan hat, wie es am Ende von Vers 5 heißt.
Ihr Lieben, das ist ein gutes Heilmittel gegen bittere Herzen. Dort, wo wir anfangen könnten, aus Leiderfahrungen heraus zu Anklägern Gottes zu werden, sagt Gott: Warte, warte, schau zurück, schau auf mich, schau, wer ich bin und was ich für euch getan habe. Denn das wird euch von dieser Bitterkeit befreien.
Gerade in schwierigen Situationen ist es gut, sich ab und zu gedanklich aus der aktuellen Lage herauszulösen und zurückzuschauen: War Gott nicht immer treu?
Manchmal ist das in unserem eigenen Leben schwer zu erkennen, weil wir nicht immer genau einordnen können, wann, wo und wie Gott eingegriffen hat. Manche Dinge sind im Moment vielleicht schwer für uns zu verstehen.
Deshalb ist es so wunderbar, dass Gott uns nicht nur den Blick auf unser eigenes Leben zurückschenkt, sodass wir unsere ganz persönliche Vergangenheit betrachten können. Gott lässt uns auch zurückschauen auf die Geschichte, die er mit den Menschen hat.
Dafür haben wir die Bibel. Das ist ein großer Segen, dass wir im Alten Testament so viel darüber lesen dürfen, wie Gott mit seinem Volk handelt. Das schärft unseren Blick auf einen Gott, der wirklich treu, gut und voller Gnade ist.
Diese Erkenntnis unseres guten, gnädigen und liebenden Gottes wird uns Zuversicht geben, dass er uns auch in den vielleicht aktuell schweren Zeiten beistehen wird.
Wir haben heute natürlich eine ganz andere Position als die Menschen zur Zeit Michas. Wir können zurückschauen auf eine noch viel größere Rettung, auf eine noch viel größere Offenbarung der Liebe Gottes zu uns.
Wir können darauf zurückblicken, dass Gott in Jesus Christus ganz persönlich zu uns Menschen gekommen ist. Er hat so gelebt, wie wir hätten leben sollen. Und dann hat der perfekte Gott sein Leben für Menschen wie dich und mich gegeben.
Er hat all unsere Schuld bezahlt und das Opfer gebracht, damit wir mit Gott versöhnt sein können. Am dritten Tag ist Jesus siegreich über Tod und Sünde auferstanden.
Er hat seinen Jüngern befohlen, dass sie nun hinausgehen und aller Welt verkünden sollen, wer er ist und was er getan hat. Sie sollten Botschafter dieser großartigen Nachricht sein.
So kam das Evangelium auch zu uns. Wenn du heute hier sitzt und diese großartige Nachricht im Glauben angenommen hast, dann kannst auch du Zeugnis davon geben. Du kannst daran denken, was der Herr dir Gutes getan hat und erkennen, wie er uns immer wieder Gutes getan hat.
Wenn du das noch nicht für dich in deinem Leben erkannt hast, dann lade ich dich ein: Öffne die Bibel, schau auf die Selbstoffenbarung Gottes und bedenke, dass er uns so sehr liebt, dass er seinen eingeborenen Sohn in diese Welt gesandt hat.
Damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben – seinen Beistand hier und jetzt und für alle Zeit.
Ihr Lieben, wir dürfen auf den Herrn vertrauen. Er hat uns alles Gute getan, wie es am Ende von Vers 5 heißt, und das wird er auch weiterhin tun.
Wenn wir das erkennen, wird uns das vor dem Denkfehler aus Vers 6 und 7 bewahren.
In den Versen 6 und 7 wird gefragt, wie man sich dem Herrn nähern kann. Dabei dachte der Fragende nur an Dinge, die er tun könnte – obwohl er gerade daran erinnert wurde, wie Gott sein immer wieder untreues und klagendes Volk gerettet hatte.
Wenn wir fragen, was wir tun müssen, um vor Gott zu bestehen, dann werden wir genauso verzweifeln wie der Fragende in Vers 6 und 7. Er erkannte letztlich, dass selbst das Opfer seines erstgeborenen Sohnes – was biblisch verboten war – nicht ausgereicht hätte, um sich Gott so nahen zu können.
Ein solches Streben ist zum Scheitern verurteilt. Wer schon einmal versucht hat, selbst gut genug vor Gott zu sein, weiß, wie anstrengend das ist und wie verzweifelt man zurückbleibt.
Dann kann der Eindruck entstehen, dass Gott zu viel verlangt. Doch dieser Eindruck ist falsch.
Gott fragt nicht danach, was wir tun können. Er sagt nicht: Du musst erst diese Opfer bringen und das vollbringen, und dann sehen wir weiter, ob du in meine Nähe kommen darfst.
Die Opferanordnungen waren nie zu diesem Zweck gegeben worden. Im Gegenteil: Gott wollte durch diese Opfer sein Volk darauf vorbereiten, zum einen zu erkennen, dass sie nicht einfach so zu ihm kommen können.
Zum anderen sollten sie erkennen, dass Gott selbst einen Weg schafft, damit wir zu ihm kommen können.
