In der kommenden Woche beginnen die Sommerferien, und für viele bedeutet das auch die Urlaubszeit. Ich möchte gleich zu Beginn der Predigt ein Szenario schildern, das vielleicht bekannt ist.
Stell dir vor, du bist mit dem Auto unterwegs in den Urlaub. Plötzlich schneidet ein anderer Verkehrsteilnehmer auf dreiste Weise deine Spur und bringt dich sowie die Insassen deines Autos regelrecht in Lebensgefahr. Doch es bleibt nicht bei dieser Fahrlässigkeit. Er zeigt dir den Stinkefinger, macht das Fenster runter und brüllt dich mit unschönen Worten an.
So eine unerhörte Reaktion und Situation am Steuer musst du erst einmal verarbeiten. Wenig später fährst du weiter und siehst genau diesen Verkehrsteilnehmer am Straßenrand stehen. Er hat eine Panne und ist sichtlich aufgebracht und verzweifelt.
Jetzt hast du drei Möglichkeiten zu reagieren. Option eins: Du fährst ganz langsam vorbei, machst dein Fenster runter und lachst ihn aus. Das ist zwar eine Option, aber wohl keine gute. Option zwei: Du beherrschst dich und fährst ruhig vorbei. Option drei: Du bleibst stehen und hilfst ihm bei der Panne.
Wir sind uns alle einig, dass Option drei diejenige ist, die am meisten Überwindung kostet, oder? Genau darüber sprechen wir heute in meiner Predigt. Es geht um überwindende Liebe.
Der Predigttext stammt aus Römer 12, Verse 14 bis 21. In der letzten Predigt zum Römerbrief haben wir uns bereits mit Liebe beschäftigt. Damals ging es um die ungeheuchelte Liebe in Römer 12, Verse 9 bis 13.
Wichtig zu wissen ist, dass auch unser heutiger Text unter dieser großen Überschrift steht, nämlich in Vers 9: „Eure Liebe sei ungeheuchelt.“ Allerdings lag der Schwerpunkt der letzten Predigt mehr auf der Bruderliebe, also der geschwisterlichen Liebe.
Heute, ab Vers 14, geht es um eine Liebe, die manchmal wirklich schwerfällt. Es geht um Liebe zu nicht ganz so netten Menschen, um Liebe zu Außenstehenden – zumindest teilweise – und zu Leuten, die uns mit Anfeindung begegnen.
Am Ende unseres Predigttextes fasst Paulus den Abschnitt nochmals zusammen mit den Worten in Vers 21: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.“
Das bedeutet, in diesem Text geht es nicht schwerpunktmäßig um die ungeheuchelte Liebe – natürlich ist sie auch ungeheuchelt –, sondern vielmehr um die überwindende Liebe.
Vier Aspekte habe ich euch heute mitgebracht: Liebe überwindet. Und der Text nennt uns vier Punkte, an denen die Liebe überwindet.
Liebe in der Verfolgung: Segnen statt Fluchen
Der erste Punkt lautet: Liebe überwindet in der Verfolgung.
In Römer 12,14 schreibt Paulus an die Christen in Rom: „Segnet, die euch verfolgen, segnet und flucht nicht.“ Kapitel zwölf markiert den Beginn des praktischen Teils des Römerbriefs. Die Kapitel eins bis elf legen uns das Evangelium dar: was Gott für uns getan hat. Kapitel zwölf hingegen beschäftigt sich damit, was wir nun für Gott tun sollen. Es geht um die christliche Antwort auf das Evangelium und darum, wie christliches Leben aussieht.
Paulus beginnt hier mit der Aussage, dass Christen in der Verfolgung nicht fluchen, sondern segnen sollen – sie segnen ihre Verfolger. Im Römerbrief gibt es keinen genauen Hinweis darauf, dass die Christen in Rom zum Zeitpunkt der Abfassung bereits echte Verfolgung erlebt hatten. Doch Paulus weiß, dass Christen früher oder später verfolgt werden. Das schreibt er in 2. Timotheus 3,12: „Alle aber, die gottesfürchtig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden.“
Die Frage, die sich uns stellt, ist also nicht, ob Verfolgung kommt. Paulus sagt, sie wird kommen. Verfolgung hängt immer mit Jesus Christus zusammen – mit einer Person. Sie hängt mit dem Ärgernis des Kreuzes zusammen, dem Kern unseres Glaubens. Denn es ist ein geistlicher Kampf, in dem wir uns befinden. Die Frage ist nicht, ob Verfolgung kommt, sondern wie sich ein Christ in der Verfolgung verhält.
Die natürliche Reaktion wäre, wenn wir ehrlich sind, auf Hass mit Hass zu antworten. Das ist die menschliche Reaktion. Die natürliche Reaktion wäre auch, zu fluchen – also herabwürdigende Bemerkungen zu machen oder dem Verfolger Böses zu wünschen und es auszusprechen. Paulus sagt jedoch, die christliche Reaktion gegenüber Verfolgern besteht nicht im Fluchen, sondern im genauen Gegenteil: im Segnen.
Damit steht Paulus voll auf der Linie dessen, was Jesus gelehrt hat. In der Bergpredigt lesen wir in Matthäus 5,44: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ Oder in Lukas 6,28 sagt Jesus: „Segnet, die euch fluchen, betet für die, die euch beleidigen.“
Vielleicht denkt man: Wer schafft denn so etwas? Das ist ja völlig unmenschlich. Ja, es ist unmenschlich, aber es ist göttlich. Gott befähigt uns, so zu reagieren. Paulus hat das vorgelebt. In 1. Korinther 4,11-13 schreibt er: „Bis zur jetzigen Stunde leiden wir sowohl Hunger als auch Durst und sind nackt und werden mit Fäusten geschlagen. Wir haben keine bestimmte Wohnung und mühen uns ab und arbeiten mit eigenen Händen. Geschmäht segnen wir, verfolgt dulden wir. Gelästert reden wir gut. Wie Unrat der Welt sind wir geworden, ein Abschaum aller bis jetzt.“
Ihr Lieben, die christliche Liebe ist so stark, dass sie sogar in der Verfolgung überwindet – und das bis heute. Open Doors berichtet auf der Homepage von Pastor Simson aus Zentralasien. Eines Tages stürmte eine Gruppe bewaffneter islamistischer Kämpfer während seines Gottesdienstes herein. Während er predigte, kam einer der Verfolger auf ihn zu und begann, auf ihn einzuschlagen.
