Über wen freut sich Gott?

Jürg Birnstiel
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(Zwei Männer im Tempel)

Lukas-Evangelium 18,9-14

Einleitende Gedanken

Jesus befindet sich auf dem Weg nach Jerusalem (Lukas 17, 11). Unterwegs kam er mit Menschen ins Gespräch, die sich für besonders fromm hielten. Sie waren überzeugt, dass sie ein Leben führen, an dem sich Gott bestimmt freut – ja freuen muss. Sie waren von sich sehr überzeugt und anderen Menschen gegenüber, die nicht so lebten, wie sie das für richtig hielten, überheblich. Mit diesen Leuten setzte sich Jesus auseinander. „Jesus wandte sich an einige, die in falschem Selbstvertrauen meinten, in Gottes Augen gerecht zu sein, und die deshalb für die anderen nur Verachtung übrig hatten.“ (Lukas 18, 9) In den Augen Gottes gerecht sein, heisst so viel, wie ein Leben führen, das Gott gefällt. Es ist praktisch gleichbedeutend wie wenn wir heute sagen, dass wir erlöst sind – frei von jeder Schuld – dass uns der Weg in den Himmel offen steht. Diese Leute waren felsenfest davon überzeugt, dass sie einmal in den Himmel kommen werden. Doch Jesus wusste, dass sie sich täuschten und sich dessen nicht bewusst waren, deshalb erzählt er ihnen eine Geschichte. „Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer und der andere ein Zolleinnehmer.“ (Lukas 18, 10) „Der Pharisäer stellte sich selbstbewusst hin und betete: ›Ich danke dir, Gott, dass ich nicht so bin wie die übrigen Menschen – ich bin kein Räuber, kein Betrüger und kein Ehebrecher, und ich bin auch nicht wie jener Zolleinnehmer dort. Ich faste zwei Tage in der Woche und gebe den Zehnten von allen meinen Einkünften.‹“ (Lukas 18, 11-12) „Der Zolleinnehmer dagegen blieb in weitem Abstand stehen und wagte nicht einmal, aufzublicken. Er schlug sich an die Brust und sagte: ›Gott, vergib mir sündigem Menschen meine Schuld!‹“ (Lukas 18, 13) „Ich sage euch: Der Zolleinnehmer war in Gottes Augen gerechtfertigt, als er nach Hause ging, der Pharisäer jedoch nicht. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; aber wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Lukas 18, 14) Die Menschen, denen Jesus diese Geschichte erzählte, dachten wie der Pharisäer in dieser Geschichte. Pharisäer lebten tatsächlich mit erstaunlicher Disziplin. Sie versuchten die religiösen Gesetze möglichst genau einzuhalten. Der Zöllner hingegen, der es wagte den Tempel zu betreten, gehört zu der Menschengruppe, die von diesen Leuten mit grösster Verachtung behandelt wurde. Aber nicht nur Pharisäer verachteten die Zöllner, sie waren auch im Volk Israel nicht besonders angesehen. Einerseits lag es daran, dass sie mit dem römischen Reich kooperierten und andererseits, was noch viel schlimmer war, sie beuteten mit überhöhten Zolltarifen ihr eigenes Volk aus. Allen war klar: die meisten Zöllner waren Sünder. Man warf sie in denselben Topf wie die Prostituierten. Nun begegnen sich diese beiden gegensätzlichen Männer im Tempel. Beide gehen dorthin, um zu beten. Wir wollen zunächst die Geschichte mit den Ohren der Menschen hören, denen sie Jesus erzählte.

