
Mit dem Buch Sprüche stehen wir am Anfang von drei Büchern: Sprüche, Prediger und Hohelied. Diese drei Bücher haben eines gemeinsam, nämlich dass sie denselben Autor haben, nämlich Salomo.
Das Thema des Buches Sprüche ist – was würdest du sagen? Worum geht es ganz groß? Ein Wort: Weisheit. Und zwar nicht irgendeine Weisheit, sondern die Weisheit, die der Einzelne braucht.
Jemand hat mal gesagt: „auf seinem Weg durch die Zeit“ – und meint damit, dass das Leben eigentlich eine Folge von Entscheidungen ist. Wir kommen immer wieder, bildlich gesprochen, an Weggabelungen, an denen wir Entscheidungen fällen müssen: links lang oder rechts lang. Das ist eine ganz praktische Sache.
Es sind so triviale Dinge wie: Streiche ich meinen Diätplan und greife ich jetzt hier bei den Cashewkernen zu, ja oder nein? Das ist eine praktische Frage, eine Weggabelung. Etwas, das mein Leben beeinflusst und im Extremfall dazu führen kann, dass ich mitten in der Genusssucht lande.
Das Buch beantwortet praktische Fragen, die wir uns stellen, wenn wir uns fragen, wie es im Leben ganz praktisch weitergeht. Deswegen finden wir auch so viele interessante Charaktere.
Da ist zum Beispiel diese liebenswerte Frau, die uns ein paarmal über den Weg laufen wird. Könnte es sein, dass sie vielleicht ein bisschen zu viel redet? So eine Frage stellt das Buch der Sprüche.
Oder wir treffen vielleicht jemanden, der ein ganz freundlicher Kerl ist, so einer, der aus dem Bett springt, lacht und singt. Im Buch der Sprüche wird er die Frage bekommen: Kannst du dir vorstellen, dass irgendjemand deine Art früher Morgen nicht ertragen kann?
Oder da ist der gute Freund, der jeden Tag zweimal klingelt und einfach nur mal reinschauen will, ganz kurz, um ein Pläuschchen zu halten. Auch er wird die Frage bekommen: Hast du dir überlegt, was das für den anderen bedeutet? Könnte es sein, dass du vielleicht zu weit gehst?
Und wir finden den faulen Kerl, der ziellos durchs Leben treibt. Er bekommt eine ganze Reihe von Anweisungen, und auch ihm wird geholfen.
Wenn ich das so sage, könnte der Eindruck entstehen: Sprüche – na ja, das ist so ein Bilderbuch falschen und richtigen Verhaltens. Aber, und das ist ganz wichtig, wenn wir das lesen, weil dieser Eindruck sich einfach schnell einstellen kann, sind ja wirklich viele lustige Stellen dabei und lustige Vergleiche.
Sprüche will mehr sein als nur ein Bilderbuch von falschem und richtigem Verhalten. Es will seinen Lesern den Schlüssel zum Leben anbieten. Und damit meine ich Folgendes:
Wenn wir uns das Buch der Sprüche anschauen, dann misst es unser Verhalten immer wieder an einem einzigen Kriterium. Es führt alles in eine einzige Prüfungssituation hinein und stellt in allen Dingen immer wieder eine Frage. Diese eine Frage lautet: Ist das, was ich jetzt tue oder tun will, eigentlich Weisheit oder ist es Dummheit?
Wir merken, so eine Frage ist tatsächlich dazu geeignet, dass sie letztlich in jeder Entscheidung, die ich fälle, eine Hilfe sein kann. Von so richtig wegweisenden Entscheidungen wie: Wen heirate ich? Welchen Beruf ergreife ich? Baue ich das Haus oder baue ich kein Haus? Bis hinuntergebrochen zu Fragen wie: Na, noch eine Handvoll Cashewkerne heute Abend? Eigentlich sagt mein Diätplan etwas anderes.
Wenn wir uns immer wieder die Frage stellen: Ist das, was ich jetzt tue, wirklich weise oder ist es eigentlich Dummheit? – dann haben wir einen Schlüssel, der uns nicht nur das Buch der Sprüche verstehen lässt. Denn das ist das, worauf uns das Buch hinführen will. Sondern er ist uns auch ganz einfach im Leben eine Hilfe.
Wir merken: Stimmt, ich treffe immer Entscheidungen. Und vielleicht bin ich jemand, der meint, er könnte durchs Leben gehen, ohne Entscheidungen zu fällen. Und es wäre nicht so wichtig, sich darüber Gedanken zu machen. Doch das Buch der Sprüche wird uns immer wieder darauf stoßen: Es macht einen Unterschied. Es macht sogar in kleinen Dingen einen Unterschied, wie wir uns entscheiden – ob wir uns für die Weisheit Gottes entscheiden oder für die Dummheit des Menschen.
Und wenn das Buch der Sprüche beziehungsweise Salomo hier von Weisheit spricht, von einer Weisheit, die sich tatsächlich nicht ändert, dann meint Salomo nicht Weisheit im Sinne von Berechnung.
Das heißt nicht, dass man sein Leben nur nach Erfolgskriterien ausrichten sollte. Natürlich kann man mit einem gewissen Maß an gesundem Menschenverstand durchs Leben gehen und dabei mehr Gewinn erzielen als andere. Jeder Mensch steht vor ähnlichen Weggabelungen, und viele Menschen entscheiden sich dafür, ihren Weg gewinnoptimiert oder gewinnmaximiert zu gestalten. Sie fragen sich: Was bringt mir das am meisten? Was kommt hinten heraus?
Wenn wir das Buch der Sprüche lesen, sehen wir, dass diese Frage wichtig ist. Die Sprüche fordern uns auf, sowohl als Gesamtheit als auch in einzelnen Situationen die Kosten für eine Sache abzuwägen. Das bedeutet, zu überlegen und darüber nachzudenken, wie ich mein Ziel erreiche, wie ich dorthin komme und nicht nur irgendwie irgendwann ankomme, sondern möglichst schnell. Es geht darum, den klügsten und weisesten Weg zu finden.
Dabei besteht die Gefahr, dass Weisheit auf reine Berechnung reduziert wird: Was hilft mir? Wie kann ich aus meinem Leben das meiste herausholen? Doch hier kommt der ganz große Unterschied.
Das Denken, das im Buch der Sprüche vermittelt wird, kennt diese Art von Berechnung nicht. Weisheit, wie sie in den Sprüchen gemeint ist, ist immer eine gottzentrierte Weisheit. Es geht nicht um Lebensmaximen, Klugheit oder Bauernschläue, sondern um eine Weisheit, die sich an Gott orientiert.
Selbst an den Stellen im Buch der Sprüche, die ganz alltägliche Fragen behandeln, merkt man, dass diese Fragen vor einem bestimmten Hintergrund betrachtet werden. Dieser Hintergrund ist die Tatsache, dass wir in Gottes Welt leben. Deshalb müssen auch praktische Fragen vor dem Hintergrund behandelt werden, dass es Gottes Welt ist.