Wisst ihr, was seine Reaktion war? Kein Fluchen. Er schaute den Mann mit blutüberströmtem Gesicht an und sagte: „Jesus ist für dich gestorben. Wenn du umkehrst und zu Jesus kommst, wird er dich annehmen.“ Er segnete den, der ihn verfolgte. Er wünschte ihm Gutes. Und das Beste, was man einem Menschen wünschen kann, ist eine geklärte Beziehung zu Jesus Christus.
Die Islamisten reagierten daraufhin boshaft. Der Verfolger zog seine Pistole, hielt sie Pastor Simson an den Kopf – eine wahre Begegnung – und drückte dreimal ab. Kein Schuss löste sich. Daraufhin bekamen sie Angst, rannten aus dem Gebäude, und die Gemeinde saß da und lobte den Herrn.
Ihr Lieben, das ist keine menschliche Reaktion, das ist eine göttliche Reaktion. Genau das erwartet Gott auch von uns. Es ist ein Zeichen der weltlichen Liebe, dass wir die lieben, die uns lieben, und die hassen, die uns hassen. Von uns als Christen wird mehr erwartet, weil Christus in uns ist. Deshalb lieben wir die, die uns hassen. Wir sagen: Im Namen Jesu sei gesegnet, und ich wünsche dir, dass du diesen Jesus kennenlernst.
Die Frage entsteht: Wie schaffen wir das? Wie können wir diese übernatürliche Liebe aufbringen? Die Antwort liegt darin, dass wir unsere Verfolger segnen können, weil wir selbst in Christus mit allem geistlichen Segen gesegnet sind. Unser Becher in Christus ist voll. Er schenkt mir voll ein.
Epheser 1,3 sagt Paulus: „Wir sind gesegnet mit allem geistlichen Segen.“ Im Römerbrief führt er diesen Segen weiter aus und sagt, wir sind gerechtgesprochen durch den Glauben, wir haben Frieden mit Gott, eine lebendige Hoffnung, wir sind geliebt als Kinder Gottes, und selbst Verfolgung kann uns nicht trennen von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist.
Wir sind gesegnet mit allem geistlichen Segen. Wenn wir uns als Christen bewusst machen, wie reich wir sind – welchen Reichtum wir in Christus haben –, verstehen wir das oft nicht. Doch je mehr Gott uns die geistlichen Augen öffnet, desto mehr wissen wir: Unser Becher ist so voll, wir haben alles, was wir brauchen. Deshalb können wir selbst die Menschen, die uns feindlich gegenüberstehen, segnen – im Namen Jesu.
Christliche Liebe überwindet in der Verfolgung. Im letzten Punkt werden wir noch stärker auf den Aspekt der Anfeindung eingehen.
Liebe überwindet Gleichgültigkeit und Mitgefühl
Aber wir überwinden nicht nur die Verfolgung, die von außen kommt. Christliche Liebe überwindet auch die fleischliche Natur, die immer wieder in uns steckt und hochkommen will.
Das führt uns zum zweiten Punkt: Liebe überwindet Gleichgültigkeit. In Vers 15 sagt Paulus: „Freut euch mit den sich Freuenden und weint mit den Weinenden.“ Dieser Vers ist eine Aufforderung an uns Christen zum Mitgefühl – und zwar in beide Richtungen. Wenn sich jemand freut, freuen wir uns mit. Wenn jemand leidet, leiden wir mit.
Das heißt, es darf uns nicht egal sein, wie es dem anderen geht, weil wir gerade als Christen in der Gemeinde ein Leib sind. Paulus sagt in 1. Korinther 12,26: „Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit.“
Aber, ihr Lieben, ich stelle fest – auch bei mir selbst –, dass das kein Automatismus ist. Vielleicht siehst du das auch bei dir. Es ist nicht immer automatisch so, dass dich das total ergreift, wenn hier jemand leidet. Es ist auch nicht immer so, dass es in dir direkt Freude auslöst, wenn du siehst, dass es jemandem gut geht.
Weil wir noch im Fleisch leben, und unser Fleisch ist ichbezogen. Unser Fleisch neigt zur Gleichgültigkeit: „Ist mir doch egal, ob es dem anderen schlecht geht.“ Oder: „Ist mir doch egal, wenn der andere sich freut, ich habe keinen Grund zur Freude.“
Und die Liebe überwindet das. Die Liebe überwindet die Gleichgültigkeit. Sie überwindet aber auch Gleichgültigkeit und Neid. Noch einmal Vers 15, der Anfang: „Freut euch mit den sich Freuenden.“ Das heißt, wenn sich eine andere Person freut, kann uns das entweder kaltlassen – das ist Gleichgültigkeit. Aber es kann sogar noch etwas tiefer gehen: dass wir es ihr nicht gönnen. Dann wird aus Gleichgültigkeit Neid. Das ist noch einmal eine Stufe darunter.
Und die Liebe überwindet beides. Mir ist es immer wichtig, deutlich zu machen, dass das nur durch Jesus Christus möglich ist und, wie Simeon vorgelesen hat, nur durch das erneuerte Herz. Denn Römer 1 macht uns deutlich: Von Natur aus steckt in unserem verworfenen Sinn nur Neid. Das wird in Römer 1,28-29 deutlich. Der verworfene Sinn zeigt sich darin, dass wir voll von Neid sind.
Aber der veränderte Sinn, der in Römer 12 beschrieben wird, zeigt sich darin, dass wir uns mitfreuen können, wenn sich eine Person freut. Ganz ehrlich: In der Theorie können wir das doch schnell abnicken, oder? Vielleicht sagst du: „Jo, hört sich gut an, ich bin dabei.“
In der Realität ist das nicht immer einfach. Ich denke an die 34-jährige Frau, die Single ist und sich so sehr einen Mann wünscht – verständlicherweise. Und dann kommt ihre beste Freundin aus der Gemeinde, die in der gleichen Lebenssituation steht, und sagt: „Weißt du was, ich habe einen Freund, einen Mann Gottes, der Jesus liebt.“ Da wird es nicht so einfach, sich mitzufreuen. Und genau da muss die Liebe überwinden.