I. Über mich muss Gott sich freuen!

Schon der Beginn der Geschichte lässt die Zuhörer in Aufregung geraten. Was hat denn der Zolleinnehmer im Tempel zu suchen? Der will wohl nicht etwa beten? Der kann doch Gott gar nichts Vernünftiges sagen! Nun, sind gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Der Pharisäer – erzählt Jesus weiter – stellt sich selbstbewusst hin, als würde der Tempel ihm gehören und beginnt zu beten. „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht so bin wie die übrigen Menschen – ich bin kein Räuber, kein Betrüger und kein Ehebrecher, und ich bin auch nicht wie jener Zolleinnehmer dort.“ (Lukas 18, 11) Nun wird es den Zuhörern warm ums Herz. Jesus scheint die Vorzüge der Pharisäer zu schätzen. Mit innerer Anteilnahme können sie diesem schönen Gebet zustimmen. Wir sind wirklich anders als die übrigen Menschen. Wir sind nicht nur anders als die anderen, wir sind besser. Wir sind gut, keine Räuber, keine Betrüger, keine Ehebrecher und schon gar nicht wie dieser Zöllner, der es wagte, den Tempel zu betreten. Dieser Pharisäer weiss genau Bescheid, auf was es ankommt. Er ist ein Fachmann in Sachen Wahrheit, Frömmigkeit und Gerechtigkeit. Zudem ist er kein frommer Schwätzer, sondern er tut erstaunlich viel für seinen Glauben. Er scheut keinen Aufwand und das muss er Gott natürlich auch sagen: „Ich faste zwei Tage in der Woche und gebe den Zehnten von allen meinen Einkünften.“ (Lukas 18, 12) Ja – was für ein Mann! Was für ein Heiliger, denken die Zuhörer. Er fastet sogar zweimal pro Woche, obwohl das Gesetz diese Forderung gar nicht stellt, aber er tut es freiwillig. Er verzehntet auch viel mehr, als nötig wäre. Aber das macht ihm nichts aus, denn Pharisäer waren keine Minimalisten. Ein wahrer Held – so wie wir (dachten sie). Über einen solchen Menschen musste sich Gott einfach freuen. Gerechter, heiliger und vorbildlicher kann man gar nicht leben. Sie waren überglücklich, dass sie sich selbst zu diesen Menschen zugehörig wussten. Über sie musste sich Gott freuen! Auf einmal huscht ein spöttisches Grinsen über ihr Gesicht, denn Jesus erzählt weiter: „Der Zolleinnehmer dagegen blieb in weitem Abstand stehen und wagte nicht einmal, aufzublicken.“ (Lukas 18, 13) Spott und Verachtung über diesen Zöllner konnte man an ihren Gesichtern ablesen. Immerhin – das konnten sie ihm ja noch zugutehalten – stellte er sich hinten an. Er drängte sich nicht nach vorne. Offensichtlich war er sich bewusst, dass er eigentlich gar nicht hierhin gehört. Gut wagte er nicht seinen Blick zu erheben, vermutlich hätte er den Anblick dieses Pharisäers gar nicht ertragen. Eine bedauernswerte Kreatur! Und was macht er jetzt? „Er schlug sich an die Brust und sagte: ›Gott, vergib mir sündigem Menschen meine Schuld!‹“ (Lukas 18, 13) Oha – offensichtlich weiss er sogar, dass er ein Sünder ist - immerhin. Das wissen wir zwar schon lang, sagten sie sich. Meint der Mann wirklich, er könne mit einem Brustschlag seine Schuld loswerden? Er müsste schon noch einiges Vorbringen können, damit er von Gott etwas erwarten kann. Er realisiert nicht einmal wie hoffnungslos seine Situation ist. Dieser Auftritt im Tempel ist einfach nur peinlich. Man sollte diesen Leuten den Eintritt verweigern. Was für ein lächerlicher Dummkopf, aber von einem Zöllner kann man nicht viel anderes erwarten. Sind wir froh, denken sie, dass wir nicht zu diesem Menschenschlag gehören. Ja – bis hierher war die Geschichte für die Zuhörer ganz nett. Sie konnten sich richtig mit diesem Pharisäer identifizieren und sich darüber freuen, dass sie zu den Menschen gehören, über die sich Gott einfach freuen muss. Vielleicht fragten sie sich schon, ob Jesus vielleicht doch mit den Pharisäern sympathisiert, denn besser hätte er den Pharisäer und somit auch sie nicht charakterisieren können.

