Einleitung: Die Frage nach der eigenen Identität
Ja, das scheint wirklich ein netter Kerl gewesen zu sein, oder? Ich weiß nicht, ob ihr mit demselben Genuss zugesehen habt, aber das war wirklich gut gespielt. Wobei ich ihn mir nicht unbedingt als Ehemann vorstellen kann. Na ja, für mich sowieso nicht, aber das müssten dann ja die Frauen beantworten. Auch als Sohn oder als Arbeitskollege stelle ich mir das nicht gerade so vor, so sollte es sein.
Wenn ich jetzt die Frage beantworten sollte, die jemand an mich stellt: „Was glaubst du, wer du bist?“, dann könnte ich das erst einmal ganz neutral und unverkrampft versuchen zu beantworten und sagen: Ich bin ein Mensch. Wahrscheinlich ist das aber nicht allein damit gemeint. Na gut, ich könnte jetzt sagen: Ich bin ein Mann. Das könnten hier heute Morgen nicht mehr alle sagen, aber so „Mensch“ – da sind wir uns ja noch einig.
Ich könnte dazu noch sagen: Ich bin Ehemann und ich bin Vater. Darüber hinaus bin ich Lehrer an einer Bibelschule, in der Bibelschule Brake. Außerdem bin ich Autor von einigen Büchern. Eine ganz wichtige Sache in meinem Leben wäre, dass ich Christ bin. Das würde ich jetzt auch noch so als Beschreibung geben.
Und da merken wir, das ist schon ein bisschen die Frage, wie wir auf so eine Frage antworten – einerseits, wie wir uns selbst definieren, andererseits, wie andere Leute uns beschreiben würden. Wir haben jetzt scheinbar neutral zugeschaut bei dem Anspiel, wie das dort aussieht.
Wenn wir den Herrn – wie hieß der jetzt? Heißblütig oder Hot oder Hot, glaube ich – wenn wir den selbst fragen würden, dann würde er sich wahrscheinlich für ganz in Ordnung halten. Zwischendurch hat er auch mal gesagt: „Wieso sind die anderen alle so nervig?“ Jetzt sind wir dabei und haben auch mal gesehen, wie er sich verhält. Aus der Sicht der anderen würden wir ihn eher als sehr arrogant, oberflächlich und eingebildet ansehen.
Und beides scheint irgendwie so ein bisschen zu stimmen.
Die Vielschichtigkeit des Selbstbildes
Wenn du jetzt darüber nachdenkst, wer du glaubst, dass du bist, und dich selbst einmal beschreibst – ganz ohne Angriff, einfach nur neutral – dann würden wahrscheinlich einige allgemeine Dinge herauskommen. Ähnlich wie die, die ich gerade von mir gesagt habe.
Die meisten von euch sind wahrscheinlich noch nicht verheiratet. Deshalb könntest du höchstens sagen: Ich bin ein Freund, ein Schüler, ein Angestellter oder etwas Ähnliches. Doch wenn man ein wenig tiefer gräbt und fragt: Wer bist du eigentlich? Dann wird es schon schwieriger.
Vielleicht merkst du, dass du nicht nur eine einzige Persönlichkeit hast, sondern unterschiedlich bist. Ihr kennt vielleicht die Geschichte von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, oder? Das ist eine klassische englische Kriminalgeschichte. Darin verwandelt sich jemand: Am Tag ist er ein freundlicher Doktor, und nachts wird er zum Mörder – ein Doppelcharakter.
Ich will nicht sagen, dass du genau so bist, natürlich nicht so extrem. Aber ich vermute, dass du dich in verschiedenen Situationen unterschiedlich verhältst. Wenn du mit deinen Freunden unterwegs bist, würden deine Eltern dich vielleicht nicht wiedererkennen – allein daran, wie du dich gibst, wie du sprichst und was du tust.
Manchmal würden deine Eltern möglicherweise überrascht sein, wenn sie sehen, wie du dich in der Schule oder am Arbeitsplatz verhältst. Vielleicht denken sie dann: „Was der sich zu Hause erlaubt und wie er seine Sachen nicht erledigt – hier ist er aber lieb und nett.“ Oder es ist vielleicht auch umgekehrt.
Ich glaube, bei den meisten von uns ist es so, dass wir uns je nach Situation und je nachdem, mit wem wir zu tun haben, unterschiedlich verhalten.
Nehmen wir zum Beispiel an, du hast eine Freundin – und wir sprechen hier aus männlicher Sicht. Natürlich versuchst du, ihr auf eine bestimmte Weise zu imponieren. Da wirst du dich anders verhalten als bei jemandem, der dir gleichgültig ist.
Deshalb ist es vielleicht gar nicht so einfach, die Frage zu beantworten: Wer glaubst du, dass du bist? Die Antwort hängt immer ein bisschen davon ab, in welcher Stimmung du bist, in welcher Lebenslage du dich befindest und welchen Menschen du gerade begegnest.
Die Veränderlichkeit des Menschen im Lauf der Zeit
Und hier könnte man sogar noch sagen: Ist das so, wie schon alte griechische Philosophen gesagt haben? Sie haben einen Satz formuliert und gesagt: Du gehst nie zweimal in denselben Fluss.
Was wollten sie damit sagen? Einerseits meinten sie, wenn du wieder in den Fluss springst, ist der Fluss schon wieder ein anderer, weil das Wasser anders ist. Damit wollten sie aber auch ausdrücken, dass du selbst eigentlich nie derselbe bist. Das ist ja auch klar, denn wir alle entwickeln uns.
Erinnert ihr euch nicht, wie es vor vielleicht zehn Jahren in eurem Leben war? Ich weiß nicht, waren da manche, die Diddl gesammelt haben? Vielleicht? Oder andere, die kleine Modellautos oder Hot Wheels gesammelt haben? Vielleicht haben manche davon sogar noch etwas zu Hause im Schreibtisch oder im Schrank liegen – als Erinnerung aus der Vergangenheit. Aber na ja, das sollten nach Möglichkeit nicht zu viele Leute sehen.
Ein bisschen älter, da ist heute vielleicht eher Hello Kitty angesagt. Zumindest bei den Frauen, bei den Männern vielleicht nicht. Wenn du nachher dein Handy rausholst und da steht rosa Hello Kitty drauf, wirkt das vielleicht zumindest bei anderen Männern etwas komisch.
Was ich damit sagen will, ist: Auch wir verändern uns im Laufe der Zeit. Und wenn ihr noch einmal zehn Jahre weiter seid, träumt der eine vielleicht davon, irgendwo im Job etabliert zu sein, verheiratet oder möglicherweise mit Kindern. Der eine oder andere wird dann vielleicht auch schon tot sein. In diesen Jahren sieht die Welt wieder anders aus.
Das heißt, man könnte wieder die Frage stellen: Sag mir, wer bist du eigentlich? Bist du derjenige, der du vor zehn Jahren warst? Bist du derjenige, der du heute bist? Bist du derjenige, der du in zehn Jahren sein wirst? Bist du derjenige, der du deinen Eltern gegenüber bist, deinen Freunden gegenüber, am Arbeitsplatz, in der Schule oder hier heute Morgen beim Jugendtag?
Denn auch hier gibt es bestimmte Regeln, an die man sich halten kann oder sollte. Am Jugendtag würde man bestimmte Sachen wahrscheinlich nicht so sehr machen, aber in anderen Situationen im Leben schon.
Und hier käme es dann immer auch noch darauf an: Frage ich dich selbst oder frage ich deine Umwelt? Da gibt es so die einen von uns, die halten sich selbst für toll. Die würden das natürlich nie so sagen, das gehört ja mit zu dem Spiel dazu. Wenn du sie fragen würdest: „Hältst du mich für toll?“, dann klingt das ja eingebildet. Aber innerlich denken sie eigentlich schon: Ich bin doch eigentlich ganz in Ordnung, ich bin doch richtig cool.
Vielleicht in Bezug auf das Aussehen, die Kleidung, das Schminken, die Fähigkeiten, die Sportlichkeit oder die Schulleistungen. Schulleistungen sind eher uncool. Da könnte man höchstens als Streber angesehen werden, und das ist nicht unbedingt das Selbstbild, das man haben will. Also das vielleicht nicht.
Aber cool sein, süß sein, nett sein – so etwas. Manche Leute halten sich, wenn sie in sich hineinschauen, dafür. Und sie genießen es, auch wenn andere ihnen immer wieder den Eindruck geben und betonen: „Wie toll siehst du aus!“
Manche kommen dann und sagen: „Ich habe einen Pickel, ich habe einen richtig großen Pickel, schau mal!“ Dann schauen alle hin und sagen: „Wo ist der denn? Du siehst doch ganz in Ordnung aus, alles super! Tolle Haut, tolle Haare, tolle Figur, tolle Kleider!“ Und das genießen sie richtig zu hören, weil sie in Wirklichkeit auch so denken. Aber man hört das halt so gerne von anderen und nicht nur von sich selbst.
Es gibt also Leute, die halten sich selbst eigentlich für toll, auch wenn sie es nicht sagen. So leben sie in den Tag hinein und sind dann verärgert, wenn andere das nicht genauso sehen. Es gibt dann Konkurrenz und Auseinandersetzungen. Oder man hat keine Freundin, die vielleicht noch hübscher aussieht, oder keinen Freund, der noch cooler, sportlicher oder sonst etwas ist, damit das eigene Image nicht in Frage gestellt wird.
