Einleitung: Die Bedeutung der Liebe trotz fehlender Nennung im Text
Liebe Freunde, einen guten Abend. Schade, dass es heute schon aufhört. Einen guten Morgen haben wir noch beim Morgenschlussgottesdienst. Heute ist das Thema „Nicht vergeblich – die Sache mit der Liebe“.
Denken Sie an das Klagelied vieler Lehrer, vieler Erzieherinnen, vieler Eltern und Großmütter: Wie viel Liebe haben wir in die uns anvertrauten Kinder hineingesteckt? Und es scheint umsonst zu sein. Liebe kann, wie wir so schnoddrig sagen, für die Katz sein. Und jetzt geht es nicht umsonst um die Sache mit der Liebe.
Wenn Sie aufmerksam 1. Könige 15 gelesen haben – und das beschäftigt uns in dieser Woche – werden Sie das Stichwort „Liebe“ überhaupt nicht finden. Sie fragen sich vielleicht: Wie kommt man denn überhaupt auf dieses Thema?
Nun, das wurde unter den Wünschen hier aus dem verantwortlichen Kreis genannt, dass wir über die Sache der Liebe sprechen sollen. Bibeltext, der Glaube, was die Bibel ist – das alles gehört dazu.
Aber lassen Sie mich als Vorbemerkung sagen: Auch wenn die Wörter „lieben“ und „Liebe“ nicht vorkommen, spüren Sie die brennende Sorge Gottes, die aus Liebe kommt. Ebenso die brennende Sorge des Apostels Paulus, der voller hingebungsvoller Liebe ist. Ihr Leben darf nicht umsonst sein, nicht vergeblich.
Wenn je Eltern sich um ihre Kinder gesorgt haben, dass sie am Leben scheitern könnten, dann ist das nur ein schwaches Abbild dafür, wie die Beauftragten Gottes sich sorgen. Sie sorgen darum, dass wir die rasch dahin zischenden Jahre unseres Lebens nicht umsonst leben, nicht vergeblich.
Deshalb steckt Liebe dahinter – auch wenn das Wort nicht auftaucht.
Die zentrale Rolle der Liebe im 1. Korintherbrief
Die Liebe als Grundlage allen Handelns
Vorbemerkung zwei
Der Apostel Paulus hat im ersten Korintherbrief sehr ausführlich über die Liebe gesprochen. Es besteht immer die Gefahr, einzelne Bibelworte herauszugreifen und isoliert zu betrachten. Die Bibel will jedoch im Zusammenhang gelesen werden.
Zwei Kapitel vor 1. Korinther 15 steht das hohe Lied der Liebe, 1. Korinther 13. Es beginnt mit einem Paukenschlag: Wenn ich als Apostel keine Liebe hätte, wäre alles umsonst. Das gilt auch für uns als Lehrer, Erzieherinnen oder Pfarrer. Wenn wir noch so großartig predigen, aber keine Liebe darin steckt, klingt das wie das Scharren eines Metallschabers auf einer Teflonpfanne – es geht einem durch und durch.
Paulus sagt weiter: Man kann reden wie der größte Redner der Antike und auf dem Areopag sprechen, doch wenn es nichts nützt, ist es wertlos. Und wenn ich alle Erkenntnis hätte – und liebe Brüder und Schwestern, Paulus hatte viel Erkenntnis und Einsicht – doch keine Liebe, wäre das wie ein Schlag ins Wasser.
Wenn ich Berge versetzen könnte – Philippi hat Paulus erlebt, wie die Erde wackelte, als er nachts betete, und die Gefängnistüren aufsprangen – er konnte das. Aber ohne Liebe hat das keinen Wert.
Selbst wenn ich mit Engelszungen reden könnte: Im zweiten Korintherbrief schreibt Paulus, dass er mehr in Zungen redet als alle anderen. Doch in der Gemeinde möchte er lieber fünf verständliche Worte sprechen als in Engelszungen reden. Wenn ich herrlich in dieser Engelsprache reden könnte, aber keine Liebe hätte, wäre das wertlos – ein Paukenschlag, der nur Lärm macht.
