Die Weihnachtsgeschichte und ihre Bilder
Jedes Mal, wenn ich die Weihnachtsgeschichte höre, bekomme ich einen Stich ins Herz, wenn erzählt wird, wie Maria und Josef durch die Gassen von Bethlehem laufen und kein Dach über dem Kopf finden. Man kann sich mit seiner Fantasie ein wenig ausmalen, wie das war. Da klopfen sie an diese und jene Tür.
In den Krippenspielen ist das ja immer noch der anschaulichste Teil, wenn dargestellt wird, wie der Wirt im Krug zum gültigen Kranz hervortritt und sie abweist. Er schaut sie geringschätzig an und denkt, sie können sowieso die Rechnung nicht bezahlen. Dann lässt er sie einfach vor der Tür stehen.
Vielleicht könnte ich es den Kindern auch so erzählen: An einigen Haustüren, als die beiden klopften, sagte die Frau zu ihrem Mann: „Psst, wir tun so, als sei niemand da.“ Draußen sind Leute. Man hat ja manchmal so geschickte Gucklöcher an der Tür, damit man hinausspähen kann, wenn ein Besucher kommt, den man nicht mag. So wurden sie abgewiesen.
Aber davon steht kein Wort in der Weihnachtsgeschichte. Von den verschlossenen Türen ist nichts zu lesen. Es steht nur, dass eine offen war – die Tür zum Stall.
Darum möchte ich heute Abend zuerst über die offene Tür sprechen. Das ist so überwältigend, was wir da sehen. Ein Anblick, der uns immer wieder bewundernd auf die Weihnachtsgeschichte blicken lässt. Was sich vor unserem Auge auftut, ist ein Stall – schließlich ein sehr jämmerliches Elendsquartier.
Ich weiß nicht, welche Ställe Sie heute in unserer modernen Landwirtschaft noch kennen. Aber hier handelte es sich um einen äußerst primitiven Stall. Die Mauern waren aus Lehm, schmutzig und dreckig. Die Krippe bestimmt abgegriffen, mit dem Speichel der Tiere, die oft ihren Kopf daran gerieben haben. Stroh auf dem Boden, Mist und Spinnenweben oben.
Jetzt sagen Sie vielleicht: „Verdirb mir nur nicht meine feste Stimmung.“ Sie haben ja ganz recht. Wenn wir die Weihnachtsgeschichte hören, ist von dem ganzen Dreck nicht mehr die Rede. Wir sehen nur noch die Schönheit, wie Maria vor der Krippe sitzt. Selbst die Krippe hat für uns etwas ungemein Heimeliges an sich.
Josef steht mit seinem Stab, noch von der Wanderung, dahinter. Sie haben es ja sicher auch so vor Augen. Soweit ich in Biologie bewandert bin, sehen Esel nicht gerade sehr intelligent aus. Aber der Esel im Stall von Bethlehem sieht sogar noch hübsch aus, mit dem Ochsen daneben.
Es ist ein Bild des Friedens.
Die Bedeutung des Kindes in der Krippe
Warum ist das plötzlich kein Elendsbild mehr? Warum ist es plötzlich ein Bild voller Frieden?
Sie wissen ja auch, dass schon die Geburt eines Kindes einen mit großer Freude erfüllen kann. Doch es ist nicht dasselbe, was Eltern erleben, denen ein Kind geschenkt ist. Es ist auch nicht dasselbe wie bei Maria, die wir bewundernd anschauen. Sie war eine große Frau.
Das Geheimnis liegt in dem Kind in der Krippe. Der, der dort geboren ist, ist der Sohn Gottes, Jesus Christus. Und wo er hinkommt, da wird plötzlich eine ganz neue Mitte gesetzt.
Vorher, ja vorher, da musste man noch über das elende Quartier reden, in dem man sich aufgehalten hat, über all das Schwere. Jetzt ist er im Mittelpunkt.
Ich habe an diesem Weihnachtsabend nur eine Bitte an Sie: dass Sie das in Ihrem Leben erfahren.
Sie kommen jetzt von Ihren häuslichen Feiern. Und wenn ich mich nicht ganz täusche, sind Sie ja nicht gerade herausgekrochen aus Ihren liebevoll und schön eingerichteten Wohnungen. Auch heute Abend lag doch etwas Glanz über den ganzen Vorbereitungen des Feierns, unserer Gestaltung.