Die andere Seite: Selbstzweifel und Ausgrenzung
Aber ich gehe davon aus, dass das heute Morgen nicht auf alle hier Anwesenden zutrifft. Ich vermute, dass es auch einige gibt, die eher sagen würden: „Ich bin der arme Kerl“ oder „die arme Frau“ oder „ich bin jedenfalls arm dran“.
Das sagt man natürlich nicht so offen, weil man dann sein Image ja noch mehr beschädigen würde. Doch innerlich denken manche still für sich: „Ich bin wirklich mies dran, meine Situation ist schlecht, ich bin der Verlierer, ich bin hässlich.“ Vielleicht bist du äußerlich tatsächlich eher unter dem unteren Mittelmaß, was Schönheit oder Aussehen betrifft. Das gibt es ja. Es kann ja nicht jeder super hübsch sein, wie ein Cover-Girl auf einer Zeitschrift oder ein Fotomodell. Das geht einfach nicht.
Es gibt Menschen, die sind eben nicht so hübsch und empfinden sich auch nicht als besonders intelligent, angesagt oder cool. Wenn sie versuchen, etwas Lockeres zu sagen, lacht kaum jemand oder höchstens ein „Haha“. Dann weiß man: „Okay, das nächste Mal sage ich lieber nichts mehr und bin einfach nur dabei.“ Solche Leute gibt es fast in jedem Kreis, in jedem Jugendkreis, in jeder Gemeinde, in jeder Klasse – Menschen, die eher am Rand stehen und sich dessen auch bewusst sind. Sie fühlen sich nicht wirklich wohl dabei.
Es kann sogar so weit kommen, dass diese Menschen sich selbst nichts mehr zutrauen. Sie denken schon bei den kleinsten Dingen: „Das muss ja schiefgehen.“ Sie fühlen sich wie Unglücksraben. „Ich bin ein Loser, das klappt bestimmt nicht.“ Zum Beispiel wollen sie einen Nagel in die Wand schlagen und hauen sich dabei auch noch auf den Daumen.
Manchmal tragen sie selbst noch dazu bei, dass es ihnen schlecht geht. Das ist traurig und schlimm. Man macht sich selbst fertig und verschlimmert die Situation noch. Hinzu kommt, dass andere das manchmal bestätigen, indem sie einem den Eindruck vermitteln.
Stell dir vor, du spielst Volleyball und es gibt jemanden, der nie den Ball trifft. Dann heißt es: „Hey, was ist denn hier los?“ Und beim Abzählen wird diese Person immer als Letztes ausgewählt: „Komm, ich nehme dich und dich und dich und dich und dich.“ Und dann steht da noch jemand, den man auch noch nehmen muss.
Natürlich fühlt sich dieserjenige dann nicht gerade ermutigt, schön oder toll. Manchmal können sie es wirklich nicht so gut und treffen den Ball tatsächlich selten. Aber aus der Sicht der betroffenen Person fühlt es sich so an, als sei sie der Verlierer, der Arme, dem es nicht gut geht.
Viele wollen gerne anders sein, doch es gibt auch Menschen, die fühlen sich mit dieser Rolle eigentlich wohl. Vielleicht kannst du dir das nicht vorstellen, aber es gibt Leute, die fühlen sich in der „Loserrolle“ wohl. Wenn man diese Rolle richtig spielt und zu den richtigen Leuten gehört, kann man dadurch auch eine gewisse Anerkennung oder Fürsorge bekommen.
Die Rolle des Mitleids und der Anerkennung
Kennt ihr zum Beispiel denjenigen, der immer, wenn du ihn auf etwas ansprichst, irgendein Problem oder eine Schwierigkeit hat? Was er in Wirklichkeit aber nur will, ist, dass du ihn in den Arm nimmst und sagst: „Ach du Armer, dir geht es ja so schlecht. Komm, ich lade dich ein, ich tröste dich, und so schlimm ist es ja gar nicht.“ Falls du noch nicht auf diese Idee gekommen bist, kannst du es mal ausprobieren. Es funktioniert in manchen Fällen.
Oder du kommst zu deiner Freundin, mit der du jetzt befreundet bist, und erzählst ihr: „Mein Freund war so böse zu mir, er hat mich richtig beleidigt.“ Wenn es eine nette Freundin ist, sagt sie: „Oh, du Armer, was für ein gemeiner Kerl das ist.“ Ob du etwas falsch gemacht hast oder nicht, sagt die nette Freundin meistens nicht. Aber du hast schon mal ein paar Streicheleinheiten bekommen, die dir dein Freund vielleicht nicht gegeben hat – oder deine Freundin. Solche Typen gibt es also auch.
Dann haben wir den, der denkt, er ist der Supermann oder die Superfrau. Denjenigen, der denkt: „Ich schaffe ja gar nichts, mir geht es total schlecht“ und darunter leidet. Dann gibt es denjenigen, der sagt: „Ich bin der Loser“, sich aber eigentlich wohl dabei fühlt, weil er dadurch auch Anerkennung bekommt.
Ich glaube, es gibt auch noch eine vierte Gruppe von Leuten. Heute Morgen sitzen sicherlich einige dabei, die sagen: „Ich weiß eigentlich gar nicht genau, wer ich bin.“ Sie sind selbst wie vor einem Rätsel. Jeden Morgen, wenn sie aufstehen und in den Spiegel schauen, denken sie: „Wer ist das, der mich anschaut? Wer bin ich eigentlich?“ Das kann zu einer Identitätskrise führen.
Manche Leute besuchen dann einen Psychiater, legen sich dort irgendwo auf die Couch. Der fragt dann auch: „Wer bist du?“ Dann kommen frühkindliche Erinnerungen, und es heißt: „Ich habe geträumt, ich bin ein Schmetterling.“ Dann sagt der Psychiater: „In dir schlummert ein Schmetterling“ – und so weiter und so fort. Solche Leute gibt es auch.
Es ist immer gut, wenn solch eine Phase nicht zu lange dauert. Sonst kann man tatsächlich sehr durcheinanderkommen und nicht mehr wissen, an welchem Platz man eigentlich gehört.
Selbstbild und Fremdbild: Die Diskrepanz
Egal, zu welcher Gruppe du gehörst – das ist nur ein Teil der ganzen Geschichte. Es ist nämlich das, was du als Selbstbild von dir hast.
Jetzt müssten wir nochmal alles durchgehen: Wie siehst du aus in den Augen deiner Freunde, deiner Nachbarn, der Leute in der Gemeinde oder deiner Eltern? Wahrscheinlich würden wir auch hier ganz unterschiedliche Antworten finden. Und diese müssen ja nicht alle geheuchelt sein.
Wenn ich jetzt böse wäre, könnte ich sagen: Du Heuchler, du bist ja gar nicht echt, du spielst den Leuten etwas vor. Wobei das nur zum Teil stimmt. Zum Teil möchte ich das tatsächlich so sagen, und ich würde schätzen, dass es bei vielen auch so ist, wenn ich es ihnen direkt ins Gesicht sage.
In bestimmten Situationen heuchelst du. Du spielst anderen Leuten etwas vor, weil du genau weißt, was sie gerne hören wollen. Das ist ja klar.
Nehmen wir mal an, du triffst dich abends mit Freunden, gehst auf eine Party und willst richtig einen draufmachen. Deine Eltern fragen dich vorher: „Wo gehst du denn heute Abend hin?“ Was erzählst du ihnen?
Vielleicht hast du ja coole Eltern, die sagen: „Och, ich komme mit, und wir heben zusammen ein und trinken mal richtig.“ Ich weiß nicht, ob das bei diesen Fans vielleicht cool ist, aber vielleicht ist das nicht ganz das, was Eltern eigentlich tun sollten.
Auch wenn du es nicht gerne hören willst: Eigentlich ist es für die Eltern gut, wenn sie darauf achten und sagen: „Pass auf, wen du da triffst, pass auf, trink nicht – entweder gar nicht oder nicht zu viel, am besten gar nicht, aber auf jeden Fall nicht zu viel.“ Wenn du das wirklich tun willst, wirst du deinen Eltern das vorher so nicht sagen.
Oder würdest du deinen Eltern alles zeigen, was du auf Facebook gepostet hast? Ich glaube, auch da würdest du wahrscheinlich, wenn deine Eltern fragen: „Ja, was machst du mit Facebook? Was schreibst du so viele SMS?“ eher eine etwas unverbindlichere Antwort geben, als wenn du allein mit deiner Freundin, deinem Freund oder sonst wem zusammen bist.
Ich glaube schon, wir alle als Menschen neigen manchmal dazu, wenn wir es für angebracht halten, auch ein Doppelleben zu führen.
Alltägliche Beispiele für Vorspiel und Heuchelei
Oder kennt ihr das, wenn ihr etwas nicht gemacht habt, weil jetzt alle hier so lieb und nett sind? Das gehört ja auch dazu: Jugendtag, Gemeinde – das ist etwas ganz anderes als andere Veranstaltungen. Aber wie sieht das zum Beispiel aus, wenn du keine Lust auf die Hausaufgaben hast, während du noch zur Schule gehst?