Die bleibende Bedeutung von Glaube, Hoffnung und Liebe
So beginnt 1. Korinther 13, und es endet mit Paulus' Aussage, dass vieles aufhört. Was uns heute wichtig ist, hört auf: Theologie hört auf, theologische Disputation hört auf, Philosophie hört auf, das Predigen hört auf. Im Himmel wird es keine Evangelisationsveranstaltungen mehr geben, auch keine Bibelwochen hören auf. Die Zungenrede wird aufhören, im Himmel braucht es keine Krankenheilungen mehr. Auch die Erkenntnis wird aufhören.
Aber es bleibt der Glaube. Was ist der Glaube? Es ist nicht nur ein Bekenntnis, nicht einfach „mein Jesus“. In Ewigkeit wird das Größte sein: mein Jesus. Und es bleibt die Hoffnung. „Harre auf Gott, ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“ Das ist meine Freude: dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht auf Gott, den Herrn, setze. Es bleibt in Ewigkeit, oh du mein Gott!
Und die Liebe wird bleiben. Die Liebe ist die Größte unter ihnen – so schließt 1. Korinther 13. Ein kurzer Blick zeigt, dass dem Apostel Paulus die Liebe wichtig war (1. Korinther 13).
Die besondere Dimension der Liebe Jesu
Unterschiedliche Perspektiven auf Liebe
Vorbemerkung 3, aber eine besondere Liebe.
Wir denken, weil wir immer von uns aus denken, an die Liebe, die anderen Menschen uns schuldig bleiben. Auch an die Liebe, die wir empfangen haben von Eltern, Großeltern, Patentanten und freundlichen Menschen um uns herum. Im Lauf des Lebens vergisst man oft, wie viel Liebe man erfahren hat.
Wir waren fünf Brüder und alle besuchten dasselbe Gymnasium in Stuttgart. Als Hans Winrich, der Jüngste, die Schule verließ, schworen wir uns, nie etwas Gutes über unsere Schule zu sagen. So hatten wir es satt. Heute, nach 50 Jahren, begreife ich erst, was wir bei unseren Lehrern an Fürsorge mitbekommen haben.
Also: Liebe, die wir empfangen haben, Liebe, die wir unseren Mitmenschen schulden, Liebe, die wir gern weitergeben würden, aber oft ungeschickt darin sind – Liebe von Mensch zu Mensch. Das ist ja auch nicht ganz falsch, davon spricht der Apostel Paulus auch.
Und wenn ich noch so predigen könnte, Erkenntnisse hätte und Theologe wäre, aber keine Liebe hätte, wäre es nichts. Das muss ich bekennen.
Wir dürfen als Pfarrer hinter so viele Glastüren sehen und so viel Anteil nehmen an menschlicher Not, dass man auch in der Gefahr stehen kann, Menschen zu verachten. Deshalb müssen wir immer wieder neu auftanken.
Martin Luther hat es so gesagt: In dem glühenden Ofen der Liebe Gottes, wie er die Seinen liebte, so liebte er sie bis ans Ende.
Die Liebe Jesu als Vorbild und Kraftquelle
Aber wenn der Apostel Paulus von Liebe spricht, meint er nicht zuerst die zwischenmenschliche Liebe. Überall dort, wo in 1. Korinther 13 von Liebe die Rede ist, können Sie den Namen Jesus einsetzen. Jesus ist langmütig und freundlich. Drei Jahre lang hat er seine Jünger trotz ihres Unverständnisses getragen. Wie lange hat er mich schon ertragen?
