
Herzlich willkommen zum Podcast der EFA Stuttgart mit Thomas Pofileit und Jörg Lackmann.
Unser Podcast möchte dazu anregen, das Christsein praktisch zu leben und zugleich zum theologischen Nachdenken einladen. Die Gebote Gottes sind klar formuliert, doch ihre Anwendung auf Alltagssituationen ist nicht immer eindeutig.
Manche Menschen erstellen deshalb für unklare Fälle zahlreiche Regeln, um die sie umgebende Welt in einem Schwarz-Weiß-Schema darstellen zu können. Die Bibel zeigt sich hier oft wesentlich flexibler als wir. Sie enthält sogar einige Bücher, die speziell für die unklaren Situationen des Alltags geschrieben wurden.
Ja, das klingt ja etwas geheimnisvoll, Jörg. Welche Bücher sind denn bei solchen unklaren Situationen hilfreich, wenn man die Lage nicht einfach schwarz-weiß entscheiden kann?
Das ist die Weisheitsliteratur in der Mitte der Bibel. Sie ist, glaube ich, speziell dafür gegeben. Von den Büchern her sind das Hiob, das sich mit dem Thema Leiden beschäftigt, einige Psalmen und das Buch der Sprüche. Darauf werden wir uns heute konzentrieren. Dann gibt es noch den Prediger, der die große Frage nach dem Sinn des Lebens behandelt, sowie das Hohelied, das von Ehe und Romantik handelt. Das sind die sogenannten Weisheitsbücher.
Spannend ist dabei der Unterschied zum Beispiel zum Gesetz. Beim Gesetz, wie den Zehn Geboten, ist vieles sehr klar und leicht verständlich, etwa „Du sollst nicht stehlen.“ Als das Internet aufkam, war man sich anfangs beim Downloaden nicht ganz sicher, ob das erlaubt ist oder nicht. Anfangs gab es Diskussionen, heute ist das klar. Das ist eine relativ eindeutige Sache.
Aber was ist, wenn du einen Trauernden tröstest? Das kannst du nicht einfach in ein Gebot oder in fünf Punkte packen. Du könntest es zwar versuchen, aber es wird nie ganz funktionieren, weil Menschen und ihre Gefühle beteiligt sind.
Für solche Situationen ist die Weisheitsliteratur gut, weil Gläubige dort das Leben betrachtet und Beobachtungen gemacht haben. Im Buch der Sprüche steht sehr oft „sie sahen“ oder „sie beobachten“, und dann denkt man darüber nach, wägt verschiedene Dinge ab und kommt zu einem Urteil. Dieses Urteil kann ganz unterschiedlich aussehen.
So sieht man den Wert der Weisheitsliteratur besonders für Situationen, in denen es keinen einfachen Fünf-Punkte-Plan gibt.
Ein Beispiel dazu findet sich in Sprüche 25, ab Vers 16: „Findest du Honig, so ist davon nur dein Bedarf, damit du nicht zu satt wirst und ihn ausspuckst.“ Honig war damals das, was heute Süßigkeiten sind. Es gab keine Schokoriegel, und Honig war etwas Besonderes. Deshalb bestand die Gefahr, zu viel davon zu essen, wenn man gerade Honig gefunden hatte, etwa zur Erntezeit.
Hier wird eine einfache Beobachtung gemacht: Findest du Honig – gemeint ist hier logischerweise Wildhonig –, so nimm nur so viel, wie du brauchst, damit du nicht zu satt wirst und ihn am Ende ausspuckst, weil er dir widerwärtig wird. Dieses Bild wird auf Freundschaftsbeziehungen übertragen.
Der nächste Vers lautet: „Setze deinen Fuß selten ins Haus deines Nächsten, er könnte deiner überdrüssig werden und dich abweisen.“ Der Gedanke dahinter ist, dass es sich beim „Nächsten“ um Freunde handeln kann. Wenn du deinen Nächsten sehr oft besuchst und eure Beziehung gut ist – wie Honig –, kann sie irgendwann nervig werden. Irgendwann kippt das Verhältnis und wird zu viel.
Die spannende Frage ist: Wann wird es zu viel? Ist einmal die Woche zu oft, einmal am Tag oder einmal im Monat? Das hängt natürlich auch von den Menschen ab. Ein Gesetz, das genau vorschreibt, wie oft man jemanden besuchen darf, wäre hier nicht sinnvoll. Stattdessen kommt es darauf an, wann die Beziehung unangenehm wird – um im Bild zu bleiben, wann der Honig „übel“ wird. Das muss man spüren.