II. Über ihn freut sich Gott!

Nun werden die Zuhörer jäh aus ihrer Selbstbeweihräucherung herausgezerrt, denn was Jesus jetzt sagt, machte sie bestimmt fassungslos, nie wären sie auf eine solche Idee gekommen. „Ich sage euch: Der Zolleinnehmer war in Gottes Augen gerechtfertigt, als er nach Hause ging, der Pharisäer jedoch nicht.“ (Lukas 18, 14) Das kann doch nicht sein ernst sein, mögen sie gedacht haben. Die Wut steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Dieser Sünder, der selber zugibt ein Sünder zu sein und der nichts, aber auch gar nichts zu seiner Rechtfertigung vorbringen konnte, der soll nun in den Augen Gottes gerecht sein – gerechter als sie? Über diesen Zöllner soll sich Gott freuen!? Ja – so ist das. Über diesen Zöllner freut sich Gott. Nicht über den selbstgerechten Pharisäer, der jeden Menschen verachtet, der nicht seinen Massstäben entspricht. Der meint, er hätte es verdient, von Gott gelobt zu werden. Der meint, Gott hätte gar keine andere Möglichkeit, als sich über ihn zu freuen. Kann sich Gott über ihn nicht freuen, über welchen Menschen sonst sollte er sich freuen können? Das konnten sich diese Leute nicht vorstellen. Sie mögen Denken was sie wollen, für Jesus steht fest. „Der Zolleinnehmer war in Gottes Augen gerechtfertigt, als er nach Hause ging, der Pharisäer jedoch nicht.“ (Lukas 18, 14) Diese Leute realisieren gar nicht mehr, wie selbstgerecht sie sind. Es war aber nicht die Fastenpraxis, die Gott nicht gefallen hätte. Der Pharisäer könnte, wenn er wollte sogar 4x in der Woche fasten. Tut er das freiwillig und mit echter Hingabe, könnte sich Gott auch darüber freuen. Das Problem ist aber, dass er das nicht aus Hingabe und Liebe zu Gott tat. Ja - er eifert mit grossem Einsatz für Gottes Sache, das war in seinem Leben auch sichtbar. Doch es fehlte die richtige Erkenntnis. Paulus hatte ja dasselbe Problem, als er noch nicht Christ war. Deshalb kann er über diese Leute eine angemessene Diagnose machen: „An Eifer für Gottes Sache fehlt es ihnen nicht; das kann ich bezeugen. Was ihnen fehlt, ist die richtige Erkenntnis.“ (Römer 10, 2) Aus eigener Erfahrung kann Paulus sagen, wo das Grundproblem liegt: „Sie haben nicht erkannt, worum es bei der Gerechtigkeit Gottes geht, und versuchen, durch ihre eigene Gerechtigkeit vor Gott bestehen zu können. Damit lehnen sie sich gegen Gottes Gerechtigkeit auf, statt sich ihr zu unterstellen.“ (Römer 10, 3) Sie wollen sich Gottes Zuneigung verdienen – sie erarbeiten sich die Erlösung. Obwohl sie aus den Schriften wissen müssten, dass das gar nicht möglich ist. Sie strengen sich an und merken nicht, dass sie ihr Herz vor Gott verschliessen. Jesus sagte sehr direkt, was diesen Menschen im Grunde fehlt. „Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den zehnten Teil von Kräutern wie Minze, Dill und Kümmel und lasst dabei die viel wichtigeren Forderungen des Gesetzes ausser Acht: Diese Forderungen solltet ihr erfüllen und das andere nicht ausser Acht lassen.“ (Matthäus 23, 23) Sie könnten ihre eigenen strengen Vorschriften behalten und danach leben, das ist kein Problem, aber wenn sie die Wichtigsten Forderungen des Gesetzes verachten, dann helfen auch diese Anstrengungen nichts. Gott will eben gelebte Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Demut, Treue usw. Alles Charakterzüge, die man eben nicht sichtbar machen kann, noch kann man das messen. Vor den Menschen war dieses religiöse Leben der Pharisäer beindruckend, aber Gott kann damit nicht viel anfangen. Jesus sagt: „Vor den Menschen erweckt ihr den Eindruck, ein gottgefälliges Leben zu führen; aber Gott kennt euer Herz. Was in den Augen der Menschen gross ist, das ist Gott ein Gräuel.