Die Liebe eifert nicht, sie nimmt nicht an der Krawatte. Sie ist geleitet, so wie Jesus seine zweifelnden Jünger geleitet hat. Die Liebe bläst sich nicht auf. Was denkt ihr eigentlich? Für wen haltet ihr mich? Sie geht geduldig mit. Ich bin der gute Hirte. Sie lässt sich nicht erbittern und rechnet das Böse nicht zu.
Als der auferstandene Jesus seinem Petrus begegnet ist, hat er nicht gesagt: „Na ja, zwischen uns ist einiges vorgefallen, das muss erst bereinigt werden.“ Nein, er fragte: „Liebst du mich? Hast du mich wirklich lieb?“ Die Liebe lässt sich nicht erbittern, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Das ist die kürzeste Beschreibung dessen, was Jesus getan hat und bis heute tut.
Sie glaubt alles, sie hofft alles, sie trägt alles. Mich mit meinen Macken und Kanten trägt er. Kennen Sie einen Gesangbuchvers, der ohne Ende hebt und trägt, die sich in seinem Dienst üben? Als der VfB noch schlecht gespielt hat – das gab es ja auch mal – erschallte aus der Cannstatter Kurve, wo die Fans standen, immer der Ruf: „Üben, üben!“ So sind wir Christen. Wir üben uns erst im Dienst Gottes und werden getragen von ihm, der ohne Ende hebt und trägt, die in seinem Dienst sich üben.
Diese Liebe, von der der Apostel Paulus spricht, ist nicht einmal die zwischenmenschliche Liebe, sondern die Liebe, die Jesus uns erweist. Und diese Liebe ist nicht umsonst.
Die persönliche Erfahrung des Paulus mit der Liebe Jesu
Und jetzt sind wir beim Text. Ich bitte Sie, im Kapitel 15 die Verse ab Vers 8 bis Vers 10 zu lesen.
Zuletzt ist Jesus auch von mir gesehen worden, als einer unzeitigen Geburt – so wie es Frühgeburten gibt, im Gegensatz zu Spätgeburten. Alle anderen Apostel haben ihn vorher gesehen. Ich wurde später dazu getragen, denn ich bin der geringste unter allen Aposteln. Ich bin nicht wert, überhaupt ein Apostel zu sein, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen. Vielmehr habe ich mehr gearbeitet als alle anderen, nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
Sehen Sie, da sagt Paulus aus eigenem Erleben: Leute, schaut doch mich an, wie die Liebe Jesu verändern kann. Ich war Nummer eins unter allen Anti-Jesus-Leuten. Ich hatte einen Hass auf Jesus. Ich wollte jedem auf den Mund schlagen, dem Jesus wichtig war. Ich habe sie verfolgt bis nach Damaskus.
Ich wollte die Sache ausrotten und klar machen, dass Jesus nicht zu unserer Welt gehört. Trotzdem hat Jesus diesen Paulus nicht aufgegeben, sondern ihn gesucht und ihm vor Damaskus erschienen. Er durfte als letzter unter uns Menschen sehen, dass Jesus lebt – ich bin der lebendige Jesus – und hat ihn herausgerettet aus seiner Feindschaft.
Im ersten Timotheusbrief heißt es: Ich danke Gott, der etwas aus mir gemacht hat, der mich stark gemacht, treu geachtet und zum Apostel gemacht hat. Vorher war ich ein Lästerer, Verfolger und Schmäher. Aber an mir hat Jesus gezeigt, was er machen kann und machen will in seiner Liebe.
Ich bin das Modellbeispiel Nummer eins dafür, dass Jesus in seiner Liebe verändern kann. Für diese Liebe Jesu gibt es keinen einzigen hoffnungslosen Fall, nicht einen.
Die Liebe Gottes, wenn wir sie überhaupt in unser Leben hineinwirken lassen, ist nicht umsonst. Sie bewirkt etwas. Paulus sagt, sie bewirkt sogar, dass man schaffen kann wie ein Bär, dass man eine neue Vitalität bekommt – aber nicht ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
So sagt Paulus: Man denkt nicht, oh, muss er viel schaffen, und schon wieder wird er als Mitarbeiter gebraucht. Nein, Gottes Gnade gibt neue Kraft.