Man merkt irgendwann, dass der Honig, den man isst, langsam unangenehm wird und Übelkeit hervorruft. Das ist nicht einfach zu bestimmen, sondern eine Frage der Weisheit.
Im selben Kapitel, Vers 27, steht: „Zu viel Honig essen ist nicht gut, und ehrende Worte gebrauche sparsam.“ Man soll andere wertschätzen und loben, aber auch das kann zu viel werden. Andere zu loben ist wie Honig – es ist gut –, aber irgendwann wird es zu viel.
Solche Weisheiten kann man nicht in ein starres Schema pressen, kein Schwarz-Weiß-Denken anwenden. Es ist situationsabhängig. In den Sprüchen finden sich viele solcher Beobachtungen, bei denen man sieht, was passiert, und dann situationsabhängig überlegt, wie man damit umgeht.
Es muss auch nicht immer so sein, denn es gibt durchaus Verse, die nicht immer zutreffen. Zum Beispiel Sprüche 15,1: „Eine sanfte Antwort wendet Grimm ab, aber ein kränkendes Wort erregt Zorn.“ Das stimmt nicht immer. Auch eine sanfte Antwort kann manchmal den Grimm nicht abwenden.
Diese Aussagen sind keine hundertprozentigen Regeln wie die Zehn Gebote, sondern Lebensregeln. Meistens stimmen sie, aber es gibt Ausnahmen. Das ist das Wertvolle an der Weisheitsliteratur: Man findet Grauzonen. Eine Aussage wird gemacht, die grundsätzlich stimmt, aber es gibt Ausnahmen.
Beim Lesen der Weisheitsliteratur sollte man deshalb nicht jeden Vers hundertprozentig nehmen. Zum Beispiel hat man keine Garantie, dass eine sanfte Antwort immer Zorn verhindert. Wenn man das als Verheißung verstehen würde, wäre das falsch. Es ist vielmehr eine Lebensregel, die man anwenden kann.
Dabei sollte man sich auch beraten lassen. Im Gegensatz zum deutschen Sprichwort „Viele Köche verderben den Brei“ heißt es in der Bibel, Sprüche 15,22: „Pläne ohne Beratung scheitern, wo aber viele Ratgeber sind, gelingen sie.“ Das ist eine gegenteilige Aussage.
Beratung, Überlegung und Beobachtung brauchen Zeit. Das ist wichtig und richtig so.
Weisheitsliteratur würde ich mal grob umreißen. Ich meine, das ist ja schon herausfordernd, auch wenn ich gerade darauf getrimmt bin, schwarz-weiß zu denken – vom Gesetz her. Es fordert mich natürlich, die Situation auch zu beurteilen und verschiedene Dinge zu berücksichtigen. Das ist ja ein Stück weit ein anderes Denken.
Kann man so ein Denken lernen? Ich denke ja, denn in den Sprüchen zum Beispiel steht: Erwirbt Weisheit. Ja, im 1. Buch der Sprüche, Kapitel vier, kann man das mehrmals nachlesen. Oder dann in Sprüche acht wird die Weisheit personifiziert. Da heißt es, sie steht auf den Plätzen und ruft. Wer zu ihr hinbekommt, zu ihren Türen geht und mit ihr ist, der wird weise.
Also wird schon vorausgesetzt, dass man das kann. Allerdings braucht das natürlich eine gewisse Zeit. Man wächst in der Weisheit. Zeit braucht es dann. Aber das ist schon ein bewusstes Danachstreben.
Ich denke, das sind schon zwei verschiedene Denkarten. Das eine ist: Du suchst immer dieses „So muss es sein“ – und bitte drei Punkte, fünf Punkte oder falsch oder richtig. Und das andere ist: Es gibt Themen – das betrifft nicht jedes Thema –, aber es gibt Themen wie zum Beispiel „Wie gehst du mit den Trauernden um?“, das Thema Faulheit und andere Dinge. Man soll arbeiten, aber da gibt es ein paar spezielle Sachen. Da kommen wir gleich noch auf das Thema.
Da reicht das andere Denken nicht aus, und deswegen ist es da. Das Buch Hiob zeigt uns, mit Leid umzugehen. Du kannst mit Leid umgehen, du kannst natürlich Römer 8,28 nehmen und sagen: Es dient alles zu deinem Besten. Wenn das das Einzige ist, was du über Leid weißt, dann weißt du recht wenig.
Hiob, Kapitel 42, zeigt uns von Gott, dass wir das lernen – auch in den ganzen Diskussionen. Das Hohelied behandelt Romantik und Ehebeziehung. Der Prediger spricht über den Sinn des Lebens.