Diese Opfer sollten uns darauf hinweisen, dass wir ein besseres Opfer brauchen. Gott hat uns verkündet, dass dieses Opfer in Jesus Christus gekommen ist und ein für allemal für uns dargebracht wurde.
Wir müssen nicht mehr unser Wertvollstes bringen, um vor Gott bestehen zu können. Gott selbst hat sein Wertvollstes für uns gegeben.
So können wir allein aufgrund seiner Gerechtigkeit und seiner Gnade vor ihm bestehen.
Die Freiheit von Leistungsdruck und die Liebe Gottes
Ihr Lieben, das sollten wir uns immer wieder klar machen. Der Durcheinanderbringer Satan will uns ständig einreden, dass wir etwas tun müssen. Wir leben doch in einer Leistungsgesellschaft: Du musst etwas schaffen, du musst etwas leisten, um bei Gott Anerkennung zu finden. Was für eine Lüge!
Und doch haben viele von uns das vielleicht schon erlebt: Wir haben etwas getan, von dem wir wussten, dass Gott es nicht will. Vielleicht eine Sünde, die wir bewusst begangen haben, und dann dachten wir, jetzt wird Gott mich wahrscheinlich nicht mehr lieb haben. Jetzt kann ich erst mal gar nicht vor ihm treten. Das wäre ja scheinheilig, so zu tun, als würde das alles keine Rolle spielen.
Dann sollten wir an unserem Gottesbild arbeiten. Gott ist kein Vater, der seine Kinder weniger liebt, weil sie mal etwas falsch gemacht haben. Was wäre das für ein schlimmer Vater, wenn er seinem Kind sagt: „Fass nicht auf die heiße Herdplatte!“ Der Vater gibt seinem Kind ein Gebot, damit es ihm wohl ergeht. So sind übrigens alle Gebote in der Bibel. Sie sagen genau das Gleiche: Fass nicht auf die heiße Herdplatte!
Wenn Gott uns etwas verbietet, dann ist das immer zu unserem Besten. Nun kommt das Kind und probiert es doch mal aus und fasst auf die heiße Herdplatte. Was wäre das für ein Vater, der dann das Kind nimmt und ihm den Hintern versohlt? Ein liebender Vater nimmt das weinende Kind in den Arm, tröstet es und macht ein Pflaster auf die Wunde oder tut, was medizinisch richtig ist. Michael kann da sicher Ratschläge geben.
Dann wird er dem Kind erklären: „Schau, das war der Grund, warum ich dir das gesagt habe. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“ Das sind die Worte von Jesus. Das sind die Worte unseres liebenden Vaters, der seine Kinder bedingungslos liebt.
Vor einiger Zeit hatte ich ein seelsorgerliches Gespräch. Ich werde keine Details nennen, keine Sorge. Ein älterer Herr aus der Gemeinde kam zu mir, verzweifelt, weil er Gott im Gebet etwas versprochen hatte. Nun musste er feststellen, dass er es aufgrund eigener Dummheit nicht mehr leisten konnte. Es war außerhalb seiner Möglichkeiten, das zu tun, was er Gott versprochen hatte. Einst war es möglich gewesen, aber er hatte es verbockt.
Er war davon überzeugt, dass er dieses Problem nie wieder richtigstellen kann und auf ewig ein Problem mit Gott hat, den er belogen und betrogen hat. Ich sagte zu ihm: „Lieber Bruder, willkommen im Club. Ich kenne keinen, der alles, was er Gott schon einmal versprochen hat, auch gehalten hat. Wir leben nicht aus unseren Werken, wir leben aufgrund der Gnade Gottes.“
Dieser Bruder ging in Tränen nach Hause. Aber ich glaube, es waren Tränen der Dankbarkeit, weil er erkannt hat: Gott liebt ihn, auch wenn er eine Dummheit begangen hat. Gott liebt ihn.
Genauso ist es falsch, wenn wir das Leistungsdenken in die andere Richtung überspannen. Wenn wir denken, nur weil wir etwas Tolles getan haben, wird Gott uns jetzt viel mehr lieben als alle anderen. So wie der Pharisäer aus Lukas, der sich selbst betrügt und denkt, seine Werke seien etwas, vor dem Gott in großer Ehrfurcht erstarren würde. Stattdessen erkennt er nicht, dass es Gnade Gottes ist, dass er nicht ist wie die anderen, weil Gott ihn bewahrt hat vor bestimmten Dingen.
Lieber Christ, befreie dich von unbiblischem Leistungsdenken! Es will uns von der Vaterliebe Gottes abkoppeln, die er bereits für uns hatte, als wir noch Sünder waren, als wir noch seine Feinde waren.
Wenn wir das gelernt haben, wenn wir diese Lektion verstanden haben, wenn wir erkannt haben, wie Gott sich uns in Vers 4 und 5 offenbart, und wenn wir erkennen, dass Vers 6 und 7 eine Sackgasse sind, dann sind wir vorbereitet, um die Lektion von Vers 8 richtig zu verstehen.
Denn das kann jetzt auch wieder nach enormem Leistungsdruck klingen. Es heißt: „Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott – boah, das schaffe ich nicht!“ Darum geht es auch nicht.