Die Liebe Gottes als Ursprung und Ziel unseres Lebens
Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Menschen lieben oder Gott lieben, sagt der Apostel Johannes, sondern darin, dass Gott uns geliebt hat und etwas aus uns gemacht hat.
Wir haben gestern Abend gehört, dass nach göttlicher Ordnung, im göttlichen Zeitenplan, im göttlichen Fahrplan jetzt die Zeit ist, in der Jesus einzelne Menschen in ganz großer Liebe zu sich zieht. So wie die Bibel berichtet: Der zweifelnde Thomas, der gesagt hat, es sei biologisch und technisch unmöglich, dass Jesus lebt, kommt zu Jesus. Thomas war der, der Petrus im Hof des Hohen Priesterlichen Palastes schwören hörte, bei Gott, dass er mit diesem Galiläer garantiert nichts zu tun habe.
Doch Jesus hat Petrus zum Felsen der Gemeinde gemacht, an Pfingsten damals. Sie ahnen nicht, was die Liebe Jesu verändern kann und wie sie alle Stacheln in unserem Leben wegschmelzen lässt.
Jesus selbst hat diese anschauliche Liebe Gottes in jener Geschichte geschildert: von dem Sohn, der es satt hatte, beim Vater zu leben. Er sagte: „Ich habe die Schnauze voll, ich kann dich nicht mehr sehen.“ Er nahm alles mit, was er vom Vater hatte – Gesundheit, Erfahrung, Geld, wahrscheinlich auch das Küfferchen – und verließ die elterliche Bühne. Doch er wollte nicht mehr beim Vater sein.
Was ist eigentlich unsere Geschichte? Was haben wir alles aus der Schöpfung Gottes mitgenommen? Sauerstoff, alle guten Gaben, Gesundheit, Erfahrung, alles, was Gott uns gegeben hat, liebe Menschen, die uns begleitet haben. Und wie lange brauchen wir, bis wir wirklich zwei, drei Minuten Zeit finden, um Gemeinschaft mit Gott zu haben – oder laufen wir eher von Gott weg?
Als der Sohn schließlich merkte, dass das alles nicht das Richtige ist, wusste er: „Ich kann eigentlich nicht mehr heim und Sohn des Vaters sein. Aber vielleicht bekomme ich mein Auskommen als Gelegenheitsarbeiter.“
Und als er noch fern war, sah ihn der Vater. Der Gott, der nach jedem von uns voll Sehnsucht und liebevoller Erwartung Ausschau hält: „Wann kommt er denn, mein Sohn? Wann kommt sie denn, meine Tochter?“
Und er sah ihn, lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals, küsste ihn und sagte: „Jetzt putzt ihm den Dreck weg, der damals von mir weg war, und holt das beste Kleid. Gebt ihm einen Ring an den Finger und setzt ihn wieder in die Sohnesrechte ein. Bereitet das Festmahl vor, der Sohn ist daheim.“
Die suchende Liebe Jesu will nicht bloß Handlanger, Mitarbeiter oder Schaffer, sondern Töchter und Söhne, die in der Familie Gottes geliebt sind.
Der Apostel Paulus hat gesagt: „Das habe ich erlebt, diese Geschichte Jesu. Gottes Gnade hat aus mir wieder einen Sohn Gottes gemacht.“
Jetzt müssen Sie beinahe Ihre Geschichte auch erzählen. Vielleicht können Sie sie weitergeben. Jemand hat mir gestern Abend erzählt, was er bei Gott erlebt hat, wie er es erlebt hat.
Einzelne werden gerufen, aus der Fremde wieder hin zu ihm. Möge Gott es bestätigen bei jedem von uns, der das erlebt hat.