Sonst musst du jetzt in der Vergangenheit kramen. Dann kommst du zur Schule und was sagst du dem Lehrer? „Ich hatte keine Lust auf die Hausaufgaben, diese blöden Aufgaben bringen sowieso nichts, und ich brauche das alles nicht.“ Redest du wirklich so mit dem Lehrer?
Gut, du kannst es einmal probieren, aber meistens merkst du, dass das nicht so gut ankommt. Viel eher kommt die Masche: „Ich habe das total vergessen“ oder „Mein Hund hat das Aufgabenheft gefressen“ oder „Meine Schwester hat das in ihrem Ranzen gehabt“ oder eine ähnliche Geschichte. Das wird möglichst noch eindringlich mit flehenden Augen vorgetragen, vielleicht rollen sogar ein paar Tränen herunter.
Und sobald das gemacht ist, wird wieder auf dem Kasten geklappt: „Wieder einmal nicht geschrieben, Aufgabe.“
Ich weiß, manchmal sind das natürlich die anderen, die so etwas machen – also ihr natürlich nicht, ihr seht ja alle lieb und anständig aus und so. Aber wenn die Frage ist: „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“, dann ist auch die Frage: Wer bist du wirklich? Wo spielst du etwas vor? Wo heuchelst du möglicherweise anderen Menschen gegenüber, um selbst etwas davon zu haben – Anerkennung, ein Ziel zu erreichen, nicht fertig gemacht zu werden, weniger Arbeit zu haben oder Ähnliches?
Der Einfluss der Umgebung auf das Selbstbild
Und zum Teil, wenn ich die Frage stelle, wer du bist, dann geht es nicht nur darum, was du anderen vorspielst. Dahinter steckt auch ein bisschen die Erkenntnis, dass du von vielen verschiedenen Leuten beeinflusst wirst. Das wollen übrigens die wenigsten hören.
Wenn du mit jemandem sprichst, versuch danach mal, das Gleiche zu deinem Nachbarn zu sagen: „So wie du aussiehst, bist du doch nur von anderen beeinflusst.“ Ich glaube, die meisten werden dann sagen: „Das stimmt gar nicht, ich mag das so.“ So läuft es zumindest bei allen Leuten, die ich bisher gefragt habe.
Vor einiger Zeit war ich in der Stadt unterwegs und sprach mit ein paar Leuten, die ziemlich voll gepierct waren – überall Ohren, Nase, Lider voll mit Schmuck. Als ich einer Person dann sagte: „Hey, das machst du nur, weil du in der Szene bist“, kam als Antwort: „Oh nein, ich mag das wirklich so!“ Dann meinte ich: „Das hast du dir doch schon wieder eingefangen, das tut dir weh, es blutet ja nicht und so.“ Aber die Person beharrte darauf: „Ja, ich mag das.“
Doch eigentlich mag sie das nicht wirklich, sondern tut es, weil sie in der Szene drin ist. Und das ist bei ganz vielen Dingen so. Glaubt nicht, dass ihr wirklich ganz allein so originell seid und auf originelle Ideen kommt. Es ist doch vollkommen klar: Ihr seid alle beeinflusst durch eure Umgebung.
Ein Stück weit müsste die Antwort auf die Frage „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“ also lauten: „Ich bin das Produkt meiner Umgebung.“ Das klingt zwar nicht ganz so selbständig, individuell und autonom, aber ein Stück weit stimmt das.
Und das muss ja auch gar nicht schlecht sein. Wenn die Umgebung dich positiv prägt, bist du ein Stück weit so, wie du bist, auch durch deine Gene. Dafür sind deine Eltern mitverantwortlich. Man kann sagen, man ist ihnen dankbar oder auch nicht. Vielleicht sagt eine junge Frau: „Mama, du hast auch Pickel, ich habe jetzt auch welche. Ich habe die Gene von dir, du bist schuld, dass ich jetzt Pickel habe.“ Oder es geht um Krampfadern. Die Männer sagen vielleicht: „Papa, warum bist du nicht muskulöser? Ich habe die Muskeln von dir. Ich trainiere schon immer im Fitnessstudio, aber die Muskeln kommen einfach nicht. Du bist schuld.“
Klar, genetisch sind wir alle von unserer Umgebung, von unseren Eltern und Vorfahren bestimmt. Darüber hinaus prägt uns auch die Erziehung, die hoffentlich erfolgreich war. Eure Eltern haben sich bemüht, euch bestimmte Eigenschaften anzuerziehen. Vielleicht haben sie euch beigebracht, das Zimmer aufzuräumen, zuhause mitanzupacken oder nett zu anderen Leuten zu sein. Was auch immer eure Eltern stark betont haben – das prägt euch.
Aber du bist auch immer ein Kind deiner Zeit. Das, was du durch Medien mitbekommst, was du in der Schule lernst und was du durch deinen Freundeskreis erfährst, prägt dich ebenfalls. Deshalb sind wir nicht vollkommen losgelöst und selbständig, sondern immer auch ein bisschen das Produkt unserer Umgebung.
Das kann positiv sein, wenn du in einer guten Umgebung bist. Es kann aber auch problematisch sein, wenn du viel mit Leuten zusammen bist, die in dir Dinge fördern, die eigentlich nicht gut sind.
Die Herausforderung der Selbstwahrnehmung und der Selbsterkenntnis
Und jetzt merken wir, wie schwierig das ist. Wir versuchen, eine objektive Antwort darauf zu geben: Was glaubst du eigentlich, wer du bist?
Wenn ich das so betone, schwingt dabei noch etwas ganz anderes mit. Es geht dann nicht nur darum, herauszufinden, wer ich wirklich bin – das wäre ja eine äußerst spannende Frage – sondern dahinter steckt auch der Gedanke: Was bildest du dir eigentlich ein?
Manche Leute tun etwas Peinliches, ohne es zu wissen, oder sind unfreundlich, ohne es zu merken. Ihnen möchte man gerne so etwas sagen. Das wurde ja insbesondere in dem Sketch gerade aufgegriffen. Da macht jemand etwas, denkt sich gar nichts Besonderes dabei, meint sogar, das sei sein persönliches Recht. Dann fragt man nicht so sehr: Was denkst du eigentlich? Oder: Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Sondern eher: Was denkst du eigentlich, wer du bist? – mit der Betonung auf „Was bildest du dir ein?“ oder „Was fällt dir eigentlich ein?“
Wir würden das vielleicht von einer anderen Person akzeptieren, aber von dieser Person nicht. Denn wir meinen, der hat ja gar kein Recht dazu.
Zum Beispiel: Wenn dein Arbeitgeber dir sagt: „Du hast aber schlampig gearbeitet“, würdest du dich vielleicht ärgern, aber sagen: „Okay, der kennt sich aus, das stimmt vielleicht.“ Hingegen, wenn dein jüngerer Bruder oder deine jüngere Schwester am Arbeitsplatz vorbeikommt und sagt: „Hey, du hast aber schlampig gearbeitet“, obwohl er gar keine Ahnung davon hat, würdest du eher sagen: „Was denkst du eigentlich, wer du bist? Meinst du, dass du mein Chef bist?“ Eben nicht.
So käme das eher heraus.
Und das gibt es tatsächlich. Es gibt Leute, bei denen man sich denkt: „Hey, was bildest du dir eigentlich ein? Du denkst viel mehr von dir, als du eigentlich wirklich bist.“ Das Problematische ist, dass manche Menschen das nicht mal merken.
Zugegebenermaßen fällt uns das meistens auch erst beim anderen auf, oder? Oder bist du schon mal aus einer Situation herausgegangen und hast gedacht: „Was denke ich eigentlich, wer ich bin? Wie gemein ich gewesen bin?“ Ja, das mag man nicht so gerne. Wenn man das tut, verändert man sich hoffentlich. Aber häufig merken es eher die anderen.
Und wenn die dann irgendwas sagen, denkt man umgekehrt: „Was nörgelt der denn so? Was hat die denn eigentlich? Das war doch gar nicht so schlimm.“
Biblische Beispiele für Selbstwahrnehmung und Demut
Und von solchen Leuten finden wir auch etwas in der Bibel. Ich möchte euch zwei Geschichten vorlesen, eine aus dem Neuen und eine aus dem Alten Testament. Die erste Geschichte könnt ihr gerne mitlesen, wenn ihr eure Bibel dabei habt. Sie steht im Lukasevangelium, Lukas 18, Vers 9. Dort haben wir jemanden, bei dem es mir fast auf der Zunge liegt zu sagen: Was denkst du eigentlich, wer du bist?
Ich lese euch das mal vor: Lukas 18, Vers 9: "Er sagte aber auch zu etlichen, die auf sich selbst vertrauten, dass sie gerecht seien, und die übrigen verachteten." Dieses Gleichnis richtet sich also an Leute, die von sich selbst überzeugt sind, dass sie gerecht sind, und andere verachten.
Jesus spricht hier zu seinen Zuhörern und sagt, einige von ihnen sind eingebildete Typen, die denken: Eigentlich bin ich doch ganz gut. Eigentlich müsste man doch alle auf mich schauen und sagen: Ach, seht, wer da kommt. Vielleicht müssten sie sogar vor mir auf die Knie fallen, wenn ich komme. Oder ich könnte es so machen wie der Papst: Wenn er kommt, strecken die Leute den Ring hin und sagen: Hier, küsse den Ring! Das wäre auch eine Möglichkeit.