Ich habe letztens einen Christen gehört, der gesagt hat, dass er sehr viel depressive Verstimmung hat. Ihm hilft der Prediger, weil er sagt: Da ist endlich mal einer, der denkt genauso wie ich – alles sinnlos. Und er empfiehlt es auch jedem, der Probleme im Bereich hat. Er hat gesagt, er muss es meistens gar nicht empfehlen, die Leute wissen das schon selber.
Wir haben also hier Lebensbereiche: Leid, Sinn, Beziehung, Alltag. Die Sprüche sind mehr so Alltag, Familie, wo in den anderen Büchern auch nicht so stark abgedeckt werden. Dort geht es um Feingefühl und um die Situation. Und das ist eben der Wert.
Das kann man auch erlernen, das dauert aber, denke ich, eine Weile.
Wenn man das Feingefühl erlernen möchte, das wir bereits erwähnt haben, ist das Buch der Sprüche sehr hilfreich. Bleiben wir deshalb bei diesem Buch, obwohl Weisheitsliteratur ja noch mehr umfasst, wie du eingangs gesagt hast.
Was ist eigentlich das Ziel des Buches der Sprüche? Man sagt ja oft, dass man in verschiedenen Situationen unterschiedliche Dinge berücksichtigen muss. Gibt es im Buch der Sprüche eine klare Zielsetzung? In vielen biblischen Büchern wird ja formuliert, was das Ziel ist. Beim Buch der Sprüche steht es gleich zu Beginn. Beim Buch Prediger findet man das Ziel eher am Ende.
Im Buch der Sprüche heißt es in den ersten Versen, dass sie gegeben sind, um Weisheit und Zucht zu lernen. Was ist mit „Zucht“ gemeint? Ich würde es mit Erziehung oder Lebensweisheit übersetzen. Du sollst weise werden. Weise werden bedeutet nicht, alles zu wissen, sondern klug auf die Dinge zu reagieren, die dir im Alltag begegnen.
Das Buch richtet sich an verschiedene Personen, zum Beispiel an junge Leute, aber auch an Fortgeschrittene. Das wird extra in den ersten Versen von Sprüche 1 deutlich. Du sollst praktisch nachdenken und darin wachsen. Das ist, glaube ich, ein wesentlicher Gedanke. Oft wird der Sohn angesprochen, es kann aber genauso gut die Tochter gemeint sein. Das Buch ist zur Erziehung gedacht.
Ich habe das Buch der Sprüche mal in einer bestimmten Phase genutzt. Ich weiß nicht mehr genau wann, vielleicht in meinen Teenager- oder Zwanzigerjahren. Ich habe jeden Tag ein Kapitel aus den Sprüchen gelesen, parallel zu meiner normalen Bibellese. Praktischerweise hat das Buch 31 Kapitel, also für jeden Tag des Monats eines.
Am zehnten Tag habe ich zum Beispiel Kapitel zehn gelesen und geschaut, welcher Vers mich besonders anspricht. Wenn der Tag mal zu stressig war, habe ich das Lesen auch mal ausgelassen. Am dreizehnten Tag habe ich dann einfach wieder das Kapitel für den jeweiligen Tag gelesen. Ich wusste immer, welches Datum gerade war.
Dieses Vorgehen fand ich sehr praktisch. Ich habe es einige Jahre lang so gemacht, um in das Denken der Sprüche hineinzuwachsen. Genau so habe ich es erlebt.
Im Deutschen sagen wir oft, jemand „macht Sprüche“, und das hat meistens eine negative Bedeutung. Doch das, was wir hier betonen wollen, sind Lebensweisheiten. Es wäre töricht, nicht von diesen Lebensweisheiten zu lernen.
Ein Missverständnis, das ich lange hatte, möchte ich an dieser Stelle korrigieren: Ich dachte immer, die Sprüche stammen ausschließlich von Salomo. Das stimmt zwar teilweise, aber nicht vollständig. Am Ende des Buches finden sich Sprüche von Agur und von Lemuël. Außerdem gibt es Worte von Weisen im Kapitel 24 und in Kapitel 22, Vers 17. Diese stammen ebenfalls von anderen Verfassern.
Darüber hinaus gibt es noch Sprüche, die von Salomo stammen, aber von den Männern Hiskias gesammelt wurden. Diese lebten jedoch etwa zweihundert Jahre später. Das Buch ist also ein bearbeitetes Werk. Der Großteil stammt zwar von Salomo, aber auch von anderen Weisen, etwa Agur und Lemuël, sowie von späteren Sammlern. Es ist somit ein recht umfangreiches Werk.