Ich denke an die Frau, die so gerne Kinder haben möchte und jeden Monat eine Enttäuschung erlebt. Das ist ja so ein schweres Leiden für diese Frauen: Hoffnung, Enttäuschung, Hoffnung, Enttäuschung – jeden Monat. Und dann kommt sie in die Gemeinde und sieht in der letzten Reihe und im Eltern-Kind-Raum die jungen Mütter mit ihren Babys. Da muss Liebe überwinden und sagen: „Ich entscheide mich, auch wenn es mir noch so schwerfällt, auch wenn ich es gerne selbst so hätte. Aber ich freue mich jetzt so richtig mit der Familie, die gerade ein Säugling hat.“
Ich denke an den Mann, der seine Familie ernähren muss. Er arbeitet viel, ist knapp bei Kasse und verdient nicht viel. Dann sieht er den Bruder aus der Gemeinde vorfahren mit einem richtig dicken Firmenwagen. Wisst ihr, was die Liebe macht? Die Liebe überwindet und geht zu dem Bruder und sagt: „Ich freue mich so sehr mit dir, dass deine Firma so gut für dich sorgt.“
Ihr Lieben, das ist Liebe – Liebe, die Gleichgültigkeit überwindet und die sich immer wieder neu entscheidet. Ich entscheide mich. Hier geht es nicht um ein Gefühl, es geht um eine Entscheidung. Um Christi willen entscheide ich mich, ich freue mich mit dem anderen. Und ich lasse keinen Neid in mir aufkommen.
Auch dazu befähigt uns der volle Becher in Christus. Wir haben in ihm alles, und deswegen können wir uns mit den anderen freuen, weil wir nichts brauchen. Wir haben alles, was wir brauchen, in Christus. Das ist die eine Seite.
Der Text geht aber weiter. In Vers 15 heißt es auch: „Weint mit den Weinenden.“ Und auch das ist keine natürliche menschliche Reaktion. Denn Römer 1 macht deutlich: Der verworfene Sinn, der durch die Sünde so kaputtgegangen ist, zeigt sich in Unbarmherzigkeit. Der unerrettete Mensch ohne Christus neigt immer wieder dazu, unbarmherzig zu sein.
Der veränderte Sinn in Christus zeigt sich im barmherzigen Mitgefühl. Die Aufforderung „Weint mit den Weinenden“ ist letztendlich ein Aufruf, den Schmerz des anderen auch an sich ranzulassen. Das ist eine Entscheidung.
Psychologen und Psychotherapeuten, wenn ein Leidender zu ihnen kommt, wahren immer einen professionellen Abstand zum Leid des Betroffenen – einen professionellen, beruflichen Abstand.
Ihr Lieben, in der Gemeinde Jesu sind wir nie zu einem professionellen Abstand berufen. Wir sind berufen worden, um mitzufühlen, um mitzuweinen. Und genau so hat es Jesus gemacht: Am Grab von Lazarus in Johannes 11 stellt sich Jesus mitten zu den Leidenden und weint mit.
Und genau dazu sind wir angehalten, gerade auch innerhalb der Gemeinde, dass uns das Leid des anderen nicht loslässt. Die Liebe legt Gleichgültigkeit ab, sie überwindet die Gleichgültigkeit. Die Liebe überwindet den Selbstschutz. Denn wir neigen manchmal dazu, das Leid des anderen nicht zu nah an uns ranzulassen, weil es uns dann ja selbst schlecht geht.
Aber dazu sind wir nicht aufgefordert. Für uns selbst sorgt der Herr. Wir sind aufgefordert, mitzuweinen.
Ich erinnere mich an den November 2016. Der November 2016 war für uns als Gemeinde ein sehr, sehr schwerer Monat. In diesem Jahr ist ein Bruder aus unserer Gemeinde auf seiner eigenen Baustelle verunglückt und nach einigen Tagen auf der Intensivstation verstorben – Anfang 30, mit Familie.
Was haben wir mitgelitten? Natürlich war das Leid, das wir durch das Mitleiden hatten, nicht im Vergleich zu dem Leid der Familie. Das möchte ich nicht in ein Verhältnis zueinander stellen. Aber da habe ich gemerkt, wie fertig wir waren – wochenlang –, weil wir die Not unserer Geschwister so sehr an uns herangelassen haben.
Und genau dazu sind wir als Gemeinde aufgefordert. Es kann uns nicht kaltlassen, wenn ein anderes Gemeindemitglied leidet. Da ist es total fehl am Platz zu sagen: „Ich gehe jetzt nicht zu nah dran, denn ich muss mich ja um mich selbst kümmern.“
Um dich kümmert sich der Herr. Geh in die Not, geh hinein in die Not, denn genau das macht Jesus: Er geht in unsere Not hinein. Genau an dieser Stelle muss Gemeinde gelebt werden.
Ihr Lieben, gerade so viele Geschwister aus unserer Gemeinde gehen durch Notsituationen. Einige haben in der letzten Woche Angehörige verloren. Andere leiden an unheilbaren Krankheiten, Krebs, und es geht vielleicht sogar langsam dem Ende zu.
Einige Eltern leiden sehr aus Sorge um ihre Kinder oder auch um ihre Pflegekinder. Andere weinen in ihrer Ehe. Dann gibt es viele Geschwister, die mit Ängsten und Depressionen so sehr zu kämpfen haben, dass...
Und was machen wir? Wir sagen manchmal: „Ich will mich nicht zu sehr mit einem depressiven Menschen beschäftigen, dann werde ich ja selbst depressiv.“
Wir sind nicht zum Selbstschutz aufgerufen. Wir sind aufgerufen worden, uns in die Not des anderen hineinzubegeben. Weint mit den Weinenden, legt die Gleichgültigkeit ab, legt den Selbstschutz ab, legt die Unbarmherzigkeit ab.
Überwindet, liebe, und weint mit den Weinenden.
Liebe überwindet Hochmut und fördert Einheit
Leider gibt es in uns nicht nur die Tendenz, im Hinblick auf andere gleichgültig zu sein. Es gibt in uns – und damit meine ich uns alle – leider auch die Tendenz, dass wir uns selbst als zu wichtig nehmen. Das führt uns zum dritten Punkt: Die Liebe überwindet auch den Hochmut.