Es geht nicht allein um unseren eigenen Willen, sondern darum, Gottes Willen zu leben und auszuleben.
So viel zu dem Punkt, dass es im Buch der Sprüche um Weisheit geht – um eine gottzentrierte Weisheit.
Ich möchte euch jetzt zeigen, dass das Buch Sprüche in einer bestimmten Tradition steht. Eine Tradition, die schon lange vor Salomo ihren Ursprung hat und auch noch eine ganze Weile nach Salomo von Bedeutung war.
Es gab also schon immer Menschen, die ein Interesse an dem Thema Weisheit hatten – und zwar an der Art von Weisheit, wie sie die Sprüche meinen: Gott-zentrierte Weisheit. Es geht darum, Leben und Lebensfragen vor dem Hintergrund zu erforschen, wie Gott sich das gedacht haben könnte. Was ist jetzt richtig zu tun?
Dazu schlagen wir mal Jeremia 18, Vers 18 auf. Dort wird uns nämlich eine Gruppe von Menschen vorgestellt. Ich lese euch den Vers vor:
„Da sagten sie: Auf, lasst uns Anschläge gegen Jeremia planen; denn nicht geht dem Priester das Gesetz verloren, noch der Rat dem Weisen, noch das Wort dem Propheten.“
Hier werden drei Gruppen von Menschen genannt: die Priester, die Weisen und die Propheten.
Das mit dem Anschlag schieben wir beiseite. Mir geht es nur darum, dass hier gesagt wird, es gibt verschiedene Gruppen: einmal die Propheten, dann die Priester und schließlich die Weisen. Wenn ich von Tradition spreche – Tradition hinsichtlich der Weisheitsliteratur oder der Sprüche – dann ist das Erste, was ich feststellen möchte, dass wir zur Zeit Jeremias fast so etwas wie eine Gruppe von Leuten haben, die kollektiv als Weise angesprochen werden.
Diese Weisen sind Ratgeber, zu denen man geht, wenn man vor einer Entscheidung steht und fragt: Was soll ich jetzt machen?
Diese Tradition war auch nach der babylonischen Gefangenschaft nicht verschwunden, sondern sie ging weiter. Das Ergebnis dieser Tradition findet sich zum Beispiel in zwei apokryphen Büchern. Diese entstanden in der Zeit zwischen Maleachi, dem letzten kleinen Propheten und dem letzten Buch des Alten Testaments, und den Evangelien.
In dieser Zeitspanne von etwa vier- bis fünfhundert Jahren – je nachdem, wo man die Entstehung der Evangelien ansiedelt – sind Bücher entstanden, die von den Juden niemals als Heilige Schrift akzeptiert wurden. Dennoch transportierten sie jüdisches Gedankengut und vermischten sich in manchen Punkten schon etwas mit griechischem Denken.
Es gibt zwei Bücher, die insbesondere der Weisheitsliteratur zuzuordnen sind: Zum einen das Buch „Jesus Sirach“ oder auch „Ben Sirach“, wie es manchmal genannt wird. Dieses Buch entstand etwa 180 Jahre vor Christus. Es ist erzählerisch weitschweifiger als die Sprüche. Wenn ihr an Sprüche denkt, dann denkt ihr an kurze Zweizeiler. Bei Jesus Sirach ist das anders. Er erzählt ausführlicher und ist wesentlich jüdischer geprägt.
Man merkt schon, dass das Judentum in der Zeit des Hellenismus unter Druck geraten war. Der Hellenismus war die vorherrschende Geistesströmung. Das Judentum passte mit seinen grobschlächtigen Ritualen und Tieropfern nicht so recht hinein. Es gab auch keine schönen Götterstatuen von Mars oder anderen Göttern, wie in Rom oder anderswo.
Da musste man sich etwas einfallen lassen. Man nahm auch platonisches Gedankengut mit auf, was sich schon bei Jesus Sirach andeutet. Die Idee war: Wir sind Juden, wir sind etwas Besonderes, wir wollen auch besonders jüdisch auftreten.
Noch stärker zeigt sich dieser Flirt mit platonischem, griechischem Denken in einem anderen Buch: „Weisheit Salomos“. Dieses Buch entstand im ersten Jahrhundert vor Christus. Ich sage das nur, damit ihr merkt: Weisheitsliteratur hört nicht einfach bei den Sprüchen auf. Es gibt auch später noch bedeutende Werke.
Vielleicht denkt ihr jetzt: „Ach, Weisheitsliteratur, das sind doch nur die Sprüche und dann vielleicht noch Prediger und irgendwann das Hohelied. Das war’s.“ So ist es aber nicht.
Und vielleicht wisst ihr auch, wann Salomo ungefähr gelebt hat – etwa tausend Jahre vor Christus. Diese beiden apokryphen Bücher zeigen nun, dass fast tausend Jahre nach Salomo, noch vor der Zeit Jesu, solche Bücher entstanden sind.
Das Buch „Jesus Sirach“ und „Weisheit Salomos“ wurden natürlich nicht von Salomo selbst geschrieben, sondern haben nur seinen Namen bekommen. Aber von ihrer Literaturgattung her sind sie genau das Gleiche: Weisheitsliteratur.
Diese Tradition lebt also fort – und sie lässt sich nicht nur in unsere Richtung verfolgen, sondern auch von Salomo aus weg.
Ein paar Beispiele dafür finden sich in 1. Chronik 27. So bekommt ihr einen Eindruck, ob Weisheit und die Weisen nur eine punktuelle Erscheinung in der israelitischen Geschichte waren oder ob es sie immer schon irgendwie gab.
Nun wenden wir uns einem Beispiel am Hof des Königs David zu, und zwar Erste Chronik 27,32-33. Dort heißt es: „Und Jonathan, der Onkel Davids war, war Ratgeber.“ Ein Ratgeber ist genau das: ein weiser Mann, jemand, der Rat gibt.
Am Hof von David gab es also Leute, die man salopp als Sprücheklopfer bezeichnen könnte. Wenn man zu ihnen kam, hatten sie einen Spruch parat. Sie konnten helfen, etwa bei Fragen wie der, die hier gestellt wird. Jonathan wird als Ratgeber beschrieben, als einsichtiger und schriftkundiger Mann. Ebenso war Jehiel, der Sohn Hachmonis, bei den Söhnen des Königs. Auch Ahitophel war ein Ratgeber des Königs.
Es gab also den Beruf des Weisen, des Ratgebers. Das war keine punktuelle Erscheinung. Salomo hatte vielleicht eine besondere Vorliebe für Sprüche und hat sie gesammelt, doch solche Weisheitstraditionen gab es schon lange vor ihm. Weisheit und Beratung waren bereits in der Vergangenheit üblich.