Der Text lehrt uns nicht, wie wir vor Gott bestehen können. Der Text lehrt uns, wie wir als geliebte Kinder Gottes leben sollten. Diese Forderung, die hier durchklingt, lässt sich zusammenfassen: Vertraue deinem Vater! Vertraue deinem Herrn!
Durch sein Wort sagt uns unser himmlischer Vater, was gut ist und was er von uns fordert. Und er ruft uns zu: Vertraue mir! Wenn du das tust, dann wirst du auch mein Wort halten, dann wirst du tun, was Gott sagt. Denn du wirst darauf vertrauen, dass es dir zum Besten dienen wird.
Wenn du daran scheiterst, dann geht es dir genauso wie dem bravsten aller Kinder, das nicht immer gehorsam ist. Und dann darfst du wissen, dass es einen Sohn Gottes gibt, der aller Gerechtigkeit Genüge getan hat. Von dem der Vater gesagt hat, dass das, was dieser eine Sohn getan hat, für alle seine Kinder reicht.
Er hat das Wort perfekt gehalten, und so sind wir befreit von allen Zwängen, jetzt danach streben zu müssen, irgendwie zu tun, was gut ist, damit Gott uns annimmt. So sind wir befreit zu einem Leben im Gehorsam, der aus dem Glauben kommt und auf der Gnade Gottes beruht.
Als geliebte Kinder Gottes sollen wir Liebe üben. Aber auch diese Liebe müssen wir nicht selbst aufbringen. Gott hat sie uns gegeben. Sie ist in uns ausgegossen, in unsere Herzen, durch den Geist.
So werden wir immer mehr in der Liebe zu ihm und zueinander wachsen, wenn wir uns darauf besinnen, wie sehr er uns zuerst geliebt hat. Und wenn wir bedenken, dass seine Liebe zu uns bedingungslos war, dann wird uns das befähigen, auch andere Menschen bedingungslos zu lieben – auch wenn es schwer ist.
In all dem dürfen wir demütig vor Gott sein und bedenken, dass unsere Annahme bei ihm nichts damit zu tun hat, dass wir gut genug waren. Da ist kein Raum mehr für Stolz. Wir brauchen auch nichts in uns selbst, auf das wir stolz sein können, weil alles von Christus vollbracht ist.
So dürfen wir demütig zu ihm kommen, offen bekennen vor Gott und den Menschen, dass wir nicht perfekt sind, unsere Schuld eingestehen und im Wissen darum leben, dass wir unter der Gnade stehen.
Demut fordert nichts von Gott für das Vollbrachte, sondern preist Gott dafür, dass er uns einen guten Weg gezeigt hat und uns befähigt hat, das zu tun, wozu er uns aufgerufen hat.
Die zentrale Botschaft des Gleichnisses vom Pharisäer und Zöllner
Damit sind wir zum Abschluss bei den Worten aus unserer Textlesung aus Lukas 18, dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner.
Der Pharisäer kam vor Gott und vertraute auf seine eigene Moral und seine guten Werke. Er meinte, auf dieser Basis könne er sich Gott nahen. So kam der Pharisäer.
Der Zöllner hingegen, dieser Sünder, kam in aller Demut und wusste, dass das Einzige, was ihm noch helfen könnte, die Gnade Gottes sei.
Die große Lehre des Gleichnisses, die Jesus vermittelt, ist diese: Wer sich selbst erhöht, wie der Pharisäer, wird erniedrigt werden. Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Die große Lehre dieses Gleichnisses ist auch die große Lehre von Micha 6. Gottes Volk zur Zeit Michas kam fordernd vor Gott und wurde von Gott erniedrigt. Doch aufgrund seiner wunderbaren Gnade dürfen wir wissen, dass, wenn wir uns vor ihm erniedrigen, wir von ihm erhöht werden und allezeit mit ihm leben dürfen – unter seiner wunderbaren Gnade.
Dafür möchte ich Gott danken!
Lieber himmlischer Vater, du hast uns als deine Kinder angenommen, du hast uns adoptiert und zu deinen Kindern gemacht. Das hättest du nicht tun müssen. Wir waren einst verloren in dieser Welt, wir waren einst tot in unseren Sünden und Übertretungen. Aber deine große Gnade kam zu uns in der Person Jesu Christi, der sich für uns dahingegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt, allein durch den Glauben an Jesus Christus gerettet wird.
Gerettet wird von diesem falschen und zum Scheitern verurteilten Leistungsdenken, das es in deinem Reich nicht gibt.
Danke, dass wir wissen dürfen, dass wir vor dir bestehen, weil du alles getan hast, was notwendig war.
Ja, so bitte ich dich, dass du uns frei machst, heute wieder mit frohem und dankbarem Herzen für dich zu leben. Ich bitte dich, dass du uns diese wunderbare Wahrheit immer wieder neu vor Augen führst, damit wir dir dienen, nicht aus Zwang, sondern in der Freiheit der Kinder Gottes.
Und so preisen wir deine Gnade, deine Liebe und deine Barmherzigkeit im Namen unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Amen.