Man könnte sagen: So etwas bildet er sich ein – alle müssten auf ihn schauen. Dann erzählt Jesus, dass zwei Menschen zum Tempel gingen, um zu beten. Der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Geübte Bibelleser ahnen jetzt schon, dass der Pharisäer als schlechter dargestellt wird, denn die Pharisäer waren meistens die Gegner Jesu. Jesus will hier aber etwas deutlich machen, das auch für Menschen gilt, die keine Pharisäer sind.
Falls ihr heute Morgen also sagt: "Pharisäer bin ich nicht, zu der Partei gehöre ich nicht", könnt ihr trotzdem weiter zuhören. Jesus beschreibt hier einen bestimmten Menschentyp und nicht eine religiöse Gruppe aus der Zeit des Neuen Testaments. Ihr wisst ja, damals war das eine religiöse Gruppe unter den Juden, die intensiv die Bibel studierten und manchmal sehr fromm waren. Sie stritten sich oft mit den Sadduzäern, einer anderen Gruppe.
Diese beiden Menschen gingen nun zum Tempel. Ihr wisst auch, warum man "hinauf" sagt: Jerusalem liegt etwas tiefer, und der Tempel steht auf einer großen Plattform. Man geht dort Treppenstufen hinauf. In den Psalmen gibt es sogar Lieder, die gesungen wurden, wenn man auf den verschiedenen Stufen zum Tempel hinaufging.
Also gingen die beiden Menschen hoch zum Tempel, um zu beten: der Pharisäer und der Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und betete bei sich selbst: "O Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen – Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal die Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme."
Der Zöllner aber stand von ferne und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben. Stattdessen schlug er an seine Brust und sprach: "O Gott, sei mir Sünder gnädig!"
Jesus sagt dazu: "Ich sage euch, dieser ging gerechtfertigt in sein Haus hinab, im Gegensatz zu jenem. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, wer aber sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden."
Das ist eine typische Geschichte, fast wie in dem Anspiel, das wir dort gesehen haben. Natürlich übertreibt Jesus in dem Gleichnis, damit wir deutlich sehen, worum es geht. Heute Morgen sind alle angesprochen, die eher gut von sich denken. Das trifft nicht alle im gleichen Maße, aber die, die gut von sich denken, müssten sich jetzt eigentlich ein Stück weit mit den Pharisäern identifizieren.
Das muss ja gar nicht so schlimm sein wie hier. Aber es kann sein, dass du dich in deiner Gemeinde oder in deiner Umgebung so fühlst: Wenn alle wüssten, was der gemacht oder gesagt hat, oder wen ich da in der Stadt gesehen habe, dann bin ich eigentlich ganz gut.
Das wäre die religiöse Variante: Derjenige, der sich für besonders gut hält, vielleicht mit großem Selbstbewusstsein durch die Innenstadt der Stadt geht, in der du wohnst, sieht die Penner, die Alkis und all die Leute, die so herumhängen, und denkt sich: "Ah, die sind nicht gut drauf, und gut, dass ich viel besser bin."
Das kann ja sogar sein. Hier wird nicht in Frage gestellt, dass das, was der Pharisäer sagt, falsch ist. Jesus sagt an keiner Stelle, dass der Pharisäer nicht gefastet hat, nicht gespendet hat oder nicht in den Tempel gegangen ist. Es steht auch nicht, dass er heimlich etwas Falsches getan hat. Scheinbar stimmt das, was er sagt: Er war wirklich besser und moralischer als der Zöllner.
Was Jesus hier aber deutlich machen will – und das sagt er auch später –, ist: Selbst wenn du perfekt wärst, ist es vollkommen falsch, das an die große Glocke zu hängen, sich etwas darauf einzubilden, sich als besser darzustellen oder anderen überheblich gegenüberzutreten. All das wird hier stark verurteilt.
Warum? Weil du im Vergleich zu Gott trotzdem schlecht abschneidest. Wenn jemand neben dir stünde, der noch frömmer lebt, wärst du derjenige, der als Verlierer dasteht. Und wir wissen alle, wenn wir ehrlich sind – und ich hoffe, ihr seid ehrlich zu euch – dass perfekt niemand von uns ist. Es ist immer eine Sache des Vergleichs.
Ehrlicherweise vergleichen wir uns meistens mit jemandem, der schlechter abschneidet, zumindest in dieser Hinsicht. Das liegt in uns Menschen. Wenn wir zeigen wollen, dass wir etwas sind, schauen wir nicht auf jemanden, der noch frömmer ist, mehr in der Bibel liest, mehr Traktate verteilt oder häufiger in Gottesdiensten ist. Stattdessen vergleichen wir uns mit denen, die schlechter dastehen.
Kennt ihr das vielleicht noch aus der Schule? Eure Eltern fragen: "Hast du abgeschrieben?" Und irgendwann gestehst du es ein. Die typische Antwort lautet dann: "Ja, das tun aber alle, und ich tue es am wenigsten."
Wenn du wüsstest: Meine Nachbarin Céline schreibt bei jeder Arbeit ab, sonst würde sie keine Note mehr bekommen. Ich mache das nur in Mathe. Schon stehst du besser da.
Dann merken wir, dass das vielleicht sogar stimmt. Aber generell sich über andere zu stellen und sich etwas auf sich einzubilden, wird hier kritisch betrachtet. Vor dem Maßstab Gottes schneiden wir alle schlecht ab.
Es soll hier natürlich nicht derjenige gemeint sein, der etwas nur vorspielt. Der Zöllner hat kein großes Publikum. Ihr dürft euch das nicht vorstellen wie ein Gebet in der Gemeinde, wo jemand aufsteht und sagt: "Ich bin der große Sünder, schaut auf mich herab." Vielleicht will der dann Beifall bekommen und bewundert werden, wie ehrlich er ist. Solche Leute habe ich auch schon erlebt.
Manche Menschen genießen es, vor anderen damit zu prahlen, wie böse sie gewesen sind. Vielleicht kennt ihr solche Typen auch. Bei manchen Deutschen hat man den Eindruck, dass es ähnlich ist, wenn es um den Nationalsozialismus geht. Sie sagen: "Wir Deutschen sind die Schlimmsten überhaupt und haben ganz Schlimmes getan." Obwohl sie meistens gar nicht beteiligt waren, fühlen sie sich wohl dabei, sich so negativ darzustellen. Natürlich in der Hoffnung, dass dann Zuspruch kommt: "So schlimm bist du ja gar nicht."
Das geht beim Zöllner nicht. Er steht irgendwo in einer Ecke. Wenn ihr mal auf dem Tempelberg in Jerusalem wart, wisst ihr, dass dort tausend, zweitausend oder dreitausend Leute stehen können. Da fällt so ein einzelner kaum auf. Er steht nicht vorne oder an einer sichtbaren Ecke, sondern irgendwo versteckt.
Jesus beschreibt hier jemanden, der innerlich ganz klar weiß: Ich bin vor Gott schuldig. Ich bin auch vor anderen schuldig. Mein Leben läuft nicht so, wie es nach Gottes Maßstäben laufen sollte. Das sagt Gott. Und Jesus nimmt das als Beispiel.
Jesus wünscht sich nicht, dass du anderen etwas vorspielst oder dich auf das kleine bisschen Frömmigkeit, das du hast, etwas einbildest. Das ist gut, gib das nicht auf, aber nicht nach dem Motto: Wer viel sündigt, der liebt auch viel. So schreibt Paulus im Römer- und Galaterbrief, aber er sagt auch: Nein, so ist das nicht. Sündige nach Möglichkeit nicht. Wer aber schon gesündigt hat, kann es nicht rückgängig machen. Er soll es eingestehen und nicht versuchen, es zu vertuschen oder zu sagen: "Die anderen machen das ja auch" oder "So schlimm ist das nicht."
Sondern ehrlich einzugestehen – das ist, was Jesus will. Nur wenn du ehrlich eingestehst und auf die Frage "Was glaubst du, wer du bist?" antworten kannst: "Herr, ich bin ein Loser", und zwar nicht nur, weil ich vielleicht nicht hübsch aussehe, nicht den besten Job oder das größte Auto habe, sondern weil ich weiß, dass ich Gott gegenüber schuldig bin und seinem Anspruch nicht genüge.
Und das nicht nur als theologisch auswendig gelernte Wahrheit aus der Sonntagsschule, sondern aus innerer Betroffenheit heraus. Es stimmt tatsächlich. Es ist kein Satz, den ich irgendwo sage, sondern es ist wirklich so: Ich bin schuldig vor Gott.
Ich will das auch nicht wegerklären oder mich nur als normal hinstellen, weil es alle anderen genauso machen. Ich will das Gott gegenüber sagen und bekennen.
Manchmal gibt es im Leben seltene Augenblicke, in denen Gott einem die Augen öffnet über das, was wir wirklich sind. Häufig ist unsere Vorstellung von uns selbst gemischt durch das, was ich gesagt habe: durch die Erwartungen, den Zuspruch anderer, durch unser Selbstbild und das, was wir gerne sein wollen und aufrechterhalten.
Aber manchmal schüttelt Gott uns durch. Dann trifft es uns ins Herz. Wir hören es bei anderen Menschen, lesen es in der Bibel, sind im Gebet vor Gott oder ganz allein. Vielleicht haben dich deine Freunde mal allein gelassen. Du sitzt da, Facebook läuft nicht, der Fernseher funktioniert nicht, das Handy ist aus, und plötzlich kommt die tiefe Selbsterkenntnis: Wer bin ich eigentlich?