Ein weiterer Fall findet sich in 2. Samuel. Wenn wir noch weiter in der Geschichte zurückgehen, lesen wir in 2. Samuel 14 von einzelnen Personen, die für ihre besondere Weisheit bekannt waren. Das passt gut zu dem, was heute Nachmittag in der Predigt erwähnt wurde.
Zum Beispiel wendet sich Joab in 2. Samuel 14,2 an eine kluge Frau, um die Beziehung zwischen Absalom und seinem Vater David wieder zu verbessern. Dort heißt es: „Da sandte Joab nach Tekoa und ließ von dort eine kluge Frau holen.“ Diese Frau war klug, eine Weise. Sie verstand die Situation gut und wusste, wie sie sich vor dem König verhalten musste.
An anderer Stelle, in 2. Samuel 20,16, wird eine weitere Frau erwähnt. Dort lesen wir in Vers 16: „Da rief eine kluge Frau aus der Stadt, die Stadt war schon belagert: ‚Hört her, hört her! Sagt doch zu Joab: Tritt hierheran, ich will mit dir reden.‘“ Auch sie war bekannt dafür, besonders klug zu sein. Sie fand tatsächlich einen Weg, die ganze Stadt zu retten.
In dieser Stadt war nicht nur eine Frau für ihre Weisheit bekannt, sondern die ganze Stadt. In 2. Samuel 20,18 lesen wir: „Früher pflegte man zu sagen: Man frage nur in Abel, und so ist man am Ziel.“ Die Stadt hieß Abel. Das ist bemerkenswert: Wenn man eine Frage hatte, konnte man einfach dorthin gehen und jemanden finden, der klug war und eine Antwort geben konnte. Das zeigt, dass Weisheit in dieser Zeit geschätzt wurde.
Ein weiteres Beispiel findet sich in 1. Samuel 24,14. Dort sagt David: „Wie das alte Sprichwort sagt, von den Gottlosen kommt Gottlosigkeit.“ David greift hier auf ein Sprichwort zurück, das älter ist als die Sprüche Salomos. Das zeigt, dass es schon vor Salomo eine Tradition gab, auf Sprichwörter zurückzugreifen.
Man könnte noch weitere Beispiele anführen, die zeigen, wie man mit Sprüchen und Rätseln umging. Das Wort „Rätsel“ taucht zum Beispiel in Richter 14 auf, wenn es um Simson geht. Man kann aber auch an die Sprüche denken, etwa Sprüche 1,6: „um Spruch und Bildrede, Worte von Weisen und ihre Rätsel zu verstehen.“
Wer weise ist, ist also auch gut darin, Rätsel zu enträtseln. Dabei sind nicht unbedingt mathematische Rätsel gemeint, sondern eher der Zugang zu schwierigen Fragestellungen, die man leichter verstehen kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine lebendige Weisheitstradition gab. Weisheit wurde erkannt und geschätzt. Man suchte gezielt Rat bei weisen Menschen. Ahitophel ist ein Beispiel dafür, das wir später noch näher betrachten werden. David konnte bereits Sprüche zitieren, was darauf hindeutet, dass es vor Salomo schon Sammlungen von Sprüchen gab. All das zeigt, dass Weisheitstraditionen schon lange vor Salomo existierten.
Vielleicht stellt sich jetzt eine Frage. Ich hatte vorhin gesagt, es gibt verschiedene Gruppen: die Priester, die Propheten und die Weisen. Genauso wie die Propheten getadelt werden, wenn sie ihren Status missbrauchen, werden auch die Weisen getadelt.
Propheten und Weise haben eigentlich ein recht ähnliches Ziel. Beide wollen eine bestimmte Sache erreichen und haben denselben Ausgangspunkt. Weisheit und Prophetie beginnen immer bei der Furcht Gottes. Ohne Furcht Gottes, ohne Ehrfurcht vor Gott, läuft bei beiden nichts.
Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Beide haben auch dasselbe Ziel: Sie wollen Israel zum Denken bringen. Ich dachte mir, das ist doch viel zu einfach, wenn ich das so formuliere. Es klingt zu simpel, wenn man sagt: „Ich möchte, dass der andere mal anfängt nachzudenken.“
Aber tatsächlich, was haben die Propheten gemacht? Sie haben das Wort Gottes in die jeweilige Situation hineingesprochen. So sprach der Herr, damit die Menschen endlich aufmerken, mitdenken und sich überlegen: „Oh ja, der könnte recht haben. Wenn das Gott von mir will, dann muss ich mal darüber nachdenken, was sich in meinem Leben ändert.“
Und nichts anderes wollen die Weisen auch. Sie wollen dich zum Denken bringen. Du liest so einen Spruch und denkst: „Hä, was soll das denn?“ Ja, denk darüber nach! Überlege, wo dich das in deinem Leben trifft.
Man könnte sogar so weit gehen, zu sagen, dass der Begriff Weisheit, weil er so zentral ist, das gesamte Alte Testament durchzieht. Und das tut er deshalb, weil Gott selbst der Inbegriff von Weisheit ist.
Damit meine ich: Das, was Gott will, entspricht immer genau dem, was Weisheit diktiert. Wenn ich die klügsten Entscheidungen in meinem Leben treffen wollte, dann wäre das immer genau das, was Gott will – weil er Weisheit ist.
Erinnert euch an den Sündenfall. Die Idee dahinter klingt erst einmal okay, oder? Eva wollte mehr Einsicht, mehr Erkenntnis – das ist ja gar nicht so verkehrt. Wo lag ihr Problem? Sie hat den ersten Schritt zur Weisheit einfach falsch gemacht.
Weisheit beginnt nämlich nicht an dem Punkt, an dem ich einfach nur mehr Wissen haben will. Weisheit beginnt dort, wo ich Gott fürchte. Aus dieser Gottesfurcht heraus will ich nicht einfach nur mehr Wissen, sondern mehr Wissen im Kontext meiner Gottesbeziehung. Ich möchte Gott besser verstehen, seine Schöpfung besser verstehen. Dann wird daraus echte Weisheit.
Das große Gegenteil zu Eva findet sich auch im ersten Buch Mose bei Joseph. Joseph startet mit Gottesfurcht. Am Ende wird ihm gesagt, dass er von Gott Weisheit geschenkt bekommen hat. In Apostelgeschichte 7,10 steht das ganz klar.
Deshalb dürfen wir diese Reihenfolge nicht durcheinanderbringen: Nicht erst Weisheit suchen und dann vielleicht irgendwann Gottesfurcht finden, sondern es startet mit Gottesfurcht – und dann kommt Weisheit.
Aber Weisheit ist nicht nur ein roter Faden, der sich durchs Alte Testament zieht, sondern wir finden sie natürlich auch im Neuen Testament. Salomo, der Weiseste seiner Zeit, findet doch noch einen Meister, oder? In Lukas 11 heißt es, dass einer gekommen ist, der größer ist als Salomo. Und das ist Jesus.
