Einführung in die Salbung Jesu und die Evangelienharmonie
Über die Salbung Jesu in der Anfangszeit seines Leidensweges wird dreimal in den Evangelien berichtet. Das ist also etwas anderes als die Geschichte der großen Sünderin.
Sie finden die Berichte in Matthäus 26,6-13, Markus 14,3-9 und Johannes 12,1-8. Es spielt keine Rolle, welches Evangelium Sie aufschlagen möchten.
Es gibt noch etwas ganz Wunderbares, das ich besonders in diesen Passionstagen liebe: die sogenannte Evangelienharmonie. Dabei werden alle vier Evangelien an den Stellen, an denen sie dasselbe berichten, zusammengefasst. Natürlich haben die Evangelisten einige Nuancen unterschiedlich dargestellt. So hält zum Beispiel der eine Evangelist fest, dass es Maria, Martha und Lazarus waren, während ein anderer Evangelist berichtet, dass die Festfeier – das Mahl – im Haus Simons des Aussätzigen stattfand.
Das sind keine Widersprüche. Man erkennt, wie wunderbar diese Berichte ineinander passen. Deshalb ist die Evangelienharmonie auch so schön zu lesen.
Ich habe gerade festgestellt, dass in den meisten roten Gesangbüchern, die hier ausliegen, diese Evangelienharmonie nicht abgedruckt ist. Ich besitze ein altes Gesangbuch, in dem sie enthalten ist. Kennen Sie Ihr Gesangbuch überhaupt? Bei mir steht auf Seite 108 die Geschichte vom Leiden, Sterben und der Auferstehung Jesu Christi, zusammengefasst aus den vier Evangelien.
Diese Zusammenfassung war in fast allen Gesangbüchern bis vor ein paar Jahren immer enthalten. Nur in den neueren Ausgaben, die die sechs Predigtreihen enthalten, ist sie nicht mehr zu finden.
Die Szene der Salbung in Bethanien
Sechs Tage vor Ostern kam Jesus nach Bethanien. Dort war Lazarus, der Verstorbene, den Jesus von den Toten auferweckt hatte. Im Haus Simons des Aussätzigen hielten sie ein Abendmahl für Jesus ab. Martha diente, und Lazarus war einer derjenigen, die mit Jesus zu Tisch saßen.
Da trat Maria zu Jesus. Sie hatte ein Glas mit etwa einem Pfund kostbarer, unverfälschter Narde-Salbe bei sich. Sie zerbrach das Glas, goss die Salbe auf Jesu Haupt und salbte seine Füße. Anschließend trocknete sie seine Füße mit ihrem Haar. Das ganze Haus erfüllte sich mit dem Duft der Salbe.
Einer der Jünger, Judas, Simon Ischariot, der Jesus später verriet, fragte: „Warum wurde diese Salbe nicht verkauft, um den Erlös von dreihundert Groschen den Armen zu geben?“ Doch er fragte nicht wirklich nach den Armen. Judas war ein Dieb und trug den Geldbeutel, in dem das Gegebene aufbewahrt wurde.
Auch einige der anderen Jünger wurden unwillig und sagten: „Warum diese Vergeudung? Man hätte dieses Wasser teuer verkaufen und den Armen geben können.“ Sie murrten über Maria.
Als Jesus das bemerkte, sagte er zu ihnen: „Lasst sie in Frieden. Warum macht ihr ihr Vorwürfe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun. Mich aber habt ihr nicht allezeit.
Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat dieses Wasser auf meinen Leib gegossen. Sie ist vorausgegangen, um meinen Leib für mein Begräbnis zu salben.“
Später war dazu keine Gelegenheit mehr. Am Ostermorgen wollten die Frauen mit den Salbentöpfen zum Grab gehen, doch Jesus war bereits auferstanden.
Wahrlich, ich sage euch: Wo dieses Evangelium in aller Welt gepredigt wird, wird man auch das zu ihrem Gedächtnis sagen, was sie jetzt getan hat.