Die allumfassende Liebe Gottes und ihre Wirkung
Wissen Sie wirklich, von wie viel Liebe Gottes Sie umgeben sind? In Psalm 139 heißt es: „Deine Augen sahen mich, ehe ich im Mutterleib bereitet war.“ Deshalb nehmen wir jede Abtreibung so schwer. Gott sieht schon das, was Wissenschaftler als Schleimpfropf bezeichnen, als sein geliebtes Wesen an, für das er einen Plan hat.
„Deine Augen sahen mich, ehe ich im Mutterleib bereitet war.“ Voll Liebe hat er uns gesehen, als wir fern von ihm versuchten, unser Leben selbst zu gestalten.
Ich weiß nicht viel aus Ihrem Leben, aber eines weiß ich hundertprozentig garantiert: Jesus hat in Ihrem Leben mindestens zwei- bis dreimal schon gerufen, gelockt, eingeladen: „Komm doch, da ist es gut bei mir!“ Wie der gute Hirte, der merkt, dass sich ein Schaf verirrt hat, ruft er: „Komm doch!“
Der Herr Jesus kennt sogar meine Schwäche und auch Ihre Schwäche. Selbst wenn wir bei Gott sein wollen, halten wir manchmal nicht durch. Deshalb hat er uns Jesus für uns Sünder gesandt und ihn vom Tod auferweckt, damit wir einen Heiland hätten, der uns beisteht.
Und wenn uns der Teufel mit tausend Stricken gebunden hat und uns hinunterziehen will in Dinge, die wir gar nicht tun wollen, dann ist Jesus die Stärke, die sagt: „Stopp, ich bin auch noch da.“
Wenn uns das Leben mit unzähligen Aufgaben überhäuft, wenn wir schläfrig werden für alles Göttliche und Kleinglauben uns erfasst, dann kann Jesus uns wecken – noch viel liebevoller, als meine Mutter mich einst wecken konnte.
„Rolf, du musst jetzt aufstehen!“ Das war ein Ruf in den Tag hinein, voll Mut machend!
Der Jesus kann Sie wecken aus all dem, was Ihnen wichtig zu sein scheint und was in zehn Jahren überhaupt nicht mehr wichtig sein wird. Komm, wach doch auf für das, was wirklich wichtig ist!
Zeugnis von gelebter Liebe und Glaube in der Gemeinschaft
In unserem Bekanntenkreis gibt es ein glückliches Ehepaar, das auf die goldene Hochzeit zugeht. Einst hat der junge Mann um das junge Mädchen geworben – mit großer Liebe. Sie hat sich überlegt, ob sie nicht besser allein bleibt, ob sie nicht ein Palast für den ist, der um sie wirbt. Doch schließlich, als sie das Werben bemerkte, sagte sie: „So sei es krumm, mehr möchte Jesus von Ihnen heute gar nicht, also von mir aus. Mehr gar nicht.“
Und er wird zeigen, was er hineingeben kann, wenn sie mit ihm verbunden sind. Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen – nicht vergeblich. Ich habe sogar mehr schaffen können als die anderen. Die Liebe Gottes bewirkt etwas.
Mir ist immer wieder eindrücklich August Hermann Francke. Er war als junger Vikar in Lüneburg ein begabter Alttestamentler und wusste noch gar nicht, ob er wirklich Pfarrer werden wollte. Er war im Ausbildungsvikariat, und da sagte der Pfarrer schließlich, er dürfe auch mal am Pfingstmontag predigen. Francke überlegte, was er predigen sollte. Das Johannesevangelium gefiel ihm, besonders die Stelle, wo es heißt: „Wie er die Seinen geliebt hat, so liebt er sie bis ans Ende.“
Er nahm den Vers aus Johannes 20: „Dies ist geschrieben, dass ihr glaubt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, und dass ihr in diesem Glauben das Leben habt.“ Darauf wollte er seine Predigt aufbauen – erstens, zweitens, drittens. Doch dann erschrak er: „Habe ich denn in diesem Glauben das Leben?“ Was wäre anders in meinem Leben, wenn es Jesus nie gegeben hätte?