Und doch möchte ich sagen: Es bleibt alles jämmerlich arm, so schön es auch bei Ihnen zu Hause sein mag, wenn Jesus Christus nicht die Mitte ist. Er, der Sohn Gottes, nicht bloß ein Kind, er, der Sohn Gottes.
Und das gilt noch viel mehr über all dem, was Sie in Ihrem Leben bewegt. Wenn wir so urplötzlich wieder in diese Festtage eintreten, aus dem ganzen Gedränge unserer Arbeit – wie vielen war es jetzt noch gehetzt bis in die letzten Stunden hinein?
Dann soll das bei Ihnen passieren, was im Stall von Bethlehem passiert ist: Plötzlich ist all der Jammer und das Elend überstrahlt von dem Einen. Da ist Gott selbst eingekehrt, mittendrin im Stall, durch seinen Sohn Jesus Christus.
Er ist da, die offene Tür zum Stall.
Das war mein erster Punkt, den ich Ihnen wichtig machen wollte.
Die Tür zum Stall: Ein schmaler Spalt
Aber jetzt das andere: Die Tür ist ja eigentlich nur einen schmalen Spalt geöffnet. Argweit offen war sie nicht.
Ich möchte nun doch noch erklären, was uns die Archäologen zur Weihnachtsgeschichte zu sagen haben. Es ist erstaunlich, was immer wieder durch die gründliche Arbeit der Forscher ans Licht gebracht wird. Nicht nur, dass man die Volkszählungen, die damals zur Zeit des Kaisers Augustus stattfanden, ziemlich genau datieren kann – und zwar aus anderen Quellen –, sondern man weiß auch etwas über dieses Notquartier.
Diese Herberge war vermutlich gar keine Wirtschaft, in der Maria und Joseph eingekehrt sind, auch keine Karawanserei, wie manche meinten. Es handelt sich ganz schlicht um den Sitz der Familie Davids, um das Haus der Sippe. Dort war die Verwandtschaft ansässig, und alle strömten nun zusammen: Vetter und Base, Onkel und Tante aus der weiten und nahen Umgebung. Sie mussten an ihren Stammort zurück, und im Familienquartier war kein Platz mehr für Maria und Joseph.
Ich vermute, dass Sie alle sehr harmonische Verwandtschaften haben und lauter liebe Leute. Aber manchmal gibt es in der Verwandtschaft auch kleine Probleme und Spannungen. Ich könnte mir vorstellen, wenn ich Joseph gewesen wäre, hätte ich gesagt: „Da sieht man wieder die feine Verwandtschaft, natürlich! Auf uns nehmen sie keine Rücksicht, es war ja alles belegt.“ Der Rucksack an der Wand war schon mit Vetter Benjamin besetzt, der drinnen schlief, und Tante Mirjam mit ihrer Migräne schlief auf dem Sofa im Wohnzimmer. Es war alles voll, und so blieb Maria und Joseph wirklich nur das Notquartier.
Es ist wahrscheinlich so, wie man es in der Geburtskirche in Bethlehem sehen kann: eine Grotte. Man fragt sich, warum eine Höhle? Diese wurde schon früher – also etwa hundert Jahre nach dem Tod Jesu – als Geburtsort verehrt, wie man aus den Ausgrabungen feststellen kann. Das war tatsächlich so. Bei den Häusern waren meist diese Höhlen von Bethlehem, in denen das Heu aufbewahrt wurde. Daneben, durch eine Lehmmauer getrennt, war der Stall – ein zugiges Ding natürlich in der Nacht. Dort mussten Maria und Joseph Zuflucht nehmen.
Für Joseph war das eine Herausforderung, dazu Ja zu sagen. Wie bringt ein Mann das nur fertig, in dieser schweren Nachtstunde all das zu ertragen und einen schwierigen Weg zu gehen? Er weiß: Mein Lebensweg wird allein von Gott geführt.
Vertrauen und Hingabe in schwierigen Zeiten
Wir sagen das oft sehr schnell, und meinen es dabei oft nicht wirklich – und dabei stimmt das ja gar nicht. Schwierigkeiten in unserem Leben haben wir uns selbst eingebrockt, durch unseren eigensinnigen Kopf. Es war ja nie Gott, der uns geführt hat.
Es fällt mir sehr schwer, ganz ruhig zu sein und zu sagen: Der Herr ist mein Hirte. Verstehen Sie, was die Weihnachtsgeschichte uns sagen kann? Das ist eine Frage an unseren Willen. Man kann schöne Lieder singen vom Vertrauen auf Gott, aber ob man wirklich bereit ist, sich ganz der großen väterlichen Sorge Gottes zu überlassen, das ist eine andere Sache.