Gedenktage und die Stimmung in der Passionszeit
In diesen Tagen werden wir immer wieder an einige Gedenktage erinnert. Zum Beispiel daran, dass vor fünfzig Jahren das KZ Buchenwald befreit wurde. Oder in den letzten Tagen wurden wir daran erinnert, dass es jetzt auch 50 Jahre her ist, dass die französischen Truppen Stuttgart im Sturm genommen haben. Andere erinnern uns an den Jahrestag des Gemetzels in Ruanda zwischen Hutus und Tutsis.
Diese Gedenktage haben immer etwas Schwermütiges an sich. Man wird daran erinnert, wie gemein, hinterhältig und böse Menschen sein können – wie viel Schreckliches sie tun. Manche Menschen gehen auch so in die Passionszeit hinein und sagen: Das ist doch auch so ein Gedenktag. Da muss die fröhliche Musik verstummen, da muss man den Kopf senken und sagen: Ach, wie traurig, wie Menschen Jesus foltern, ausgerechnet den, der voller Liebe war, und wie gemein Menschen sein können.
Das stimmt traurig und schwermütig. Auch die Jünger Jesu haben so empfunden, die treuesten Freunde, als sie in diese letzten sechs Tage des Leidensweges Jesu hineingingen. Diese Männer litten ebenfalls darunter, dass Jesus das alles jetzt erleiden musste. Sie waren, so heißt es einmal, von großer Traurigkeit befallen, von einer Schwermut.
Anfangs sagte einer noch: „Aber das muss man doch verhindern können!“ Doch das kann man nicht verhindern. So unheimlich ist das. Es vollzieht sich mit einer grausamen Gesetzmäßigkeit.
Die besondere Haltung der Frau und ihre Liebe zu Jesus
Nur eine Frau denkt anders und versteht alles anders. Ausgerechnet am Anfang des letzten Leidensweges Jesu steht sie da.
Sie wird uns dargestellt, wie sie ihre Augen fest auf Jesus gerichtet hat. Mit einer Begeisterung und Freude schaut sie Jesus an. Nichts von Trauer ist in ihr zu sehen, sondern sie ist erfüllt von überwältigender Liebe und Dankbarkeit. Sie hat begriffen, was die Passionszeit bedeutet – genau das.
Jesus hat sie gelobt und herausgehoben. Ich frage mich, warum es immer wieder Frauen in der Bibel sind, die mehr begreifen als die Männer. Vielleicht liegt es einfach daran, dass Frauen manchmal mehr aus dem Gefühl heraus handeln. Sie spüren besser als Menschen, die alles mit ihrem Verstand durchdringen wollen, worum es eigentlich geht.
Diese Frau steht da und kann nicht genug danken. Sie dankt für das, was Jesus in ihrem Leben gewirkt hat und was Jesus für sie bedeutet. Vor lauter Dank und Freude bringt sie nichts anderes hervor. Sie muss Jesus fassen, stehenbleiben, ihn anbeten und sagen: Du bist größer als alles andere.
Ich wünsche mir, dass wir in dieser Passionszeit von dieser Frau lernen und sagen: Diese Passionstage haben für mich gar nichts Schwermütiges, gar nichts Trauriges an sich. Es sind keine menschlichen Gedenktage, an denen man all die Schrecken noch einmal in Erinnerung ruft und die Schuld der Menschen bedenkt. Stattdessen wird Jesus für mich immer größer und wunderbarer.
Daran erkennt man, ob jemand ein richtiger Christ ist: ob er Jesus in seiner Leidensgestalt mit der Dornenkrone sieht und sagen kann, dass dies das Schönste an Jesus ist. So groß sein Leiden auch sein mag, aber gerade dort ist er am schönsten. Dort sieht man seine Liebe am besten, dort kommt er einem am nächsten. Dort will man ihn fassen, dort will man stehenbleiben. Der am Kreuz ist meine Liebe.
Obwohl es auch beeindruckend war, wie Jesus seine Wunder vollbracht hat, ist er am schönsten als der Leidende, der Gequälte und der Gefolterte. So steht diese Frau da – anbetend, dankend, lobend und preisend.
Das hilft uns, die Passionswoche richtig zu begehen – als eine Zeit der Freude, des Jubels und der Dankbarkeit.