Da heißt es in Vers 16: „Seid gleichgesinnt gegeneinander, seid nicht auf hohe Dinge bedacht, sondern haltet euch zu den niedrigen; seid nicht klug bei euch selbst.“ Paulus fordert die Gemeinde hier in Rom zur Einheit auf. Ja, seid gleichgesinnt! „Gegeneinander“ meint „gegenseitig“, also gegenüber einander. Wir sollen untereinander gleichgesinnt sein.
Die Gemeinde, in der Gemeinde soll Einheit gelebt werden. Und Einheit ist nicht zu verwechseln mit Einheitlichkeit. Gott hat sich Gemeinden nicht so vorgestellt, dass alle gleich aussehen. Gemeinde im Neuen Testament ist kunterbunt. Und das ist ja genau das, was wir auch an diesem Wochenende feiern, hier beim Fest der Kulturen.
So viele Kulturen, so viele Hintergründe – das liebe ich an unserer Gemeinde so sehr. Da sitzt du manchmal am Mittagstisch und stellst fest: Wow, wir sind heute aus vier Kontinenten versammelt. So unterschiedliche Menschen, aber was uns verbindet, ist Jesus Christus. Das ist christliche Einheit.
Christliche Einheit bedeutet nicht, in jeder Randfrage gleichzudenken. Christliche Einheit ist ein Ziel zu haben – und das ist Jesus Christus. Solange wir Jesus sehen, wird Einheit gegeben sein. Sobald wir anfangen, auf uns selbst zu schauen, wie wichtig wir vermeintlich sind und welche Ansprüche wir vermeintlich haben, ist die Einheit gefährdet.
Der größte Feind der Einheit in der Gemeinde ist Hochmut. Wenn einzelne Gemeindemitglieder glauben, etwas Wichtigeres zu sein und dadurch gewisse Ansprüche haben, verursachen sie Streitigkeiten. Paulus sieht diese Gefahr auch bei Christen gegeben. Deshalb hat er den Römern schon in Kapitel 12, Vers 3 geschrieben: „Denn ich sage, durch die Gnade, die mir gegeben wurde, jedem, der unter euch ist, nicht höher von sich zu denken, als sich zu denken gebührt.“
Gerade der stolze Römer – da war der Stolz ja schon fast in der Kultur verankert – ist jetzt Christ geworden. Und Paulus sagt: Ihr habt immer noch diese Tendenz. Denkt nicht höher von euch, als sich zu denken gebührt.
Douglas Moo, ein Ausleger, bringt das hier wunderbar auf den Punkt, wenn er sagt: Unsere allzu hohe Meinung von uns selbst, die uns denken lässt, dass wir immer Recht haben und andere Unrecht, und dass unsere Meinung wichtiger ist als die anderer, hindert die Gemeinde oft daran, die Einheit zu zeigen, zu der Gott sie ruft.
Paulus sagt, in der Gemeinde muss es um Einheit gehen. Das beginnt damit, dass wir selbst nicht zu hoch von uns denken, sondern dass wir uns zu den Niedrigen halten. Dass wir bereit sind, niedrige Aufgaben zu übernehmen – im Sinne von Füße waschen, symbolisch – und dass wir bereit sind, uns mit Geschwistern zusammenzutun, die vielleicht eher am Rande der Gemeinde stehen und nicht so eine wichtige Position haben.
Einheit entsteht durch Demut, indem wir die christliche Haltung aus Philipper 2 übernehmen und den anderen höher achten als uns selbst. Und zwar wirklich so, dass das unsere Überzeugung ist: Er ist wichtiger als ich.
Ich darf hier in der Gemeinde seit circa zwanzig Jahren in verschiedenen Diensten tätig sein. Damals fing es mit der Jugendarbeit an. Wenn ich so zurückblicke, habe ich in ganz verschiedenen Teams und Teamkonstellationen zusammengearbeitet. Ich darf rückblickend bezeugen: Die Teamkonstellation, in der jeder wirklich demütig war und den anderen höher geachtet hat als sich selbst, war immer die wunderbarste Zusammenarbeit.
Dort, wo du den Eindruck hast, hier herrscht Konkurrenzdenken im Team, und jemand will seine Agenda durchsetzen, weil er sich für wichtiger hält, da ist die Einheit nicht gegeben. Ich schätze es aktuell sehr in unserem Pastorenteam. Ich freue mich auf jede Sitzung. Wir kommen zusammen, und von Anfang an hast du den Eindruck, wir achten den anderen höher als uns selbst. Wir sind so füreinander da. Es ist eine kostbare Zusammenarbeit im Sinne von Psalm 133: „Wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig zusammenwohnen.“
Diese Haltung muss die ganze Gemeinde erfassen. Und ich will jetzt einmal ein offenes Wort an uns alle richten: In uns allen steckt etwas, das die Einheit in der Gemeinde kaputtmachen will.
Stellt euch mal das Szenario vor: Was wäre, wenn wir uns hier in Köln Ostheim gegenseitig anfeinden? Wenn wir zulassen, dass sich Parteien bilden, die eine Gruppe, die ihre Agenda verfolgt, und die andere Gruppe, die eine theologische Wahrheit ganz anders sieht und Lärm macht?
Was wäre das für ein tragisches Zeugnis! Man muss kein Bibelkenner sein, um zu wissen: Satan will unsere Gemeinde zerstören. Damit meine ich hier die Ortsgemeinde Köln Ostheim. Hier kommen Menschen zum Glauben, hier passiert etwas, und darauf hat Satan ganz besonders abgesehen.
Was wäre es für eine Tragik, wenn sich unsere Gemeinde spalten würde? Was wäre das für eine Tragik über die Kölner Grenzen hinaus? Neubekehrte würden in ihrem Glauben erschüttert. Für Kritiker wäre das gefundenes Fressen. Für Gemeindegeschädigte wäre es einfach nur eine weitere Bestätigung: Gemeinde Christi funktioniert nicht.
Es wäre ein großer Schaden, wenn wir uns hier spalten würden. Und das will Satan aktiv. In dir und in mir steckt etwas, das dazu fähig ist, das voranzubringen – das ist unser Hochmut. Da beginnt es.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns selbst immer prüfen. Die Liebe sucht nicht das Ihre, die Liebe bläht sich nicht auf. Die Liebe überwindet Hochmut und trägt zur Harmonie bei. Christus ist unser Vorbild, der nicht auf sein Wohl achtete, sondern auf das Wohl der anderen.