Joseph öffnet einen Spalt weit die Tür, indem er sagt: „Ich will, Herr.“ Das macht ihn ruhig. Darum murrt er nicht, darum ist er nicht bitter. Man kann es ja auch anders machen – indem man über die Verwandtschaft schimpft oder sich beleidigt davonmacht: „Ich brauche euch alle gar nicht, Bätsch, es hängt mir schon alles zum Hals raus!“ und dann geht man davon.
Joseph aber geht still in den Stall hinein, und dort erlebt er dieses Wunder. Da kann Gott an uns arbeiten.
Ich möchte auch etwas anfügen, was mir sehr wesentlich ist. Wenn Sie die biblische Geschichte noch einmal lesen, besonders im Matthäusevangelium von der Geburt Jesu, merken Sie, wie das biblische Zeugnis eine Einheit bildet.
Es war für Joseph ein Schock, als er feststellte, dass Maria schwanger war, obwohl er sie nie berührt hatte. Sein erster Gedanke war: Da war irgendein anderer Mann im Spiel.
Nach dem jüdischen Gesetz musste er zum Tempel gehen. Lesen Sie einmal die Eifersuchtsgesetze. Wenn der Priester die Hand auf diese Frau legt und dann sagt: „Sag du vor der Gemeinde, ob ein Mann bei dir gelegen hat“, und danach die Verwünschungsformel spricht, musste die Frau antworten: „Amen, Amen, der Herr verfluche meinen Leib und die Frucht in mir.“
Joseph sagt: Das bringe ich mit meiner geliebten Maria nicht fertig. Sie wissen ja, dass im Volk Gottes klare Gesetze herrschen – vor der Ehe und im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Er dachte daran, Maria heimlich zu verlassen, um sie nicht zu diesem Eifersuchtsopfer vor der Gemeinde bringen zu müssen. Er wollte ihr das ersparen.
Dann sagt ihm Gott: Bleibe bei Maria! Das, was in ihr geboren ist, ist vom Heiligen Geist.
Was war das schwer für Joseph – vor den Menschen, vor dem, was sie denken! Und dann zog er nach Bethlehem. Joseph ist ein Mann des Glaubens.
Ich möchte heute Abend besonders betonen: Es geht nicht nur darum, fromme Sprüche zu machen und zu sagen: „Ja, Gott muss man vertrauen, und Gott fügt das schon recht.“ Sondern es geht darum, wirklich seine eigenen Sorgen und Probleme zu begraben, Gott machen zu lassen und zu sagen: „Herr, ich verstehe dich nicht, aber ich lasse dich machen. Ich traue dir zu, dass du aus meinem wirren Leben noch etwas Herrliches machst.“
Einen Spalt öffnet er die Tür und sagt: „Herr, nur wie du willst.“ Das steht schon in der Weihnachtsgeschichte.
Solche Menschen erleben das Wunder, dass Christus bei ihnen wohnen kann. Es liegt am Willen: Ob ich es jetzt Gott ganz machen lasse und es ihm überlasse.
Mach doch die Tür auf, nicht nur einen Spalt, und sag: „Herr, was du willst, das ist immer das Beste, ob ich es verstehe oder nicht verstehe. Ich kann es ja gar nicht verstehen. Deine Wege sind wunderbar, höher als Menschen begreifen können.“
Ich wünsche mir, dass es bei Ihnen jetzt ganz direkt klingelt und sagt: Aha, bei mir! Jetzt weiß ich, wo Christus bei mir einkehren will.
Die Einladung zum Öffnen der Tür
Aber noch ein letztes: Bleiben wir nur vor der Tür stehen! Man kann an den Weihnachtstagen immer wieder dort sitzen und sagen: „War ja wieder schön, der Abendgottesdienst, oder der Chor hat so schön gesungen.“ Und dann gehen wir wieder nach Hause. Doch was bleibt eigentlich?
Wir haben nur durch die Tür gespäht, haben alles wieder gesehen, aber nicht begriffen, dass Jesus Christus an meiner Tür steht und anklopft. Er will bei mir einkehren. Es gibt so viele, die heute Abend auf der einen Seite feiern und doch nicht wirklich feiern, weil sie voll sind von Wehmut und Schmerz. Sie sagen: „Was soll das für mich? Ich spüre nichts davon.“
Nein, da muss man die Tür aufstoßen, bei sich selbst. Man muss Jesus Christus als seinen Herrn und Heiland aufnehmen. Euch ist der Heiland geboren. Für mich gilt diese Weihnachtsbotschaft genauso, wenn jemand traurig, einsam, verzagt oder schwermütig in seinem Zimmer sitzt.