Dann kommst du zum Bewusstsein: So toll bist du nicht. Vielleicht nicht in den Augen deiner Freunde, aber in Gottes Augen bist du eigentlich nicht so toll. Das ist die Erkenntnis, die Jesus hier lobt.
Nicht das Falsche, das der Zöllner getan hat, ist gut. Falsch bleibt falsch. Aber diese Selbsterkenntnis, diese Bereitschaft, sich selbst mit den Augen Gottes zu sehen und ehrlich zu erkennen, wo die dunklen Ecken und schwarzen Punkte sind, die wir anderen nicht zeigen wollen, das ist wichtig.
Wo sind diese Stellen? Und da braucht es eine ehrliche Antwort auf die Frage: Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Die brauchen wir alle.
Vielfach ist das die Voraussetzung, um überhaupt Christen zu werden. Christ zu werden heißt nicht nur, in einer Evangelisation die Hand zu heben, sondern sich zu bekehren heißt, Jesus Christus gegenüber die eigene Schuld zu bekennen und um Vergebung zu bitten.
Und ehe ich um Vergebung bitte, muss mir erst mal klar sein: Wer bin ich eigentlich? Meistens sehen wir das erst, wenn wir uns im Licht Gottes anschauen.
Wenn Gott uns zeigt, wie er das Optimum vorstellt, klappt es nicht mehr, zu sagen: "Die anderen schreiben ja auch ab." Dann bist du plötzlich mit einem Optimum verglichen.
Nehmen wir als Bild die Farbe Schwarz: Wie erkennt man Schwarz am besten? Indem man es auf etwas weniger Schwarzem malt, zum Beispiel auf Grau. Schwarz fällt am meisten auf, wenn es auf Weiß ist. Wenn an einer weißen Wand ein schwarzer Klecks wäre, würde der viel mehr auffallen als ein kleiner schwarzer Punkt, den kaum jemand sieht.
Genauso ist es mit der Sünde und dem Bösen. Erst in der Gegenwart Gottes wird uns richtig deutlich, wer wir sind. Dann spielen Verkleiden, Vorspielen, Heucheln oder die Vielfalt unseres Lebens keine große Rolle mehr. Da sind wir so, wie wir wirklich sind – vor Gott.
Und das ist es, was Jesus an dieser Stelle will.
Das Beispiel aus dem Alten Testament: Daniel und seine Freunde
Ich habe auch noch eine andere Geschichte, die ich vorlesen möchte. Dabei könnt ihr euch etwas zurücklehnen, manche können auch mitlesen, wenn ihr eure Bibel dabei habt. Es ist eine wohlbekannte Geschichte, die die meisten sicher schon einige Male gehört haben – aus dem Alten Testament, aus dem Buch Daniel.
Es ist eine etwas längere Geschichte, aber das schadet nicht. Ich lese sie vor, denn sie ist auch unterhaltsam, wenn man sie so nebenher liest. Es ist Daniel Kapitel 3. Ihr kennt ja Daniel, diesen jungen Mann – wahrscheinlich noch jünger als die meisten von euch. Er wurde von zu Hause weggebracht, nach Babylon verschleppt und sollte dort als Sklave am Hof des Königs arbeiten. Er wurde als Edelsklave intellektuell ausgebildet, sollte in der Buchführung oder ähnlichem tätig sein. So ist er nun fernab seiner Heimat, seiner Familie und Freunde und gerät stark unter Druck.
Was mich an der Geschichte von Daniel immer wieder am meisten überrascht, ist sein Rückgrat. Ich glaube, genau das ist auch hier der Fall. Eigentlich könnte man ja sagen: „Daniel, was bildest du dir eigentlich ein, wer du bist?“ Manche kennen die Geschichte: Sie beginnt damit, dass Daniel am Königshof ankommt und plötzlich nicht mehr das essen möchte, was man ihm vorsetzt. Da könnte der Verantwortliche ihm sagen: „Hey Daniel, was bildest du dir ein? Du bist hier, wir haben dich nicht umgebracht als Kriegsgefangenen, du bist nicht im Kerker, jetzt bekommst du sogar gutes Essen – und jetzt willst du das nicht mal? Was fällt dir ein?“ Und so geht es wenig später genauso weiter.
Ich lese jetzt daraus vor: König Nebukadnezar ließ ein goldenes Standbild anfertigen, sechzig Ellen hoch und sechs Ellen breit. Er stellte es in der Ebene Dura in der Provinz Babel auf. Um das vor Augen zu haben: Dieses Standbild war unübersehbar. Sechzig Ellen hoch – die meisten Bibelausleger sagen, das waren etwa dreißig Meter. Stellt euch vor, jemand schätzt, ein Gebäude sei zehn Meter hoch, hier ist es dreimal so hoch. Das ist schon ein ziemlich großes Standbild.
Allerdings ist es nur sechs Ellen breit, also etwa drei Meter. Das wirkt im Verhältnis zur Höhe ziemlich schmal. Das Standbild wurde bewusst in einer Einöde aufgebaut, in der Ebene Dura. Warum? Ganz klar, damit es noch monumentaler wirkt. Wenn man so ein 30 Meter hohes Standbild in einer Stadt zwischen Hochhäusern aufstellen würde, würde es kaum auffallen. Auf einer weiten Ebene aber, wie in Ostfriesland, wo es keine Berge gibt und man 30, 40 oder 50 Kilometer weit sehen kann, fällt so ein Standbild sofort ins Auge.
Wahrscheinlich wusste Nebukadnezar genau, wie er sich inszenieren wollte. Es steht nicht ausdrücklich da, aber es war üblich, dass babylonische Könige Standbilder von sich selbst aufstellen ließen. Diese Könige hielten am meisten von sich selbst. Niemand durfte sie fragen: „Was bildest du dir eigentlich ein, wer du bist?“ Das hätte den Kopf gekostet. Sie hielten sich für Gott oder zumindest für ihm ebenbürtig. Deshalb stellten sie ein Bild von sich auf.
Dann heißt es weiter: König Nebukadnezar versammelte die Satrapen, Vorsteher, Statthalter, Räte, Hofschranzen, Richter, Gerichtsbeamte und alle Provinzvorsteher, damit sie zur Einweihung des Bildes kämen, das er aufgestellt hatte. Sobald sie versammelt waren und vor dem Bild standen, rief der Herold mit lauter Stimme: „Das lasst euch gesagt sein, ihr Völker, Stämme und Sprachen: Sobald ihr den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Lauten, Harfen, Sackpfeifen und aller Art von Musik hört, sollt ihr niederfallen und das goldene Bild anbeten, das König Nebukadnezar aufgestellt hat. Wer aber nicht niederfällt und anbetet, der soll sofort in den glühenden Ofen geworfen werden.“
Daraufhin fielen zur bestimmten Zeit alle Völker, Stämme und Sprachen nieder und beteten das goldene Bild an, das der König aufgestellt hatte. Doch zur selben Stunde traten einige chaldäische Männer hinzu und verklagten die Juden. Sie sprachen zu König Nebukadnezar: „O König, mögest du ewig leben!“ – richtige Schleimer, nicht wahr? – „Du hast befohlen, dass jedermann beim Klang der Musik niederfällt und das goldene Bild anbetet. Wer das nicht tut, wird in den glühenden Feuerofen geworfen. Nun sind da einige jüdische Männer, die du über die Verwaltung der Provinz Babel bestellt hast: Sadrach, Mesach und Abednego. Diese Männer achten nicht auf dich, dienen deinen Göttern nicht und beten das goldene Bild nicht an, das du aufgerichtet hast.“
Da befahl Nebukadnezar mit grimmigem Zorn, dass man Sadrach, Mesach und Abednego kommen lasse. Sofort wurden sie vor den König gebracht. Nebukadnezar sprach zu ihnen: „Sadrach, Mesach und Abednego, geschieht es vorsätzlich, dass ihr meinen Göttern nicht dient und das goldene Bild nicht anbetet, das ich habe aufrichten lassen? Wenn ihr bereit seid, sobald ihr den Klang der Musik hört, niederzufallen und das Bild anzubeten, dann ist es gut. Wenn ihr es aber nicht anbetet, werdet ihr sofort in den glühenden Feuerofen geworfen. Und wer ist der Gott, der euch aus meiner Hand erretten könnte?“
Sadrach, Mesach und Abednego antworteten: „Wir brauchen dir darauf nichts zu erwidern. Wenn es so sein soll: Unser Gott, dem wir dienen, kann uns aus dem glühenden Ofen erretten. Und er wird uns bestimmt aus deiner Hand erretten, o König! Aber auch wenn er es nicht tut, so wisse, o König, dass wir deine Götter nicht dienen und das goldene Bild nicht anbeten werden, das du aufgestellt hast.“
König Nebukadnezar wurde voll Wut, und sein Gesicht veränderte sich gegen die drei Männer. Er befahl, den Ofen siebenmal heißer zu machen als sonst. Den stärksten Männern seines Heeres befahl er, Sadrach, Mesach und Abednego zu binden und in den glühenden Feuerofen zu werfen. Diese Männer wurden gebunden, mit ihren Mänteln, Beinkleidern, Turbanen und Gewändern in den Ofen geworfen.