Ich glaube, dass seine Gleichnisse und Sprüche einfach unübertroffen sind. Es gibt wenig, das so erfrischend, herausfordernd und erfüllend ist, wie über das nachzudenken, was Jesus gesagt hat – er als Gott im Fleisch oder, man könnte sagen, als göttliche Weisheit in menschlichem Gewand.
Schlagen wir den ersten Korintherbrief auf, Kapitel 1. Dort heißt es, dass die Weisen dieser Welt Jesus nicht erkennen. Ist das nicht verrückt? 1. Korinther 1,19: Denn es steht geschrieben: „Ich will die Weisheit der Weisen vernichten und den Verstand der Verständigen verwerfen.“ Wo ist ein Weiser, wo ein Schriftgelehrter, wo ein Wortstreiter dieses Zeitalters? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
Merkt ihr etwas? Es gibt eine Weisheit, die, obwohl sie als Weisheit bezeichnet wird, am eigentlichen Zentrum aller Weisheit, nämlich an Gott, vorbeigeht. Woher bekommen die Gläubigen Weisheit? Fangen wir da an, wo alle Weisheit herkommt.
Immer noch im ersten Korintherbrief, Kapitel 1, heißt es in Vers 30: „Aus ihm aber kommt es, dass ihr in Christus Jesus seid, der uns geworden ist Weisheit von Gott.“ Unsere Weisheit hat ganz einfach einen Namen: Sie heißt Jesus. Ihn kennen, ihn imitieren und von ihm lernen, ist ganz praktisch Weisheit.
Auf diese Weise können wir, wenn wir von Gott gelehrt sind, wenn wir uns mittels des Heiligen Geistes und des Wortes Gottes wirklich Gedanken machen über die Dinge dieser Welt, auch die rein menschliche Weisheit, die nicht immer das ist, was Gott will, hinter uns lassen.
In 1. Korinther 2,13 heißt es: „Davon reden wir auch, nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist, indem wir Geistliches durch Geistliches deuten.“ Das ist das Ziel: eine Weisheit, die von Gott in uns durch seinen Geist gewirkt wird.
An anderer Stelle, in Kolosser 2, heißt es zur Weisheit: „Christus, in dem alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen sind.“ Ist das nicht klasse? Alle Schätze von Weisheit und Erkenntnis sind in Jesus verborgen. Wir sind in ihm und dürfen diese Schätze heben. Ich finde das fantastisch.
Und Weisheit brauchen wir. Kolosser 3,16 sagt, dass wir Weisheit brauchen, wenn wir mit Geschwistern Umgang pflegen. An anderer Stelle heißt es, dass wir Weisheit brauchen, wenn wir mit Menschen umgehen, die Gott nicht kennen.
Lesen wir Kolosser 4,5: „Wandelt in Weisheit gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Gelegenheit aus.“ Ich brauche Weisheit. Jetzt wird jemand sagen: Ja, aber ich habe eigentlich nicht so richtig welche, ich bräuchte mehr.
Nicht schlimm, schaut euch an, was in Jakobus 1 steht. Weisheit ist etwas, das man erbitten darf. Jakobus 1,5: „Wenn aber jemand von euch Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der allen willig gibt und nichts vorwirft.“ Gott gibt willig Weisheit. Ist das nicht toll?
Und die Weisheit, die Gott geben mag, hat verschiedene Charakteristika, damit wir sie auch von einer Weisheit unterscheiden können, die einfach nur Bauernschläue ist oder sich nur als Weisheit ausgibt.
Diese Charakteristika stehen in Jakobus 3,17. Dort wird von der Weisheit von oben gesprochen. Es heißt, dass die Weisheit von oben sich von der von unten folgendermaßen unterscheidet: Die Weisheit von oben ist zuerst rein, dann friedsam, gütig, folgsam, voll Barmherzigkeit und guter Früchte, unparteiisch und ungeheuchelt.
Das ist ein guter Filter für Entscheidungen, die wir fällen. Passt es? Damit wir nicht einfach Dinge tun, die nur unseren eigenen Gedanken entsprungen sind, aber nicht mehr der Weisheit Gottes entsprechen.
Das war Jakobus 3,17.
So möchte ich euch bitten, einmal Apostelgeschichte 7 aufzuschlagen. Ich will den Bogen jetzt noch weiter spannen. Bisher habe ich gesagt, dass es etwas gibt, das es schon vor Salomo in Israel gab und das sich durch das ganze Alte Testament zieht, ja sogar noch stärker im Neuen Testament ausgeprägt ist.
Diese Weisheit Gottes wird im Fleisch sichtbar in Christus. Die Erfahrung, die ich im Umgang mit ihm machen kann, bestätigt das. Jetzt verlassen wir mal den jüdischen Kontext und schauen in Apostelgeschichte 7, Vers 22. Dort heißt es: „Und Mose wurde unterwiesen in aller Weisheit der Ägypter.“
Es ist tatsächlich so, wenn ihr die Bibel lest, werdet ihr feststellen, dass an einigen Stellen darauf hingewiesen wird, dass Weisheit nicht nur bei den Israeliten zu finden ist. Verschiedene Stellen nennen auch die Ägypter, Edomiter, Babylonier und Tyrus als Völker, die Weisheit besitzen.
Das bedeutet: Auf der einen Seite geißelt das Alte Testament all die magischen Rituale und den Aberglauben der anderen Völker. Diese Dinge waren oft auch mit dem Stand der Weisen verbunden. Ihr erinnert euch vielleicht an das, was ich mal über die Magier im Neuen Testament gesagt habe. Die Magier, die zur Geburt Jesu kommen, sind eigentlich Ratgeber.
Nicht umsonst ist das Wort „Magier“ heute ein Synonym für Zauberei oder Zauberer. Wenn diese Ratgeber Rat suchten, war das oft mit viel Aberglaube, Magie und Ritualen verbunden. Davor will die Bibel überhaupt nichts wissen.
Aber auf der anderen Seite kann sie, obwohl sie das nie für andere Priester und Propheten tut, mit großem Stolz von der Weisheit anderer Völker und deren Weisen sprechen. Die Bibel macht sehr deutlich, dass ein Mensch auch ohne Sonderoffenbarung, ohne eine besondere Offenbarung von Gott, durchaus in einem natürlich begrenzten, menschlich begrenzten Sinn vernünftige Entscheidungen treffen kann. Diese Entscheidungen würden andere als klug und weise einschätzen.