Dieses Missverständnis saß lange in meinem Kopf fest. Besonders spannend ist, dass die Sprüche im Grunde vor dem Autor stehen. Wer sind eigentlich diese Weisen? Sie sind schwer zu fassen. Doch das Entscheidende ist die Weisheit, die sie weitergeben.
Das ist auch ein guter Ratschlag: Man sollte nicht auf die Person achten, die einen Rat gibt, sondern wirklich darauf hören, was hinter dem Rat steckt. Das ist zwar schwierig, wenn die Person einem negativ gegenübersteht, aber es ist klug, immer zu prüfen, was hinter den Worten steckt.
Du hast nach Beispielen gefragt. Ich möchte dir das mal ein bisschen aufdröseln – nach den literarischen Formen. Also nicht abschalten jetzt, das wird total praktisch. Ich habe das mal als Unterricht bei einem Training für Mitarbeiter gemacht oder halte es bei einem Training für Mitarbeiter in Bibelkunde. Das ist jetzt so ein Ausschnitt, und da bringe ich die literarischen Formen und zeige das.
Es gibt da Einzelsprüche. Es gibt verschiedene literarische Formen, um verschiedene Dinge im Leben abzubilden, das werden wir gleich sehen. Einzelsprüche sind zum Beispiel: „Der Mund des Gerechten ist eine Quelle des Lebens.“ Wenn du als Gerechter redest, bringst du Leben bei anderen hervor, wie eine Wasserquelle. Aber jetzt kommt das Gegenteil: „Der Mund der Gottlosen birgt Gewalttat.“ Also jemand, der gottlos ist, bringt Streit hervor, auf verschiedenen Ebenen, ein bisschen sogar zur Gewalt. Das steht in Sprüche 10, Vers 6.
Das ist so ein gegensätzlicher Einzelspruch, es ist einfach nur ein kurzer Spruchpunkt. Dort wird praktisch ein knackiger Merksatz vermittelt, über den man mal nachdenken kann. Es ist eine Beobachtung im Alltag. Der Spruch muss nicht immer einen Gegensatz darstellen, er kann auch einen gleichen Gedanken zweimal wiederholen. Das machen die Hebräer ganz gerne, zum Beispiel: „Stolz kommt vor dem Zusammenbruch und Hochmut kommt vor dem Fall.“ Das steht in Sprüche 16,18. Im Deutschen ist daraus das Sprichwort geworden: „Hochmut kommt vor dem Fall“ – es stammt aus der Bibel.
Wie gesagt, es gibt diese kleinen Einzelsprüche. Dann gibt es auch Themengruppen, und die finde ich jetzt schon sehr spannend. Dort werden verschiedene Einzelsprüche, also verschiedene Beobachtungen aus dem Alltag, zusammengeführt. Ich nehme mal das Thema Faulheit. Wo findest du in der Bibel sonst etwas über Faulheit? In Sprüche 26, Vers 13 haben wir jetzt vier Einzelsprüche, bei denen ich mir vorstelle, dass einer diese Beobachtungen vor zwei Jahren gemacht hat, ein anderer letztes Jahr und ein dritter jetzt. Dann denkt man darüber nach, wie Leute faul sind, und führt diese Beobachtungen über zwei Jahre zusammen. Dabei entsteht etwas ganz Neues. Das sind solche Themengruppenliteraturen.
Kapitel 26 spricht zum Beispiel über den Faulen: „Der Faule spricht: Ein Junglöwe ist auf dem Weg, ein Löwe ist mitten auf der Straße.“ Das ist eine etwas surreale Situation – also nicht rausgehen. Ja, das heißt so viel wie „Nicht rausgehen“. Die Tür dreht sich in der Angel, und der Faule liegt in seinem Bett. Ein wunderbares Bild für einen faulen Menschen: Er dreht sich um, wie die Tür, die in der Angel schwingt. Diese Bequemlichkeit wird im nächsten Vers noch einmal dargestellt: „Hat der Faule seine Hand in die Schüssel gesteckt, so ist es ihm zu schwer, sie zum Mund zurückzubringen.“ Weil er so faul ist.
Das ist mir auch schon so gegangen. Letztens wollte ich abends etwas essen, aber ich war zu faul, in die Küche zu gehen. Ich habe das Essen dann nicht gegessen – war kein Fehler. Das ist richtige Bequemlichkeit. Und der letzte Vers: „Ein Fauler hält sich für weiser als sieben, die verständige Antworten geben.“ Wenn man das jetzt so zusammenbringt im Alltag, kann das zum Beispiel in der Familie am Küchentisch geschehen. Man redet über das, was in der Schule war, man redet über dies und das. Das Beispiel ist sehr stark auf die Kindererziehung bezogen.