Der Ofen war so heiß, dass die Männer, die sie hineinwarfen, durch die Flammen getötet wurden. Die drei Männer aber fielen gebunden in den glühenden Feuerofen. Da erschrak Nebukadnezar, stand auf und sprach zu seinen Räten: „Haben wir nicht drei Männer gebunden ins Feuer geworfen?“ Sie antworteten: „Gewiss, o König!“ Er sagte: „Siehe, ich sehe vier Männer mitten im Feuer frei umherwandeln, und sie sind unverletzt. Die Gestalt des Vierten gleicht einem Sohn der Götter.“
Dann trat Nebukadnezar vor die Öffnung des Ofens und rief: „Sadrach, Mesach und Abednego, Knechte Gottes des Allerhöchsten, tretet heraus und kommt her!“ Da kamen sie aus dem Feuer hervor. Die Satrapen, Vorsteher, Statthalter und Räte versammelten sich und sahen diese Männer an, deren Körper das Feuer nicht berührt hatte. Ihre Haare waren nicht versengt, ihre Kleidung unverändert, und es roch nicht einmal nach Brand an ihnen.
Nebukadnezar sprach: „Gepriesen sei der Gott von Sadrach, Mesach und Abednego, der seinen Engel gesandt und seine Knechte gerettet hat, die auf ihn vertrauten und das Gebot des Königs übertraten, weil sie keinen anderen Gott anbeten wollten als ihren Gott allein. Von mir wird eine Verordnung erlassen: Wer gegen den Gott Sadrachs, Mesachs und Abednego spricht, soll zerschlagen werden, und sein Haus soll zum Misthaufen gemacht werden. Denn es gibt keinen anderen Gott, der so retten kann wie dieser.“
Diese längere Geschichte ist vielen durchaus in Erinnerung. Neben der Rahmengeschichte hätte der König durchaus sagen können – und seine Mitarbeiter auch: „Was fällt diesen Jungs aus Judäa eigentlich ein? Sie sind schon Diener am Königshof, es geht ihnen gut, und sie müssen nur vor diesem Standbild niederfallen, wie alle anderen auch. Wir tun das ja schließlich auch.“ Aber sie tun es nicht. Deshalb schwärzen sie die beim König an.
Scheinbar war die Volksmenge an der Ebene so groß, dass es nicht auffiel, dass Daniel und seine beiden Freunde nicht niederfielen. Der König merkte es nicht. Erst als diese Leute kamen und petzten, wurde es ihm klar. Er holte sie her und sagte: „Kommt, vielleicht ist das nur ein Missverständnis. Wenn ich jetzt nochmal dem Orchester sage, dass sie spielen soll, dann werdet ihr niederfallen. Wenn nicht, was denkst du eigentlich, wer du bist, Daniel? Dann ab in den Ofen!“
Ich weiß nicht, wie ihr an so einer Stelle reagieren würdet. Ich muss zugeben: Wenn ich in mich hineinhöre, würde ich wahrscheinlich überlegen, doch niederzufallen. Es heißt ja, dieser Michael – nein, ich würde das gar nicht tun, ich würde da stehen. Kennt ihr die Geschichte? Irgendwo habe ich mal gelesen, dass eine Gemeinde versammelt war, als plötzlich vermummte Terroristen kamen und sagten: „Wir metzeln alle nieder, die an Jesus glauben.“ Danach ging die Hälfte raus, und am Ende sagten sie: „Jetzt sehen wir, wer wirklich gläubig ist.“ So läuft das hier aber nicht, das geht wirklich tödlich aus.
Ich habe mal mit Zeugen Jehovas gesprochen. Die haben auch eine gute Ausrede dafür, nicht direkt, aber indirekt. Ich fragte sie, ob Jesus Gott sei. Sie haben da ein Problem mit. Ich sagte ihnen: Als der ungläubige Thomas nach der Auferstehung vor Jesus stand, fiel er nieder und sagte: „Mein Herr und mein Gott.“ Für sie ist das ein Problem, denn Thomas durfte Jesus nach ihrer Auffassung nicht als Herr und Gott ansprechen. Sie sagen dann, Thomas kniete zwar vor Jesus, betete aber zu Gott im Himmel.
Das ist eine gute Antwort, die mir in so einer Situation gefallen würde. Dann würde ich sagen: „Okay, ich knie vor dem goldenen Standbild und sage: ‚Mein Herr und Gott‘, aber ich meine nicht das Standbild, sondern Gott, zu dem ich mich wende.“ Ihr kennt das ja ähnlich wie das Kreuzzeichen, das man macht, während man lügt, oder das Kreuzen der Finger hinter dem Rücken. Das heißt dann, es ist nicht so gemeint. Die Versuchung wäre wahrscheinlich da. Ich hoffe, ihr kommt nie in eine solche Situation.
Ich traue es mir nicht zu, aber ich bitte Gott immer wieder: Herr Jesus, gib mir Kraft, wenn ich mal wirklich in so einer Situation bin, dir treu zu bleiben und dich zu bekennen. Daniel tut das, und ich finde das erstaunlich. Denn oft – und das könnt ihr selbst überprüfen – ist die Gefahr, in der wir stehen, viel geringer, und trotzdem stehen wir nicht für Jesus ein, obwohl wir es könnten.
Zum Beispiel: Auf dem Schulhof oder am Arbeitsplatz macht jemand blöde Witze oder verspottet den Glauben. Hier bringt dich niemand um, du wirst nicht in den Feuerofen geworfen. Wie mutig stehst du da für Jesus ein? Wenn du bei Kleinigkeiten schon nicht, dann brauchst du dir nicht einzubilden, dass du es schaffst, wenn es wirklich ernst wird, vor dem goldenen Standbild zu stehen.
Die Frage ist, wie du damit umgehst, wenn die Umwelt dir Dinge einreden will. Viele denken, es sei nicht schlimm, vor der Ehe Sex zu haben. Wenn du aber sagst: „Nein, ich halte mich an die Bibel, weil ich Gott verherrlichen will“, dann ist das ein Bekenntnis. Das ist viel weniger als in den Feuerofen geworfen zu werden.
Daniel hätte man vorwerfen können: „Was bildest du dir ein, wer du bist?“ Manche Leute heute sagen das auch: „Was bildest du dir ein, wer du bist? Wir sind doch alle so.“ Unsere Gesellschaft entfernt sich immer mehr von Gottes Maßstäben. Ihr werdet öfter Konfrontationen erleben, etwa am Arbeitsplatz, wo man euch schräg anschaut, wenn ihr ehrlich seid.
Ich erinnere mich an ein Gespräch vor einiger Zeit mit jemandem, der im Küchenverkauf arbeitet. Er berichtete, dass intern anders gehandelt wird als offiziell erlaubt. Es gibt Regeln vom Europaparlament, die Wettbewerb vorschreiben, aber intern macht man das nicht. Wenn jemand nach dem Preis fragt, geben sie bewusst falsche Angebote ab, um den Wettbewerb auszuschalten. Das ist illegal, aber es wird mündlich gemacht, ohne Aufzeichnungen.
Er sagte: „Als Christ habe ich da ein Problem, ich tue etwas Unrechtmäßiges.“ Wir haben darüber lange gesprochen. Er meinte, alle machen das so. Vor ein paar Wochen sagte er mir: „Michael, Gott hat unser Gebet erhört, ich habe einen neuen Job.“ Es geht oft um solche Sachen. Wie stehst du für Jesus ein? Nicht nur, wenn Leute Jesus direkt angreifen oder über die Bibel spotten, sondern auch, wenn sie Gottes Maßstäbe lächerlich machen.
Dann ist die Frage: Wie stehst du dazu? Was machst du? Wenn andere fragen: „Was denkst du, wer du bist?“ dann solltest du sagen: „Ich bilde mir nichts auf mich ein, aber ich vertrete Gottes Position.“ Wenn du dich mit Gott anlegst, ist das dein Problem, nicht meins. Was ich dir sage, ist nicht nur meine Meinung, sondern Gottes Wort – hoffentlich in Liebe, nicht aus Selbstgerechtigkeit.
Das erinnert an Paulus, der im 2. Korintherbrief beschreibt, wie Apostel sich rühmen, was sie alles können. Paulus sagt: „Ich rühme mich meiner Schwachheit.“ Im 2. Korinther 4,7 heißt es: „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die Kraft nicht von uns, sondern von Gott sei. Denn Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
Wenn du für Jesus einstehst, nicht weil du der große Held bist, sondern weil du zu Jesus gehörst, seine Maßstäbe richtig findest und sie durchsetzt, wirst du angegriffen werden. Wie bei Daniel sind solche Angriffe ungerechtfertigt. Wenn jemand sagt: „Was bildest du dir ein, wer du bist?“ dann liegt das nicht an deiner Schwäche oder Ignoranz, sondern daran, dass Menschen merken: Gottes Maßstäbe gelten, passen aber nicht zu ihnen.
Das Beste, was viele tun, wenn sie angegriffen werden, ist, die Maßstäbe der anderen herabzuziehen: „Die anderen sind ja auch nicht besser. Ich bin mindestens so gut wie die anderen.“ Aber so sollte es nicht sein. Wir sollten eingestehen: „Ich bin schlecht, ich bin schuldig vor Gott.“ Und Gott kann uns gebrauchen, um anderen zu zeigen, dass wir anders sind – nicht weil wir uns etwas einbilden, sondern weil wir Gott vertrauen und wissen, dass seine Maßstäbe richtig sind.