Gut, dann wäre ich nicht Pfarrer, gäbe es keine Kirche, aber dann wäre ich Lehrer, weil ich mich für Menschen interessiere. Würde ich mein Geld anders einteilen, meine Zeit anders nutzen, hätte ich andere Hobbys? Es ist doch ein Geschwätz, wenn ich sage, dass ich in Jesus das Leben habe. Wo sind da überhaupt Einflüsse Jesu in meinem Leben?
Diese Gedanken brachten ihn in große Erschütterung. Er erkannte seine eigene Scheinheiligkeit und sein Hinwegtäuschen über die wahre Lage. Schließlich zweifelte er, ob es überhaupt Gott gibt. Er schrie: „Gott, wenn es dich gibt, erweise dich mir!“ Nach vier Wochen heißt es in seinen Tagebüchern, es sei gewesen, „wie wenn eine Hand sich dreht“, dass er von absoluter Verzweiflung hineingenommen wurde in eine große Gewissheit.
Ab diesem Augenblick wurde das Leben des kleinen Vikars zu einem Vulkan. Bis heute können Sie in den hallischen Stiftungen in Halle an der Saale die erste Mission sehen, die aus Europa nach Trankeba ausging. Das gesamte preußische Schulwesen wurde nach dem System der hallischen Pädagogien eingerichtet.
Francke beauftragte den Freiherrn von Kahnstein mit dem Druck von Bibeln, weil er wusste, dass schwedische Offiziere in russischer Gefangenschaft Bibeln brauchten. Dann kam er auf den Gedanken, Volksbibeln zu brauchen, die billiger sind, und ließ einen Stehsatz anfertigen.
Francke hatte Ideen in jeder Hinsicht. Er war Professor für semitische Sprachen, nahm englische Fräulein auf und gründete das erste fremdsprachige Gymnasium auf deutschem Boden. Er sagte, es sei auch gut für die Deutschen, wenn sie mit Ausländern zusammenkommen – Ideen über Ideen.
Heute können Sie in Halle die Bibliothek sehen und den Raum mit ausgestopften Tieren besuchen. Es war das erste Mal in Europa, dass fremdländische Tiere den Schülern gezeigt wurden. Ein Mann voller Ideen.
In Jesus das Leben zu haben, bedeutet nicht, ein eintöniges Leben zu führen. Es ist sehr vielseitig, so wie Jesus die Welt geschaffen hat – mit Tieren und Bäumen. Das Leben mit Jesus ist nicht langweilig, sondern hochinteressant und voller Vitalität. Das Leben Jesu ist ansteckend.
Damit haben wir schon die Brücke zum zweiten wichtigen Vers in diesem Zusammenhang geschlagen: die Liebe, die nicht vergeblich ist.
Ermutigung zum festen Glauben und zur Verbundenheit mit Jesus
Schlussvers vom Kapitel
Darum, meine lieben Geschwister: Adelfeu bedeutet immer Brüder und Schwestern, alle miteinander. Das ist auf der guten Seite. Der Gefängnisdirektor sagt doch auch nicht „Liebe Verbrecher und Verbrecherinnen“, sonst wären wir ja alle Verbrecher. Also sind im Neuen Testament die Schwestern auch Brüder, die Adelfheuen.
Seid fest, unerschütterlich und nehmt immer zu in der Verbundenheit mit dem Herrn Jesus im Werk des Herrn. Da, wo der Herr Jesus etwas schafft, lasst auch euch schaffen. Denn ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn. Jesus setzt seine Ehre darein, dass das, was wir um seines Namens willen tun, wo wir lieben und schaffen, nicht umsonst ist.