Dann merkt man: Einer sagt, „Ein Junglöwe ist auf dem Weg“ – was völlig irreal ist. Natürlich ist kein Löwe auf der Straße. Vielleicht bei der Augsburger Puppenkiste gab es mal ein sehr schönes Stück davon, aber sonst ist das irreal. Ich frage mich: Hat der wirklich Angst oder ist das eine Ausrede? Und ich glaube wahrscheinlich sogar beides.
Der Kern steckt in diesen Mittelversen. Woher kommt das? Das kommt von seiner unglaublichen Bequemlichkeit. Wenn du so bequem bist, dass du nicht einmal die Schüssel zu deinem Mund bringst, dann hast du auch keinen Mut mehr. Das ist eine Folge, weil du dich nie selbst überwunden hast. Oder du redest dich bei allem raus und sagst: „Oh, das könnte passieren, das…“ Er will einfach nicht. Sein Problem ist seine Bequemlichkeit – er will nicht aus dem Bett und ist zu faul zum Essen. Das ist der Kern in den Mittelversen.
Und dann oben kommt heraus, im Vers davor: Er hat Angst, rauszugehen – oder es ist eine Ausrede. Ich würde denken, vielleicht sogar beides. Man muss offenhalten. Am Ende, und das finde ich auch interessant, hält sich ein Fauler für weiser als sieben, die verständige Antworten geben. Er nimmt keine Kritik an.
Aber stell dir mal vor: Sieben Leute, die klug sind, und er denkt, er sei besser als sieben zusammen. So völlig, völlig neben der Realität. Aber auch das passiert, wenn du immer nur daheim herumhockst und bequem bist. Wer kritisiert dich am meisten? Das frage ich jetzt nicht wirklich, ich will nicht in Bedrängnis bringen. Aber wer kritisiert einen am Arbeitsplatz am meisten oder in der Gemeinde? Die Zuschauer? Nein, die, die selbst etwas machen. Die werden dich nie so hart kritisieren. Warum? Weil sie selbst wissen, was das bedeutet. Sie werden deutlich sanfter sein, weil sie die Probleme kennen. Die anderen reden dir die Hand gut und halten sich auch für viel weiser.
Jetzt haben wir hier mehrere Beobachtungen, und dann entsteht auf einmal ein Gesamtbild. Da merkst du: Warum ist der so hochmütig? Warum macht er die anderen so nieder? Warum hat er andererseits komische Ängste und traut sich nichts? Der Schlüssel ist eigentlich seine Bequemlichkeit.
Du kannst jetzt mit ihm konfliktträchtige Gespräche führen, oder du kannst sagen: „Ich baue deinen Selbstwert auf, damit du mutiger bist und rausgehst, den Löwen siehst und keine Angst mehr hast.“ Das Problem ist die Bequemlichkeit.
Das sind diese Verbindungen, die zusammengebracht werden, und das kannst du bei ganz, ganz vielen Themen machen. Das finde ich spannend. Man könnte auch sagen: Der Faule sucht nach Ausreden, und andere suchen nach Lösungen.
Ja, es gab Einzelsprüche und Themengruppen, die ich spannend fand. Zum Thema Faulheit gibt es verschiedene literarische Formen in den Sprüchen.
Zum Beispiel gibt es Epigramme. Das Wort stammt aus dem Griechischen und bezeichnet einen erweiterten Spruch. Dabei gibt es eine Hauptaussage, die weiter ausgeführt wird. Ein Beispiel findet sich ganz am Anfang, in Kapitel 1, Verse 8 und 9: "Höre, mein Sohn, auf die Unterweisung deines Vaters und verwirf nicht die Lehre deiner Mutter." Das ist die Hauptaussage, also hör auf deine Eltern. Danach folgt eine Begründung: "Sie sind ein schöner Kranz für dein Haupt und ein Schmuck um deinen Hals."
Im Bereich der Kindererziehung heißt das also: Hör auf deinen Vater. Das Thema richtet sich an Kinder oder auch etwas ältere Jugendliche. Man könnte natürlich einfach sagen: Du sollst das so machen. Das wäre eine schwarz-weiß-Denkweise, mit klaren Geboten: Mach das gefälligst so! Denn das Gebot "Ehre deinen Vater und deine Mutter" ist ja eines der Zehn Gebote.