Dann wirst du Konfrontationen erleben, so wie Daniel. Daniel wusste nicht, wie es ausgeht. In 99,9 Prozent der Fälle, wenn du in einen glühenden Feuerofen geworfen wirst, verbrennst du. Wir haben keine Garantie, dass es immer so ausgeht wie bei Daniel. Es kann auch schlecht für dich ausgehen. Ein junger Mann, von dem ich erzählt habe, verlor offenbar seinen Job, weil er nicht mitmachte.
Klar, manche, die sich mehr anpassen, fühlen sich in dem Moment besser. Sie sagen: „Wie blöd bist du, wie verklemmt bist du, ich weiß, wie es läuft, du hast keine Ahnung.“ Es sieht so aus, als ob du schlechter dran bist. Das kann auch so sein. Vielleicht haben andere mehr Spaß, mehr Gewinn, genießen das Leben mehr.
Bei Daniel kam es nicht so heraus, dass Gott ihm versprochen hat: „Du kannst zum König gehen, und egal was er sagt, dir passiert nichts.“ Ihr könnt es gerne probieren, ich habe es nicht probiert. Aber physikalisch: Wenn du in einen glühenden Ofen springst, wirst du verbrannt, es sei denn, du bist mit Asbest eingehüllt – was Daniel nicht war.
So kann es sein, wenn du zu Jesus stehst, dass es nicht immer gut ausgeht. Christen sind nicht immer die, denen es kurzfristig am besten geht, die reichsten sind, die schönsten Frauen heiraten oder die coolsten Männer, die die größten Häuser haben und die tollsten Urlaube. So läuft das nicht.
Es kann sein, dass du Nachteile hast, wenn du zu Jesus stehst. Die Leute denken dann: „Was bist du denn blöd? Was bildest du dir ein, wer du bist? Ich kenne die Regeln.“ Ich erinnere mich an einen selbständigen Bauunternehmer, der mir sagte, er stelle regelmäßig illegal Leute aus der Ukraine an. Ich fragte ihn nach biblischen Maßstäben, etwa, dass man den Staat nicht betrügen soll. Er antwortete: „Michael, du lebst auf einem anderen Stern. Im Baugeschäft kann man gar nicht anders.“
Solche Antworten hört man oft. Sie sagen: „Was glaubst du, wer du bist? Wir alle betrügen, und du musst das auch, sonst läuft es nicht.“ Nein, du musst nicht. Niemand zwingt dich. Die Umgebung versucht dich zu drängen, Dinge zu tun, von denen du innerlich weißt, dass sie falsch sind. Gott macht dir durch dein Gewissen und den Heiligen Geist deutlich, dass das nicht in Ordnung ist.
Dann steh dazu. Knick nicht ein, sondern nimm dir Daniel zum Vorbild. Es kann sein, dass du im übertragenen Sinne „im Ofen verbrennst“ – also Nachteile hast. Wir kommen ja nicht gleich in den Ofen, aber es kann dir schlechter gehen. Es kann aber auch sein, dass du, wie hier bei Jesus, am Ende doch keinen Nachteil hast, obwohl du am Anfang meinst, einen zu haben.
Eine neutrale theologische Antwort auf die Frage "Wer bist du?"
Wenn ich jetzt noch einmal die Frage stelle: Was glaubst du, wer du bist? Dann möchte ich dir am Ende noch einmal auf einer neutralen Ebene versuchen zu antworten.
Was glaubst du, wer du bist? Eigentlich müsste man aus theologischer Sicht, also aus der Perspektive Gottes, der die Dinge klar sieht, zuerst eine positive Antwort geben: Du bist ein Geschöpf Gottes. Freu dich darüber! Du bist so, wie Gott dich gedacht hat.
Am Ende der Schöpfung sagt Gott ja: „Und Gott sah alles an, was er gemacht hat, und siehe, es war sehr gut.“ Das ist besonders wichtig für diejenigen, die sich sonst eher als Verlierer sehen. Vielleicht sind heute Morgen auch einige hier, die das so empfinden oder zumindest Phasen haben, in denen sie sich so fühlen.
Denkt daran: Gott hat dich gewollt und gemacht, so wie du bist. Du bist ein Geschöpf Gottes, egal was sonst noch schiefläuft oder ob du lieber jemand anderes sein würdest. Du bist so, wie du bist, und Gott will dich genau so. Nimm dich an, akzeptiere das – du bist ein Geschöpf Gottes.
Das wäre der erste Punkt.
Dann müssen wir noch sagen: Gott hat dich mit zahlreichen Talenten ausgestattet. Ihr wisst das ja, im 1. Korinther 12 lesen wir das zum Beispiel. Besonders diejenigen, die gläubig sind, werden dort angesprochen. Da steht, der Heilige Geist teilt aus, wem er will. Alle Begabungen, die der Heilige Geist gibt, sollen auch in der Gemeinde eingesetzt werden.
Also: Du bist von Gott begabt. Wenn du Christ bist, bist du sogar doppelt begabt – nicht nur von Natur aus, sondern durch den Heiligen Geist, der in dich hineingekommen ist, als du gläubig wurdest. Er hat dir geistliche Gaben gegeben, die du einsetzen kannst.
Jetzt sollst du nicht in erster Linie darauf achten, ob jemand anders andere Gaben hat, die du gerne hättest. Mir ging es so – ich weiß nicht, ob ich euch das hier schon mal erzählt habe –, als ich in eurem Alter war, wollte ich unbedingt musikalisch sein.
Übrigens, besonders junge Männer imponieren den meisten Frauen, wenn sie musikalisch sind. Wenn ein junger Mann Gitarre spielt und singt, und daneben steht jemand, der nicht singt und keine Gitarre hat, dann ist klar, wer mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Aber gut, meine Wünsche waren ehrlich und rein. Ich dachte, Musik sei einfach schön. Ich habe dann drei Jahre Klavierunterricht genommen – nicht nur Gitarre, sondern auch Klavier. Und das habe ich gemacht.
Es ging auch einigermaßen gut. Wenn ich eine Woche lang geübt habe, konnte ich ein Stück spielen. Aber es gab andere, die denselben Unterricht hatten und gar nicht geübt haben, und die waren manchmal besser als ich. Das war richtig frustrierend.
Nach drei Jahren musste ich mir sagen: Michael, Gott hat dir diese Gabe nicht gegeben. Das war erst mal etwas frustrierend. Oft war ich auch neidisch auf andere, die diese Gabe hatten.
Es ging aber nicht so weit, dass ich ihnen die Sache sabotiert habe. Also ich habe das Klavier nicht verstimmt oder so. Nein, ich habe eher geschaut und gedacht: Warum, Gott, hast du mir diese Gabe nicht gegeben?
Wenn es euch auch so geht – es muss nicht Klavierspielen sein, sondern irgendetwas anderes –, dann denkt daran: Was denkst du, wer du bist?
Du bist ein Geschöpf Gottes und bist mit Begabungen beschenkt, die wichtig sind – nicht nur für dich, sondern auch für andere Menschen. Entdecke diese Begabungen, frage Gott danach und versuche nicht, jemand anders zu sein, nur weil deine Umgebung dich dazu prägt.
Sieh, wie Gott dich gemacht hat, und bringe deine Begabungen in die Gemeinde, in die Familie und in deinen Freundeskreis ein. Das kannst du auch.
Wenn du Christ bist, gilt das noch viel mehr, denn du hast durch den Heiligen Geist Begabungen, die dir nicht angeboren sind, sondern ein Geschenk Gottes sind.
Zwei positive Dinge also: Du bist ein Geschöpf Gottes, und du bist mit Begabungen beschenkt.
Die Realität der Schuld und die Notwendigkeit der Umkehr
Jetzt möchte ich auf eine weitere wichtige Wahrheit eingehen, die ich schon mehrfach erwähnt habe: Du bist nämlich auch das Opfer. Die meisten Menschen wollen das nicht sein, wirklich nicht, aber du bist das Opfer – und zwar zu Recht.
In der Bibel lesen wir deutlich, dass es einmal ein Gericht für uns alle geben wird. Dieses Gericht findet nicht hier auf der Erde statt, sondern wenn wir vor Gott stehen. Dann bist du das Opfer. Und zwar nicht, weil jemand dich unrechtmäßig fertig macht, sondern weil dann plötzlich alles klar dasteht: was du je gedacht, gesagt und getan hast.
Dann kannst du nicht mehr sagen, der andere hat das auch getan. Du musst selbst dafür gerade stehen. Und das wird keiner von uns aus eigener Kraft schaffen können. Das ist eine Wahrheit, die in der Bibel festgehalten ist. Wir sind Geschöpfe Gottes, reich beschenkt, aber trotzdem schuldig vor Gott.
Dabei geht es nicht darum, ein bisschen mehr oder weniger schuldig zu sein. Es ist wie mit Krebs: Wenn du Krebs hast, hast du Krebs. Es gibt nicht ein bisschen Krebs oder mehr Krebs. Krebs ist Krebs. Genauso ist es mit Schuld: Schuldig ist schuldig. Und dann muss man etwas tun.