Ich zeige euch dazu ein Beispiel aus 2. Samuel 16. Vorhin war es Kapitel 20, jetzt nochmal zu Ahitophel. Absalom, der Sohn Davids, hat gerade eine Revolution angezettelt. In 2. Samuel 16,23 heißt es: „Der Rat Ahitophels aber, den er in jenen Tagen gab, war, als wenn man das Wort Gottes befragte.“
So hoch galt jeder Rat Ahitophels sowohl bei David als auch bei Absalom. Das zeigt den Rang dieses Mannes. Die Qualität seiner Ratschläge wurde nicht dadurch schlechter, dass er sich gegen David gestellt hatte. Wodurch wurde sein Ratschlag schlecht? Dadurch, dass er nicht ausgeführt wurde.
Sein Ratschlag war erstklassig. Er hatte Absalom geraten: „Schnapp ihn dir, jag ihm hinterher! Jetzt ist die Chance, jetzt ist die Zeit, wo du ihn erwischen kannst.“
Deshalb lesen wir in 2. Samuel 17,14, nachdem Huschai der Arkite – eine Art Maulwurf, den David eingeschleust hatte in das Lagezentrum Absaloms – ebenfalls einen Rat gegeben hatte. Nun standen Rat gegen Rat: Ahitophels Rat, der tatsächlich besser war, gegen Huschais Rat, der erst einmal schlechter war, zumindest aus Davids Sicht.
Dann lesen wir in Vers 14: „Da sagt Absalom und alle Männer von Israel: Der Rat Huschais des Akitas ist besser als der Rat Ahitophels.“ Falsch, einfach falsch. Er ist nur besser für David.
Der Herr aber hatte es so angeordnet, um den guten Rat Ahitophels zunichte zu machen, damit der Herr das Unheil über Absalom bringen konnte. Merkt ihr etwas? Ein Mann, fern von Gott, der sich später das Leben nehmen wird, war in seiner Fähigkeit, kluge Ratschläge zu erteilen, immer noch der Topmann seiner Zeit.
Es zeigt also, dass jemand ohne besondere Offenbarung in einem begrenzten Bereich hochqualitative, extrem hochwertige Ratschläge geben kann.
Und jetzt möchte ich euch noch mit an den Königshof Salomos nehmen und euch ein wenig von diesem Klima zeigen. Wie ist man damals mit solchen Leuten, mit solchen Ratgebern umgegangen? Wie hoch stand Weisheit im Kurs?
Dazu müssen wir in 1. Könige, Kapitel 5, schauen. Jetzt nähern wir uns natürlich schon ein bisschen dem Autor der Sprüche. In 1. Könige 5, Vers 9 lesen wir: „Und Gott gab Salomo Weisheit und sehr große Einsicht und Weite des Herzens wie der Sand am Ufer des Meeres.“
Man könnte sagen, das ist ja schön und gut. Die Israeliten sollten sich freuen, so einen König zu haben. Aber das war nicht so. Salomo wurde berühmt, und das heißt in Vers 14: „Und man kam aus allen Völkern, um die Weisheit Salomos zu hören, von allen Königen der Erde her, die von seiner Weisheit gehört hatten.“ Das war ein Gesprächsthema an den Königshöfen. Da gab es einen König in Israel, der besonders weise war.
In 1. Könige 10 lesen wir von so einem Besuch: die Königin von Saba. In 1. Könige 10, Vers 1 heißt es: „Und die Königin von Saba hörte von Salomos Ruf und von dem Haus, das er gebaut hatte für den Namen des Herrn. Da kam sie, um ihn, den König, mit Rätsel-Fragen zu prüfen.“
Stellt euch mal vor, irgendeiner käme nach Berlin und würde Herrn Schröder mit Rätselfragen prüfen. Das würde niemand tun, niemand käme auf den Gedanken. Und dann merken wir, wie wenig Weisheit und Klugheit in unserer Zeit geachtet wird. Niemand hat ein Interesse daran, von anderen zu wissen: Bist du einer, der praktische Fragen auf eine kluge und weise Art beantworten kann? Das ist heute nicht mehr das Einstellungskriterium für einen Politiker.
Also, doch klasse, oder? Hier warst du, und die Leute waren begeistert. Eine Frau wie die Königin von Saba hat ja auch noch anderes zu tun, als nur durch die Weltgeschichte zu reisen. Aber sie hört davon und reist trotzdem hin.
In Vers 3 heißt es: „Und Salomo beantwortete ihr all ihre Fragen. Nichts war vor dem König verborgen, das er ihr nicht hätte beantworten können.“ Sie kommt mit einer Erwartungshaltung und diese wird mehr als übertroffen.
Das sagt sie dann in Vers 6 und 7: „Und sie sagte zum König: Das Wort ist Wahrheit gewesen, dass ich in meinem Land über deine Taten und über deine Weisheit gehört habe. Ich habe den Worten nicht geglaubt, bis ich gekommen bin und meine Augen es gesehen haben. Doch siehe, nicht die Hälfte ist mir berichtet worden. Du hast an Weisheit und Gütern die Kunde übertroffen, die ich gehört habe.“
Versucht das ein bisschen mitzuspüren. Heute mag es in der Politik um Dinge gehen wie Verträge schließen, einen Pakt haben oder die EU auf die Reise zu schicken. Damals ging es darum: Was ist das für einer, der an der Spitze des Staates steht? Ist der weise? Ist der klug? Kann der was? Ist das einer, dem du eine Frage stellst und der eine Lösung bringt? Oder ist das einer, der nichts taugt?
Für ein Land damals, unter einem König, der herrschte, wie er wollte, war das Gewinn oder Verlust, Überleben und Reichtum oder Untergang und Versklavung.
Die Leute am Salomos Hof – wir wissen nicht, ob Salomo Gegenbesuche gemacht hat, das steht nicht in der Bibel – aber die Leute am Königshof in Jerusalem haben schon so ein bisschen verglichen, hat man den Eindruck.
Denn das heißt, jetzt wieder zurück zu 1. Könige 5, da wo wir vorhin aufgehört haben, Vers 10: „Die Weisheit Salomos war größer als die Weisheit aller Söhne des Ostens“, das muss ja irgendjemand verglichen haben, „und als alle Weisheit Ägyptens. Er war weiser als alle Menschen, als Ethan der Esrachiter und Heman und Kalkol und Darda, die Söhne Mahols. Und sein Name war berühmt unter allen Nationen ringsum.“
Er verfasste 3000 Sprüche, und die Zahl seiner Lieder war 1505. Er redete über die Bäume, angefangen von der Zeder, die auf dem Libanon steht, bis zum Üsopp, der an der Mauer herauswächst. Er redete über das Vieh, über die Vögel, über das Gewürm und über die Fische.
Du wolltest also etwas gelten? Na ja, dann zeig, was du im Kopf hast, zeig, was du vom Leben verstanden hast.
Dass dem wirklich so war, belegt auch die Archäologie. Man hat eine ganze Reihe außerbiblischer Weisheitsliteratur gefunden. In diesen außerbiblischen Weisheitsbüchern geht es eigentlich um die gleichen Fragen wie auch in der Bibel. Die Fragen sind sehr ähnlich, zum Beispiel: Warum leidet der Gerechte? Wie kann es sein, dass einer, der gerecht ist, in seinem Leben leidet?