Der große Erzieher Christian Heinrich Zeller, ein Schüler von Pestalozzi und Gründer des Rettungshauswesens, ein natürlicher Schwabe aus Endringen, der nach einem Beben das erste Rettungshaus aufgebaut hat, sagte den großen Satz: Erzieher können die ihnen Anvertrauten nur dann lieben, wenn diese ihnen abspüren, dass sie sich täglich von Jesus lieben lassen.
Die moderne Psychologie, vor allem die christliche Psychologie, hat etwas völlig anderes daraus gemacht. Dort heißt es: Wir können nur lieb sein, wenn wir uns selbst annehmen, selbst schätzen und selbst lieben. Das ist bei mir ein bisschen schwierig, vielleicht geht es Ihnen besser. Ich kann mich doch schlecht vor den Spiegel stellen und sagen: „Chefbuch, du bist schön.“ Das wäre verlogen. Ich kann aber sagen: „Chef, du bist gut, du bist liebenswert, du bist verloren.“ Aber ich kann mich annehmen, weil ich weiß, dass ich mit meinen Macken und Kanten von Jesus angenommen und geliebt bin.
Christus ist gestorben für uns Sünder, für die Leute mit Macken und Kanten. Für die ist er da, der, der unheimlich lieb ist und sagt: „Aus Liebe mache ich doch etwas.“ Es wird oft so sein, dass wir gar nicht mehr selbst mitbekommen, dass unsere Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn.
In dem Korntal, in dem wir leben dürfen, gibt es den schönen alten Alten Friedhof. Wenn Sie mal kommen, im Frauenkreis oder sonst wie, mache ich gerne eine Führung. Dort sind viele bekannte Gräber: Samuel Hebich, Johannes Rebmann, aber auch Doktor Ludwig Krapf, der große Pionier der Afrikamission. Er hat sein Leben für diesen Kontinent Afrika geopfert.
Er hat sich danach gesehnt, mehr Missionare, Missionsärzte und Missionshelfer nach Afrika zu bringen, um in dieser großen Not zu helfen. Er hat überlegt, ob man nicht eine Apostelstraße bauen kann, von Ost nach West, damit die Schiffe nicht erst unten um das ganze Kap herumfahren müssen. Dann hat er überlegt, ob er nicht den Nil entlang eine Apostelstraße baut. Als alle Missionsstationen alle fünfzig Kilometer besetzt waren, kam eine Tropenkrankheit, und alle Missionare sind gestorben.
Er hat nur das Fragment, den Torso erlebt. Seine Frau ist bei der zweiten Missionsreise gestorben. Das Grab ist bis heute am alten Friedhof von Mombasa zu sehen, und dort wird die Heimatgesellschaft, die Church Missionary Society von London, erwähnt.
Liebe Geschwister, ihr sollt wissen, dass unser Herr lebt und dass er sein Reich über den Gräbern seiner Leute baut. Krapf hat gesagt: Wenn einmal die Oromos, die Galas anfangen, den Glauben an Jesus anzunehmen, dann geht es in Afrika sprunghaft vorwärts.
Kauft das Buch von meinem Bruder, nicht weil es Prozente gibt oder Ähnliches, sondern weil dort die Geschichten drinstehen. Das müssen wir wissen, um einen weiteren Horizont zu bekommen.
Krapf selbst konnte keinen einzigen Afrikaner taufen. Sein Genosse Johannes Rebmann hat einen verkrüppelten Ostafrikaner getauft. Heute gehört das Ostafrika, dem die Liebe und der Einsatz von Krapf galt, zu den größten Erweckungsgebieten unserer ganzen Welt.
Vor einem Jahr hat unser Freund Johannes Beierhaus, der Sohn von Professor Peter Beierhaus, oben auf dem Mount Kenya eine Gedenkplakette enthüllt. Hundert Jahre, seitdem Krapf hierher kam – nicht weil er als erster Europäer die Mauern Kenias entdeckt hat, die Afrikaner kannten sie schon lange –, sondern weil es dort Kirche gibt. Krapf hat nur Torso gesehen, Fragmente, Ruinen, aber wusste: Es ist nicht vergeblich, wenn der Herr Jesus aus meinem Fragment etwas macht.