“ (Lukas 16, 15) Da war Stolz und Überheblichkeit in diesen Herzen. Die Überzeugung der eigenen Vollkommenheit, bestärkt durch die eigenen Werke. Aber Gott sieht eben nicht zuerst auf unsere Werke, sondern er sieht zuerst in unser Herz. Der Blick Gottes geht bei allem, was wir tun übers Herz, zu dem, was wir tun. Wer Gott und den Menschen mit Werken und Taten imponieren will und innerlich von Hass, Eitelkeit, Eifersucht, Geldgier, Stolz usw. getrieben ist, der kann bei Gott keine Freude auslösen. Natürlich ist das Leben des Zöllners bis zu dem Tag, als er den Tempel betrat alles andere als vorbildlich gewesen. Natürlich war sein Leben bis zu diesem Tag nicht besser, als das Leben dieser selbstgerechten Menschen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass der Zöllner wusste, dass sein Leben Gott nicht gefallen kann. Der Pharisäer hingegen erkannte das für sich nicht, weil ihm seine religiösen Werke eine falsche Sicherheit vermittelten. Der Zöllner kann einzig und allein zu seiner Schuld stehen und darauf hoffen, dass Gott ihm vergibt. So kann er im Tempel nichts anderes vorbringen als diese einfache Bitte: „Gott, vergib mir sündigem Menschen meine Schuld!“ (Lukas 18, 13) Schnörkellos, ohne viele und grosse Worte, steht er zu seiner Schuld. Er appelliert an die Barmherzigkeit Gottes, etwas anders konnte er nicht tun. Und wie Jesus sagt, erhörte Gott seine einfache Bitte, denn als er nach Hause ging, war er in den Augen Gottes ein gerechter oder anders gesagt, ein geretteter Mann. Über diesen Zöllner freut sich Gott! „Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; aber wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Lukas 18, 14) Gott erbarmt sich über jeden Menschen, der zu ihm kommt und sich vor ihm demütigt. Dieser Zöllner hat sich vor Gott gebeugt und Gott hat ihm seine Schuld vergeben. Gott freut sich riesig, wenn ein Mensch diesen Schritt tut. So erzählt Jesus, wenn immer so etwas geschieht, im Himmel riesige Freude herrscht. „Genauso freuen sich die Engel Gottes über einen einzigen Sünder, der umkehrt.“ (Lukas 15, 10) Das ist doch wunderbar, dass wir nicht durch Leistung zu Gott kommen müssen. Wir hätten keine Chance. Gott freut sich am allermeisten über Menschen, wie diesen Zöllner, die ihre Schuld einsehen und zu ihm kommen. Bei Gott war das schon immer so, wie wir bereits im AT sehen: Er, der hohe und erhabene Gott, der Heilige, dessen Thron ewig steht, sagt: „Ich wohne in der Höhe, in unnahbarer Heiligkeit. Aber ich wohne auch bei den Gedemütigten und Verzagten, ich gebe ihnen Hoffnung und neuen Mut!“ Jesaja 57, 15 Erst recht können wir das heute sagen, da Jesus für unsere Schuld gestorben ist.

Schlussgedanke

Gott freut sich über Menschen, die aufrichtig sind und bei ihm Hilfe suchen. Das gilt auch für alle, die schon mit Jesus unterwegs sind. Wir dürfen Gott gegenüber ehrlich sein. Wir müssen ihm nichts vormachen – keine Schau. Wir müssen ihm nicht beweisen, wie gut wir sind. Jakobus schreibt in seinem Brief. „Den Hochmütigen stellt sich Gott entgegen, aber wer gering von sich denkt, den lässt er seine Gnade erfahren.“ (Jakobus 4, 6) Ja, im Tempel standen zwei Menschen, der eine religiös, hochmütig und eingebildet, der andere im Leben gescheitert, aber demütig vor Gott. Und es ist ja klar, wie Gott das beurteilt „Der Zolleinnehmer war in Gottes Augen gerechtfertigt, als er nach Hause ging, der Pharisäer jedoch nicht.“ (Lukas 18, 14) Bleiben wir demütig als Christen. Vergessen wir nie, dass wir unsere Erlösung Jesus zu verdanken haben und dass es nicht unsere Werke sind, die uns den Weg in den Himmel ebnen. Beugen wir uns immer wieder vor unserem gnädigen Gott! „Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; aber wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Lukas 18,14)