Bei den Sprüchen läuft das aber anders. Man kann Kinder unterweisen oder lehren, die Gebote zu halten – das ist gut und richtig. Aber man kann es auch weisheitlich machen und erklären, warum man sie halten soll. Zum Beispiel: Warum soll ich meine Eltern ehren? Die Begründung hier ist eher egoistisch: Wenn du deine Eltern ehrst, hast du einen schönen Kranz für dein Haupt und Schmuck um deinen Hals. Das bedeutet, du wirst geehrt und hast Ansehen bei anderen.
Dieses Denken ist bei uns nicht so verbreitet. Im Deutschen verbindet man mit "Ehre" nicht so viel. Man muss eher in den Orient oder andere Kulturen schauen, wo das Thema viel größer ist als bei uns. Heute würden manche Christen vielleicht sagen: "Boah, das sind aber niedere Motive, die da angesprochen werden." Trotzdem wird das so gemacht, weil es ein Nutzen für dich selbst ist. Und das kann man auch so sagen.
Man muss nicht immer nur sagen: "Das sollst du so tun", sondern auch begründen. Natürlich nicht beim dreijährigen Kleinkind, aber bei Teenagern ist das sehr wichtig. Gerade in den Teeniejahren ist Rebellion ganz natürlich – bei den meisten, aber nicht bei allen. Es gibt einige Kinder, die gar nicht rebellieren. Die hören einfach zu, gehen nicht links oder rechts, lassen sich nicht aus der Ruhe bringen.
Bei den anderen aber gilt: Wenn du nur sagst, "Das hat man so gemacht und das musst du jetzt", ohne Begründungen oder Folgen von Verhalten aufzuzeigen, dann sagen sie letztlich: "Wenn du deine Eltern ehrst, bringt dir das selbst etwas." Man kann zum Beispiel auch sagen: "Wenn du weiter so unfreundlich bist, wie willst du das später bei deinem Ehepartner machen?" Unfreundlichkeit schlägt sich im Laufe des Lebens an verschiedenen Stellen nieder – im Ehepartner, am Arbeitsplatz oder anderswo.
Diese Folgen kann man aufzeigen, und das ist weisheitliches Denken.
Ja, super, also gut dargestellt. Nun haben wir ja die Sprüche gehabt, oder die verschiedenen Sprüche, jetzt Themen, Einzel und so weiter. Das sind aber trotzdem sehr knappe Lösungen, die da rauskommen. Also zack, und das ist die Begründung. Manchmal ist das Leben ja doch ein bisschen komplexer, ein bisschen komplizierter. Bildet sich das in den Sprüchen auch ab?
Ja, wir haben ein paar lange Sequenzen, vor allem in den ersten neun Kapiteln. Da gibt es teilweise Themen, die über anderthalb Kapitel geführt werden, manchmal in drei Abschnitten, manchmal am Stück. Es gibt auch sogenannte Sonette. Das ist eine literarische Form, die man aus dem Deutschunterricht kennt, falls man sich noch daran erinnert. Das ist ein einleitender Zweizeiler mit zwei gedanklichen Blöcken, die dann nochmal aufgenommen werden.
Ich bringe das Literarische ein, weil es hier eigentlich auch literarisch anders verpackt ist. Deswegen finde ich das ganz spannend, aber immer mit verschiedenen Zwecken. Das sind längere Gedanken, zum Beispiel Sprüche 1, ab Vers 10. Dort geht es um ein Thema, das vor allem relevant ist, wenn du im Problemviertel bist: nämlich dass deine Kinder in eine falsche Szene abrutschen, in Richtung Gewalt, falsche Freunde.
Da wird gesagt: „Mein Sohn, wenn dich Sünder überreden wollen, so willige nicht ein. Wenn sie sagen: Komm mit uns, wir wollen auf Blut lauern, wir wollen den Unschuldigen ohne Ursache nachstellen.“ Also die Gruppe, die den praktisch zieht. Ich glaube nicht, dass sie sagen: „Wir wollen den umbringen, wir wollen auf Blut lauern.“ Ich glaube, das ist schon fast eine Anwendung, aber sie gehen sehr locker damit um und sagen: „Wir sind die Mächtigen und die anderen müssen vor uns die Gewalt verniedlichen.“
Und jetzt bringt er diesen Vers nochmal: „Was sagen sie? Wir wollen sie verschlingen wie das Totenreich die Lebendigen, als senken sie unversehrt ins Grab. Wir wollen allerlei kostbares Gut gewinnen und unsere Häuser mit Raub füllen. Schließ dich uns auf Gutglück an, lass uns gemeinsam Kasse machen.“
Praktisch heißt das: Du hast ein Leben ohne Perspektive, du willst das tolle Auto fahren, die Markenklamotten haben, komm, wir ziehen ein paar Leute ab. Ganz harmlos. Wir sind in der Gruppe, wir machen die platt. Und das ist für manche in solchen Vierteln ein Problem.