In welchem Buch taucht diese Frage in der Bibel auf? Hiob, Psalm 73 auch, aber Hiob ist das klassische Buch dazu. Es gibt ein Buch der dritten Dynastie in Ur, das ist 1000 Jahre vor Salomo, das sich schon mit diesem Thema beschäftigt.
Wir können noch weiter zurückgehen. Wenn es um ganz praktische Lebensfragen geht, gibt es die Lehren des Pythahottep, ein Ägypter, der eine Sammlung von Sprüchen aufgestellt hat. Siehe, wie alt das ist: etwa um 2450 v. Chr.
Es gibt also eine lange Tradition, und Gott benutzt dieses Mittel der Weisheitsliteratur, der Sprüche, und verwendet sie für seinen Zweck.
Man muss natürlich auch sagen: Das, was wir außerbiblisch finden, ist manchmal schon ein bisschen komisch. Denn wir würden in der Bibel bestimmte Dinge einfach nicht erwarten, weil Gott Gott ist. Wir würden nicht denken, dass man Unmoral nur deshalb gutheißt, weil sie mit Götzendienst verbunden ist. Das findet sich da natürlich schon.
Viel von dieser außerbiblischen Weisheitsliteratur ist in erster Linie darauf ausgelegt, demjenigen, der sich daran hält, geschäftlichen und persönlichen Erfolg zu garantieren.
Bei Amazon habe ich mal nachgeschaut: Die Lehren des Pythahottep sind tatsächlich jetzt auch ins Deutsche übersetzt worden. Der Titel heißt irgendwie „Altegyptische Management-Tricks“. Und genau das trifft es ziemlich genau: Es geht darum, wie ich so gut durchs Leben komme.
Ich habe heute Morgen ein bisschen in den Lehren des Pythahottep geschmökert. Da geht es um die Frage: Wenn du eingeladen bist bei deinem Boss, wie verhältst du dich? Im Sinne von: Wenn er lacht, lach. Schau ihn nicht so oft an. Nimm, was er dir gibt.
Sowas finden wir in der Bibel nicht, auch wenn es dort um magische Dinge geht, um okkulte Sachen, um Polytheismus. Das kennen wir überhaupt nicht von der Bibel.
Insofern ist das, was wir in der Bibel haben, im Vergleich zu diesen anderen Sachen schon rein und klar und immer wieder zentriert auf einen Gott, der mit seinem Wesen für die Qualität der Weisheit einsteht.
So viel dazu: Es gibt Weisheitsliteratur schon lange vor Salomo, lange bevor die Sprüche Salomos geschrieben wurden. Dieses Genre zieht sich bis in die Zeit des Neuen Testaments und letztlich noch weiter. Denn bis ins Mittelalter wird man solche Dinge finden können. Dazu habe ich aber nur einen Hinweis gelesen, den ich nicht weiter verfolgt habe.
Und wenn wir das wissen, dann wollen wir jetzt noch kurz auf das Buch selbst eingehen, uns die Struktur anschauen, und danach könnt ihr noch eine kleine Übung machen, falls ihr Lust habt.
Die Sprüche, Kapitel 1 bis 7, bilden zusammen eine Art Einführung. Dort steht in Sprüche 1,1-7 einmal der Titel: „Sprüche Salomos“. Diesen Titel findet ihr auch noch einmal am Anfang von Kapitel 10, Vers 1.
Der Unterschied zwischen den ersten neun Kapiteln und dem, was ab Kapitel 10 kommt, ist folgender: Ab Kapitel 10 beginnen die eigentlichen Sprüche. Das, was wir vorher haben, ist eine Hinführung. Dazu kommen wir gleich noch.
Zunächst schauen wir uns die Kapitel 1 bis 7 an. Dort steht: „Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel, um Weisheit und Zucht zu erkennen, um verständige Worte zu verstehen, um Zucht mit Einsicht anzunehmen, dazu Gerechtigkeit, Recht und Aufrichtigkeit, um Einfältigen Klugheit zu geben, dem jungen Mann Erkenntnis und Besonnenheit. Der Weise höre und mehre die Kenntnis, und der Verständige erwerbe weisen Rat, um Spruch und Bildrede zu verstehen, Worte von Weisen und ihre Rätsel.“
Warum schreibt man so etwas? Man schreibt es, um eine Einführung ins Ziel zu geben. Was ist das Ziel der Sprüche? Es ist nicht einfach eine Gedichtsammlung im Sinne von: „Ich sammle mal, was ich alles finde.“ Martin sammelt auch seine Lieder, das ist ja auch gut, und die legt man dann hintereinander und gibt sie irgendwann heraus. Nein, hinter den Sprüchen steckt mehr.
Wir haben ja vorhin schon gelesen, dass Salomo mehr gemacht hat als nur die Sprüche, die hier drinstehen. Es ist mehr als eine Gedichtsammlung, es hat ein Ziel. Es ist ein Erziehungsmittel. Es möchte, dass die Leser Klugheit gewinnen, Einsicht erlangen, verständig werden und weisen Rat verstehen. Als solches dürfen wir es auch gebrauchen.
Es hat ein Motto, und dieses Motto steht in Vers 7: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis; Weisheit und Zucht verachten nur die Narren.“ Das ist das Motto für das ganze Buch.
Jetzt wissen wir, woran wir sind: Salomo zur Erziehung, und es beginnt mit Gottesfurcht, wie wir vorhin schon gesehen haben. Das Ziel ist Weisheit und Zucht oder Disziplin im Leben.
Dann folgen verschiedene Sektionen. Sektion 1 geht von Kapitel 1, Vers 8 bis zum Ende von Kapitel 9, Vers 18. Man könnte sagen, ein Vater lobt die Weisheit. Es sind nämlich väterliche Gespräche – ein Vater spricht mit seinem Kind über verschiedene Themen. Dabei breitet er das, was wir schon in Kapitel 1,1-7 gehört haben, mit verschiedenen Illustrationen aus.
Er kommt immer wieder zu einem Punkt: Du musst eine Entscheidung treffen zwischen Weisheit und Dummheit. Er benutzt unterschiedliche Illustrationen, zum Beispiel den Umgang mit Frauen oder Freunden, und legt bestimmte Schwerpunkte. Aber immer wieder lautet die Botschaft: Du musst dich entscheiden zwischen Weisheit und Dummheit.
Nachdem dieser Punkt klar geworden ist und der Leser ihn verstanden hat, dringt er ein in einen schier unüberschaubaren Dschungel. Dieser Dschungel ist Sektion Nummer zwei.
Sektion zwei, die eigentlichen Sprüche Salomos, wie man zunächst meinen könnte, gehen von Kapitel 10, Vers 1 bis Kapitel 22, Vers 16. Wenn ihr das lest, werdet ihr verstehen, warum ich von einem Dschungel spreche.