Liebe in Anfeindungen: Verzicht auf Rache und Suche nach Frieden
Jetzt haben wir in den Punkten zwei und drei meiner Predigt vor allem innere Aspekte betrachtet, die in unserem Herzen liegen und die wir überwinden müssen.
Im vierten und letzten Punkt geht es nun stärker um das Verhalten der Liebe inmitten von Anfeindungen von außen. Die Verse 17 bis 21 knüpfen an Vers 14 an, wo es heißt: „Segnet, die euch verfolgen.“ Der Text greift dieses Thema noch einmal auf und spricht darüber, wie sich die Liebe angesichts persönlicher Anfeindungen zeigt.
Erstens: Die Liebe überwindet, indem sie auf Rache verzichtet. Kommt, wir lesen die Verse 17 und 19:
„Vergeltet niemand Böses mit Bösem, seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen. Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes, denn es steht geschrieben: ‚Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.‘“
In Vers 17 spricht Paulus von Vergeltung, in Vers 19 von Rache. Wir müssen wissen, dass es sich um ein und dasselbe handelt, denn die Vergeltung von Bösem ist auch Rache. In beiden Versen geht es also um den Verzicht auf Rache.
Paulus sagt, das hat Vorbildcharakter: „Seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen.“ Die natürliche Reaktion in unserer Welt ist: „Mir wurde Böses angetan, ich antworte darauf mit Bösem.“ Das ist die natürliche Reaktion.
Aber wir Christen sollten unsere Liebe darin zeigen, dass wir das überwinden und auf Rache verzichten. Das ist manchmal leichter gesagt als getan. Am grünen Tisch lässt sich das schnell bejahen: Auf Rache verzichten wir. Aber sagt das mal einem Mann in Nigeria, der mit ansehen musste, wie sein Sohn von Boko Haram vor seinen Augen ermordet wurde. Er ist Christ, aber diese Bilder kommen nachts wieder, und in ihm schreit alles danach: „Ich will diese Mörder jetzt dafür umbringen, sie haben meinen Sohn getötet.“ Doch er sagt: „Ich weiß, es ist falsch, Herr, hilf du mir!“
Auf Rache zu verzichten kann sehr, sehr schwierig sein. Aber wenn wir ehrlich sind, fällt es uns schon manchmal schwer – nicht nur in solchen Extremsituationen, sondern auch im Alltag. Denn der Klassiker ist doch der Straßenverkehr, oder? Dort beginnt es häufig.
Es gibt aber auch andere Szenarien: Dein Nachbar hört abends noch laut Musik, und du kannst nicht einschlafen. Wenn du da liegst, hast du viele Gedanken. Dann wirst du plötzlich kreativ und planst eine Party für nächste Woche, die ebenfalls sehr laut wird – nur damit dein Nachbar versteht, wie sich eine schlaflose Nacht unter der Woche anfühlt. Rache!
Eltern rächen sich manchmal an ihren Kindern im Namen biblischer Kindererziehung. Dabei werden jedoch evangeliumsgemäße Prinzipien nicht berücksichtigt. Du sagst deinen Kindern: „Du sollst das nicht tun.“ Sie machen es trotzdem. Dein Fehler ist, dass du das auf dich persönlich beziehst, anstatt die Not des Kindes vor Gott zu sehen. Das wäre der richtige Weg.
Stattdessen beziehst du es auf dich persönlich, wirst wütend auf dein Kind und sagst: „Alles klar, du handelst gegen mich, ich bin Elternteil, ich habe Autorität, jetzt handle ich gegen dich und bestrafe dich aus Zorn.“ Im ersten Moment scheint das nicht falsch zu sein, denn wir müssen unsere Kinder konsequent erziehen. Dagegen sage ich nichts, ich bin auch für konsequente Erziehung. Aber nie aus Wut heraus und nie aus persönlicher Vergeltung, sondern aus pädagogischem Charakter, damit das Kind seine Not vor Gott sieht.
Viele Eltern rächen sich an ihren Kindern.
Dann gibt es Situationen, die besonders schwer fallen. Was sagen wir dem christlichen Ehemann, der erfahren hat, dass seine Frau ihn mit einem Arbeitskollegen betrogen hat? Ihr Lieben, das ist eine reale Situation. Ich hatte in diesem Jahr mehrere Gespräche mit solchen Ehemännern, immer war es der Arbeitskollege.
Was sagst du einem Mann, der sagt: „Am liebsten will ich jetzt zur Arbeit fahren und dem Typen eine reinhauen, Andre, das sage ich dir ganz offen. Alles in mir schreit danach.“ Was sagst du ihm? „Mach’s nicht.“ Er sagt: „Ja, schön und gut, du hast es nicht erlebt.“ „Mach’s nicht, so vom Gesetz her, nein, mach’s nicht.“
Wir müssen uns an dieser Stelle der Predigt eine ganz wichtige Frage stellen: Welche Kraft, welche Wahrheit motiviert uns dazu, auf Rache zu verzichten? Was gibt uns Kraft und Motivation zu sagen: „Ich werde nicht für meine eigene Gerechtigkeit einstehen“?
Ihr Lieben, der Text gibt uns zwei Antworten. Einmal ist es das Bewusstsein der Liebe Gottes. Schaut mal Vers 19: Paulus sagt: „Rächt euch nicht selbst, Geliebte!“ Und das ist nicht einfach nur eine Anrede. Er möchte den Römern hier wirklich deutlich machen: Ihr braucht euch nicht selbst zu rächen, weil ihr so sehr geliebt seid.
Das hat er vorher im Römerbrief dargestellt: Gott hat seine Liebe zu uns bewiesen, als Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren, seine Feinde. Er geht den ersten Schritt auf uns zu und beweist seine Liebe zu uns. Wir sind geliebt. In Römer 8 macht Paulus deutlich: Du bist ein Kind Gottes. Nichts und niemand kann dich von der Liebe Gottes trennen.
Dieses Bewusstsein der Liebe Gottes hilft uns.
Der Text geht aber noch weiter. Aus der Liebe Gottes heraus zeigt sich der zweite Teil des Verses: „Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.“ Das ist interessant, oder? Gottes Liebe und Gottes Zorn werden hier direkt nebeneinander erwähnt. Wir verstehen diese beiden Konzepte oft falsch und denken, sie seien Gegensätze. Aber Gottes Liebe und Gottes Zorn bedingen sich gegenseitig, denn nur wer leidenschaftlich liebt, wird auch zornig.