Wenn du behütet aufwächst, dann geht es vielleicht eher Richtung Drogen oder andere Dinge, aber für die Leute ist Gewalt ein Problem. Und da wird jetzt gesagt: „Mein Sohn, geh nicht auf ihren Weg, halte deinen Fuß zurück von ihrem Pfad, denn ihre Füße laufen zum Bösen und eilen, um Blut zu vergießen. Denn vergeblich wird das Netz ausgespannt vor den Augen aller Vögel.“ Also das ist Vogelfang durch Netze.
Sie lauern auf ihr eigenes Blut und stellen ihrem eigenen Leben nach. So geht es allen, die ungerechten Gewinn danach trachten; es kostet seinen Besitzern das Leben. Hier wird dann aufgezeigt: Klar, hast du dann auf einmal Liebesgut, aber am Ende wirst du Blut vergießen und dein eigenes Leben geht drauf.
Jetzt kannst du das natürlich einfach so als der Besserwisser erzählen, oder ich würde das umgekehrt machen. Ich würde mit meinen Kindern abends am Esstisch sitzen und zusammen Abendessen. Das hoffe ich, hat die Familie so engagiert, dass nicht jeder selber isst, wenn es nicht vermeidbar ist. Manchmal geht es nicht wegen der Termine, und dann hast du immer irgendeinen, wenn du in so einem Viertel wohnst, der gerade im Gefängnis ist.
Da würde ich über den mal reden, nicht tratschen, sondern reden. Einfach sagen: „Guck mal, der war mit dir früher auf der Schule. Und was hätte aus dem werden können?“ „Ja, der war klüger als ich.“ Und jetzt ist er mit denen gegangen, hatte eine kurze Zeit und so weiter. Die Folgen aufzeigen.
Oder wenn du nicht willst, dass deine Kinder jetzt nicht christliche Partner haben, würde ich das nicht verbieten. Aber leider – und da muss man jetzt vorsichtig sein – ja, man kennt immer Leute, die mal eine Weile weg waren und die dann ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen haben. Und dass man einfach mit offenen Augen durchgeht.
Oder wir hatten mal den Fall, da war eine Scheidung in der Verwandtschaft. Dann haben die anderen Verwandten über den ziemlich hergezogen: „Kein Wunder, dass er verloren hat, so ein Saufkopf“ und so weiter. Und er hat wirklich getrunken wie verrückt. Also das war jetzt nicht bösartig gesprochen. Ich muss echt aufpassen, dass ich hier nicht in so eine Slang-Sprache reinkomme, um es zu beschreiben.
Da war die Scheidung halt gerade frisch. Natürlich redet man da mal abends drüber, um einfach zu sehen, wie man in der Ehe miteinander umgeht, und dann einfach die Folgen aufzeigen. Denn am Anfang läuft man immer so schnell in solche Dinge rein. Aber man denkt nicht daran, was da wirklich kommt.
Und das ist Weisheit: dass einfach auch die Eltern den Jüngeren oder umgekehrt auch aufzeigen, dass das und das passiert, wenn das so ist, am realen Beispiel. Und die Beispiele hast du immer in der Verwandtschaft, in der Gemeinde, wo du bist. Du hast solche Beispiele.
Dann kannst du quasi von dem konkreten Beispiel, das du in deiner Verwandtschaft hast, und dem, was du zeigst, natürlich auch auf die grundsätzlichen Aussagen der Sprüche kommen und sagen: „Da hat jemand nicht beachtet, was Gottes Wort hier sagt.“ Und das motiviert natürlich auch zu sagen: „Hey, wenn Gottes Wort in dieser Situation etwas gesagt hat, was hilfreich gewesen wäre, hat es nicht getan, dann ist es ja besser, ich höre grundsätzlich auf Gottes Wort, weil es ja jede Menge anderer Situationen auch in den Sprüchen gibt.“
Wenn ich dich so richtig verstehe?
Genau. Und wie hier mit dieser schlechten Gesellschaft. Du kannst natürlich sagen: „Oh, lass die Freunde, die sind nicht gut für dich.“ Da hört doch kein Teenie drauf. Manche schon, aber viele nicht. Wenn du aber Jahre vorher – und das machst du natürlich nicht in der Situation, weil da will man, und das ist viel zu attraktiv usw. – das muss Jahre vorher passieren.