Eben war alles thematisch hoch geordnet. Wir haben verstanden: „Aha, jetzt geht es um das, dann um jenes.“ Doch jetzt kommt Stakkato-mäßig mal ein Vers zu diesem Thema, mal ein Spruch zu einem anderen, dann wieder ein anderer. Es geht wirklich durcheinander.
Ihr werdet darin keine klare Ordnung finden. Vielleicht gibt es eine, vielleicht sehen wir sie im Himmel. Vielleicht ist es auch ganz einfach. Aber ich kenne niemanden, der sagen würde: „Kein Problem, so passt das alles zusammen.“
Wenn ich jedoch das, was ich aus den ersten neun Kapiteln schon weiß, im Blick habe – also die Lektion, dass ich mich entscheiden muss –, dann verstehe ich: Jeder einzelne Vers ist gedacht als Hilfe für eine Weggabelung, an der ich eine Entscheidung treffen muss. Und ich darf mich jedes Mal, wie aus den Versen deutlich wird, für die richtige Seite entscheiden.
Salomo ist übrigens nicht der einzige Autor der Sprüche. Sprüche 22,17 macht das klar: „Neige dein Ohr und höre die Worte von Weisen und richte dein Herz auf meine Erkenntnis.“ Hier wird pauschal von Worten von Weisen gesprochen. Dieser Abschnitt geht von 22,17 bis 24,22.
Dieser Teil, der von den Weisen stammt, ähnelt in seiner Art dem allerersten Teil wieder etwas mehr. Es ist nicht mehr so spruchweise knapp, sondern etwas ausführlicher formuliert, aber nicht so lang wie die erste Sektion.
Ab 24,23 kommt eine andere Gruppe von Weisen, die erstmals auch kollektiv genannt wird. Auch diese sind von den Weisen.
Wisst ihr, was interessant ist? Diese Weisen müssen nicht aus Israel stammen. Wenn ihr jetzt denkt, das sind bestimmt Israeliten, dann müsst ihr euch sagen: Nein, das ist nicht nötig.
Man hat in der damaligen Zeit Weisheit so hoch geschätzt, dass man auch bereit war, an anderer Stelle zu lernen oder andere Gedanken zu durchdenken. Sprüche, die wirklich auf den Punkt bringen, was wichtig ist, hat man mit aufgenommen.
Ähnlich wie manchmal in einer Predigt ein gutes Zitat von jemandem gebracht wird, das genau trifft, was man sagen will. Eines der schönsten Zitate, das ich oft verwendet habe, stammt von Mark Twain. Mark Twain war nicht gläubig, aber er sagte: „Alle Menschen sind wie der Mond, sie haben eine dunkle Seite, die sie niemandem zeigen.“
Ist das nicht schön? Es trifft den Kern genau. So mag es uns nicht überraschen, dass in diesem Abschnitt, Kapitel 22,17 bis 24,22, eine enge Verwandtschaft zu Sprüchen aus Ägypten von Amenope besteht.
Es gibt enge Beziehungen. Aber wir müssen immer wieder verstehen: Es wurde nicht einfach nur zitiert oder abgeschrieben. Es dient ihnen nichts, wenn sie das täten. Stattdessen haben sie gute Quellen benutzt und zum Teil gereinigt – alles Polytheistische wurde entfernt –, aber die richtigen Gedanken sind darin erhalten geblieben.
Jetzt weiß ich nicht, ob es Zufall ist, dass es diese Nähe zu den Texten von Amenope gibt, oder wer von wem geliehen hat. Das bleibt eine offene Frage.
Ich finde es spannend, dass hier nicht einfach eine Offenbarung vom Himmel kommt, die einzigartig ist, sondern dass Gott das nutzt, was der Mensch herausarbeitet. Damals war man offen für die Gedanken anderer.
Manchmal wünsche ich mir das heute zurück. In einer Zeit, in der man kaum noch vernünftig diskutieren kann, wäre es schön, wenn solche Offenheit da wäre. Wenn man sagt, was man denkt, warum man das denkt, und einfach darüber redet. Nicht um zu gewinnen, sondern um der Weisheit und praktischen Erkenntnis näherzukommen. Das wäre doch toll, wenn es damals so gewesen wäre.
Gut, ich hätte gesagt, Sprüche 24,23 bis 34 gehören auch zu den Worten der Weisen. Dieser Abschnitt geht bis Vers 34.
Dann kommen wir in Kapitel 25 zu einer Sammlung von Sprüchen, die wieder Salomo zugeordnet werden. Dort steht: „Auch dies sind Sprüche Salomos.“ Das heißt, die Männer Hiskias, des Königs von Juda, haben sie zusammengetragen.
Das ist der einzige Hinweis im Buch mit einer zeitlichen Angabe. Die Männer Hiskias lebten etwa im 7. Jahrhundert vor Christus. Wenn sie schreiben, dass sie das hier zusammengetragen haben, können wir im Hinblick auf das Buch Sprüche erst einmal nur sagen: Zur Zeit Hiskias war das Buch noch nicht fertig.
Wir wissen nicht, wann es fertiggestellt wurde, aber zumindest zur Zeit Hiskias wurde noch ein Teil hinzugefügt, nämlich der Abschnitt von Kapitel 25, Vers 1 bis Kapitel 29, Vers 27.
Wir sind in diesem Teil wieder typisch bei Salomo – kurze Sprüche. Was ein wenig auffällt: Die Männer Hiskias haben thematisch etwas mehr geordnet. Bei den Sprüchen Salomos geht es oft wild durcheinander. Hier passen schon mal drei oder vier Verse zusammen und reden über dasselbe Thema.
Dann folgen die nächsten beiden Abschnitte, Sektionen fünf und sechs, beide von Nichtisraeliten. Sektion fünf sind die Worte Agurs, Kapitel 30, Vers 1 bis 33, und dann die Worte Lemuels, Kapitel 31, Vers 1 bis 9.
Der letzte Abschnitt, Kapitel 31, Verse 10 bis 31, handelt von der tüchtigen Ehefrau. Dieser Abschnitt ist insofern herausstechend, als er ein Akrostichon ist. Das heißt: Jeder Vers beginnt mit einem bestimmten Buchstaben, und man geht die Buchstaben des hebräischen Alphabets durch.
Also beginnt der erste Vers mit Aleph, der zweite mit Beth, der dritte mit Gimel, der vierte mit Daleth und so weiter. Das ist genau die gleiche Stilfigur, die wir auch schon bei den Psalmen gesehen haben.
Damit merkt man: Das ist ein zusammenhängendes Ganzes, es gehört zusammen. Der Verfasser könnte theoretisch Lemuel sein, man kann aber auch sagen, der Abschnitt ist erst einmal anonym, weil nichts darübersteht.