Die Parfümflasche als Symbol und das Streitthema
Aber jetzt muss ich etwas zur Parfümflasche sagen. Wir haben uns ja die Gegenstände der Passion vorgenommen – zumindest einige davon. Das Wort „Gegenstände“ passt hier eigentlich nicht ganz, das habe ich auch gemerkt. Trotzdem möchte ich einzelne Dinge herausgreifen.
Normalerweise denken wir bei den Gegenständen der Passion Jesu an Nägel, eine Dornenkrone, Lanzen oder Fesseln – also Folterwerkzeuge. Ganz bewusst habe ich für den heutigen Sonntag aber die Parfümflasche als Thema gewählt. Denn sie ist etwas Edles, kein Folterwerkzeug, etwas Feines und Kostbares. An diesem Beispiel wollen wir zeigen, was das für uns bedeutet.
Mein erster Punkt: Es gibt Streit über die Parfümflasche. Einen schrecklichen Streit sogar. Einige der Jünger wenden sich lautstark an Jesus und protestieren gegen diese „Verschwendung“. Sie sagen: „Haltet mal das Weib zurück!“ – Unsinn, was die Frau tut, völlig unsinnig!
Ich muss gestehen, ich kann die vorgebrachten Argumente nicht ganz von der Hand weisen. Ich finde es auch unsinnig. Finden Sie nicht? Ich weiß nicht, wie Sie persönlich zu hysterischen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts oder zu exaltierenden, schwärmerischen Leuten stehen. Vielleicht sind Sie noch nie in die Situation gekommen, dass jemand Sie mit Parfüm überschüttet hat. Aber es ist eine merkwürdige, peinliche Situation, in der man am liebsten sagt: „Kommt, schafft das Weib mal raus, damit wieder Ruhe im Saal ist.“
Das Ganze wirkt unsinnig. Ich weiß auch nicht, was Sie von Parfüm verstehen – von Ninarici, Margret Astor oder Chanel. Das ist Luxus. Was hat Luxus in der Nähe von Jesus zu suchen? Er lief doch barfuß. Solche Dinge braucht man doch nicht. Da sollen sich doch diese eitlen Leute damit schmücken, könnte man sagen, gerade wenn man sehr eifrig ist – fast übertrieben eifrig. Luxus hat doch keinen Platz in der Nähe Jesu, das braucht man alles nicht. Was soll Jesus mit dem Duft?
Dann gibt es das ganz ernste Argument: „Was das kostet!“ Das ist für viele ein entscheidendes Argument. Sehen Sie, es war keine rote Toilettenflüssigkeit, sondern Narde – etwas ganz, ganz Teures. Damals war es im internationalen Handel nur zu exquisiten und sehr hohen Preisen zu bekommen. Und diese Frau verschleudert es einfach! Man hätte es doch verkaufen können, auf dem Markt, und das Geld hätte man für etwas Vernünftiges verwenden können.
Zum Beispiel für eine Vesperküche, wo so viele Menschen in Jerusalem hungern und nicht einmal ein warmes Essen bekommen. Es gibt so viel Not, die förmlich zum Himmel schreit. Hätte man das Parfüm verkauft, hätte man helfen können.
Sagen Sie, ist das nicht richtig?
Das Spannende an dieser Geschichte ist, dass sie unser Denken sprengt. Man muss immer wieder innehalten und merken, dass wir Neues entdecken sollen. Neues!
Jesus verteidigt die Frau und die Bedeutung ihres Handelns
Ist Jesus gegen Wohltätigkeit? Ist Jesus gegen Sozialhilfe? Nein, bestimmt nicht! Jesus hat die Hungernden gespeist – fünftausend auf einmal! Er hat unzählige Kranke gesund gemacht. Jesus hat ein soziales Herz, warum sollte er hier also anders handeln?
Jesus nimmt diese Frau in Schutz und sagt das ganz eindeutig – allem menschlichen Verstehen zum Trotz. Es wird kaum einen Menschen geben, der das Verhalten der Frau aus seinem natürlichen Denken heraus versteht und begreift, was hier geschieht. Nur Jesus sagt: Sie hat Recht gehandelt. Lasst sie in Frieden, sie hat ein gutes Werk getan.