Du musst es im Alltag haben, dass du mit offenen Augen gehst und wirklich mal auch guckst und siehst: „Schau mal, wie der jetzt leidet.“ Das siehst du, weil dein Kind zum Beispiel von dem erzählt, der da mit den Drogen sich das Gehirn weggesoffen hat, mit dem Alkohol zum Beispiel, und der jetzt bereut, dass er die Schule nicht weiter gemacht hat und andere Dinge. Und der ist dann schon über vierzig und so weiter.
Das Kind hat ihn halt beim Training irgendwo mitbekommen, keine Ahnung. Und dann ignoriert man das nicht, sondern redet da mal ein bisschen drüber, respektvoll und liebevoll gegenüber der Person, aber durchaus, damit sie sehen: „Okay, Verhalten hat Konsequenzen.“ Und wenn du das dann in deinem Kopf hast und diese Person vor dem Kopf hast, was da ist, und die Eltern ein bisschen geholfen haben: „Guck mal, das hat er da hingeführt“, und der erzählt es ja wahrscheinlich selber noch, ist ja oft so, dann ist das ein ganz anderer Schutz vor so schlechter Gesellschaft zum Beispiel, als wenn du nur sagst: „Gebot, darfst du nicht.“
Das ist, wie gesagt, Weisheit.
Ja, man kann sich gut hineinversetzen, das heißt, ich lerne am konkreten Beispiel. Diese konkreten Beispiele werden mir auch in den Sprüchen gezeigt, die Folgen werden mir deutlich gemacht.
Gibt es noch Dinge, bei denen du sagst, wir könnten noch lange über die Sprüche reden, weil sie einfach entscheidend wichtig sind? Zum Beispiel zur Merkbarkeit oder Ähnlichem?
Ja, ich nenne noch zwei Beispiele, die ich jetzt nicht ausführlich erläutere. In Kapitel 8 und 9 gibt es einen sehr langen Monolog. Das ist diese große Geschichte, die ich schon erwähnt habe. Dort wird die Person Weisheit dargestellt, die auf dem Marktplatz ruft und sagt, wo man hingehen kann.
Geistliche Wahrheiten werden nicht nur theoretisch vermittelt, sondern anschaulich gemacht – das macht jeder in der Kinderstunde. Das ist einfach gut: große Bilder malen, Geschichten erzählen, die zu Herzen gehen. Storytelling würde man das heute nennen. Ja, das gab es damals schon. Jesus hat in Gleichnissen gesprochen. Er hat nicht einfach nur gesagt, wie es nach dem Tod ist, sondern er hat beispielsweise das Gleichnis vom armen Lazarus und dem reichen Mann erzählt oder von den Bauern. Dabei hat sich jeder vorgestellt, wie groß die Scheune des Bauern ist.
Er hat nicht nur gesagt, nach dem Tod sollt ihr so leben, sondern er hat auch große Bilder gemalt, um die Wahrheiten leichter merkbar zu machen.
Ein weiteres Beispiel ist Kapitel 31. Das ist ein sogenanntes Akrostichon, also praktisch A, B, C, D im Hebräischen, was das Merken erleichtert. Dort wird die ideale Frau beschrieben und gelobt. Man kann das Kapitel im Grunde auswendig lernen. Für uns als Deutsche ist das natürlich nicht so einfach, aber es gibt solche Merksätze auch in anderen Sprachen.
Zum Beispiel habe ich für meine Kinder verschiedene Tassen und T-Shirts mit dem englischen Spruch „Too blessed to be stressed“ verschenkt – zu gesegnet, um gestresst zu sein. Im Englischen reimt sich das. Wenn du den Satz einmal hörst, bleibt er im Gedächtnis. Ähnliche Sätze gibt es auch im Deutschen, die tief gehen.
Wenn ich das zusammenfassen will: Es gibt verschiedenste literarische Formen. Man beobachtet etwas im Alltag, spricht darüber – und zwar bevor eine Situation im eigenen Leben eintritt. Dadurch festigt man seine Kinder, wenn man es auf Kindererziehung bezieht. Man macht die Inhalte merkbar. Das ist es, was ich als den Wert der Sprüche sehe.
Das war der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle über Alltagsgedanken. Wir möchten, dass ihr mitbekommt, wie wertvoll es ist, die Sprüche zu lesen. Und nicht nur zu lesen, sondern sie auch im Leben anzuwenden.
Wir wünschen euch, dass ihr Lust bekommt, die Sprüche zu lesen und im Alltag anzuwenden. Wenn ihr Fragen oder Erfahrungen damit habt, schreibt uns gerne unter podcast@efa-stuttgart.de.
Wir wünschen euch Gottes Segen und viele gute Alltagsgedanken.