Stell dir vor, du siehst heute Nachmittag beim Fest der Kulturen, wie ein Kind ein anderes Kind – du kennst beide nicht – ins Gesicht schlägt. Du denkst nur: „Was ist das denn? Das darf es nicht tun.“ Aber es bewegt dich nicht weiter.
Dann siehst du, wie ein älteres Kind dein eigenes Kind ziemlich heftig schlägt. Deine Reaktion wird viel leidenschaftlicher sein, oder? Warum? Weil du liebst!
Leidenschaftliche Liebe und Zorn bedingen sich gegenseitig.
Mit diesem Wissen lesen wir noch einmal Vers 19: „Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes.“ Weißt du, was dieser Vers sagt? Gott ist zornig, wenn man dich ungerecht behandelt, weil er dich so sehr liebt.
Ich erinnere mich gut an eine Situation aus meiner Kindheit. Ich weiß nicht, wie alt ich war, vermutlich fünf oder sechs, vielleicht auch etwas älter. Ich wurde vor meinem Elternhaus von einem älteren Jungen mutwillig und ohne Grund verprügelt, direkt vor unserer Haustür.
In dem Moment tritt mein Vater aus der Tür, sieht das und kommt sofort herausgelaufen. Der ältere Junge, der mich verprügelt hat, bekommt sofort Angst und läuft weg. Mein Vater, der ein sehr ruhiger und beherrschter Mensch ist, rennt ihm hinterher, packt ihn im Rahmen der Legalität und zieht ihn zur Rechenschaft.
Ich hatte nie wieder ein Problem mit diesem Jungen, nie wieder.
Aber warum hat mein Vater nicht einfach nur zugeschaut, wie sein kleiner Sohn von einem älteren Jungen verprügelt wird? Warum hat er nicht weggeschaut?
Die Antwort ist: Weil er mich liebt.
Weißt du, wie sehr Gott dich liebt? Das möchte ich dir hiermit deutlich machen: Du bist geliebt, und zwar viel mehr, als dich ein irdischer Vater lieben kann. Gottes Liebe ist viel reiner und viel vollkommener.
Wenn schon ein irdischer Vater zornig wird, wenn seinem Kind etwas zuleide geschieht, wie viel mehr Gott!
Das möchte ich dir heute auch ermutigend weitersagen: Wenn du mit Bitterkeit in deinem Herzen kämpfst, mit Rachegedanken, dann darfst du ruhig werden in der Tatsache, dass Gott dich so sehr liebt und dass er eingreifen wird.
Darum geht es auch im zweiten Punkt: die göttliche Zusage der Vergeltung.
Paulus begründet die Aussage „Gebt Raum dem Zorn Gottes“ mit einem Vers aus dem Alten Testament, Vers 19: „Denn es steht geschrieben: ‚Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.‘“
Gott sagt dir eigentlich zwei Dinge: Erstens, die Rache gehört mir und nicht dir. Das ist das eine, was Gott sagt. Zweitens sagt Gott: „Ich will, ich will vergelten, ich will für Gerechtigkeit einstehen.“
Wenn wir meinen, uns selbst rächen zu müssen, machen wir zwei Dinge: Wir übernehmen Gottes Aufgabe. Wir spielen in dem Moment Gott, weil Gott sagt: Die Rache gehört nur mir.
Wenn wir sagen: „Nein, sie gehört mir“, setzen wir uns auf Gottes Thron und meinen, wir könnten für unsere Gerechtigkeit einstehen.
Das ist auch ein Zeichen des Misstrauens, weil Gott dir die Verheißung gibt: „Ich werde für deine Gerechtigkeit einstehen.“ Nicht unbedingt immer in diesem Leben, aber spätestens vor dem Gericht.
Ich möchte dich ermutigen, das zu glauben. Das zu glauben und in dieser Wahrheit loszulassen.
Dann weißt du: Gott kann viel besser vergelten als du. Gott kann das viel besser. Und er sagt: „Ich will mich darum kümmern.“
Als Paulus diese Worte schreibt, befindet er sich natürlich in einer Situation, in der er selbst immer wieder Böses erfahren hat.
Im 2. Timotheusbrief, Kapitel 4, Vers 14, sagt Paulus: „Alexander der Schmied hat mir viel Böses erwiesen, der Herr wird ihm vergelten nach seinen Werken.“
Der 2. Timotheusbrief wurde im Gefängnis geschrieben, kurz vor Paulus’ Tod. Es geht ihm schlecht, er ist einsam, allein in einer römischen Gefängniszelle.
Wenn du in einer Gefängniszelle bist, hast du viel Zeit zum Nachdenken. Paulus denkt immer wieder an einen Mann: Alexander der Schmied. „Er hat mir so viel Böses getan.“
In solchen Momenten kannst du bitter werden, Bitterkeit in deinem Herzen entwickeln. Das ist Sünde – eine Wurzel der Bitterkeit.
Aber Paulus findet Ruhe in der Vergeltung Gottes. Er betet nicht: „Vater, vergib Alexander.“ Er weiß nicht, was er Böses getan hat. Das betet Stephanos in Apostelgeschichte 7, das betet Jesus am Kreuz. Aber offensichtlich gibt es auch diesen Weg.
In 2. Timotheus 4 sagt Paulus, er findet seine Ruhe darin, dass Gott sich darum kümmert, denn Gott sagt: „Mein ist die Rache, ich will vergelten.“
Ich weiß nicht, welchen „Alexander“ es in deinem Leben gibt. Vielleicht ist es deine leibliche Schwester, vielleicht dein Vater, vielleicht deine Arbeitskollegen, die dich mobben und öffentlich bloßstellen.
Ich weiß nicht, wer dein „Alexander“ ist. Aber ich möchte dich heute einladen, die Faust, die du vielleicht noch immer in der Tasche hast, zu öffnen.
Den Groll, den du immer wieder gegen diese Person hast – manchmal reicht ein Trigger, du hörst nur ihren Namen oder etwas in einer Predigt geht in diese Richtung, und sofort merkst du eine emotionale Reaktion.
Das ist oft ein Zeichen – nicht immer, manchmal ist es nur eine Anfechtung –, aber oft ein Zeichen dafür, dass du noch nicht losgelassen hast. Dass du hier sitzt mit einer geballten Faust.