Jetzt müssen wir nachdenken, was Jesus wohl meint. Wenn wir sagen, ein gutes Werk wäre doch, wenn sie Kranke pflegt, wenn sie elternlose Kinder betreut, wenn sie Essen auf Rädern verteilt, wenn sie die Alten pflegt – das ist doch richtig. Warum hat sie dann ein gutes Werk getan, obwohl sie in unserem Denken etwas Unsinniges macht?
Man muss sich die ganze Gruppe von Menschen dort ansehen. Da stehen die Männer, und sie schauen die Frau abschätzig an. Sie sagen: „Mensch, was macht die bloß?“ Vielleicht liegt das manchmal auch in uns Männern. Wir sollten uns kritisch fragen, ob das eine Ursache dafür ist, dass Menschen oft Frauenrechte mit Füßen treten. Weil sie sich für besser und stärker halten und meinen: „Wir machen mehr.“
Wir wissen ja, was die Jünger in diesem Augenblick dachten – nicht Petrus, der sagte: „Herr, wenn sich alle an dir ärgern, möchte ich für dich auf die Barrikaden gehen. Ich werde die Feinde besiegen.“ Später zog er sogar das Schwert und schlug zu. Jesus aber sagt: „Lasst mal, ihr könnt gar nichts, und ihr erreicht gar nichts.“ Es ist gut, dass wir Männer das mal wieder hören – mit unserem ungestümen Eifer.
Und Frauen? Nicht alle Frauen, es gibt auch Männer, die man „Mannweiber“ nennen könnte, wenn man so übertragen will. Aber oft sind Frauen an diesem Punkt ehrlicher. Sie sagen: „Ich weiß, wie begrenzt meine Macht ist.“
Ich sehe diese Frau, die vor Jesus niederfällt und in diesem Augenblick sagt: „Das Allergrößte in meinem Leben bist du, Jesus. Ich habe dich kennengelernt in deiner wunderbaren Güte und Liebe. Du hast mich nicht von dir gestoßen. Das war der schönste Tag meines Lebens.“
„Seitdem scheint die Sonne, auch wenn es draußen regnet. Seitdem werde ich nie mehr traurig. Seitdem ist die Freude da, und seitdem habe ich ein unbändiges Vertrauen und eine große Zuversicht. Ich will dir nur danken, danken, danken.“ Sie kann gar nichts anderes mehr denken. Ihr Herz ist erfüllt und bewegt.
Die Männer wissen davon gar nichts. Ihr Herz ist kalt. Sie aber ist erfüllt von der ganz großen Liebe, die sie erfahren hat.
Die Bedeutung der Liebe und das Wesen der Jesusliebe
Um das Parfümfläschchen wird gestritten, und es ist gut, dass wir daran erinnert werden, dass das auch in der Bibel steht – wortwörtlich.
Wenn ich alle Taten vollbrächte, die ein Wohltäter der Menschheit vollbringen könnte, und hätte nicht die Liebe, so wäre ich nichts. Weniger als eine rostige Blechbüchse, nur eine klingende Schelle.
Und wenn ich meinen Leib verbrennen ließe und die größten Märtyrertaten vollbrächte, aber nicht die Liebe hätte – was wäre das für eine Liebe? Eine Jesusliebe, die viele noch gar nicht kennen. Eine so selbstlose, schenkende Liebe hat keiner von uns von Natur aus. Diese Liebe muss Jesus erst in unser Herz ausschütten. Man muss sie erst empfangen.
Das war die große Kraft, die diese Frau einst entdeckt hat. Es gibt eine Kraft, die unsere leidende, kranke, traurige Welt noch bewegen kann – das ist die Jesusliebe. Sie hat diese Liebe erfahren, sie hat sie erfüllt, und sie betet diese Liebe an.