Ihr Eltern, die an euren Kindern verzagt, rechnet noch viel mehr damit, was der Herr Jesus tun kann. Das wird nicht mit 18 Jahren aufhören. Gebt eure Kinder dem Herrn. Sagt: „Jetzt machst du etwas daraus!“ Unsere Kindererziehung war vielleicht nicht viel wert, aber du kannst etwas daraus machen.
Als ich Dekan in Schorndorf war, habe ich einmal in einem Ort über das verlorene Schaf gepredigt, das der Hirte zurücklässt, um dem einen nachzugehen. Danach kam der alte Pfarrer zu mir und sagte: „Bei mir sind die neunundneunzig der Vogler offen.“ Wir sehen oft Fragmente, und heute ist in diesem Ort eine Erweckung wie im ganzen Schorndorfer Bezirk.
Weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn, ahnen wir gar nicht, was er aus unserem Fragment noch machen kann. Wir haben einen Herrn, und das ist ja der Grundton des Kapitels: Gott macht Tote lebendig – auch bei uns Tote lebendig.
Ich habe am Montag mit einer Erinnerung an Landesbischof Martin Haug begonnen, der gesagt hat: Der christliche Glaube hat nur dann Zukunft, wenn wir alle miteinander wieder ganz neu Christus ernst nehmen.
Schlussgedanken: Jesus trägt und belebt unser Leben
Ein letztes Geschichtchen von Martin Haug: Im württembergischen Oberkirchenrat wurde 1958 die Christophorusstatue eingeweiht. Sie wurde von Jürgen Weber geschaffen. Böse Zungen behaupten bis heute, dass sie der liebe Heiland aus dem Oberkirchenrat trägt.
Damals sagte Bischof Haug: „Und wir sollten, Entschuldigung, Freudenstadt soll man nicht versuchen, ihn nachzumachen. Wir sollten nie vergessen, dass nicht die Kirche es ist, die Jesus trägt, sondern dass Jesus uns trägt. Er hebt und trägt ohne Ende die Torsoleute, die Fragmentleute, bei denen vieles zerbrochen ist. Er hebt und trägt ohne Ende.“
Und jetzt, liebe Freunde, lassen Sie sich ganz neu von Jesus sagen und einladen, dass er Sie trägt, führt, segnet und mitnimmt auf seinem Weg. Bis Sie einmal in der Ewigkeit erfahren, wie unvorstellbar herrlich es war: Alles in dieser Welt war umsonst, aber der Weg mit Jesus nicht vergeblich. Die Liebe Jesu war keine vergebliche Liebesmühe, sondern sie hat sich gelohnt – für mich und für die, denen ich die Liebe weitergeben durfte.
Herr Jesus, nun hilf uns dazu, dass wir loskommen von dem Gedanken, dass es komisch sein soll, mit dir zu leben. Du weißt selbst, dass es ungewöhnlich ist in dieser Welt, die nicht so viel von dir wissen will. Aber das ist die Wirklichkeit: Du, der ewige Herr, der König, hast Verlangen danach, in unserem Leben zu zeigen, wie du Tote lebendig machst und wie du Fragmente belebst.
Dass wir durch deine Gnade etwas werden können, dass du aus uns etwas schaffen willst. Herr, du hast selbst erlebt, wie der Vater herausreißen kann aus Verwesung und Tod, aus Nichts, aus Verachtung.
Und jetzt wollen wir uns durch dich und mit dir herausreißen lassen aus der Gleichgültigkeit und aus dem Trott, in den wir auch als Christen hineinkommen. Wir wollen uns ausstrecken nach dem Leben, das du geben kannst.
Herr, wir haben noch gar nicht alles erfahren, was du geben kannst. Schaffe in uns neues Leben. Danke, dass du es kannst. Bring es auch bei uns fertig! Amen.