Und das möchte Gott heute durch diese Predigt: Er möchte dich einladen, loszulassen. Du darfst die Faust öffnen.
Du musst diese Bitterkeit nicht mit dir herumtragen, denn sie macht dich selbst kaputt.
Du darfst loslassen im Vertrauen darauf: Du bist geliebt, und Gott wird sich um dich kümmern und vergelten.
Lass los, bring es unter das Kreuz und lass es dort.
Genau dazu möchte ich dich heute am Ende der Predigt einladen: Mach das nach vorne deutlich. Sage: „Ich lasse heute los, Person X, ich vergebe, ich lasse los, ich bringe es vors Kreuz.“
Überwindende Liebe in der Anfeindung zeigt sich nicht nur im Verzicht auf Rache. Liebe geht sogar noch einen Schritt weiter. Liebe kann so stark sein, weil sie göttliche Liebe ist.
Liebe bemüht sich aktiv um Frieden. Das ist der nächste Unterpunkt.
Schaut mal Vers 18: „Wenn möglich, so viel an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden!“
Paulus ist Realist und weiß: Zum Frieden gehören immer zwei.
Paulus schreibt den Römerbrief aus Korinth, und gerade in Korinth hat er viel Anfeindung und Ablehnung erfahren – sehr viel.
Er weiß: Zum Frieden gehören immer zwei. Aber der Grund, warum es noch nicht zum Frieden gekommen ist, darf nie am Christen liegen.
Das macht er hier deutlich.
Es darf nie an uns liegen. Wenn der andere jedes Gespräch ablehnt, können wir nichts dafür. Dann sind wir auch im Reinen vor Gott.
Aber unsererseits sollte alles getan werden, um den Frieden zu suchen.
Warum ist Gott so sehr auf Frieden aus? Weil er ein Gott des Friedens ist (Römer 15), weil er selbst Frieden geschaffen hat durch Jesus Christus und unsere Beziehung zu Gott wiederhergestellt hat.
So möchte er, dass wir auch im Frieden miteinander leben.
Schaut mal in Hebräer 12, Vers 14, da finden wir starke Worte: „Jagt dem Frieden nach mit allen!“
Nachjagen ist ein starkes Wort, oder? Es bedeutet nicht, dass ich mal eine SMS schreibe oder eine WhatsApp, um einen Gesprächstermin zu bekommen. Wenn die Person ablehnt, ist alles in Ordnung, dann habe ich alles getan.
Nachjagen bedeutet: Ich will den Frieden, und ich kämpfe dafür, dass der Frieden endlich eintritt.
Dazu sind wir berufen.
Jesus macht deutlich, dass geklärte zwischenmenschliche Beziehungen sogar wichtiger sind als der Dienst für Gott.
Wenn du dein Opfer bringst und dir in dem Moment bewusst wird, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, sagt Jesus: Lass das Opfer und kläre die Sache mit deinem Bruder.
Meine Frage an dich heute Morgen: Gibt es aktuell Menschen in deinem Leben, mit denen du keine geklärte Beziehung hast?
Denk mal darüber nach. Vielleicht fällt dir sofort eine Person ein. Vielleicht aus der Gemeinde, vielleicht aus deinem Familienkreis, vielleicht von der Arbeit.
Meine Frage an dich ist: Hast du bereits alles unternommen, was in deiner Macht steht, um den Frieden aktiv zu suchen?
Das ist die Frage.
Hast du alles getan, um den Frieden wiederherzustellen?
Vielleicht ist es dran, dass du heute ein klärendes Gespräch suchst.
Vielleicht ist es dran, dass du heute am Nachmittag, wenn wir hier das Fest der Kulturen feiern, auf diese Person X in deinem Leben zugehst und das klärende Gespräch suchst.
„So viel an euch liegt, habt Frieden!“
Die Liebe überwindet die Angst, die Liebe überwindet auch die Bequemlichkeit.
Liebe sucht den Frieden. Sie geht gerne den ersten Schritt. Sie wartet nicht darauf, dass die andere Person kommt. Sie wird initiativ und bittet um Frieden.
Liebe ist so stark.
Liebe überwindet das Böse mit Gutem
Und der letzte Punkt ist eigentlich noch einmal ein Höhepunkt: Liebe überwindet das Böse sogar mit Gutem. Das ist noch einmal eine Stufe höher.
Da heißt es in den Versen zwanzig und einundzwanzig: „Wenn nun dein Feind hungert, so speise ihn; wenn er durstet, so gib ihm zu trinken.“ Mit anderen Worten: Wenn der Typ eine Panne hat, steig aus und hilf ihm bei seiner Panne. Wenn du nun das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.
Paulus zitiert hier Sprüche 25. Einige Christen denken, die Feindesliebe kommt erst im Neuen Testament vor, in der Bergpredigt. Aber die Feindesliebe gibt es auch schon im Alten Testament, bei Hiob, und sie gibt es auch hier in Sprüche 25.
Es geht um eine Aufforderung, für den Feind in der Not da zu sein, wenn er Not hat. Und das Bild mit den feurigen Kohlen auf dem Haupt ist ein Symbol für die Beschämung des Feindes. Wir dürfen unsere Feinde in einer Weise beschämen, indem wir ihnen Gutes tun. Sie wissen dann sofort: Das habe ich jetzt von der Person nicht verdient. Und das führt häufig zu Reue.
Dieses Prinzip fasst Paulus dann noch einmal mit dieser starken Aussage zusammen: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.“
Im Buch „Leben über dem Durchschnitt“, das ich sehr empfehle und das im CLV Verlag erschienen ist, findet sich eine Geschichte von einem gläubigen Sergeant, der während des Zweiten Weltkriegs auf Malta stationiert war und zum Glauben gekommen ist.
Als man ihn fragte, wie er sich bekehrt hat, erzählte er von einem gläubigen Soldaten aus seiner Kompanie. Er sagt: „Eines Nachts kamen wir alle zur Kaserne zurück, völlig durchnässt vom Regen und sehr müde. Bevor dieser Soldat in seine Koje kroch, kniete er nieder und betete. Da habe ich es ihm gegeben.“
Meine Stiefel waren schwer vom Dreck, und mit einem Stiefel schlug ich ihm auf die eine Backe, dann nahm ich den anderen Stiefel und schlug ihn damit auf die andere Backe. Und er betete einfach weiter. Am nächsten Morgen, so fuhr der Sergeant fort, fand ich diese Stiefel neben meiner Koje ganz sauber poliert stehen.