Ich bete an die Macht der Liebe, die sich in Jesus offenbart. Und es wird nur am Parfümfläschchen sichtbar, was sie meint. In einer Zeit, in der es zwischen Menschen oft kaum noch echte Liebe gibt – in unseren Familien fast keine – sondern nur noch berechnende, kalkulierende Liebe, liebt sie Jesus.
Und hätte sie nicht die Liebe, so wäre alles umsonst. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. So entdeckt sie, woher sie die Liebe nimmt: von Jesus nimmt sie sie her.
Das notwendige Ärgernis und die Einordnung der Frau Maria
Aber jetzt ein zweites: Das Ärgernis mit der Parfümflasche muss sein. Das Ärgernis muss sein. Jesus hat ja ganz deutlich gesagt, dass, wo in der Welt das Evangelium gepredigt wird, vom Kreuzestod Jesu an diese Frau erinnert werden wird. Sie gehört ganz eng zum Evangelium selbst.
Und das ist nicht bloß eine Randfigur, so wie manchmal die Maler im Mittelalter irgendwo einen Passanten gemalt haben, der sich dann noch selbst auf dem Bild verewigt hat. Nein, das gehört nicht einfach irgendwo in die Rand-Erklärung. So wichtig war das, das sagt Jesus. Da wird es nämlich deutlich: Die Geschichte, die uns in unserem Verständnis irgendwo so viel Not macht, das zuerst zu verstehen.
Und da geht es ja noch mal um Geld. Ich verstehe auch, man hätte das Geld wirklich sinnvoller einsetzen können. Also wir bemühen uns doch hoffentlich, dass wir als Haushalter verantwortlich mit den Gaben umgehen, die Gott uns gegeben hat. Man kann doch nicht einfach so etwas sinnlos verrauschen lassen.
Was die Frau tut, ist ja unsinnig, völlig unsinnig. Das ist ja nicht Nivea, was sie da über die Füße schüttet, sondern das ist eine Narde, ein ganz kostbares Parfüm. Die Damen nehmen dann nur so einen Tropfen und drücken ihn hinter das Ohr. So etwas war es doch, was ganz kostbar ist. Das schüttet man doch nicht einfach so mit einem Hui weg.
Genau da will Jesus deutlich machen: Doch, er sieht das Herz dieser Frau und dieses brennend bewegte Herz. Das interessiert Jesus, während das Herz der anderen so kalt, so berechnend und so kühl war.
Und Jesus macht das so anstößig, wie wir es gar nie hören wollen, dass es ausgerechnet Judas war, der ganz andere Motive hatte, als es um Geld ging. Jesus sagt: „Ihr mit eurem bösen Herzen, was urteilt ihr so hart?“ Da, wo jemand sich schenkend hergibt, wo jemand sich verströmt für Jesus.
Die Identität der Frau und ihr bewegender Hintergrund
Jetzt müssen wir endlich einmal sagen, wer die Frau war. Nicht in allen Evangelien ist das festgehalten, aber ganz klar ist: Es ist Maria. Welche Maria? Nicht die von Magdala, sondern die Schwester von Martha. Aha, die kennen wir ja.
Genau die Maria, bei der Jesus damals überraschend in das Häuslein in Betanien kam. Das war schon ein Sturm. Stellen Sie sich vor, bei Ihnen kommen heute Mittag dreizehn Männer unangemeldet zum Essen. Was muss man da herumrennen, backen und laufen, bis alle etwas zu trinken haben im heißen Land, dann noch Essen und die Vorräte besorgen – und alles.
Und Maria sitzt bloß still da und hört auf die Worte Jesu. Das war immer das Besondere an ihr. Nicht, dass sie ein bigottischer Mensch gewesen wäre, sie war eine patente Frau. Aber bei Jesus hat sie gemerkt: Da muss man hinhören. Seine Worte sind Geist und Leben. Sie hat nach den Worten, die Jesus sagte, gehungert. Darum war sie ganz hoch konzentriert und hat gesagt: Jetzt ist Essen gar nicht mehr wichtig, ein Tag Fasten ist auch nicht schlimm, ein bisschen Durst macht nichts. Jetzt kann man nur hören.