So, das sind die Sprüche soweit.
Zur Entstehungszeit können wir mit Sprüche 25,1 nur sagen, dass das Buch um 700 v. Chr. noch nicht abgeschlossen war. Mehr lässt sich erst einmal nicht sagen.
Was die Gedanken, Wortwahl, den Stil und auch die metrischen Formen angeht, ist das Buch im Alten Testament zuhause, es passt überall hinein.
Es ist nicht zwingend, wie lange argumentiert wurde, dass es erst sehr spät, möglicherweise nach dem babylonischen Exil, verfasst worden wäre. Das kann man auch insofern ausschließen, als durch Funde anderer außerbiblischer Weisheitsliteratur klar ist, dass es so etwas schon tausende Jahre vorher gab.
Es ist nichts in dem Sinn Einzigartiges – nur der Inhalt ist einzigartig, nicht die Form.
Wenn ihr den Text durchlest, werdet ihr feststellen, dass in den Sprüchen sehr viele Fußnoten enthalten sind. Im Durchschnitt sind es mehr als in anderen Büchern der Bibel. Man könnte daher den Eindruck gewinnen, dass der ursprüngliche Text, also der hebräische Text oder der masoretische Text, unvollständig oder beschädigt vorliegen würde. Man könnte denken, die Überlieferung sei sehr fehlerhaft, weil so viele Anmerkungen vorhanden sind.
Dieser Schluss ist jedoch falsch. Der masoretische Text ist ziemlich gut überliefert. Das eigentliche Problem liegt bei der Septuaginta. Wenn ihr bei den Fußnoten nachschaut, seht ihr fast überall den Hinweis „Lxx“. Das steht für die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische im zweiten Jahrhundert vor Christus, die als Septuaginta bekannt ist.
Diese Übersetzung ist mal mehr, mal weniger gelungen. Man muss sagen, dass die Übersetzer teilweise frei übersetzt haben. Ein Wissenschaftler hat die Art, wie die Sprüche in der Septuaginta wiedergegeben sind, als „frei“ und manchmal „umschreibend“ bezeichnet. Die Septuaginta geht sogar so weit, dass sie Sprüche hinzufügt oder andere weglässt.
Der masoretische Text liegt also sehr gut vor und ist zuverlässig. Das Problem entsteht, weil wir ihn häufig mit der Septuaginta vergleichen, die keine wirklich gute Übersetzung ist. Ich vergleiche sie manchmal mit der „Hoffnung für alle“, weil ich glaube, dass sie ähnlich frei verwendet wurde.
Deshalb gibt es so viele Anmerkungen in den Fußnoten. Das sollte niemanden verwirren.
Zum Schluss stellt sich die Frage: Wie wird man weicher? Was muss ich jetzt tun? In Sprüche 9,1 spricht Salomo davon: „Die Weisheit hat ihr Haus gebaut.“ Bleibt die Frage: Wo ist die Tür? Sprüche 9,1 sagt: „Die Weisheit hat ihr Haus gebaut.“ Wo ist also die Tür zu diesem Haus, und wie komme ich hinein?
Das wissen wir bereits: Der Beginn aller Weisheit ist eine richtige Beziehung zu Gott. Deshalb heißt es in Sprüche 9,10: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, und Erkenntnis des Heiligen ist Einsicht.“ Eine Beziehung zu Gott ist der Anfang von allem. Das muss ich tun, das muss ich beginnen. Andernfalls bin ich einfach ein Dummkopf.
Wenn ich Gott nicht anerkenne, ihn nicht annehme und nicht begreife, dass alles von ihm abhängt, dass ihm alles unterworfen ist und er über allem steht, dann nützt mir menschliche Klugheit gar nichts. Die Sprüche wollen uns Gedanken vermitteln wie: Ich verdanke Gott alles und unterwerfe mich deshalb gerne ihm. Ich vermag nichts aus eigener Kraft und vertraue ihm deshalb gerne.
So heißt es in Sprüche 3,5: „Vertraue auf den Herrn mit deinem ganzen Herzen und stütze dich nicht auf deinen Verstand.“ Die Sprüche zeigen uns auch, dass Weisheit keine Frage von Intellekt oder Schulbildung ist. Es geht nicht darum, wie viel Lebenserfahrung jemand hat oder wie viele schlaue Bücher er gelesen hat. Es geht um Glauben und Gehorsam. Das ist der Schlüssel.
Es geht um unser Herz. Wem gehört unser Herz? In Sprüche 4,23 heißt es: „Mehr als alles, was man behütet, behüte dein Herz, denn daraus entspringt die Quelle des Lebens.“
Wie wird man also weise? Wo ist die Tür? Die Antwort lautet: in einer Beziehung zu Gott. Diese Beziehung beginnt, wie Sprüche 23,26 ausdrückt: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz.“ Da fängt Weisheit an – wenn wir unser Herz an Gott verschenken.
Der nächste Schritt ist das, was wir in 5. Mose 4,5-6 lesen. Ich zitiere ab Vers 5: „Siehe, ich habe euch Ordnungen und Rechtsbestimmungen gelehrt.“ Weiter in Vers 6: „So bewahrt und tut sie, denn das ist eure Weisheit und eure Einsicht.“ Der erste Schritt ist also die Beziehung, dass Gott unser Herz bekommt. Der zweite Schritt ist, dass wir die Gebote Gottes gerne tun.
Wenn ihr das aus neutestamentlicher Sicht hören wollt, lest Matthäus 7, wo vom Haus auf dem Felsen oder auf dem Sand gebaut die Rede ist. Es geht darum, zu hören und zu tun. Oder Jakobus 1: „Nicht der, der nur hört, ist ein kluger Mann.“ Damit möchte ich schließen.
Jakobus 1,22 sagt: „Seid aber Täter des Wortes und nicht allein Hörer, die sich selbst betrügen.“ Das ist der zweite Schritt.
In diesem Sinne wünsche ich euch Folgendes: Schaut euch das Buch der Sprüche mit vielen, vielen bunten Farben an. Hier sind zum Beispiel einige Seiten mit einem Verzeichnis – das ist wirklich beeindruckend, wie meine liebe Frau das macht. Ich habe eine bunte Seite vorbereitet. So könnt ihr mit vielen bunten Stiften durch die Sprüche gehen, verschiedene Themen markieren und überlegen, was das Buch der Sprüche zu diesem oder jenem Thema sagt.
Das muss man nicht unbedingt machen – meine Frau ist da immer ein bisschen besonders. Aber ich denke, es hilft ihr. Und eigentlich ist es auch mein Wunsch, dass sie es schafft zu sagen: Ja, ich habe mein Herz dem Herrn gegeben. Ich möchte gerne, weil ich ihn liebe, auch seine Gebote halten und so weise wie möglich durch dieses Leben gehen.
Vielen Dank an Jürgen Fischer, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen!
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