Das war die Antwort des Christen auf die Anfeindung, auf das Böse. Und es brach mir das Herz, und in dem Moment bin ich zum Glauben gekommen.
Ihr Lieben, das ist eine Liebe, die das Böse mit Gutem überwindet. Wenn uns Böses angetan wird, ziehen wir uns mit der Kraft Gottes nicht in beleidigte Bitterkeit zurück. Dann wird die Liebe aktiv. Wir sind nicht Opfer dessen, was Menschen uns getan haben. Mit Jesus können wir überwinden – das ist doch der Punkt.
Und dann wird Liebe erst so richtig aktiv, wenn dein Ehepartner dich so verletzt hat, wenn dir Dinge gesagt wurden, die dich verletzt haben. Alles in dir will sich zurückziehen. Rückzug kann ja auch eine Form von Zorn sein: „Ich ziehe mich jetzt zurück.“ Aber das macht die Liebe nicht.
Da möchte ich dich ermutigen: Wenn du in der Situation bist, überlege dir, wie du deinem Ehepartner jetzt etwas Gutes tun kannst, obwohl er dich so behandelt hat.
Wenn du auf der Arbeit von einer Kollegin so fertig gemacht wirst, bring ihr doch am Montag ein Stück Kuchen mit. Damit sammelst du feurige Kohlen auf ihrem Haupt.
Wenn du in der Gemeinde von einer Person schlecht behandelt wirst, meide diese Person nicht. Überlege dir ganz konkret: Wie kann ich dieser Person heute ein Segen sein?
Vielleicht sagst du jetzt: „Ja, das kostet Überwindung. Das ist mal so richtig heftig, was du heute sagst, André.“ Aber eines muss uns klar sein, und damit möchte ich schließen: Gott erwartet von uns nie etwas, wozu er uns nicht auch befähigen will.
Schaut mal, eigentlich finden wir den Höhepunkt in der Parallele zu diesem Text in Römer 8. In Römer 8 geht Paulus darauf ein, was ihm alles widerfahren ist. Er sagt: Wir sind geachtet wie Schlachtschafe, wir werden gequält, wir werden verfolgt, jeden Tag. Und dann sagt Paulus in Römer 8, Vers 37: „Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat.“
Und das möchte ich dir am Ende auch noch einmal so ganz deutlich zusprechen: Du bist geliebt. Du bist so sehr geliebt von unserem Herrn, von unserem Heiland, der sein Leben für dich gegeben hat. Er möchte dich befähigen mit diesem vollen Becher, dem vollen Glas, dem vollen Segen in Jesus Christus.
Du musst nicht Sklave deiner Vergangenheit sein. Die Ketten sind in Christus gesprengt. Du kannst überwinden – auch andere Personen, auch wenn es noch so schwer ist, mit der Hilfe unseres Herrn und um seines Willens.
Wir müssen es ja nicht mal immer machen, weil uns die andere Person so nahe steht. Manchmal entscheiden wir uns, der Person etwas Gutes zu tun, einfach weil wir sie lieben. Und das sollte immer unsere Hauptmotivation sein. Wir tun es um Jesu Willen. Deswegen gehen wir Schritte auf die andere Person zu.
Vielleicht hat Gott dir heute aufgezeigt, wie gleichgültig du bist. Vielleicht hat Gott dir aufgezeigt, dass es in deinem Leben so viel Hochmut gibt, den die Liebe überwinden muss.
Vielleicht hast du aber auch festgestellt: Es gibt Menschen in meinem Leben, auf die ich so bitter bin, zu denen ich eine ungeklärte Beziehung habe. Ich möchte dich heute einladen, eine Entscheidung zu treffen. Eine Entscheidung, indem du zu Gott kommst und sagst: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe, und in deiner Kraft will ich heute loslassen.“
Wenn du das möchtest, dann möchte ich dich einladen, jetzt gleich, während wir in den Lobpreis gehen, nach vorne zu kommen, symbolisch vor das Kreuz. Du musst mit niemandem reden. Du kannst einfach alleine mit deinem Herrn vor dem Kreuz stehen und sagen: „All das, was mir die Menschen angetan haben, ich bringe es heute unter das Kreuz, wissend, dass du mich liebst und dass du für meine Gerechtigkeit einstehst.“
Vielleicht hast du heute festgestellt, dass deine Liebe zu Jesus kalt geworden ist. Du siehst, wie sehr er dich liebt, wie sehr er um dich eifert, aber dass dich eigentlich gar nicht mehr interessiert, was er von deinem Leben will. Vielleicht ist heute ein Neuanfang im Glauben dran.
Auch dann lade ich dich ein, nach vorne zu kommen, zum Kreuz, um deine Liebe zum Herrn auch noch einmal deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Vielleicht hast du aber noch nie eine Entscheidung für Jesus Christus getroffen.
Weißt du, die Liebe Jesu zu dir ist eine überwindende Liebe. Jesus hat in erster Linie die Herrlichkeit bei seinem Vater verlassen und ist in unsere Finsternis hineingekommen. Aber dann hat er auch im Garten Gethsemane überwunden.
Es war so schwer im Garten Gethsemane für unseren Herrn, die Entscheidung zu treffen: „Ich trinke den Kelch.“ Aber er hat überwunden und gesagt: „Ich gehe ans Kreuz.“
Als er am Kreuz hing und die Menschen ihm sagten: „Steig herab“, war das eine Versuchung für Jesus. Aber er hat wieder überwunden – aus Liebe zu dir – und sagt: „Ich hänge am Kreuz, ich bringe das hier zu Ende, um das vollkommene Sühneopfer für deine und meine Sünden zu sein.“
Und wenn du darauf heute dein Vertrauen setzen möchtest, wenn du siehst: „Ich stehe vor Gott mit schmutzigen Händen da, ich habe keine reine Weste, es gibt so viel, was ich falsch gemacht habe, aber ich will mein Vertrauen auf Jesus setzen, ich will seine Liebe annehmen,“ dann kannst du gerne auch zum Kreuz kommen.
Lass uns gemeinsam aufstehen, und wir gehen jetzt in den Lobpreis.