Und genauso ist es in dieser Stunde, als die Leidenszeit Jesu beginnt. Da sagt sie: Ich will mit meinem Leben nur Jesus meine Dankbarkeit ausdrücken – so wunderbar, was er mir geschenkt hat. Jetzt interessiert uns, was sie denn so bewegt hat. Ja, wir wissen es doch. Wir müssen den Zusammenhang lesen.
Es ist doch gerade ein paar Tage her, da standen sie auf dem Friedhof. Und das wissen nur die, die betroffen sind, was das bedeutet. Sie hat geheult in der ganzen Verzweiflung: Lazarus ist tot, und Jesus kommt nicht. Er lässt mich allein mit meinem Schmerz. Vielleicht hat sie auch im Stillen gehadert: Warum kommt er denn nicht?
Und dann kam Jesus. Jetzt ist es zu spät, sagen wir. Jetzt ist alles aus, hilft nichts mehr. Als die Schwester kommt und sagt: Der Meister ist da und ruft, ja, was soll sie jetzt noch tun? Und dann erlebt sie: Jesus löst meine dunkelsten Lebensrätsel.
Sehen Sie, das steht im Evangelium, und das wird durch das, was in der Leidensgeschichte folgt, noch viel wunderbarer und größer. Ich will es Ihnen einfach zurufen: Was ihre Not ist, ihre Ausweglosigkeit, ihre Verzweiflung, wo niemand sie mehr trösten kann. So wie Maria es erlebt hat: Jesus ist die Auferstehung und das Leben.
Darum gibt es für sie nichts mehr auf dieser Welt, was sie erschrecken kann oder was wichtiger sein könnte, als bloß noch die Füße Jesu zu fassen und zu danken. Und das ist ihr wichtig, und das bewegt sie.
Die Aktualität des Ärgernisses und die Grenzen menschlichen Wollens
Wie gesagt, da scheiden sich die Geister, und das Ärgernis muss sein. Das zeigt sich durch die Jahrhunderte hindurch bis hinein in unsere Zeit. Heute wird das Thema wieder sehr groß diskutiert. Da kommen ganz kluge Leute und sagen: „Ja, wir müssen uns doch auch für die Gerechtigkeit der Welt einsetzen.“
Bitte machen Sie es doch, machen Sie es doch. Sie können doch in Jugoslawien Frieden stiften. Wenn ich heute die kirchliche Verkündigung ansehe, dann höre ich von Frieden, Weltfrieden, von Bewahrung der Schöpfung und all den großen Weltproblemen.
Dabei bin ich unfähig, schon in einer zerbrochenen Ehe das Friedenswort zu sprechen. Ich bin schon unfähig, bei mir im Leben, wenn das Böse mächtig ist, etwas zurückzudrängen. Merken Sie, wie schwach wir sind? Was ist das für eine komische Sache, dass wir uns manchmal so überheben mit unserem Wollen?
Das ist gut gemeint, das ist doch auch wichtig. Jesus sagt ja auch: „Arme habt, ihr tut’s doch.“ Jesus ist doch nicht dagegen, ich bin da auch nicht dagegen, wenn einer den Weltfrieden herbringt. Tut’s doch, kümmert euch doch! Wir wollen doch alle, wir sind doch als Bürger tätig.
Aber Maria hat etwas ganz anderes gemerkt. Jesus kann, und da, wo sie nicht mehr weiterkann, steht sie staunend und dankbar da. Sehen Sie das Größte, was wir der Welt verkündigen können: Jesus ist gekommen, um die Werke des Teufels zu zerstören. Und in seinem Namen können wir viel tun.
Wir wollen der Welt verkünden, dass Jesus Gerechtigkeit wirkt – eine ganz neue und völlige. Wer zu ihm kommt, der hat das Leben.
Das Bild des Parfüms und der Wohlgeruch des Lebens
Braucht Jesus Parfüm? Nein, es wird nicht berichtet, dass Jesus irgendwo Parfüm benutzt hätte. Damals gab es Parfüm, aber das Ganze wird zu einem wunderbaren Bild.