So wie ich vorhin hörte, in einer befreundeten Familie außerhalb unserer Gemeinde, wo heute Nachmittag der 22-jährige Sohn gegen einen Brückenpfeiler gerast ist und ums Leben kam. Da will Jesus einkehren! Das ist die Weihnachtsbotschaft.
In der Welt sehen wir doch nichts von der Freude. Wir sehen nur die grauen Lehmauern unseres Lebens. Aber ob er bei mir jetzt einkehren kann, gerade da, wo ich nicht weitersehe und nicht weiterweiß?
Da wird von den Hirten erzählt, die auf die Knie fielen. Es waren ja große, starke Männer. Ich bewundere immer wieder solche Leute, so urwüchsige Menschen. Wenn die mal so richtig zupacken, dann sind die wilden Tiere abgehauen. Die haben Angst bekommen vor den Hirten, die ihre Schafe behüteten. Das waren Leute, die konnten auch nachts um zwei noch durch die Unterführungen von Stuttgart laufen – solche Kerle waren das.
Und diese Männer knien plötzlich nieder vor dem Kind.
Die Kraft des Glaubens und der Hingabe
Was ist das denn, das Niederknien? Ich weiß wirklich nicht, ob sie schon einmal vor Jesus niedergekniet sind. Sagen Sie nicht, das seien nur äußere Formen. Da liegt doch viel an der Form.
Und wenn wir manchmal so reden, auch über das große Leid, über das Menschenklagen, über den Schmerz, über den man nicht hinwegkommt, und über die Ehekrisen, die so groß sind, und die Sorgen um die Kinder – wenn ich dann sage, jetzt wollen wir doch mit Jesus darüber reden, vielleicht denkt einer: „Ach, das ist jetzt so eine Ausrede.“ Dabei gibt es nichts Größeres, als dass wir Jesus in die Not und in den Jammer unseres Lebens einlassen.
Wenn ich dann manchmal zu jemandem sage: „Nun beten Sie doch!“, höre ich oft: „Ich habe noch nie so gebetet.“ Es gibt Christen, die das nicht können. Können sie zu Jesus beten? Dazu will ich Ihnen heute Abend Mut machen.
Wenn Sie wieder allein zurückkommen, sagen Sie: „Ich möchte dich, Jesus, als Herrn meines Lebens haben. Ich werde mit all den Dingen schon lange nicht mehr fertig. Ich kann nicht mal mein eigenes Leben steuern.“
Sie brauchen nicht an der Krippe zu stehen und schöne Worte sagen, wie: „Ich glaube, dass Jesus ein guter Mann war und manches Gute vollbracht hat.“ Er dankt Ihnen für die Blumen und wirft sie in die Ecke. Er will Ihr Herz, Ihre Gedanken und Ihr Leben haben.
Er ist gekommen, um verlorene, verzweifelte, müde und hoffnungslose Menschen fröhlich zu machen, bei ihnen einzukehren und ihr Leben völlig auf den Kopf zu stellen. So soll die Herrlichkeit Gottes aus den Knopflöchern ihres Lebens herausstrahlen.
Das will er tun, und dafür hat er sich verbürgt.
Die persönliche Entscheidung zur Öffnung der Tür
Es ist ein großes Geheimnis um die Weihnachtsgeschichte. Die Tür müssen Sie aufstoßen, wenn Sie sagen können: Jetzt möchte ich auch ganz still zur Krippe gehen und ihn bitten, dass er nicht länger bloß da im Stall von Bethlehem bleibt.
Vielleicht sagen Sie: Es ist bei mir auch ein Stall, und manchmal ekelt mich mein ganzes Leben. Aber wenn der Herr und König einzieht, dann wird es wunderbar. Dann strahlt die Herrlichkeit über Ihrem Leben, und die Freude bricht an. Sie verstehen erst, warum man so fröhliche Lieder singen kann.
Da brauchen Sie gar nichts mehr dazu – kein Päckchen mehr, keine lieben Menschen mehr und keine Kerze mehr. Es genügt Ihnen allein Jesus, Ihr Herr. Amen.