Bei Krebs kannst du sagen: „Ich habe jetzt erst fünf Metastasen.“ Wenn du nichts tust, werden es mehr. Und wenn du zwanzig hast, ohne Behandlung werden es noch mehr. Ohne Behandlung stirbst du daran. Genauso wirst du an der Schuld in deinem Leben sterben, wenn du nichts dagegen unternimmst.
Vielleicht ist deine Schuld weniger, weil du anständiger bist als andere um dich herum. Vielleicht rechnest du dir sogar ein paar Punkte dafür zu, dass du heute hier am Jugendtag bist. Und ja, dafür gibt es Punkte im Himmel, aber sie genügen nicht, um zu Gott zu kommen.
Also bist auch du schuldig vor Gott. Diese Schuld musst du dir eingestehen. Du kannst dir hier auf der Erde etwas vormachen, aber spätestens wenn du vor Gott stehst, wirst du eingestehen müssen: „Ja, Gott, du hast Recht. Ich habe falsch gehandelt, falsch geredet, falsch gedacht und nicht so gelebt, wie du es wolltest.“
Das ist die Antwort, die es als letzte noch geben kann – als viertes. Auf manche von euch trifft das zu, auf manche vielleicht nicht, dass ihr sagen könnt: „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“ Und vielleicht kannst du darauf mit einer gewissen Gelassenheit antworten: „Ich bin Kind Gottes.“ Das wäre das Allerwichtigste.
Kind Gottes kannst du aber nur werden, wenn du mit Gott reinen Tisch gemacht hast. Wenn du Gott gegenüber gesagt hast, was du falsch gedacht, getan oder unterlassen hast. Es gibt manche, die sagen: „Ich habe nie etwas Falsches gemacht.“ Aber das stimmt nicht. Auch das, was du hättest tun sollen und nicht getan hast, ist falsch.
Wenn du das alles Gott gegenüber bekennst – das, was dir einfällt – und dann zu Gott sagst: „Herr Jesus, du bist dafür gestorben, vergib mir meine Schuld“, dann nennt die Bibel das Christ werden.
Christ werden hängt nicht davon ab, ein halbwegs gutes Leben zu führen, sich grob an die zehn Gebote zu halten, nicht schlimmer zu sein als andere oder vielleicht sogar etwas besser. Christ werden heißt, Gott gegenüber ehrlich zu antworten, wenn er fragt: „Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“
Dann kannst du sagen: „Ja, eigentlich bin ich der Loser, ich habe falsch gehandelt, und es tut mir leid. Vergib mir bitte, und ich will jetzt mit dir leben.“ Wenn wir das tun, können wir von Gott die Kraft bekommen, so wie Daniel im Alltag Nein zu sagen.
Nein zu sagen, wenn andere uns prägen oder manipulieren wollen, uns vorschreiben wollen, wie wir zu denken haben, welche Musik wir hören, welche Kleidung wir tragen, welche Meinungen wir haben oder wo wir Urlaub machen. Dann können wir widerstehen und sagen: „Nein, eben nicht. Ich bin Kind Gottes und habe andere Maßstäbe.“
Diese Maßstäbe sind auf Dauer viel besser. Aber das kannst du nur, wenn du Kind Gottes geworden bist. Sonst ist es ein endloser Kampf. Du bist immer nur am Kämpfen und Auseinandersetzen. Dann wird es dir so gehen, wie im Römerbrief steht: „Das Gute, das ich will, das tue ich nicht, aber das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Es ist ein ständiges Hin und Her, und irgendwann sagst du dir: „Ach, lass es doch sein. Ich werde mich gar nicht mehr nach dem Glauben richten.“ So kann es passieren, wenn du versuchst, selbst vor Gott gut dazustehen.
Dieser Tiefpunkt, dieses Eingestehen, das Öffnen der Augen für das, was du wirklich bist – das braucht jeder. Das habe ich gebraucht, als ich mit 14 Christ wurde. Und ich brauche es immer wieder, weil ich merke, dass ich auch nach dem Christwerden nicht alles richtig mache.
Dann braucht es immer wieder das Kommen zu Jesus und das Eingeständnis: „Herr Jesus, ich habe schon wieder versagt.“ Jesus will nicht, dass wir Kinder Gottes werden, weil wir perfekt sind, sondern einfach, weil er uns liebt.
Gott liebt uns, Jesus liebt uns. Deshalb will er uns nachgehen und uns ein anderes Leben ermöglichen.
Egal, an welcher Stelle du jetzt stehst – ob du dich für den tollen Hecht hältst oder für den absoluten Versager, oder ob du selbst nicht so genau weißt, wo du stehst – ein paar Dinge gelten für dein Leben:
Du bist Geschöpf Gottes, Gott hat dich beschenkt, du bist schuldig vor Gott und du kannst, wenn du willst, Kind Gottes werden.
Was die anderen Dinge in deinem Leben angeht, so ist es so: Wenn du mit Gott lebst, wird er dir immer wieder die Augen für dein eigenes Leben öffnen – auch für Details, nicht nur für die grundlegende Frage vor Gott.
Dann kannst du reinen Tisch machen und dich mit der Kraft Gottes verändern – in deinem Verhalten gegenüber anderen Menschen und auch dir selbst gegenüber.
Du musst dich nicht belügen oder endlos Theater spielen. Meistens stört uns das bei anderen, weil es wie Heuchelei wirkt – und das ist es auch. Aber es ist genauso schlimm, wenn du es bei dir selbst machst.
Hier braucht es Ehrlichkeit Gott gegenüber, auch in deinem Leben.
Schlussgebet
Ich möchte an dieser Stelle gerne mit euch beten. Jeder, der das kann, darf auch dazu aufstehen. Also bete ich jetzt.
Vater im Himmel, vielen Dank, dass du uns geschaffen hast. Nicht nur uns, sondern auch die Menschen, die rechts, links, vor und hinter uns sitzen beziehungsweise jetzt stehen. Danke, Vater im Himmel, dass du diese ganze Welt in deiner Hand hältst und gemacht hast.
Danke, dass deine Macht viel, viel größer ist als alles, was wir hier auf der Erde haben. Danke dafür, dass du uns alle begabt hast, dass du uns Fähigkeiten gegeben hast, die wir einsetzen können. Du hast uns beschenkt mit Freunden, Eltern, Gesundheit und anderen Gaben.
Vater im Himmel, du kennst jeden, der heute Morgen hier in der Veranstaltung ist. Du weißt, wie es im Leben von jedem Einzelnen aussieht. Du weißt, wie sehr jeder Einzelne, der heute hier ist, manchmal heuchelt oder etwas vorspielt oder sich selbst unsicher ist, wer er eigentlich ist.
Du kennst diejenigen von uns, die stärker dazu neigen, sich für ganz in Ordnung zu halten, obwohl das eigentlich nicht der Fall ist. Und du kennst auch diejenigen, die frustriert sind, die nah an der Depression sind und sich immer wieder fragen: Wer bin ich eigentlich? Diese Menschen sind frustriert darüber.
Ich möchte dich bitten, jeden von diesen Leuten anzusprechen. Zeige dem einen, wo die Dinge tatsächlich nicht so toll aussehen, wie er oder sie es sich einbildet. Ich bitte dich um Ehrlichkeit, das auch einzugestehen und dann zu dir zu kommen, um Vergebung zu bitten.
Auch für diejenigen bitte ich dich, die ihre Schuld schon erkennen und sehen. Die merken, dass sie nicht so toll sind. Ich bitte dich, dass auch sie zu dir kommen, dir die Schuld bekennen und dass du sie reinigst.
Ich möchte dir danken für diejenigen, die schon deine Kinder geworden sind. Die diesen Schritt zu dir getan haben und mit dir leben. Auch wenn es nicht immer ganz so toll läuft, merken sie, dass du in ihrem Leben anwesend bist. Du sprichst zu ihnen durch dein Wort, durch ihr Gewissen, durch Gefühle und durch Geschwister.
Ich bitte dich, dass sie ermutigt werden. Gerade dort, wo sie in Gefahr sind, nicht zu dir zu stehen, dass sie mit Selbstbewusstsein auftreten können und sagen: Ich weiß, ich bin ein Kind Gottes.
Ich bitte dich, dass du ihr Rückgrat stärkst. Dass sie sich nicht nur wie ein Spielball von den Medien, den Wünschen der Freunde oder dem, was gerade dran oder cool ist, beeinflussen lassen. Sondern dass du ihnen innerlich deutlich machst, wie das eigentliche Leben aussieht. Gib ihnen die Kraft, so zu leben.
Ein Leben, das sich nicht nur danach richtet, wie alle anderen es machen, sondern nach dem, was du für gut und richtig hältst. Denn wir wissen doch alle, dass das letztendlich zählt und dass das ein wirklich gelingendes Leben braucht.
Danke, dass wir da nicht alleine stehen. Dass wir in diesem Kampf und in der Auseinandersetzung nicht nur auf unsere eigene Kraft angewiesen sind. Du hast uns den Heiligen Geist gegeben und stehst uns bei.
So können wir ein wirklich verändertes Leben führen – so wie Daniel, selbst wenn ringsherum alle anderen dieses Götzenbild verehren. Wenn alle anderen in eine Richtung rufen, denken und sich so verhalten, können wir Nein sagen, weil wir wissen, dass es falsch ist.
Danke, dass wir da nicht alleine stehen, sondern dass du uns Kraft und Hilfe geben willst.
Amen.