Ein Gebrauchsartikel wie Parfüm ist wirklich schade, denn nach einiger Zeit ist es einfach weg. Es verdampft und ist nicht mehr da. Darum ist es ein herrliches Bild, wenn Jesus ein Glas Parfüm bekommt. Das bleibt bestehen, selbst wenn mein Leib in der Totenkruft liegt. Dieser herrliche Duft begleitet mich weiter.
Im Neuen Testament kommt dieses Bild mehrmals vor: Jesus mag es, wenn wir einen guten Geruch verbreiten, einen Wohlgeruch. Paulus greift dieses Bild immer wieder auf. Er beschreibt, wie man einen harmonischen und angenehmen Duft „schmecken“ kann. So soll durch unser Leben eine angenehme Harmonie und ein herrlicher Duft verbreitet werden.
Das wünsche ich mir sehr: dass wir einen Wohlgeruch verbreiten können, der das ganze Haus erfüllt. Normalerweise stoßen die Leute sich nur an den üblen Ausdünstungen, die wir verbreiten. Das ärgert sie. Umso wichtiger ist es, dass wir ein Wohlgeruch werden.
Watchman Nee, der bekannte chinesische Märtyrer, schrieb einmal in einem seiner Bücher: Das Alabasterglas muss erst zerbrochen werden, bevor sein Duft sich ausbreiten kann. Das möchte ich zum Schluss noch sagen.
Erst wenn unser Leben zerbrochen ist – und das geschieht meist durch Lebensschicksale – legen wir unsere Ichsucht unter das Kreuz Jesu. Dann sagen wir nicht mehr: „Was ich will“, sondern: „Was er will.“ Wenn die Liebe zu Jesus größer wird als alles andere, erst dann kann dieser herrliche Wohlgeruch sich ausbreiten und ein Duft von unserem Leben ausgehen.
Ja, das wünschen wir uns, und das soll geschehen, wenn das Alabasterglas zerbrochen ist. Daran hat Jesus Interesse. Dazu gebraucht er uns auch, damit durch unser Reden, unser Tun, unser Leben und durch all das, was wir besitzen, Gutes, Schönes und herrliche Düfte durch diese Welt ziehen.
Nicht das Haben, das „Ich“ und „Mein“ sollen im Vordergrund stehen, sondern dass alles zur Ehre Jesu wird. Viele Christen verstehen das als eine Pflicht und meinen, sie müssten sich dazu zwingen. Sie haben es gar nicht begriffen.
Wenn man die Liebe Jesu entdeckt hat – wie bei Maria – wird eine Gegenliebe erweckt. Dann muss man aus Dankbarkeit einfach so weiterleben.
Die Wurzel großer sozialer Taten und der Aufruf zur Liebe
Jetzt muss ich Sie darauf aufmerksam machen: Alle großen sozialen Taten, die in der Christenheit zu rühmen sind – sei es Franz von Assisi, Eva von Thiele-Winkler oder Friedrich von Bodelschwing – sind alle aus derselben Wurzel geboren worden.
Bei Friedrich von Bodelschwing starben alle vier seiner Kinder innerhalb von vier Wochen. Er saß ohne Kinder am Grab seiner Kinder in Delwig. Dann sagte er: „Das Leben ist so furchtbar traurig. Es gibt nur einen Punkt, an dem man Liebe spüren kann – dort, wo Jesus für mich stirbt.“ Danach ging er nach Bethel.
Das ist der gute Duft, bei dem die Liebe Jesu unser Leben umwandelt und verändert. Was will Jesus bei Ihnen erst in Bewegung setzen, damit Sie ein Wohlgeruch werden für Ihre Umgebung, für die Menschen, denen Sie begegnen?
Was wäre das, wenn wir als Gemeinde so gesetzt wären? Dann müssten wir auch keine teuren Einkäufe im Drogeriemarkt machen, sondern ganz schlicht unser Leben in Liebe und Dankbarkeit verströmen.
Die Passionstage, die jetzt vor uns liegen, sind keine traurigen Gedenktage, keine Tage der Schuld und des Versagens. Vielmehr sind es Gedenktage, an denen uns die Größe und Macht der Liebe, die Jesus uns schenkt und gibt, nur noch deutlicher wird.
